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Nachruf

In der Nacht vom Sonntag zum Montag verschied Herr Alfred Kastner aus der Schellingstraße nach kurzem schweren Leiden.

Ich genüge lediglich einer primitiven menschlichen Pflicht, wenn ich mit diesen Zeilen Alfred Kastners gedenke, weil ich ihm viel zu verdanken habe. Er war mir Freund und Führer.

Er war eine elegante Erscheinung und ein moralisch scheinbar verkommenes Subjekt. Bereits achtzehnjährig führte er einen erbitterten Kampf gegen den Paragraphen 181a (Zuhälter). Man sah es ihm gar nicht an, wenn man nicht psychologisch und physiologisch geschult war. So hielt ihn mal eine Syndikusgattin für einen Assessor, und da diese Syndikusgattin sehr leidenschaftlich war, spielte er den Assessor, und wenn er nicht gedroht hätte, daß er ihre Leidenschaft dem Herrn Syndikus mitteilt, hätte sie ihn sogar angezeigt, als sie entdeckte, daß er ihr anläßlich einer Soiree einen Brillanten aus dem Ohrring gebissen hatte.

Als ich Alfred kennenlernte, ging es mir gerade sehr schlecht. Ich hatte mir nämlich eingebildet, daß ich schriftstellerisch was leisten könnte, aber ich hatte keine Beziehungen zu den schönen Künsten. Das war eine arge Zeit, und ich erinnere mich wirklich nicht gerne daran. Damals sagte mir Alfred: »Ich glaub, die Kunst hört allmählich auf. Man muß sich ja nur mal vorstellen, was die Menschheit heut für Interessen hat, heut lebt doch jeder nach seinem Instinkt. Wenn ich du wär, würd ich in eine Druckerei einheiraten und lauter Gebetbücher drucken noch und noch, und die würd ich jenem christlichen chinesischen General offerieren, der übrigens ein ungarischer Jud sein soll.« Und zwei Wochen später meinte er: »Du mußt natürlich etwas tun. Weißt du, was ich nicht versteh? Daß du dich nicht aushalten läßt! Ich hätt für dich eine adlige Pensionsinhaberin.«

Ich erwiderte aber Alfred auf das bestimmteste, daß ich mich unter keinen Umständen aushalten lasse, denn das würde mir meine Ehre verbieten. »Wenn schon!« sagte er und fügte hinzu: »Nebbich!« Und dann fuhr er fort, ob ich mir etwa einbilde, eine besondere Ehre zu besitzen? »Nein«, sagte ich, »ich hab eine normale Ehre.« »Na also!« meinte er.

Aber ich blieb fest und ließ mich nicht aushalten, weil man so was nicht machen soll. Man könnt sich ja selbst nimmermehr ins Antlitz schauen oder gar vor sich selbst hintreten!

In dieser Zeit nahm eine freisinnige Zeitung eine Marienlegende von mir an, betitelt: »Maria geht durch den Hochwald«. Und der Feuilletonredakteur schrieb mir, ich soll noch zwei längere und drei kürzere Marienlegenden für »unter dem Strich« schreiben, nämlich meine religiöse Inbrunst ist jenem direkt aufgefallen.

Aber davon könnt ich nur sehr kärglich leben, und als ich mir eine Goldkrone machen lassen mußte, bat ich Alfred, er sollte mir fünf Mark leihen, denn wenn ich keine Zahnschmerzen mehr hätte, könnte ich leicht auch zwanzig Marienlegenden schreiben und außerdem hätte ich auch Aussicht, Reklameartikel für eine andere Firma verfassen zu können. Aber Alfred gab mir nichts. »Es hat keinen Zweck, dich zu unterstützen«, sagte er. »Für mich bist du ein Idealist, du Idiot!«

Er könnt es mir niemals verzeihen, daß ich mich nicht aushalten ließ.

Er ruhe in Frieden!


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