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Achtes Kapitel.
Der Sturm bricht los

»Das Volk steht auf, der Sturm bricht los.
Wer legt noch die Hände jetzt feig in den Schoß?«

(Theodor Körner.)

Mit einem Schlage ging das preußische Volk aus der bittern Schule des Schicksals geläutert hervor, die Unterschiede der Stände schwanden, und Bauer, Bürger und Edelmann waren nur noch Vaterlandssöhne, bereit, Gut und Blut für ihres Landes Befreiung zu opfern.

Die preußische Jugend, bis weit ins Mannesalter hinein, erhob sich unter dem Jubelgeschrei: »Krieg, Krieg für Freiheit und Vaterland!« Die Hörsäle der Universitäten, die oberen Klassen der Gymnasien, die Schreibstuben, Kunst- und Werkstätten leerten sich, die Pflüge standen verlassen. Eltern weihten ihre Söhne, Schwestern und Bräute ihre Brüder und Geliebten, Frauen ihre Gatten dem heiligen Kriege. In allen Städten wimmelte es von Freiwilligen. Selbst Greise griffen mit Jugendkraft zu den Waffen, Knaben flehten schluchzend, wenigstens als Trommelschläger mitgehen zu dürfen. Der Altar des Vaterlandes war in jener gottgesegneten Zeit keine bloße Redensart – das Einzige, Letzte, Teuerste wurde mit rührender Begeisterung herbeigebracht, mit einem Wort, es war Frühling im Preußenland geworden, und ein verheißungsvolles Ostern ging auf nach der überstandenen Marter- und Leidenszeit.

Auch Johannes schickte sich an, dem Elternhause von neuem wieder Lebewohl zu sagen und nach Breslau zu ziehen, um sich dort als Lützowscher Jäger anwerben zu lassen. Die Mutter und Dora blickten mit freudigem Stolz auf den begeisterten Jüngling, dessen wettergebräuntes Gesicht von so manchen Strapazen erzählte. Aus dem schüchternen Knaben war ein mutiger Mann geworden, der sogar einem so alten Haudegen, wie Hauptmann Götze, imponierte.

Er sprach dies auch in der Stunde des Scheidens gegen Johannes unverhohlen aus, fügte aber, mit einem Seitenblick auf den Doktor, hinzu:

»Ich habe immer gefürchtet, daß du die Erbschaft deines Vaters antreten würdest, denn du führst denselben Namen, und R kommt gleich vor S –«

»Das heißt Ratbod vor Schlafmütze«, fiel der Archäolog lächelnd ein.

»Ganz richtig«, nickte der unhöfliche Götze. »Darum freut es mich doppelt, daß der Johannes aus der Art geschlagen ist.«

»Wieso?« fragte der Doktor. »Was tut er denn?«

»Was er tut? Potzelement! Er zieht in den Kampf gegen die Franzosen!«

»Das tun andre auch!«

»Aber sicherlich keiner, der Ratbod heißt und, wie ein gewisser jemand, sein Doktorexamen gemacht hat. Derartige Tintenkleckser bleiben hübsch daheim bei Muttern!«

Die Frauen blickten ängstlich auf den Hausvater, der jedoch sehr ruhig blieb und jetzt in bescheidenem, aber festem Tone begann:

»Ich habe Euch schon einmal gesagt, daß ich das Bramarbasieren nicht liebe und ruhig meine Zeit abwarte. Der Augenblick des Handelns ist jetzt gekommen. Ich habe den Schmerz um das geknechtete Vaterland wahrlich nicht weniger empfunden als jeder andre, wenn ich auch nur selten diesen Gefühlen Ausdruck verlieh. Was hätte es auch genützt? Ich allein vermochte gegen den gewaltigen Napoleon wahrlich nichts auszurichten; doch jetzt ist es ein ander Ding, jetzt steht das gesamte Preußenvolk wie ein Mann zusammen, und – volente Deo! – wird es siegreich aus dem Kampfe hervorgehen. Jetzt darf sich kein Preuße ausschließen, der gesunde Glieder hat, und so werfe auch ich die Feder weg und ergreife die Feuerwaffe, so ziehe auch ich aus, als ein Jüngling mit grauweißem Haar, so trenne auch ich mich von Weib und Tochter, denn mein Losungswort heißt:

Für Freiheit, König und Vaterland!«

Die Frauen schluchzten leise auf, der alte Götze aber, dem es ebenfalls feucht im Auge schimmerte, warf seinen Krückstock weg und rief, den Freund in seine Arme schließend, begeistert aus:

»Ratbod! alter Doktor! Das war wie ein Mann gesprochen, und wahrlich, es soll Euch unvergessen bleiben!«

Dem stürmischen Ausrufe folgte tiefe Stille. Johannes blickte in freudiger Rührung den Vater an, um dessen Nacken sich jetzt die Hände von Mutter und Tochter schlangen, sie waren viel zu gute Preußinnen, als daß sie den Doktor durch Bitten zu bewegen gesucht hätten, von seinem Vorhaben abzustehen. Es wäre dies wahrlich verzeihlich gewesen; jedoch die Wellen der begeisterten Vaterlandsliebe schlugen im Jahre 1813 himmelhoch, und es gab kaum eine Mutter, Gattin oder Schwester, die zu verzagen begann, wenn der geliebte Mann sich zum Kampfe rüstete.

Die Mutter und Dora hatten es von dem Vater nicht anders erwartet; sie weinten zwar schmerzliche Tränen, dennoch flüsterten ihre Lippen ihm zu: »Gott segne dich und Johannes! ... Gott sei mit euch und dem deutschen Vaterlande!«

»Und wo bleib' ich?« rief der Hauptmann Götze und blickte ingrimmig auf sein lahmes Bein.

»Ihr bleibt bei Muttern«, antwortete der Doktor lächelnd, fügte aber gleich darauf in seinem gutmütigen Tone hinzu: »Unsre Frauen und Töchter dürfen nicht verlassen sein, wenn ihre Männer und Brüder scheiden. Ihr habt den Lorbeer in heißer Schlacht schon errungen, mein Freund, jetzt beginnt Euer Ritterdienst bei edlen Frauen. Nicht wahr,« schloß er mit einem innigen Händedruck, »Ihr werdet meiner gedenken bis in den Tod, und mein Weib und Kind werden an Euch eine Stütze haben?«

Der Hauptmann fühlte die tiefe Bedeutung, die in diesen Worten lag, und erwiderte aus vollem Herzen den Händedruck.

In kurzer Zeit hatten Vater und Sohn sich mit den nötigsten Habseligkeiten versehen, und nunmehr war die Abschiedsstunde da. Weinend hingen Mutter und Tochter am Halse der geliebten Männer, bis sich der Doktor mit einem gewaltsamen Ruck losriß und mit den Worten: » Hora ruit! Wir müssen fort!« von dannen stürzte.

*

Die alte Stadt Breslau konnte in jenen Tagen des Aufschwungs und der Erhebung mit Fug und Recht das »Herz Deutschlands« heißen, denn wie liebende Söhne zur hilfsbedürftigen Mutter, eilte die Blüte der deutschen Jugend nach der schlesischen Hauptstadt, wo in der rauchigen Bierstube zum »Zepter« Adolf von Lützow sein Werbe quartier aufgeschlagen hatte, um jene Schar der Lützower zu bilden, in deren Reihen der aus Wien herbeigeeilte Theodor Körner kämpfte und – zugleich ein Sänger und ein Held – auf Märschen und am Biwakfeuer jene zündenden Lieder anstimmte, deren Wahrhaftigkeit er mit seinem Herzblut besiegelt hat.

Breslau bildete sozusagen den Mittelpunkt der nationalen Erhebung, und die nach der alten Festungsstadt führenden Straßen waren mit zahlreichen Wanderern belebt, die dem Rufe des Königs folgten und singend der schlesischen Hauptstadt entgegeneilten.

Der Doktor und Johannes hatten zu Neumarkt, der letzten Stadt vor Breslau, auf einem Leiterwagen Platz gefunden, der, als er sich der Festung näherte, mit Freiwilligen buchstäblich vollgepfropft war, die in ihrer Begeisterung laut und kräftig das Lied von Claudius sangen:

»Stimmt an mit hellem, hohem Klang,
Stimmt an das Lied der Lieder!
Des Vaterlandes Hochgesang,
Das Waldtal hall' es wider!
Der alten Barden Vaterland,
Dem Vaterland der Treue,
Dir, niemals ausgesung'nes Land,
Dir weih'n wir uns aufs neue!«

Johannes erfuhr von seinem ihm zur Linken sitzenden Nachbar, einem rotwangigen schlesischen Burschen, daß der König wenige Tage zuvor eine große Musterung über die in Breslau angelangten Freiwilligen vor den Toren der Stadt abgehalten habe, daß Blücher, Gneisenau und Scharnhorst sich in seinem Gefolge befunden hätten und Friedrich Wilhelm mit seinen Generalen von der waffenfähigen Jugend begeistert und unter tausendstimmigem Jubelrufe begrüßt worden sei.

Johannes bedauerte aufrichtig, dieser das Vaterlandsgefühl erhebenden Szene nicht haben beiwohnen zu können, zumal da es schon lange sein inniger Wunsch gewesen war, den Brausekopf Blücher von Angesicht zu sehen.

Der Leiterwagen langte mit seinen vielen Insassen endlich am Ziele seiner Bestimmung an.

Die Straßen und Plätze der alten, verkehrsreichen Stadt Breslau boten ein buntbewegtes Bild dar. Überall traf man auf Menschengewühl, von früh bis spät ertönte Lärm und Geschrei. Geschütze und Pulverwagen hemmten den Verkehr, und ebenso zahlreiche Trupps abmarschierender Soldaten. Vor den Kasernen und auf den größern Plätzen der Stadt wurde fleißig exerziert, und – o Wunder – die Korporalstöcke Wir verweisen auf den dritten Band des »Ahnenschlosses«: »Zwei Riesen von der Garde«, wo das frühere Soldatenleben in der preußischen Armee eingehend behandelt ist., die bisher in dem preußischen Exerzierreglement eine so bedeutende Rolle gespielt hatten, waren spurlos verschwunden.

Vor einer der Kasernen machte der Leiterwagen Halt, da die meisten seiner Insassen dahin beordert waren. Auch der Doktor und Johannes kletterten vom Wagen hinab und erkundigten sich bei einem Unteroffizier, wohin sie sich wohl zu wenden hätten, um als Freiwillige ins Heer aufgenommen zu werden.

»Der junge Herr da kann sich in jeder Kaserne anwerben lassen,« lautete die barsche, aber gutmütige Antwort, »mit Euch dagegen, alter Herr, wird es seinen Haken haben.«

Der Doktor spitzte den Mund und blickte den Sprecher mit fragendem Erstaunen an. Der Unteroffizier verzog den bärtigen Mund zu einem breiten Lächeln, deutete auf die Körperfülle des Doktors und sagte:

»Euer Bäuchlein geniert, alter Herr, es ist nicht mager genug und wird sich kaum in eine Uniform zwingen lassen, weil es eben keine militärische Disziplin hat ... sozusagen.«

»Ei was,« rief der gute Doktor ungehalten, »die Vaterlandsliebe hat damit nichts zu schaffen, und die Hauptsache für einen echten Soldaten besteht darin, daß er das Herz auf dem rechten Fleck hat. Wagt man es, mich wegen einer Lappalie zurückzuweisen, so rücke ich der alten Exzellenz Blücher ins Quartier.«

»Dann müßt Ihr aber schon die Beine ein wenig unter den Arm nehmen, alter Herr,« erwiderte der Unteroffizier mit komischem Ernste, »denn die Exzellenz hat Schlesien schon verlassen und ist auf dem Wege nach Dresden.«

»So sagt uns wenigstens, wohin wir uns wenden sollen!« ergriff Johannes das Wort.

»Ei nun, geht vorderhand in das Wirtshaus zum Zepter; dort ist ein Werbebureau, da wird man euch schon guten Rat erteilen.«

Johannes ließ sich von dem Unteroffizier die einzuschlagende Richtung angeben, dankte ihm und machte sich mit dem Vater auf den Weg.

Hui! das war ein Leben und Treiben in der niedrigen, rauchgeschwärzten Bierstube, und ein Gesurre und Gebrumme, daß man seine eigene Stimme kaum vernehmen konnte.

Vater und Sohn richteten zunächst ihre Schritte nach der Einschenke, wo der Wirt gerade ein angelegentliches Gespräch mit zwei Herren führte, von denen der eine in Zivil war, der andere dagegen die Uniform der Lützower trug, nämlich den mit roten Achselklappen und Ärmelaufschlägen sowie mit gelben Knöpfen besetzten schwarzen Waffenrock.

»Jawohl, mein lieber Jochen,« redete der Lützower den Wirt an, während er auf den Herrn in Zivil hinwies, »das ist der Herr Professor Arndt aus Greifswald, der Sänger, der uns so herrliche Lieder gedichtet hat.«

Der Doktor hatte den Namen kaum vernommen, als er auch schon aus den berühmten Dichter zuschritt und ihm die Hand herzlich schüttelte, während der dicke Wirt seiner Begeisterung dadurch Luft verschaffte, daß er mit seiner Fettstimme das populärste Lied des Professors zu singen begann:

»Was ist des Deutschen Vaterland?
Ist's Preußenland? Ist's Schwabenland?«

Und wie auf Kommando sangen alle Anwesenden das patriotische Lied mit, zuletzt in den Ruf ausbrechend:

»Der Dichter Arndt lebe hoch – hoch – und abermals hoch!«

Sämtliche Gäste drängten sich jetzt nach der Einschenke, um den Dichter zu sehen, wobei der Doktor und Johannes wieder von ihm getrennt wurden, zum großen Ärger des ersten, der nicht einmal so viel Zeit gewonnen hatte, sich dem Greifswalder Professor, als einem Kollegen, vorzustellen. Ziemlich unzufrieden ließ sich Vater Ratbod an einem der Tische nieder, während Johannes nach dem Werbebureau forschte.

Es währte nicht lange, so nahm ein graubärtiger Husaren-Wachtmeister an der Seite unsers alten Herrn Platz. Er zeigte sich äußerst redselig und verwickelte den Gelehrten bald in ein Gespräch. Natürlich kam auch der Zweck zur Sprache, der den Doktor nach Breslau geführt hatte. Der Wachtmeister zeigte sich über seinen Mut, trotz des vorgerückten Alters sich den Strapazen des Krieges auszusetzen, höchlich erstaunt, sagte aber nach einer Weile:

»Ich glaube kaum, daß man Sie nehmen wird.«

»Potzelement!« brauste nunmehr der gute Doktor auf, »und warum denn nicht?«

»Der Korpus ist zu dick,« kritisierte der Schnauzbart, »der Herr würde bald nicht weitermarschieren können.«

»Ei nun, dann verzichte ich auf die Infanterie und lasse mich bei euch Reitern anwerben; da muß das Pferd den Korpus tragen.«

»Herr,« lachte der Wachtmeister und zog die eine Spitze seines Schnurrbarts hoch in die Höhe, »das ist erst recht ein Ding der Unmöglichkeit! Ich wüßte wahrhaftig nicht, wo ein solch dickes Bäuchlein auf dem Gaule unterzubringen wäre. Nein, Herr,« fuhr er, nach seinem Bierglase greifend, fort, »ein Husar muß leicht und beweglich sein. Wie aber wäre es denn mit dem Train?«

Eine solche Zumutung erschien dem Doktor doch zu stark, und er hatte gewissermaßen recht, in beleidigtem Tone auszurufen:

»Sehe ich aus wie ein Fuhrknecht? Train, potz Kuckuck, warum nicht gleich Marketender!«

Der gutmütige Wachtmeister suchte den alten Herrn zu besänftigen, was ihm jedoch nur schwer gelang; und kaum hatte sich das Gemüt des Doktors beruhigt, so erschien Johannes mit neuem Zündstoff.

»Unser Wunsch,« meldete er niedergeschlagen, »ins Freikorps der Lützowschen Jäger zu treten, ist zu Wasser geworden.«

Auf einen fragenden Blick des Vaters beugte er sich zu ihm hinab und flüsterte:

»Die Magerkeit unsrer Börsen gibt es nicht zu, die schwarze Schar hat sich aus eigenen Mitteln zu uniformieren und zu bewaffnen.«

Der Doktor blickte traurig zu Boden. »Das ist allerdings ein unüberwindliches Hindernis«, seufzte er.

»Es wäre hübsch gewesen, wenn wir mit den Lützowern hätten ziehen können,« fuhr Johannes fort, »wir würden dann mit mehreren Berliner Bekannten zusammengetroffen sein, wie zum Beispiel mit dem Turnlehrer Jahn, der mit seinem langen Barte gar stattlich in der Uniform aussehen soll.«

» Homini fortuna opus est!« erwiderte Vater Ratbod und reichte dem Sohne den Bierkrug hin. »Der alte Götze würde uns schön auslachen, wenn wir wieder heim zu Muttern kämen.«

»Eher sterben als das!« rief Johannes.

»Wollen uns morgen weiter umsehen,« sagte der Doktor und erhob sich von seinem Platze, »für heute müssen wir uns ein Quartier suchen.«

»Das wird ebenfalls schwer halten«, meinte der Husaren-Wachtmeister, mit seinen wasserblauen Augen den Sohn des alten Freiwilligen fixierend. »Die Häuser der Stadt sind mit Fremden geradezu überfüllt, und in den Kasernen kann sozusagen kein Apfel zur Erde. In meinem Bett zum Beispiel schlafen wir schon zu dritt; wenn jetzt noch einer dazu kommt, dann fallen unfehlbar zwei davon heraus.«

Vater Ratbod sah sehr verzagt aus, während der entschlossenere Johannes den Wirt des Zepters herbeirief, um mit diesem Rücksprache wegen einer Wohnung zu nehmen. Allein der dicke Jochen versetzte achselzuckend:

»Und wenn die Herren mir hundert blanke Taler hinlegten, so vermöchte ich keinen Raum für Sie zu schaffen. Alles ist besetzt, sogar der Pferdestall.«

Aller Mut und alle gute Laune des Doktors sanken auf den Gefrierpunkt herab, und er sah sich schon im Geiste mit Johannes in die schlimme Lage versetzt, im Freien übernachten zu müssen, was bei den kalten Frühlingsnächten und dem Mangel eines wärmenden Biwakfeuers nicht eben sehr förderlich auf die patriotische Begeisterung gewirkt hätte.

Der Wachtmeister hatte währenddem Johannes mit wachsendem Erstaunen angeblickt und stand eben im Begriff, eine Frage an ihn zu richten, als sich plötzlich auf die Schultern von Vater und Sohn zwei kräftige Hände legten. Überrascht wandten sie sich um und erblickten vor sich einen Husaren-Rittmeister, vor dem der Unteroffizier seine Honneurs machte.

»Hirschfeld!« lautete der überraschte Ausruf von Vater und Sohn.

»Wie er leibt und lebt!« versetzte der zum Rittmeister avancierte Offizier lustig und wohlgemut.

»Wo kommst du her?« fragte Johannes stürmisch, während er dem Freunde beide Hände schüttelte. »Ich glaubte, daß du noch in Spanien verweiltest.«

»Nein, mein deutscher Magen vermochte die Südfrüchte nicht zu vertragen«, erwiderte ironisch der Rittmeister. »Hat dir denn der Wolf da von meiner Anwesenheit nichts gesagt?« Dabei deutete er auf den graubärtigen Wachtmeister, der jetzt auf den Tisch schlug und ausrief:

»Das ist also doch der Herr Ratbod, unser Magdeburger Bundesgenosse? Er kam mir gleich so bekannt vor, aber mein Gedächtnis, das immer schwächer wird, ließ mich im Stich.«

Johannes freute sich, die Bekanntschaft des biedern Wolf zu erneuern, und reichte ihm ebenfalls die Hand. Als der Wachtmeister vernahm, daß der alte Herr der Vater von Johannes sei, erhob er sich und ehrte ihn durch einen militärischen Gruß, ihn mit den Worten begleitend:

»Jetzt wird schon Rat für Sie werden, denn ich kenne meinen Herrn Rittmeister, er läßt keinen Freund im Stiche.«

Hirschfeld fragte den Doktor sofort, wo ihn und Johannes der Schuh drücke, und lachte herzlich, als er das Mißgeschick des alten Herrn erfuhr.

»Wir wollen Sie als einen feurigen Freiwilligen schon unterbringen, Papachen,« rief er in seinem guten Humor, »das Bäuchlein soll Sie nicht an der Entfaltung Ihrer Vaterlandsliebe hindern. Was außerdem die Wohnung anlangt, so kann ich gleichfalls Rat schaffen, wenn Sie es zufrieden sind, daß Johannes bei mir und Sie bei Katte wohnen.«

Johannes sollte heute nicht aus dem Staunen herauskommen.

»Wie, auch Katte ist hier?« rief er gerührt aus. »Mein Himmel, welch ein Zusammentreffen! Schade, daß nicht auch der arme Romberg zur Stelle sein kann.«

Eine Wolke des Unmuts flog über Hirschfelds Stirn.

»Erinnern wir uns seiner, wenn der Kampf um uns tobt. Ich habe nicht nur ihn, sondern auch sein Kind zu rächen.«

»Was ist's mit Gertrud?« fragte Johannes besorgt.

»Sie weilte bis vor kurzem auf dem Gute meiner Tante. Leider wurde es durch eine Horde französischer Nachzügler geplündert, und als sich Gertrud meiner zum Tode erschrockenen Verwandten annehmen und sie vor den Marodeurs schützen wollte, führte einer der welschen Wüstlinge einen so wuchtigen Schlag mit dem Kolben seines Gewehrs nach des armen Mädchens Kopf, daß es wenige Stunden später seinen Geist aufgab. Auch meine Tante wurde das Opfer dieser Horde. Aber, dem Himmel sei Dank,« fügte Hirschfeld mit erhobener Stimme und blitzenden Augen hinzu, »die Stunde der Vergeltung hat geschlagen. Ich habe der welschen Brut ewigen Tod geschworen! ... Doch jetzt,« schloß er, sich über die Augen fahrend, mit ruhigerer Stimme, »jetzt wollen wir nur an das Nächste denken. Kommt mit mir nach Kattes Wohnung.«

Hirschfeld ergriff Vater und Sohn bei den Armen, grüßte den zurückbleibenden schmunzelnden Wolf und führte die Freunde aus der rauchigen Wirtsstube in ein hübsch möbliertes Zimmer der Nachbarschaft, wo der jetzige Major von Katte residierte.

Die Überraschung war auf beiden Seiten groß, und selbstverständlich wünschte jeder die Schicksale des andern zu wissen, zumal da die drei Freunde in England getrennt worden waren. Hirschfeld hatte gleich Johannes in Spanien gekämpft und war dann über Italien und Österreich nach der preußischen Heimat zurückgekehrt.

»Vor einigen Wochen«, berichtete er am Schlusse seiner Mitteilungen, »traf ich in Wien eine Dame, der du sicherlich ein Plätzchen in deiner Erinnerung eingeräumt haben wirst.«

Johannes riet auf die Gräfin Lübbenau, und Hirschfeld fuhr kopfnickend fort:

»Sie ist noch immer die erbitterte Gegnerin des Bonaparte, der sich nicht eben großmütig gegen ihre Familie zeigte und trotz verschiedener der Gräfin zustehender Rechte die in und bei Paris liegenden Besitzungen nicht herausgab. Sie waren zur Zeit der französischen Revolution von dem Konvent mit Beschlag belegt worden; Bonaparte würde wahrscheinlich gegen die einzige Erbin des Marquis Bruneville Gnade geübt und den Güterkomplex freigegeben haben, hätte ihn nicht die Gräfin auf das tödlichste verletzt, indem sie ihn einen bürgerlichen Emporkömmling nannte. Sie läßt euch alle grüßen und hofft, daß dieses Mal Preußen mit Österreich gehen werde. Die Gräfin ist fest entschlossen, ihrem Gatten ins Feld zu folgen und ihre Ansprüche in Paris geltend zu machen.«

»Gebe der Himmel, daß dieser Spaziergang gelingt!« versetzte Katte, der jetzt an die Reihe des Erzählens kam. Auch seine Geschichte war kurz und bündig. Nachdem er in den Schlachten von Aspern und Wagram mitgekämpft hatte, folgte er dem Braunschweiger Herzog auf britischen Boden, kehrte aber bald in österreichische Dienste zurück. Wenige Monate später suchte er um Urlaub nach, den er zu einer Reise nach Griechenland benutzte.

»Ich wandelte eben in der Nähe von Athen unter Olivenbäumen,« beendete Katte seinen Bericht, »als mir aus dem eisigen Norden die wichtige Nachricht von der Niederlage des französischen Heeres in Rußland zugeweht wurde. Mit Extrapost flog ich der deutschen Heimat zu, meine Dienste dem geliebten Vaterlande zur Verfügung stellend. Ich avancierte zum Major – – und nun, Freunde, vorwärts für König und Vaterland! Ich denke, wir werden die Magdeburger Scharte auszuwetzen wissen.«

Der Tag, der für den Doktor und Johannes nicht eben sehr ermutigend begonnen hatte, fand einen um so erhebenderen Abschluß. Die Begeisterung glühte in aller Herzen, und der Rheinwein, den der Major seinen Gästen auftischte, rief die Flamme erst recht wach. Sie stießen mit den Gläsern an, ließen den goldenen Wein im Kerzenlicht funkeln und begannen das alte deutsche Lied:

»Bekränzt mit Laub den lieben, vollen Becher
Und trinkt ihn fröhlich leer!
In ganz Europia, ihr Herren Zecher,
Ist solch ein Wein nicht mehr!

Er kommt nicht her aus Ungarn noch aus Polen,
Noch wo man franzmänn'sch spricht:
Da mag Sankt Veit, der Ritter, Wein sich holen,
Wir holen ihn da nicht.

Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Reben:
Gesegnet sei der Rhein!
Da wachsen sie am Ufer hin und geben
Uns diesen Labewein.«

Drunten aber auf der nächtlichen Straße rollten noch immer die Geschütze über das Pflaster, marschierten die Reihen mutiger Krieger und sangen neuanlangende Vaterlandsverteidiger patriotische Lieder.

Es war eine süße Musik für den Doktor, der bei Katte übernachtete, aber vor lauter Begeisterung kein Auge schloß. Trotzdem erschien er am andern Morgen so frisch, als habe er in Abrahams Schoß geruht. Johannes staunte über diese Verwandlung des Vaters, den er nie zuvor in einer ähnlichen lustigen Laune gesehen hatte. Es war das aber auch ganz natürlich; sorgte ja doch Katte dafür, daß der Doktor in der Landwehr-Kompagnie, die für den Nachschub bestimmt war, Aufnahme fand. Hirschfeld nahm sich dagegen seines Freundes Johannes an, dessen militärische Erfahrungen seine Einreihung in die von dem Rittmeister befehligte Husarenschwadron zuließen.

Während Katte und Hirschfeld mit Johannes auf den Abmarsch rüsteten, brachte der Vater die Tage mit Exerzierübungen zu, wobei es sich herausstellte, daß der alte Herr, der seinen Cäsar und Cicero so ziemlich auswendig wußte, nicht einmal rechts von links zu unterscheiden verstand, zum nicht geringen Schrecken und Ärger seines Exerziermeisters, der darüber schier verzweifeln wollte. Indessen tröstete ihn der Doktor, so gut er es vermochte, indem er zu ihm sagte:

»Lassen Sie sich meinetwegen kein graues Haar wachsen und glauben Sie mir, wenn wir den vermaledeiten Franzosen gegenüberstehen, mache ich weder rechts- noch linksum, sondern laufe geradeaus, wie sich's für einen echten Preußen schickt. Euer rechts und links kommt mir überhaupt wie ein militärisches mir und mich vor, mit dem wir Berliner auch fortwährend im Streite liegen.«

Als die Schwadron Hirschfelds Breslau endlich verließ, Weiteres über die Freiheitskriege und besonders die Beteiligung der preußischen Armee daran enthalt Oskar Höckers Sammlung »Preußens Heer – Preußens Ehr'!« Band III: »Mit Gott für König und Vaterland.« kam sie an dem westlichen Tore der Nikolaivorstadt vorüber, wo eine Abteilung von Landwehrtruppen fleißig exerzierte. Der Rittmeister wandte den Kopf dahin und hörte, wie eben einer der Korporale mit martialischer Stimme einem etwas korpulenten Landwehrmanne zurief:

»Aber kreuzbombenelement, verehrter Herr, Sie haben schon wieder rechts- statt linksum gemacht!«

»Das ist sicherlich der Doktor«, lachte Hirschfeld im Weiterreiten in sich hinein.

Und so war es auch ...


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