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Die Versuchung

Am Abende jenes Tages, dessen Vormittag die Firmung zahlreicher weißgekleideter Jungfrauen durch überaus blauen Himmel nur noch erhebender überwölbte, nahte sich der einen aus jener unschuldigen Schar, namens Seraphine Hinterteil, zum erstenmal Satan – – – in Gestalt eines geilen Greises, der auf eine Krücke gestützt hinter ihr herhüstelte und lüstern also lispelte:

»Ach, hast du einen süßen Familiennamen – – –«

Seit diesem Tage waren nun Jahre vergangen – – – und erst in ihrem achtzehnten Lenze wuchs Seraphinens Neugierde zu jenem Mut, der ihr Zagen derart überwand, daß sie ohne Beben den Beichtvater frug, wie jener Spruch wohl zu deuten sei. Es dämmerte im Dome und der Pfaffe hinterm Gitter hob die Augen himmelwärts vom Hosenlatz und flüsterte errötend:

»Höre, du reine Magd: wohl kann keiner um seinen Familiennamen, wir erben den Samen der Sünde und tragen ihre erblühende, blühende, verblühende Frucht lebenlang, doch hüte dich! Der Duft, der uns umschmeichelt, wird höllischer Gestank, riechen wir außerehelich. Drum hebe die Nase hinweg von dem Nabel, aus dem diese böse Blume sprießt und lebe so engelsrein, wie dein Vorname klingt; und bete darum – – – Amen.«

Da betete Seraphine und wie sie so betete, wurde jener geile Greis immer schwächer und kränker. Und am siebenten Tage war er tot.

Und wieder waren viele Sommer und Winter vergangen. Aus der kleinen Seraphine wurde ein Fräulein Hinterteil und der Komet, der das vorigemal anläßlich ihrer Geburt durch die Erdnebel guckte, nahm nun, als er so einige Jahrzehnte später wiederkam, mit Erstaunen wahr, wie sehr sie gewachsen – – – denn dies war auch das einzige, was selbst einem solch geschlechtlosen Gestirn (und daher besonders scharfschauenden) auffallen konnte. Sie hatte sich zwar von den Knöcheln bis herauf zum Haar genau so entwickelt, wie all ihre Altersgenossinnen, jedoch die fremden Männer auf der Straße sahen es nicht, denn ihr Alles war zu ausdruckslos, wohl weil ihr Leben nie einen tieferen Eindruck empfing. Wie sollte sie auch? – – – hatte weder einen Bruder, der Freunde besaß, noch Geld, da ihr allzu bald entschlafener Vater nur ein wenig besuchter, aber umso frömmerer Zahnarzt gewesen – – – so wurde sie Lehrerin in dem gleichen christlichen Stift, das sie auf Freiplatz erzog; brachte vieltausend Kindern den Sinn bei von Punkt, Komma, Strich – – – und unterdessen schrieb sich ihr Leben ohne jegliches Komma. Geschweige denn Punkt.

So kam die Nacht nach dem Tage ihres dreiundvierzigsten Geburtstages. Da nahte sich ihr die Versuchung.

Sie hatte sich eben zu Bette begeben – – – da traten die galanten Geister der Hölle in ihr billig möbliertes Gemach.

Noch schnarchte nur die Finsternis, doch bald tropften an ihr Trommelfell sonderbare Töne: wie Brautnacht in einem uralten Bette, das krächzt, als wären die Daunen dürres Laub – – – und es liefen zwei Knaben in ihre Augen, im herbstlichen Walde die Notdurft verrichtend – – – wie es ihr einst beim Schulausfluge des Zufalls feiner Finger offenbarte.

Die beiden dürften ja jetzt schon fast Männer sein, und der eine war dunkel und der andere blond – – – das Brautbett hielt den Atem an – – – : so fühlte Seraphine zweier Stiftenköpfe Spitzen ihre schlaffen Brüste berühren – – – sie fühlte, was dunkel und was blond, und mit aufgerissenen Augen dachte sie nach, wie sich alles verändert – – –

an der Wand hing ein Bild: ein norddeutscher General, der nun plötzlich stramm die Hacken zusammenschlug und (wie auf höheren Befehl) sich zu entkleiden begann – – – scheu flog ein Lächeln um ihre Lippen – – – da zog er den Degen und schrie roh: »Was willst du Hinterteil?!«

Sie stöhnte und schloß die Augen – – –: langsam gebar die Dunkelheit ewige Fernen, aus denen bedächtig purpurne Kugeln hervorrollten, immer mehr und mehr – – – bis ein stummer Sturm sie durcheinander wirbelte und aufhob in eine Fläche – – – als stände die Sonne dicht hinter ihren Lidern, wie eine Woge Blut – – – die zu einem Vorhang erstarrt sich alsbald auseinanderfaltete und einen Jüngling hervortreten ließ, der nur mit einer goldenen Schärpe geschmückt sich verbeugte und frug, was Königin Seraphine wünsche – – –

Ihre Kniee zuckten und schlugen fiebernd aneinander: noch zweimal zerbrach fast der zarte Junge seinen Rumpf vor ihr, doch diesmal nach rückwärts – – – bis, sich wieder erhebend, Staub auf seiner Stirne stand. Sie warf sich auf den Bauch und preßte ihr Antlitz in das kaltfeuchte Kissen, droben am Dache sang ein Kater und tief vom höllischen Meere umbraust erzeugte sich selbst ein Ungeheuer – – –: halb Mann, halb Stier – – – und das stürzte auf den höflichen Jüngling, biß ihm die Seele aus der bescheidenen Brust und schleuderte ihn ins – – – All!

denn da erst sah sie, daß beide auf einer Kugel gestanden, die sich schier unfaßbar schnell drehte, und sie erkannte auf ihr die verschlungenen Linien der Weltteile.

China, Paris, Amazonas – – – doch der Stiermann zwang den Globus zum Stehen. Mit geschwollenen Adern stierte er brünstig sie an – – – und plötzlich waren es zwei Globusse, als er nun schäumend nach ihrem Schoße sprang – – – sie wehrte sich, wand sich – – – aber des Ungeheuers stämmige Hörner schlitzten gar unbarmherzig ihre Innenschenkel auf: heiß rieselte ihr Blut und wurde zur Wolke gesotten vom Schweiß auf seinem breiten, behaarten Rücken – – – ihr Gesicht, wie aus Flammen geballt, drang durch den Dunst an das Fußende: dort röhrte ein rosa Elefant und reckte den Rüssel und alle Ecken öffneten sich und spien ganze Klassen magerer Mädchen aus, die mit Zuckerfeigen um seine Gunst buhlten. Rings aus den Schubladen sahen blauäugige Knaben traurig zu – – – da stampfte ein Pferdehuf in ihr Kreuz, da hob sich ihr Hintern, sie spreizte die Zehen und knirschte keuchend mit den Zähnen und winselte dann – – – Da schritt Herr Satan über ihren Leib – – – – – –

Und vom nächsten Tage ab hatte sie bei den Kindern in der Schule den Spitznamen: die Hexe.


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