Josef Hofmiller
Franzosen
Josef Hofmiller

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Mein Onkel Benjamin (1909)

Die Franzosen haben zwei ihrer eigenartigsten Bücher erst durch die Deutschen zurückerhalten: Diderots Neveu de Rameau und Tilliers Mon Oncle Benjamin. Claude Tillier, der Pamphletist, stammt aus der Provinz, aus Nevers. Im Herzen Frankreichs liegt dies Nevers: wenn man eine Linie zieht von Bayonne nach Nancy, eine andere von Nizza nach Le Havre, so schneiden sie sich genau in Claude Tilliers Geburtsort. Auch in diesem Schriftsteller scheinen die Eigentümlichkeiten der französischen Landschaften, eine die andere ergänzend, zusammenzutreffen: provenzalische Lust am übermütigen volkstümlichen Fabulieren, politische Leidenschaft der Girondins, gaskognisches Behagen an derber blague, kritischer Mutterwitz des Tourangeau, alte gallische Lustigkeit der Molièreschen Komödie, dörfliche Idylle, die an Elsässer Erzähler erinnert und sie übertrifft.

»Mein Onkel Benjamin« ist eine der ältesten französischen Dorfgeschichten: nicht jener larmoyanten, pseudoidealistischen Art, die bei Rousseau einsetzt, um über George Sand zu René Bazin und in die Académie française zu führen, sondern wesensverwandt mit den überlieferten Dorfgeschichten Roumanilles und Alphonse Daudets, mit dem Tourangeau der Pamphlete Paul-Louis Couriers, mit den Bauern Maupassants. Kann es etwas Simpleres geben als den Bericht über »Widersacher, Weiber, Schulden« eines feuchtfröhlichen Dorfarztes? Eine dreistere Eulenspiegelei, als wenn Onkel Benjamin sich für den ewigen Juden ausgibt und Wunder wirkt? Eine derbere Rache des dritten Standes am ersten, als wenn derselbe Onkel Benjamin die unsterbliche Einladung Götzens von Berlichingen in die Tat umsetzt? Eine in ihrer Bonhomie vernichtendere Satire auf das Duell als Benjamins Zweikampf mit Herrn von Pont-Casse? Welche Sicherheit des Tons und Stils aber, welch reiche und vielseitige Persönlichkeit war nötig, daß der Autor das letzte Gastmahl und das Begräbnis des Herrn Minxit anfügen konnte, ein Dokument jenes Humors, der unter aufquellenden Tränen noch lacht, und den wir gern als germanisches Monopol in Anspruch nehmen!

Der »Onkel Benjamin« ist bei Reclam, bei Meyer, in der leider vergriffenen Edition Spemann und im Hans von Weber-Verlag deutsch herausgekommen. Er gehört zu den Büchern, die, der Allgemeinheit fast unbekannt (selbst eine so sorgsame Literaturgeschichte wie die von Welker ignoriert ihn), sich der desto stärkeren, beinahe eifersüchtigen Neigung der Friedrich Vischerschen »stillen Gemeinde« erfreuen.Hofmillers Verdeutschung des »Onkel Benjamin« (Albert Langen, 1928) ist vergriffen. Den Geist Claude Tilliers, seinen Mut, sein Herz, seinen Humor wird der Leser finden, wenn anders auch er etwas von diesem Geiste in sich hat und dem Dichter entgegenbringt, ein wenig von dieser angriffslustigen und zugleich lustig angreifenden Tapferkeit, ein wenig Herz und Sinn für übermütige Streiche und für die Melancholie der Dinge, jene tapfere und resignierende Melancholie, die dem von all seinen Freunden umgebenen alten Zecher als schönste Grabrede in Aussicht stellt:

»Il a vécu en philosophe, jouissant de la vie et en faisant jouir ceux quì l'entouraient, et il est mort de même, entouré de ses amis, à la suite d'un grand festin. Passants, jetez une fleur sur sa tombe ...«


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