Annie Hruschka
Das Haus des Sonderlings
Annie Hruschka

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[10.]

»Nun – es ist wohl mißlungen?« fragte Frau Siebert im Ton der Erleichterung, als sie Heidy einließ und diese stumm und abgespannt auf einen Stuhl sank. »Ich dachte es ja gleich, daß sie auf einen solchen Plan nicht eingehen würde . . . gottlob!«

»Nein, Mama. Es ist gelungen. Die Belle Adisane wird mir Stunden geben, und ich werde mir alle Mühe geben, Sie weiterhin glauben zu machen, daß mein Heil daran hängt . . . Traumtänzerin zu werden . . . daß ich sie – grenzenlos bewundere!«

Sie schüttelte sich. Ein Ausdruck unsäglichen Ekels glitt über ihr Gesicht.

»Wie habe ich gelogen! Wie tief entwürdigt bin ich mir selbst erschienen!«

Frau Siebert trat zu ihr und fuhr ihr liebkosend über den gesenkten Kopf.

»Mein armer, stolzer Liebling! Das wußte ich! Eben darum wollte ich nicht, daß du diesen abenteuerlichen Plan ausführst. Er ist so ungeheuer demütigend für ein junges Mädchen von deiner Art und deiner Erziehung! Nun hast du es selbst gefühlt, und ich hoffe, du gibst das weitere auf. Es wäre dir auf die Dauer doch ganz unmöglich, deinen Abscheu vor dieser Person zu verbergen!

»Abscheu?« Heidy lächelte bitter. »Aber im Gegenteil, ich muß ja trachten, ihre Freundin zu werden. Nur so kann ich in ihrer Nähe bleiben. Sie zieht morgen in Georgs Villa hinaus.

»O – das erlaubt man ihr?«

»Es scheint so. Sie hat sich deshalb persönlich an den Untersuchungsrichter gewandt.«

»Unglaublich! Aber wie willst du dann . . .

»Ich miete mich in den »Drei Linden« ein. Als Fräulein Remschmid. Wir haben dies bereits ausgemacht.«

»Du allein da draußen? Ohne Schutz in der Nähe dieser gefährlichen Person? Das erlaube ich nicht, Heidy!«

Heidy schlang den Arm um die alte Frau und lehnte ihren Kopf an deren Brust.

»Du wirst es erlauben, Mamachen, weil es sein muß und weil du weißt, daß ich es auf alle Fälle tun muß. Es ist für Georg – weißt du das nicht mehr?« sagte sie mit rührender Innigkeit. »Ich würde mich ja auch als Magd an sie verdingt haben, wenn es nicht anders ginge. Und Angst brauchst du keine um mich zu haben. Ich werde die Augen schon offen halten.«

»Aber Kind – ist denn dies alles wirklich notwendig? Herr Hempel hat dir doch vorgeschlagen, Frau Torwesten durch einen Detektiv beobachten zu lassen!«

»Damit würde gar nichts erreicht, sondern vielleicht alles verdorben! Glaubst du, die Adisane wird die Augen nicht auch offen halten? Wie sollte ein Mann sie da draußen beobachten können, ohne daß sie es merkt? Er würde bei Tag hinter ihr her sein und nachts wahrscheinlich schlafen. Was haben denn all diese Leute bis jetzt herausgebracht? Nichts! Nicht einmal die leiseste Spur haben sie, wohin man Georg gebracht hat. Selbst Herr Hempel, der Erfahrene, Berühmte, weiß es nicht. Die Adisane allein weiß es! Davon bin ich jetzt fester überzeugt denn je! Ebenso, daß der verschlagenen List dieser Frau nur die List einer Frau gewachsen ist.«

Sie stand auf.

»Nein! Hindere mich nicht länger, Mama, es ist beschlossen. Ich fahre morgen sehr zeitig hinaus, damit ich bei der Ankunft der Adisane schon in den »Drei Linden« bin. Die paar Stunden, die es jetzt noch gibt, hältst du für mich. Meine Schülerinnen sind einverstanden. Ich habe ihnen gesagt, daß ich mich überanstrengt fühle und zu Verwandten nach Graz gehe. Vielleicht nur auf Tage, vielleicht – auf Wochen.«

Frau Siebert seufzte tief auf und konnte sich gar nicht beruhigen, bis Heidy scherzend meinte:

»Denke doch, Mamachen, ich wäre anstatt Sprachlehrerin ein weiblicher Detektiv geworden! Da würden uns solche Dinge ganz natürlich erscheinen. In England und Amerika gibt es genug Frauen, die diesen Beruf wählen.«

»Eines aber hast du doch nicht bedacht!« sagte Frau Siebert eine Stunde später mitten im Einpacken von Heidys Sachen. »Daß wir damals draußen waren bei den »Drei Linden« und man dich also dort wieder erkennen wird!«

Heidy lächelte.

»Wie kannst du glauben, Mama, daß ich etwas so Wichtiges vergessen hätte! Ich schrieb sofort einen Brief an Doktor Herrlinger und teilte ihm alles mit. Er kennt die Leute in den »Drei Linden«, da er oft als Gast bei Georg war, und wird darum das Geeignete schon veranlassen. Mein Name wurde ja gottlob damals nicht genannt.«

Heidy hatte richtig vermutet. Abends, als sie bei ihrem bescheidenen Abendbrot saßen, kam Dr. Herrlinger.

Er war nachmittags persönlich zu den »Drei Linden« gefahren und hatte alles aufs beste geordnet, indem er Fräulein »Remschmid« für eine Bekannte ausgab, die sich fürs Theater ausbilde. Die alte Dame, die damals mit ihr war, sei ihre Lehrerin gewesen.

Zugleich verständigte er Laglers und Titus von dem Kommen Frau Torwestens, gegen die er ihnen Mißtrauen und Vorsicht einflößte, indem er durchblicken ließ, daß sie mit den Ereignissen, die Torwestens Verschwinden begleiteten, wahrscheinlich im Zusammenhang stehe. Natürlich dürfe davon absolut nicht gesprochen werden. Man sollte sich höflich, aber zurückhaltend benehmen. Damit geschähe Herrn Torwesten, dem sie ja alle ergeben seien, der größte Dienst.

Wenn sie jemand nach Fräulein Remschmid frage, so sollten sie unbedingt sagen, daß sie sie nicht kennten und auch nie zuvor gesehen hätten.

»Wird das genügen?« fragte Heidy.

»Sicher! Die Leute sind etwas beschränkt, aber ehrlich und Torwesten sehr ergeben. Ich brauchte ihnen nur das zu sagen, was Torwesten mir über seine Ehe mitteilte, um ihnen diese so plötzlich hineingeschneite Frau Torwesten gründlich zu verleiden.«

Herrlinger blieb länger, als er beabsichtigt hatte. Es war so traulich bei den beiden Frauen, und Heidy hatte es sich nicht nehmen lassen, ihm einen kleinen Imbiß zu bereiten.

Er erzählte auch seine Unterredung mit Dr. Wasmuth und versprach, Silas Hempel morgen von Heidys hochherzigem und klugen Entschluß zu verständigen.

Es wurde fast Mitternacht, ehe er Abschied nahm.

»Das Zimmer in den ›Drei Linden‹ habe ich natürlich gleich für Sie gemietet,« sagte er zum Schluß, noch einmal Heidys Hand herzlich schüttelnd. »Es hat die Aussicht auf die Villa und macht einen ganz netten Eindruck. Und nun Glück auf! Gott behüte Sie!«

 


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