Josef Hofmiller
Franzosen
Josef Hofmiller

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Nachwort

In der »blauen Reihe«, die der Verlag Albert Langen als »Bücher der Bildung« herausgab, erschien 1928 die Essaysammlung »Franzosen«. Das Buch war längere Zeit vergriffen; wir fügen es nun als Band IV den Schriften Josef Hofmillers ein. Der erste Teil bringt statt des Maeterlinck und Galiani, welche wieder in die »Versuche« von 1909 (Band I) eingereiht wurden, den »Voltaire«, der zweite die »Bemerkungen zur französischen Literatur« und deren Ergänzungen. Der Aufsatz »Einige Bemerkungen zur französischen Literatur« (»Oberdeutschland«, Dezember 1921) wurde von Hofmiller fast völlig im Wortlaut in den »Molière« übernommen.

Aus dem »Anhang« des Erstdrucks der »Franzosen«, den Hofmiller für eine um Bildung bemühte Leserschaft, nicht für Gelehrte, angefügt hatte, nahm ich das Wesentliche als Fußnoten in den Haupttext.

Die »Bemerkungen«, zwei Jahre nach Kriegsschluß in den »Süddeutschen Monatsheften« veröffentlicht, zeigen in dem vorliegenden Bande eine etwas veränderte Gestalt: Hofmiller hat diese Texte wohl zu der Zeit, als er an den »Franzosen« schrieb, überarbeitet, vor allem die Reihenfolge der Aphorismen mehr nach literarhistorischen Gesichtspunkten gestaltet. Alle Absätze über Molière, Voltaire und Flaubert schied er aus, da diese Autoren inzwischen in größeren Zusammenhängen zu Wort gekommen waren. Stilistisch sind einzelne Stellen von seiner Hand verbessert, manche gekürzt, manche erweitert worden. Aus dem Nachlaß konnte ich noch wertvolles Material ergänzen, in dem sich, wie in den »Bemerkungen«, seine Ergebnisse: Entlarvung des »Grand siècle« – Bankrott der Aufklärung – Bedingtheit der französischen Literatur – unter eingehender wissenschaftlicher Beweisführung aus der Entwicklungsgeschichte der Sprache, der Psychologie und der gesamten Kultur widerspiegeln.

»Durch die Tätigkeit des Abschreibens und Ordnens der Notizen für den Druck«, hatte Hofmiller in dem Aufsatz »Die Relativität der französischen Literatur« ausgeführt, »war mir die Frage nach dem absoluten und relativen Werte von Literaturen, der französischen im besonderen, in eine Bewegung gekommen, die heute noch nicht zur Ruhe gelangt ist.« Während der zwölf Jahre, die Hofmiller nach der Veröffentlichung der »Bemerkungen« noch mit diesen Problemen beschäftigt war, sind seine Standpunkte immer eindeutiger geworden. Wie oft, wenn das Gespräch auf das Werden der Sprache und Literatur der Völker kam und er zum Vergleich mit dem Deutschen das Französische und Englische anzog, sagte er: Eigentlich bin ich Neuphilologe aus Irrtum. Erzählt er auch in einem Briefe (13. 10. 25): »Ich gebe vergnügt meinen französischen, englischen und italienischen Unterricht und habe meinen Beruf so gern, daß ich, käme ich je wieder auf die Welt, wieder Neuphilologe würde«,Briefe an Dr. Max Rychner (Inneres Reich, März 1936). Vgl. auch Band 5 der »Gesammelten Schriften«. so klingt es fast wehmütig, wenn er, in dem gleichen Briefwechsel, am 4. 2. 28 bekennt: »Ich las sehr viel Englisch, Chesterton, Deeping, Shaw, werde mir jetzt Thomas Hardy vornehmen, es ist ja schließlich mein Metier. Aber eigentlich läse ich doch lieber Homer und Sophokles«. In seinen Notizen, an einer Stelle, wo er Lektüre verzeichnete, steht: »Reue über nicht Gelesenes: Engländer – Shakespeare! Dickens!«

Sein Bekenntnis zur griechischen Antike und zum Germanischen wurde von Jahr zu Jahr bestimmter, er entwickelte sich immer näher zum »Altphilologen«, zum »Germanisten«; der Ton der kritischen Schriften jener Zeit beweist: die Wandlung war mit den »Bemerkungen« schon vollzogen – dank dem europäischen Standpunkte, den Josef Hofmiller auf Grund seines umfassenden Wissens und reicher Erfahrung mit den größten Deutschen teilt, konnte seine Entwicklung keine andere Wendung nehmen. »Die Parallelen durchzudenken«, heißt es an einer Stelle dieses polemischen Werkes, »bringt Aufschluß um Aufschluß. Nur die vergleichende Weltliteratur liefert Erkenntnisse; nicht nur Geschichte der Literatur, sondern auch der übrigen Künste. Nichts ist isoliert. Alles hat Analogien, nur Analogien erklären.«

Es mutet heute merkwürdig an zu sehen, daß Hofmillers Erkenntnisse seiner »nationalistischen« Überzeugung wegen angefochten wurden. In seiner Rechtfertigung kommt er denn auch zu dem bitteren Schlusse: »Die Deutschen sind niedlich: sie haben von den Franzosen das Wort nationaliste entlehnt, um es als Schimpfwort gegen Landsleute zu verwenden... Man empört sich über meine »nationalistischen« Ketzereien, schweigt gleichzeitig tot, was ich über die römische Literatur, unterschlägt, was ich über die englische sage und den russischen Roman«. Als nationalistisch empfunden zu werden, meint er im gleichen Zusammenhang, könnte allerdings nur in Deutschland vorkommen. »Wie gut die französische Gesellschaft ist, in der ich mich mit meinen Ketzereien über die französische Literatur befinde, davon haben meine deutschen Kritiker keine Ahnung.« Hatte Hofmiller in der Erstausgabe der »Bemerkungen« als Gewährsmänner für seine Behauptungen häufig die deutschen Klassiker aufgerufen, so strich er in der Umarbeitung fast alle diese Zitate; er zog es vor, sich allein auf seine Beweise zu stützen, wenn schon die deutschen Kritiker über die Erzworte ihrer großen Dichter hinweggehört hatten. In der gleichen Absicht sind wahrscheinlich die meisten Sätze französischer Autoren weggeblieben, die sich in seiner Materialsammlung im französischen Wortlaut gefunden haben.

In einer Fußnote des Aufsatzes: »Die Relativität der französischen Literatur« heißt es: »Ich gedenke das Geschwätz über meine nationalistische Feindseligkeit gegen die französische Literatur am zweckmäßigsten durch die Tat zu widerlegen.« Auch diese Fußnote erschien ihm in der Überarbeitung überflüssig: hatte er den Beweis der Tat nicht bereits vielfältig erbracht? Wenn je ein Deutscher ein wahres, warmes und gründliches Verhältnis zur französischen Literatur gehabt hat – zählte nicht er in vorderster Reihe zu diesen Deutschen? Welche Literatur hat ihn jahrzehntelang, neben der deutschen, so im Banne gehalten wie die französische? Über den Einfluß der Brüder Goncourt auf sein »Revolutionstagebuch 1918/19«, über den tief reichenden des Kulturkritikers Taine auf sein eigenes Werden müßten sich meisterliche Doktorarbeiten schreiben lassen; seine Verdeutschung der »Manon Lescaut« und des »Onkel Benjamin«, seine Sammlung französischer Volkslieder (»Chansons d'Amour«), die noch ungedruckte Sammlung »Balladen«, und nicht zuletzt das vorliegende Buch, in welchem er jeden Standpunkt »auf Herz und Nieren« prüft, sind Zeugnisse seines innigen Anteils an dem Kunstschaffen unserer westlichen Nachbarn. Selbst die Widersprüche mancher Urteile, ja gerade sie, lassen erkennen, wie unablässig, wie ernsthaft er um die endgültige Fixierung geistiger und künstlerischer Wertungen rang, und über seine Funde, ihn selbst bejahend und bestätigend, könnte man das Pascalwort setzen: »Jeder Autor hat einen Sinn, in welchem alle entgegengesetzten Stellen sich vertragen, oder er hat überhaupt keinen Sinn.«

Hofmillers Verhältnis zu den Franzosen ist das eines Liebenden: die Franzosen sind seine »Jugendliebe«, in ungeteilter Begeisterung und Hingabe ist er ihr zugetan, und auch dann, als durch herbe Erkenntnisse die Beziehungen erschüttert werden, lebt unterirdisch das Gefühl der Anhänglichkeit weiter, und noch aus spitzen Anklagen dringt es wie das Herzweh eines verwundeten Vertrauens, das selbst in der Verneinung eine schmerzliche Seligkeit genießt.

Rosenheim, im Frühjahr 1939

Hulda Hofmiller


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