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Lachkrampf

Skizze

Die Geschichte, die ich hiemit mir erlaube Ihnen zu erzählen, ereignete sich in einem Tanzlokal. Nicht in einem jener Tanzpaläste, deren Straßenfassaden mit der lässigen Grausamkeit wohlhabender Ästheten über Nacht, Nässe und Schmutz lächeln. Es war auf einem jener Tanzböden, die sich nur »Palast« nennen, mehr aus Größenwahn, als aus Höflichkeit gegen ihre Gäste.

Diese Säle haben keine Sektnischen wie Seitenaltäre. Man trinkt Bier, und jeder, der eintritt und den klebrigen Samtvorhang zur Seite schiebt, überblickt sogleich den ganzen Raum; links, dort hinter der Säule am dritten Tische saß die Charlotte Mager mit Ulrich Stein. Woher ich die beiden kenne? Na, hören Sie! Das Mädchen saß doch zwo Jahre als Stenotypistin bei Buck et Co. Der rote Buck ging bekanntlich pleite und turnt heute als Agent durch die Treppenhäuser wie der Orang im Zoo. Die Mager saß dann bei ihrer verheirateten Schwester, einem knochigen langen Elend, mit Augen, als bekäme sie den Stockschnupfen nimmer los. Ob sie noch heute da wohnt? Ich glaube es kaum, da das schwägerliche Paar samt Bubi bloß ein möbliertes Zimmer mit Küchenbenützung – – – und der Ulrich Stein, den lernte ich vor Jahren auf dem Landsitz seiner verwitweten Mutter kennen. Einer herzensfeinen hochgebildeten alten Dame, die nach dem Tode ihres geliebten Gatten die Rolle der gefeierten Gesellschaftserscheinung ablegte und sich nur mehr der Ergänzung ihrer anerkannt herrlichen ostasiatischen Sammlung, die drei Zimmer füllt, widmete. So lebt sie nun still und bescheiden. Ulrich studiert Musik. Ob er sich einst Lorbeeren erdirigieren wird, fiel mir nicht auf. Sein Äußeres wirkt beruhigend wie ein vornehmes Treppenhaus, und als wohlerzogener junger Mann ist er nicht bar des sozialen Verständnisses. Ja, er beschwört sogar, alle Abendkleider zu hassen und nur einfache Mädchen, gewissermaßen aus dem Volke, zu lieben. Er vertritt nämlich die Auslegung, daß Liebe Mitleid sei. Aber zum zweiten Stelldichein kommt er nicht mehr, denn er lechzt nach immer neuen Erschütterungen. Eine echte Künstlernatur, hat er statt Gewissen nur formvollendete Ausreden. Das dem Schicksal nie entrinnen können und so.

Er hatte mit der Mager soeben zum drittenmale getanzt. Musikpause. Die zwei Lichtenberger Broadway-Boys samt »Stimmungskanone« Walterchen setzten sich an den Tisch neben den Toiletten und der Ober mit dem Chaplingang brachte ihnen den kontraktlich vereinbarten Tee mit Kuchen. Eine Blumenfrau hinkte von Gast zu Gast, der Ventilator surrte, drei Männer kamen gewichtig herein, wässerigen Schnee am Absatz. »Es schneit«, sagte Charlotte. Er kaufte ihr zwei Rosen. Sie lächelte: »Rosen im Winter! Man sollte in Betten voller Rosen liegen! Wenns nur wieder Sommer wär!« Das ist Kitsch, durchzuckte es unsern Ulrich, übelster Kitsch! Pfui, Dreiteufel! Und infolge seines unstreitbar vorhandenen ästhetischen Feingefühls, packte ihn die Wut über solch sentimentalen Dreck. Es war eine Wut aus Literatur, sozusagen. (Lachen Sie nicht! Sowas gibts!) Eine schamlose Wut, die mit apokalyptischem Hasse danach lechzt, jede arme Seele, die ihre Sehnsucht nicht stilvoll auszudrücken vermag, zu rädern. »Was für ein Bett?« höhnte er und bildete sich ein, hypnotisieren zu können. Im Augenblicke haßte Ulrich Stein die Stenotypistin Charlotte Mager. »Hören Sie! Von was für einem Bette reden Sie da?«

»Ein Bett, irgendein Bett –«

»Aha!« triumphierte er.

»Wollen wir nicht tanzen?« sie tat aus Unsicherheit über die ihr unerklärliche plötzliche Veränderung seines Benehmens gelangweilt, und dies steigerte seine Wut. Jetzt hätte er sie niedermetzeln wollen, doch stoppte er seinen Blutdurst noch im letzten Augenblicke ab, nicht aus Feigheit, sondern infolge der Erkenntnis, daß der Tod ja auch Erlösung bedeuten könnte. Als lyrisches Temperament war er nämlich zutiefst im Innern zweifelsohne metaphysisch orientiert und huldigte lediglich aus Schamgefühl und Eitelkeit der Psychoanalyse. »Das Bett«, stellte er fest und betonte feierlich jedes Wort »das Bett ist ein Symbol. Ein Symbol für das Bett. Verstehen Sie das?«

»Nein.«

»Nein?« fuhr er zischend empor und schien zu frohlocken. »Nein?« wiederholte er gedehnt und beugte sich langsam vor, daß sein Kinn fast das Tischtuch berührte: »Aufgepaßt!«

»Ach was! Die paar poetischen Worte!«

»Poetisch? Poetisch ist gut!« Und er erklärte ihr klipp und klar, daß ihre Äußerung in puncto Rosenbett und Jahreszeiten nicht nur nicht poetisch, sondern reiner Mist und von jedweder geschmacklichen Warte aus abzulehnen sei. Er bellte ihr die Begründung ins Antlitz und sprach neben Bewußtsein und Unterbewußtsein, auch über Libido und Primitivität, nebst Doppelsinn aller Worte, als hätte er den ganzen Freud in den Fingerspitzen.

Die Traumdeutung begriff sie nicht; sie verstand nur, daß sie sich wegen der Worte, auf die sie eigentlich stolz gewesen war, schämen sollte. Und es tat ihr plötzlich fast wohl, es einzusehen und sie dachte, ich kann doch nicht anders, ich empfinde eben so, und tat sich leid wegen ihrer paar poetischen Worte. Und die Worte selbst taten ihr leid, jedes einzelne, groß und klein – – es waren doch ihre Worte, und was will er denn überhaupt! Man weiß doch, daß man nichts kann, nichts ist, und, daß man auch niemals was werden kann. Also, was will denn nur dieser dumme Kerl mit dem Geschwätz!? Es ist ja zum lachen! Und nun geschah das, wovon alle Anwesenden noch tagelang sprachen. Die Mager zuckte zusammen und fing an ganz leise zu lachen. Zuerst stotternd wie ein Idiot. Doch plötzlich schnellte sie empor und lachte schrill, riß das Tuch vom Tische, zertrampelte kreischend Tassen, Gläser, Teller – – besessen wie nur eine Schwester Sankt Veiths. Warf sich zu Boden und wieherte, daß man das Zahnfleisch sah.

Eine halbe Stunde später sah man Ulrich Stein einsam und erlebnisschwanger durch Seitenstraßen streichen. Das Herz voll Leid, das Hirn voll kühner literarischer Pläne.


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