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Drittes Kapitel.
Die Apostel der Gleichheit und Freiheit

»Weh, wenn sich in dem Schoß der Städte
Der Feuerzunder still gehäuft,
Das Volk, zerreißend seine Kette,
Zur Eigenhilfe schrecklich greift!

Freiheit und Gleichheit! hört man schallen;
Der ruh'ge Bürger greift zur Wehr.
Die Straßen füllen sich, die Hallen,
Und Würgerbanden ziehn umher.«

(Aus Schillers Glocke.)

Saint-Just und Lebas hatten herausgefunden, daß die Bevölkerung Straßburgs und seiner Umgebung aus sehr lauen Republikanern bestand und das noch immer deutsche Gemüt des elsässischen Volkes vor einer Schreckensherrschaft, wie die gegenwärtige, zurückbebte. Monet pflichtete diesen Anschauungen bei, zumal da sich zwischen ihm und Eulogius Schneider das freundschaftliche Band bedeutend gelockert hatte und der Maire bestrebt war, alles Deutschtum, mithin also auch die deutschen Jakobiner, aus Straßburg zu verdrängen. Mit großer Freude begrüßte er daher einen von Saint-Just in Szene gesetzten Zuzug französischer Republikaner, die aus Lothringen, Burgund und der Champagne stammten. Diese sechzig bis achtzig Männer gehörten einer geheimen politischen Gesellschaft an, deren Absicht dahin ging, revolutionäre Grundsätze in andere Länder zu verpflanzen. Sie führten den Namen Propagandisten und begannen ihr Tagewerk in Straßburg damit, daß sie die Geistlichkeit in schändlichster Weise verleumdeten, jede religiöse Lehre verspotteten und den Gottesdienst abschafften, indem sie die Kirchen in Heumagazine und Spitäler verwandelten. Sie gaben freilich als Grund für dieses eigenmächtige Verfahren die bedrohliche Nähe des Krieges an, denn die unglückseligen Rheinfeldzüge Österreichs und Preußens hatten bereits begonnen; in Wahrheit aber war es nur ein elender Vorwand für ihre nichtswürdigen Zwecke.

Es währte gar nicht lange, so feierte in dem ehrwürdigen Münsterdome, wo einst die frommen, kernigen Worte eines Geiler von Reifersberg und Matthias Zell erklungen waren, die Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts ihren Triumph, indem die Rotmützen in dem geweihten Raume das »Fest der Vernunft« feierten, wie die Franzosen ihre neue Religion nannten.

Vom frühen Morgen an drängte sich schon das Volk in den nach dem Münster führenden Straßen, denn jedermann war begierig auf das neue Schauspiel. Nach neun Uhr endlich erschien der Festzug, eröffnet durch weißgekleidete Frauen und Mädchen, deren Kopfbedeckung aus roten Freiheitsmützen bestand. Ihnen folgten mehrere mit Piken bewaffnete Männer, die ein lebensgroßes Brustbild des berüchtigten Marat trugen; dann kamen die Propagandisten und Jakobiner, denen sich der Maire, die Kommissare, die verschiedenen Verwaltungen und die Generalität anschlossen. Kriegsmusik ertönte, und Freiheitslieder erschollen, die das Volk derart begeisterten, daß es sich dem Zuge beigesellte. Dieser hatte sich um das doppelte vergrößert, als er endlich vor dem Münster anlangte, über dessen großem Portal auf schwarzer Tafel die goldene Inschrift stand: » Tempel der Vernunft«, und darunter: » Auf Finsternis folgt Licht

Das Innere des Doms hatte eine gänzliche Umgestaltung erfahren. An Stelle der abgebrochenen steinernen Kanzel erblickte man jetzt eine Rednerbühne, das Schiff der Kirche war zu einem Amphitheater hergerichtet worden und der Altar gänzlich verschwunden. Auf seinem Platze erhob sich jetzt ein mit den Bildsäulen der Natur und der Freiheit geschmückter Berg; herabgefallene Felsstücke zeigten die Physiognomien von Priestern, teilweise hatten sie auch die Gestalt von heiligen Büchern, Rauchgefäßen und Dolchen. Alle Kunstdenkmäler, die im Laufe der Jahrhunderte die prächtige Säulenhalle geziert hatten, waren spurlos verschwunden, und das Innere des gigantischen Doms machte auf den Zuschauer einen so kalten, fröstelnden Eindruck wie die Guillotine, denn die dreifarbigen Fahnen und Freiheitsmützen, die an einigen Pfeilern angebracht worden waren, vermochten das Gemüt nicht zu erheben.

Nachdem sich die Bänke des Amphitheaters mit einer neugierigen Zuschauermenge gefüllt hatten, begann ein Orchester zu spielen, sodann wurden Lobgesänge auf die Natur angestimmt, und endlich bestiegen Monet und die Propagandisten nacheinander die Rednerbühne, denen sich Eulogius Schneider mit andern Parteigängern anschloß. Die Redner bewegten sich in ziemlich engen Kreisen, verfluchten das Königtum eiferten gegen Religion und Priester und setzten den Herrgott sozusagen ab. Vielen der Zuhörer rieselte es bei diesen Lästerungen kalt durch die Adern, doch niemand wagte es, gegen den Frevel offen und ehrlich aufzutreten, ein Landgeistlicher ausgenommen.

Der unerschrockene Mann eilte auf die Rednerbühne, legte eine kräftige Beschwerde gegen die revolutionäre Intoleranz ein und donnerte den falschen Aposteln der Gleichheit und Freiheit die heiligen Wahrheiten des Evangeliums entgegen. Wie vorauszusehen war, wurde er von den höhnenden Stimmen der Propagandisten und Jakobiner übertönt und gezwungen, die Tribüne eiligst zu verlassen.

Vor dem Portale traf der Glaubensheld mit dem greisen Mesner zusammen, der sich über die Entweihung des ehrwürdigen Münsters nicht zu fassen vermochte.

»Der Maire«, rief er in schmerzlich zorniger Bewegung, »will mich zu einer Art von Hauswart machen und meinen kleinen Gehalt verdoppeln, sobald ich die Religion meiner Väter abschwöre; darauf aber kann er warten bis in alle Ewigkeit, denn ich will lieber in Ehrlichkeit verhungern, als mich im Frevel mästen.«

Der Bankier Türckheim, der sich mit unter den Zuschauern im Münster befunden hatte, verließ jetzt ebenfalls den innern Raum, so sehr fühlte er sich angewidert von den Phrasen und bombastischen Reden der Propagandisten. Er drückte dem Landgeistlichen herzlich die Hand und sprach ihm seinen Dank aus, zugleich fügte er aber auch die Warnung hinzu, sobald wie möglich Straßburg zu verlassen, damit er nicht in die Gewalt des öffentlichen Anklägers gerate.

»Wohin aber soll ich mich wenden?« fragte der Prediger.

»Suchen Sie den Grafen d'Haunaigue auf,« lautete der Rat des Bankiers, »er weilt heute hier in der Stadt. Sein Reichtum erlaubt ihm, sich bedrängter Priester anzunehmen, und in den weiten Räumen seines Schlosses hat schon so mancher Ihrer Amtsbrüder ein erwünschtes Asyl gefunden.«

Er wollte noch etwas hinzufügen, unterbrach aber seine Rede, da das Geräusch von Schritten verkündete, daß die Feier im Münster zu Ende sei. Er winkte dem geistlichen Herrn, sich eiligst zu entfernen, und verließ sodann ebenfalls den Platz, der zur Werkstätte der Propaganda herabgesunken war.

Der lange Zug begab sich von dem Münster nach dem nächstgelegenen Fronhof. Der gefällige Monet hielt dort für die Freunde der Republik ein neues Schauspiel in Bereitschaft. Auf mehreren Wagen nämlich lagen eine große Anzahl Adelsbriefe, Feudaldokumente, Meßbücher, Heiligenbilder, Priestergewänder sowie die Bildnisse des Königs und mehrerer Bischöfe von Straßburg. Unter dem Jubel der Menge wurden alle diese Gegenstände verbrannt, und während die Flammen hoch emporloderten, reichten sich die betörten Menschen die Hände und tanzten um die verheerende Feuersäule.

Monet wußte recht gut, wie die niedrigen Leidenschaften der großen Menge zu entfachen waren. Sie hatte jetzt sozusagen Blut geleckt, und deshalb brach bei ihr die Bestialität durch. Nachmittags tobten Männer und Frauen durch die Straßen der Stadt. Alle trugen rote Jakobinermützen, denn die Weiber gehörten zu den sogenannten »Strickerinnen« Schneiders, welchen Namen sie deshalb erhalten hatten, weil sie den Vorträgen Schneiders regelmäßig beiwohnten und, das Angenehme mit dem Nützlichen verbindend, während dieser Zeit an langen Strümpfen strickten. Am Abend trieb eine solche Rotte die Zügellosigkeit so weit, daß sie sich nicht begnügte, um einen Freiheitsbaum ihren wilden Reigen aufzuführen, sondern um die mit Lampen illuminierte Guillotine die Carmagnole tanzte.

Ja, die Guillotine war illuminiert, und die ganze Stadt erglänzte in reichem Lichterschmuck, denn die Göttin der Vernunft sollte durch die festliche Beleuchtung geehrt werden, und so mancher rechtliche Straßburger Hausvater zündete mit Tränen im Auge und Zorn im Herzen die Flämmchen vor den Fenstern an, denn er fürchtete die aufstachelnden Reden der Jakobiner und die Gemeinheit des großen Haufens, der nach jedem dunkeln Fenster Steine sandte.

An dem nämlichen Abende durchzog, unter Fackelschein, eine seltsame Prozession die Hauptstraßen der Stadt. Auf einem mit schwarzem Tuch ausgeschlagenen Wagen sah man die Insignien der durch die Revolution in den Staub getretenen geistlichen und weltlichen Würden, wie: Krone, Zepter und Hermelin, Ordensbänder, Hirtenstäbe, Bischofsmützen, Priesterkappen und Meßgewänder in buntem Durcheinander. Den Wagen begleitete ein Mummenschanz, indem zu beiden Seiten Männer schritten, die sich als Priester, Mönche, Nonnen und Edelleute verkleidet hatten und in ironischer Weise abwechselnd Kirchengesänge und Freiheitslieder anstimmten.

Eine lachlustige Menge schwärmte um diesen Faschingsaufzug, indessen hörte die wilde, lärmende Fröhlichkeit urplötzlich auf, als eine kräftige Stimme rief:

»Fluch euch allen, die Gott und die Religion mit Füßen treten! ... Die Guillotine komme über eure Häupter!«

Wer hatte die Kühnheit gehabt, eine solche Verwünschung auszustoßen? Aus welcher Richtung war die Stimme des Unbekannten erklungen? Niemand wußte etwas Bestimmtes; die einen deuteten dahin, die andern dorthin, manche behaupteten sogar, der donnernde Ruf sei von oben gekommen, und es gab so manches Kind des Aberglaubens, das sich still von dem Maskenzuge absonderte und heimwärts schlich. Nach allen Richtungen schwärmten zwar Munizipalbeamte, Jakobiner und Propagandisten, aber niemand traf auf den kühnen Rufer. Er mußte seinen Verfolgern auch unsichtbar bleiben, da er rechtzeitig von ein paar kräftigen Armen in eine Hausflur gezogen worden war.

»Ich dachte mir gleich, daß Ihr Zorn Sie zu etwas verleiten würde«, äußerte Graf d'Haunaigue, welcher der Retter war, zu dem uns schon bekannten Landgeistlichen, der die kräftigen Worte ausgestoßen hatte. »Darum folgte ich Ihnen auf die Straße, als Sie beim Herannahen des albernen Zuges die Gesellschaft verließen.«

Das Haus, in welchem man sich befand, gehörte nämlich dem Bankier Türckheim. Er hatte am heutigen Abend einen kleinen Kreis von treuen Gesinnungsgenossen um sich versammelt und die Freude gehabt, auch den Grafen und den wackern Landpfarrer begrüßen zu können, die sich beide schon gefunden hatten.

Der Graf führte den außerordentlich erregten geistlichen Herrn zu den Freunden zurück, die ihn beschworen, nicht mutwillig sein Leben zu wagen.

»Die gegenwärtige trübe Zeit braucht solche Gottesmänner, wie Sie einer sind, lieber Treufels!« rief der Bankier, der in wenig Stunden den schlichten Landpfarrer verehren und schätzen gelernt hatte.

»Ach,« antwortete der wackere Mann betrübt, »was vermag ich gegen einen solchen Sturm, wie er jetzt in unserm armen Lande wütet! Um ihn zu bannen, bedarf es eines Meisters –«

»Den uns Gott auch gewiß schicken wird«, vollendete der Graf. »Jedenfalls müssen Sie sich uns erhalten, mein würdiger Freund, und ich wiederhole meine Bitte, nicht länger in Straßburg zu verweilen, sondern mir auf mein Schloß zu folgen.«

Die übrige Gesellschaft pflichtete d'Haunaigue bei, und ihren vereinten Bitten gelang es, den ehrenfesten, aber etwas trotzigen Sinn des bedrohten Predigers zu beugen.

Noch schwebte das Halbdunkel des grauenden Morgens über der Stadt, als sich der Graf mit Treufels auf der nach Wasselheim führenden Landstraße befand. Schon wenig Stunden später aber erstattete der Schuster Jung seinem hochverehrten Meister Eulogius einen gar wichtigen Bericht, worin die Namen d'Haunaigue und Treufels öfters vorkamen ...

Mit diesem Tage begann in Straßburg so recht die eigentliche Schreckensherrschaft. Von der vielgerühmten Freiheit der Republik war wenig zu spüren, dagegen empfanden die Bürger mehr und mehr das knechtische Joch, unter das die blutgierigen Freiheitsmänner sie beugten. Für das bedauernswerte Land zeigten sich nach allen Seiten hin düstere Wetterwolken; zu den Drangsalen des Krieges und den innern Unruhen gesellten sich noch Mißwachs und Hungersnot. Der Tod hielt dagegen eine reiche Doppelernte, denn es arbeitete nicht nur die Guillotine für ihn, sondern eine noch weit größere Menge von Opfern wurde ihm durch die typhösen Krankheiten zugeführt, die in den Spitälern und den mit Menschen überfüllten dumpfen Gefängnissen ausbrachen. Mit der Zerstörungswut der herrschenden Seuchen ging jene der Republikaner Hand in Hand. Sie verordneten, daß alles, was an Religion und Königtum erinnere, der Vernichtung anheimfallen solle; so verschwanden sämtliche Wappen über den Stadttoren und öffentlichen Gebäuden, die Bilder und Inschriften in den Kreuzgängen der Kirchen, auf den Grabsteinen und sonstigen Denkmälern, die Kreuze von den Türmen, ja selbst die Wetterfahnen, als Feudalzeichen, von den Dächern, und die Heiligenbilder auf den Landstraßen wurden umgestürzt.

Saint-Just und Monet gaben sich damit aber noch keineswegs zufrieden; sie gingen einen Schritt weiter und weihten auch den Rest von Deutschtum, der sich noch im Niederelsaß vorfand, dem Untergang. Man schalt die deutsche Sprache eine barbarische und verbannte sie aus allen Aktenstücken, die Firmenschilder der Handwerker und Kaufleute mußten von jetzt an die französische Bezeichnung tragen, und die Straßen, die Plätze und die Stadttore wurden zum großen Teil in republikanische oder revolutionäre umgetauft.

Dieser Nationalhaß ging aber noch weiter, Saint-Just und Lebas erließen an die weibliche Bevölkerung Straßburgs folgende Aufforderung: »Straßburgs Bürgerinnen sind eingeladen, den deutschen Moden zu entsagen, weil ihre Herzen französisch sind.« Diese wenigen Worte hatten leider die gewünschte Wirkung. Eine große Anzahl von Frauen und Mädchen beeilte sich, ihren altdeutschen Kopfputz, die silbernen und goldenen Hauben, als patriotische Gaben auf dem Altar des »französischen Vaterlandes« niederzulegen.

Eine Gewaltmaßregel folgte nunmehr der andern, und Requisitionen aller Art waren an der Tagesordnung. Heute mußten die Bürger Schuhwerk, Strümpfe und Mäntel für die Armen liefern, morgen forderten Saint-Just und Lebas für die Spitäler Betten und Weißzeug, ein drittes Mal mußte alles Kupfer- und Zinngeschirr ins Zeughaus geschafft werden, und schließlich scheute man sich sogar nicht einmal, den Weinkellern der Vornehmen einen Besuch abzustatten. Auf den Ruin der begüterten Klasse, die selbstverständlich von Revolution und Republik nichts wissen wollte, war es überhaupt abgesehen. Dies bewies ein amtlicher Erlaß, in dem eine Anzahl reicher Bürger aufgefordert wurde, binnen vierundzwanzig Stunden neun Millionen Franken aufzubringen, widrigenfalls sie sich daraus gefaßt machen mußten, verhaftet und an der Guillotine öffentlich zur Schau gestellt zu werden.

Von dieser Maßregel wurde der Bankier Türckheim schwer getroffen. Da alle Handelsgeschäfte lahm lagen und die Einnahmen ins Stocken gerieten, vermochte er in der Geschwindigkeit nur die Hälfte der von ihm geforderten 300 000 Franken aufzubringen und wurde deshalb von Polizeiagenten und Gendarmen aus seinem Hause geholt, an den Schandpfahl der Guillotine gebunden und unter strömendem Regen mehrere Stunden lang zur Schau gestellt. Diese niedrige Handlungsweise der volksbeglückenden Jakobiner trug ihnen jedoch keinen Beifall ein. Das Schauspiel machte auf die Mehrzahl der Zuschauer einen überaus mißfälligen Eindruck, und überall regte sich das Mitgefühl für den so schimpflich behandelten Bankier, den man als Ehrenmann kannte und schätzte. Saint-Just gab daher nach und räumte den Besteuerten Termine ein.

Auch Eulogius Schneider legte die Hände nicht müßig in den Schoß; trotz seiner Anstrengungen fiel ihm aber nur eine verhältnismäßig kleine Anzahl von Opfern in die Hände. Die Guillotine hatte, seiner Ansicht nach, viel zu wenig Arbeit. Er klatschte deshalb dem Beschlusse zweier Volksrepräsentanten Beifall zu, die sogenannte Sicherheitskarten in Straßburg einführten. Mit solchen mußten in Zukunft alle Einwohner der Stadt versehen sein, sonst wurden sie als Feinde und Verräter des Vaterlandes behandelt. Eine solche Sicherheitskarte erhielt jedoch nur der, dem von dem Aufsichtsausschusse bescheinigt wurde, daß er ein guter Patriot sei. Der Schuster Jung wurde mit dieser Austeilung beauftragt und ihm zu diesem Zwecke eine größere hölzerne Hütte vor dem Gemeindehaus errichtet. Bei seiner Aufgeblasenheit kann man sich die Art der Behandlung denken, die er den massenhaft zu ihm strömenden Bürgern und Bürgerinnen zuteil werden ließ. Die Verhöre, mit denen er besonders die vornehmeren Klassen beehrte, gestalteten sich zu einer Art von Inquisition. Nach des Tages Last und Mühen erstattete er dann seinem Freunde Schneider Bericht und bezeichnte ihm die Namen derer, denen er die Sicherheitskarte verweigert hatte. Nunmehr war Eulogius Schneider befriedigt, denn er konnte alltäglich als öffentlicher Ankläger gegen diese und jene Person auftreten. Die Gefängnisse füllten sich von neuem, Deportationen erfolgten in Menge, die Guillotine arbeitete rascher, kurzum, es schlug alles zu Schneiders Freude aus.

Trotzdem seine Zeit jetzt sehr gemessen war, vergaß er doch seiner beiden heftigsten Gegner, d'Haunaigue und Türckheim, nicht. An diesem sah er seine Rache befriedigt, denn der Bankier war ein halb ruinierter Mann, der die ihm angetane Schmach nicht zu überwinden vermochte. Graf d'Haunaigue dagegen war bisher noch straffrei ausgegangen, und Eulogius Schneider wartete nur noch eine günstige Gelegenheit ab, damit er dann um so sicherer das auserkorene Opfer mit seinen Fangarmen an sich ziehen könne.

Durch seine Spione hatte er erfahren, daß der Graf zu wiederholten Malen Priestern, die der Republik den Eid verweigerten, in seinem Schlosse Zuflucht gewährt hatte, bis die Gefahr für die Bedrohten vorüber war. Der Schuster Jung vermehrte diese Anschuldigungen, da er den Grafen in Gesellschaft jenes Landpfarrers gesehen hatte, der im Tempel der Vernunft so entschieden gegen die Jakobiner und Propagandisten aufgetreten war.

»Ich bin gewiß,« schloß der Schuster seinen Bericht, »daß er den Pfaffen bei sich beherbergt, denn ich sah beide bei Nacht und Nebel die Stadt verlassen. D'Haunaigue läßt sich seit dieser Zeit nicht mehr in Straßburg sehen, das beste Zeichen seines bösen Gewissens; vielleicht ahnt er auch, daß er von mir keine Sicherheitskarte ausgestellt bekommen würde.«

»So holen wir uns den Vogel!« rief Schneider kurz und barsch.

»Das würde nicht schwer sein, wenn wir ihm sein Vergehen, eidweigernden Priestern eine Zuflucht gewährt zu haben, Nachweisen könnten«, wandte Jung ein und fuhr, auf einen zornigen Blick Schneiders hin, fort: »Ich muß Euch nämlich offen bekennen, daß Monet und sein Anhang darauf ausgehen, Euch etwas am Zeuge zu flicken. Laßt Ihr daher den Grafen verhaften, ohne schlagende Beweise für seine Schuld zu haben, so werden Eure Gegner, über Euch herfallen.«

Schneider stampfte mit dem Fuße. Er wußte recht gut, daß Monet seinen Fall herbeiwünschte; seine Wut, sich durch diese Gegner an der Ausführung seines Racheplanes verhindert zu sehen, war deshalb doppelt groß.

»Und wenn Tausende gegen mich verschworen sind,« schrie er mit ausbrechender Leidenschaft, »so ruhe ich doch nicht, bis ich diesen Haunaigue auf dem Schafott sehe, denn er gehört zu jenen verhaßten Aristokraten, die mit Österreich liebäugeln und das Elsaß verraten wollen!«

Nach einer längeren Beratung mit Jung kam er zu dem Beschlusse, von dem ihm zustehenden Rechte einer nächtlichen Hausuntersuchung Gebrauch zu machen. Schon in der folgenden Nacht sahen sich die Bewohner des Bergschlosses aus ihrer Ruhe gestört, indem der Schuster Jung mit noch andern Munizipalbeamten und Gendarmen erschien, um das Schloß auf das strengste zu visitieren. Viele Stunden hausten die Unholde in dem Prachtbau, keinen einzigen Winkel undurchsucht lassend; trotzdem fanden sie nichts Verdächtiges vor und sahen sich daher genötigt, unverrichteter Sache abzuziehen.

»Für dieses Mal seid Ihr gerettet, mein Freund«, äußerte der Graf zu Treufels, als er den geistlichen Herrn aus seinem Verstecke hervorholte. Es befand sich in einem engen, geheimen Gange, der nicht weit von der Familiengruft angebracht war und durch den Felsen in das Tal hinabführte. Außer der Schloßfamilie hatte niemand eine Ahnung von dem Vorhandensein dieses Ganges; denn die Türe zu ihm war durch Steine verdeckt, die erst aus der Mauer entfernt werden mußten, wenn man hinein wollte. Ähnlich verhielt es sich mit dem Ausgange unten im Tal; er war so niedrig, daß man hindurchkriechen mußte, und außerdem entzog er sich jedem fremden Auge durch ein dichtes Gestrüpp, das die Öffnung überwucherte.

Es war wenige Tage später, die Schloßfamilie saß mit ihrem Gaste in einem der üppigen Gemächer, an denen das Schloß so reich war, und deren hochelegante Ausstattung mit dem Baustile des Rokokogebäudes zu wetteifern schien. Ein freundliches Familienbild bot sich dem Auge des Beschauers dar. Die Gräfin, eine stattliche, schöne Frau, übte die Pflicht der Hausfrau und füllte die Tassen des silbernen Services mit würziger Schokolade. Neben dem Grafen stand der älteste Sohn Raoul, ein schwarzäugiger, fünfzehnjähriger Jüngling, in dessen Gesichtszügen sich schon jetzt eine männliche Energie ausprägte. Das gerade Gegenteil von ihm war sein achtjähriger Bruder Viktor. Er saß auf dem Schoße von Treufels, der liebkosend über den braunen Lockenkopf des Kleinen strich. Das Gespräch, für gewöhnlich den unheimlichen Ereignissen der Gegenwart Rechnung tragend, drehte sich heute um harmlose Dinge. Man scherzte mit den Kindern und freute sich an ihren Antworten, die ebenso verschieden waren, wie sie selbst. Raoul sprach es unverhohlen aus, daß er dereinst ein berühmter General werden wollte, der die rotmützigen Jakobiner zu Paaren triebe; Viktor dagegen wollte von Krieg und Blutvergießen nichts wissen und kannte keinen größeren Wunsch, als einmal eine so schöne und gute Mama heiraten zu dürfen, wie die Gräfin es war. Da fand plötzlich das gemütliche Gespräch einen grellen Abschluß. Wilder Lärm tönte aus dem Schloßhofe herauf. Der Graf eilte ans Fenster und erbleichte, denn er blickte auf eine Anzahl Propagandisten nieder, in deren Gesellschaft sich Saint-Just und Lebas befanden. Jetzt eilten mehrere Diener ins Zimmer und meldeten hastig, daß der wilde Troß den Grafen verhaften und sich des Schlosses bemächtigen wolle.

Das war ein Blitz aus heiterm Himmel. Im ersten Augenblicke dachte der Graf an Widerstand, doch sah er sofort ein, daß er nutzlos sein und die Lage der Familie nur verschlimmern würde.

»Wir müssen der Gewalt weichen!« rief er finster, die zitternde Gattin und den weinenden Viktor sanft umfassend. Gleich darauf eilte er nach seinem Zimmer, wo er ein geschnitztes Schreibpult aufschloß, dem er Wertpapiere und Juwelen entnahm. In größter Eile wurden nunmehr die wertvollsten Gold- und Silbergerätschaften zusammengerafft, dann raunte der Graf seiner sich in einen Mantel hüllenden Gattin zu: »Nach dem geheimen Gange!«

Wenig Minuten später stürmte Saint-Just mit seiner Horde die große Freitreppe herauf und drang in den ihr gegenüberliegenden Prunksaal ein, welcher der berühmten Galerie des Glaces des Versailler Schlosses nachgebildet war. Die unmalerische Kleidung sowie die meist rohen Gesichtszüge der Propagandisten nahmen sich, angesichts dieser hohen Eleganz, äußerst unvorteilhaft aus, auch rutschten einige von ihnen auf dem glatten, ungewohnten Parkettboden so tüchtig aus, daß sie in komischster Weise zu Falle kamen. Dieses kleine Unglück fachte ihre blinde Wut nur noch mehr an; gleich Tigern brüllend und den Namen des Grafen rufend tobten die Freiheitsmänner von einem Gemach ins andere, bis sie schließlich inne wurden, daß der Graf mit seiner Familie spurlos verschwunden sei.

Schneiders Rache war befriedigt, wenn schon er den Grafen lieber guillotiniert als flüchtig gesehen haben würde. Indessen sollte sich das alte Sprichwort: »Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein«, nur zu bald an dem deutschen Jakobiner erfüllen. Kaum hatten Saint-Just und Lebas von dem verlassenen Schlosse des Grafen d'Haunaigue zugunsten der Republik Besitz ergriffen, so gingen sie, im Vereine mit Monet, gegen Schneider gemeinsam vor. Ihren geheimen Zwecken kam der Umstand gelegen, daß Schneider sich verheiratete und deshalb für eine kurze Zeit Straßburg verließ. Währenddem trugen seine Feinde mit einem wahren Bienenfleiße das Material für seine Schuld zusammen. Das Hauptärgernis gab jedoch der öffentliche Ankläger durch sein hochmütiges Gebaren selbst. Von seiner Hochzeitsreise zurückkehrend, fuhr er unter Begleitung einer Ehrenwache in einer sechsspännigen Karosse in der alten Münsterstadt ein. Die Torwache trat unter das Gewehr, die Trommeln wurden gerührt, und unter dem Zulauf einer neugierigen Menge hielt Schneider einen den republikanischen Sitten hohnsprechenden Triumphzug, der zwar allgemeines Aufsehen, aber auch das größte Mißfallen bei der Bürgerschaft erregte.

Der gestrenge Eulogius sollte jetzt den Haß empfinden, den er sich durch seine tyrannische Strenge bei der Einwohnerschaft zugezogen hatte. Jedermann fand es für gerecht, daß er von Saint-Just und Lebas zum Prangerstehen an der Guillotine verurteilt wurde. Die von ihm so viel gerühmte Freiheit und Gleichheit verwandelte sich jetzt in eine Dornenkrone, die der Spott und Hohn der Menge ihm auf das Haupt drückten. Den Schandpfahl der Guillotine verlassend, mußte er am Nachmittag mit gefesselten Füßen einen Wagen besteigen, der ihn unter starker Gendarmerie-Bedeckung nach Paris brachte.

Der zur Zeit der französischen Revolution oft so seltsam spielende Zufall führte Schneider in dem Gefängnisse der Abtei mit demselben Manne zusammen, den er auf das schnödeste verraten hatte, nämlich mit dem ehemaligen Maire von Straßburg, dem armen Dietrich, der trotz seiner Freisprechung in Besançon gefangen genommen und nach Paris transportiert worden war.

Die Häupter beider fielen der Guillotine zum Opfer. Dietrich erhielt sich trotzdem das freundliche Andenken der Straßburger Bürgerschaft, während man die Hinrichtung Schneiders als eine Sühne ansah, denn alle die verlassenen Witwen und Waisen, denen der tyrannische öffentliche Ankläger den Ernährer geraubt hatte, vereinten sich in dem Urteilsspruche:

» Dir ist dein Recht geschehen


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