Annie Hruschka
Das Haus des Sonderlings
Annie Hruschka

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3.

Am nächsten Tag fand in der Villa Solitudo die Lokalaugenscheinaufnahme statt.

Da man nun überzeugt war, daß Torwesten nicht ermordet worden sein konnte, fand es die Staatsanwaltschaft für überflüssig, sich daran zu beteiligen. Der Untersuchungsrichter und Silas Hempel aber fuhren doch hinaus, in der Hoffnung, irgend einen Anhaltspunkt für weitere Nachforschungen zu finden.

Vorher hatte Dr. Wasmut noch die Erkundung des Automobils angeordnet, das Warrik vom Hotel garni fortbrachte. Eine Aufgabe, die kinderleicht schien, denn man brauchte nur bei den beiden Betriebsgesellschaften, die Kraftwagen für den allgemeinen Verkehr hielten, sämtliche Chauffeure zu befragen.

In der Villa befand sich alles noch in demselben Zustande, wie Hempel es gestern verlassen hatte. Aber jetzt, wo man eher daran gehen durfte, die in Titus Kammer wüst durcheinanderliegenden Toilettestücke zu entfernen, zeigte sich doch unzweifelhaft, daß ein Verbrechen begangen worden sein mußte.

Das Bett war zerwühlt, als ob ein Kampf darauf stattgefunden hätte. In der Ecke daneben zeigte sich nach Entfernung einiger Wäschestücke und Stiefel eine förmliche Blutlache, die unbedingt den Tod eines Menschen zur Folge gehabt haben mußte.

Sämtliche Toilettestücke gehörten, wie Titus bekundete, seinem Herrn und mußten aus den Schränken des anstoßenden Garderobekabinetts herbeigeschafft worden sein.

Die Schränke waren fast leer.

Als Titus aufgefordert wurde, alles zu ordnen, zeigte es sich, daß mehrere Dutzend Wäschestücke, ein Teil der Kleider und drei Paar Schuhe fehlten.

Auch ein rindslederner Handkoffer, der in der Garderobe seinen Platz hatte, war verschwunden. Man fand einige Fingerspuren, die der Untersuchungsrichter aufnehmen ließ, nichts weiter. Aber wo befand sich die Leiche des Ermordeten?

Man durchsuchte das ganze Haus bis in den Keller hinab, ohne zu einem Ergebnis zu gelangen.

Der Gendarmerieoffizier, der die Kommission von Baden begleitet hatte, sandte einen seiner Leute nach der Stadt zu einem alten Feldwebel, der einen ausgezeichneten Polizeihund besitzen sollte, um diesen für ein paar Stunden zu erbitten.

Aber auch dieses Tier nahm, wie gestern Barry, keine Fährte auf. Es schnupperte eine Weile herum und lief dann durch die anstoßende Garderobe und das kleine Badezimmer in Torwestens Schlafzimmer, wo es stehen blieb. Entweder war wirklich nur Torwesten hier gewesen, oder der Geruch seiner überall verstreuten Effekten überwog alle anderen.

In den Garten gebracht, versagte der Hund ganz. Man sah dort überall nach, ob nirgends kürzlich Erde aufgeworfen worden war, weil man vermutete, die Leiche könne vielleicht dort vergraben worden sein.

Aber außer den zwei Radieschenbeeten hinter dem Hause, die Titus angelegt hatte und die sich in schönster Ordnung befanden, gab es überall nur festen Rasen oder Kieswege, wo bestimmt kürzlich nicht gegraben wurde.

Auch das war also umsonst.

Dr. Wasmut unterzog nun noch die Familie Lagler und Titus einem scharfen Kreuzverhör. Es hatte kein Ergebnis.

»Ich steh einfach vor einem Rätsel!« erklärte er schließlich Hempel. »Mein Auge sagt mir, daß hier etwas geschehen ist, und mein Verstand kann keinerlei Erklärung dafür finden.«

Wer wurde ermordet? Warum? Wohin hat man den Leichnam geschafft – warum ihn überhaupt weggeschafft?

Dann der verschwundene Koffer mit den fehlenden Kleidungsstücken!

Hat Torwesten ihn selbst mitgenommen, so beabsichtigte er doch sicher eine längere Reise und konnte doch den Hund nicht eingesperrt zurücklassen!«

»Vielleicht hat er ihn einfach vergessen!« wandte Hempel ein.

»Sehr unwahrscheinlich, da er doch den Schlüssel der Korridortür von außen umdrehte! Aber selbst wenn! Mußte er denn, um die paar Sachen einzupacken, den ganzen Kram in das Dienerzimmer schleppen? Und gerade dorthin! Warum nicht in sein eigenes Zimmer? Nein, es ist etwas Rätselhaftes an der ganzen Sache, das aufregend wirkt, weil man beim besten Willen keine stichhaltige Erklärung findet.«

»Du hast recht. Es ist etwas Rätselhaftes daran. Hast du auch den Zeitunterschied bemerkt? Karl Lagler hat hier eine Viertelstunde nach Mitternacht Licht gesehen. Der Chauffeur in Baden ist um neun Uhr benachrichtigt worden, daß sein Herr nach Wien wolle und ihm bereits entgegenkomme. Sie müssen einander etwa um ½10 Uhr getroffen haben. Das ergibt, daß Torwesten bereits fast zweieinhalb Stunden fort war, als hier Licht an den Fenstern erschien.«

»Es ergibt auch, daß Torwesten um diese Zeit selbst bereits wieder zurück sein konnte.«

»Aber er wurde doch am nächsten Morgen lebend in Wien gesehen! Er kann also doch nicht hier ermordet worden sein! Oder meinst du etwa, er selbst könne hier einen Mord begangen haben?«

»Hm, du hast recht – das scheint ja wohl ausgeschlossen. Nach allem was wir über ihn und seine Lebensweise erfahren haben, konnte er kaum einen so bitteren Feind haben, daß er sich seiner gewaltsam entledigen wollte. Mit den Erpressern war er ja noch nicht in Berührung getreten.«

»Meiner Ansicht nach kann seine Abwesenheit nur von andern benutzt worden sein, um hier einzubrechen. Es wäre nicht das erstemal, daß Verbrecher dann bei Teilung des Raubes uneins wurden und einer den andern aus dem Wege schaffte. Die Leiche kann er fortgebracht und im Walde irgendwo vergraben haben, weil sie sonst vielleicht auf seine eigene Spur geführt hätte. Das scheint mir doch das Wahrscheinlichste! Freilich der Hund, der Hund! Warum rührte er sich nicht?«

»Gegen Einbruch spricht auch der Umstand, daß von den vielen Wertsachen, die in der Villa frei herumstehen, nichts geraubt wurde!«

»Bah, das beweist nichts. Geriebene Diebe sind so klug, nichts mitzunehmen, was sie beim Verkauf verraten könnte. Wird der Sachverständige, den du mitbrachtest, noch lange damit zu tun haben?«

»Ich hoffe, nicht. Der Gendarm wird es uns melden, wenn er fertig ist. Aber um bei deiner Theorie zu bleiben: wie sollten die Diebe in die Kassa dringen können, ohne sie aufzusprengen? Selbst jetzt, wo ein Sachverständiger daran arbeitet, wird es nicht ohne äußere Beschädigung abgehen.«

»Aber wenn es ihnen gelungen wäre, sich Schlüsselabdrücke zu verschaffen? Die Kassa ist ja, wie wir hörten, alter Konstruktion und weitaus weniger kompliziert als moderne Safes!«

Der Untersuchungsrichter blickte eine Weile vor sich hin, dann sagte er leise, mit einem Blick auf das Wirtshaus, in dessen Garten sie saßen: »Ich kann mir nicht helfen, ich traue diesen Laglers doch nicht recht! Trotz ihrer ehrlichen Gesichter! Es kommt mir immer wieder in Erinnerung, daß du sie erst förmlich zwingen mußtest, drüben nachzusehen. Dazu kam es vorhin noch heraus, daß Titus mit Rosina verlobt ist . . .«

Er wurde durch den Gendarmen unterbrochen, der zu melden kam, daß die Kassa geöffnet sei.

Man begab sich wieder in die Villa hinüber.

In der Kassa befand sich ein Verzeichnis von Wertpapieren, zwei alte Miniaturen, auf Elfenbein gemalt, offenbar Familienporträts, Torwestens Taufschein und ein Bündel vergilbter Briefe. Von Geld oder Geldeswert keine Spur.

»Also doch ein Raub!« sagte Dr. Wasmut, »denn es ist undenkbar, daß der Herr Torwesten nicht die kleinste Summe Geldes vorrätig im Hause liegen hatte! Oder sollte er das Geld selbst mitgenommen haben? Denkbar wäre es auch.«

Er schlug das Verzeichnis der Wertpapiere noch einmal auf. In der linken obern Ecke stand flüchtig geschrieben: Abschrift davon in Dr. Herrlingers Obhut.

»Dr. Herrlinger! Nun wissen wir wenigstens den Namen seines Sachwalters,« sagte der Untersuchungsrichter befriedigt. »Ich kenne den jungen Anwalt persönlich. Hoffentlich kann er uns sonst noch Aufschlüsse geben. Sagten Sie nicht, Bretzler, eines der Zimmer oben sei für einen Dr. Herrlinger bestimmt, der Ihres Herrn Freund ist?«

»Ja, sie sind sehr gut zusammen. Dr. Herrlinger kam öfter für ein paar Tage heraus.«

»Da liegt noch etwas,« bemerkte Hempel, auf ein zusammengelegtes Blatt weisend, das unter den Miniaturen lag.

Wasmut griff danach und faltete es auseinander. Im nächsten Augenblick zeigte sein Gesicht den Ausdruck grenzenloser Ueberraschung.

»O – ein Trauschein! Torwesten ist verheiratet!«

Hempel blickte über die Schulter des Freundes.

Ja, es war die Abschrift eines in London ausgestellten Trauscheines, der die am 5. April 1905 zwischen Georg Torwesten und Mary Anne Lytton eingegangene Ehe bescheinigte.

»Vor kaum drei Jahren erst! Wie sonderbar, daß niemand darum wußte!«

Dann verstummte er. Er dachte an Heidy Siebert, und eine Flut von Gedanken stürmte ihm durch den Kopf.

Die Villa Solitudo wurde nun amtlich versiegelt. Barry blieb bei Laglers in Pflege.

Der Untersuchungsrichter und Silas Hempel aßen in Baden rasch zu Mittag und fuhren dann gleich nach Wien. Hempel begleitete den Untersuchungsrichter noch in sein Bureau, um zu erfahren, ob vielleicht bereits eine Meldung wegen des gesuchten Automobils eingelaufen sei.

Es war keine da. Aber ein Herr wartete auf Dr. Wasmut, der bereits zweimal vorgesprochen hatte.

»Dr. Herrlinger!« rief der Untersuchungsrichter überrascht, »Sie kommen mir wirklich wie gerufen! Ich erfuhr nämlich erst vor ein paar Stunden, daß Sie der Freund und Anwalt des verschwundenen Torwesten sind . . .«

»Deshalb kam ich her,« unterbrach ihn der junge Advokat lächelnd. »Ich las nämlich Ihre Notiz in den Abendblättern und wollte Sie gleich beruhigen. Torwesten ist nämlich nicht ›verschwunden‹, wir Sie anzunehmen scheinen, sondern hat nur wieder in einem seiner plötzlichen Einfälle eine Auslandsreise angetreten. Ich erhielt heute früh einen Expreßbrief von ihm, worin er mich bat, ihm sofort 20 000 Kronen telegraphisch auf ein Linzer Bankhaus anzuweisen, was ich natürlich tat. Er schreibt, er wolle diesmal über Neuyork nach Philadelphia reisen, wo gegenwärtig eine Ausstellung stattfindet.«

Wasmut und Hempel sahen einander in stummer Verblüffung an.

»Schade, daß Sie den Gaunern das gute Geld in die Hände geliefert haben!« sagte letzterer endlich. Der Advokat prallte zurück.

»Den – Gaunern? Ich schwöre Ihnen, daß der Brief von Torwesten eigenhändig unterschrieben war! Jede Fälschung ist ausgeschlossen.«

»Glauben wir Ihnen ja, Herr Doktor! Trotzdem tat er es nur gezwungen, und die Gauner, welche ihn entführten, sackten das Geld ein!«

»Ihn – entführten . . .! Sie sprechen immer rätselhafter! Er will doch zur Ausstellung nach –«

»Bah, es handelt sich nur darum, Zeit zu gewinnen. bis Sie nach möglichst langer Zeit erst zur Erkenntnis gekommen wären, daß diese Fährte falsch sei. Oder glauben Sie wirklich, daß die Narrheit eines Sonderlings so weit gehen kann, mitten in der Nacht nach Amerika aufbrechen zu wollen, während man seinen Hund daheim einsperrt und seinen Diener auf Urlaub weiß! Aber selbst wenn! Torwesten mußte dann doch die Reise von Wien aus antreten, und es wäre also viel einfacher gewesen, sich früh bei Ihnen die Geldanweisung zu holen, als sie ›telegraphisch nach Linz‹ zu dirigieren, wo er extra deshalb die Reise hätte unterbrechen müssen.«

»Das ist wahr . . .«

»Also! Und nun werden wir Ihnen erzählen, was aller Wahrscheinlichkeit nach geschehen ist.« Hempel tat es in kurzen Worten. Er schloß: »Am überraschendsten kam uns die Tatsache, daß Torwesten verheiratet ist. Wissen Sie darüber Näheres, Herr Doktor?«

 

»Ja, obwohl Torwesten vermied, mehr darüber zu sagen, als unbedingt notwendig war. Er schämte sich dieser Heirat und hatte wohl auch Grund dazu, denn er ging trotz seiner 28 Jahre dabei auf den Leim, wie ein grasgrüner Junge. Mary Anne Lytton war eine kleine Schauspielerin ohne Talent, aber von wunderschöner Figur und hervorragender Schönheit, die an einem Londoner Vorstadttheater angestellt war, als Torwesten sie kennen lernte. Sie redete ihm ein, daß sie höchst unglücklich sei und das Treiben beim Theater sie anwidere. Ihr Traum sei immer nur gewesen, in einem stillen Heim neben einem geliebten Mann zu leben. Was wollen Sie? Torwesten war immer schon ein wenig Sonderling und ein großer Idealist. Er glaubte sich geliebt. Er glaubte, ein reines Wesen vor Sumpf und Untergang zu retten, und der Traum der Lytton war im Grunde sein eigenes Lebensideal! So heiratete er sie. Sie war damals kaum zwanzig Jahre alt und hatte sich ihm gegenüber als alleinstehende Waise ausgegeben. Später stellten sich in seinem Heim, das er außerhalb Londons gemietet hatte – denn die junge Frau wollte durchaus nicht von England fort – allerlei zweifelhafte Leute ein, die sich wie Schmarotzer festsetzten. Eine Kabarettsängerin, die Mary Annes Schwester, und Jongleure, die ihre Brüder waren. Ein Vater sollte auch noch da sein und in Amerika als Artist eben eine Reise absolvieren. Torwesten begann allmählich, aus seinem idealen Traum zu erwachen und einzusehen, daß er eine ungeheuere Dummheit begangen habe. Er erwachte ganz, als er drei Monate nach der Hochzeit seine Frau mit einem gewissen Chambers überraschte. Dieser Mensch – auch ein Artist – war der beste Freund ihrer Brüder und mit diesen gleich anfangs der Ehe bei Torwestens aufgetaucht. Die junge Frau soll die Sache übrigens nicht tragisch genommen haben. Sie willigte gegen eine anständige Abfindungssumme sofort in die Trennung und versprach feierlich, österreichischen Boden nie zu betreten, auch sonst keinerlei Ansprüche mehr an Torwesten zu stellen.«

»Sind sie gerichtlich geschieden?« fragte der Untersuchungsrichter.

»Leider nein. Ich drang oft in ihn, es doch nachträglich noch zu tun, aber er wollte den alten Schmutz nicht aufrühren. Freilich in der letzten Zeit hätte er es gern nachgeholt, denn er hatte ein Mädchen kennen gelernt, mit dem ihn aufrichtige Liebe verband und dem er sich als armer Teufel genähert hatte, um ganz sicher zu sein, nicht abermals nur seines Geldes wegen genommen zu werden.«

Hempel mischte sich in die Unterredung und bemerkte:

»Wir wissen von der Absicht Torwestens, jenes Mädchen zu heiraten. Es ist Fräulein Siebert, die ihn nur als den Reisenden ›Brand‹ kennt. Und in ihr hat er sich wirklich nicht getäuscht. Aber fahren Sie fort, Herr Doktor! Frau Torwesten lehnte die nun verlangte Scheidung wohl ab?«

»Wir konnten sie ja gar nicht ausfindig machen. Sie war mit ihrem Anhang von London verschwunden, und es gelang mir nicht, ihre Spur wieder aufzufinden. Erst vorhin, als Sie erzählten, daß Torwesten diese »belle Adisane« aufgesucht habe, kam mir der Gedanke, sie könnte es sein. Torwesten erfuhr nämlich einmal zufällig, daß sie Tänzerin geworden sei. Verbürgt aber war diese Nachricht nicht.«

»Sie ist bestimmt Frau Torwesten! Die von Goldstein belauschte Unterredung beweist es wohl einwandfrei. Auch sonst ist jetzt vieles klar. Der ganze Streich hier war von langer Hand vorbereitet. Man lockte Torwesten in einen Hinterhalt und hält ihn irgendwo mit Gewalt fest, weil man Geld von ihm erpressen will.«

»Aber er war ja bereit sich loszukaufen,« warf der Untersuchungsrichter ein.

»Gewiß. Aber wahrscheinlich bot er zu wenig. Ganz sicher ist doch, daß die belle Adisane ihn zu ihrem Vater brachte, der sich unter dem falschen Namen Warrik meldete, und daß Torwesten mitsamt dem Alten von dieser Stunde an verschwunden ist.«

»Ja, das ist allerdings Tatsache. Wie aber hängt es mit dem in Solitudo begangenen Verbrechen zusammen?«

Hempel zuckte die Achseln.

»Darüber habe ich noch keine Ahnung. Vielleicht hängen beide Angelegenheiten überhaupt gar nicht zusammen!«

Dr. Herrlinger strich nachdenklich seinen Schnurrbart.

»Das ist eine ganz merkwürdige Geschichte. Aber freilich – nach dem, wie mir Torwesten die Familie Lytton schilderte, wäre ihnen am Ende solch ein Streich zuzutrauen. Besonders der ältere Bruder seiner Frau mißfiel ihm gleich anfangs in hohem Grade. ›Ich halte ihn so ziemlich jeder Gemeinheit für fähig,‹ sagte er einmal von ihm. Natürlich sind diese Brüder nun auch beteiligt, denn sie waren es, die Torwestens Auto benutzten und wahrscheinlich den armen Wastler umbrachten.«

»Ja. Natürlich. Diese Brüder . . . was waren sie eigentlich für Artisten?« unterbrach sich Hempel plötzlich. »Wissen Sie dies vielleicht zufällig. Herr Doktor?«

»Ich glaube, Jongleure oder Equilibristen.«

Der Detektiv stand auf und ging mit großen Schritten im Gemach auf und ab.

Equilibristen! Hatte dieser Salo Goldstein nicht auch etwas von drei Artisten erzählt, von denen einer angeblich plötzlich wahnsinnig geworden war? »Brothers Copley« hießen sie und traten gleichfalls im Apollo auf! War dieser plötzliche Wahnsinn vielleicht nur ein Trick gewesen, um das nun überflüssig gewordene Gastspiel plötzlich aufzubrechen? Torwesten konnte so gut als dieser »wahnsinnige« Copley fortgeschafft worden sein. Dazu kam, daß Lytton-Warrik bei seinem Verschwinden einen auch angeblich wahnsinnigen Sohn bei sich gehabt hatte!

»Wie viele Brüder besitzt Frau Torwesten?« fragte er den Advokaten.

»Zwei. John und Charles Lytton.«

Der dritte müßte also ein Fremder, aber mit ihnen im Einverständnis gewesen sein, dachte Hempel.

»Was meintest du vorhin mit den Brüdern?« fragte der Untersuchungsrichter.

»Oh, nichts Besonderes. Nur, daß sie jedenfalls auch ihre Rolle in der Sache zugeteilt bekommen haben,« antwortete der Detektiv, der seine Karten gern erst dann zeigte, wenn er sicher war, Trümpfe zu halten. Er beteiligte sich auch nicht mehr an den Plänen, die Dr. Herrlinger und Wasmut nun machten, um rasch zum Ziel zu kommen.

 


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