Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der Vorige. Michel
(ein Paar ungeputzte Stiefel unter dem Arm tragend.)
Michel (Peter erblickend, beiseite) |
|
Ei was des Kuckucks! Seh ich recht? Gewiß, er ist's! Das ist der Peter! Gänse-Peter hieß er sonst; Sein Vater war der Gänsehirt im Städtchen hier. Leibhaftig ist er's. – (zu Peter) Guten Tag, mein Peterchen! Du kennst mich doch! |
|
Peter | |
Goddam! Wenn du der Michel bist, Warum denn nicht? Wie mager bist geworden du! |
|
Michel | |
Und Peter, du wie glänzend reich und schön geschmückt! | |
Peter | |
Vor allem laß den Peter; denn er klingt wie Schimpf! Und nenn mich Piter, Pedro und am liebsten Pierre! |
|
Michel | |
Nun Piter, warum bist du also aufgeputzt? | |
Peter | |
So reich belohnt der Brite treues Dienverdienst. | |
Michel | |
Wie herrlich ist's, zu tragen Ausgezeichnetes! Anhängen sich zu lassen etwas, welch ein Glück! Und sei's nur hinten oder vorn ein Schleifchen Band! |
|
Peter | |
Des Jockey-Ordens Ritter tragen dieses Kleid, Und unter Dienern bin ich eine Art Baron. – Doch sprich, in Traumstadt hier, wie geht's? Wie lebt ihr denn? |
|
Michel | |
Erträglich und geduldig! Meine Studienzeit Verbracht ich mit dem schmalen Erbteil, welches mir Mein Vater hinterlassen hatte, kümmerlich. Dann kam ich heim, und sieben Jahre dient ich nun Als Akzessist, wie Jakob um die Rahel einst. Amtsschreiber wurd ich endlich, und das bin ich noch. Ein kläglich Amt mit kargem Brot! Kaum nährt es mich! Sonst blieb im Städtchen alles im gewohnten Gleis Wir tragen unsre alten Kittel nach wie vor, Und treiben rüstig immer noch Philosophie. |
|
Peter | |
Die hab ich euren Pfützen eben angemerkt. | |
Michel | |
Stets forschen wir nach jeden Dinges Urbegriff. | |
Peter | |
Dies liegt, so scheint es, wahrlich in der deutschen Luft, Und etwas philosophischen Kitzel spür ich selber schon. |
|
Michel | |
Was hilft uns alles Wissen, fehlt der feste Grund? | |
Peter | |
Dann pflastert eure Straßen! Grundlos sind sie ja! | |
Michel | |
Auch dies hat Sinn: Es bieten Alltagswege selbst Zu tiefer Forschung reichlich uns Gelegenheit. |
|
Peter | |
Ersaufen können eure Kinder unterwegs, Wenn sie zur Schul auf diesen Weisheitspfaden gehn. |
|
Michel | |
Viel ließe sich erörtern hier, und Sinniges! Doch sei verspart auf bess're Zeit das Wort des Streits! Schwer fällt's, hinabzuschlucken solches; doch es sei! Und jetzo Piter, Pedro und am liebsten Pierre, Erzähl' mir, wie du in der Welt herum dich triebst, Und was du Wunderbares all erfahren hast! Denn daß dir viel begegnet, sieht man gleich dir an. |
|
Peter | |
Wohl viel ist mir begegnet! Wie du weißt, so zog, Ich mit dem Junker in die Fremde nach Paris. Das war ein Leben, wie man sich's gefallen läßt! Diners, Theater, Bälle und Grisettenvolk Und Freunde mehr als nötig, neue jeden Tag! Doch eines Abends ward am Spiel mein armer Herr So kahl gerupft, daß außer seiner eignen Haut Fast nichts ihm blieb. Da warfen sie den Herrn und Knecht Zur Tür hinaus. Der Junker ging nach Afrika, Und balgt sich jetzt mit Abdelkadher dort herum. |
|
Michel | |
Pfui Teufel, Pierre! | |
Peter | |
Ei was! Mein Frankreich lästre nicht! | |
Michel | |
Gut! Gut! Doch wie dir's weiter ging, erzähle flugs! | |
Peter | |
Das sollst du gleich erfahren. Doch bevor ich dies Dir melde, muß ich wenden mich an jene dort. |
(Zu den Zuschauern)
Mancher hier wohl könnte meinen, daß es längst veraltet sei, Fremde Sitte noch zu preisen, blind in Lobeshudelei; Aber nein, ihr Toren, täuscht euch! Ärger ist als sonst die Not; Darum will ich euch verkünden, was der Dichter mir gebot. Viel umher ist er gewandert, hat das deutsche Land geschaut, |
Michel | |
Hinlänglich hast gepredigt du. Jetzt halte ein, Eh gänzlich dir in festem Schlaf die Gemeinde liegt! |
|
Peter | |
Nun wohl! – Nach England frischen Mutes zog ich fort, Und trat in Dienste bei 'nem Lord. Das war ein Kerl, Ein Teufelskerl und reicher als das Meer und toll! Doch auf der Fuchsjagd brach der Edle bald den Hals, Er war ein Lord; verstehst du, was das sagt: ein Lord? Der ritt und trank und fluchte dir den ganzen Tag, Und hielt sich Hunde für die Jagd zu Hunderten. Ich mußt als Hundsknecht pflegen sie wie Kinderchen; Die Bestien hatten's besser als ich selber, traun! |
|
Michel | |
Pfui Teufel, Piter! | |
Peter | |
Lästre mir mein England nicht! Mein nächster Herr durchzog mit mir Italien. Es war ein grundgelehrter Mann, so vollgepfropft Mit Griechisch und Lateinisch, daß die Brocken ihm Beständig aus dem Munde fielen. Er wußte dir, Was Cicero gegessen Tag für Tag und auch Genau die Stelle, wo er sich der Leibesnot Sodann entledigt. Diese teuren Reste nun Zu finden und zu sammeln, zog er durch das Land, Und grub und wühlte wie ein Maulwurf rings umher, So daß er bald Schatzgräber nur im Lande hieß. Doch einst, als bei Frascati frisch er schaufelte, Dort wo des Redners Tuskulum gelegen war, Erschlugen freche Räuber ihn bei solchem Werk, Da seinen Fund er kühnen Muts verteidigte. |
|
Michel | |
Pfui Teufel, Pietro! | |
Peter | |
Lästre nicht Italien mir! Mein vierter war ein seltner Kauz. Er sagte selbst, Er sei ein Dichter und ein echt romantischer. Ich will's ihm glauben. Aber wenn er in den Bart Zu murmeln anfing allerlei verrücktes Zeug, Und gar bei Sturm und Regen schrie in die Nacht ein Lied, Der Henker soll mich holen, wenn ich was verstand! Durch Spanien machten beide wir die Sängerfahrt; Denn dort sei Minne, Mohrenschlacht, Guitarrenklang Und Kettenrasseln, Burgverließ und Meuchelmord, Kurz alles fix und fertig für die Poesie Und gleich zu haben, also dachte sich's mein Herr. So war es auch. Erst plündern uns Carlisten aus. Wir retten glücklich unsrer Habe kleinern Rest; Da kommen flugs am andern Tag Christinos her, Nachlese gründlich haltend, bis nichts übrigblieb. Zu Ende war nun Poesie und Sängerfahrt. |
|
Michel | |
Pfui Teufel, Pedro! | |
Peter | |
Lästre mir mein Spanien nicht! Da ich mit jenen Vieren so schlecht gefahren war, So wollt ich's jetzt versuchen mit der Industrie, Und nahm bei einem Peitschenmacher neuen Dienst. So etwas Höflich-Untertäniges gibt es kaum; Sein Leben war ein einz'ger Bückling; selbst bei Nacht Im Bette schlief er nach gewohnter Weise krumm. Darum nach Rußland zogen wir, allwo mein Herr Auf viele Kunden zählte. Anfangs ging es gut; Doch als er mit devotem Bückling eines Tags Sich samt den Knuten einem Großen anempfahl, Da sprach das Unglückswörtchen er: Ich bin so frei, Und – – |
|
Michel | |
Und? | |
Peter | |
Ja! Und verschwunden war mein Herr fortan; Und frug ich wen, ob seiner Rede wegen man Ihn nach Sibirien fortgeschafft, so hieß es: St! |
|
Michel | |
Pfui Teufel, Pieter! | |
Peter | |
Lästre mir mein Rußland nicht! | |
Michel | |
Was aber führt nach Hause dich, wenn gar so gut Die Fremde dir gefallen hat? |
|
Peter | |
Ja, Michel, sieh, Jetzt reis' ich mit dem sechsten Herrn im Land umher! |
|
Michel | |
Du warst in Frankreich, wie man merkt. Wie unsereins Den Rock, so mit der Herrschaft wechselst du im Nu. |
|
Peter | |
Ja der ist auch der wahre, ein Allerweltsgenie! Leichtsinnig trotz dem Junker und Luftschlösser baut Er trotz dem Dichter, gold'ne glänzende, rein aus nichts, Und höflich wie der Peitschenmacher kann er sein. Versprochen hat er reichen Lohn. |
|
Michel | |
Du Glücklicher! Doch sag, woher gebürtig ist denn dieser Mann? |
|
Peter | |
Er nennt sich selbst Weltbürger nur, und dort hinaus In Nirgendheim besitzt er große Güter. |
|
Michel | |
Potz! Doch etwas treibt ein jeder stets als Broterwerb. |
|
Peter | |
Mir scheint, daß jener alles kann, und, wie er sagt, So wirkt er für des Volkes Wohlfahrt spät und früh. |
|
Michel | |
Schulmeister ist er sicher! | |
Peter | |
Oder Diplomat! | |
Michel | |
Jedoch nach Traumstadt, welcher Zufall bringt ihn her? | |
Peter | |
Erzählt Von eurem Treiben hab ich vieles ihm, Und wie ihr ins Abstrakte euch so ganz versenkt, Da rief er laut: »Ha, solche Leute g'rad wie euch Hab lange schon ich aufgesucht. Wir reisen hin! Und meine Ankunft segnen wird die Stadt sofort, Denn Glück nur, ungemeines, künd ich ihr und Heil. Ich streu des Reichtums Fülle über alle aus, Daß selbst des Bettlers Börse hochauf strotzt von Gold.« |
|
Michel | |
Was, echtes Gold? Gemünztes Gold? | |
Peter | |
Vollwichtig rein! | |
Michel (seinen Geldbeutel ziehend) |
|
Den Beutel hier ganz schwer und voll? | |
Peter | |
So dir, wie mir! | |
Michel | |
Juchheisa, Juchhe! Längst hab ich genug Ja den Ochsen gemacht, und am Joche den Pflug In der Knechtschaft Acker gezogen. Schon steigt mir vom täglichen Braten der Duft, Wie Märchenerzählung zur Nase; die Luft Kommt backwerkverheißend geflogen. Und die Schwielen sind fort, schon fühl ich die Hand Mir wie Seide so zart, und ich hab elegant Sie umhüllt mit dem glänzenden Bocksfell. Ich rauch in Gedanken schon seinen Tabak, Und trage den modischen köstlichen Frack An des schmutzigen zwill'chenen Rockes Stell'. Ich gehe gespreizt in den Gassen umher, Und kenne die alten Bekannten nicht mehr; Mein Hut sitzt tiefer und schiefer. Sonst fielen die Bissen nur kärglich und schmal, Da war ich natürlich verdammt liberal; Jetzt werd ich ein Konservativer. |
|
Peter | |
Halt, halt mein Freund! Bocksprünge macht gewaltige Die Phantasie. Noch immer scheint nicht schulgerecht Gezäumt und zugeritten mir dein Geist zu sein. Du mußt die philosophische Reitbahn eifriger Besuchen noch! Das glaube mir! |
|
Michel | |
Viel Streiche spielt Einbildung uns, und alle leiden wir daran. |
|
(Man hört in der Ferne einen Marsch spielen.) | |
Peter | |
Horch Michel! – Was bedeutet dies Gedudel dort? Ist heute Kirchweih oder sonst ein Fest bei euch? |
|
Michel | |
Das ist der Zug der philosophischen Ritterschaft! Die feiert heute, als am Sonntag Judika, Ihr Stiftungsfest und hält ein groß Begriffsturnier. |
|
Peter | |
Was? Ritterschaft? Begriffsturnier? Du meldest da Ganz unerhörte Neuigkeit. |
|
Michel | |
Du wirst sogleich Festprangend hier der Bürger großen Feierzug Erscheinen seh'n, und Kampfesrichter sind ernannt. Es wird auf offnem Markte dann um hohen Preis Entspinnen sich das philosoph'sche Wettgespräch. |
|
Peter | |
Ergötzlich scheint mir solche Wortkatzbalgerei! | |
(Die Musik näher) | |
Michel | |
Doch wehe mir! ich schwatze da. | |
Peter | |
Was fehlt dir, Freund? Ich glaube gar, du fühlst im voraus jetzo schon Des Kampfes Beulen und der Logik plumpe Faust; Blau unterlaufen wimmert dir der Geist bereits. |
|
Michel | |
Vergessen hab' ich schmählich mein Geschäft! | |
Peter | |
Und was? | |
Michel | |
Dem Herrn zu putzen jenes schmutz'ge Stiefelpaar. | |
Peter | |
Wie! Kümmert sich die Weisheit auch um solchen Dreck? | |
Michel | |
Es ist der Amtmann ohnedem mir bös gesinnt, Da feindlich ihm mein Denksystem entgegentritt. |
|
Peter | |
Nun gut! So tritt ihn wieder systematisch derb! | |
Michel | |
Mein Amt verlier ich und mein Brot! (Die Spitze des Zugs zeigt sich) Weh! Schon zu spät! |