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Zweites Buch.
Deutschland in Ketten.

Viertes Kapitel.
Versteckte Pläne

»So schwört es laut bei unserm deutschen Schwerte:
Dem Bunde treu im Leben und im Tod!
Auf, Brüder, auf! und schützt die Vatererde
Und ruft hinaus ins blut'ge Morgenrot:
Ob Fels und Eiche splittern,
Wir werden nicht erzittern!«

Ein lebensmüder Greis schickte sich an, aus dieser Welt zu scheiden. Mehr als achtzig Frühlinge hatte der Alte kommen und grünen gesehen, ebensoviele Herbststürme waren aber auch über sein jetzt kahles Haupt dahin gebraust. Gottes Vaterhand hatte ihn möglichst sanft und ruhig durchs Leben geführt und ihn die Tage des Ruhms schauen lassen, die Friedrich der Große über das kleine Preußenland gebracht hatte. Aber auf die sonnige Zeit war eine überaus trübe gefolgt, denn der treue Wächter, der so sorgsam sein Vaterland behütet hatte, der große König wandelte nicht mehr unter den Lebenden, und die Grenzen des Landes standen jedem Gegner offen. Das preußische Volk krankte, wie ganz Europa überhaupt, an der Zerrüttung der Gesellschaft, die in ihrer moralischen Verkommenheit immer tiefer und tiefer sank, bis Gott schließlich eine Geißel sandte, die auf den Rücken der Sünder niedersauste und den gelockerten Boden mit Blut düngte, damit aus dieser Saat ein neuer Völkerfrühling hervorsprieße.

Als am 10. August 1792 der Pöbel die Tuilerien stürmte und die braven Schweizergarden sich vergebens bemühten, den König und seine Familie zu schützen, ahnte sicherlich niemand, daß der schmächtige, olivengelbe junge Artillerieoffizier, der mit seinen großen dunkeln Augen von einem Hause des Karussellplatzes aus die stürmische Szene ruhig betrachtete, in nicht gar langer Zeit der Kaiser der Franzosen und jene Gottesgeißel werden sollte, unter deren Wucht Preußen und das übrige Deutschland so ziemlich erlag. Durch die unheilvolle Schlacht bei Jena war Preußens Macht gebrochen, immer weiter rückte der siegreiche Korse vor, ein fester Platz nach dem andern fiel in seine Hände, zumeist für die preußischen Besatzungen auf unrühmliche Weise. Preußens König sah sich von dem mächtigen Eroberer bis in die nördlichste Stadt seines Reiches, bis nach Memel gedrängt. Einer solchen Gewalt mußte Friedrich Wilhelm III. freilich nachgeben, und so kam der schmähliche Friede von Tilsit zustande, worin der König an Napoleon die Hälfte seines Gebietes und seiner Bevölkerung abtreten mußte und außerdem für die Bedürfnisse der französischen Heere aufzukommen hatte. Den deutschen Verbündeten Preußens ging es nicht besser; der Kurfürst von Hessen und der Herzog von Braunschweig wurden ihrer Länder beraubt, und aus diesen wie aus dem südlichen Teile des ebenfalls eingezogenen Kurfürstentums Hannover und etlichen preußischen Landstrichen wurde das neue Königreich Westfalen als Vasallenstaat Frankreichs gegründet und Napoleons jüngerer Bruder Jérôme (Hieronymus) Bonaparte als König eingesetzt. So standen um das Jahr 1808 die Dinge im deutschen Vaterlande. Es war begreiflich, daß sich der sterbende Greis, dessen wir am Eingange des Kapitels Erwähnung getan haben, nach jener himmlischen Ruhe sehnte, wo ein ewiger Friede waltet.

Weinend umstand die Familie das Sterbebett, denn alle liebten auf das zärtlichste den Großvater, mit dem ein Stück Weltgeschichte zu Grabe ging. Stammte er ja doch noch aus der Zeit der Riesengarde, zu der er »gepreßt« worden war, und trotzdem hatte er es zu einer gediegenen wissenschaftlichen Bildung und dem Titel eines Professors gebracht; mit einem Worte, der Name Christoph Ratbod hatte in Berlin einen guten Klang, und die Verehrung und Liebe, die man für den freundlichen Greis im Herzen hegte, zeigte sich so recht in der zahlreichen Beteiligung, als man seine sterbliche Hülle zu Grabe trug.

»Nun sind wir allein«, äußerte auf dem Heimwege der verheiratete Sohn zu seinem Weibe und beiden Kindern, während er sich wiederholt mit dem Schnupftuche über die Augen fuhr. »Was werden wir nun ohne ihn beginnen? Wie werden wir die schwere Not der Zeit überwinden? O, könnte er uns doch noch wenigstens seinen Rat erteilen, wie er es stets getan hat! Aber die Sorgen der Welt kümmern ihn nicht mehr, denn er weilt procul negotiis, beatus ille.«

Nach diesen Äußerungen zu schließen, schien der Sohn noch wenig Selbständigkeit zu haben und noch sehr jung zu sein. Alt war er freilich nicht, über das lateinische Jünglingsalter aber doch schon hinaus, denn er zählte einige Jahre über ein halbes Säkulum. Der gute Doktor Ratbod, dessen Name als Archäolog einen ehrenvollen Klang in der wissenschaftlichen Welt hatte, gehörte zu jenen gutmütigen, unpraktischen Naturen, die dem äußerlichen großen Weltgetriebe gegenüber bis in das späteste Alter Kinder bleiben. Unser fünfzigjähriges Kind z. B. kannte nichts anderes als die Liebe zu seiner Familie und zu seinem Studium. Der Tod seines Vaters, den er geradezu zärtlich geliebt hatte, nahm den guten Doktor tüchtig mit, indem er über die entstandene Lücke nicht hinwegkommen konnte. Er war es gewohnt gewesen, den Greis von allem, was seinen Geist und sein Herz berührte, in Kenntnis zu setzen. Selten war ein Tag vergangen, wo er nicht des Dahingeschiedenen Rat eingeholt hätte. Nur der Hinblick auf die liebende Gattin und seine beiden blühenden Kinder vermochte den Doktor allmählich zu trösten. Der achtzehnjährige Johannes, der diesen Namen zur Erinnerung an einen Vorfahren erhalten hatte, der ein eifriger Jünger Luthers gewesen war, hatte trotz seiner Jugend vor kurzem sein Abiturienten-Examen bestanden. Diese rasche Absolvierung des Gymnasiums verdankte er zumeist dem großen Vorteil, unter der Leitung seines gelehrten Vaters die alten römischen und griechischen Schriftsteller lesen und verstehen gelernt zu haben. Diese humanistische Bildung der Männer ging teilweise auch auf die Frau Doktorin und ihre Tochter Dora über, die jetzt in ihrem fünfzehnten Lenze stand und ein mehr als hübsches Mädchen war.

Die Gelehrtenfamilie lebte ruhig dahin und hatte, da sie sich selbst genügte, einen beschränkten Bekanntenkreis. Besonders verkehrten zwei Männer in ihrem Hause, die beide dem Wehrstande angehörten. Der Ältere war ein invalider Offizier, der Hauptmann Götze; er hatte sämtliche ruhmreiche Schlachten des Siebenjährigen Krieges mitgemacht, bis ein Schuß ins Bein ihn zwang, den Dienst zu verlassen. Trotzdem blieb er ein begeisterter Anhänger des Soldatenstandes, und seine Wangen glühten, wenn er mit blitzenden Augen von den Schlachten bei Roßbach und bei Leuthen sprach. Der andere Hausfreund der Ratbodschen Familie war ein stattlicher schöner Mann von zweiunddreißig Jahren und frischem, feurigem Wesen. Er verweilte erst seit einem Jahre in Berlin, und zwar als Kommandeur des Leibhusarenregiments; dennoch war er schon der Liebling des Volkes: den Major Schill kannte jedermann.

Unser guter Doktor schwärmte zwar nicht für Militär und Krieg, ja die schauerlichen Schlachtenbilder, die der pensionierte Hauptmann zum besten gab, wirkten sogar verstimmend auf ihn, und er nannte den alten Schnurrbart einen rohen Landsknecht; für Schill dagegen hegte er andere Empfindungen, denn dessen Heldenmut wurde von echter vaterländischer Begeisterung getragen, und es tat dem Archäologen wohl, den verständigen Mann über die traurigen Verhältnisse der Gegenwart und die Mittel sich äußern zu hören, die zu ergreifen seien, der Napoleonischen Gewaltherrschaft ein Ziel zu setzen.

»Was tue ich mit Euerm vergangenen Ruhm?« äußerte heute der Archäolog gegen den Hauptmann Götze, der wieder einmal der Familie die Schilderung von der Schlacht bei Roßbach zum besten gab. »Hätten sich unsere Soldaten nicht in den Träumen an jene siegreichen Kämpfe gewiegt, sondern tatkräftig gehandelt, so stünde es jetzt anders um unser Vaterland.«

»Was versteht denn Ihr vom Kriegswesen!« polterte der Hauptmann; »höchstens, daß Ihr einen altrömischen Helm von einem neugriechischen zu unterscheiden versteht. Lebte nur der Alte Fritze noch, so würden die Franzosen mit ihrem Kaiser schon längst über den Rhein getrieben sein!«

»Das ist's ja eben,« fiel der Doktor lachend ein, »der Alte Fritze fehlt ... das große acumen ingenii.«

»Ei, was weiß ich von Euern Lagunen,« brummte Götze, »ich bin wenigstens noch ein guter Preuße, während Ihr mit allen Völkern des Altertums liebäugelt.« Bei der lauten Stimme des Hauptmanns hatte man ein Pochen an der Stubentür überhört; sie öffnete sich jetzt und zeigte den Major Schill neben einem jungen Manne, dem trotz seiner Zivilkleidung der ehemalige Militär sofort anzusehen war.

»Eugen!« ertönte es aus dem Munde von Johannes, der mit Mutter und Schwester bescheiden dem bisherigen Gespräche zugehört hatte, jetzt aber von seinem Stuhle aufsprang und in die Arme von Schills Begleiter eilte.

»Gelt, das nenne ich eine Überraschung!« rief der Major, während er die Anwesenden stumm begrüßte. »Sie sehen, lieber Johannes? daß Ihr Freund sein Wort gehalten und Sie noch in diesem Jahre in Berlin ausgesucht hat. Er darf wohl nunmehr auch hoffen, daß Sie Ihr Versprechen lösen?«

Johannes deutete lächelnd auf Vater und Mutter, der Major aber fuhr rasch fort:

»Um die Einwilligung dieses würdigen Paares zu erhalten, wird kein schweres Geschütz nötig sein. Eugen hat Ihnen viel zu erzählen, lieber Johannes, nehmen Sie ihn mit sich auf Ihr Zimmer. Ich werde inzwischen die Zeit benutzen, Ihnen den gewünschten Urlaub zu erwirken.«

Er folgte der freundlichen Einladung der Hausfrau und ließ sich an der Seite ihres Gatten nieder, während Eugen, der indes einige Begrüßungsworte an die Damen gerichtet hatte, seinen Arm in den des Freundes schob und mit diesem das Zimmer verließ.

Eugen von Hirschfeld hatte seine militärische Laufbahn als Husarenleutnant begonnen, sie aber wieder fallen lassen, als sich Napoleon zum Zwingherrn Preußens aufwarf. Hirschfeld fühlte sich außerstande, dem verhaßten Franzosenkaiser den Eid der Treue zu leisten, und nahm deswegen noch mit vielen andern seinen Abschied, jene Zeit herbeisehnend, wo es wieder eine preußische Armee geben werde. Schill hatte den blonden Krauskopf mit den schönen, männlichen Gesichtszügen und dem fein gedrehten Schnurrbärtchen im Ratbodschen Hause eingeführt, und Eugen hatte mit Johannes schnell Freundschaft geschlossen, denn in der Brust beider glühte die heiligste Vaterlandsliebe.

Plötzlich verschwand jedoch Hirschfeld ohne Abschied aus Berlin, und Johannes erfuhr von dem Major Schill nur, daß der Freund schleunigst nach dem Gute seiner Tante habe abreisen müssen, in diesem Jahre aber noch einen Besuch in Berlin abstatten werde, wenn Johannes ihm verspräche, für einige Wochen sein Gast auf dem Gute bei Stendal zu sein. Daß Johannes mit Freuden zugesagt hatte, haben wir bereits erfahren, und wir folgen jetzt dem Freundespaare, das Arm in Arm nach dem Zimmer von Johannes schritt.

Der freudige Ausdruck, den das Wiedersehen in Hirschfelds Gesichtszügen hervorgerufen hatte, machte jetzt einer ernsteren Miene Platz. Er zog den Freund auf ein altväterisches Kanapee nieder, erfaßte seine Rechte und begann:

»Ich bin ein anderer geworden, seitdem wir uns nicht gesehen haben. Das Elend der Zeit und unsere drückende Lage haben meinen Geist gereift. In Schills Gesellschaft machte ich die Bekanntschaft eines vortrefflichen Mannes, dessen Herz bei dem Anblicke des geknechteten Vaterlandes ebenfalls blutet. Du wirst meinen Bundesgenossen, den Hauptmann Friedrich Karl von Katte, in Stendal kennen lernen.«

»Bundesgenosse?« wiederholte Johannes erstaunt.

»Allerdings, mein Freund, und ich hoffe, auch dich den Unsrigen beizählen zu dürfen.«

»Den Eurigen?« versetzte Johannes kopfschüttelnd; »ich verstehe dich nicht.«

»Welcher Vaterlandsfreund«, fuhr Hirschfeld in begeistertem Tone fort, »ertrüge wohl den Jammer unseres geknechteten Volks, ohne das Gefühl nach Rache zu empfinden? Hinter Katte liegt, obgleich er erst sechsunddreißig Jahre zählt, ein reichbewegtes Leben. Schon mit seinem vierzehnten Jahre war er in preußische Kriegsdienste getreten und machte die Feldzüge in Holland und gegen Frankreich mit, bei welcher Gelegenheit er vor zwei Jahren bei Lübeck in französische Gefangenschaft geriet. Nach seiner Auslösung reifte der Gedanke in ihm, Deutschland durch ein kühnes Unternehmen von dem verhaßten Joche der fremden Tyrannei zu befreien. Er war überglücklich, in Schill und mir Gesinnungsgenossen zu finden. Damit wir aber nicht allein stünden, begab ich mich auf Reisen. Das Glück war mir günstig, und ich fand zwei Männer, die mit uns herzeinig sind, nämlich den aus seinem Lande vertriebenen Herzog von Braunschweig und den Obersten Dörnberg, der zwar in westfälischen Diensten steht, aber ebenfalls über den französischen Druck empört ist.«

»Was vermögen so wenige Männer gegen das mächtige Heer eines Napoleon?« fragte Johannes kleinlaut.

»Viel, unendlich viel,« rief der leidenschaftliche Hirschfeld, »wenn wir den rechten Augenblick ausersehen. Im Volke gärt's, man sehnt sich nach einer Gelegenheit, das französische Joch abzuschütteln. Auf diese Beteiligung des Volkes bauen wir und haben uns das Wort gegeben, möglichst gleichzeitig einen allgemeinen Aufstand zu erregen. Der Braunschweiger Herzog organisiert zu Nachod in Böhmen ein Freiwilligenkorps, um mit ihm in Mitteldeutschland einzufallen; Oberst Dörnberg wird sich mit Hilfe seiner Gardejäger der Person des Königs Jérôme und der Stadt Kassel bemächtigen – Schill bricht mit seinem Regimente, dem tagtäglich neue Freiwillige zuströmen, nach der Elbe aus, und Katte und ich überrumpeln die Festung Magdeburg. Nun, was sagst du zu unserm Plan?«

»Er ist schön,« räumte Johannes ein, »aber auch sehr tollkühn.«

»Nur dem Mutigen gehört die Welt« –

»Wenn er genug Verbündete hat, die ihm unterstützend zur Seite stehen.«

»Und haben wir die nicht?« gab Hirschfeld zurück und erhob sich von dem Kanapee. »Das deutsche Volk wartet nur auf den günstigen Augenblick, gegen seine Peiniger Front machen zu dürfen, es wird sich uns freudig anschließen, und wahrlich, es ist stark genug, den Franzmann über den Rhein zu jagen. Wie steht's, Freund, willst du unser treuer Bundesgenosse werden?«

»Gönne mir Zeit, ruhig über die Sache nachzudenken«, erwiderte Johannes freimütig. »Dein Vertrauen hast du keinem Unwürdigen geschenkt, ich werde es zu schätzen wissen.«

Hirschfeld zeigte sich mit der erhaltenen Antwort unzufrieden und kehrte ziemlich verstimmt mit Johannes zu der Gesellschaft zurück.

Schill las sofort in seinen Mienen, rief aber trotzdem den beiden Freunden zu: »Seid frohen Mutes, Kinder – ich habe Johannes den gewünschten Urlaub verschafft. Ihr könnt noch heute nach Stendal aufbrechen.«

Die Eltern nickten den beiden jungen Männern freundlich zu, während sich Dora an den geliebten Bruder schmiegte und ihm die Worte zuflüsterte:

»Gar zu lange darfst du aber nicht fortbleiben, denn sonst reise ich dir nach und hole dich zurück.«

Als Schill von Hirschfeld die Antwort erfuhr, die Johannes gegeben hatte, zeigte er sich damit vollkommen einverstanden.

»Wir Menschen können doch wahrhaftig nicht alle über einen Leisten sein!« äußerte er lächelnd zu Hirschfeld. »Wir beide gehören zu den Strudelköpfen, die Wände durchrennen wollen. Johannes dagegen ist eine überlegende Natur. Sein treues Herz schlägt für das Vaterland, und er wird es im rechten Augenblicke nicht im Stiche lassen. Gönnen Sie ihm zu einem Entschlusse ruhig Zeit. Die Bekanntschaft Kattes wird bei ihm den Ausschlag geben.«

Am nächsten Tage fuhr Hirschfeld mit Johannes nach Stendal und erreichte spät am Abend das Gut der Tante.

Ein Diener meldete dem Leutnant, daß im Schlößchen – wie das schmucke Herrenhaus genannt wurde – Gesellschaft sei, zu Ehren der Gräfin von Lübbenau, die vor einigen Tagen aus Österreich angelangt sei. Hirschfeld erkundigte sich nach den übrigen Gästen, denn er hoffte insgeheim, daß sich Katte darunter befinden würde, doch nannte der Diener nur einige Damen und Herren aus dem Zivilstande und schloß lächelnd mit den Worten:

»Der Herr Kommerzienrat Cerf fehlt natürlich auch nicht, obwohl er von der gnädigen Baronesse keine Einladung erhalten hat.«

»Selbstverständlich«, bemerkte Hirschfeld ironisch. »Da er für diese Nacht sich hier auf dem Gute einlogieren wird, so wollen wir uns das zweifelhafte Vergnügen, in seiner Gesellschaft verweilen zu dürfen, bis morgen früh aufsparen. Die Reise hat mich und meinen Freund ermüdet«, fügte der Leutnant gähnend hinzu. »Grüße meine Tante und sage ihr, daß mein Freund Ratbod und ich morgen früh unsere Aufwartung machen würden.«

Der Diener verneigte sich und zündete ein Licht an, um die beiden jungen Männer nach ihrem Zimmer zu bringen.

»Du wirst dich morgen früh höchlich amüsieren«, äußerte der Leutnant zu Johannes, dessen Gaststübchen an sein Zimmer grenzte. »Der Kommerzienrat Cerf ist ein Original, das mit seiner Begeisterung für Napoleon jedem guten Preußen die Finger jucken macht.«

»Dann sehne ich mich nicht nach seiner Bekanntschaft«, erwiderte Johannes. »Hinter solch unnatürlicher Begeisterung steckt gewöhnlich der entsetzlichste Egoismus.«

»Damit triffst du in diesem Falle den Nagel auf den Kopf«, lachte Hirschfeld. »Herr Cerf gehört dem mosaischen Glauben an und besitzt natürlich als ein Jünger des Gottes Merkur Geld wie Heu. Auf gut deutsch heißt er eigentlich Hirsch, und er stammt von einem Juden gleichen Namens, der während der Belagerung Magdeburgs im Dreißigjährigen Kriege Tillys Spion gewesen sein soll. Dieser Moses Hirsch legte denn auch den Grund zum Reichtum seiner Nachkommen, indem er den plündernden Heeren nachzog und ihnen zu Spottpreisen ihre Beute abkaufte. Mit Verachtung gedenkt man noch heutigestags dieses Patrons, deshalb ist es erklärlich, daß sich der jetzige Nachkomme nach einem andern Namen sehnte. Als reicher Bankier wollte er ja doch eine gewisse Rolle in der Stadt spielen, er ersah sich Napoleon zum Retter aus. Dieser hatte seinen Bruder Jérôme zum Könige von Westfalen bestimmt, doch mußte er zuvor in Paris ausgelöst werden, denn schon damals hatte der neubackene Monarch eine wahrhaft königliche Schuldenlast. Der Bankier kam, mit noch ein paar andern wackern Deutschen, um die außerordentliche Gnade ein, Jérôme mit seinem Gelde freilotsen zu dürfen. Napoleon spielte gegen ihn den Großmütigen, erlaubte ihm, die Schulden seines Bruders Jérôme zu bezahlen, und übersetzte den deutschen Hirsch ins Französische. Ein Titel war für ihn ebenfalls bald gefunden, und so entstand der berühmte Kommerzienrat Cerf. Ich habe dir die Geschichte nur deshalb mitgeteilt, damit du dich in Gesellschaft des würdigen Mannes nicht etwa zu patriotischen Äußerungen hinreißen läßt, denn, wie gesagt, er ist ein glühender Napoleonist, trotz seines ›weichen Herzens‹, dessen er sich bei jedem Anlasse rühmt.«

»Nannte der Diener nicht auch den Namen einer Dame, die gegenwärtig hier verweilt?« fragte Johannes.

»Richtig, die Gräfin Lübbenau. Ich kenne sie nicht, sondern weiß nur, daß sie die Gemahlin eines hohen österreichischen Offiziers ist, der zur entfernten Verwandtschaft meiner Tante gehört. Die junge Frau wurde schon längst erwartet.«

Die Ermüdung der Reise ließ die Freunde bald ihre Ruhestatt aufsuchen. Johannes schlief noch, als am nächsten Morgen der Ton einer Glocke laut wurde, die zum Frühstück rief.

»Beeile dich, Langschläfer!« rief ihm lachend Hirschfeld zu, der bereits fix und fertig dastand. »Meine Tante liebt, als die Witwe eines Offiziers, die Pünktlichkeit. Mit dem Schlage acht Uhr wird des Morgens das Frühstück eingenommen.«

Johannes beeilte sich mit dem Ankleiden und folgte sodann dem Leutnant in eines der im Erdgeschoß befindlichen Gemächer, wo die Baronin Eschwege schon mit ihren beiden Gästen bei der Schokolade saß. Nach der gegenseitigen Vorstellung nahmen auch die beiden jungen Männer an dem Tische Platz.

»Ich habe mit Vergnügen vernommen, daß wir Verwandte sind«, äußerte Hirschfeld verbindlich zu der jungen Gräfin, deren Schönheit ihn unwillkürlich fesselte.

»Ich wage zu hoffen, daß auch zwischen unsern Charakteren eine Verwandtschaft besteht«, lautete die kurze, von einem eigentümlichen Blicke begleitete Antwort.

»Sie verzeihen, meine Gnädigste, daß ich dies bezweifle«, mischte sich der Kommerzienrat ins Gespräch, dessen römische Nase und hochgeschwungene Augenbrauen mit der herunterhängenden Unterlippe genugsam seine israelitische Herkunft kennzeichneten.

»Wie wollen Sie Ihre Behauptung begründen, Herr Kommerzienrat?« fragte Hirschfeld lächelnd.

»Dadurch, daß die gnädige Gräfin, als geborene Französin, anders fühlt und denkt als ein Deutscher.«

»Ich muß Ihnen leider widersprechen,« versetzte Hirschfeld, »es gibt Menschen, die trotz ihrer verschiedenen Nationalität auffallende Ähnlichkeit haben, und zwar sowohl in ihrem Äußern wie auch in ihrem Charakter. Nehmen wir zum Beispiel den Kaiser Napoleon und den Herrn Kommerzienrat an.«

»Sie scherzen«, versetzte der geschmeichelte Cerf mit einem süßen Lächeln, während er das Haupt zur Seite neigte, den Daumen der Linken unter die Weste schob und die Rechte in der Tasche mit Geld klimpern ließ. »Ich habe ein viel zu weiches Herz, um mit dem gewaltigen empereur, diesem zweiten Cäsar, verglichen werden zu können.«

»Dennoch ähneln Sie sich beide«, fuhr Hirschfeld beharrlich fort. »Der Blick Ihrer Augen hat ebenfalls etwas Bezwingendes, dazu die finstern Augenbrauen, die gebogene Nase, die festen Linien des Mundes, die hohe Denkerstirn ... wie gesagt, eine wahrhaft frappante Ähnlichkeit.«

Die Gräfin machte sich mit ihrem Taschentuche zu tun, und auch Johannes und die Baronin vermochten nur schwer ein Lächeln zu unterdrücken, denn Cerf merkte nicht nur nicht die Spottlust Hirschfelds, sondern ahmte sogar die Lieblingsbewegung des Korsen nach, indem er die Arme übereinanderschlug, die Brauen zusammenzog und finster in die leere Luft starrte.

»Apropos, Herr Kommerzienrat,« nahm der kecke Hirschfeld das Gespräch wieder auf, »Sie könnten mir einen Gefallen erweisen.«

»Heraus damit! Sie wissen ja, ich habe ein weiches Herz.« Bei dieser Versicherung ließ sich abermals das Geldgeklimper in der Tasche hören.

»Ich langweile mich nämlich ganz entsetzlich und möchte gern wieder in die Armee eintreten. Vorher will ich mir aber die Sache ein wenig ansehen und besser französisch lernen. Deshalb habe ich vor, nach Magdeburg zu gehen. Könnten Sie mir dort mit einigen Empfehlungen zur Seite stehen?«

»Nichts leichter als das!« rief der Bankier emphatisch. »Ich will Sie bei allen meinen Freunden einführen, denn es freut mich, daß Sie endlich bessern Sinnes geworden sind und in die große Armee eintreten wollen, die der Kaiser nur zu Ruhm und Sieg führt. Ich will Sie einführen bei meinem Freunde, dem General von Michaud, welcher ist der Gouverneur von Magdeburg, und ich will Sie einführen bei meinem Freunde, dem gefürchteten Chef der Polizei, dem Generalkommissar Moisez, und noch bei vielen andern Freunden will ich Sie einführen! Gott der Gerechte, was tue ich nicht für den Neffen meiner liebenswürdigen Freundin, der Baronin von Eschwege, ich hab ja ein weiches Herz!«

Kling ... kling ... kling! tönte es zur Bestätigung aus der mit Geld gefüllten Tasche.

Über das Antlitz Hirschfelds flog es wie ein Blitz. Er dankte dem Bankier auf das zuvorkommendste und fügte das Versprechen hinzu, in wenigen Tagen bei ihm in Magdeburg zu erscheinen.

»Natürlich werden Sie absteigen in meinem Hause«, nickte Cerf wohlwollend. Doch machte der Leutnant von dieser Erlaubnis keinen Gebrauch, was seinen Gönner einigermaßen verstimmte.

Da der Kommerzienrat am Nachmittage wieder in seinem Geschäft sein wollte, so verabschiedete er sich alsbald von der Baronin und der Gesellschaft. Das Rollen seines Wagens war kaum in der Ferne verhallt, als sich ein stattlicher Reiter aus einem feurigen Rappen dem Schlößchen näherte. Der Fremde mochte ein Dreißiger sein und schien, nach der alten Soldatenmütze zu schließen, die sein etwas kahles Haupt bedeckte, früher dem Militärstande angehört zu haben. Die festen Linien des tiefernsten Antlitzes zeigten an, daß der kräftig gewachsene Mann schon so manchen Schicksalssturm überwunden hatte, mit Hilfe der Tatkraft und Festigkeit seines Charakters, der sich in den grauen leuchtenden Augen widerspiegelte und auch in dem krausen schwarzbraunen Haar, dem militärischen Backenbarte und der Adlernase zum Ausdruck gelangte.

Während er sich zu Roß dem Herrenhause näherte, unterhielten sich Hirschfeld und Johannes mit der Gräfin, die jetzt plötzlich den Leutnant fragte:

»Stellten Sie mir nicht Ihren Freund als einen Herrn Ratbod vor?« Auf Hirschfelds Bejahung fuhr die schöne Frau jetzt zu Johannes gewandt fort: »Dieser Name ist mir zum öftern von einem Manne rühmend genannt worden, dem ich großen Dank schulde, ja ich kann wohl sagen, mein Leben verdanke.«

»Und wie nennt sich der Wackere?« forschte Johannes.

»Leopold von Edelbeck; er ist sowohl wegen des großmütigen Schutzes, den er mir in meinem zehnten Jahre zuteil werden ließ, wie der wichtigen Dienste halber, die er dem österreichischen Kaiserhause geleistet hat, geadelt worden. Er erzählte mir viel von einem Ratbod, der der Freund seines Großvaters gewesen sei –«

»Ganz recht,« fiel Johannes lebhaft ein, »auch ich entsinne mich, daß mein Großvater einen Edelbeck erwähnte.«

»Und dieser Mann wurde Ihr Lebensretter?« fragte Hirschfeld gespannt, fügte aber, da die Antwort der Gräfin ausblieb, galant hinzu: »Ich habe gewissermaßen ein Anrecht daraus, die Vergangenheit meiner schönen Verwandten kennen zu lernen. Warum hüllen Sie sich in ein so tiefes Schweigen?«

»Weil es eine sehr traurige Geschichte ist, an die ich nicht erinnert sein will«, entgegnete die Gräfin mit einem schweren Atemzuge. »Es möge Ihnen genügen, zu wissen, daß meine armen Eltern, gleich Ludwig XVI. und Marie Antoinette, auf dem Schafott endeten.«

Eine teilnahmvolle Stille trat ein, die erst von der Baronin unterbrochen wurde, als sie mit dem fremden Reitersmann ins Zimmer trat.

»Katte ... alter Freund!« rief Hirschfeld aufspringend und streckte dem Hauptmann die Hand mit den Worten entgegen: »Seien Sie herzlich willkommen!«

Die Gräfin betrachtete den neuen Ankömmling sehr aufmerksam, dessen schönes, männlich edles Antlitz ihr sofort Vertrauen einflößte. Sie merkte es den beiden ehemaligen Offizieren an, daß sie sich gern allein aussprechen möchten, und erhob sich daher mit den Worten:

»Ich räume den Herren der Schöpfung das Feld, Sie haben sich gewiß als gute Deutsche so manches zu sagen, was eine Französin nicht hören darf. Indessen eilen Sie damit, denn ich kehre bald mit einem wichtigen Briefe zurück, der für den Herrn Hauptmann von Katte bestimmt ist.« Sie verneigte sich leicht und ergriff den Arm der neben ihr stehenden Baronin, in deren Gesellschaft sie das Zimmer verließ.

Katte und die beiden andern jungen Männer blickten ihr erstaunt nach. Sie fanden für die sonderbaren Worte der Gräfin keine Deutung, und deshalb äußerte der ohnehin mißtrauische Hauptmann:

»Seien wir auf unserer Hut! Heutzutage darf man selbst der weiblichen Schönheit nicht vertrauen, denn Frauen und Mädchen stehen als Spione im Dienste der westfälischen Regierung.«

Er wandte sich jetzt an Johannes, von dem ihm der Leutnant viel Rühmliches erzählt hatte, und fragte ihn, ob er von ihrem Unternehmen wisse.

»Freund Eugen hat mir alles vertrauensvoll mitgeteilt«, erwiderte Johannes in seiner bescheidenen Weise. »Auch mein Herz blutet beim Anblick des geknechteten Vaterlandes, und ich würde gern durch eine mannhafte Tat meinen Patriotismus bezeugen, doch fühle ich mich bei meiner Jugend noch zu schwach dazu.«

»Werden Sie ein Glied der Kette, die zu schließen wir im Begriffe stehen,« riet ihm Katte väterlich, »dann erstarken Sie durch das leuchtende Beispiel Ihrer Bundesgenossen.«

»Jetzt still davon,« mahnte Hirschfeld, »ich höre Tritte, die Gräfin kommt zurück.«

So war es auch. Sie hielt einen versiegelten Brief in der Hand, den sie stumm an Katte überreichte.

»Von unserm hohen Gönner, dem Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig!« rief der Hauptmann. »Was mag er uns zu melden haben?«

»Vielleicht wünscht er zu wissen,« begann die Gräfin mit einem neckischen Lächeln, »wann Schill mit seinem Regiments aufbricht und Hauptmann Katte und Leutnant Hirschfeld die Festung Magdeburg überrumpeln.«

Die drei Männer prallten erschrocken zurück. Sie sahen ihr Geheimnis an eine Frau verraten, deren französische Herkunft sie zu einer Feindin der Sache Deutschlands machen mußte.

»Meine Herren,« rief die in ein mutwilliges Lachen ausbrechende Gräfin, »ich werde mich jederzeit mit Stolz daran erinnern, daß es mir gelungen ist, zwei so verdienstvolle Krieger an Schlauheit übertroffen und sie in einen Schrecken versetzt zu haben, als ob sie zwischen ein Kreuzfeuer geraten wären. Doch jetzt bitte ich, Herr Hauptmann, den Brief des Herzogs zu lesen.«

Katte hatte nur ein verwundertes Kopfschütteln und folgte willenlos der schönen Frau. Der Herzog schrieb:

»Herr Kamerad! – Durch die Überbringerin dieses Schreibens, Frau Gräfin Louison von Lübbenau, werden Sie zwei wichtige Mitteilungen erhalten, die für unser gemeinsames Unternehmen von großem Vorteil sind. Indem ich Sie ersuche, der Frau Gräfin Ihr volles Vertrauen zu schenken und sie als eine edle Gönnerin der deutschen Sache zu betrachten, begrüße ich Sie usw.«

Nunmehr zeigten sich die Freunde erst recht erstaunt, und um aus ihrer Ungewißheit zu kommen, begann Katte eine Art kurzes Kreuzverhör, indem er mit militärischer Knappheit die Dame fragte:

»Sie sind Französin?«

»Allerdings, mein Herr«, antwortete die lebenslustige Gräfin in demselben Tone und grüßte dabei militärisch.

»Trotzdem wollen Sie einem Unternehmen förderlich sein, das Ihr Vaterland dem Verderben weiht?«

»Allerdings, mein Herr. Doch wage ich zu hoffen, daß die deutschen Sieger von dem schönen Frankreich noch ein kleines Stückchen übrig lassen werden.«

»Madame, ich verstehe Sie nicht.«

»Das tut mir leid, mein Herr. Ich werde Ihnen also zu Hilfe kommen.«

Die Gräfin ging jetzt in einen ernsten Ton über und fuhr fort:

»Vor Ihnen steht eine Royalistin, die nichts wissen mag von jenen Volksbeglückern, wie sie zur Zeit der Revolution in Frankreich gehaust haben, noch von einem korsischen Emporkömmling, dessen unbegrenzter Ehrgeiz den Begriff von ›Vaterlandsliebe‹ kaum dem Wortlaute nach kennt. Ich stehe daher Frankreich jetzt feindlich gegenüber und weihe gern meine schwachen Kräfte einer Nation, die, wie die deutsche, auf den Sturz Napoleon Bonapartes bedacht ist. Verstehen Sie mich jetzt, Herr Hauptmann?«

Katte beugte sich auf der Gräfin Hand nieder, die er ehrfurchtsvoll küßte. Hirschfeld folgte seinem Beispiele, worauf die schöne Frau wieder das Wort ergriff und sagte:

»Ich habe Ihnen mitzuteilen, daß Österreich zum Kriege gegen Frankreich fest entschlossen ist und England die Landung von Truppen sowie eine reiche Unterstützung an Geld zugesagt hat.«

Nunmehr brach der Jubel los, an dem auch Johannes teilnahm, der jetzt Katte förmlich ersuchte, ihn in den Kreis der Bundesgenossen aufzunehmen.

Ein kräftiger Handschlag des Hauptmanns bildete die Antwort.

»Da unsere Angelegenheit so gut steht,« ergriff jetzt Hirschfeld das Wort, »so wage ich mit einem kühnen Plane hervorzutreten, den ich hinsichtlich der Überrumpelung Magdeburgs ersonnen habe.«

»Wir vermögen der Frau Gräfin keinen bessern Beweis unsers Vertrauens zu geben, als daß Sie, Herr Kamerad, ungeniert sprechen«, äußerte der Hauptmann zu Hirschfeld, der, nachdem die kleine Gesellschaft Platz genommen hatte, begann:

»Mit Säbel und Bajonett läßt sich Magdeburg allerdings nicht einnehmen, trotzdem darin jetzt nur gegen 4000 Soldaten liegen und diese zum größten Teil Deutsche sind. Wir müßten eine große Anzahl Geschütze haben; da dies aber unter den obwaltenden Umständen ein Ding der Unmöglichkeit ist, so bleibt uns nichts anderes übrig, als die Festung von innen heraus zu erobern.«

»Ihre Einbildung ist kühn,« versetzte Katte sarkastisch, »jedenfalls wird es mir interessant sein, die Begründung Ihres Ausspruches zu vernehmen. Wie wollen Sie Magdeburg von innen heraus erobern?«

»Auf die einfachste Weise«, gab Hirschfeld zur Antwort. »Ich bemühe mich, den deutschen Teil der Besatzungstruppen für uns zu gewinnen, verschaffe mir die Schlüssel zu dem einen oder andern Haupttore, setze mich in den Besitz der Geschütze, bewältige den an Zahl geringen Gegner – und die Festung mit ihren reichen Vorräten ist unser. Selbstverständlich rechne ich dabei auf Ihre Mithilfe, Freund Katte, Sie müssen mit Ihren Mannschaften dicht vor Magdeburg stehen und auf ein gegebenes Zeichen durch die geöffneten Tore einziehen. In derselben Stunde aber, wo Magdeburg von uns überrumpelt wird, wankt der Thron Jérômes.«

»Seien Sie nicht ungehalten, wenn ich mich für Ihren Plan nicht begeistern kann,« erwiderte Katte, »ich denke kälter als Sie und habe meine trüben Erfahrungen für mich.«

»Je nun, wir werden ja sehen«, erwiderte Hirschfeld unwillig. »Mein Entschluß steht unwandelbar fest – morgen reise ich nach Magdeburg und gehe unverzüglich an die Ausführung meines Planes.«

»Und ich folge Ihnen bald nach!« rief die Gräfin lebhaft, der das kühne Wagnis des Leutnants zu gefallen schien. »Das Ebenbild Napoleons, unser treuer Kommerzienrat, wird auch mir sein weiches Herz offenbaren und mich in die Familien seiner Freunde, meiner Landsleute, einführen. Dann, Herr Leutnant, operieren wir gemeinschaftlich, Sie als Deutscher und ich als – Französin.«

Sie lachte, und Hirschfeld fiel lustig ein. Der ernste Katte aber mahnte zur Vorsicht und warnte namentlich vor dem Polizeichef Moisez und dessen Spionen.

»Ich fürchte das Gesindel nicht, solange uns Romberg erhalten bleibt«, erwiderte Hirschfeld und fügte, sich zur Gräfin wendend, erläuternd hinzu: »So lautet nämlich der Name eines von echter Vaterlandsliebe beseelten Landmanns, der ehemals in Diensten meines Vaters stand. Er leistet als Spion unserm Unternehmen großen Vorschub und hinterbringt uns alle Anschläge der westfälischen geheimen Polizei.«

»Wie ist dies aber einem so schlichten Manne möglich?« fragte die Gräfin erstaunt.

»Dadurch, daß er in Kassel selbst in den Dienst der geheimen Polizei trat.«

»Dieses Wagnis kann dem braven Manne sehr gefährlich werden«, versetzte die Gräfin.

»Er weiß es; doch bangt ihm nicht für sein Leben, da er es für seine Pflicht erachtet, den Sturz der französischen Gewaltherrschaft mit herbeiführen zu helfen. Romberg ist überdies ein sehr schlauer Patron, der in allerlei Verkleidung erscheint und sogar den gefürchtetsten westfälischen Spion, einen gewissen Würz, zu überlisten versteht.«

»Ist er Ihnen in jüngster Zeit wieder zu Gesicht gekommen?« fragte Katte.

»Sowohl er, als der Würz«, nickte Hirschfeld. »Mit Würz traf ich in einer Dorfschenke zusammen, die er in der Maske eines invaliden Soldaten besuchte. Der Bursche, mich nicht kennend, wollte mich über meine politischen Ansichten aushorchen, indessen ging ich nicht in die Falle. Romberg ist vorläufig in sein Dörfchen zurückgekehrt, um für alle Fälle seine Sachen zu ordnen und für die Zukunft seines vierzehnjährigen Töchterchens zu sorgen.«

»So gebe denn Gott unserm Unternehmen seinen vollsten Segen«, sagte Katte mit einer ernsten Feierlichkeit, woraus sich die drei Männer die Hände reichten. Dann fragte er Hirschfeld, wo er in Magdeburg abzusteigen gedenke.

»Bei dem Weinhändler Schrader, dem alten Freunde meines seligen Vaters«, entgegnete der Leutnant.

»Und was geschieht mit Ihrem Freunde Johannes?«

»Er begleitet mich nach Magdeburg, um als fliegende Ordonnanz zwischen Stendal und der Festung tätig zu sein.«

Gegen Abend ritt Katte auf seinem Rappen nach dem Städtchen zurück, nachdem er mit den Bundesgenossen noch einmal die hochwichtige Angelegenheit Punkt für Punkt besprochen hatte.


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