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Einführung.

Das hier zum ersten Male übersetzte Werk trägt im Original den Titel » Elements of Law natural and politic«. Auch dies Original ist in seiner echten Gestalt erst im Jahre 1889 zum ersten Male herausgegeben worden The Elements of Law natural and politic. By Thomas Hobbes of Malmesbury. Edited with a preface and critical notes by Ferdinand Tönnies Ph. Dr. To which are subjoined extracts from unprinted MSS of Thomas Hobbes. London, Simpkin Marshall & Co. MDCCCLXXXIX. . Die Exemplare dieser Ausgabe, die auch im Heimatlande des großen Denkers nur einer schwachen Beachtung gewürdigt wurde, sind zum größten Teile durch eine Feuersbrunst zugrunde gegangen. Auch große öffentliche Bibliotheken besitzen sie nicht. Es sind nur noch einzelne Exemplare davon verfügbar.

Die Widmung an William Earl of Newcastle, den bedeutenden General, der wohl als der »letzte der Kavaliere« gefeiert wurde, trägt das Datum des 9. Mai 1640. Newcastle, der einer Seitenlinie der Familie Cavendish angehörte, einer Familie, die schon damals durch Geist und wissenschaftliches Interesse sich auszeichnete, war seit dem Jahre 1638 »Gouverneur« des Prinzen von Wales, des späteren Königs Karl des Zweiten. Die » Elements of Law« waren nicht für ein größeres Publikum bestimmt und wurden nicht dem Druck übergeben. Das Werk wurde nur durch Abschriften bekannt; wie viele solche es gegeben hat, wissen wir nicht. Hobbes selber erzählt in einer kleinen Schrift, die er, wie es scheint im 92. Lebensjahre, kurz vor seinem Ende, verfaßte: »Als das Parlament saß, das im April 1640 begann und im folgenden Mai aufgelöst wurde [das eben darum sogenannte kurze Parlament im Gegensatz zum »langen«, das im folgenden November zusammentrat,] und worin viele Stücke der königlichen Macht, die notwendig waren für den Frieden des Königreichs und für die Sicherheit der Person Seiner Majestät, bestritten und geleugnet wurden, da schrieb Hobbes eine kleine Abhandlung in englischer Sprache, worin er behauptete und bewies, daß die genannte Macht und die entsprechenden Befugnisse unabtrennbar mit der Souveränität verbunden seien; welche Souveränität sie damals dem Könige nicht absprachen; jene Untrennbarkeit aber, wie es scheint, verstanden sie nicht oder wollten sie nicht verstehen. Von dieser Abhandlung besaßen, obschon sie nicht gedruckt wurde, mehrere Edelleute Exemplare, und dies veranlaßte viel Gerede über den Verfasser; ja, hätte nicht Seine Majestät das Parlament aufgelöst, so hätte es ihn in Lebensgefahr gebracht. – Er war der erste, der gewagt hatte, zur Verteidigung des Königs zu schreiben; und einer, unter sehr wenigen, der auf keinem anderen Grunde als Kenntnis seiner Pflicht und der Grundsätze der Billigkeit, ohne besonderes Interesse, vollkommen loyal war.« Er erzählt dann weiter, wie das viel heftigere Auftreten des am 3. November zusammentretenden Parlaments ihn veranlaßt habe, sich nach Frankreich zu begeben, »der erste von allen, die da flohen«; er habe Bedenken getragen, wie man ihn in England behandeln werde, und sei in Frankreich elf Jahre lang geblieben; der materielle Schaden, den er dadurch erlitt, habe mehrere tausend Pfund betragen.

In Paris verfaßte Hobbes dann bald, was offenbar eine lateinische Ausgabe des Textes der »Elements of Law« von P. I.,ch.14 an darstellen sollte, unter dem Titel: »Elementorum Philosophiae Sectio Tertia De Cive«, aber auch diese Ausgabe war noch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt; sie war – wie es scheint, dank der Liberalität des selber philosophisch tätigen Freundes Sir Kenelm Digby – in einer sehr kleinen Anzahl von Exemplaren gedruckt, und kam nicht in den Buchhandel. Der Verfasser hatte sich nicht genannt: so wird uns überliefert, und daß einige auf Descartes als den Verfasser geraten hatten. Aber in dem erhaltenen Exemplar, das ich gesehen habe, befindet sich die Widmungsepistel an den Grafen Devonshire (mit dem Datum Nov. 1, 1641, die Jahreszahl ist später in 1646 verändert), und ist mit dem Namen Thomas Hobbes unterzeichnet. Ob diese Epistel in den übrigen Exemplaren gefehlt hat (wie es ja noch heute vorkommt, daß der Bewidmete nicht einmal erfährt, daß die Widmung nur in dem ihm überreichten Exemplar sich befindet) –? Ich kann die Frage nicht beantworten, weil ich selber nur das eine Exemplar gesehen habe.

Es läßt sich aus den mir zugänglich gewesenen Quellen nicht ermitteln, wann der Philosoph den Plan gefaßt hat, ein System in drei Teilen lateinisch herauszugeben. In den (unedierten) Briefen des Sir Kenelm Digby aus 1636 und 1637, von denen ich Abschriften besitze, ist noch nicht die Rede davon, wohl aber von der »Logik«, an der Hobbes, der Adressat, arbeite; und die Briefe zeugen von der lebhaftesten Teilnahme für sein Schaffen: Digby bittet (am 11. September 1637), wenn irgend etwas fertig sei von der »Logik«, es ihm mitzuteilen. »Ich bekenne, daß ich alles, was von Ihnen kommt, über die Maßen schätze; während viele andere, die für gelehrt gelten, nur Chimären erzeugen und Luftschlösser erbauen« – »der Sie mehr wissen als alle lebenden Menschen«, heißt es in demselben Briefe. Schon im Januar des gleichen Jahres hatte er dieselbe Bitte ausgesprochen.

Merkwürdiger ist nun, daß die erwähnte Widmungsepistel, obgleich die »Sectio Tertia« auf dem Titelblatt stand, von dieser Einteilung und dem Plane nichts erwähnt: den Ursprung der Doktrin vielmehr anders darstellt, ausgehend von dem Gegensatz des »Homo Homini Deus« und »Homo Homini Lupus«, mit der Spitze gegen die Unweisheit der Menge. Weisheit sei nichts als die Erkenntnis der Wahrheit, die nur auf richtiger Kenntnis von den Namen der Dinge und auf richtiger Vernunft beruhen könne, welche von Betrachtung der einzelnen Dinge zu allgemeinen Regeln fortschreite. Danach verzweige sich die Philosophie in Geometrie, Physik und Moralphilosophie. Die Moralphilosophie habe es bisher an sich fehlen lassen: »denn, wäre mit gleicher Sicherheit die Norm ( ratio) der menschlichen Handlungen erkannt, mit der die Norm der Größen in den Figuren erkannt wird, so wären Ehrgeiz und Habsucht, deren Macht auf falsche Meinungen des Volkes über Recht und Unrecht sich stützt, entwaffnet, und das Menschengeschlecht würde eines so dauernden Friedens sich erfreuen, daß, wie es scheint, niemals mehr – es sei denn um den Platz, beim Wachsen der Volksmengen – zu kämpfen nötig wäre«. Daß aber bisher so wenig geleistet worden, das liege an der Methode, und nun beschreibt er seine eigene. Die natürliche Gerechtigkeit habe er zum Gegenstande seines Denkens gemacht, sei daher von dem Worte Gerechtigkeit ausgegangen, das ja den beständigen Willen, jedem sein Recht zu geben bedeute; und so habe er die Frage stellen müssen, woher es komme, daß jemand eine Sache die seine im Gegensatz zu einer fremden nenne – jedenfalls gehe dies (also das Privateigentum) nicht von der Natur, sondern von menschlicher Übereinkunft aus. Warum wollten es die Menschen? Welche Nötigung führte sie dazu? Die Antwort habe sich ihm ergeben, daß aus der Gütergemeinschaft notwendigerweise Krieg und aller Jammer, der daran hänge, folgen müsse, also etwas, was alle naturgemäß verabscheuen. »So hatte ich denn zwei sicherste Postulate der menschlichen Natur gefunden: erstens das der natürlichen Begierde, vermöge deren jeder einen ihm eigenen Gebrauch der gemeinsam besessenen Dinge fordert; zweitens das der natürlichen Vernunft, vermöge deren jeder einen gewaltsamen Tod als das größte natürliche Übel zu vermeiden beflissen ist. Von diesen Grundsätzen aus glaube ich die Notwendigkeit, Verträge zu erfüllen und Treue zu halten, folglich die Anfangsgründe der sittlichen Tugend und der bürgerlichen Pflichten, in dieser kleinen Schrift in einleuchtendstem Zusammenhang bewiesen zu haben.«

Auf einen anderen Ton ist die »Praefatio ad Lectores« gestimmt, die der ersten öffentlichen Ausgabe von »De Cive« im Jahre 1647 vorangestellt wurde. Nachdem zuerst Würde und Nutzen der politischen Erkenntnis hervorgehoben, fährt sie fort: »Was die Methode betrifft, so habe ich gemeint, daß nicht die bloße stilistische Anordnung, so deutlich diese auch sein möge, genügt, sondern daß vom Stoffe des Staates ausgegangen, dann zu seiner Erzeugung und Gestalt und zum ersten Ursprung der Gerechtigkeit fortgeschritten werden müsse.« Aus ihrer Zusammensetzung müsse man die Gegenstände erkennen. Eine Uhr nehme man auseinander, um zu sehen, welche Lage, Bewegung, Funktion ihren einzelnen Rädern zukomme. So müsse man den Staat, als ob er in seine Bestandteile aufgelöst wäre, betrachten, das heißt richtig erkennen, wie die menschliche Natur beschaffen, durch welche Eigenschaften sie ein Gemeinwesen zu bilden geeignet oder ungeeignet ist, und wie die Menschen unter sich zusammengesetzt werden müssen, die in eine Einheit gebildet werden wollen. Daran schließt sich dann als ein durch Erfahrung jedem bekannter Satz, den er zugrunde gelegt habe, das Urteil: die Menschen sind von Natur so beschaffen, daß sie einander gegenseitig mißtrauen und voreinander sich fürchten, wenn nicht die Furcht vor einer gemeinsamen Macht sie in Schranken hält. Auch wenn dies in Worten geleugnet werde, so sei das tatsächliche Verhalten der Menschen gegeneinander, und zwar der Staaten sowohl als der Einzelnen, beweisend; ohne daß man daraus folgern dürfe, daß der Mensch von Natur böse sei – allerdings fehle ihm von Haus aus die Zucht und der Gebrauch der Vernunft. Und darum sei der Naturzustand ein Zustand des Krieges aller gegen alle, der so scheußlich sei, daß die Menschen, sobald sie diese Scheußlichkeit erkennen, sich ihm zu entziehen suchen müssen. Das könne aber nur dadurch wirklich werden, daß sie durch Schließung von Verträgen auf das ursprüngliche Recht, das jeder auf alles habe, verzichten.

Dieser Gedankengang liegt nun wirklich in »De Cive« dergestalt vor, daß gegenseitige Furcht geradezu als Ursprung der bürgerlichen Gesellschaft ( initium societatis civilis) gesetzt wird, wobei man nicht als des Verfassers Meinung setzen darf, als bürgerliche Gesellschaft etwas vom Staate Verschiedenes anzunehmen. In diesem Punkte unterscheidet sich die neue Fassung von dem Entwurf der »Elements of Law«. Hier wird ausschließlich die natürliche Gleichheit der Menschen zugrunde gelegt und die Abneigung, die ihnen gleichwohl, infolge von Eitelkeit, Selbstsucht, Abgunst, eigen sei, diese Gleichheit gelten zu lassen. In Wahrheit ist dies vierzehnte Kapitel der »Elements« (P. I.) umgearbeitet worden, und diese Umarbeitung, ebenso wie die Nichtübereinstimmung der einleitenden Bemerkungen über die Methode zeugen davon, daß unser Philosoph bei der ursprünglichen Darstellung, wie sie in der vorliegenden Schrift gegeben wurde, sich nicht völlig beruhigt hatte; und dies hat seinen Grund darin, daß er Bedenken trug, an dem ursprünglichen Gedanken, einen tatsächlichen Gesellschafts- oder Staatsvertrag als Grundlage der empirischen politischen Zustände anzunehmen, festzuhalten. Er konnte sich aber auch nicht entschließen, ihn fallen zu lassen; ein Schwanken ergab sich daraus, ob gesetzt werden dürfe, daß Vernunft wirklich die Menschen geleitet und bewogen habe, den Naturzustand zu verlassen, oder war es nur ein besonderer Affekt, der dies bewirkt hat? Die Psychologie sprach für den Affekt, die Doktrin für die Vernunft. In den »Elements« war das Dilemma noch nicht bewußt. Im Eingangskapitel von »De Cive« liegt der Versuch vor, die gegenseitige Furcht als wirkliches Motiv einzuführen und sodann sie mit der Vernunft zu identifizieren In eingehender Weise haben schon meine »Anmerkungen über die Philosophie des Hobbes« im dritten Artikel (Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie IV, 4) diese Entwicklung des Hobbesschen Denkens dargestellt..

Die Unsicherheit, worin diese Grundlegung verharrte, gelangt auch darin zum Ausdruck, daß immer – in diesen beiden Fassungen und auch in der abschließenden des »Leviathan« – neben dem eigentlichen Staat, dessen Wesen und Recht beschrieben werden soll, ein anderer als wirklich dargestellt wird, der wesentlich auf tatsächlicher Gewalt beruhe, ohne daß aber die Rechte und Pflichten, sei es des Souveräns oder der Untertanen, in diesem Staate von dem anderen verschieden wären.

Zu völliger Klarheit über das Verhältnis dieser beiden Arten zueinander ist der Denker nicht gelangt. Bis zur letzten Fassung der Theorie im »Leviathan« hat er mit dem Problem gerungen. Und zuletzt ist ihm allerdings zum Bewußtsein gekommen, daß die Bestimmung seiner Theorie nur dahin gehen könne, eine Abstraktion, ein Gedankending zu zeichnen, das er dann selber mit einer Utopie in Parallele setzt. Erst im »Leviathan« tritt daher der Begriff seines Staates als eines Kunstwerkes deutlich hervor, und die Lehre wird hier mit den Regeln der Baukunst verglichen, die ihre Gültigkeit behalten, wie oft auch gegen sie gefehlt werden möge. Die Auseinandersetzung mit der aristotelischen Lehre vom »Zoon Politikon« findet sich nur in der mittleren Fassung, »De Cive«; sie fehlt in der ersten und der letzten. In den »Elements« ist das Problem noch nicht lebendig. Im »Leviathan« ist es überwunden.

Die Unklarheit und das Schwanken der Theorie in diesem wichtigen Punkte muß auch in jenem Hauptstück zutage treten, wodurch eben die Theorie tatsächlich epochemachend geworden ist: der neuen Fassung des Vertragsgedankens als der Grundlage des Staates. Es ist auch heute noch nicht denen, die sich mit der Entwicklung der Staatslehre beschäftigen, immer bekannt, daß die Hobbessche Doktrin dadurch umwälzend gewirkt hat, daß sie erstens an die Stelle des zwiefachen Vertrages, von denen sonst der erste die soziale Verbindung, der zweite die Unterwerfung des so verbundenen Volkes unter den Herrscher zum Inhalt hatte – daß sie an deren Stelle den einzigen Vertrag eines jeden Individuums mit allen andern setzt; zweitens, daß es folglich hier kein Vertragsverhältnis zwischen Volk und Herrscher gibt, sondern der Herrscher oder Inhaber der souveränen Gewalt, sei er eine natürliche Person oder eine Versammlung, schlechthin frei ist und daß eben darin das Wesen der Souveränität gesetzt wird. Dieses ist die theoretische Abschaffung des ständischen Staates als eines dualistischen, der als solcher den Zwiespalt in seiner Anlage enthalte, und die begriffliche Setzung der einheitlichen Staatsperson als des modernen und eigentlichen Staates, wie er heute durch die allgemeine Staatslehre erkannt und anerkannt wird. Auch in dieser Hinsicht ist die vorliegende erste Fassung der Lehre noch unvollkommen, wie in folgendem Stücke am deutlichsten hervortritt: sogleich im ersten Kapitel des zweiten Teiles wird die Einführung einer der drei Staatsformen unmittelbar als die Form der Einigung einer Menge in eine politische Körperschaft beschrieben, und im Eingange des zweiten Kapitels heißt es ausdrücklich: die erste von diesen drei Staatsformen in zeitlicher Ordnung ist die Demokratie; und sie muß es notwendigerweise sein, weil eine Aristokratie und eine Monarchie voraussetzen, daß Personen, über die man sich einig geworden ist, ernannt werden, und diese Übereinstimmung muß bei einer großen Menschenmenge bestehen in der Einmütigkeit der Mehrheit – wo aber die Stimmen der Mehrheit die der Minderheit in sich einschließen, da ist tatsächlich eine Demokratie. Die Parallelstellen des » De Cive« sind im sechsten und siebenten Kapitel. Sie sind nicht unwesentlich abgeändert. Das Majoritätsprinzip wird auch hier zugrunde gelegt, und daß nur dadurch das Wollen einer Menge von Menschen möglich sei. Es wird aber noch durch die Sätze begründet: erstens wenn jemand anderer Meinung ist, so werden die übrigen ohne ihn das Gemeinwesen nichtsdestoweniger unter sich konstituieren; zweitens, es folgt daraus, daß das Gemeinwesen gegen den Dissidenten sein ursprüngliches Recht behält, das heißt das Recht des Krieges wie gegen einen Feind. Von den verschiedenen Staatsformen ist hier noch keine Rede. Diesen ist ausschließlich das folgende (siebente) Kapitel gewidmet, und der Lehrsatz, der das entsprechende Kapitel der » Elements« eröffnete, daß die Demokratie die Urform sei, fehlt. Er kehrt allerdings verstohlen und abgeschwächt wieder, wenn es in » De Cive« § 5 dieses Kapitels heißt: »Die zur Errichtung eines Staates zusammengetreten sind, sind beinahe ( paene) eben dadurch, daß sie zusammengetreten sind, eine Demokratie. Denn es versteht sich und folgt daraus, daß sie aus freien Stücken zusammenkamen, dies: sie sind zu demjenigen verpflichtet, was durch die Übereinstimmung der Mehrheit beschlossen wird. Das aber ist, solange als die Versammlung dauert oder auf bestimmte Zeiten und Orte vertagt wird, eine Demokratie. Denn eine Versammlung, deren Wille gleich dem Willen aller Bürger, hat die Souveränität. Der Gedanke der Ursprünglichkeit der demokratischen Staatsform wird dann in beiden Fassungen dadurch festgehalten, daß aus ihr die beiden anderen Staatsformen, die Aristokratie und die Monarchie, ausdrücklich abgeleitet werden. Die Souveränität einer Versammlung von Optimaten sowohl als diejenige eines Fürsten könne nur dadurch entstehen, daß sie von dem vorher schon vorhandenen Souverän, eben dem souveränen Volke, ihnen übertragen wird. Diese Lehre nun ist im » Leviathan« gänzlich über den Haufen geworfen und durch eine andere ersetzt worden.

Hobbes vermeidet es, auf die Wandlungen seiner Theoreme, die niemals in die Augen fallend waren, ausdrücklich hinzuweisen. Sie machen den Eindruck, als ob sie wohl erweitert, ausgebaut, gestützt, aber nicht verändert wären. Und dafür haben sie, wie es scheint, ehe ich die Entwicklungen seines Denkens behandelt habe, gegolten. Der » Leviathan« stellt sich äußerlich als eine neue, wenn auch erheblich vergrößerte, Ausgabe der » Elements of Law« dar. Aber der Inhalt ist auch größer: erst hier tritt der Staat in der ganzen Fülle und Stärke seiner Bedeutung, also des Staats gedankens, hervor, wie schon der Name anzeigt. Insonderheit tritt er – der omnipotente Staat – als unbedingter Gegner jeder von ihm irgendwie unabhängigen Kirche auf. Hobbes richtet seine Schläge mit aller Kraft gegen das Papsttum und die römische Kirche. Er macht aber kein Hehl daraus, daß er auch die bischöfliche Kirche von England meint, die, ebenso wie jene, katholisch sein will und darauf Anspruch macht, daß die Würde ihrer Erzbischöfe und Bischöfe von den Aposteln, also von Jesus Christus selber, sich herleite. »Denn es ist nicht der römische Klerus allein, der behauptet, das Reich Gottes sei von dieser Welt und darum eine Macht in ihm haben will, die von der des bürgerlichen Staates verschieden wäre.« Dieser Satz beschließt den eigentlichen Text des » Leviathan«, dem nur eine Zusammenfassung (» Review and Conclusion«) noch folgt, von der des Hobbes alter Schulkamerad Edward Hyde (später Lord Clarendon, Großvater der Königin Marie und der Königin Anna) gesagt hat, sie enthalte in verdichteter Form das am meisten ansteckende Gift, das durch das Werk hindurchgehe, und er habe diese Übersicht kurz genug gemacht, um hoffen zu können, daß Cromwell selber sie lesen werde.

Als der » Leviathan« erschien, war Cromwell noch nicht »Protektor«; daß er aber schon die Macht in Händen hatte, war dem Scharfblick des Hobbes, obschon er noch im Exil weilte, sicherlich nicht verborgen. Daß er Hoffnungen auf ihn und auf den neu sich gestaltenden Staat setzte, kann für den, der seine Lehren kennt, nicht zweifelhaft sein: Hoffnungen auf ein rationales, durchaus weltliches System der Regierung, insbesondere auf Säkularisierung der Universitäten und des Unterrichtswesens. Denn Hobbes war ein Vorkämpfer der Aufklärung und der Naturwissenschaft. Und er macht kein Hehl daraus, daß es ihm nach seiner Heimkehr in der neuen Republik und unter Cromwells Regiment wohl gefallen hat.

»Wie sollte jemandem, der Königsrechte mit der Feder zu verteidigen unternahm, das verargen, wer selber Königsrechte erstrebte? Jedem stand frei, zu schreiben, was er mochte, wenn er zufrieden war, nach der Weise des Landes zu leben« – so heißt es in den kaustischen Distichen des Autors, in denen er auf sein Leben zurückblickte (sie sind erst nach seinem Tode bekannt geworden und jedenfalls in sehr hohem Alter geschrieben).

Bald nach der Restauration wurde gegen den Philosophen der Vorwurf erhoben – der wenige Jahre früher noch ein großes Lob bedeutet hätte – daß er den » Leviathan« zur Rechtfertigung der Herrschaft Cromwells (» in defence of Oliver's title«) geschrieben habe. Er verteidigte sich dagegen durch eine besondere Schrift »Considerations upon the reputation, loyalty, manners and religion of Thomas Hobbes« in English Works IV, 409-440., insbesondere mit dem Hinweise darauf, daß im Jahre 1650, als das Werk erschien, das Protektorat noch gar nicht bestanden habe, vielmehr habe das Parlament noch die Macht gehabt. Er leugnet aber keineswegs, was auch am Schlusse des Buches selber steht, daß es durch die Unruhen der Zeit veranlaßt war und daß es dazu bestimmt war, seine eigene Unterwerfung und die vieler anderer Personen der königlichen Partei unter die revolutionäre Regierung zu begründen. »Denn es war geschrieben zum Behuf der vielen treuen Diener und Untertanen Seiner Majestät, die auf seiner Seite gekämpft hatten im Kriege oder sonst nach besten Kräften bemüht gewesen waren, Seiner Majestät Recht und Person gegen die Rebellen zu verteidigen: da sie, ohne andere Mittel, sich zu schützen, meistens sogar ohne andere Möglichkeit, ihr Leben zu fristen, gezwungen waren, mit euren Herren [dem Parlament] abzuhandeln und Gehorsam zu versprechen für die Erhaltung ihres Lebens und Vermögens, das ist es, was er [Hobbes redet hier von sich selber in der dritten Person] in seinem Buche behauptet hat: daß es [naturrechtlich] erlaubt war, das zu tun und folglich nicht erlaubt, gegen die Sieger Waffen zu tragen. Sie, die ihr Bestes getan hatten, ihre Pflicht gegen den König zu erfüllen, hatten alles getan, was man von ihnen verlangen konnte und hatten folglich die Freiheit, die Sicherheit ihres Lebens und Lebensunterhaltes zu suchen, wo es ihnen beliebte, ohne daß ihnen Verrat zur Last fiel.« Keineswegs sei aber die Unterwerfung solcher Leute wie sein Ankläger (John Wallis), die des Königs Feinde gewesen seien, dadurch gerechtfertigt.

In diesem Zusammenhange muß wiederum auf jene Eigenheit dieser Staatslehre hingewiesen werden, die ihren wesentlichen Charakter zu verändern scheint. Es wird nämlich in allen drei Fassungen von der Entstehung des Staates durch den Willen sämtlicher Staatsbürger (die den eigentlichen Gegenstand der Lehre bildet) eine andere Entstehung unterschieden, die in den » Elements« gleichsam natürlich heißt, nämlich die Entstehung durch Verträge mit dem Herrscher, anstatt durch Verträge der Bürger miteinander. In den »Elements« (P. II., ch. 3) wird diese natürliche Herrschaft dem institutiven Gemeinwesen als ein politischer Körper durch Erwerb entgegengestellt, der ein patrimoniales Königtum genannt zu werden pflege; dies alsdann in den Rahmen der Theorie hineingeschoben durch die Lehre, daß es vom Naturzustande aus drei verschiedene Titel der Herrschaft gebe, nämlich außer der freiwilligen Unterwerfung das Recht des Siegers und Eroberers, also erzwungene Unterwerfung; endlich aber die Herrschaft von Eltern über ihre Kinder, die ursprünglich der Mutter gehöre, aber nicht aus der Geburt, sondern aus der Erhaltung und Pflege des Kindes folge; durch Unterwerfung der Mutter unter den Vater oder einen andern Mann gehe sie auf diesen über, wenn nicht andere, besondere Abmachungen vorliegen. In je einem besonderen Kapitel werden die Herrschaftsrechte eines Herrn über seine Diener und diejenigen der Eltern oder anderer Personen über Kinder dargestellt. Dem Grundgedanken nach kehrt diese Setzung des anderen Staates, der in der Regel einfach »patrimoniales Königreich« heißt, wieder. In allen drei Fassungen wird aber nachdrücklich betont, daß die Regeln über Pflichten der Untertanen, Befugnisse und Obliegenheiten des Herrschers für beide Gattungen von Staatswesen ganz dieselben seien, so daß sie nur nach ihrem Ursprunge voneinander abweichen. Die Konsequenz des Gedankens wird damit umgangen. Diese liegt darin, daß der politische Zustand vom Naturzustand sich als ein Rechtszustand unterscheiden soll: er ist ein Rechtszustand durch den Gemeinwillen freier und gleicher Menschen; der Inhaber der souveränen Gewalt, sei er eine natürliche oder eine künstliche Person (eine Versammlung), ist es vermöge dieses natürlichen Rechtes, dessen Auslegung und Anwendung damit in seine alleinige Kompetenz übergeht. Er ist durch keinen Vertrag gebunden, sondern höchster Richter über alle Verträge: sähe er eine Instanz über ihm, so hätte diese und nicht er die höchste Gewalt; gäbe es solche nicht, so bliebe das Wesen des Naturzustandes erhalten. In der Tat kann dies andre Gemeinwesen nur als ein Gebilde des Naturzustandes im Sinne der Theorie gedeutet werden. Der Grund, warum Hobbes dies Stück in seine Lehre hineinzwang, lag in der ursprünglichen praktischen Tendenz. Die »Elements« waren zwar ihrer eigentlichen Absicht nach durchaus eine wissenschaftliche Abhandlung, aber sie gewannen durch die Zeitverhältnisse eine Bedeutung als Parteischrift. Er selber berichtet darüber, wie S. 5–6 wiedergegeben, macht also kein Hehl daraus, daß er im Sinne der absolutistischen oder wenigstens der royalistischen Partei wirken wollte; auch bestätigt er dem Earl of Newcastle, seinem Gönner, daß dieser ihn in solchem Interesse zur Abfassung veranlaßt habe.

Wenn ich nicht irre, so ist die Hineinfügung des Begriffes von einem patrimonialen Königtum aus dieser politischen Absicht entsprungen. Sie sollte dem Einwande begegnen, daß der bestehende englische Staat in Wirklichkeit nicht ein solches institutives Gemeinwesen sei, wie die Theorie es darstellt und fordert. Sie sollte der Anwendung jener Lehre von den wesentlichen Merkmalen der Herrschergewalt und von ihrer Unabdingbarkeit die Bahn frei machen.

In »De Cive« fehlt die politische Tendenz. Die Theorie ist hier in ein System der Philosophie hineingefügt. Der Staatsbürger, der seine Freiheit im Staate nicht verliert, sondern sichert, bildet hier den Gegenstand. Die Zutat der Hereinziehung des empirischen Staates, die jedenfalls nicht auf die eine Form des »Patrimonial Kingdom« hätte beschränkt bleiben dürfen, ist hier durchaus störend; daß sie gleichwohl wieder erscheint, rührt nur daher, daß »De Cive« eine, wenn auch stark überarbeitete, lateinische Übersetzung von »Elements« P. I., ch. 14 bis zu Ende ist.

Nun aber der » Leviathan«! War er schon äußerlich ein gewaltiges Werk, wie es scheint mit Leidenschaft, und in einem großen Zuge abgefaßt, so bedeutete er auch seinem Gehalte nach einen großen Wurf, ein Wagnis. Er wollte einem aus Trümmern neu entstehenden Staat die Wege weisen, ihn gründen helfen und seiner Anerkennung durch jene die Wege bahnen, die den alten Staat verteidigt hatten, und unterlegen waren. Er bezeichnet im Schlußabsatz, wo er sich rühmt, geschrieben zu haben ohne Parteilichkeit, ohne die Anwendung ins Auge zu fassen, als seine einzige Absicht, den Menschen die wechselseitige Beziehung zwischen Schutz und Gehorsam zum Bewußtsein zu bringen: durch die Beschaffenheit der menschlichen Natur und durch die göttlichen Gesetze, natürliche und positive, werde eine unverletzliche Beobachtung dieser Wechselbeziehung erfordert. »Und obschon in der Umwälzung des Staates Wahrheiten von dieser Art kein sehr gutes Horoskop gestellt werden kann (da sie einen zornigen Aspekt von seiten der Zerstörer einer alten Regierung haben und nur die Rückseiten derer sehen, die eine neue aufrichten), so kann ich doch nicht glauben, daß mein Werk verurteilt werden wird, sei es durch den öffentlichen Zensor [ judge of doctrine] oder durch irgend jemand, der die Fortdauer des öffentlichen Friedens wünscht.«

Wie war denn diese neue Regierung entstanden? Ohne Zweifel durch Gewalt, durch den Sieg im Bürgerkriege, nicht anders, als wenn ein Eroberer das Land zum Gehorsam gezwungen hätte. Und nun galt es wieder, wenn auch in ganz anderem Sinne, mit der Lehre Ernst zu machen, daß die Regeln für die Ordnung dieser anderen Art von Gemeinwesen ganz dieselben seien wie für das ganz und gar aus dem freien Willen der sich verbindenden Menschen entspringende. Und doch widerstrebte es dem Freidenker, der Hobbes war, den neuen Staat, in den er eintreten wollte, als ein bloßes Zwangsgebilde zu denken; er wollte ihn doch als Bürger bejahen und anderen raten, das gleiche zu tun. Dabei warnte er nachdrücklich die Machthaber, also jedenfalls auch Cromwell, sie sollten nicht glauben, daß dies auch die Billigung ihrer Handlungen bedeute, und sollten sich hüten, diese zu verlangen. Es sei – heißt es in der » Review and Conclusion« – das freilich die Regel, daß Souveräne ein solches Verlangen stellen, und eben dies mache sie unsicher in Handhabung des Schwertes der Gerechtigkeit, das sozusagen zu heiß für ihre Hände werde. »Darum setze ich als eine der wirksamsten Ursachen des Todes in jedem Staate, daß die Eroberer nicht nur eine Unterwerfung der Handlungen unter sie für die Zukunft, sondern auch eine Billigung aller ihrer früheren Taten fordern; da es doch kaum ein Gemeinwesen in der Welt gibt, dessen Anfänge im Gewissen gerechtfertigt werden können.« – Ich habe auf andere Zeichen aufmerksam gemacht, die verraten, daß unserm Denker der ideelle Charakter seines theoretischen Gemeinwesens klarer geworden war Vgl. die 2. Auflage meiner Monographie s. t. »Th. H., der Mann und der Denker« S. 192 und die jüngst (November 1925) erschienene 3. Auflage – wieder u. d. T. »Hobbes' Leben und Lehre« – S. 250 ff.; dazu gehört auch, daß die Hinweisungen darauf, in jedem empirischen Staate finde sich eine einzelne Person – ein einzelner Mensch oder eine Versammlung –, der die absolute Souveränität tatsächlich zu eigen sei, daß diese Hinweisungen im »Leviathan« fehlen. Und wie er zu dem Urteil kam, daß alle empirischen Staaten unvollkommen seien, so auch zu dem, daß ihrer aller Ursprung »natürlich«, das heißt tatsächlich Gewalt sei. Durch den freien Willen und die Einsicht der Bürger aber – so geht der Gedanke gleichsam heimlich weiter – könne jeder, also auch der neue Staat in England, einem ideellen Staate angeähnlicht werden. Darum auch eine Anähnlichung in der Theorie. Die Regeln sollen im empirischen Staat gelten. Er selber kann auch gedacht werden, als ob bei ihm etwas Ähnliches vorliege wie beim ideellen: ein gemeinsamer Entschluß, sich einem einzigen Menschen oder einer Versammlung zu unterwerfen. Die allgemeine Formel war auch in den »Elements« ausgesprochen: die Menschen unterwerfen sich entweder aus Furcht voreinander einer von ihnen gemeinsam bestimmten Person oder aus Furcht vor einem Machthaber eben diesem. Es hatte dort den Sinn, daß auch der theoretische Staat – ein institutives Gemeinwesen – noch als empirischer gedacht war. Nunmehr gewinnt es den anderen Sinn, daß eine Linie aufgezeigt wird, in der sich ein wirklicher Staat, wie gewaltsamen Ursprungs auch immer, der Idee des echten Staates – so darf der Gedanke sich ausdrücken – angenähert werden könne. – Schon eine terminologische Äußerlichkeit deutet dahin. In »Elements« (P. I., ch. XIX, 11), wo zuerst die Unterscheidung des natürlichen und künstlichen Ursprunges eingeführt wird, heißt es: aus jenem gehe die väterliche und despotische Herrschaft hervor. »Und wenn sie sich auf die andere Weise unterwerfen, durch gegenseitige Übereinkunft unter vielen, so wird der politische Körper, den sie machen, meistens ein Gemeinwesen [ a commonwealth, welches auch der englische Name der Republik ist] genannt, im Unterschiede von der früheren Art, obgleich der Name der allgemeine Name für beide ist.« Diese Ausdrucksweise will er ausdrücklich beibehalten. In »De Cive« werden zwar beide Arten civitas genannt; aber der englische Übersetzer (es ist überliefert, daß der Verfasser selbst es gewesen sei, sicher ist, daß er seine Hand darin hatte) setzt an der einen Stelle ( Ch. V, 12) dafür »city«, an der anderen ( Ch. VIII, 1) »government«. Er scheut sich also, den Namen commonwealth auf beide Arten anzuwenden. Im »Leviathan« geschieht dies nicht nur ausdrücklich – es wird auch eine allgemeine Formel der Unterscheidung vorangestellt, die auf beide Arten von Staat angewandt werden soll. So nämlich ist es zu verstehen, wenn im Anschluß an die Darstellung der naturrechtlichen Gesetze ein wichtiges Kapitel (XVI) eingeschaltet wird, das von »Personen, Autoren und vertretenen Gegenständen handelt«. Es wird eröffnet durch den Satz: »Eine Person ist der, dessen Worte oder Handlungen entweder als seine eigenen betrachtet werden oder als Vertretung der Worte oder Handlungen eines anderen Menschen oder irgendwelches anderen Gegenstandes, dem sie beigelegt (zugeordnet) werden, sei es in Wahrheit oder kraft einer Fiktion.« So wird von der natürlichen die fingierte oder künstliche Person unterschieden. Diese handelt immer für einen oder mehrere andere, unter Umständen im Auftrage und im Namen dieser; ihr Recht heißt dann »Autorität«. Sie hat Vollmacht, ihr Mandant ist (oder Mandanten sind) für sie verantwortlich. Ähnlich ist es mit dem Handeln im Namen von Sachen, das aber erst im status civilis möglich ist, mit Vormundschaften, Vertretung von Göttern und dergleichen. Daran schließt sich eine allgemeine Theorie von der Einigung, wodurch eine Menge von Menschen eine Person werde: sie werde es nämlich, wenn ein Mensch oder sonst eine (künstliche) Person sie vertrete; es sei die Einheit des Vertreters, nicht die der Vertretenen, wodurch die Person eine werde. Die Vertretenen sind die Mandanten, nicht als Einheit, als Gesamtheit, sondern als die vielen Einzelnen, von denen jeder sich verantwortlich macht und sich bekennt zu dem, was der Vertreter tut in ihrer aller Namen – zu allem, was er tut, wenn sie ihn ohne Einschränkung bevollmächtigt haben, sonst nur zu dem, was im Rahmen seines Auftrages liegt, sich bekennt. Wenn der Vertreter aus mehreren Menschen besteht – also eine künstliche Person ist –, so ist er nur handlungsfähig durch das Majoritätsprinzip. Darum ist es zweckmäßig, daß die Zahl uneben sei, wenn auch unter Umständen (zum Beispiel in einem Gerichtshof) die Stimmengleichheit einen bestimmten positiven oder negativen Sinn hat. Die Einheiten in einer künstlichen Person können selber künstliche Personen – Versammlungen – sein. Wenn aber jede ein Veto hat, so ergibt sich keine handlungsfähige Vertretung – vielmehr wird er oft, und in Sachen von größter Bedeutung, eine stumme Person, »ungeschickt, wie für viele andere Dinge, so für die Regierung einer großen Menge, zumal in Kriegszeiten«. – Man kann unbedingt oder bedingt die Handlungen eines anderen autorisieren: bedingt geschieht es, wenn man Bürge wird. – Dies ganze Theorem stellt hier eine ganz wesentliche Ergänzung der naturrechtlich soziologischen Einleitung dar und bildet den Abschluß des Ersten Buchs des »Leviathan«. Dann erst folgt als erstes Kapitel im Zweiten Buch »Über die Ursachen, die Erzeugung und den Begriff eines Gemeinwesens«. Und hier wird nun wieder ein allgemeiner Begriff gebildet, der jene beiden Arten umfassen soll, die man – streng im Sinn des Autors – als Gewaltstaat und als Rechtsstaat bezeichnen darf. In jedem Falle ist Sicherheit nach innen und nach außen der Zweck. Sicherheit kann nicht auf dem natürlichen Recht allein beruhen; auch genügt nicht der Zusammenschluß weniger Menschen oder Familien dazu, und auch eine große Menge tritt nicht zusammen, wenn sie nicht durch ein gemeinsames Urteil geleitet wird, und zwar beständig geleitet wird. Die sozialen Tiere beweisen dafür nichts, wofür sechs Gründe angeführt werden. Es gibt nur einen Weg: die Errichtung des Gemeinwesens. »Ein Gemeinwesen ist eine Person, deren Akte eine große Menge, und zwar jeder einzelne, durch wechselseitige Verträge untereinander, autorisiert hat: zu dem Zwecke, daß sie die Kraft und die Mittel aller, wie sie es für ersprießlich hält, gebrauchen soll für ihren Frieden und ihre gemeinsame Verteidigung.« – Wir müssen uns erinnern, daß auch früher gelehrt war, alle Regeln für die Souveränität als unbedingtes, unbegrenztes Recht, seien ebenso gültig für den nachher behandelten Gewaltstaat wie für den zugrunde gelegten Rechtsstaat! So ist es nur eine Umordnung, aber eine solche von höchster Bedeutung, daß nun der umfassende Begriff vorangestellt wird. Denn um so schärfer hebt sich innerhalb seiner der Begriff des Rechtsstaates hervor, den nunmehr das folgende Kapitel entwickelt, nachdem die Unterscheidung der beiden Arten den allgemeinen abgeschlossen hat. Hier tritt nun der gewichtige neue Absatz auf:

»Ein Gemeinwesen heißt rechtmäßig eingerichtet (so übersetze ich instituted), wenn eine Menge von Menschen übereinkommt und Verträge schließt, jeder einzelne mit jedem einzelnen, daß: welchem Menschen oder welcher Versammlung von Menschen die Mehrheit das Recht verleihen wird, ihr Vertreter zu sein, dieses Menschen oder dieser Versammlung sämtliche Handlungen und Urteile wolle ein jeder, sowohl der dafür stimmte als der dagegen stimmte, autorisieren, in derselben Weise, als ob sie seine eigenen wären – zu dem Zwecke, friedlich miteinander zu leben und gegen andere Menschen geschützt zu werden.«

Dies will nun sagen: der jeden Staat begründende Vertrag oder vielmehr die Verträge aller mit allen sind nicht mehr die differentia specifica des Rechtsstaates, der doch der eigentliche Gegenstand der strengen Theorie ist. Sondern dieser wird hier zu einem besonderen, wenn auch theoretisch überragenden, Falle durch ein zweites Moment: die ihn durch einen Beschluß begründende Versammlung, die eben als solche zugleich über die Verfassung beschließt, so daß von einer Ursprünglichkeit oder Beinahe-Ursprünglichkeit der Demokratie keine Rede mehr sein kann. Darum nenne ich diese Versammlung eine konstituierende oder verfassunggebende, und wenn an die Stelle der Menge von Menschen eine Nation gesetzt wird (für die Abstraktheit der Doktrin bleibt freilich die indifferente Menge charakteristisch), so nenne ich sie eine konstituierende Nationalversammlung. Und in dieser Form hat das Theorem durch Vermittlung Rousseaus auf die Anfänge der großen Revolution in Frankreich gewirkt. Rousseau ändert es nur dahin ab, daß keine Verfassung, also keine Staatsform für ihn definitiv war, daß sich ihm also das periodische Wiederaufleben der Nationalversammlung als dauerndes Naturrecht von selbst verstand, mit anderen Worten, daß er die Revolution gleichsam selber zur Staatseinrichtung macht, als aus dem unterhalb des politischen immer beharrenden Naturzustande hervorgehend und durch das in diesem geltende Naturrecht legalisiert, während Hobbes dessen dauernde Verneinung und Aufhebung im wirklichen und vollkommenen Status civilis will, das Fortbestehen der Volkssouveränität als demokratische Staatsform also nur dann anerkennt, wenn diese ausdrücklich gewählt und festgelegt – also etwa in einer geschriebenen Urkunde dargestellt – wurde, wodurch also eine von der konstituierenden Versammlung verschiedene souveräne Körperschaft eingerichtet wurde: ein Reichstag nach der Nationalversammlung.

Der Gedanke schreitet nun in den früher gezogenen Spuren fort. Das neunzehnte Kapitel behandelt die verschiedenen Arten des Rechtsstaates ( of commonwealth by institution) und der Nachfolge in die souveräne Gewalt. Dann folgt als eine Ergänzung und Einschaltung mit dem zwanzigsten Kapitel die Lehre vom Gewaltstaat, und zwar unter der alten Überschrift »Über väterliche und despotische Herrschaft«. Der Begriff ist aber nicht mehr der des Patrimonial kingdom, sondern das Kapitel wird durch den Absatz eingeleitet: »Ein Gemeinwesen durch Erwerb ist dasjenige, wo die souveräne Macht erworben wird durch Gewalt; und es wird erworben durch Gewalt, wenn Menschen einzeln oder viele gemeinsam durch Stimmenmehrheit, aus Furcht vor Tod oder Fesseln, sämtliche Handlungen des Menschen oder der Versammlung autorisieren, der oder die ihr Leben und ihre Freiheit in seiner Macht hat.«

Dies ist das Programm, das Hobbes für sich und seine Parteigenossen, die ehemaligen Stuart-Anhänger, verfaßt hat. Er will damit sagen: es ist zwar kein im Wege des Rechtes entstandener Staat, keine im echten Sinne legale Regierung, der wir uns unterwerfen wollen – aber es macht praktisch keinen wesentlichen Unterschied: es ist ein Staat, es ist eine Regierung, und das ist die Hauptsache. In den » Elements« (Part II., ch. V, 9) wird als unterscheidendes Merkmal der freiwilligen Unterwerfung »derer, die ein Gemeinwesen unter sich einrichten, die größere Hoffnung im Vergleiche mit der Unterwerfung von Dienern hervorgehoben: denn wer sich, ohne genötigt zu sein, unterwirft, meint, es sei Grund vorhanden, daß er besser behandelt werde als der, der es gezwungen tut; und da er in freier Weise eintritt, so nennt er sich, obgleich in Unterwerfung, einen freien Menschen« – es gehe daraus hervor, daß Freiheit (staatsbürgerliche Freiheit) nur ein Stand besserer Hoffnung sei als derer, die durch Gewalt und Eroberung unterworfen worden sind.

Dieser ganze Passus fehlt im »Leviathan«. Er mußte fehlen. Denn der Verfasser wollte nicht auf sich und auf die tausend Edelleute, die, wie er später einmal schrieb Und zwar in der Blütezeit der Herrschaft Cromwells (1656): er glaube, daß er die Gemüter von tausend gentlemen zu einem gewissenssicheren Gehorsam gegenüber der »jetzigen« Regierung bestimmt habe, die sonst in diesem Punkte geschwankt hätten. ( Six lessons to the professors of Mathematics. Engl. Works VII, p. 336.), durch ihn, das heißt eben durch dieses sein Werk überredet wurden, ihre Gewissensbedenken gegen die Unterwerfung unter das Lange Parlament fallen zu lassen, den Begriff von Dienern anwenden. Sie waren freie Männer und wollten es sein und bleiben. Und wenigstens er, der Denker, kehrte keineswegs ohne Hoffnung in sein Vaterland zurück. Die Hoffnung, die ihn beseelte war nicht nur die Hoffnung auf eine gute, Behandlung, welche nach seinem eigenen Zeugnis sich erfüllte, sondern eine viel weitergehende Hoffnung: die Hoffnung auf eine große Reform im geistlichen und Unterrichtswesen; eine Hoffnung, die sich vielleicht in einigem Maße erfüllt hätte, wenn Oliver Cromwell einen ebenbürtigen Nachfolger gehabt hätte.

 

Die hier vorgelegte Übersetzung ist wie gesagt die erste Ausgabe eines Werkes, von dem auch der originale Text zuerst im Jahre 1889 unter dem Titel » The Elements of Law natural and politic« herausgegeben worden ist. Unbekannt war aber dieser Text, mit Ausnahme von einigen Sätzen, die hinzugefügt, und von einer erheblichen Anzahl wesentlicher Verbesserungen, nicht. Er war, in Widerspruch zu seiner wirklichen Gliederung, auseinandergerissen in zwei Stücke, von denen das erste die ersten dreizehn Kapitel des ersten Buches, das andere den ganzen Rest enthält. Beide waren im Jahre 1650, kurz vor der Rückkehr des Hobbes, in London gedruckt worden. Der erste unter dem Titel »Human Nature or the fundamental elements of policy being a discovery of the faculties, acts and passions of the soul of man from their original causes; according to such philosophical principles, as are not commonly known or asserted. By Thomas Hobbes of Malmesbury.« An der Spitze stand eine Vorrede an den Leser, gezeichnet F. B., welche Initialen den Namen des Verlegers Francis Bowman bedeuten. Darin wird berichtet, Hobbes habe ein System ( a body) der Philosophie verfaßt und in 3 Stücke geteilt: De Corpore, De Homine, De Cive, von denen jedes folgende da anknüpfe, wo das vorhergehende aufhöre. Das letzte davon sei schon »jenseit des Meeres« (in Holland) veröffentlicht worden; »das zweite ist das, was hier vorgelegt wird«, »und wenn diese zwei Gerechtigkeit empfangen in der Welt, so ist Hoffnung, daß wir auch das erste erhalten« ... »Das frühere Werk wurde vom Verfasser selber herausgegeben und ist so außer Gefahr; dieses von einem Freunde, mit Erlaubnis von ihm; und um dies zu sichern, ist man gebeten, die Beziehungen zu erwägen, worin es steht, insonders zu dem Buche De Cive.« Hinzugefügt wird auch, es sei für unbedingte Pflicht gehalten worden, keine Veränderung zu machen ohne des Verfassers Rat, der nicht so rasch erlangt werden konnte; und so komme es heraus »harmlos«, als ob nichts geschehen wäre seit der Widmung. Dies möge einigen als ein Solözismus erscheinen, anderen aber eine Genugtuung gewähren, indem es jene Zeiten und Gelegenheiten wieder ins Gedächtnis rufe, »denen wir diese bewunderungswürdigen Leistungen verdanken«. – Die Angaben dieses Vorworts sind durchweg unrichtig. Hobbes hatte den Plan gefaßt, die drei Werke zu verfassen. Seine Freunde drängten ihn unablässig, aber vergebens, das erste Stück abzuschließen: sie waren nicht fertig außer dem letzten, das seiner Anlage nach einem anderen Zusammenhang entstammte, nämlich dem der »Elements of Law«. Er hatte vermutlich die Absicht, auch die dreizehn Kapitel zu verwerten für De Homine; aber dieser Abschnitt sollte jedenfalls vieles außerdem enthalten, namentlich die ausgeführte Lehre vom menschlichen Sehen (Optik). Die Aussage, dies Stück sei De Homine, ging nicht auf den Verfasser zurück. Auch daß ein Freund mit seiner Erlaubnis die Ausgabe gemacht hat, ist sehr unwahrscheinlich Hobbes bezieht sich an derselben Stelle, die in der Anm. S. 13 erwähnt wurde, auf die Ausgabe des Restes der »Elements«, der, wie er vernommen habe – es sei ihm als gewiß gesagt worden – der Astronom Seth Ward (nunmehr einer seiner Hauptgegner, gegen den und Wallis die »Six lessons« gerichtet waren) eine Lobrede habe vordrucken lassen; wenn dem so ist, so wird dadurch die Wahrscheinlichkeit erhöht, daß der Verfasser weder mit der Veröffentlichung von »Human Nature«, noch von »De corpore politico« zu tun gehabt hat, wenn er sie auch nachher genehmigt haben mag, und in seiner greisenhaften versifizierten Vita, als ob er selber sie herausgegeben hätte, erwähnt. Beide Büchlein trugen die Jahreszahl 1650, von dem ersten erschien eine zweite Auflage im folgenden Jahre. Aber die Exemplare (wenn ich nicht irre, sind es zwei), die von diesen bibliographischen Merkwürdigkeiten in der berühmten Sammlung des Britischen Museums » The King's pamphlets" sich befinden, deuten durch eine offenbar zeitgenössische Tintenkorrektur an, daß das richtige Datum des Erscheinens von H. N. schon 2. Februar 1649 und der zweiten Auflage 30. Dezember 1650 sei. Auch findet sich zu D. C. P. das Datum 4. Mai zur Jahreszahl 1650 hinzugefügt..

Nicht lange nachher, also noch mitten in den Erregungen, die dem Prozeß des Königs und seiner Enthauptung folgten, erschien auch der Rest des Buches unter dem Titel:

» De corpore politico: or the Elements of Law moral and politic with discourses upon several heads; as of the Law of Nature; of oaths and covenants; of several kinds of government; with the changes and revolutions of themIm Jahre 1684, etwa 5 Jahre nach des Autors Tode, wurden die beiden auseinandergerissenen Stücke, zusammen mit der Abhandlung » Of liberty and necessity" unter dem völlig willkürlichen und unechten Titel » Hobbes' Tripos" von neuem herausgegeben. (»Der mathematische Tripos« ist ein Ausdruck, der schon damals in der Universität Cambridge üblich geworden war für ein Examen.) Ohne diese gemeinsame Bezeichnung wurden die drei Stücke von neuem gedruckt in dem schönen Foliobande – der sich zuweilen auch in unseren deutschen Bibliotheken findet – » The moral and political works of Thomas Hobbes of Malmesbury«. Der Sekretär des Sir William Molesworth hat offenbar geglaubt, als Editor etwas zu leisten, indem er jenen Titel wiederherstellte, während er nicht einmal den Text der » Elements« von einigen groben Fehlern reinigte, die er nach dem Original der ersten Ausgabe der sogenannten » Human Nature« hätte berichtigen können. Die Verdienste der Ausgabe sollen übrigens nicht bestritten werden. – Eine französische Übersetzung der beiden Stücke, aber sonderbarerweise in verkehrter Reihenfolge, kam 1787 heraus als zweiter Band von »( œuvres philosophiques et politiques de Th. H.«, während den ersten Band das schon von Sorbière übersetzte Büchlein » De Cive« bildet. – Eine dänische Übersetzung jener ersten dreizehn Kapitel hat – schon auf Grund meiner Ausgabe – Anton Thomsen, der erste Nachfolger Harald Höffdings, verfaßt und im Jahre 1912 herausgegeben (» Thomas Hobbes Grundlove første Del (fremstilling af psykologien) ved Anton Thomsen«, Kjøbenhavn, Tillges Boghandel) mit einer Einleitung von acht Seiten. Thomsen, selber ein hervorragend begabter Mann, war ein guter Kenner und glühender Bewunderer des Hobbes. Er ist leider schon 1915 gestorben. Sein Andenken bleibt mir teuer.

Zuerst hat Professor George Croom Robertson († 1892) bemerkt, daß das ursprüngliche Werk » The Elements« handschriftlich vorhanden ist; er hatte das Exemplar gesehen, das auf dem Jagdschlosse Hardwick des Herzogs von Devonshire unter den Hobbes papers aufbewahrt wird und in dem Artikel Hobbes der neunten Auflage der Encyclopædia Britannica darauf hingewiesen, daß das Werk identisch ist mit dem später von Hobbes selber so genannten »Little Treatise in English« von 1640. Den Text verglichen hatte er nicht. Auch kannte er die Exemplare nicht, die in der British Museum Library vorhanden sind und im Jahre 1878 von mir benutzt und verglichen worden sind. Es sind ( A) Harl. 4235, ( B) Harl. 4236, ( C) Egert. 2005, ( D) Harl. 6858, ( E) Harl. 1325. Von diesem enthält ( D) nur die ersten dreizehn Kapitel, diejenigen also, die unter dem unechten Titel »Human Nature« herausgegeben wurden, und haben eben dieser Ausgabe vielleicht zur Grundlage gedient. Von den übrigen ist ( A) die offenbar älteste und richtigste Handschrift, während ( H), das Hardwick-Exemplar, vermutlich das Handexemplar des Verfassers ist, wie es denn Spuren seiner Arbeit und Verbesserung trägt. In den Noten zum Originaltexte habe ich auf Abweichungen zwischen diesen Handschriften aufmerksam gemacht, aber vielleicht hatte ich nicht hinlänglich von der Gelegenheit, das Handexemplar zu benutzen, Gebrauch gemacht Ich verweilte nur einen Tag in Hardwick und hatte genug zu schaffen, mit der Gesamtheit der Papiere mich einigermaßen bekannt zu machen.. Es ergab sich, daß jene dreizehn Kapitel einen stark verderbten Text enthielten, während der Rest geringere Fehler aufwies, aber durch die unechten Hinweisungen auf »eine frühere Abhandlung Human Nature« entstellt wird.

Unbedingt darf ich darauf Anspruch machen, dies kleine Werk des berühmten Verfassers für die Literatur erst hergestellt zu haben.

Und es ist ein Werk von klassischem Werte. Es ist die erste Darstellung des abstrakten rationalen Naturrechts und der epochemachenden naturrechtlichen Staatslehre; ausgezeichnet durch Knappheit, Bündigkeit und Klarheit, ungeachtet seiner antirevolutionären und dadurch auch für die politische Geschichte merkwürdigen Absicht und Bestimmung ein ebenso revolutionäres Werk wie sein Gegenstand, der moderne Staat, als die revolutionäre Gewalt im Bunde mit dem modernen Kapitalismus sich erhoben und durchgesetzt hat: der rationale Kollektivwille zum Schutze und zur Bändigung der vielen einander widerstreitenden rationalen, d. h. mit allen gesetzlich möglichen Mitteln auf ihren Vorteil und ihren Gewinn abzielenden Einzelwillen, der »Gesellschaft«. –

Hobbes läßt erkennen, daß er mit der naturrechtlichen Literatur seiner Zeit bekannt war. Er unterscheidet sich von ihr durch die streng säkulare und individualistische Begründung. Naturrecht ist die allgemein-menschliche Vernunft. Diese lehrt das wohlverstandene Interesse, zeigt den Weg zur Selbsterhaltung.

Für den Souveränitätsbegriff hat Hobbes selber gerade in dieser ersten Darstellung Bodinus als seinen Vorgänger genannt Er zitiert (Buch II Kap. 8, 1) ausdrücklich das erste Kapitel des zweiten Buches De Republica., aber ihn reiner und abstrakter entwickelt zu haben, bleibt sein Verdienst. Seine eigentliche Leistung aber ist die Darstellung der Staatspersönlichkeit und des Staates als Rechtssubjekt. Dies wird von den berufensten neueren Theoretikern anerkannt Es genügt, auf Jellinek, Allgemeine Staatslehre 3, S. 169 f., und auf Gierkes Althusius, besonders die Zusätze zur dritten Auflage, hinzuweisen..

Freilich ist, wie ich nachgewiesen habe, die Grundlegung der Theorie in dieser ersten Fassung noch nicht zu ihrer vollendeten Gestalt entwickelt worden. Daß sie verbessert werden mußte und konnte, hat der Verfasser erkannt, und er hat sie verbessert. In ihrer letzten Form ist sie allen bloßen Vertragstheorien weit überlegen. Aber diese erste hat den Vorzug der Frische und Unmittelbarkeit, wie keine der späteren, und den besonderen Reiz einer gewissen Naivität. Sie ist sich ihrer historischen Bedeutung nicht bewußt geworden, wie sie ja nicht einmal für die Öffentlichkeit, sondern nur für einen ganz kleinen Kreis von Liebhabern bestimmt war.

Die historische Bedeutung der Theorie ist dadurch gegeben, daß sie über den Rang der zeitgenössischen Parteikämpfe zwischen Monarchomachen und Machiavellisten hinausragt. Diese haben nur noch historisches Interesse; die historische Bedeutung einer Lehre ist ihr klassischer Wert, der sie auch heute nicht nur zu einem Gegenstande literarischen Genusses macht.

Da die gegenwärtige Schrift mehr als zwei Jahrhunderte lang nur in ihren Fetzen bekannt gewesen ist, so konnte es geschehen, daß die ersten dreizehn Kapitel, indem sie als ein besonderes Werk galten, eine besondere hohe Würdigung erfahren haben. Einige Ausdrücke mit denen Diderot diese vermeintliche Sonderschrift gepriesen hat, wurden am Schlusse meines Vorworts angeführt. In seinem Plan einer Universität für die russische Regierung, den er für seine Gönnerin Katharina entwarf, nannte er unter den klassischen Büchern für die 6. Klasse der Faculté des Arts vor allen anderen diese »kleine Schrift«: »ein Werk kurz und tief« ( Diderot, Œuvres, Paris 1875, III, p. 429 ff.).

In der englischen Literatur ist Thomas Hobbes selten zu der ihm gebührenden Geltung gelangt. Die kirchliche Denkungsart konnte ihrem bedeutendsten Gegner nicht gerecht werden. Aber die Vorzüge des Schriftstellers sind niemals verkannt worden. Das entschiedene Lob, das ihm in dieser Hinsicht zuteil wurde, hat freilich nicht bewirkt, daß er viel gelesen wurde. Man liest über ihn in den Literaturgeschichten und, wenn es hoch kommt, in der Geschichte der Philosophie. Unter jenen ragt noch immer die große »Introduction« Henry Hallams hervor. Hallam sagt von ihm Introduction to the Literature of Europe in the 15., 16. and 17. centuries, Vol. IV, p. 304.: »Hobbes ist klar, präzis, geistreich und vor allem im ganzen frei von den Fehlern seiner Vorgänger; seine Sprache ist merklich weniger veraltet; er ist nie vulgär, selten, wenn je, geziert oder pedantisch.« Und G. Croom Robertson, am Schlusse seiner kleinen Monographie Hobbes (Philosoph. Classics for English Readers), Edinburgh and London 1886, p. 235, rühmt den Reiz einer Diktion, die so unmittelbar und lebhaft sei, wie je ein Schriftsteller sie zu seiner Verfügung gehabt habe.

Daß in der gegenwärtigen Übersetzung recht viel von diesem Reize geblieben sei, ist der Wunsch, mit dem der Herausgeber sie dem deutschen Leser übergibt.

Ferdinand Tönnies.


 


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