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Fünfundzwanzigstes Kapitel. Langholm findet eine Spur

»Wie froh bin ich, daß Sie zurück sind!« rief Doktor Sedley erleichtert, »denn möglicherweise bedarf der Kranke einer erfahrenen Pflege, entweder hier oder anderswo. Für einen solchen Fall gibt es ja nur einen Ausgang, doch braucht das Schlimmste ja nicht sofort einzutreten, falls er keine zweite Hämoptoë bekommt. Wie ich aus den Reden Ihrer Haushälterin schloß, haben Sie ihm Ihr Landhaus als Erholungsstation angeboten, und durch ein Mißverständnis ist er angekommen, ehe die nötigen Vorbereitungen getroffen waren. Das sieht Ihrer Herzensgüte wieder recht ähnlich, mein lieber Langholm, nur möchte ich Ihnen raten, keinen Schwindsüchtigen mehr an die nordöstliche Küste oder in deren Nähe zu schicken. Und was die Damen anlangt, die ihn zu besuchen wünschen, so habe ich weiter nichts dagegen – nur unter keinen Umständen mehr als eine zu gleicher Zeit, und aufregen dürfen sie ihn natürlich auch nicht. Das Wiedersehen mit Ihnen war zum Beispiel für den heutigen Tag und die nächsten vierundzwanzig Stunden mehr als genug Aufregung für ihn.«

Etwa eine Stunde nach des Schriftstellers Ankunft war der Doktor erschienen, mit dessen Verordnungen sich Langholm sofort in die Krankenstube hinaufbegab, um sie dort zu wiederholen. Zugleich teilte er dem Kranken mit, daß er Rahel lieber brieflich von seiner Anwesenheit benachrichtigen wolle. Langholm war nämlich zu der Ansicht gekommen, daß es besser sei, zu schreiben, als sie zu besuchen, da letzteres überdies mehr Zeit in Anspruch genommen hätte.

Aber sofort wollte er es tun. Und während er zu diesem Zweck hinunterging, fragte er sich, ob wohl ein ehrenwerter Mann künftighin noch mit dem Ehepaar Steel zusammentreffen könnte, ohne auf ihren Gesichtern jenes Brandmal zu lesen, das er in London entdeckt und über das er im Eisenbahnzuge seine Notizen gemacht hatte.

Nachdem jener Brief geschrieben war, wandte er sich dem Stoß von Einläufen zu, die oben auf seinem alten Schreibtisch lagen, und beschäftigte sich bis Einbruch der Dunkelheit damit. Ein Brief, den er bis zuletzt aufhob, sah ganz so aus, als enthalte er eines jener bei ihm noch seltenen Bittgesuche um sein Autograph, die er als willkommene Boten beginnender Popularität begrüßte. Als er den Umschlag öffnete, sah er, daß der Brief in Northborough abgestempelt war und die Schriftzüge eines ungebildeten Menschen trug. Der Inhalt lautete:

»Northborough, den 18. August 189..

Geehrter Herr Langholm!

Habe gehört, daß Sie auf der Suche sind nach denen, die Alexander Minchin ermordet haben. Wenn Sie Näheres darüber wissen wollen, so kann ich Ihnen einen Wink geben.

Bin heute abend in Ihrer Wohnung gewesen, wo man mir sagte, daß Sie erst morgen abend erwartet werden, werde also morgen wiederkommen, aber nur bis zur Straßenkreuzung, denn – unter uns gesagt – Ihr alter Hausdrache hat mich gestern ganz verdächtig angeschaut.

Also kommen Sie morgen abend zwischen neun und zehn nach der Straßenkreuzung bei Ihrem Hause, wenn Sie etwas erfahren wollen, das von Wichtigkeit für die Sache sein kann.

Achtungsvoll
John William Abel.«

Langholm hatte keine Ahnung, wer dieser Abel sein mochte, dachte sich aber, er werde wohl zu den zahlreichen Trunkenbolden gehören, die jahraus, jahrein vom Morgen bis zum Abend an den Straßenecken von Northborough herumlungerten. Dieser hier schien allerdings besser unterrichtet und vielleicht schlauer zu sein als sonst Leute seines Schlags. Jedenfalls hielt Langholm es aber doch für klug, seinem »alten Hausdrachen«, wie der Kerl die gute, freundliche Frau respektwidrig genannt hatte, nichts von der Sache zu sagen, als sie ihm um acht Uhr ein vortreffliches Abendessen vorsetzte. Kurze Zeit darauf, nachdem er noch nach dem Patienten gesehen und ihn ruhig und wohlversorgt verlassen hatte, machte er sich auf den Weg nach dem von dem unbekannten Briefschreiber angegebenen Stelldichein.

Es war eine dunkle Nacht, denn der Regen hatte nur vorübergehend aufgehört und die tiefgelegene Straßenkreuzung, an deren vier Ecken Bäume standen, war selbst bei Vollmondschein ein düsterer Ort. Als Langholm vorsichtig näherkam und mit dem Stock auf der Straße herumtastete, um einem Graben auszuweichen, bereute er, nicht auf seinem Rad gekommen zu sein, weil er dann doch wenigstens eine Lampe gehabt hätte. Allein ein Licht erwartete ihn, wenn auch nur ein kleines und schwaches, denn dicht vor ihm auf dem Boden saß der Absender des Briefes mit einer kurzen, in vollem Brand befindlichen Tonpfeife im Munde.

»Heißen Sie Langholm?« fragte eine, wie es schien, etwas angeheiterte Stimme, während Langholms vorsichtige Schritte dem tastenden Stocke folgten und ein wahrer Funkenregen aus der Pfeife des andern sprühte.

»So ist es,« antwortete Langholm. »Und Sie heißen wohl Abel? Ihren Brief habe ich bekommen.«

»Wirklich, bekommen und gelesen?« rief der andre mit derselben heiteren Vertraulichkeit. »Und was halten Sie davon?«

Die Pfeife beleuchtete einen verwilderten, stark ergrauten Vollbart und eine bronzefarbene Nase, das war aber auch alles. Aber selbst dieser Teil des Gesichtes trat nur dann aus der tiefen Dunkelheit hervor, wenn der Mann einen neuen Zug aus seiner Pfeife tat. Den Stock zur Hand, blieb Langholm in einiger Entfernung stehen, wo seine hagere Gestalt unter den überhängenden Bäumen vollständig unsichtbar war. Seine Stimme aber klang, als gehöre sie einem wahren Riesen an Kraft und Wildheit.

»Bis jetzt,« sagte er in abwehrendem Tone, »halte ich nur sehr wenig sowohl von Ihnen als von Ihrem Briefe. Wer sind Sie, und wie kommen Sie dazu, mir zu schreiben?«

»Nur ruhig, mein Herr! Meinen Namen wissen Sie ja,« wandte der Mann in etwas respektvollerem Tone ein. »Ich bin Abel, John William Abel, der ganz zu Ihren Diensten steht, wenn Sie ihn anständig behandeln, der aber aus einem Lande kommt, wo sich auch der niedrigste Taglöhner nicht so ohne weiteres von seinem Gebieter mit den Füßen treten läßt, und Sie sind nicht einmal mein Gebieter.«

»Trage auch kein Verlangen danach,« entgegnete Langholm, nun auch seinerseits den Ton mildernd. »So sind Sie also nicht aus Northborough?«

»Keine Spur!«

»Mir ist, als habe ich Ihre Stimme schon einmal gehört,« sagte Langholm, dem auch der struppige Bart auf dem unsichtbaren Gesicht nicht ganz fremd vorkam. »Woher sind Sie?«

»Aus einem Ländchen mit Namen Australien.«

»Zum Teufel noch einmal!« entfuhr es Langholm. Dann schwieg er und blieb unbeweglich im Dunkeln stehen, denn nun wußte er plötzlich, wer dieser Mann war und gegen wen sich dessen Aussagen richten würden. Sollten ihm wirklich die in seiner eigenen geheimen Kette noch fehlenden Glieder nun durch ein Wunder geschenkt werden, ihm, der schon so viel durch reinen Zufall entdeckt hatte? Es schien unmöglich, und doch fühlte Langholm instinktiv, was für eine Art von Eröffnung ihm blühte. Noch immer stand er schweigend da, denn er wollte erst sprechen, wenn er sicher war, seiner Stimme einen gleichgültigen Klang geben zu können. Inzwischen erging sich der Kolonist in den herkömmlichen Vergleichen zwischen seinem alten Vaterland und demjenigen, das er seiner Ansicht nach nie hätte verlassen sollen.

»Ich kenne Sie,« sagte Langholm endlich. »Sie sind der Mann, der im Wirtshaus zum ›Packesel‹ hier in der Nähe seinen Scheck ›versaufen‹ wollte, wie Sie sich ausdrückten.«

»Ja, der bin ich!« rief der Bursche mit plötzlich ausbrechender Wildheit. »Und wissen Sie auch, von wem ich den Scheck bekommen habe, den ich versaufen wollte? Ich glaube, jener Herr ist ein Freund von Ihnen, und eben der, über den ich heute abend mit Ihnen sprechen will. Steel nennt er sich!«

»Ist es denn nicht sein wirklicher Name?« fragte Langholm rasch.

»Doch, soviel ich weiß.«

»So kannten Sie ihn also in Australien?«

»Ob ich ihn kannte! Ich will es meinen. Aber wer sagte Ihnen, daß er überhaupt in Australien gewesen ist? Er selbst jedenfalls nicht, darauf wette ich.«

»Ich weiß es zufällig,« sagte Langholm ruhig. »Sollte es Mr. Steel sein, auf den Sie in Ihrem Brief anspielten?«

»Allerdings!« rief Abel, seine Behauptung durch einen Fluch bekräftigend.

»Sie schrieben aber doch von mehreren.«

»Ich meinte aber trotzdem niemand anders.«

Langholm dämpfte jetzt die Stimme, obwohl weit und breit kein Laut zu vernehmen war; kaum daß es leise in den Bäumen rauschte. Ein gewöhnlicher Schritt wäre also aus einer Entfernung von hundert, ein heimlicher aus einer Entfernung von zehn Metern hörbar gewesen, und doch dämpfte Langholm die Stimme.

»Wollten Sie mir tatsächlich zu verstehen geben, daß Mr. Steel durch Mr. Minchins Tod irgend einen Vorteil gehabt hätte?«

Abel überlegte seine Antwort.

»Ich wollte sagen,« erwiderte er endlich, »daß es ihm Nachteil gebracht hätte, wenn er am Leben geblieben wäre.«

»Dabei denken Sie doch wohl nicht an – an Mrs. Steel?« fragte Langholm ebenfalls nach einer Pause.

»Zum Kuckuck, nein! Die war ja kaum geboren zu der Zeit, als wir drei wie gute Kameraden in der Wildnis lebten.«

»Ah so, alle drei?«

»Ja, Steel, Minchin und ich,« fuhr Abel mit zustimmendem Nicken fort, und seine Pfeife glühte.

»Und gute Kameraden waret ihr?«

»Nun, wir waren's, und wir waren's auch nicht. Das ist es eben,« fuhr Abel grollend fort. »Es wäre für manchen armen Teufel jetzt besser, wenn wir auf dem gleichen Fuß gestanden hätten. Aber das taten wir eben niemals. Ich war Aufseher auf der äußersten Station der Niederlassung, ein ganz nettes Ämtchen, ich gebe es zu – und Minchin auf der inneren, Steel aber, der verfluchte Kerl, war unser ›Boß‹, und so hat er sich auch immer benommen.«

»Natürlich, wenn er doch Eigentümer der Kolonie war,« sagte Langholm, während ein wütender Funkenregen aus der Pfeife sprühte. »Ich nehme an, daß es eine Kolonistenniederlassung war?«

»Ob es eine Niederlassung war?« wiederholte der Exaufseher. »Das will ich meinen, und sogar die größte und beste in der ganzen feinen Gegend. Etwa halb so groß war sie als eure lumpige kleine Insel, schön abgerundet. Und ihm hat sie gehört, alles, was recht ist. Für einen Spottpreis hatte er vor fünfzehn Jahren nach einer schlechten Ernte die ganze Geschichte gekauft, um sie schließlich für eine Viertelmillion wieder zu verkaufen, nachdem er schon vorher ein Vermögen darauf verdient hatte. Und was hab' ich von dem ganzen Profit gehabt?« rief Abel wütend. »Was bekam ich davon? Einen lumpigen Scheck, den gleichen wie er mir neulich einen gegeben hat, und nicht einen Pfennig mehr!«

»Ich weiß ja nicht, wie hoch sich der belief,« bemerkte Langholm. »Da Sie aber nicht Teilhaber waren, so hatten Sie doch auch kein Recht auf den Gewinn.«

»Na, da wären wir ja nun auch auf dem richtigen Punkt angelangt,« sagte Abel in gänzlich verändertem, durchaus nicht mehr scherzhaftem Ton. »Um Sie darüber aufzuklären, deshalb bin ich hier, falls Sie es wirklich wissen wollen. Eine merkwürdige Geschichte! Eines Abends erscheine ich vor Steel wie so manch andrer armer Wicht und bitte um eine Anstellung – eine Woche darauf bin ich schon Aufseher mit einer, ich will es nur zugeben, recht anständigen Bezahlung und dabei mein eigener Boß auf der äußersten Station. Später spielte die gleiche Geschichte. Eines Morgens erscheine ich wieder, und zwar auf seiner schönen Besitzung hier in England, und was da geschah, wissen Sie. Einen Scheck erhielt ich mit einer dreistelligen Zahl, Ihnen kann ich's ja gestehen. Von Rechts wegen hätte sie zwar vier Stellen haben müssen, aber warum glauben Sie wohl, daß er sie doch wenigstens dreistellig gemacht hat? Ganz gewiß nicht aus Barmherzigkeit, das glauben Sie selbst nicht, und ich muß es Ihnen überlassen, zu erraten warum.«

Das Rätsel war für einen eingefleischten Romanschriftsteller wohl leichter zu lösen als für einen gewöhnlichen Durchschnittsmenschen. Schlug es doch ganz in das Fach, das Langholm seit vielen Jahren kultivierte.

»Ich nehme an, daß hier ein Geheimnis vorliegt,« sagte er, den Stock noch fester fassend, indem er heimlich die der Wirklichkeit angehörenden Rätsel, die bisher nur in seiner Phantasie gelebt hatten, verwünschte.

»Bravo, Sie haben es getroffen!« rief der Bursche.

»Das war kein Kunststück,« sagte Langholm kalt. »Sie kennen also sein Geheimnis?«

»Ja, mein Herr.«

»Kannte Mr. Minchin es ebenfalls?«

»Ja.«

»Wahrscheinlich haben Sie selbst es ihm nicht vorenthalten?«

Diese Art Spott war für John William Abel zwar etwas zu fein, trotzdem schien er es doch für notwendig zu halten, seinem Zugeständnis eine Art Entschuldigung folgen zu lassen.

»Ich sagte es ihm allerdings,« antwortete er, »weil ich dachte, ich sei es ihm schuldig. Er war nämlich ein guter Freund von mir, dieser Mr. Minchin, und weder er noch ich wurden für das, was wir leisteten, genügend bezahlt. Um seinen Willen durchzusetzen, hätte dieser Steel uns beide ohne weiteres über den Haufen geritten. Und er allein ... Aber ich greife vor. Sie müssen sich schon noch ein bißchen gedulden! Der arme Mr. Minchin freilich, der hat nicht so lange zappeln müssen, den hab' ich damals gleich eingeweiht, weil ich dachte, auf zwei wird eher gehört als auf einen. So erzählte ich ihm denn eines Abends, was ich wußte, und ich sage Ihnen, der arme Kerl war ganz geknickt; wegblasen hätten Sie ihn können wie eine Feder. Kein Mensch in ganz New-South-Wales hätte sich aber auch so etwas träumen lassen. Nein, niemand auf der ganzen Ansiedlung hätte dem Boß so etwas zugetraut. An Minchin hatte er förmlich einen Affen gefressen und wie einen Sohn hat er ihn behandelt, obwohl dieser gar nicht der gute Sohn war, der er hätte sein sollen. Als er aber dem Boß das sagte, was ich ihm aufgetragen hatte und was sich für so einen Herrn viel besser als für mich schickte –«

»Wohl, daß er euch beide sofort zu Teilhabern ernennen solle?« warf Langholm ein.

»Nun ja, so etwas Ähnliches ist es allerdings gewesen.«

»Sprechen Sie nur weiter, Abel, ich werde Sie nicht mehr unterbrechen. Nun also, was geschah dann?«

»Er schickte ihn zum Kuckuck, seinen geliebten Mr. Minchin! Der Meister sagte ihm, er könne die Geschichte erzählen, wem er wolle, aber gehen müsse er. Und er ist auch gegangen, und zwar mit eingekniffenem Schwanze und ohne irgend jemand ein Wort zu verraten. Aber ich glaube, der Boß hat ihm irgendwo in Westaustralien wieder auf die Beine geholfen.«

»Also schließlich doch kein so schlechter Boß,« bemerkte Langholm trocken. Dieser Ausspruch führte ihn jedoch einen Augenblick auf seine eigenen Angelegenheiten zurück. »Und was geschah dann mit Ihnen?« fügte er hinzu, indem er sich nur mit Mühe von seinem Gedankengang losriß.

»Ich blieb auf meiner Stelle.«

»Man hatte Ihnen also vergeben?«

»Wenn Sie es so nennen wollen, ja.«

»Und so spartet ihr beide euch das Geheimnis für spätere Zwecke auf!«

»Was soll das heißen, mein Herr?« rief Abel, beleidigt auffahrend.

»Sie bewahrten das Geheimnis wie eine im Ärmel versteckte gute Karte auf, um sie dann in einem Lande auszuspielen, wo sie mehr einzubringen versprach als in eurer Wildnis. Das war es nur, was ich sagen wollte.«

»Und wenn ich das getan habe, so wäre es jedenfalls meine Sache.«

»Gewiß, freilich. Ich meine nur, Sie sind doch jedenfalls auch jetzt in Ihrem eigenen Interesse hierhergekommen, um dieses Geheimnis an mich zu verkaufen?«

»Ja, um es zu verkaufen.«

»In diesem Falle müssen Sie aber doch zugeben, daß es mehr oder weniger auch meine Sache ist.«

»Mag sein,« sagte Abel mürrisch, während sein Gesicht, als er in diesem Augenblick ein Streichhölzchen anzündete, um seine Pfeife wieder in Brand zu bringen, einen wahrhaft boshaften Ausdruck trug. Langholm aber war, noch ehe das Streichholz Feuer gefangen hatte, mit ein paar Schritten zurückgewichen, damit kein unnötiger Lichtstrahl auf seine schwachen Handgelenke und schlecht ausgefüllten Ärmel fallen möchte.

»So wissen Sie also bestimmt,« fuhr er fort, »daß Minchin zur Zeit seines Todes im Besitz dieses kostbaren Geheimnisses war?«

»Ich habe es ihm ja selbst anvertraut, und es ist nicht derart, daß man es so leicht wieder vergißt.«

»War es eines, dessen Wahrheit bewiesen werden könnte?«

»Mit Leichtigkeit.«

»Könnte auch ich es?«

»Jedermann könnte es.«

»Nun denn, was verlangen Sie dafür?«

»Fünfzig Pfund.«

»Was fällt Ihnen ein! Ich bin kein reicher Mann wie Mr. Steel.«

»Billiger tue ich es nicht – – jedenfalls nicht viel billiger.«

»Sind Ihnen zwanzig bei sofortiger Bezahlung nicht genug?«

»So geben Sie doch wenigstens dreißig her, dann wollen wir weiter sehen.«

Die Stimme klang jetzt unheimlich nahe. Plötzlich ließen sich Fußtritte vernehmen, und zwar waren die einen diejenigen des Schriftstellers, der sich rasch nach rückwärts konzentrierte, die andern die des Kolonisten, der schwankenden Ganges folgte. Der erstere lachte laut auf.

»Glaubten Sie wirklich, ich sei auch nur mit einem Pfennigstück in der Tasche bei Nacht an einen Ort wie diesen hier gekommen, um mit dem Schreiber eines Briefes, wie Sie mir einen geschrieben haben, zusammenzutreffen? Kommen Sie in mein Haus, dann wollen wir die Sache bereinigen.«

»Ich gehe nicht mit hinein.«

»Nun, dann wenigstens bis ans Gitter. Es ist keine dreihundert Meter von hier entfernt. Ich will Ihnen den Weg zeigen.«

Lebhaft ausschreitend trat Langholm jetzt den Rückweg an, während ihm das Herz bis zum Halse hinauf klopfte. Die schwankenden Schritte aber, die ein dumpfes Brummen begleitete, vermochten ihn nicht zu überholen, und bald wurden die Lichter des Hauses sichtbar. In der nächsten Minute standen die beiden am Gittertor.

»So ziehen Sie es also wirklich vor, nicht hineinzugehen?« Wie mühsam unterdrückter Hohn klang es aus Langholms Stimme.

»Ja. Lassen Sie mich aber nicht zu lange warten.«

»Nein, keine zwei Minuten wird es dauern.«

Auch im Nebenhäuschen brannte Licht, denn es war noch nicht spät. Ein Stück des hellerleuchteten Flurs kam zum Vorschein, als Langholm die Haustür öffnete und gleich darauf zum Fenster hinausschaute.

»War es nicht ein dreistelliger Scheck, den Sie von Mr. Steel erhalten hatten?« rief er.

»Ja, ja, aber sprechen Sie doch nicht so laut!«

»Und daraufhin jagte er Sie zum Teufel, nicht wahr?«

»Wenn Sie das so nennen wollen.«

»Nun denn, so tue ich jetzt dasselbe – aber ohne Scheck!«

Dabei wurde klirrend das Fenster zugeschlagen und das Rouleau heruntergelassen.


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