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Zweiundzwanzigstes Kapitel. Die dunkelste Stunde

Der Amateurdetektiv schleuderte langsam Piccadilly zu und kletterte auf einen Chelsea-Omnibus, wo er, selbst für einen oberflächlichen Beobachter, ein recht klägliches Bild abgegeben hätte. Er war mehr enttäuscht, sowohl über das Resultat seiner tollen Berechnungen als über sich selbst wegen des verfehlten Anfangs seiner Mission. Ja, er schämte sich tatsächlich. Kein Zweifel konnte mehr an der Unwahrscheinlichkeit einer Schlußfolgerung bestehen, auf die er sich in seiner Hast nach den ersten Einflüsterungen einer allzu lebhaften Phantasie gestürzt hatte. Wie konnte er überhaupt die Anmaßung haben, etwas besser wissen zu wollen als gewiegte Fachmänner!

Langholm hätte sich über diese Erkenntnis noch hinwegzusetzen vermocht, wenn durch seinen Irrtum nur ein Tag verloren gegangen wäre, aber er hatte damit auch jenes Selbstvertrauen eingebüßt, das um so notwendiger für ihn war, als es für gewöhnlich seinem Charakter fremd war.

Jetzt erst machte er sich klar, wie schwierig die übernommene Aufgabe war und wie verkehrt er die Sache angefaßt hatte. Seine Phantasie war einfach mit ihm durchgegangen, und zu einer Aufgabe, wie diese hier, konnte man überhaupt keine Phantasie brauchen. Dazu bedurfte es gründlicher Forschung, klarer Urteilsfähigkeit und logischer Schlußfolgerungen, lauter Künste, in denen ein phantasievoller Mensch fast ausnahmslos ein Stümper ist.

Langholm gehörte indes nicht zu den schwerfällig angelegten Naturen, die eine als unrichtig erkannte Idee nicht auch leicht wieder abschütteln können, und so war sein erst kürzlich gefaßter Verdacht bereits in alle vier Winde verflogen. Hoffentlich ahnte wenigstens niemand im Klub etwas davon. Langholm war ein gerechter Mann und bereute aufrichtig das Unrecht, das er, wenn auch nur in Gedanken und nur wenige Stunden lang, einem gänzlich unschuldigen Manne angetan hatte.

Und während der ganzen Fahrt durch Piccadilly saß eben dieser Mann nur wenige Zoll von ihm entfernt und beobachtete mit einem Ausdruck leidenschaftlicher Eifersucht das Gesicht des Schriftstellers. Aber er fand lange nicht den Mut, ihn anzureden; erst bei der Haltestelle am Hydepark, wo ein zwischen den beiden sitzender Passagier ausstieg, faßte er sich ein Herz.

Langholm fuhr schon beim Klang seines Namens, der ihn aus den bereits erwähnten Betrachtungen riß, erschrocken zusammen. Als er jedoch dicht neben sich gerade das Gesicht entdeckte, mit dem seine Gedanken beschäftigt waren, da fehlte ihm die Kraft zu einer sofortigen Antwort.

»Mein Name ist Severino,« erklärte der andre. »Ich bin Ihnen vor einigen Stunden im Klub vorgestellt worden.«

»Ja gewiß, natürlich,« rief Langholm, sich allmählich fassend. »Wie komisch, wir müssen das Klubhaus so ziemlich zur selben Zeit verlassen haben, und doch habe ich Sie bis zu diesem Augenblick nicht bemerkt.«

Severino nahm den freien Platz an Langholms Seite ein.

»Mr. Langholm,« sagte er dann mit leicht bebender Stimme, »ich habe Ihnen ein Geständnis zu machen und bin Ihnen deshalb vom Klub aus gefolgt.«

»Sie sind mir gefolgt!«

Langholm konnte nicht umhin, einen besonderen Nachdruck auf jene beiden Wörter zu legen. Es erschien ihm doch gar zu seltsam, gar zu romanhaft, wie sich am Schluß dieses vergeudeten Tages das Blatt so gänzlich gewendet hatte. Er mußte ein unwillkürliches Lächeln unterdrücken.

»Ja, ich bin Ihnen gefolgt,« wiederholte der junge Italiener mit seinem gefälligen Akzent und der melodischen Stimme, »und bitte Sie deshalb um Entschuldigung, obwohl ich dasselbe auch ein zweites Mal tun würde. Sie sollen gleich erfahren warum. Während ich vorhin im Klub Ihnen und den andern etwas vorklimperte, war es mir, als sprächen Sie von mir. Ich konnte mich ja getäuscht haben, allein sobald Sie fortgegangen waren, stand ich vom Klavier auf und stellte einige Fragen an die Herren, mit denen Sie sich unterhalten hatten. Und diese sagten mir, daß Sie ein Bekannter, ein sehr naher Bekannter der auch mir bekannten Mrs. Minchin seien.«

»Allerdings,« antwortete Langholm nach einer Pause. »Und nun?«

»Sie war eine sehr, sehr gute Bekannte von mir,« wiederholte Severino mit einem Seufzer.

»Ich habe davon gehört,« sagte Langholm teilnehmend, »und begreife Ihre Anhänglichkeit an sie, denn auch ich darf mich wohl einen guten Bekannten von ihr nennen.«

Schwerfällig arbeitete sich der Omnibus jetzt längs des Parkes hin. In zwei Reihen sah man die Lichter zu beiden Seiten der geraden Straße funkeln und mehr und mehr in die Höhe steigen, bis sie endlich fast zusammentrafen, und träumerisch hingen die Blicke der beiden Männer während ihres Gespräches daran.

»Bis heute,« fuhr Severino fort, »wußte ich nicht, ob sie noch am Leben ist.«

»Sie lebt und ist gesund.«

»Und hat wieder geheiratet?«

»Und hat wieder geheiratet.«

Eine lange Pause folgte. Der Park lag jetzt hinter ihnen.

»Ich möchte Sie um eine große Gefälligkeit bitten,« sagte Severino auf der Station Knightsbridge. »Sie war immer so freundlich gegen mich! Ich werde es niemals vergessen, und doch habe ich ihr nie dafür danken können. Ich lag im Sterben – damals, und als ich wieder zum Bewußtsein kam, war sie verschwunden. Ich bitte, ich flehe Sie an, Mr. Langholm, mir ihren Namen und den Ort, wo sie jetzt wohnt, zu nennen.«

An der Ecke von Sloane Street, dort, wo der Schein der vielen Laternen ineinander fließt, schaute Langholm seinen Gefährten prüfend an. Das blasse Gesicht glühte vor innerer Erregung, die eingesunkenen Augen leuchteten.

»Ich kann es Ihnen nicht sagen,« antwortete Langholm kurz.

»Ist es Ihr Name, den sie trägt?«

»Großer Gott, nein!« rief Langholm mit hartem Auflachen.

»Wollen Sie mir auch nicht sagen, wo sie wohnt?«

»Ich darf es nicht ohne ihre Erlaubnis, aber wenn Sie es wünschen, werde ich ihr von Ihnen erzählen.«

Es erfolgte keine Antwort. Plötzlich aber wurde Langholms Arm von knöchernen Fingern krampfhaft umfaßt.

»Ich bin dem Tode verfallen,« flüsterte ihm die leise, heiser klingende Stimme ins Ohr. »Sehen Sie es denn nicht selbst? An eine Genesung ist nicht mehr zu denken. Noch ein, zwei Jahre kann es dauern, vielleicht auch nur Wochen. Aber ich muß sie noch einmal sehen und mich mit ihr aussprechen. Ja, ich liebe sie! Wozu es leugnen? Aber die Liebe ist ganz nur auf meiner Seite. Ich sterbe, und sie hat wieder geheiratet! Was und wem kann es schaden, wenn ich sie noch einmal sehe?«

Die eingesunkenen Augen füllten sich mit Tränen, und wie Schluchzen klang es aus der gedämpften Stimme. Langholm war tief gerührt.

»Mein armer Junge!« sagte er. »Ja, ich will es ihr sagen. Doch nein, nein, schreiben will ich es ihr gleich – noch heute abend. Wird das nicht genügen?«

Severino dankte ihm mit einem tiefen Seufzer. »O, steigen Sie doch nicht aus,« fügte er hinzu, als Langholm sich erhob. »Ich will ja gewiß nicht mehr von ihr sprechen.«

»Ich wohne in dieser Straße,« sagte Langholm vorsichtig.

»Und hier ist meine Adresse,« erwiderte der andre, indem er einen Brief aus seiner Tasche zog und Langholm den Umschlag einhändigte. »Lassen Sie um Gottes Barmherzigkeit willen wieder von sich hören, sobald Sie eine Antwort von ihr haben.«

Langholm blieb am Straßenrand stehen, bis der Omnibus, den er verlassen hatte, im Verkehr der Hauptstraße verschwunden war. Die auf dem Briefumschlag stehende Adresse war die des Logierhauses, wo Langholm an diesem Abend eigentlich noch hatte vorsprechen wollen. Er war nun doch froh, daß das Glück ihm Severino in den Weg geführt, und er ihn nicht selbst hatte suchen müssen, sonst wäre das Gefühl, sich albern benommen zu haben, noch lebhafter gewesen. In einer Beziehung fühlte er sich jetzt sogar zu dem offenherzigen jungen Manne hingezogen, der noch vor kurzem der Gegenstand seines ungerechten und unbegründeten Verdachtes gewesen war. Er betrachtete ihn jetzt in einem ganz neuen Lichte, eine gewisse Gefühlsverwandtschaft, vielleicht auch Eifersucht, wenn nicht am Ende beides, bildete eine Art Band zwischen ihm und dem jungen Mann. Langholm aber befand sich nicht in London, um mit irgend jemand eine Freundschaft anzuknüpfen, sondern einzig und allein um der wichtigen Aufgabe willen, die er sich selbst gestellt hatte, und in deren Lösung er sich von niemand stören lassen durfte. Deshalb war er auch hinsichtlich seiner Wohnungsangabe so vorsichtig gewesen und hatte den Omnibus erst im Straßengetriebe verschwinden lassen, ehe er sein Hotel betrat. Diese Vorsicht war aber doch nicht genügend gewesen, denn der alte Londoner hatte vergessen, wie wenige halbwegs anständige Hotels es in der Sloane Street gibt.

Nun harrten vierundzwanzig recht schlimme Stunden seiner.

Der Anfang war indes noch ziemlich erfreulich, denn Langholm machte die Entdeckung, daß ein berühmter Kriminalbeamter, mit dem er während seiner Londoner Zeit befreundet gewesen war, sich noch in der Hauptstadt befand. Da jener Freund kaum zehn Minuten vom Hotel Cadogan entfernt wohnte, so begab sich Langholm noch am gleichen Abend zu ihm. Er hatte allerdings nur wenig Hoffnung, ihn zu Hause anzutreffen: um so größer war seine Freude, als er den Freund bei der soeben angezündeten Studierlampe vorfand. Auch der Empfang, der ihm zuteil wurde, war so herzlich, daß Langholm dem Freunde sofort sein Anliegen anvertraute. Und der Mann, der sämtliche Detektivs von London kannte, lachte diesen neuesten Rekruten, der sich ihm da vorstellte, nicht einmal aus, kaum daß ein Lächeln um seinen Mund spielte.

»Ich will dir sagen, was ich an deiner Stelle tun würde,« sagte er endlich. »Ich werde dir eine Karte mitgeben, die dir den Eintritt in das Schwarze Kabinett von New Scotland Yard verschafft, wo man dir alle Corpora delicti zeigen wird, die von dem Minchiner Mordprozeß aufbewahrt worden sind. Nur rate ich dir, nicht zu gestehen, zu welchem Zweck du sie sehen willst. Jeder Mensch, den du dort zu Gesicht bekommst, kann nämlich ein Detektiv sein, und es ist sehr leicht möglich, daß du gerade mit denen zusammentriffst, die mit dem Fall beschäftigt gewesen sind. Wenn dem so ist, dann laß dir von ihnen über den Fall berichten, und aus ihren Worten kannst du am besten schließen, ob man sich noch damit befaßt. So, hier hast du die Karte, Langholm, und nun, Glück auf! Hast du für morgen abend schon etwas verabredet?«

Langholm konnte ruhig versichern, daß er nichts vorhabe.

»Dann speise um sieben Uhr mit mir im Ragklub und berichte mir von deinen Resultaten. Es muß aber um sieben Uhr sein, da ich mit dem Nachtzug nach Schottland abreise. Ich möchte dich ja ganz gewiß nicht entmutigen, lieber Freund, allein ich halte es doch für meine Pflicht, dir zu sagen, daß meine Bewunderung für dein menschenfreundliches Vorgehen größer ist als meine Zuversicht auf deine Erfolge.«

Im Kriminalgebäude waren richtig sämtliche Reliquien aufbewahrt, die vor Gericht eine Rolle gespielt hatten, doch gab der Beamte, der Langholm als Führer diente, zu, daß sie eigentlich kein Recht hätten, die Sachen der Besitzerin vorzuenthalten. Sie seien Mrs. Minchins Eigentum, und wenn man deren Adresse wüßte, wären sie ihr längst zugestellt worden.

»Allein in der Zeitung steht, sie heiße gar nicht mehr Mrs. Minchin,« fügte der Beamte hinzu. »Nun, der Geschmack ist ja verschieden.«

»Mrs. Minchin ist aber doch freigesprochen worden,« bemerkte Langholm möglichst ruhig.

»Gewiß,« gab sein Führer in schleppendem Tone zu. »Na, und unsre Sache ist es ja auch nicht, sich über diesen Punkt auszulassen.«

»Aber Gedanken machen Sie sich also doch darüber?«

»Hier bei uns herrscht nur eine Stimme.«

»Hoffentlich haben Sie es wenigstens nicht aufgegeben, nach dem wirklichen Mörder Mr. Minchins zu forschen?«

»Unsrer Ansicht nach haben wir ihn gefunden,« lautete die Antwort.

So hatte man den Fall also aufgegeben! Der Gedanke, daß der bescheidene Schriftsteller am Ende etwas erreichen könnte, was der Polizei mißlungen war, hatte freilich etwas Berauschendes. Allein die Aussichten, einen solchen Erfolg zu erringen, waren so minimal, daß Langholm einen tiefen Seufzer ausstieß, während er die Waffe betrachtete, mit der nach Ansicht der Polizei das Verbrechen begangen worden war.

»Aus was schließen Sie so bestimmt, daß dies der Revolver war?« fragte er mehr, um nichts unversucht zu lassen, als um irgend einen Zweifel über diesen Punkt auszudrücken.

Mit einem überlegenen Lächeln erklärte der andre die Eigentümlichkeit der Pistole. Sie war in Melbourne angefertigt und enthielt noch eine Kugel von derselben auffallenden Größe derjenigen, die man aus Alexander Minchins Leiche entfernt hatte.

»In London wimmelt es ja aber förmlich von Australiern,« bemerkte Langholm, um überhaupt einen Einwand zu machen.

»Ich will Ihnen etwas sagen, mein Herr,« rief der Beamte lachend. »Wenn Sie jemand finden, der einen Revolver besitzt wie diesen hier und mir beweisen können, daß der Betreffende sich während der Nacht des Mordes in Chelsea befunden hat, überdies irgend ein Grund vorliegt, der ihn zu dem Verbrechen getrieben haben könnte, so werden wir Ihnen für dessen Namen und Adresse dankbar sein. Den Beweggrund dürfen Sie dabei aber ja nicht vergessen, denn ein Raubmord war es nicht, obwohl die Dame mit großer Sicherheit behauptet hat, daß Diebe die Täter gewesen sein müßten. Hier auf dem Laufe steht der Name des Büchsenmachers, den würde ich mir an Ihrer Stelle doch aufschreiben.«

Dieser Name war alles, was Langholm dem Kriminalbeamten zeigen konnte, als er am Abend mit ihm in dessen Klub speiste. Der Amateurdetektiv machte bereits den Eindruck eines Besiegten, trotzdem aber sprach er mit zusammengepreßten Zähnen davon, am nächsten Tag damit anzufangen, sämtliche Trödlerbuden von London besichtigen zu wollen.

»Das wird etwa ein Jahr in Anspruch nehmen,« sagte der erfahrene Beamte heiter.

»Was schadet es, wenn hierin die einzige Möglichkeit eines Erfolges liegt?« entgegnete der verzagte Schriftsteller. »Es handelt sich also nur darum, dies oder gar nichts zu tun.«

»Dann höre auf den Rat eines älteren und erfahreneren Mannes, als du einer bist, und tue nichts. Du hast ja ganz recht, wenn du an die Unschuld der Dame glaubst, es liegt auch kein Grund zu einer andern Überzeugung vor, noch weniger einer, sie auszusprechen. Hast du aber die Absicht, den wahren Schuldigen aufzuspüren, so ist das etwas andres. Mein lieber Freund, dies ist eine Aufgabe, an der wir beide erliegen müßten, selbst wenn es sich um unsre eigene Person handelte und es ein weniger verwickelter Fall wäre als dieser. Es war ja sehr schön und ritterlich von dir, deine Hilfe anzubieten. An deiner Stelle aber würde ich unverzüglich erklären, daß das Unternehmen weit über deine Kräfte gehe.«

Diesen Rat erwägend, kehrte Langholm in sein Hotel zurück. Vernünftig war er, das konnte nicht geleugnet werden, und die Quelle, aus der er entsprang, gab ihm ein doppeltes Gewicht, einen erhöhten Wert. Es war eine Meinung, die ein vernünftiger Mann unmöglich ganz unbeachtet lassen konnte, und Langholm sagte sich bereits, daß er sie Mrs. Steel mitteilen müsse, damit sie nicht zu große Hoffnungen auf seine Bemühungen setze. Der Brief sollte sie auf seinen voraussichtlichen Mißerfolg vorbereiten, ihm aber zugleich freies Spiel für neue Unternehmungen lassen, falls auf den jetzt so dunklen Pfad ein neuer Lichtstrahl fallen sollte. Aber es würde ein schwieriger Brief werden, und Langholm mühte sich noch mit dem ersten Satz ab, als er im Hotel Cadogan ankam.

»Ein Herr hat nach mir gefragt?« rief er überrascht. »Was denn für ein Herr?«

»Er wollte seinen Namen nicht nennen, sondern sagte, er werde wiederkommen. Er schien mir ein Ausländer zu sein.«

»Ein leidend aussehender junger Mann?«

»Ja, sogar sehr leidend sah er aus. Sie scheinen ihn übrigens besser zu kennen, als er Sie,« fügte der Portier hinzu, mit dem Langholm sich bereits etwas angefreundet hatte, »denn er wußte nicht sicher, ob der hier wohnende Mr. Langholm derselbe sei, den er suchte, und so bat er mich, ihn die Fremdenliste Nachsehen zu lassen.«

»Haben Sie sie ihm gezeigt?« fragte Langholm lebhaft.

»Ja, mein Herr.«

»Dann lassen Sie auch mich, bitte, rasch noch einen Blick darauf werfen.«

Es war so, wie Langholm gefürchtet. Unvorsichtigerweise hatte er, als man seine Namensunterschrift von ihm verlangte, auch die genaue Adresse niedergeschrieben, die er an Orten, wo man ihn besser kannte, so sorgfältig geheimgehalten hatte. So hatte denn der nichtswürdige junge Italiener, dieser Severino, nicht nur seine Stadtwohnung, sondern auch seinen Landaufenthalt entdeckt, und seine nächste Entdeckung würde Normanthorpe House und dessen neue Herrin sein! Langholm war wütend. Nachdem er dem jungen Mann aus eigenem Antrieb das Versprechen gegeben, Rahel schreiben zu wollen, ein Versprechen, das bereits erfüllt war, hätte der unglückliche Mensch so viel Anstandsgefühl haben können, derartige Schliche zu unterlassen. Langholm hatte gute Lust, sofort nach Severinos Wohnung zu fahren und diesem deutlich seine Meinung zu sagen. Allein es war zu spät, und mit einem Kranken, dessen Liebe ebenso hoffnungslos war als sein körperlicher Zustand, mußte wohl etwas Nachsicht geübt werden. Jedenfalls wollte Langholm vorher noch einmal darüber schlafen.

Allein Schlaf sollte Charles Langholm in dieser Nacht nicht finden, obwohl der Gedanke an Severino kein einziges Mal sein Hirn durchkreuzte. Dieser war plötzlich wie weggefegt und ebenso plötzlich durch den Gedanken an einen andern Mann ersetzt, der des Romanschreibers ganzes Sinnen und Denken mehrere Tage vollkommen ausfüllen sollte.

Als er nämlich halb mechanisch Seite um Seite der mit den verschiedensten Handschriften bedeckten Blätter des Hotelfremdenbuches betrachtet hatte, war sein Blick mit einem Male auf einen Namen gefallen, der ihm seit kurzem ebenso vertraut war als der eigene.

Es war der John Buchanan Steels.

Und das Datum war das des Minchinschen Mordes!


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