Heinrich Hoffmann
Die Mondzügler
Heinrich Hoffmann

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Zweiter Auftritt

Der Vorige. Michel
(ein Paar ungeputzte Stiefel unter dem Arm tragend.)

Michel
(Peter erblickend, beiseite)
                Ei was des Kuckucks! Seh ich recht? Gewiß, er ist's!
Das ist der Peter! Gänse-Peter hieß er sonst;
Sein Vater war der Gänsehirt im Städtchen hier.
Leibhaftig ist er's. –
(zu Peter)               Guten Tag, mein Peterchen!
Du kennst mich doch!
Peter
                                   Goddam! Wenn du der Michel bist,
Warum denn nicht? Wie mager bist geworden du!
Michel
Und Peter, du wie glänzend reich und schön geschmückt!
Peter
Vor allem laß den Peter; denn er klingt wie Schimpf!
Und nenn mich Piter, Pedro und am liebsten Pierre!
Michel
Nun Piter, warum bist du also aufgeputzt?
Peter
So reich belohnt der Brite treues Dienverdienst.
Michel
Wie herrlich ist's, zu tragen Ausgezeichnetes!
Anhängen sich zu lassen etwas, welch ein Glück!
Und sei's nur hinten oder vorn ein Schleifchen Band!
Peter
Des Jockey-Ordens Ritter tragen dieses Kleid,
Und unter Dienern bin ich eine Art Baron. –
Doch sprich, in Traumstadt hier, wie geht's? Wie lebt ihr denn?
Michel
Erträglich und geduldig! Meine Studienzeit
Verbracht ich mit dem schmalen Erbteil, welches mir
Mein Vater hinterlassen hatte, kümmerlich.
Dann kam ich heim, und sieben Jahre dient ich nun
Als Akzessist, wie Jakob um die Rahel einst.
Amtsschreiber wurd ich endlich, und das bin ich noch.
Ein kläglich Amt mit kargem Brot! Kaum nährt es mich!
Sonst blieb im Städtchen alles im gewohnten Gleis
Wir tragen unsre alten Kittel nach wie vor,
Und treiben rüstig immer noch Philosophie.
Peter
Die hab ich euren Pfützen eben angemerkt.
Michel
Stets forschen wir nach jeden Dinges Urbegriff.
Peter
Dies liegt, so scheint es, wahrlich in der deutschen Luft,
Und etwas philosophischen Kitzel spür ich selber schon.
Michel
Was hilft uns alles Wissen, fehlt der feste Grund?
Peter
Dann pflastert eure Straßen! Grundlos sind sie ja!
Michel
Auch dies hat Sinn: Es bieten Alltagswege selbst
Zu tiefer Forschung reichlich uns Gelegenheit.
Peter
Ersaufen können eure Kinder unterwegs,
Wenn sie zur Schul auf diesen Weisheitspfaden gehn.
Michel
Viel ließe sich erörtern hier, und Sinniges!
Doch sei verspart auf bess're Zeit das Wort des Streits!
Schwer fällt's, hinabzuschlucken solches; doch es sei!
Und jetzo Piter, Pedro und am liebsten Pierre,
Erzähl' mir, wie du in der Welt herum dich triebst,
Und was du Wunderbares all erfahren hast!
Denn daß dir viel begegnet, sieht man gleich dir an.
Peter
Wohl viel ist mir begegnet! Wie du weißt, so zog,
Ich mit dem Junker in die Fremde nach Paris.
Das war ein Leben, wie man sich's gefallen läßt!
Diners, Theater, Bälle und Grisettenvolk
Und Freunde mehr als nötig, neue jeden Tag!
Doch eines Abends ward am Spiel mein armer Herr
So kahl gerupft, daß außer seiner eignen Haut
Fast nichts ihm blieb. Da warfen sie den Herrn und Knecht
Zur Tür hinaus. Der Junker ging nach Afrika,
Und balgt sich jetzt mit Abdelkadher dort herum.
Michel
Pfui Teufel, Pierre!
Peter
                                Ei was! Mein Frankreich lästre nicht!
Michel
Gut! Gut! Doch wie dir's weiter ging, erzähle flugs!
Peter
Das sollst du gleich erfahren. Doch bevor ich dies
Dir melde, muß ich wenden mich an jene dort.

(Zu den Zuschauern)

              Mancher hier wohl könnte meinen, daß es längst veraltet sei,
Fremde Sitte noch zu preisen, blind in Lobeshudelei;
Aber nein, ihr Toren, täuscht euch! Ärger ist als sonst die Not;
Darum will ich euch verkünden, was der Dichter mir gebot.

Viel umher ist er gewandert, hat das deutsche Land geschaut,
An des Guten reicher Fülle hat sich oft sein Herz erbaut;
Aber auch Verderbtes sah er und Verkehrtes mehr als recht.
Wenn er einen Freien suchte, fand er oftmals nur den Knecht;
Wenn sie ihm mit fetten Worten, redeprunkend laut geprahlt,
Und von Einheit und von Fortschritt Gleißnerbilder ihm gemalt,
Eitel Schwätzen ist's gewesen, Fastnachtsschwänke, trugesvoll.
Aber mehr als alles dieses füllt ihm eins das Herz mit Groll.
Seht! Er war zum Rhein gepilgert, und er sah des Stromes Pracht,
Dem man jüngst von Amtes wegen manch gespreiztes Lied erdacht;
Und in andachtsvollem Geiste bückt er nieder sich am Strand,
Wie zur Freiheitstaufe netzt er in der Flut sich Stirn und Hand.
Weiter zog er fort des Weges. Heil'ger Stätte naht sein Schritt,
Jenen Tälern, wo der Erde heißes Blut zu Tage tritt,
Jenen Quellen, die die Gottheit durch ein Segenswort geweiht,
Wo zu freud'ger Auferstehung frisch die sieche Kraft gedeiht,
Wo der leidensmüde Pilger sich zu neuem Mut belebt,
Und beim Scheiden ein Genes'ner seine Hand zum Himmel hebt.
Ragen sollte dort ein Tempel, Vaterland, zu deinem Ruhm,
Deinen Söhnen und den Fremden als ein würdig Heiligtum!
Ja fürwahr! es tragen Säulen dort ein kühn gewölbtes Dach!
Ist's der Einigkeit ein Denkmal? Liegt des Zwiespalts alter Drach
Eingekettet im Gestein dort in der Erde heißem Schoß?
Ist's der jungen Freiheit Tempel? Zieh'n sie dort die schwache groß? –
Nein! die Habgier und das Laster halten dort ihr Festgelag,
Und in sich'rer Höhle bergen sie des schnöden Raubs Ertrag.
Jener Buhlin, die selbst Frankreichs Hauptstadt aus den Toren trieb,
Haben sie die Goldpaläste aufgebaut in schnöder Lieb.
Eine Bank ist's! – Goldsirenen locken nach der schmucken Bank,
Bis die lebensfrohe Barke strandend in die Tiefe sank.
Diese Säulen triefen blutig; Tränen sind des Mörtels Naß!
Und ihr wagt's, ein Spiel zu nennen? Spiel nur sei es, nur ein Spaß?
Ha! dann mag euch Gott bewahren vor dem Ernste, wenn er naht!
Gift'ge Früchte muß sie tragen, solche giftgetränkte Saat.
Traun! Wie üppig lacht der grüne Teppich in der grünen Welt,
Und wie witzig ist dem Heile das Verderben hier gesellt!
Habt ihr darum eure Grenzen mit der Zöllner Schar bewehrt,
Daß ihr welschen Frevel aufnehmt und den eignen Kindern lehrt?
Kaum daß sich im Schmuggelhandel Freiheit in das Land getraut;
Doch dem fremden Laster habt ihr Ehrenpforten aufgebaut!

Michel
            Hinlänglich hast gepredigt du. Jetzt halte ein,
Eh gänzlich dir in festem Schlaf die Gemeinde liegt!
Peter
Nun wohl! – Nach England frischen Mutes zog ich fort,
Und trat in Dienste bei 'nem Lord. Das war ein Kerl,
Ein Teufelskerl und reicher als das Meer und toll!
Doch auf der Fuchsjagd brach der Edle bald den Hals,
Er war ein Lord; verstehst du, was das sagt: ein Lord?
Der ritt und trank und fluchte dir den ganzen Tag,
Und hielt sich Hunde für die Jagd zu Hunderten.
Ich mußt als Hundsknecht pflegen sie wie Kinderchen;
Die Bestien hatten's besser als ich selber, traun!
Michel
Pfui Teufel, Piter!
Peter
                              Lästre mir mein England nicht!
Mein nächster Herr durchzog mit mir Italien.
Es war ein grundgelehrter Mann, so vollgepfropft
Mit Griechisch und Lateinisch, daß die Brocken ihm
Beständig aus dem Munde fielen. Er wußte dir,
Was Cicero gegessen Tag für Tag und auch
Genau die Stelle, wo er sich der Leibesnot
Sodann entledigt. Diese teuren Reste nun
Zu finden und zu sammeln, zog er durch das Land,
Und grub und wühlte wie ein Maulwurf rings umher,
So daß er bald Schatzgräber nur im Lande hieß.
Doch einst, als bei Frascati frisch er schaufelte,
Dort wo des Redners Tuskulum gelegen war,
Erschlugen freche Räuber ihn bei solchem Werk,
Da seinen Fund er kühnen Muts verteidigte.
Michel
Pfui Teufel, Pietro!
Peter
                                Lästre nicht Italien mir!
Mein vierter war ein seltner Kauz. Er sagte selbst,
Er sei ein Dichter und ein echt romantischer.
Ich will's ihm glauben. Aber wenn er in den Bart
Zu murmeln anfing allerlei verrücktes Zeug,
Und gar bei Sturm und Regen schrie in die Nacht ein Lied,
Der Henker soll mich holen, wenn ich was verstand!
Durch Spanien machten beide wir die Sängerfahrt;
Denn dort sei Minne, Mohrenschlacht, Guitarrenklang
Und Kettenrasseln, Burgverließ und Meuchelmord,
Kurz alles fix und fertig für die Poesie
Und gleich zu haben, also dachte sich's mein Herr.
So war es auch. Erst plündern uns Carlisten aus.
Wir retten glücklich unsrer Habe kleinern Rest;
Da kommen flugs am andern Tag Christinos her,
Nachlese gründlich haltend, bis nichts übrigblieb.
Zu Ende war nun Poesie und Sängerfahrt.
Michel
Pfui Teufel, Pedro!
Peter
                                Lästre mir mein Spanien nicht!
Da ich mit jenen Vieren so schlecht gefahren war,
So wollt ich's jetzt versuchen mit der Industrie,
Und nahm bei einem Peitschenmacher neuen Dienst.
So etwas Höflich-Untertäniges gibt es kaum;
Sein Leben war ein einz'ger Bückling; selbst bei Nacht
Im Bette schlief er nach gewohnter Weise krumm.
Darum nach Rußland zogen wir, allwo mein Herr
Auf viele Kunden zählte. Anfangs ging es gut;
Doch als er mit devotem Bückling eines Tags
Sich samt den Knuten einem Großen anempfahl,
Da sprach das Unglückswörtchen er: Ich bin so frei,
Und – –
Michel
              Und?
Peter
                        Ja! Und verschwunden war mein Herr fortan;
Und frug ich wen, ob seiner Rede wegen man
Ihn nach Sibirien fortgeschafft, so hieß es: St!
Michel
Pfui Teufel, Pieter!
Peter
                                Lästre mir mein Rußland nicht!
Michel
Was aber führt nach Hause dich, wenn gar so gut
Die Fremde dir gefallen hat?
Peter
                                              Ja, Michel, sieh,
Jetzt reis' ich mit dem sechsten Herrn im Land umher!
Michel
Du warst in Frankreich, wie man merkt. Wie unsereins
Den Rock, so mit der Herrschaft wechselst du im Nu.
Peter
Ja der ist auch der wahre, ein Allerweltsgenie!
Leichtsinnig trotz dem Junker und Luftschlösser baut
Er trotz dem Dichter, gold'ne glänzende, rein aus nichts,
Und höflich wie der Peitschenmacher kann er sein.
Versprochen hat er reichen Lohn.
Michel
                                                      Du Glücklicher!
Doch sag, woher gebürtig ist denn dieser Mann?
Peter
Er nennt sich selbst Weltbürger nur, und dort hinaus
In Nirgendheim besitzt er große Güter.
Michel
                                                              Potz!
Doch etwas treibt ein jeder stets als Broterwerb.
Peter
Mir scheint, daß jener alles kann, und, wie er sagt,
So wirkt er für des Volkes Wohlfahrt spät und früh.
Michel
Schulmeister ist er sicher!
Peter
                                          Oder Diplomat!
Michel
Jedoch nach Traumstadt, welcher Zufall bringt ihn her?
Peter
Erzählt Von eurem Treiben hab ich vieles ihm,
Und wie ihr ins Abstrakte euch so ganz versenkt,
Da rief er laut: »Ha, solche Leute g'rad wie euch
Hab lange schon ich aufgesucht. Wir reisen hin!
Und meine Ankunft segnen wird die Stadt sofort,
Denn Glück nur, ungemeines, künd ich ihr und Heil.
Ich streu des Reichtums Fülle über alle aus,
Daß selbst des Bettlers Börse hochauf strotzt von Gold.«
Michel
Was, echtes Gold? Gemünztes Gold?
Peter
                                                            Vollwichtig rein!
Michel
(seinen Geldbeutel ziehend)
Den Beutel hier ganz schwer und voll?
Peter
                                                              So dir, wie mir!
Michel
Juchheisa, Juchhe! Längst hab ich genug
Ja den Ochsen gemacht, und am Joche den Pflug
      In der Knechtschaft Acker gezogen.
Schon steigt mir vom täglichen Braten der Duft,
Wie Märchenerzählung zur Nase; die Luft
      Kommt backwerkverheißend geflogen.
Und die Schwielen sind fort, schon fühl ich die Hand
Mir wie Seide so zart, und ich hab elegant
      Sie umhüllt mit dem glänzenden Bocksfell.
Ich rauch in Gedanken schon seinen Tabak,
Und trage den modischen köstlichen Frack
      An des schmutzigen zwill'chenen Rockes Stell'.
Ich gehe gespreizt in den Gassen umher,
Und kenne die alten Bekannten nicht mehr;
      Mein Hut sitzt tiefer und schiefer.
Sonst fielen die Bissen nur kärglich und schmal,
Da war ich natürlich verdammt liberal;
      Jetzt werd ich ein Konservativer.
Peter
Halt, halt mein Freund! Bocksprünge macht gewaltige
Die Phantasie. Noch immer scheint nicht schulgerecht
Gezäumt und zugeritten mir dein Geist zu sein.
Du mußt die philosophische Reitbahn eifriger
Besuchen noch! Das glaube mir!
Michel
                                                    Viel Streiche spielt
Einbildung uns, und alle leiden wir daran.
(Man hört in der Ferne einen Marsch spielen.)
Peter
Horch Michel! – Was bedeutet dies Gedudel dort?
Ist heute Kirchweih oder sonst ein Fest bei euch?
Michel
Das ist der Zug der philosophischen Ritterschaft!
Die feiert heute, als am Sonntag Judika,
Ihr Stiftungsfest und hält ein groß Begriffsturnier.
Peter
Was? Ritterschaft? Begriffsturnier? Du meldest da
Ganz unerhörte Neuigkeit.
Michel
                                          Du wirst sogleich
Festprangend hier der Bürger großen Feierzug
Erscheinen seh'n, und Kampfesrichter sind ernannt.
Es wird auf offnem Markte dann um hohen Preis
Entspinnen sich das philosoph'sche Wettgespräch.
Peter
Ergötzlich scheint mir solche Wortkatzbalgerei!
(Die Musik näher)
Michel
Doch wehe mir! ich schwatze da.
Peter
                                                      Was fehlt dir, Freund?
Ich glaube gar, du fühlst im voraus jetzo schon
Des Kampfes Beulen und der Logik plumpe Faust;
Blau unterlaufen wimmert dir der Geist bereits.
Michel
Vergessen hab' ich schmählich mein Geschäft!
Peter
                                                                          Und was?
Michel
Dem Herrn zu putzen jenes schmutz'ge Stiefelpaar.
Peter
Wie! Kümmert sich die Weisheit auch um solchen Dreck?
Michel
Es ist der Amtmann ohnedem mir bös gesinnt,
Da feindlich ihm mein Denksystem entgegentritt.
Peter
Nun gut! So tritt ihn wieder systematisch derb!
Michel
Mein Amt verlier ich und mein Brot!
(Die Spitze des Zugs zeigt sich)         Weh! Schon zu spät!

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