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IV.

Im Sommer empfahl der Dr. Zorn seiner Schwägerin einen Landaufenthalt zur Kräftigung ihrer schwachen Gesundheit; der kleinen Elisabeth würde eine Eisenkur gegen ihre Blutarmut gut tun. Auf seinen Rat wurde beschlossen, daß beide nach Freienwalde gehen sollten und daß Ursula sie begleiten würde. Sie sollte fern von Berlin sein, wo ihre Mutter jetzt niederkommen und den ungewissen Ausgang ihres Prozesses abwarten mußte. Frau Heinrich selbst hatte bei einem Besuch ihrer geliebten Tochter diese gebeten, sich ja keine Sorge um sie zu machen, da sie bestimmt hoffe, nächstens freizukommen. So sah Ursula wieder ein wenig froher in die Zukunft.

Der Hofmedikus Gohl, der den vom König seit Jahren regelmäßig besuchten Freienwalder Brunnen ärztlich leitete und während der Badezeit dort wohnte, vermittelte den drei Reisenden zwei Zimmerchen in einer Wassermühle unweit des Brunnens; aber erst vom l. August ab, da bis dahin keine Wohnung im vielbesuchten Bade zu haben war. Medikus Zorn war überzeugt, daß der Arzt einer inneren Krankheit gegenüber ziemlich hilflos dastehe; es müsse also durch eine verständige Diät dem Entstehen von Krankheiten vorgebeugt werden. So war er ein Todfeind der immer mehr in Gebrauch kommenden Getränke: Kaffee, Tee und Schokolade, da sie das Blut erhitzten. Der Erfolg der Freienwalder Kur schien ihm rechtzugeben, denn Honig, Milch, Eier, Butter in Verbindung mit der reinen Luft der Tannen- und Buchenwälder, vielleicht auch der nach Tinte schmeckende Brunnen, den Gohl allen Heilwässern der Welt vorzog, kräftigten in etwas Frau Zorns schwache Gesundheit und schufen aus der siechen Elisabeth ein prächtig aufblühendes Kind. Gohl nahm diesen Fall in die Liste der von ihm beglaubigten und veröffentlichten Kurerfolge auf. Ursula hatte eine Kur nicht nötig, aber das Streifen im Orte und in der lieblichen Umgebung taten auch bei ihr Wunder. Hier die Brunnenanlagen mit dem zierlichen königlichen Schlosse, in Renaissanceformen nach Schlüters Rissen, das stattliche Logierhaus hinter einer Reihe himmelragender düsterer Tannen, dort die ihr unendlich hoch erscheinenden Berge, mit Buchen bestanden, – alles dem Stadtkinde, das nie aus Berlin gekommen, etwas Neues, Herrliches, Ungeahntes. Als dann Frau Zorn und Elisabeth gekräftigter waren, wurden weitere Ausflüge in die Umgebung gemacht, die stille Frau war dabei sorglich bemüht, jedem Verkehr auszuweichen. Selbst mit Frau Kastellan Runck, die mit ihrer jüngeren Schwester Margaret Müsset, der Freundin Ursulas, noch eine Woche gleichzeitig mit Zorns hier weilte, kam es nur einmal zu einer kurzen und kalten Begrüßung. Die beiden Mädchen, sonst so eng befreundet, gingen sich offenbar aus dem Wege.

Eines Sonnabends erschien auch, mit Jubel begrüßt, der alte Zorn, der, am Morgen mit der königlichen Post von Berlin abgefahren, über Alt-Landsberg und Strausberg eine ungewöhnlich schnelle Reise gemacht hatte. Am nächsten Morgen besuchte er mit seinen drei Weiberchen – wie er es ausdrückte – den Gottesdienst in der Nicolaikirche des Städtchens. Auf dem Rückwege bemerkte er zu seiner Frau, daß er jetzt endlich Nachricht von seinem Neffen, dem August, aus Meißen erhalten habe. Er fühle sich als Provisor in der Apotheke von Schlosser dort ganz wohl, aber sein Vater habe gleich nach seiner Ankunft wegen einer Schuld von 100 Talern vor der Exekution gestanden. Im letzten Augenblick sei aber noch unerwartete Hilfe gekommen; August werde jetzt dafür sorgen, daß so etwas nicht wieder vorkomme.

»Da ist ja der Bock zum Gärtner bestellt!« bemerkte Frau Zorn. Aber ihr Gatte erwiderte:

»Du kannst es immer noch nicht vergessen, daß er einmal leichtsinnig Schulden gemacht hat; er ist aber doch im letzten Jahre männlicher und gesetzter geworden.« Neckisch wandte er sich zu Ursula: »Und schenkt auch nicht mehr jungen Mamsells Lederzucker!«

Auf Lederzucker schien aber das reizende junge Mädchen, das sich seit dem letzten Halbjahr aus dem hübschen Kinde entwickelt hatte, keinen Wert mehr zu legen. Auch geistig war sie seitdem gereift. Sie hatte von Zorn erfahren, daß ihre Mutter gesund, aber eine kleine Schwester bald nach der Geburt gestorben sei; der Prozeß werde nun wohl endlich zu Ende kommen. Das hatte sie mit ernster Befriedigung erfüllt.

»Ist es Sünde, daß ich mich über den Tod der kleinen Schwester nicht betrüben kann?« fragte sie Frau Zorn.

»Nein, das war Gottes Wille, und bei ihm ist der kleine Engel am treuesten aufgehoben. Er kann auch für deine Mutter und dich beten.«

Als Zorn dann einige Tage später, zu Ende des September, seine Angehörigen mit Erikakränzen und Sträußen beladen nach Berlin zurückführte, ahnten weder Ursula noch das Ehepaar, welche furchtbaren Ereignisse ihnen das nächste Halbjahr bringen werde. Frau Zorn pflückte wehmütig beim Verlassen der freundlichen Mühle die letzte, schon halb entblätterte weiße Rose am Gartenzaun zur Erinnerung. Dabei flüsterte sie:

»Es war zu schön, was kommt nun hernach?«

*

Der Blitz nach den schönen Tagen zuckte bald und traf Ursulas Mutter. Gegen 11 Uhr abends am 23. Oktober waren in den Kellergelassen des Rathauses, in denen im Mai Briesemann so scharf und so erfolglos gefoltert worden war, Helwig, Contius, Diakon Kahmann und Scharfrichter Stoff und Sohn versammelt. Sie erwarteten die Witwe aus dem Kalandshof zur heutigen Folterung. Der junge Stoff schien die Kanne Wein, die dem Scharfrichter dafür nach altem Brauch zustand, von seinem Vater abgetreten erhalten und schon im voraus geleert zu haben. Er sah noch viehischer als gewöhnlich aus und machte keinen ganz nüchternen Eindruck.

»Meister Stoff, Seinen Sohn schicke Er nach Hause! Er genügt heute allein.«

»Ick bin zu alt, Herr Stadtrichter.«

»Daumschrauben wird Er noch ansetzen können, und nach dem Urteil soll die Gesundheit der Angeklagten geschont werden.«

»Ick weeß, aber wenn mein Sohn mit sein Gesichte den Sünder anstarrt, und der seine riesigen Tatzen sieht, dann kommt es oft überhaupt zu keener Folter.«

»Dann mag Er als Schreckmittel dableiben, aber hüte Er sich, sie zu berühren!«

»Warum denn?« stotterte der unflätige Geselle.

»Weil der Scharfrichter Schlegel in Potsdam beim Hausvogt angezeigt hat, daß Er in Strausberg, wo Er gelernt, Abdeckerei getrieben. Da würde Er die Angeklagte unehrlich machen. Der Hausvogt hat uns dies dienstlich mitgeteilt.«

»Das ist eine hundsverdammte Lüge!« brüllte der Riese, »ick schlage den verdammten Hund, den Schlegel, alle Knochen entzwei! Der gönnt mir nur nich die Nachfolge in die Berliner Stelle. Ick habe nie ein Luder angefaßt!«

»Das glaube ich Ihm schon, aber die Anzeige liegt einmal vor. Heute läßt Er seine Hände davon!«

»Denn gehe ick, Zugucken macht mir keenen Spaß, denn kann Vater alleene seine Künste versuchen.«

»Geh Er in Gottes Namen, ich werde die Potsdamer Anzeige untersuchen.«

Der gräßliche Lümmel wurde herausgelassen und ging, um seinen Rausch auszuschlafen – oder zu verstärken.

Nun bat Helwig den Geistlichen, er möge mit freundlichem Zureden ein Geständnis der Angeklagten erzielen und ihr und ihm die scheußliche Folterung eines Weibes der besseren Stände ersparen. Es komme darauf an, ob sie etwa außer mit Briesemann noch mit anderen Ehebruch getrieben, da unter diesen vielleicht der Mörder zu finden sei, oder ob sie sonst irgend jemand zum Morde angestiftet habe.

»Herr Stadtrichter, sie hat den Gesellen angestiftet, und der hat den Meister ermordet!«

»Das ist Eure Meinung, aber das Gericht muß darüber die Angeklagte selbst hören. Ihr wißt außerdem, daß Briesemann trotz scharfer Folterung den Mord bestritten und nur ziemlich belanglose Redensarten der Frau angegeben hat.«

»Ja, das Herz des Sünders war vom Teufel verhärtet, und geschieht dies, so hilft weder der gütige Zuspruch des Dieners am Worte, noch die schärfste Peinigung.«

»Erspart uns die und redet ihr ins Gewissen!«

In diesem Augenblick führten ein stämmiger Gerichtsdiener und seine handfeste Frau eine stattliche Person mit tiefverschleiertem Gesicht in das Zimmer. Helwig befahl dem Dienerpaar im Nebenzimmer zu bleiben, in spätestens einer Stunde würden sie mit der Angeklagten nach dem Kalandshof zurückkehren können. Er forderte nun die Witwe auf, Schleier und Mantel abzulegen und sich zu setzen. Dann nahm er eine Sanduhr und kippte sie um. Die jetzt rinnenden Körner hörte man in dem entstandenen Todesschweigen. Nun legte Helwig in ernster und doch freundlicher Weise der Angeklagten die im Urteil angegebenen Fragen vor. Sie verneinte alles, worauf er sie bat, doch die Wahrheit zu gestehen, um sich nicht der Marter der Folterung zu unterwerfen. Da hielt sich Kahmann nicht länger:

»Geht, Herr Stadtrichter, mit Euren Daumschrauben und sonstigen Qualen, die Ihr dem Leibe auferlegen wollt. Die dauern nur kurze Zeit! Aber ewig wird die Sünderin im Höllenfeuer die undenkbarsten Martern erdulden, wenn sie nicht reumütig ihr Teufelswerk bekennt, dankbar die irdische Strafe dafür duldet und vorher Gott und Menschen mit Ächzen und Tränen um Vergebung bittet!«

»Frau Heinrich, Ihr habt den freundlichen Zuspruch von Hochwürden gehört, was habt Ihr zu bekennen?«

»Freundlichen Zuspruch? So nennt Ihr die Drohung ewiger Höllenpein für eine Unschuldige?!«

»Ehebrecherin, du lästerst!« donnerte Kahmann, »nichtswürdiges, verfluchtes Buhlstück, verstockt wie dein hündischer Genosse, gestehe deine Sünden!«

»Den Ehebruch habe ich gestanden.«

»Gestehe jetzt, mit wem du sonst noch Ehebruch getrieben, und wie durch deine Höllentücke der gute Meister gemordet ist!«

»Ich habe nur mit Briesemann die Ehe gebrochen.«

»Elende, du lügst! Ich weiß es und will es beschwören, daß du noch mit anderen schnöde Sinnenlust getrieben, und daß du Rat zur Ermordung gegeben hast!«

»Hochwürden, woher wißt Ihr das?«

»Schändliche! Wer ein Gebot übertritt, ist in des Teufels Banden und übertritt dann auch die anderen!«

»Dann klage ich Euch des Mordes an Heinrich an,« schrie die Gepeinigte, mit flammenden Augen vom Sitze aufspringend. »Denn Ihr habt falsch Zeugnis wider mich geredet, also gegen das achte Gebot gesündigt! Dann kann Euch der Teufel ebenso gut in die Sünde des fünften gelockt haben!«

Kahmann starrte sie entsetzt an, aber Groll, Zorn und menschliche Stimme zum Ausdruckgeben dieser Empfindungen haben ihre Grenzen. Man hörte nur das eintönige Rieseln der Körner der Sanduhr. Dann sagte Kahmann zum Stadtrichter, Atem schöpfend:

»Ich kann nicht mehr. Entlaßt mich!«

Helwig meinte, daß dem nichts entgegenstehe. Er führte ihn zur Tür hinaus und flüsterte ihm zu:

»Ihr habt uns übrigens arg geschädigt! Ihr durftet ihr nun und nimmer sagen, daß Briesemann verstockt geblieben ist. Ich hatte es Euch noch ausdrücklich verboten!«

»Leider riß mich die Erregung hin. Nun tröstet Euch, Eurer Folter wird sie wohl widerstehen, da mein Zuspruch bei ihr nichts gefruchtet. Aber der Herr, der gesagt: »Die Rache ist mein«, wird seiner Zeit ihre Sünde aufdecken und sie strafen!«

Helwig kehrte von der Tür zurück und wandte sich an die Angeklagte, ihr nochmals zum Geständnis zuredend. Als sie schwieg, befahl er dem alten Stoff, ihr die Folterwerkzeuge genau zu zeigen und zu erklären. Stoff tat dies auch, bei jedem einzelnen Stück die treffliche Wirkung zur Schmerzerzeugung mit beredtem Munde hervorhebend. Aber der von ihm hervorgerufene Eindruck bei der schönen Sünderin war kein erheblicher. Sie zuckte nur einmal zusammen, als Stoff sie heftig am Arm packte. Auch die Wirkungen der Leiter hob er grinsend hervor; doch das Gesicht des Alten, das im Gegensatz zu dem seines Sohnes nur den Ausdruck greisenhafter Verblödung trug, schwächte den Eindruck seiner Rede.

»Frau Heinrich, ich habe alles versucht, Euch die peinliche Frage zu ersparen,« sagte Helwig, »Ihr wollt es nicht anders, entkleidet Euch also. Seid Ihr hinten zugeschnürt, so rufe ich die Frau des Dieners, die Euch helfen kann.«

»Ich danke, Herr Stadtrichter, ich werde schon allein fertig.«

Nach kurzer Zeit stand die Angeklagte in dem gegen die Herbstkühle wohl durchwärmten Kellerraum entkleidet vor den drei Männern. Vom düstern Fackellicht bald grell beleuchtet, bald in halbe Dunkelheit gehüllt, verlegen und doch des Eindrucks ihrer blendenden Schönheit bewußt. Helwig erhob sich.

»Setzt Euch dort auf den Folterstuhl.«

Er wies ihr die ungefüge, plumpe Sitzgelegenheit mit einer Handbewegung an. Nicht anders hätte er eine Dame der Gesellschaft zum Einnehmen des Stuhls vor dem Spinett einladen können.

»Stoff, lege Er der Angeklagten die Daumschrauben an, aber schädige Er dabei nicht ihre Gesundheit!«

»Na, jesund sind die infamen Dinger nicht.«

Ein Stöhnen klang durch den Raum.

»Angeklagte! Ihr bleibt dabei, daß Ihr außer mit Eurem Mann nur mit Briesemann verkehrt habt?«

»Nein, ich habe noch mit einem andern verkehrt.«

Erstaunt blickte Helwig auf.

»Ihr habt das doch immer bestritten!«

»Nein, Herr Stadtrichter. Ich bin immer nur gefragt, ob ich außer mit Briesemann mit jemand die Ehe gebrochen. Das konnte ich bestreiten.«

»Ah, so – Stoff, lasse Er seine verfluchte Schrauberei – Ihr meint, Ihr wäret nicht als Jungfrau in die Ehe getreten?«

»Ja. Ich habe mich etwa sechs Wochen vor der Hochzeit einem Manne hingegeben, der mich auch zur Mutter meiner Ursula gemacht hat.«

»Da gebt einmal Genaueres an!«

»Ich weiß nichts mehr.«

Wieder hörte man das Knirschen der hin und wieder zugeschobenen Daumschrauben. Dann das Anlegen der Beinschienen; dies nur andeutungsweise nach Anleitung des Frankfurter Urteils. Es ergab sich aber nur, daß sie zur angegebenen Zeit von einem Offizier in dessen Gartenwohnung vor dem Spandauer Tor geführt sei und dort bei ihm übernachtet habe. Er sei am nächsten Tage abgereist, sie habe nie wieder etwas von ihm gehört, kenne weder seinen Namen, noch sein Regiment. Ihr Mann habe ihren Fehltritt nie erfahren und Ursula als seine älteste Tochter betrachtet. Sie habe ihm stets die Treue bewahrt bis zur Bekanntschaft mit Briesemann. Schließlich ergab sich noch, daß der Offizier sehr schön und wohl von der französischen Kolonie gewesen sei. Helwig hatte den Eindruck, als ob ihm wirklich zu diesem Punkte nichts verschwiegen würde. Die im Zusammenhang damit stehenden Fragen zu 4-11, ob sie einen Liebhaber zum Morde Heinrichs angestiftet, verneinte sie.

»Die Uhr ist abgelaufen!« rief Contius. Man merkte es ihm und Helwig an, daß mit dem letzten Sandkorn ihnen ein Stein vom Herzen gefallen war.

»Stoff, nun lege Er der Frau seine Salbe auf. Die Wärterin soll hereinkommen und ihr beim Anziehen helfen. Dann zurück mit ihr in den Kalandshof.«

Die Angeklagte sagte beim Abgehen zu Helwig mit leiser Stimme:

»Ich danke Euch von Herzen für die menschliche Behandlung. Kahmann sollte sich an Euch eine Lehre nehmen. Seid überzeugt, daß ich Euch nichts verschwiegen und die reine Wahrheit gesagt habe.«

»Nun Gott befohlen! Hoffentlich kommt Eure Sache doch nun endlich zum Schluß!«

Helwig meinte zu Contius nach dem Fortgang der übrigen:

»Leutnant und Franzose – also erprobt im Liebeskampfe wie ihr Louis quatorze, oder besser noch Henri quatre. Dazu ein hübsches Bürgermädchen, das sich gern besiegen läßt, da es weiß, daß ein anderer die Kriegskosten zu bezahlen haben wird! Der verfluchte Leutnant!«

»Gott weiß, Herr Stadtrichter, auf welchem Winkel in Europa der jetzt der fröhlichen Urständ entgegenharrt! Die Frau sieht übrigens heute noch recht gut aus!«

»Contius, da hat Er gar nicht hinzusehen! Na, das werde ich Seiner Frau sagen!« »Aber er hat recht,« setzte er leise hinzu.

Einige Tage später hatte Helwig im Kalandshof die Urgicht aufgenommen. Die Akten sandte er zur weiteren Veranlassung an das Stadtgericht ein. Senning saß wieder vor. Halb ärgerlich, halb befriedigt stellte er fest, daß die Sache ganz wie er es vorausgesagt, verlaufen. Dann wurde abgestimmt, was nun zu geschehen. Didde und noch ein Beisitzer wollten die beiden Angeklagten jetzt freisprechen. Die beiden anderen waren dafür, die Akten nochmals nach Frankfurt zu schicken, um den dortigen Juristen die Verantwortung für die auch nach ihrer Meinung unvermeidliche Freisprechung zuzuschieben. Senning schloß sich keiner der beiden Ansichten an. Er wollte noch jetzt das Todesurteil gegen beide erlassen, aber er fand den lebhaften Widerspruch aller.

»Das wäre vor der Folterung gegangen, jetzt ist es unmöglich!«

»Dann Fakultäts-Befragung,« meinte er, »aber nie wieder der Frankfurter! Darüber waren wir ja schon neulich einig. Senden wir die Akten nach Halle; die dortigen »Thomasbrüder« haben vielleicht als ewige Benörgler der Folter einen rettenden Gedanken. Aber die Leute sollen sich beeilen, sonst sterben uns noch die Angeklagten vorher an Altersschwäche!«

Man stimmte ihm schließlich bei. Die um etwa 200 Folien vermehrten Akten wurden mit der Bitte um möglichste Beschleunigung an die Hallenser Fakultät gesandt. Mit einem Gutachten vom November 1710 – genauer war das Datum nicht angegeben – kamen sie zurück. Die Hallenser schlugen lebenslänglichen Festungsbau gegen Briesemann und lebenslängliche Einsperrung in einem Spinnhause gegen die Ehefrau vor. Sie nahmen auf Grund der Geständnisse den Ehebruch für erwiesen an und ebenso, daß beide den Tod des Heinrich zwar nicht veranlaßt, wohl aber doch gern gesehen hätten. Hierauf sei Rücksicht zu nehmen und deshalb die Strafe wegen des Ehebruchs – wie geschehen – bemessen worden. Irgendwelche Gesetzesstellen waren in dem kurzen Gutachten nicht angegeben.

Als im Dezember, kurz vor Eintritt in die Gerichtsferien, dieses Gutachten in der Sitzung besprochen wurde, waren alle mit dem Ergebnis ganz einverstanden. Teils, weil die Angeklagten am Leben blieben und man wohl wußte, daß derartig lebenslänglich Verurteilte doch über kurz oder lang bei guter Führung begnadigt wurden; teils – das betonte namentlich Senning – weil die Halunken doch gestraft und nicht mit blauem Auge davonkämen. Da es sich um lebenslängliche Strafen handelte, wurde die Sache zur Bestätigung an das Kriminal-Kolleg geschickt.

»Das hätten wir auch früher haben können!«

»Nein, das ging nicht, Herr Kammergerichtsrat,« meinte Didde, »weder auf Mord, noch auf Ehebruch steht lebenslängliches Gefängnis.«

»Richtig, Kollege; na, warten wir ab, wie sich das hochpreisliche Kriminal-Kolleg mit der abscheulichen Sache abfinden wird. – Habt ihr Herren übrigens in letzter Zeit mit Helwig gesprochen? Der ist ja immer noch ganz entzückt von der schönen Sünderin!«

»Ja, Herr Kammergerichtsrat! Der hat sie bei der Folter sicher nicht allzu streng anfassen lassen.«

»Kollege,« sagte Stadtrichter Wippermann, »das gebot ihm das Frankfurter Urteil. Außerdem ist es für einen ehrlichen Mann immer etwas Ekelhaftes, schwache Weiber foltern zu lassen.«

»Dann kämen ja alle Hexen los, denn gestehen tut das Gelichter immer nur auf der Folter!«

»Ja die, Kollege Didde, die müssen gefoltert werden. Ich sprach nur von den anderen Frauen.«

»Der Kollege meint die hübschen und jungen,« lachte Senning. »Nein, meine Herren, ich möchte auch keine Hexen foltern. Mag sich dann auch in irgendeinem kleinen Neste ungestraft die Butter in Dreck verwandeln, oder sich eine schlecht gepflegte Kuh verkalben. Doch das geht uns heute, Gott sei Dank, nichts an. – Kennen die Herren zufällig die Geschichte von der Phryne?«

Wippermann nahm für die Anwesenden das Wort:

»O, Herr Kammergerichtsrat, wir sind Schüler des Grauen Klosters hier, da lernt man das klassische Altertum kennen! Der alte Konrektor Rodigast hat an die Geschichte die Lehre geknüpft, die Richter sollten sich auch durch die blendendste Schönheit eines Weibes nicht bestechen lassen. Das ist aber eine pedantische Schulmeisterei, denn ein vollendet schöner Leib beherbergt keine verderbte Seele.«

Senning lachte: »Nun aber zur nächsten Sache. Die ist auch abgelagert genug.«

»Doch noch nicht,« meinte der Referent, »gestern ist ein neuer Schriftsatz des Beklagten mit neuen Einwendungen zu den Akten gebracht. Kläger will sich darauf binnen vier Wochen schriftlich erklären.«

»Na, dann Schluß, meine Herren,« sagte Senning. »Wir sind ja heute gnädig genug davongekommen!«


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