Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

X.

Die Beisetzung Zorns hatte auf seinen ausdrücklichen Wunsch in allerstillster Weise stattgefunden. Namentlich die Lehrer des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster, dem er fünfhundert Taler vermacht hatte, waren schmerzlich enttäuscht; sie hatten gehofft, ihrer dankbaren Empfindung in Reden und Gesängen Ausdruck geben zu können.

August Schadebrot war zwei Wochen recht krank gewesen. Dann erst konnte seine Pflegerin Susanne mit Ursula nach Peitz reisen, wo sie bei der Predigerwitwe Nicolai freundliche Aufnahme fanden. Es stellte sich heraus, daß Frau Nicolai den Briesemann kannte; vor etwa zwei Jahren hatte er eine Stube in der Pfarrwohnung ausbessern helfen. Ihrem Mann sei der ernste, offenbar aus besseren Kreisen stammende Gefangene aufgefallen, und er habe ihn mit geistlichem Zuspruch erquickt. Da habe der ihm Vertrauen geschenkt und ihm den Mord an seinem Meister gestanden. Auch ein Schreiben an Andreas Schmidt habe er ihrem Mann mit der Bitte gegeben, es diesem zuzuschicken. Aber sie habe vor anderthalb Jahren beim Ordnen des Nachlasses ihres damals verstorbenen Mannes diesen Brief vorgefunden und ihn an den ihr bekannten Pfarrer Lysius gesandt. Seitdem habe sie nichts wieder von der Sache gehört.

Auf Ursulas Bitten begleitete die gute Pfarrfrau sie am nächsten Tage zum alten Kommandanten der kleinen Feste, dem Obersten v. Waldow. Als das junge Mädchen ihm die Sache auseinandergesetzt, meinte er achselzuckend: Ja, Briesemann habe vor etwa anderthalb Jahren den Mord eingestanden, es sei darüber auch ein Protokoll aufgenommen und dem König zugesandt. Man habe aber wohl dem Geständnis keinen Wert beigelegt.

»Aber jetzt« – rief da Ursula – »liegt die Sache anders! Auf Grund einiger Zufälligkeiten ist mein Bräutigam ganz schuldlos in den Verdacht des Mordes gekommen!«

Der Oberst ließ sich das Nähere mitteilen. Dann fragte er sie, ob sie stark genug dazu sei, mit Briesemann selbst zu sprechen. Als sie dies bejahte, befahl er einer Ordonnanz die sofortige Vorführung des Gefangenen.

In einer fieberhaften Erregung wartete Ursula, während Waldow sich mit der Witwe über gleichgültige Dinge unterhielt.

Jetzt, also jetzt sollte sich ihr Schicksal entscheiden! Von den nächsten Minuten hing vielleicht das Leben ihres Verlobten ab. Aber sie zwang ihre Erregung nieder und war kalt und ruhig, als nun Briesemann vorgeführt wurde.

Seit dem 11. Januar 1710 hatte sie ihn nicht gesehen. Sie hätte ihn nicht wiedererkannt, aber die dienstliche Meldung des vorführenden Unteroffiziers »Gefangener Briesemann zur Stelle« ließ keinen Zweifel. Der bleiche, abgezehrte Mensch war der ehemalige Geselle ihres Vaters. Er starrte Ursula an, tapfer hielt sie seinen Blick aus und wußte nicht, daß ihr helle Tränen in die Augen gestiegen. Auf die Frage des Obersten stammelte der Unselige: »Es ist die Tochter des Meisters Heinrich. Könnt Ihr mir vergeben?«

Tief erschüttert sah Ursula auf diese menschliche Ruine, den sie als frischen, jungen Mann gekannt. Dann reichte sie ihm nach kurzem Zögern die Hand. »Ich vergebe Euch,« flüsterte sie. »Gott hat mir in meinem Jammer geholfen. Die gute Frau Zorn nahm mich in ihr Haus auf. Jetzt bin ich die Braut ihres Neffen.«

»Da danke ich Gott! Wie oft habe ich gebetet, daß ich meine Missetat sühnen dürfte. Es hat aber meiner armseligen Hilfe dabei nicht bedurft.«

»Doch! Doch! Es bedarf Eurer werktätigen Buße!« schrie da Ursula mit gellender Stimme. »Mein Verlobter steht im Verdacht, meinen Vater ermordet zu haben!«

»Aber das ist ja Wahnwitz! Der Herr Kommandant kann bezeugen, daß ich längst den Mord eingestanden habe!«

Waldow zuckte die Achseln: »Auf das Geständnis eines Baugefangenen gibt man nicht viel! Der gesteht oft ein todeswürdiges Verbrechen, das er nie begangen, nur aus Lebensüberdruß!«

Briesemann lachte bitter auf. »Ich habe seit Jahren ein Brotmesser bei mir und habe bei der Arbeit wohl hundertmal Gelegenheit gehabt, meinem Leben ein Ende zu machen!«

»Gott hat Euch vor der Sünde des Selbstmordes bewahrt und gibt Euch jetzt Gelegenheit, Eure Schuld zu sühnen!« rief Ursula.

»Das soll geschehen. Herr Kommandant, kann mir nicht eine Gerichtsperson gesandt werden? Der will ich mein Verbrechen genau zu Protokoll geben. Die Geistlichen haben mir nicht geglaubt.«

Auf einen bittenden Blick Ursulas sagte Waldow die Vernehmung für den heutigen Abend zu.

Bei der Abführung bat der Gefangene Ursula um Vergebung, wenn er ihr neues Leid zufügen müsse. Verständnislos starrte sie ihm nach. Hoffnung und Grauen kämpften in ihren Zügen.

Das war am Donnerstag. Am folgenden Montag überreichte sie dem Stadtrichter Helwig ein an das Stadtgericht zu Berlin gerichtetes verschlossenes Schreiben: das ordnungsgemäß durch den Kommissar Ehrenfried aufgenommene Bekenntnis Briesemanns vom 25. Juni. Ihre Blicke ruhten in ängstlicher Spannung auf dem Lesenden. Kommt mein Verlobter frei? flehten ihre Augen.

Helwig drückte ihr gerührt die Hand. »Jungfer Heinrich, es wird alles gut werden! Geduldet Euch noch einige Tage. Ich lasse Briesemann nach Berlin holen. Eurem Bräutigam werde ich eine glänzende Genugtuung verschaffen und das Gerede gegen ihn auf immer verstummen lassen. Ihr könnt immer schon die Hochzeit rüsten,« fügte er lächelnd hinzu. »Sprecht mit dem Geistlichen, ein einmaliges Aufgebot wird genügen.« Er nickte der Hochbeglückten freundlich zu.

Ursula besprach die Sache zunächst mit Dr. Zorn, der ihr mitteilte, daß sein Bruder ihr außer Wäsche, Betten und Möbeln noch zweitausend Taler vermacht habe. Wegen des Aufgebots und der Haustrauung solle sie sich mit Porst und Kahmann in Verbindung setzen. Sie ging darauf zu Kahmann und dankte ihm von Herzen für seinen so glücklich ausgeschlagenen Rat. Sie bat ihn alles Erforderliche wegen der Trauung zu veranlassen. Er sagte ihr, Probst Porst werde für das Aufgebot in der Nicolaikirche sorgen, die Trauung könne er aber vornehmen. Er stehe seiner lieben Konfirmandin jederzeit zu Diensten. Dann aber konnte er nicht genug Einzelheiten über Briesemanns Geständnis erfahren.

Else war Feuer und Flamme, als ihr Ursulas baldige Hochzeit verkündet wurde. Sie ließ in die drei für die jungen Eheleute bestimmten Zimmer die schönsten Möbel und Ausstattungsstücke bringen. »Laß das, ich habe es so mit dem seligen Großvater besprochen,« meinte sie, sobald Ursula einen bescheidenen Einwand erhob.

So war der 6. Juli herangekommen. Glühender Sommertag nach langer regenloser Zeit. Ursula war eben aufgestanden und noch im Morgenkleid. Da forderte Dr. Zorn sie auf, ihn in ihr Erbhaus in der Königstraße zu begleiten. Erstaunt gehorchte sie ihm. Dort fanden sie Helwig, seinen Aktuar, einige Knechte des Scharfrichters und Briesemann, bewacht von vier Stadtdienern.

Der Stadtrichter befahl den Knechten, die mit Stangen, Eimern, Schippen und kurzen Leitern ausgerüstet waren, das heimliche Gemach auf dem Hofe auszuräumen. Bald verbreitete sich ein betäubender Dunst. Seit sieben Jahren war hier eine solche Räumung nicht geschehen. Nur mit großen Unterbrechungen konnten die Knechte arbeiten. Viel Fluchen – Beispringen Zorns mit belebenden Tropfen bei einem ohnmächtig Gewordenen – die ganze Nachbarschaft in Aufregung. Helwig hielt die Haustür streng verschlossen, nur dem Nachbar Lüdicke war Zutritt gestattet. Plötzlich Gebrüll eines Knechtes: »Hier ist Geld!«

»Aufgepaßt!« schrie Helwig. »Alles Geld wird gewaschen! Contius, sorge Er dafür, daß nichts fortkommt und sehe Er, welche Jahreszahlen die Münzen tragen!«

Als nach einiger Zeit die Knechte bei der steigenden Hitze des wolkenlosen Tages nicht weiter arbeiten konnten, berichtete Contius: »Bis jetzt sind in Summa 91? Taler gefunden. Alles Geld mit Jahreszahlen bis 1709.« Zorn wies auf einige vermoderte Stoffreste, die er für Überbleibsel von Leinwandbeuteln erklärte.

Helwig wandte sich an Lüdicke: »Er wird jetzt seinen Irrtum einsehen und den unschuldigen Schadebrot um Verzeihung bitten! Sorge er jetzt für das Verschwinden des von Ihm verbreiteten falschen Gerüchtes!«

»Ihr habt recht, Herr Stadtrichter, aber ick habe ooch recht! Wo det Jeld is, da is ooch der Mörder!«

Er wies dabei auf Briesemann, der zwischen seinen Wächtern, in tiefe Gedanken versunken, dem Zählen des Geldes zugesehen. Jetzt zuckte er zusammen – mit dem Auffinden des Geldes war seine Schuld sonnenklar erwiesen. Jeder Verdacht eines Raubmordes war hinfällig geworden. Alle Brücken hatte er hinter sich abgebrochen – und er sah nicht den mitleidig dankbaren Blick, den ihm Ursula zuwarf. Der Stadtrichter trat an sie heran: »Sobald ich mich umgezogen, werde ich kommen und die Verstrickung Eures Bräutigams aufheben.«

»Ach, kommt doch gleich mit!«

»Nein, das ist unmöglich.« Zu Zorn sagte er: »Man sollte dafür sorgen, daß solche Verwahrlosung nicht wieder vorkommt! Dann gereicht das Verbrechen noch der Gesundheit unserer Stadt zugute. Das Versteck war zu niederträchtig gewählt, und da sagen die Lateiner: › pecunia non olet!‹«

Zorn empfahl Ursula beim Rückweg ein warmes Bad vor dem Umkleiden und Bürsten der Haare mit Seifenwasser. Sie befolgte diesen Rat; die über die Vorgänge des Vormittags vor Neugier brennende Else leistete ihr dabei die Dienste einer Bademagd. Dann litt sie es nicht, daß Ursula ihr Trauerkleid anzog, das würde den guten Großvater noch im Sarg betrüben. Sie bettelte solange, bis Ursula zur Feier des Wiedersehens mit August ein weißes Kleid ohne Trauerabzeichen anlegte.

»So gefällst du mir und wirst auch Gusti gefallen!« rief sie fröhlich. Dann noch einige kecke Scherze der übermütigen Kleinen. »Else, du bist doch unverbesserlich!« lächelte die Tieferrötende.

»Ulla, mit einer Braut muß man solchen Spaß machen! Das bringt Glück!«

Inzwischen erklärte im Nachbarhaus Helwig dem Bräutigam, er hebe hiermit seine Verstrickung auf. Jeder Verdacht gegen ihn sei glänzend widerlegt. Dann wurde er sehr ernst. »Ich rate Euch dringend, Eure Braut so bald als möglich zu heiraten, und unter allen Umständen mit ihr in den nächsten Monaten Berlin zu verlassen.« Auf die verwunderte Frage nach dem Grunde dieses Rates ließ er sich von Schadebrot das Versprechen strengster Verschwiegenheit auf Ehrenwort geben. Dann setzte er ihm auseinander, seine Braut habe mit ihrem Bemühen, ihn vom Verdacht zu reinigen, wider ihren Willen eine schwere Gefahr auf ihre Mutter heraufbeschworen. Briesemann habe sie in seinem Geständnis als Anstifterin des Mordes angegeben. Es sei nicht unwahrscheinlich, daß nun auch gegen sie das Verfahren wieder aufgenommen werde.

Ein schwerer Seufzer entrang sich der Brust des jungen Mannes.

»Ist sie erst Eure Frau,« fuhr Helwig fort, »und vielleicht schon Mutter, wird sie den neuen Schlag leichter ertragen. Beherzigt meinen Rat! Gott wird Euren Ehebund reich segnen, denn Ihr erhaltet damit einem vortrefflichen Mädchen das Leben – vielleicht mehr als das Leben!«

Verwundert blickte August auf.

»Es wäre nicht unmöglich, daß sie bei dem Unglück den Verstand verliert!«

»Um Gott – Herr Stadtrichter!«

»Ihr seid gewarnt!«

Ernst drückten sich die Männer die Hand.

Helwig war kaum gegangen, da öffnete sich die Tür – mit einem jubelnden Aufschrei warf sich Ursula an Augusts Brust. Hinter ihr standen Dr. Zorn und Else. In einem wahren Triumphzuge wurde er in das Nachbarhaus geführt.

Hier in bunter Reihe glückwünschende Freunde des Hauses mit Versicherungen, daß man nie an seine Schuld geglaubt habe. Schuster Lüdicke war ehrlicher. Er verlangte dringend, als Nachbar und ältester Freund der Braut vorgelassen zu werden. Als Schadebrot ihm die Hand drückte, zerquetschte er sie ihm fast im Gegendruck.

»Det hatte ick nich jedacht, det ick den Schade, den ick sechs Jahre wie der Deibel ne arme Seele ufjestebert, eenmal die Hand drücken täte!«

Dann empfahl er sich mit der Versicherung, daß er die Kunde vom aufgefundenen Gelde überall verbreiten werde. Es war ihm mit dem Versprechen heiliger Ernst.

Endlich trat etwas Ruhe ein. Porst und Frau, Lysius, der Hausgenosse Johann Schmidt und noch drei oder vier Freunde wurden von Zorn gebeten, ihnen zu einem Teller Suppe Gesellschaft zu leisten.

»Da muß ich mich etwas festlicher kleiden,« meinte August, »schon um nicht gegen dich zu sehr abzustechen. Du siehst in dem weißen Kleid zu reizend aus!«

Er kam nach einiger Zeit in seinem besten Anzug zurück: Dunkelblauem Tuchrock mit zahllosen silbernen Knöpfen, Spitzenkrause, Samthosen, Kniestrümpfen und vorn abgestumpften Lederschuhen mit großen silbernen Schnallen. Dazu Degen mit silbernem Griff.

»Nun seht ihr beide richtig wie ein Brautpaar aus!« jubelte Else, die immerfort mit ihrer Stiefmutter zu raunen hatte und emsig ab und zu lief.

»Heute müssen wir für das Essen sorgen, Ursula würde alles versalzen!«

Nach dem Mahle erhob sich Dr. Zorn, feierte in einer längeren Rede das Brautpaar und schloß mit der überraschenden Wendung, im Nebenzimmer sei alles vorbereitet, um sofort zur Eheschließung zu schreiten. Diakon Kahmann erwarte das Brautpaar, um seine Gelübde entgegenzunehmen.

»Ich bin bereit!« rief August.

Ursula sagte nichts. Sie ließ sich errötend den von Else bereitgehaltenen Rosenkranz auf das Goldhaar drücken. Von ihr und Frau Porst geführt ging sie in das nie wieder benutzte Zimmer der verstorbenen Frau Maria Zorn. August folgte ihr, von Dr. Zorn und dem Probst geleitet. Auf einem linnenbedeckten Tisch stand ein eisernes Kruzifix, davor lag eine große Bibel, aus prächtigen Silberleuchtern strahlten hohe Wachskerzen, ankämpfend gegen das Licht der Abendsonne.

Vor diesen Altar trat Kahmann, zur Seite in feierlicher Würde Küster Köhler von der Nicolaikirche. Auf der kleinen Gebetbank der Frau Zorn beugten die Verlobten das Knie.

Der Diakon hielt eine halbstündige Rede über das Thema: Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen (Gal. 6, 2).

Er beschwor den Bräutigam, seinem Weibe beim Tragen der ihr auferlegten Lasten eine Stütze zu sein. Der Schwergeprüften ständen vielleicht in Zukunft neue Lasten bevor.

In geschickter Anknüpfung stellte Kahmann die entscheidenden Fragen an das Brautpaar. Zur Antwort ertönte ein lautes »Ja« von August, ein nicht viel leiseres von Ursulas Lippen. Dem Ringewechsel folgte die Erklärung des Geistlichen, daß beide nunmehr ein rechtmäßig verbundenes Ehepaar seien. Nach dem Segen stimmten die Versammelten das »Nun danket alle Gott« an. Dann gingen sie, diesmal das junge Ehepaar an der Spitze, in das Eßzimmer zurück, um auf das Wohl des Paares anzustoßen. Auf besonderen Wunsch der jungen Frau nahmen die Angestellten des Hauses an diesem Ehrentrunk teil. Aber der konnte die ernste Stimmung nicht verscheuchen.

Auch ein unerwarteter Gast kam zum Glückwünschen: die Magd Kathi erschien mit Ursulas ersten, treulich aufbewahrten Lederschuhchen »für ihren Ältesten«. Errötend dankte Ursula der Magd, die neulich so kalt gegen sie gewesen und sich heute früh gar nicht gezeigt hatte.

»Det war allens de Schuld von de olle Schnüffler, den Lidecke! Der olle Kerl hat so ville Unsinn von de junge Herrn gequasselt.«

Sie erklärte sich jetzt auch bereit, den verschmähten Taler anzunehmen und bestand auf diesem, als ihr Schadebrot statt dessen einen Dukaten anbot. Das hatte dann zur Folge, daß sie beide Geldstücke behalten durfte. Sie entfernte sich endlich, mit einer Flasche Wein beschenkt, die sie mit Littow auf das Wohl der jungen Eheleute leeren sollte.

»Och, der olle Dussel sauft nur Schnaps,« meinte sie. Aber dieser Wink wurde nicht verstanden. Ursula war froh, als sie fort war.

Nach Entfernung der Frauen ein gemütlicher Abschiedstrunk der Männer. Dann erschien Frau Porst mit Else. Mit feierlicher Miene traten sie zu August: »Hier ist der Schlüssel zur Brautkammer,« sagte die Propstin. »Und hier,« fügte Else kichernd hinzu, »Ullas Strumpfband! Seid nur morgen früh auf! Ich bringe der jungen Frau den Strohkranz!« – Der junge Ehemann wurde zur Tür hinausgeschoben. – –

Am nächsten Vormittag saßen die Neuvermählten in ihrem Wohnzimmer. Ursula sah in ihrem leichten Morgenkleid entzückend aus. Die alte Susanne hatte ihnen zum Frühstück auf besondere Anordnung des Dr. Zorn Schokolade in rotbraunen Meißner Tassen gebracht, die vor Jahren Zorns ehemaliger Lehrling, Böttger, als erste Probe des von ihm erfundenen Porzellans seinem Meister verehrt hatte.

August zog sein junges Weib auf den Schoß. »Ich bin so namenlos glücklich, Ulla! Und du?«

»Ach, Liebster! Mehr als ich sagen kann! Als ich gestern nach dem abscheulichen Vormittag das Bad nahm, war es mir, als ob damit die traurige Vergangenheit von mir genommen würde, und ich nun frei aufatmen dürfte! Das ungebetene Erscheinen der Magd führte mir dann aber wieder alles Leid vor die Augen. – An die gute Frau Zorn mußte ich denken, als ich bei der Trauung neben dir kniete! Im selben Zimmer zerstörte sie einst das Paradies meiner sorglosen Kindheit. Aber sie führte mich mit treuen Händen in ein neues Leben. Doch gut, daß ich nun nicht mehr die Jungfer Heinrich bin«, lächelte sie glücklich.

»Und ich danke Gott, daß ich der erste, dem du dich geschenkt!«

»Was soll das heißen?« Ursula starrte ihn verständnislos an.

»Ach, Ulla! Ich hatte bis jetzt immer gefürchtet, daß du schon einem anderen angehört hättest!«

Mit einem wilden Aufschrei riß sie sich empor und stieß ihn zurück. »Das glaubtest du? Und konntest mich zu deinem Weibe machen? Das hätte ich von dir nie gedacht! Aber der Tochter meiner unglücklichen Mutter darf man ja alles bieten!« Schluchzend wandte sie ihm den Rücken.

August trat an die Weinende heran und zog die Widerstrebende an sich. Er strich ihr zärtlich über das weiche Haar. »Höre mich ruhig an, Ulla, mein Liebling! Glaubst du, daß ich dir meinen Namen gegeben, wenn ich dich nicht für das edelste, reinste Mädchen gehalten hätte – trotz des von mir vermuteten Fehltritts?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich verstehe dich gar nicht mehr«, weinte sie leise.

»Hast du nicht bemerkt, daß Hans Schrader dir vor einem Jahre in Freienwalde nachgelaufen ist und sich dann ganz plötzlich zurückgezogen hat?«

Sie sah auf. »Nun – und?«

»Weißt du den Grund davon?«

»Er wird eben gemerkt haben, daß ich nichts, gar nichts für ihn fühlte. Da wollte er sich eine Ablehnung ersparen.«

»Da kennst du ihn schlecht! Der hält sich für unwiderstehlich!«

»Der eitle Mensch!« Sie lächelte verächtlich. »Da hat er wohl nachträglich meine unglücklichen Familienverhältnisse erfahren?«

»Nein, Ulla, die kannte er genau, und doch wollte er dir auf einem Ausflug nach dem Baasee seine Hand antragen.«

»Er hat es ja nicht getan!«

»Er sah den Ring von Bartholdi – da kannst du es ihm nicht verdenken, wenn er sich zurückzog.«

»Was soll das?« Ihre Augen blitzten ihn drohend an.

»Liebling, der Ring ist ein Vermögen wert! Wann schenkt ein Minister, zumal ein so – – na, so ein feiner Frauenliebhaber wie Bartholdi, einem Mädchen, das um das Leben der Mutter bittet, einen noch dazu so kostbaren Ring?!«

»Weiter, weiter!«

»Schrader glaubte, du hättest deine jungfräuliche Ehre geopfert, um deine Mutter zu retten! Da lief er davon. Er fürchtete, dein Liebreiz könne ihn schwach machen!«

»Der Tor! Und das hast auch du von mir geglaubt? Du?«

»Ja, Ulla! Aber ich liebte dich seit dem ersten Wiedersehen so unsinnig! Da sagte ich mir nach entsetzlich schweren Kämpfen: Das arme Kind! Kaum fünfzehnjährig hat es seine Mutter retten wollen, der schlaue Lump, der Bartholdi, hatte da leichtes Spiel. Sie hat nur leiblich ihre Reinheit verloren, wie ein Mädchen, das einer Gewalttat zum Opfer fiel. In ihrer Seele und in ihrem ganzen Empfinden ist sie eine reine Jungfrau geblieben. Aber, Ursula, es hat mir doch entsetzlich schwere Kämpfe gekostet! Daß ich sie bestanden, kann dir beweisen, wie tief meine Liebe mir im Herzen lebt.«

»Gusti, mein Liebster! Ich glaube dir!« Sie schmiegte sich zärtlich in seine Arme. »Nun ist ja alles gut!«

»Ulla, niemals hätte ich von meinem Verdacht gesprochen, wenn ich nicht jetzt meinen schändlichen Irrtum eingesehen hätte!«

Sie küßten sich heiß und innig. Dann richtete sich Ursula entschlossen auf und sagte: »Liebster, so mag denn der letzte Schleier fallen! Schweige aber und mache niemals meiner Mutter einen Vorwurf!«

August drückte ihr die Hand. »Mein Wort darauf!«

»Ich glaube,« sagte sie langsam, »daß ich gar nicht von Heinrich abstamme. Ich bin wenig über sieben Monate nach der Hochzeit geboren, und ich habe nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihm, weder geistig noch leiblich.«

»Das kommt vor, Ulla! Wer soll denn sonst dein Vater sein?«

»Ich glaube ganz sicher,« fiel es von ihren Lippen, »es ist der Minister Bartholdi.«

Er sprang auf. »Bartholdi!«

»Ja. Sieh, ich bin meiner Mutter wie aus den Augen geschnitten. Und als ich zu Bartholdi kam, schrak er bei meinem Anblick zusammen und redete ganz verwirrtes Zeug. Er nannte mich dann »Du« und »liebes Kind«. Er küßte mich auf die Stirn, ließ sich von mir eine Locke schenken. Eine gleiche wollte er von einer unvergessenen Freundin einst erhalten haben. Schließlich gab er mir den Ring; ich ahnte seine Kostbarkeit nicht.«

»Du meinst, daß deine Mutter – vor ihrer Hochzeit – – –«

»Ja, Gusti! Als er mich sah und mich so genau ausfragte, erkannte er, daß ich seine Tochter war. Mit dem kostbaren Ring wollte er wohl meine Zukunft sicherstellen. Sonst konnte er ja nichts für mich tun.«

»Ulla! Das erklärt ja alles!«

»Ich zweifle gar nicht daran. Ich hatte gleich ein Vertrauen zu ihm, trotz seiner wunderlichen Reden, wie ich es dem Heinrich gegenüber nie empfunden. Ich hoffe, nächstens meine Mutter wiederzusehen und von ihr alles zu erfahren.«

»Wie hieß der Minister mit Vornamen?«

»Christian.«

Er nahm sie in seine Arme. »Der älteste Sohn, den du mir schenkst, soll nach seinem Großvater »Christian« heißen, Freifräulein von Bartholdi!«

»Ich danke dir,« flüsterte sie. »Dafür sollst du seinen Ring tragen. Ich schenke ihn dir. So habe ich doch schon jetzt etwas zu verschenken.«

»Liebling, du hast mir unendlich viel besseres geschenkt! Und ewig bleibe ich in deiner Schuld!«

Die junge Frau errötete und steckte Bartholdis Ring an den Finger des Gatten.

In diesem Augenblick stürmte nach kurzem Anpochen Else in das Zimmer und setzte jauchzend auf das blonde Lockenhaar der Freundin den von ihr gefertigten Strohkranz. »Sorgt beide dafür, daß ich auch bald einen aufgesetzt bekomme!«

»Soll geschehen!« riefen die jungen Eheleute fröhlich.

*

Das taten denn beide mit redlichem Bemühen. Schrader war von seinem Verdacht gegen Ursula seit ihrer Vermählung geheilt. Er verkehrte gern bei dem jungen Paar, das dann regelmäßig die verliebte Else aus der benachbarten Probstei kommen ließ. Aber Schrader ging auf die schüchternen, manchmal auch deutlichen Annäherungsversuche der Kleinen nicht ein. Auch der Scharfsinn Ursulas, hier eine Ehe stiften zu wollen, versagte.

Einmal ließ er durchblicken, daß ihm die Anbetung Elses lästig falle. Da rief Ursula neckend: »Das ist Eure Schuld! Ihr habt sie mit Euren Morsellen verzaubert! Es muß ein Liebeszauber in den Dingern gewesen sein, denn seitdem ist sie blind in Euch vernarrt!«

Schrader wurde sehr nachdenklich. »Die Morsellen waren für Euch bestimmt. Ich hatte ihnen einen Tropfen von meinem Blute beigemischt – und die hat Else gegessen?«

»Um Gottes willen! Steht nicht Feuertod auf Zauberei?«

Er stutzte. »Ihr habt recht. Redet nicht weiter davon.«

Ursula meinte, er könne den angerichteten Schaden nur wiedergutmachen, wenn er Else heirate.

Schrader verbeugte sich verlegen; ihm lebe im Herzen die Erinnerung an eine andere, unvergeßliche.

Sie schüttelte unwillig den Kopf. »Die wird bald verblassen. Lernt nur die liebe Else erst näher kennen!«

»Wenn sie ihre Neigung nicht so deutlich zeigen wollte. Bis zur Hochzeit soll sich ein junges Mädchen keusch zurückhalten.«

»Gewiß. Aber Ihr tragt mit Eurem Liebeszauber allein die Schuld! Nehmt sie, oder fürchtet den Scheiterhaufen!« Sie drohte ihm lächelnd mit dem Finger.

Er versprach ihr, sich die Sache durch den Kopf gehenzulassen; sie dürfe ihn aber nicht drängen.

»Ihr habt das gute Mädchen gar nicht verdient!« lachte Ursula.

Einige Tage später überreichte Schadebrot seiner Frau eine Elfenbeindose »zum Dank für Bartholdis Ring.« Beim Öffnen strahlte ihr ein köstliches Armband entgegen, mit funkelnden Brillanten besetzt.

»O, wie herrlich! Dank, tausend Dank!«

»Sieh dir auch die Dose an. Ihr Erwerb war mir schwierig genug!«

Da gewahrte sie auf dem Deckel das Brustbild eines jungen Kavaliers in silberschimmernder Tracht, mit mächtiger Perücke. Dunkelblaue Augen strahlten aus dem edelgeschnittenen Gesicht mit dem tiefen Grübchen am Kinn.

Verwundert sah sie auf August.

»Erkennst du ihn nicht? Es ist der Minister von Bartholdi! Das Bild ist vor etwa zwanzig Jahren gemalt. Ich habe es von seinem alten Kammerdiener Jean Meunier für Geld und gute Worte erworben.«

»Ich habe ihn nicht so wie hier in der Erinnerung.«

»Das glaube ich wohl. So sah er aus, als er deine Mutter kennenlernte. Sie wird ihn erkennen. Die blauen Augen und das Grübchen am Kinn hast du von ihm geerbt.«

Mit Tränen dankte sie dem Gatten.

»Ich denke jetzt viel milder über deine Mutter. Als einfaches Bürgermädchen war sie den Verführungskünsten eines so glänzenden Kavaliers nicht gewachsen.«

Das strahlende Armband war vergessen. Wieder und wieder versenkte sich Ursula in die Züge des Mannes, dem sie ihr Dasein verdankte.


 << zurück weiter >>