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Von natürlichen Gesetzen.

Kapitel XVI.
Einige Gesetze der Natur.

1. Daß die Menschen an ihren Verträgen festhalten sollen. 2. Definition des Unrechts. 3. Daß nur dem Gläubiger Unrecht zugefügt wird. 4. Die Bedeutung der Ausdrücke Recht und Unrecht. 5. Die Gerechtigkeit, nicht richtig in tauschende und verteilende eingeteilt. 6. Es ist ein Gesetz der Natur, daß der, dem vertraut wird, nicht dies Vertrauen zum Schaden dessen kehrt, der vertraut. 7. Definition der Undankbarkeit. 8. Es ist ein Gesetz der Natur, daß man bestrebt sei, sich einander anzupassen. 9. Und daß man vergebe unter Bürgschaft für die Zukunft. 10. Und daß die Rache nur auf die Zukunft Rücksicht nehmen soll. 11. Daß Vorwurf und Verachtung zu erklären gegen das Gesetz der Natur ist. 12. Daß Freiheit des Handels nach dem Gesetz der Natur ist. 13. Daß Boten, die Frieden vermitteln, nach dem Gesetz der Natur freies Geleit haben.

 

1. Man sagt bekanntlich, daß die Natur nichts vergebens tut. Und es ist sehr gewiß, daß, wie die Wahrheit eines Schlusses nichts weiter ist als die Wahrheit der Vordersätze, die ihn machen, so die Stärke des Gebots der Natur nichts weiter ist als die Stärke der dazu führenden Gründe. Deshalb wäre das Gesetz der Natur, das im vorigen Kapitel Abschnitt 2 genannt wurde, nämlich, daß sich jeder des Rechts usw. entäußern sollte, völlig vergeblich und wirkungslos, wenn es nicht auch ein Gesetz derselben Natur wäre, daß jeder Mensch verpflichtet ist, an den Verträgen, die er schließt, festzuhalten und sie zu erfüllen. Denn was nützt es dem Menschen, wenn irgend etwas ihm gegeben oder versprochen wird, wenn der, der gibt oder verspricht, es nicht vollzieht oder sich noch das Recht vorbehält, zurückzunehmen, was er gegeben hat?

2. Der Bruch oder die Verletzung eines Abkommens ist das, was man Unrecht nennt, das in einer Handlung oder Unterlassung besteht, die deshalb ungerecht genannt wird. Denn es ist eine Handlung oder Unterlassung ohne jus oder Recht, das vorher übertragen oder aufgegeben wurde. Es ist eine große Ähnlichkeit zwischen dem, was wir Unrecht oder Ungerechtigkeit in den Handlungen oder Unterlassungen der Menschen nennen und dem, was wir absurd nennen in den Beweisgründen und Disputationen der Schulen. Denn wie man sagt, daß ad absurdum geführt wird, wer dazu getrieben wird, einer Behauptung zu widersprechen, die er vorher verfochten hatte, so sagt man, daß Ungerechtigkeit begeht, wer aus Leidenschaft tut oder unterläßt, was er vorher durch Übereinkommen versprach, nicht zu tun oder zu unterlassen. Und in jedem Bruch eines Vertrages ist ganz eigentlich ein Widerspruch enthalten, denn der den Vertrag schließt, will in Zukunft etwas tun oder lassen, und wer irgendeine Handlung vollzieht, will sie in derjenigen Gegenwart, die ein Teil der im Vertrage enthaltenen Zukunft ist: wer also ein Abkommen verletzt, will zu gleicher Zeit dieselbe Sache tun und nicht tun, was durchaus ein Widerspruch ist. Und so ist Unrecht eine Absurdität im Verkehr wie die Absurdität eine Art von Ungerechtigkeit beim Disputieren ist.

3. Bei jeder Verletzung eines Übereinkommens (wem auch immer der Schade erwächst) geschieht nur dem unrecht, mit dem das Abkommen gemacht worden ist. Wenn zum Beispiel jemand sich vertraglich verpflichtet hat, seinem Herrn zu gehorchen, und der Herr ihm befiehlt, einem Dritten Geld zu geben, was er zu tun verspricht und nicht tut; so wird damit doch nur dem Herrn unrecht getan, wenn es auch zum Schaden des Dritten geschieht. Denn er konnte kein Abkommen mit dem verletzen, mit dem keins geschlossen worden war, und tut ihm deshalb kein Unrecht: denn Unrecht besteht (nach seiner Definition) im Bruch eines Vertrages.

4. Die Benennungen gerecht, ungerecht, Gerechtigkeit, Ungerechtigkeit sind zweideutig und haben verschiedenen Sinn.

Denn wenn Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit Handlungen zugeschrieben werden, bedeuten sie dasselbe wie nicht-unrecht und unrecht und benennen die Handlung und nicht den Menschen gerecht oder ungerecht, denn sie bezeichnen ihn als schuldig oder nichtschuldig. Aber wenn Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit Menschen zugeschrieben werden, so bedeuten sie Neigung, Liebe und Fähigkeit der Natur, d. h. den Eifer der Gesinnung, die geneigt ist, rechte und unrechte Handlungen hervorzubringen; so daß, wenn man von einem Menschen sagt, er sei gerecht oder ungerecht, nicht die Handlung in Betracht genommen wird, sondern die Neigung und Fähigkeit, eine solche Handlung zu vollbringen. Und deshalb kann ein gerechter Mensch eine ungerechte Handlung begangen haben und ein ungerechter Mensch kann nicht nur eine, sondern kann meistens gerechte Handlungen begangen haben. Denn es ist im Ungerechten wie im Gerechten ein oderunt peccare, aber aus verschiedenen Ursachen; denn der ungerechte Mensch, der sich aus Furcht vor Strafe des Unrechts enthält, erklärt deutlich, daß die Gerechtigkeit seiner Handlungen von der bürgerlichen Verfassung abhängig ist, die Strafen verhängt; welche Handlungen sonst, im Stande der Natur, gemäß der Quelle, aus der sie entspringen, ungerecht sein würden. Deshalb muß man den Unterschied von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit im Gedächtnis behalten: denn wenn Ungerechtigkeit für Schuld gesetzt wird, so sind die Handlungen ungerecht und darum nicht der Mensch; und wenn Gerechtigkeit für Schuldlosigkeit genommen wird, so sind die Handlungen gerecht und doch nicht deswegen der Mensch. Ebenso kann, wenn Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit als Gepflogenheiten der Gesinnung bezeichnet werden, der Mensch gerecht oder ungerecht sein, und doch nicht alle seine Handlungen ebenso.

5. Was die Gerechtigkeit der Handlungen betrifft, so wird sie gewöhnlich in zwei Arten geteilt, von denen die eine die tauschende und die andere die austeilende Gerechtigkeit genannt wird, und die eine soll in einer arithmetischen Proportion, die andere in einer geometrischen bestehen, und die austauschende Gerechtigkeit finde man im Warenverkehr: Einkauf, Verkauf, Tausch, während die austeilende jedem Menschen das Seine nach Verdienst gebe. Diese Unterscheidung ist nicht wohl getroffen, da das Unrecht, welches die Ungerechtigkeit im Handeln ist, nicht in dem Mißverhältnis der ausgetauschten oder verteilten Dinge besteht, sondern in der Ungleichheit, welche einige Menschen (gegen Natur und Vernunft) sich über ihre Mitmenschen anmaßen, von welcher Ungleichheit nachher gesprochen werden soll. Und was die austauschende Gerechtigkeit im Einkauf und Verkauf betrifft, so kann, auch wenn die gekaufte Sache nicht dem dafür gegebenen Preise entspricht, doch von einem Unrecht, das dem einen oder dem andern geschehen sei, nicht die Rede sein, insofern Käufer und Verkäufer selbst über den Wert urteilen und beide zufriedengestellt sind, da auch keine Partei der anderen vertraute, noch ein Vertrag zwischen ihnen geschlossen wurde. Und die austeilende Gerechtigkeit betreffend, welche in der Austeilung unserer eigenen Wohltaten besteht, so kann, da eine Sache deshalb unsere eigene genannt wird, weil wir nach eigenem Gutdünken darüber verfügen können, dadurch keinem Menschen ein Unrecht geschehen, obgleich unsere Freigebigkeit gegen einen andern größer gewesen sein mag als gegen ihn, es sei denn, daß wir durch einen Vertrag gebunden waren: dann aber besteht das Unrecht in der Vertragsverletzung und nicht in der ungleichen Verteilung.

6. Es geschieht häufig, daß ein Mann einem andern Wohltaten erweist oder zu seinem Vermögen beisteuert ohne irgendeinen Vertrag, sondern nur auf guten Glauben und in dem Vertrauen, das Wohlwollen und die Gunst jenes andern zu erlangen, wodurch er sich selbst einen größeren oder doch keinen geringeren Vorteil oder Beistand verschaffen mag. Denn naturgemäß hat jeder Mensch bei allen seinen freiwilligen Handlungen es auf irgendeinen Vorteil für sich abgesehen. In diesem Falle ist es ein Naturgesetz, daß niemand jenen andern, der so seiner Güte und seiner Wohlgeneigtheit vertraut, trotz dieses Vertrauens in eine schlimmere Lage kommen läßt. Wenn er das tut, werden die Menschen nicht mehr wagen, gegenseitig einer zu des anderen Verteidigung beizutragen oder sich unter irgendwelcher Bedingung der Gunst eines andern anzuvertrauen, sondern werden lieber im äußersten und schlimmsten Zustande der Feindseligkeit verbleiben, durch welches allgemeine Mißtrauen sie nicht nur zum Krieg getrieben werden, sondern auch fürchten müssen, sich einander so weit zu nähern, um Friedensverhandlungen zu eröffnen. Doch dies ist nur von jenen zu verstehen, die ihre Wohltaten auf guten Glauben verleihen (wie ich gesagt habe) und nicht aus Triumphgefühl oder zur Selbstverherrlichung. Denn wenn sie es auf guten Glauben tun, ist das Ziel, nach dem sie streben, nämlich gut behandelt zu werden, die Belohnung; wenn sie es aber zur Selbstverherrlichung tun, haben sie den Lohn in sich selbst.

7. Da aber in diesem Fall kein Vertrag geschlossen wird, kann die Verletzung dieses Naturgesetzes nicht als Unrecht bezeichnet werden; sie heißt anders, nämlich Undankbarkeit.

8. Es ist ferner ein Naturgesetz, daß die Menschen einander helfen und sich bemühen, einander zu fördern, soweit es ohne Gefahr für ihr Leben und ihr Eigentum geschehen kann, um sich selbst zu erhalten und zu verteidigen. Denn da es klar ist, daß die Ursachen des Krieges und der Verwüstung von jenen Leidenschaften herrühren, durch welche wir bestrebt sind, uns selbst zu fördern und andere soviel als möglich zu schädigen, so folgt, daß jene Neigung, die uns treibt, uns gegenseitig zu fördern, zum Frieden führen muß. Und diese Neigung ist jene Nächstenliebe, die wir in Kapitel IX Abschnitt 17 definiert haben.

9. Und in diesem Naturgebot ist auch begriffen und eingeschlossen, daß ein Mensch demjenigen, der ihm unrecht getan oder ihn beleidigt hat, vergebe und verzeihe, wenn er Reue fühlt und Bürgschaft für die Zukunft gibt. Denn Verzeihung ist Frieden, demjenigen gegeben, der (nachdem er zum Kriege gereizt hatte) ihn sucht. Es ist daher nicht Nächstenliebe, sondern Furcht, wenn man mit demjenigen Frieden macht, der nicht bereut und keine Bürgschaft gibt, ihn künftig zu wahren. Denn der, welcher nicht bereut, bleibt, dem Wesen nach, feindlich, wie auch derjenige, der sich weigert, Bürgschaft zu geben, und von dem man folglich annehmen muß, daß er nicht den Frieden, sondern nur seinen Vorteil will. Einem solchen zu verzeihen, ist daher nicht in diesem Naturgesetz geboten und ist auch keine Nächstenliebe, kann aber manchmal aus Klugheit empfehlenswert sein. Andererseits aber auf Grund von Reue und Bürgschaft nicht zu verzeihen, heißt soviel (denn man muß bedenken, daß es unvermeidlich ist, daß Menschen einander reizen) als niemals Frieden machen, und das ist gegen die allgemeine Definition des Naturgesetzes.

10. Und da wir sehen, daß das Naturgesetz gebietet zu verzeihen, wenn Reue vorhanden ist und Bürgschaft für die Zukunft, so folgt, daß dasselbe Gesetz auch befiehlt, daß keine Rache genommen werde nur wegen der früheren Kränkung, sondern wegen eines künftigen Nutzens, das heißt, daß alle Rache auf Besserung abzielen sollte, entweder der betreffenden Person selbst oder anderer, und zwar durch das abschreckende Beispiel der Bestrafung, was hinreichend begründet erscheint dadurch, daß das Naturgesetz Verzeihung gebietet, wo die Zukunft gesichert ist. Auch scheint dies durch folgendes begründet: Die Rache ist, wenn sie nur die in der Vergangenheit liegende Kränkung in Betracht zieht, nichts weiter als ein gegenwärtiger Triumph und Ruhm und führt zu keinem Ziele, denn ein Ziel schließt ein künftiges Gut ein, und was zu keinem Ziele führt, ist daher nutzlos, und folglich ist der Triumph der Rache eitler Ruhm, und was eitel ist, ist unvernünftig, und einander unvernünftigerweise zu schädigen, ist gegen das, was nach unserer Voraussetzung jedermanns Vorteil ist, nämlich der Friede; und was gegen den Frieden ist, ist gegen das Naturgesetz.

11. Und weil alle Zeichen von Haß und Verachtung, die wir gegeneinander zum Ausdruck bringen, im höchsten Grade zu Streit und Kampf reizen (da ja das Leben selbst unter der Bedingung andauernder Mißachtung nicht des Genießens wert geschätzt wird, viel weniger der Friede), so muß notwendig als ein Naturgesetz gefolgert werden, daß niemand einen andern schmähe, verunglimpfe, verhöhne oder in anderer Weise ihm seinen Haß, seine Verachtung und Geringschätzung kundtue. Aber dies Gesetz wird sehr wenig befolgt. Denn was hört man häufiger als Schmähungen von denen, die reich sind, gegen diejenigen, die es nicht sind, oder von denen, die im Richteramt sitzen, gegen diejenigen, die als Angeklagte vor den Schranken stehen? Und doch ist, daß man sie in dieser Weise kränkt, kein Teil der Strafe für ihr Verbrechen und auch keine Amtsbefugnis jener, sondern lediglich ein Brauch, der sich erhalten hat, daß dasjenige, was dem Gutsherrn als Recht zusteht gegen seine Dienstleute, die er unterhält, auch als Recht ausgeübt wird von den Mächtigeren gegen diejenigen, die weniger Macht haben, obgleich sie nicht zu deren Versorgung beitragen.

12. Es ist auch ein Naturgesetz, daß die Menschen ohne Unterschied einander Handels- und Verkehrsfreiheit einräumen. Denn der, welcher einem Menschen erlaubt, was er einem andern verweigert, bringt dem, gegen den er sich ablehnend verhält, seinen Haß zum Ausdruck, und zum Ausdruck gebrachter Haß ist Krieg. Durch Verletzung dieses Rechtstitels entstand der große Krieg zwischen den Athen und Peloponnesiern. Denn wären die Athener bereit gewesen, den Megarensern, ihren Nachbarn, zu erlauben, in ihren Häfen und auf ihren Märkten Handel zu treiben, dann würde jener Krieg nicht entstanden sein.

13. Und ferner ist dies ein Naturgesetz, daß alle Friedensboten und alle diejenigen, deren Beruf es ist, Freundschaft unter den Völkern anzubahnen und aufrechtzuerhalten, unversehrt kommen und gehen können. Denn da, wie wir sehen, der Friede das allgemeine Naturgesetz ist, so müssen auch die Mittler desselben, nämlich jene Männer, in diesem Gesetz mit einbegriffen sein.

Kapitel XVII.
Andere Gesetze der Natur.

1. Ein Naturgesetz ist, daß jedermann die andern als seinesgleichen anerkenne. 2. Ein anderes, daß die Menschen aequalia aequalibus gestatten sollen. 3. Ein anderes, daß jene Dinge, die nicht verteilt werden können, gemeinsam benutzt werden. 4. Ein anderes, daß über unmittelbare und nicht gemeinsam benutzbare Dinge durch das Los entschieden werde. 5. Natürliches Los, Erstgeburt und erster Besitz. 6. Daß Menschen sich einem Schiedsrichterspruch unterwerfen sollen. 7. Vom Schiedsrichter. 8. Daß niemand einem andern seinen Rat gegen dessen Willen aufdränge. 9. Wie man sich schnell vergewissern kann, was dem Naturgesetz gemäß ist. 10. Daß das Naturgesetz gültig wird, nachdem Sicherheit von anderen gewonnen wurde, es zu halten. 11. Das natürliche Recht kann nicht durch Brauch beseitigt werden, das Naturgesetz nicht durch irgendeine Handlung. 12. Warum die Vorschriften der Natur Gesetze genannt werden. 13. Alles, was bei einem Menschen, der sein eigener Richter ist, gegen das Gewissen ist, ist gegen das Naturgesetz. 14. Vom malum poenae, malum culpae; Tugend und Laster. 15. Geneigtheit zur Gesellschaft ist Erfüllung des Naturgesetzes.

 

1. Die Frage, wer der bessere Mensch sei, läßt sich nur vom Standpunkt der Regierung und der Politik aus beantworten, obgleich sie irrtümlich für eine durch die Natur geregelte Sache gehalten wird, nicht nur von unwissenden Leuten, welche glauben, daß das Blut eines Menschen von Natur besser sei als das eines andern, sondern auch von ihm, dessen Ansichten in diesen Tagen und in diesen Landen eine größere Autorität haben als die Schriften irgendeines andern Mannes, nämlich von Aristoteles. Denn er macht einen so starken Unterschied zwischen den uns Menschen von Natur innewohnenden Fähigkeiten, daß er nicht zögert, als die Grundlage seiner gesamten Politik hinzustellen, daß einige Menschen von Natur würdig seien zu regieren, und andere von Natur zum Dienen bestimmt seien. Diese Grundlage hat nicht nur den ganzen Inhalt seiner »Staatswissenschaft« geschwächt, sondern hat den Menschen auch als falscher Schein und Vorwand gedient, untereinander den Frieden zu stören und zu hindern. Denn wenn es auch von Natur solche Unterschiede gäbe, daß Herr und Diener nicht durch menschliche Übereinkunft bestimmt, sondern durch innere Vortrefflichkeit begründet wären, so werden doch darüber, wer vor andern durch Vortrefflichkeit hervorrage und wer so einfältig sei, um nicht sich selbst regieren zu können, die Menschen niemals unter sich einig werden. Denn jedermann glaubt naturgemäß von sich selbst, daß er ebenso fähig sei, andere zu regieren, wie andere ihn. Und wenn es Streit gab zwischen dem feineren und dem gröberen Menschenverstand (wie das oft der Fall gewesen ist in Zeiten des Aufruhrs und des Bürgerkriegs), dann hat meistens der letztere den Sieg davongetragen. Solange einige Menschen sich mehr Ehre anmaßen als sie andern geben wollen, kann man sich nicht vorstellen, wie sie in Frieden miteinander leben können, und folglich müssen wir annehmen, daß, um des Friedens willen, die Natur dies Gesetz gegeben hat: daß jedermann den andern als seinesgleichen anerkenne. Und die Verletzung dieses Gesetzes ist das, was wir Hochmut nennen.

2. Wie es nötig war, daß ein Mann nicht an seinem Recht zu allen Dingen festhielt, so war es auch notwendig, daß er sich das Recht auf einige Dinge bewahrte: zum Beispiel das Recht, Herr seines eigenen Körpers zu sein, welches er nicht abtreten kann; das Recht auf Feuer, Wasser und frische Luft; ferner das Recht auf einen Wohnplatz und auf alle zum Leben unentbehrlichen Dinge. Auch verlangt das Naturgesetz nicht, sich anderer Rechte zu entäußern als nur derjenigen, welche man nicht ohne Verlust des Friedens genießen kann. Da wir also sehen, daß viele Rechte uns erhalten bleiben, wenn wir miteinander in Frieden leben wollen, so fordern die Vernunft und das Naturgesetz, daß wir jedes Recht, das wir zu besitzen wünschen, auch jedem andern Menschen zugestehen. Denn wer das nicht will, gestattet nicht die Gleichheit, die wir im vorigen Abschnitt beschrieben haben, denn es gibt keine Anerkennung der Gleichheit des persönlichen Wertes ohne Gewährung der Gleichheit des Nutzens und der Achtung. Und dies Zulassen der aequalia aequalibus ist dasselbe wie das Zugestehen der proportionalia proportionalibus. Denn wenn ein Mensch jedem andern das gleiche zuerkennt, werden die Zugeständnisse, die er macht, in demselben Verhältnis sein wie die Anzahl der Menschen, denen er sie macht. Und dies ist, was man unter ausgleichender Gerechtigkeit versteht und was man Billigkeit nennt. Die Verletzung dieses Gesetzes ist das, was die Griechen πλεονεξία nennen, welches Wort man gewöhnlich durch Habgier übersetzt, welches aber genauer, wie es scheint, durch den Ausdruck Übergriffe wiedergegeben wird.

3. In einer Handschrift ( H) befindet sich folgender, später gestrichene, Zusatz: »Zum Naturgesetz gehört auch, daß jedem Menschen, wenn er Frieden schließt, jene Rechte zugestanden werden, die er durch die Verträge mit anderen erworben hat. Das will sagen, Recht gegen jene, mit denen er einen Vertrag gemacht hat. Und dies Gesetz ist im wesentlichen nichts weiter als daß der Friede, den ein Mann eingeht, nicht die Verträge auflöst, die andere mit ihm geschlossen haben; sonst ist jene Gleichheit nicht innegehalten, die das Naturgesetz fordert. Und die Menschen werden lieber den Krieg wagen, um ihre eigenen Vorteile zu behalten, als sie durch ungleichen Frieden aufgeben, worin andere eben jenes tun. Und daher lehrt uns das Naturgesetz, in dem ersten Eintritt in Friedensverhandlungen, daß jeder das behalten muß, was er zuvor besessen oder ausschließlich gebraucht hat.« Naturgesetz ist, falls kein anders lautender Vertrag vorliegt, dies, daß solche Dinge, die nicht verteilt werden können, gemeinsam benutzt werden im Verhältnis zu der Anzahl derer, die sie benutzen, oder unbeschränkt, wenn sie in genügender Menge vorhanden sind. Denn zunächst angenommen, das gemeinsam zu benutzende Gut sei für die, welche es nach Belieben (unbeschränkt) benutzen sollen, nicht in genügender Menge da und nun sollten einige wenige mehr Gebrauch davon machen dürfen als die übrigen, dann wäre jene Gleichheit nicht innegehalten, die wir im zweiten Paragraphen gefordert haben. Und dies Gesetz muß so verstanden werden wie alle anderen Naturgesetze, ohne irgendeinen vorhergehenden Vertrag, denn es kann sein, daß ein Mann auf sein Recht der Gemeinbenutzung verzichtet hat, und dann liegt der Fall natürlich anders.

4. Bei jenen Dingen, welche weder geteilt noch gemeinsam benutzt werden können, muß die Vorschrift der Natur notwendig eine von diesen sein: Los oder wechselweise Benutzung; denn außer diesen beiden Wegen kann man sonst keine Gleichheit sich vorstellen. Und was die wechselweise Benutzung anlangt, so ist der, welcher mit der Benutzung beginnt, besser daran, und um diesen Vorteil, den er hat, auf die Gleichheit zurückzuführen, gibt es kein anderes Mittel als das Los: bei Gütern daher, die unteilbar und nicht gemeinsam benutzbar sind, ist dies Naturgesetz, daß sie wechselweise gebraucht werden oder daß der Vorteil bei ihrer Benutzung durch das Los bestimmt werde; denn es gibt keinen anderen Weg der Gleichheit, und Gleichheit fordert das Naturgesetz.

5. Es gibt zwei Arten von Losen: das eine willkürlich, von Menschen gemacht, und allgemein bekannt unter den Namen Los, Glück, Zufall u. dgl., und das andere ist das natürliche Los, wie z. B. Erstgeburt, welches nichts anderes ist als das Glück oder der Zufall, als Ältester geboren zu sein, woran, wie es scheint, diejenigen gedacht haben, welche die Vererbung cleronomia nennen, welches Wort Vererbung durch das Los bedeutet; zweitens: prima occupatio, erste Besitzergreifung oder Auffindung eines Gutes, von dem kein Mensch vorher Gebrauch gemacht hat, was auch meistens bloßer Zufall ist.

6. Obgleich die Menschen diesen Gesetzen zustimmen und sich bemühen, sie zu halten, so müssen doch nichtsdestoweniger durch die Leidenschaften der Menschen, welche es schwer machen, zu erkennen, durch welche Handlungen und Nebenumstände der Handlungen jene Gesetze gebrochen werden, viele große Streitfragen über die Auslegung derselben unter ihnen entstehen, wodurch der Friede aufgelöst wird und die Menschen wieder in ihren früheren Zustand der Feindseligkeit zurückfallen. Um diese Streitfragen zu beseitigen, ist es nötig, daß ein gemeinsamer Schiedsmann und Richter vorhanden sei, dessen Entscheidung beide Parteien sich unterwerfen müssen. Und darum ist es ein Naturgesetz, daß in jedem Streitfall die Parteien sich auf einen Schiedsrichter einigen, zu dem sie beide Vertrauen haben und sich gegenseitig verpflichten, sich dem Urteil zu unterwerfen, das er in der Sache abgeben wird. Denn wo jedermann sein eigener Richter ist, gibt es eigentlich überhaupt keinen Richter, wie dort, wo jedermann sich sein eigenes Recht machen würde, dies dieselbe Wirkung hat, als ob es überhaupt kein Recht gäbe; und wo kein Richter vorhanden ist, da nehmen die Streitigkeiten kein Ende, und es bleibt also das Recht der Feindseligkeit fortbestehen.

7. Ein Schiedsmann oder Richter ist daher derjenige, dem die Parteien in einem Streit sich anvertrauen, damit er denselben durch den Ausspruch seines eigenen Urteils in der Sache entscheide. Daraus folgt erstens, daß der Richter nicht bei der Streitfrage, die er schlichtet, beteiligt oder interessiert sein darf, denn dann ist er Partei und bedarf daher selbst eines andern als Schiedsrichter; zweitens, daß er kein Abkommen mit einer der Parteien mache, sich verpflichtend, sein Urteil mehr zugunsten der einen als der andern zu geben; auch keine Vereinbarung treffe dahingehend, daß man sein Urteil als gerecht ansehen wolle, denn das hieße die Parteien zu Richtern machen, wodurch der Streit unentschieden bliebe. Ebensowohl also in Anbetracht des Vertrauens, das man in ihn setzt, als der Gleichheit, die er, wie das Naturgesetz von ihm verlangt, in beiden Parteien anerkennen soll, wird er jenes Naturgesetz verletzen, wenn er aus Gunst oder Haß für die eine oder andere Partei ein anderes Urteil fällt, als er für recht hält. Und drittens, daß niemand sich als Richter in irgendeinem Streit zwischen andern aufwerfe ohne deren Zustimmung und Einwilligung.

8. Es ist auch naturgesetzlich, daß niemand einem andern seinen Rat oder seine Vorschläge aufnötige oder aufdränge, der nicht gewillt ist, selbige zu hören oder anzunehmen. Denn es ist klar, daß ein Mann Rat- und Vorschläge nur annimmt bezüglich dessen, was ihm selbst förderlich oder verderblich ist und nicht seinem Ratgeber, und daß die Beratung eine freiwillige Handlung ist, daher auch darauf zielen kann, den Vorteil des Beraters zu fördern: daher mag denn oft genügender Grund vorhanden sein, den Ratgeber in Verdacht zu haben. Und selbst wenn das nicht der Fall ist, so ist doch widerwillig angehörter Rat eine unnötige Beleidigung für den, der ihn nicht hören will, und jede Beleidigung zielt auf die Störung des Friedens ab: es ist daher gegen das Naturgesetz, Ratschläge aufzudrängen.

9. Ein Mann, der sieht, daß diese Naturgesetze mit so vielen Worten und so großer Mühe abgefaßt und zu Papier gebracht werden, mag glauben, daß es noch viel mehr Schwierigkeit und Scharfsinn erfordert, die genannten Gesetze zu erkennen und zu halten, besonders bei plötzlichen Gelegenheiten, wo man wenig Zeit zum Überlegen hat. Und dies ist wahr, wenn wir uns die Menschen eingenommen denken von Leidenschaften, wie Zorn, Ehrgeiz, Habsucht, Ruhmsucht und dergleichen, welche alle darauf abzielen, die natürliche Gleichheit auszuschließen; aber von diesen Leidenschaften abgesehen, gibt es eine einfache Regel, um sofort zu wissen, ob die Handlung, die ich tun soll, gegen das Naturgesetz ist oder nicht, und zwar diese: daß ein Mensch sich in Gedanken in die Lage desjenigen versetze, mit dem er zu tun hat, und umgekehrt jenen in seine Lage, welches nichts weiter ist, als gleichsam eine Vertauschung der Wagschalen. Denn jedermanns Leidenschaft wiegt schwer in seiner eigenen Schale, aber nicht in der Schale seines Nachbars. Und diese Regel ist sehr bekannt und wird ausgedrückt durch das alte Wort: Quod tibi fieri non vis, alteri ne feceris.

10. Der Inhalt dieser Naturgesetze ist also, daß sie uns verbieten, unsere eigenen Richter und unsere eigenen Vorschneider zu sein, und uns gebieten, uns gegenseitig zu fördern. Im Falle nun, daß sie von einigen gehalten und von andern vernachlässigt werden sollten, würden die, die sie halten, eine Beute derer werden, die sie nicht halten; es würden die Guten nicht nur ohne Schutz sein vor den Bösen, sondern auch noch die lästige Obliegenheit haben, ihnen beizustehen: was gegen die Absicht der genannten Gesetze ist, die nur geschaffen sind zum Schutz und zur Verteidigung derjenigen, die sie halten. Die Vernunft daher und das Naturrecht oberhalb aller dieser besonderen Gesetze schreiben folgendes Gesetz im allgemeinen vor: daß diese besonderen Gesetze nur so weit gehalten werden, als sie uns keiner Unzuträglichkeit aussetzen, welche gemäß unserem eigenen Urteil entstehen kann durch die Vernachlässigung derselben von denjenigen, denen wir sie halten, und fordern folglich nichts anderes als den Wunsch und die beständige Absicht, uns zu bemühen und bereit zu sein, sie zu halten, falls wir nicht zu dem Gegenteil veranlaßt werden durch die Weigerung anderer Menschen, sie uns zu halten. Die Gültigkeit des Naturgesetzes ist daher nicht in foro externo, d. h. solange bis Sicherheit da ist, daß die Menschen ihm gehorchen werden, aber ist immer in foro interno, wo, solange als der tatsächliche Gehorsam unsicher ist, der Wille und die Bereitschaft, es zu erfüllen, für die Erfüllung genommen wird.

11. Gewohnheiten und Verjährungen sind unter diesen Naturgesetzen nicht aufgeführt. Denn welche Handlung gegen die Vernunft ist, ist, wenn sie sich auch noch so oft wiederholen mag oder ob es auch noch so viele »Präzedenzfälle« dafür gibt, doch beständig gegen die Vernunft und daher kein Naturgesetz, sondern demselben entgegengesetzt. Aber Übereinstimmung und Vereinbarung können die Fälle, welche im Naturrecht gesetzt werden, so abändern, durch Veränderung der Umstände, daß das, was vorher gemäß der Vernunft war, nachher dagegen sein kann, und doch ist Vernunft nach wie vor Recht. Denn zwar ist jedermann verpflichtet, dem andern die Gleichheit zu gestatten, wenn aber der andere einen Grund hat, auf jene Gleichheit zu verzichten und sich selbst minderwertig zu machen, dann bricht einer, wenn er jenen von nun an auch als minderwertig betrachtet, nicht das Naturgesetz, welches die Gleichheit gebietet. Kurz gesagt: Eines Mannes eigene Einwilligung kann die Freiheit, welche ihm das Naturgesetz gewährt, schmälern, aber Gewohnheit nicht; und weder Gewohnheit noch Einwilligung können diese Naturgesetze noch irgendein anderes Naturgesetz aufheben.

12. Und das Gesetz (im eigentlichen Sinne verstanden) ist ein Befehl; diese Vorschriften aber, wie sie von der Natur ausgehen, sind keine Befehle; sie werden aber Befehle genannt, nicht mit Rücksicht auf die Natur, sondern mit Rücksicht auf den Urheber der Natur, den allmächtigen Gott.

13. Und da die Naturgesetze sich auf das Gewissen beziehen, so bricht nicht nur der sie, der dagegen handelt, sondern auch der, dessen Tun mit ihnen im Einklang ist, wenn er selbst dafürhält, daß das Gegenteil der Fall ist. Denn wenn die Handlung auch möglicherweise recht ist, in seinem Urteilsvermögen verachtet er doch das Gesetz.

14. Jedermann nennt, gemäß natürlicher Leidenschaft, das gut, was ihm jetzt und fernerhin, soweit er in die Zukunft vorausschauen kann, gefällt, und in gleicher Weise das, was ihm mißfällt, böse. Und so muß auch derjenige, der den ganzen Weg zu seiner Erhaltung (welches das Ziel ist, nach dem jedermann von Natur strebt) im voraus erkennt, dies gut nennen und das Gegenteil böse. Und dies ist jenes Gut und Böse, welches nicht jeder in der Leidenschaft, aber alle bei ruhiger Überlegung so nennen. Und deshalb ist die Erfüllung aller dieser Gesetze gut nach der Vernunft und die Verletzung derselben böse. Und ebenso auch die Gewohnheit oder Neigung oder Absicht, sie zu erfüllen, gut, und die Verabsäumung derselben böse. Und daher rührt jene Unterscheidung von malum poenae und malum culpae; denn malum poenae ist irgendein Schmerz oder eine Störung des Gemüts, aber malum culpae ist jene Handlung, welche der Vernunft und dem Naturgesetz zuwiderläuft; wie auch die seelische Haltung, diesen und anderen Naturgesetzen, die zu unserer Erhaltung dienen, gemäß zu handeln das ist, was wir Tugend nennen, und die seelische Haltung, das Gegenteil zu tun, Laster oder Untugend. Wie zum Beispiel die Gerechtigkeit jene seelische Haltung ist, eingegangene Verpflichtungen zu halten, die Ungerechtigkeit das entgegengesetzte Laster; Billigkeit die seelische Haltung, natürliche Gleichheit zu gewähren, Anmaßung die entgegengesetzte Untugend; Dankbarkeit die seelische Haltung, die Wohltaten und die Treue anderer zu vergelten, Undankbarkeit die entgegengesetzte Untugend; Mäßigkeit die seelische Haltung, uns aller Dinge zu enthalten, die auf unsere Vernichtung abzielen, Unmäßigkeit das entgegengesetzte Laster; und Klugheit ist dasselbe wie die Tugend im allgemeinen. Was die gewöhnliche Annahme betrifft, daß die Tugend ein Mittleres oder Maßvolles und das Laster ein Extremes oder Übermäßiges sei, so sehe ich dazu keinen Grund und kann keine solche Mittelmäßigkeit finden. Mut in einem äußerst gefährlichen Wagnis kann eine Tugend sein, wenn der Beweggrund ein guter ist, und übermäßige Furcht ist keine Untugend, wenn die Gefahr äußerst groß ist. Einem Menschen mehr zu geben, als ihm gebührt, ist keine Ungerechtigkeit, wohl aber ihm weniger zu geben. Und bei Schenkungen ist es nicht die Größe der Gabe, welche die Freigebigkeit ausmacht, sondern der vernünftige Grund zum Geben. Und so bei allen andern Tugenden und Untugenden. Ich weiß, daß diese Lehre vom Mittleren die des Aristoteles ist, aber seine Ansichten über Tugend und Laster sind eben diejenigen, die zu seiner Zeit herrschend waren, und im allgemeinen noch jetzt unter ungelehrten Menschen, bei denen daher nicht eben wahrscheinlich ist, daß sie richtig sind.

15. Die Summe der Tugend ist, denen Freund zu sein, die freundschaftlichen Verkehr wollen, und furchtbar denen, die es nicht wollen. Und das gleiche ist die Summe des Naturrechts; denn wer zur Freundschaft geneigt ist, erfüllt das Naturgesetz auf dem Wege des Friedens und des geselligen Verkehrs; und furchtbar zu sein ist das Naturgesetz im Kriege, wo gefürchtet zu werden ein Schutz ist, den ein Mann sich durch seine eigene Kraft verschafft; und wie das erstgenannte Naturgesetz in Handlungen der Billigkeit und der Gerechtigkeit besteht, so das letztgenannte in Handlungen der Ehre. Und Billigkeit, Gerechtigkeit und Ehre sind der Inbegriff aller Tugenden.

Kapitel XVIII.
Bestätigung derselben aus Gottes Wort.

Bestätigung der wichtigsten in den beiden letzten Kapiteln erörterten Punkte bezüglich des Naturrechts durch die Heilige Schrift.

 

1. Die in den vorhergehenden Kapiteln betrachteten Gesetze heißen Naturgesetze, weil sie Vorschriften der natürlichen Vernunft sind; sie sind auch Moralgesetze, weil sie sich auf die Sitten und den Verkehr der Menschen untereinander beziehen; ebenso sind sie auch göttliche Gesetze mit Rücksicht auf ihren Urheber, den allmächtigen Gott, und deshalb müssen sie auch mit dem Worte Gottes, wie es uns in der Heiligen Schrift geoffenbart ist, übereinstimmen oder demselben wenigstens nicht widersprechen. In diesem Kapitel werde ich daher solche Bibelstellen anführen, welche am meisten mit den genannten Gesetzen im Einklang sind.

2. Zunächst verlegt Gottes Wort, wie es scheint, das göttliche Gesetz in unser Urteilsvermögen, und zwar durch alle jene Stellen, die dasselbe dem Herzen und dem Verstande zuschreiben, wie Psalm 40,9: » Dein Gesetz habe ich in meinem Herzen«; Hebr. 8,10: » Ich will geben mein Gesetz in ihren Sinn, und in ihr Herz will ich es schreiben«, und Hebr. 10,16, wo dasselbe steht. Psalm 37,31, wo von dem Gerechten die Rede ist, heißt es: »Das Gesetz seines Gottes ist in seinem Herzen.« Psalm 19,8,9: »Das Gesetz des Herrn ist vollkommen und erquickt die Seele. Es macht die Einfältigen weise und erleuchtet die Augen.« Jer. 31,33: »Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben.« Und Johannes 1 wird der Gesetzgeber selbst, der allmächtige Gott, λόγος genannt, und der λογός heißt Vers 4 »das Licht der Menschen«, und Vers 9 »das wahrhaftige Licht, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen«, und alle diese Ausdrücke sind Beschreibungen der natürlichen Vernunft.

3. Und daß jene Vorschriften, welche den Frieden einschärfen, göttliches Gesetz sind, und zwar dem moralischen Teil desselben angehören, beweisen folgende Stellen der Schrift: Römer 3,17 wird die Rechtschaffenheit, welche die Erfüllung des Gesetzes ist, der Weg des Friedens genannt. Und Psalm 85,11 heißt es: »Gerechtigkeit und Friede [sollen] sich küssen«; und Matth. 5,9: »Gesegnet sind die Friedfertigen.« Ferner Hebr. 7,2 wird Melchisedek, König von Salem, als König der Gerechtigkeit und König des Friedens bezeichnet, und Vers 21 wird von unserm Heiland Jesus Christus bezeugt: »Du bist ein Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks«; woraus geschlossen werden darf, daß die Lehre unseres Heilandes Christi die Erfüllung des Gesetzes an den Frieden anknüpft.

4. Daß das Naturgesetz unwandelbar ist, wird dadurch angedeutet, daß das Priestertum Melchisedeks ewig ist, und durch die Worte des Erlösers, Matth. 5,18, wo es heißt: »Himmel und Erde werden vergehen, aber kein Jota und kein Tüttel des Gesetzes wird vergehen, bis daß es erfüllet ist.«

5. Daß die Menschen ihre Verträge halten sollen, wird Psalm 15 gezeigt, wo Vers 1 die Frage gestellt wird: »Herr, wer wird wohnen in deiner Hütte?« usw., worauf Vers 4 diese Antwort gegeben wird: »Wer ihm selbst zum Schaden schwöret und hält's.« Ferner daß die Menschen dankbar sein sollen für Wohltaten, welche sie, ohne daß Verträge geschlossen werden, empfangen, zeigt die Stelle 5. Mose 25,4: »Du sollst dem Ochsen, der dein Korn austritt, nicht das Maul verbinden«; was Paulus (1. Korinth. 9,9) so erklärt, daß es von Menschen zu verstehen sei und nicht von Ochsen.

6. Die Forderung, daß die Menschen mit Gleichheit zufrieden sein sollen, welche die Grundlage des Naturgesetzes bildet, steht im göttlichen Gesetz an zweiter Stelle, vergleiche Matth. 22,39,40: »Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst. In diesen zweien Geboten hanget das ganze Gesetz und die Propheten.« Und dies ist nicht so zu verstehen, daß ein Mensch auf seines Nächsten Vorteil ebensosehr bedacht sein soll wie auf seinen eigenen, oder daß er seine Güter unter seine Nächsten verteilen soll, sondern daß er den Nächsten aller Rechte und Privilegien, die er selbst genießt, würdig achten, und daß er ihm alles das zubilligen soll, wovon er erwartet, daß es ihm selbst zugebilligt werde, was nichts anderes heißt, als daß er demütig, bescheiden und mit Gleichheit zufrieden sein soll.

7. Und daß ferner bei der Austeilung von Rechten unter Gleichen jene Austeilung im Verhältnis zu der Anzahl gemacht werden soll, welches die Forderung der aequalia aequalibus und proportionalia proportionalibus ist, zeigt der Befehl Gottes an Moses, 4. Mose 26,53,54: »Diesen sollst du das Land austeilen zum Erbe nach der Zahl der Namen. Vielen sollst du viel zum Erbe geben und wenigen weniger; jeglichen soll man geben nach ihrer Zahl.« Daß ferner Entscheidung durch das Los ein Mittel zum Frieden ist, steht Sprüche Sal. 18, 18: »Das Los stillet den Hader und scheidet zwischen den Mächtigen.«

8. Daß Nachgiebigkeit und Vergebung, welche vorher als Naturgesetze aufgestellt worden sind, auch göttliche Gebote sind, ist außer Zweifel. Denn sie sind das Wesen der Nächstenliebe, welches der Zweck des ganzen Gesetzes ist. Daß wir einander nicht schmähen oder schelten sollen, ist die Lehre unseres Heilandes, Matth. 7, 1: »Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet« und Vers 3: »Was stehest du den Splitter in deines Bruders Auge und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?« Auch das Gesetz, welches uns verbietet, unsern Rat andern weiter aufzunötigen, als sie zulassen wollen, ist ein göttliches Gesetz. Denn nachdem unser liebevolles Bestreben und unser Wunsch, den andern zu bessern, zurückgewiesen worden ist, heißt es, wenn wir unsern Rat weiter aufdrängen, so viel als ihn schelten und mißachten, welches in dem soeben angeführten Schriftwort verboten ist, und auch Römer 14, 12, 13: »So wird nun ein jeglicher für sich selbst Gott Rechenschaft geben. Darum lasset uns nicht mehr einer den andern richten, sondern richtet vielmehr dies, wenn jemand seinen Bruder zu Fall bringt und ihn veranlaßt zu straucheln.«

9. Ferner, die sich auf das Naturgesetz beziehende Sittenregel: Quod tibi fieri non vis, alteri ne feceris wird durch das Schriftwort Matth. 7, 12 bestätigt: » Alles nun, was ihr wollt, daß euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch; das ist das Gesetz und die Propheten«; und Römer 2,1:» Worinnen du einen andern richtest, verdammest du dich selbst.«

10. Es geht auch aus der Schrift hervor, daß diese Gesetze sich nur auf das Richteramt des Gewissens beziehen, und daß die Handlungen, die dagegen sind, nur so weit von dem allmächtigen Gott bestraft werden, als sie aus Gleichgültigkeit und Verachtung entspringen. Zunächst, daß diese Gesetze für das Gewissen gegeben sind, folgt aus Matth. 5, 20: »Denn ich sage euch: Es sei denn eure Gerechtigkeit besser denn der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.« Nun waren aber die Pharisäer am genauesten unter den Juden in der Gesetzeserfüllung nach dem Buchstaben; es mußte ihnen also die Aufrichtigkeit der Gesinnung fehlen, sonst würde unser Heiland nicht eine größere Gerechtigkeit gefordert haben als die ihrige. Aus demselben Grunde sagt Christus: »Der Zöllner geht gerechtfertigter aus dem Tempel als der Pharisäer.« Und Jesus sagt auch: »Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht«, was darin seinen Ursprung hat, daß er nicht mehr von uns verlangt, als daß wir uns nach besten Kräften bemühen. Ferner Römer 14, (19) 23: »Wer aber daran zweifelt und isset doch, der ist verdammt.« Und in unzähligen Stellen des Alten und Neuen Testaments erklärt Gott, daß er den Willen für die Tat nimmt, sowohl bei guten wie bei bösen Handlungen. Und aus diesem allen ist es klar, daß das göttliche Gesetz für das Gewissen gegeben ist. Andererseits ist es nicht weniger klar, daß ein Mensch, wie viele und wie verabscheuungswürdige Taten er auch immer aus Schwachheit begehen mag, doch von der Strafe, welche diese Handlungen sonst nach sich ziehen, befreit werden soll, wenn er sie in seinem Gewissen verdammt. Denn, »wenn immer ein Sünder im Grunde seines Herzens bereut, sollen alle seine Sünden vergeben sein, spricht der Herr«.

11. Die Rache betreffend, welche vom Standpunkt des Naturgesetzes nicht Genugtuung in der Gegenwart, sondern Besserung in der Zukunft bezwecken soll, wie ich Kapitel XVI Abschnitt 10 gesagt habe, wird behauptet, daß sie nicht mit dem göttlichen Gesetz im Einklang stehe, und zwar von denjenigen, welche die Fortsetzung der Bestrafung über das jüngste Gericht hinaus in Abrede stellen, wo keine Gelegenheit mehr sei weder zur Besserung noch zur Abschreckung. Dieser Einwand hätte einen Sinn, wenn die Strafe eingeführt worden wäre, nachdem alle Sünden vorüber waren; aber da die Strafe vor der Sünde eingesetzt wurde, so dient sie zum Segen der Menschheit, weil sie die Menschen durch die Furcht, welche sie einflößt, veranlaßt, friedlich und sittsam miteinander zu verkehren. Und daher war solche Rache nur auf die Zukunft gerichtet.

12. Endlich gibt es kein Gesetz der natürlichen Vernunft, welches gegen das göttliche Gesetz sein kann; denn der allmächtige Gott hat dem Menschen die Vernunft gegeben, damit sie ihn erleuchte. Und ich hoffe, es ist keine Gottlosigkeit, zu glauben, daß Gott am Tage des Jüngsten Gerichts strenge Rechenschaft darüber verlangen wird, wie auch über die Vorschriften, welche wir auf unserer irdischen Laufbahn erfüllen sollten; ungeachtet des Widerstandes und der Verunglimpfungen, die von den Supranaturalisten unserer Tage gegen vernünftigen und sittlichen Verkehr gerichtet werden.

Kapitel XIX.
Über die Notwendigkeit und Definition eines politischen Körpers.

1. Daß die Menschen trotz dieser Gesetze doch im Kriegszustande bleiben, bis sie Sicherheit gegeneinander haben. 2. Das Naturgesetz im Kriege ist nur die Ehre. 3. Keine Sicherheit ohne die Eintracht vieler. 4. Daß die Eintracht unter vielen nicht erhalten werden kann ohne eine Macht, die sie alle in Furcht hält. 5. Der Grund, weshalb die Eintracht in einer Menge bei einigen unvernünftigen Geschöpfen sich erhält und nicht bei den Menschen. 6. Daß die Einigung notwendig ist für die Erhaltung der Eintracht. 7. Wie Einigkeit geschaffen wird. 8. Definition des politischen Körpers. 9. Definition der Körperschaft. 10. Definition des Herrschers und des Untertans. 11. Zwei Arten politischer Körper, patrimoniale und Gemeinwesen.

 

1. In Kapitel XII Abschnitt 16 ist gezeigt worden, daß die Ansichten der Menschen über die Belohnungen und Bestrafungen, welche sie für ihre Taten zu erwarten haben, die Triebfedern sind, welche den Willen zu diesen Taten entstehen lassen und beherrschen. In jenem Naturzustande daher, in dem alle Menschen gleich sind und jeder sein eigener Richter sein darf, ist auch die Furcht, welche sie voreinander haben, gleich, und jeder vertraut seiner eigenen List und Stärke: folglich, wenn einer von ihnen seiner natürlichen Neigung folgt und jene Naturgesetze bricht, bleibt keine andere Sicherheit der Selbstverteidigung für die andern als die Vorbeugung. Und aus diesem Grunde bleibt jedem einzelnen sein Recht – ob er nun friedlich gesinnt sei oder nicht – das zu tun, was er für gut hält, als ein notwendiges Mittel zu seiner Selbsterhaltung. Daher leben die Menschen im Kriegszustande, solange keine Sicherheit oder Gewähr unter ihnen ist dafür, daß sie jene Naturgesetze einer dem andern halten, und nichts ist für einen Menschen ungesetzlich, was zu seiner eigenen Sicherheit und Wohlfahrt dient: und diese Sicherheit und Wohlfahrt besteht in der gegenseitigen Hilfe und Unterstützung, die einer dem andern gewährt, woraus auch die gegenseitige Furcht des einen vor dem andern folgt.

2. Eine sprichwörtliche Rede lautet: Inter arma silent leges. Es muß deshalb etwas über die Gesetze gesagt werden, welche die Menschen untereinander in Kriegszeiten beobachten sollen, wo jedem sein eigenes Leben und sein eigenes Wohl als Richtschnur für alle Handlungen dient. Doch so viel gebietet das Naturgesetz im Kriege, daß die Menschen nicht die Grausamkeit ihrer augenblicklichen Leidenschaften sättigen dürfen, von der sie, in ihrem Gewissen, keinen Vorteil für die Zukunft voraussehen. Denn das verrät keine Notwendigkeit, sondern eine Neigung des Gemüts zum Kriege, was gegen das Naturgesetz ist. Und in alten Zeiten war, wie wir lesen, die Beraubung anderer ein Lebensberuf, wobei trotzdem viele von denen, die ihn übten, nicht nur das Leben derjenigen, die sie beraubten, verschonten, sondern ihnen auch jene Sachen ließen, welche nötig waren, um das Leben, das sie ihnen geschenkt hatten, zu fristen, nämlich ihre Ochsen und Ackergerätschaften, obgleich sie alles andere Vieh und Vermögen hinwegführten. Und da der Raub selbst, nach dem Naturgesetz, berechtigt war, bei dem Mangel an Sicherheit sich die notwendigen Lebensmittel auf andere Weise zu verschaffen, so war doch die Ausübung von Grausamkeit durch dasselbe Gesetz verboten, wofern nicht die Furcht das Gegenteil geboten erscheinen ließ. Denn nur die Furcht kann es rechtfertigen, einem andern das Leben zu nehmen. Und weil die Furcht kaum anders offenbar gemacht werden kann als durch irgendeine unehrenhafte Handlung, welche das Bewußtsein der eigenen Schwachheit verrät, so haben alle Menschen, in denen der Trieb des persönlichen Mutes und der Großherzigkeit mächtig war, sich der Grausamkeit enthalten; denn obgleich es im Kriege kein Gesetz gibt, dessen Nichtbefolgung Unrecht wäre, so gibt es im Kriege doch jene Gesetze, deren Nichtbefolgung Unehre ist. Kurz gesagt also, das einzige Gesetz für die Handlungen im Kriege ist die Ehre, und das Recht zum Kriege die Vorsicht.

3. Und da wir sehen, daß gegenseitige Hilfe nötig ist für die Verteidigung, wie gegenseitige Furcht notwendig ist für den Frieden, so ist in Betracht zu ziehen, wie große Beistandsleistungen erforderlich sind für solche Verteidigung und für die Bewirkung einer so großen gegenseitigen Furcht, daß die Menschen nicht leichtsinnig etwas gegeneinander unternehmen werden. Zunächst ist es klar, daß der gegenseitige Beistand von zwei oder drei Mann nur sehr geringe Sicherheit bietet. Denn das Übergewicht von einem oder zwei Mann auf der anderen Seite gibt hinreichende Ermutigung zu einem Angriff. Und deshalb muß, ehe die Menschen genügende Sicherheit durch gegenseitigen Beistand erhalten, ihre Zahl so groß sein, daß die numerische Ungleichheit auf der einen oder der andern Seite keinen gewissen und merklichen Vorteil bietet.

4. Aber eine wie große Zahl von Menschen sich auch immer zum Zweck gegenseitiger Verteidigung zusammenfinden mag, so wird dies doch wirkungslos bleiben, wofern sie nicht alle ihre Handlungen auf ein und dasselbe Ziel richten, und diese Richtung auf ein und dasselbe Ziel ist das, was wir Kapitel XII Abschnitt 7 Einmütigkeit genannt haben. Obgleich nun diese Einmütigkeit oder Eintracht durch die Furcht vor einem eindringenden Eroberer oder durch die Hoffnung auf eine zu machende Eroberung oder auf Beute zustande kommen und so lange dauern mag wie jene kriegerische Aktion, so ist es doch nichtsdestoweniger unmöglich, daß so viele Menschen, bewegt von so verschiedenen Ansichten und Leidenschaften, und alle naturgemäß nach Ehre und Ansehen strebend, sich einmütig gegen einen Feind Hilfe leisten oder lange in Frieden miteinander leben werden, ohne daß sie durch eine gegenseitige und gemeinsame Furcht zusammengehalten und regiert werden.

5. Aber als im Widerspruch dazu stehend mag die Erfahrung angeführt werden, welche wir von gewissen unvernünftigen Geschöpfen haben, die nichtsdestoweniger sich beständig einer so guten Ordnung und einer vortrefflichen Verfassung erfreuen und so frei von Aufruhr und Krieg untereinander sind, daß man sich für den Frieden, das Gemeinwohl und die Verteidigung nichts Besseres denken kann. Und diese Erfahrung haben wir von jenen kleinen Geschöpfen, den Bienen, welche deshalb unter die animalia politica gerechnet werden. Warum können nun die Menschen, welche die Wohltaten der Eintracht vorhersehen, nicht, wie sie, einmütig, ohne Zwang, zusammenleben? Die Antwort ist erstens: bei anderen Geschöpfen kommt die Frage des Vorranges in der eigenen Gattung und das Streben nach Ehre und Anerkennung gegenseitiger Vorzüge nicht in Betracht, woraus Neid und Haß entstehen, die dann zu Aufruhr und Krieg führen. Zweitens, jedes einzelne jener Geschöpfe trachtet nach Frieden und nach der allen gemeinsamen Nahrung; die Menschen dagegen streben nach Macht, Vorrang und Privateigentum, und dies ist bei jedem einzelnen anders und führt zu Streitigkeiten. Drittens, jene Geschöpfe, welche ohne Vernunft sind, besitzen nicht Einsicht genug, daß sie Mängel in der Regierung ausspähen können oder auszuspähen vermeinen, und sind deshalb mit derselben zufrieden. Aber in einer großen Anzahl von Menschen gibt es immer einige, welche sich für weiser halten als die übrigen und dasjenige zu ändern streben, was sie als verkehrt ansehen; und verschiedene suchen auf verschiedene Weise zu ändern, und das verursacht Zwiespalt und Krieg. Viertens, sie entbehren der Sprache und können daher einander nicht aufreizen zu Tumult und Zwietracht; die Menschen aber wohl. Fünftens, sie haben keine Vorstellung von Recht und Unrecht, sondern nur von Lust und Schmerz, und rügen deshalb auch nicht einander oder ihren Anführer, solange als es ihnen selber gut geht, während die Menschen, welche sich selbst zu Richtern über Recht und Unrecht machen, dann am wenigsten ruhig sind, wenn es ihnen am behaglichsten geht. Endlichste natürliche Eintracht, wie sie unter jenen Geschöpfen besteht, ist Gottes Werk, vermittelt durch die Natur; aber die Eintracht unter den Menschen ist künstlich und wird durch Verträge vermittelt. Es ist daher kein Wunder, daß jene unvernünftigen Tiere, welche große Völker bilden und sich regieren, dies mit weit größerer Beständigkeit tun als die Menschen, die es kraft willkürlicher Einrichtung tun.

6. Es bleibt also noch hervorzuheben, daß die Einmütigkeit, worunter ich das Zusammenwirken des Willens vieler zu einem gemeinsamen Handeln verstehe, nicht genügende Sicherheit für den allgemeinen Frieden bietet, ohne die Einrichtung einer gemeinsamen Gewalt, welche die Menschen durch die Furcht, welche sie einflößt, zwingt, sowohl den Frieden untereinander zu halten als auch ihre Kräfte gegen einen gemeinschaftlichen Feind zu vereinigen. Und daß dieses geschehe, dafür gibt es keinen andern denkbaren Weg als die Einigung, welche Kapitel XII Abschnitt 8 definiert worden ist als die Zusammenfassung oder Zusammenschließung des Willens vieler in den Willen eines einzelnen oder in den Willen des größten Teils irgendeiner Gruppe von Menschen, das heißt in den Willen eines Mannes oder einer Ratsversammlung. Denn ein Rat ist nichts anderes als eine Versammlung von Menschen, welche über etwas sich beraten, was sie alle angeht.

7. Eine Verbindung kommt dadurch zustande, daß jeder einzelne Mann vertraglich irgendeinem und demselben Menschen oder irgendeiner und derselben Ratsversammlung, die sie alle ernannt und eingesetzt haben, sich verpflichtet, alle jene Handlungen zu tun, welche die genannte Person oder Ratsversammlung von ihnen heischen wird, und keine Handlung zu tun, welche er oder sie ihnen verbieten werden. Und ferner, wenn es ein Rat ist, dessen Befehl sie sich unterwerfen, daß sie sich dann auch verpflichten, als Befehl des ganzen Rates anzusehen, was der Befehl des größeren Teils jener Männer ist, aus denen der Rat besteht. Und obgleich der menschliche Wille, weil nicht selber freiwillig, sondern der Anfang freiwilliger Handlungen, nicht der Überlegung und der Vereinbarung unterliegt; so verpflichtet sich doch ein Mann, wenn er sich verbindlich macht, seinen Willen den Befehlen eines andern zu unterwerfen, dazu, daß er ihm, dem er Gehorsam verspricht, seine Kraft und seine Mittel zur Verfügung stellt. Und hierdurch kann derjenige, dem die andern gehorchen sollen, durch die Anwendung aller Kräfte und Mittel jener und die Furcht, die er dadurch einzuflößen vermag, in den Stand gesetzt werden, den Willen jener zur Einheit und zur Eintracht untereinander zu bilden.

8. Diese so entstandene Verbindung ist das, was die Menschen heutzutage einen politischen Körper oder eine bürgerliche Gesellschaft nennen; und die Griechen haben dafür das Wort πόλις, das heißt wörtlich eine Stadt, welche also definiert werden kann als eine Vielheit von Menschen, die zum Zweck ihres gemeinsamen Friedens, ihrer Wohlfahrt und ihrer Verteidigung gleichsam zu einer Person vereinigt sind.

9. Und wie diese Verbindung zu einer Stadt oder einem politischen Körper eingerichtet wird, mit einer gemeinsamen Macht über alle einzelnen Personen oder Mitglieder jener Gemeinschaft, zum gemeinsamen Besten aller, so kann auch unter einer Vielheit jener Mitglieder ein untergeordneter Verein von gewissen Männern für gewisse gemeinsame Handlungen, welche jene Männer für ihren gemeinsamen Nutzen oder für das ganze städtische Gemeinwesen tun, eingerichtet werden, z. B. für eine Unterabteilung in der Regierung, für Rechtspflege, für Handel und Gewerbe. Und diese untergeordneten politischen Gemeinschaften werden gewöhnlich Korporationen genannt, und ihre Macht über die Mitglieder ihrer Gesellschaft geht so weit, wie sie ihnen von dem ganzen Gemeinwesen, dessen Mitglieder sie sind, zugestanden wird.

10. In allen Städten oder politischen Gemeinschaften, welche nicht untergeordnet, sondern unabhängig sind, heißt jener eine Mann oder jener eine Rat, dem die einzelnen Mitglieder jene allgemeine Gewalt übertragen haben, ihr Herrscher und seine Gewalt die herrschende Gewalt, und diese besteht in der Macht und Stärke, die jedes einzelne Mitglied von sich selbst auf ihn vertraglich übertragen hat. Und da es für jeden Menschen unmöglich ist, in Wirklichkeit seine eigene Stärke einem andern zu übertragen, oder für jenen andern, sie zu empfangen, so ist das so zu verstehen, daß die Übertragung der eigenen Gewalt und Stärke nichts anderes ist als die Aufgebung oder Entsagung seines Rechtes, jenem, dem man seine Macht überträgt, Widerstand zu leisten. Und jedes Mitglied der politischen Gemeinschaft heißt ein Untertan, nämlich des Herrschers.

11. Der Grund im allgemeinen, der einen Mann veranlaßt, Untertan eines andern zu werden, ist, wie ich bereits gesagt habe, die Furcht, daß er sich sonst nicht zu erhalten vermag. Und ein Mensch kann sich demjenigen untertänig machen, der ihn überwältigt oder überwältigen könnte, aus Furcht vor diesem, oder auch, die Menschen können sich untereinander verbinden, um sich jemandem zu unterwerfen, den sie sich selbst ausersehen, aus Furcht vor andern. Und wenn viele Menschen sich in der erstgenannten Weise untertänig machen, so entsteht daraus, gleichsam auf natürliche Weise, ein politischer Körper; daraus entwickelt sich die väterliche und despotische Gewalt. Und wenn die Menschen sich in der letztgenannten Weise untertänig machen, durch gegenseitige Verständigung unter vielen, so wird der politische Körper, welchen sie bilden, meistens Gemeinwesen genannt, zur Unterscheidung von der ersteren Form, obgleich dieser Name »politischer Körper« auch die allgemeine Bezeichnung für beide ist. Und ich werde an erster Stelle von den Gemeinwesen reden und nachher von patrimonialen und despotischen politischen Körpern.

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