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An Seine Exzellenz
Wilhelm Grafen von Newcastle,

Gouverneur Sr. Hoheit des Prinzen,
Mitglied des Geheimen Rates Seiner Majestät.

Mein hochverehrter Lord,

Von den beiden Gattungen der Wissenschaft, deren jede in einem Grundzuge unseres Wesens ihre Wurzel hat, nämlich die mathematische in Vernunft, die dogmatische in Leidenschaft, ist die eine von Zank und Zwiespalt frei, denn sie besteht nur in Vergleichung von Figuren und Bewegungen, und in diesen Dingen gibt es keinen Gegensatz zwischen Wahrheit auf der einen Seite und dem Interesse der Menschen auf der andern; hingegen ist in der dogmatischen Wissenschaft nichts vorhanden, was unbestritten wäre, und dies hat darin seinen Grund, daß sie darauf ausgeht, Menschen zu vergleichen und sich so in ihr Recht und ihren Vorteil hineinmengt. Denn in bezug darauf kann man sagen: sooft als Vernunft wider den Menschen ist, sooft wird der Mensch wider die Vernunft sein. Daher kommt es dann, daß unter denjenigen, welche über Gerechtigkeit und im allgemeinen über das Staatswesen geschrieben haben, jeder sich selber und einer dem anderen widerspricht. Um nun diese Doktrin auf unfehlbare Vernunftregeln zurückzuführen, gibt es keinen andern Weg als diesen: erstens muß man Prinzipien zu Fundamenten nehmen, die der Egoismus sich arglos gefallen läßt und nicht von vornherein zu zerstören trachtet; ferner gilt es dann, auf diesem Fundament Sätze in betreff der Einzelfälle – welche bislang in die Luft sind gebaut worden – nunmehr in das Gesetz der Natur hineinzubauen, bis das Ganze als eine uneinnehmbare Festung sich darstellt. Nun, Mylord, die Prinzipien, welche zu solch einer Grundlage sich eignen, sind diejenigen, womit ich schon früher in privaten Unterredungen Eure Exzellenz bekannt gemacht habe; und dieselben habe ich nun hier auf Ihr Geheiß methodisch geordnet. Fälle zwischen Souverän und Souverän oder zwischen Souverän und Untertan danach zu prüfen, überlasse ich denen, die Muße und Anregung dazu finden mögen. Ich für mein Teil überreiche Ew. Exzellenz dieses als die wahre und einzige Grundlage solcher Wissenschaft. Was den Stil anbelangt, so ist er darum nicht viel wert, weil ich über dem Schreiben mehr auf Logik als auf Rhetorik bedacht gewesen bin. Um die Theorie aber und ihre Beweise ist es nicht schwach bestellt, und die Schlüsse daraus sind von solcher Beschaffenheit, daß wegen Mangels daran Regierung und Friede bis auf den heutigen Tag nichts anderes gewesen sind als gegenseitige Furcht; und es würde eine unvergleichliche Wohltat für das Gemeinwesen sein, wenn jedermann an die hier dargelegten Ansichten über Gesetz und Politik sich halten wollte. Und aus diesem Grunde ist wohl die Dreistigkeit des Buches zu entschuldigen, mit der es durch das Ansehen Ew. Exzellenz sich bei denjenigen zu empfehlen sucht, welche der darin behandelte Gegenstand am nächsten angeht. Für mich selber begehre ich keine größere Ehre, als ich bereits in Ihrem erprobten Wohlwollen genieße; es sei denn, daß es Ihnen gefallen möge, unter Bewahrung dieses Wohlwollens, mich noch öfter mit Ihren Befehlen zu ehren, welchen ich, verpflichtet durch Ihre vielen und großen Gunstbezeugungen mich gehorsam erweisen werde, als

Ew. Exzellenz sehr ergebener und dankbarer Diener

Thomas Hobbes.

den 9. Mai 1640.

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Erster Teil:
Betrifft Menschen als natürliche Personen.


Über die Fähigkeiten des Erkennens.

Kapitel I.
Einleitung.

1.–3. Vorwort. 4. Des Menschen Natur. 5. Einteilung seiner Fähigkeiten. 6. Fähigkeiten des Körpers. 7. Fähigkeiten des Geistes. 8. Erkenntniskraft, Vorstellungen und Einbildungskraft des Geistes.

 

1. Die wahre und deutliche Erklärung der Elemente des natürlichen und politischen Rechtes (welche ich hier im Auge habe) ist von der Erkenntnis 1. des Wesens der menschlichen Natur, 2. des Wesens eines staatlichen Körpers, 3. dessen, was man Gesetz nennt, abhängig; in betreff dieser Punkte nun sind, wie die Schriften der Menschen von der Zeit des Altertums her, so auch die Zweifel und Streitigkeiten mehr und mehr angewachsen; da nun aber wahres Wissen nicht Zweifel oder Streit erzeugt, so ergibt sich offenbar aus den jetzigen Kontroversen, daß die, welche bis dahin hierüber geschrieben haben, ihre Sache nicht ordentlich verstanden haben müssen.

2. Schaden kann ich niemanden tun, selbst wenn ich nicht weniger irre als sie; denn ich werde die Menschen lassen, ganz wie sie sind, in Zweifel und Hader. Indessen da ich beabsichtige, nicht irgendwelchen Grundsatz aufs Geratewohl anzunehmen, sondern nur die Menschen zu erinnern an das, was sie schon wissen oder doch aus ihrer eigenen Erfahrung wissen können, so hoffe ich desto weniger dem Irrtum zu verfallen. Und wenn ich es tue, so muß es von zu hastigen Schlußfolgerungen herrühren, welche ich soviel als möglich bemüht sein werde zu vermeiden.

3. Andererseits aber, wenn ich bei richtigem Denken dennoch – das ist nämlich sehr wohl möglich – die Zustimmung derjenigen nicht gewinne, welche, im Vertrauen auf die eigene Erkenntnis, das Gesagte gar nicht erwägen – nun, so liegt die Schuld nicht an mir, sondern an ihnen; denn wie es meine Aufgabe ist, meine Gründe aufzuzeigen, so ist es die ihre, Aufmerksamkeit mitzubringen.

4. Die menschliche Natur ist die Summe der Fähigkeiten und Kräfte des Menschen, als da sind die Fähigkeiten der Ernährung, Bewegung, Fortpflanzung, Sinnlichkeit, Vernunft usw. Diese Kräfte ist man allgemein einverstanden, natürliche Kräfte zu nennen und sie sind enthalten in der Definition des Menschen unter den Worten: lebendes Wesen und vernünftig.

5. Nach den beiden Hauptteilen des Menschen unterscheide ich seine Fähigkeiten als körperliche und geistige.

6. Sofern eine genaue und sorgfältige Darstellung der körperlichen Kräfte für meinen Zweck nicht erforderlich ist, will ich sie nur unter diese drei Kategorien bringen: Ernährung, Bewegung, Fortpflanzung.

7. Zwei Arten geistiger Kräfte gibt es: die der Erkenntnis, der Einbildung oder des Begreifens und die der Bewegung. Ich will zunächst vom Erkenntnisvermögen reden.

Um zu verstehen, was ich meine mit dem Worte » Erkenntnisvermögen«, müssen wir uns erinnern und anerkennen, daß in unserm Geiste beständig gewisse Bilder oder Konzeptionen von den Dingen außer uns vorhanden sind, in der Weise, daß, wenn man sich vorstellt, die ganze Welt ginge zugrunde und nur ein einziger Mensch überlebte sie, so würde dieser nichtsdestoweniger das Bild von der Welt und von all den Dingen, die er zuvor in ihr gesehen oder wahrgenommen hat, behalten; weiß doch jeder aus seiner eigenen Erfahrung, daß die Abwesenheit oder Vernichtung früher vorgestellter Dinge nicht die Abwesenheit oder Vernichtung der Vorstellung selber verursacht. Diese bildliche Darstellung von den Eigenschaften der Dinge außer uns ist dasjenige, was wir unsere Wahrnehmung, unsere Idee oder unser Wissen von ihnen nennen. Und das Vermögen oder die Kraft, durch welche wir solcher Erkenntnis fähig sind, ist dasjenige, was ich hier Erkenntnis- oder Begriffsvermögen nenne.

Kapitel II.
Die Ursache der Empfindung.

1-3. Definition der Sinnesempfindung. 4. Vier Sätze über das Wesen der Wahrnehmungen. 5. Beweis des ersten. 6. Beweis des zweiten. 7., 8. Beweis des dritten. 9. Beweis des vierten. 10. Die hauptsächliche Täuschung der Sinnesempfindung.

 

1. Nachdem ich erklärt habe, was ich verstehe unter dem Worte »Wahrnehmung« und andern gleichbedeutenden Worten, komme ich zu den Wahrnehmungen selber, um ihre Unterschiede, ihre Ursachen und die Art ihrer Entstehung, soweit es in diesem Zusammenhange notwendig ist, darzulegen.

2. Ursprünglich geht jede Wahrnehmung aus von der Aktion des Dinges selber, wovon es die Wahrnehmung ist; wenn nun die Aktion gegenwärtig ist, so wird die dadurch erzeugte Wahrnehmung auch Sinnesempfindung genannt, und das Ding, durch dessen Aktion dieselbe hervorgebracht ist, heißt der Gegenstand der Sinnesempfindung.

3. Durch unsere verschiedenen Organe haben wir verschiedene Wahrnehmungen von verschiedenen Eigenschaften an den Gegenständen. Nämlich durch das Gesicht haben wir eine Wahrnehmung oder ein Bild, zusammengesetzt aus Farbe und Figur – dies ist alle Erkenntnis, welche der Gegenstand uns mitteilt von seiner Natur durch das Auge. Durch das Gehör haben wir eine Wahrnehmung, welche wir Schall nennen, und dies ist alle Erkenntnis, die wir von der Eigenschaft des Gegenstandes mittels des Ohrs haben. Und so sind auch die übrigen Sinnesempfindungen Wahrnehmungen verschiedener Eigenschaften ihrer Gegenstände.

4. Weil das gesehene Bild, wie es besteht aus Farbe und Gestalt, die Erkenntnis ist, welche wir von den Eigenschaften des Gegenstandes jener Sinnesempfindung haben, so ist es wohlbegreiflich, daß jemand auf die Meinung verfällt, solche Farbe und Gestalt seien die wirklichen Eigenschaften selber, und aus demselben Grunde, daß Schall und Geräusch die Eigenschaften der Glocke oder der Luft seien. Und diese Meinung ist so lange allgemein angenommen worden, daß das Gegenteil schlechterdings als ein großes Paradoxon erscheinen muß: und doch ist die Hypothese sichtbarer und intelligibler Spezies, die von dem Gegenstande aus hin- und hergehen sollen – einer Hypothese, die für die Behauptung jener Meinung notwendig ist – schlimmer als irgendein Paradoxon, da sie eine einfache Unmöglichkeit ist. Ich will deshalb versuchen, folgende vier Punkte deutlich zu machen:

a) Das Subjekt, welchem Farbe und Bild inhärent sind, ist nicht das Objekt oder das gesehene Ding.

b) Es gibt in Wirklichkeit nichts außer uns vorhanden, was wir ein Bild oder eine Farbe nennen können.

c) Solches Bild oder Farbe ist nur eine Erscheinung für uns von der Bewegung oder Veränderung, welche der Gegenstand im Gehirn oder den Lebensgeistern oder in irgendwelcher inneren Substanz des Kopfes bewirkt.

d) Wie beim Sehen, so ist auch bei Wahrnehmungen, die aus den anderen Sinnen entstehen, das Subjekt ihrer Inhärenz nicht der Gegenstand, sondern der Wahrnehmende.

5. Jeder Mensch hat so viel Erfahrung, daß er einmal die Sonne und andere sichtbare Gegenstände im Wasser oder im Spiegel reflektiert gesehen hat, und dies allein genügt schon zu dem Schlusse, daß Farbe und Bild da sein können, wo das gesehene Ding nicht ist. Weil man aber einwenden kann, wenn auch das Bild im Wasser nicht an dem Gegenstande sei, sondern ein reines Phantasieding, so möchte doch Farbe wirklich in dem Dinge selber sein – so will ich mich ferner auf die Erfahrung berufen, daß man häufig auch ohne Spiegelung denselben Gegenstand doppelt sieht, z. B. zwei Kerzen für eine, was in einem krankhaften Zustande seinen Grund haben, aber auch willkürlich hervorgerufen werden kann, mit gesunden oder gleichmäßig affizierten Organen. Nun können aber doch in Farben und Umrissen an zwei solchen Bildern desselben Auges nicht beide in demselben enthalten sein, weil das gesehene Ding nicht an zwei Orten zugleich sein kann. Daher ist eines von diesen Bildern nicht dem Gegenstande inhärent; da aber die Sehwerkzeuge dann gleichmäßig in ihrem natürlichen oder in einem krankhaften Zustande sind, so ist das eine von den beiden Bildern nicht mehr inhärent als das andere, und folglich ist keines von beiden in dem Gegenstande vorhanden. Dieses ist die erste von den Thesen, die im vorhergehenden Abschnitt aufgestellt wurden.

6. Zweitens, daß das reflektierte Bild eines Dinges in einem Spiegel oder im Wasser oder dergleichen nicht etwas in oder hinter dem Spiegel, in oder unter dem Wasser ist, das muß jeder Mensch einräumen. Dies aber ist die zweite These.

7. Drittens müssen wir betrachten, zunächst, daß bei jeder großen Erregung oder Erschütterung des Gehirns (wie sie bewirkt wird durch einen Schlag, zumal wenn der Schlag das Auge trifft) wovon der optische Nerv gewaltsam affiziert wird, vor den Augen ein gewisses Licht erscheint, welches Licht nichts außer uns, sondern nur eine Erscheinung ist, wobei das Wirkliche nur die Erschütterung oder die Bewegung der Teile jenes Nerven ist; aus dieser Erfahrung dürfen wir schließen, daß äußere Erscheinung von Licht in Wirklichkeit nichts als innere Bewegung ist. Darum, wenn von leuchtenden Körpern Bewegung hergeleitet werden kann, die den optischen Nerven in der gehörigen Weise affiziert, so wird ein Lichtbild sich einstellen irgendwo in derjenigen Linie, auf welcher die Bewegung zuletzt zum Auge hingeleitet wurde, d. h. in dem Gegenstande, wenn wir direkt auf denselben hinsehen, und in dem Glase oder dem Wasser, wenn wir in der Brechungslinie darauf sehen; hieraus aber ergibt sich der dritte Satz, nämlich daß Bild und Farbe nur eine Erscheinung für uns sind von der Bewegung, Erregung oder Veränderung, welche der Gegenstand bewirkt im Gehirn oder den Lebensgeistern, oder einer inneren Substanz des Kopfes.

8. Daß aber von allen leuchtenden, scheinenden und beglänzten Körpern eine Bewegung ausgeht nach dem Auge und, durch das Auge, zum optischen Nerven und so in das Gehirn, wodurch jene Erscheinung von Licht oder Farbe bewirkt wird, ist nicht schwer zu beweisen. Und zwar ist es erstens offenbar, daß das Feuer, der einzige leuchtende Körper hier auf Erden, in jeder Weise gleichmäßig durch Bewegung wirkt, sofern, wenn die Bewegung desselben gehemmt oder eingeschlossen wird, es augenblicklich verlöscht und nicht mehr Feuer ist. Und ferner, daß jene Bewegung, durch welche das Feuer wirkt, eine abwechselnde Ausdehnung und Zusammenziehung ist, gewöhnlich Sprühen oder Glühen geheißen: dies ist auch aus Erfahrung deutlich. Von solcher Bewegung im Feuer muß notwendig ein Zurückwerfen desjenigen Teiles des Mediums, welches zunächst mit ihm in Berührung ist, ausgehen, wodurch auch dieser Teil den nächsten zurückwirft, und so sukzessive ein Teilchen das andere fortstößt bis zum Auge hin; und in derselben Weise drückt der äußere Teil des Auges auf den inneren (jedoch gemäß den Gesetzen der Brechung). Nun ist die innere Haut des Auges nichts anderes als ein Stück des optischen Nerven; und deswegen setzt sich durch diesen die Bewegung noch fort bis in das Gehirn, und durch Widerstand oder Reaktion des Gehirns erfolgt dann wieder ein Rückstoß in den optischen Nerven; diesen Rückstoß aber nehmen wir nicht wahr als eine Bewegung von innen, sondern denken, sie sei außerhalb und nennen sie Licht; wie schon gezeigt worden ist aus der Erfahrung von einem Schlage. Wir haben keinen Grund zu zweifeln, daß die Quelle des Lichtes, die Sonne, wenigstens in dieser Hinsicht, nicht irgendwie anders wirkt als das Feuer. Und so hat alles Sehen seinen Ursprung aus solcher Bewegung, wie sie hier beschrieben wurde; denn wo es kein Licht gibt, da gibt es kein Gesicht; und deswegen muß auch Farbe dasselbe Ding sein wie Licht, nämlich Wirkung leuchtender Körper, indem der Unterschied nur darin besteht, daß, wenn das Licht direkt von seiner Quelle zum Auge kommt, oder indirekt durch Spiegelung von reinen und glatten Körpern und von solchen, die keine besondere Bewegung in sich haben, welche eine Veränderung bewirken könnte – so nennen wir es Licht; wenn es aber zum Auge durch Spiegelung von unebenen, rauhen und groben Körpern gelangt, oder von solchen, die mit eigener innerer Bewegung behaftet sind, welche eine Veränderung bewirken kann, dann nennen wir es Farbe; Farbe und Licht unterscheiden sich also nur so, daß das eine reines, das andere getrübtes Licht ist. Nach dem Gesagten ist nicht nur die Wahrheit des dritten Satzes, sondern auch die ganze Art der Hervorbringung von Licht und Farbe offenbar.

9. Wie Farbe nicht an dem Gegenstande haftet, sondern eine Wirkung desselben auf uns ist, verursacht durch die beschriebene Art von Bewegung in dem Gegenstande, so ist auch Schall nicht in dem Dinge, das wir hören, sondern in uns selber. Ein deutliches Zeichen davon ist, daß man doppelt und dreifach – nicht bloß sehen, sondern auch – hören kann, durch Vervielfältigung des Echos, welche Echos ebensowohl Töne sind als der ursprüngliche Schall; und da sie nicht an einem und demselben Orte sind, so können sie nicht in dem Körper, der sie bewirkt, inhärent sein. Kein Ding kann etwas bewirken, was nicht in ihm ist: der Klöppel hat keinen Schall in sich, sondern Bewegung und wirkt Bewegung in den inneren Teilen der Glocke; ebenso hat die Glocke nicht Schall, sondern Bewegung, indem sie der Luft Bewegung mitteilt, und die Luft hat Bewegung, aber nicht Schall; die Luft teilt durch Ohr und Nerven dem Hirn Bewegung mit, und das Hirn hat Bewegung, aber nicht Schall; vom Hirn schlägt sie zurück in die Nerven nach außen, und so wird denn daraus eine äußere Erscheinung, welche wir Schall nennen. Und, um auf die übrigen Sinne überzugehen, so ist es offenbar genug, daß Geruch und Geschmack desselben Dinges nicht für jeden Menschen dieselbigen sind, und daß sie folglich nicht in den gerochenen oder geschmeckten Dingen, sondern in den Menschen sind. Gleichermaßen die Wärme, die wir am Feuer fühlen, ist sichtlich in uns und ist völlig verschieden von der Wärme im Feuer; denn unsere Wärme ist Lust oder Unlustgefühl, je nachdem sie groß oder mäßig ist; aber in der Kohle ist nichts dergleichen. Hierdurch ist der vierte und letzte Satz bewiesen, nämlich, daß wie beim Sehen, so auch bei Wahrnehmungen, die von anderen Sinnen ausgehen, das Subjekt ihrer Inhärenz nicht der Gegenstand, sondern der Empfindende ist.

10. Und hieraus folgt auch, daß alle Akzidenzien oder Qualitäten, mögen unsere Sinne uns immer denken lassen, daß sie in der Welt vorhanden seien, in Wahrheit nicht darin sind, sondern nur scheinbar und als Erscheinungen: die Dinge, die es wirklich in der Welt außer uns gibt, sind jene Bewegungen, durch welche die Erscheinungen verursacht werden. Und dies ist die große Täuschung der sinnlichen Wahrnehmung, welche auch durch sinnliche Wahrnehmung berichtigt werden muß, denn wie sie mir sagt, wenn ich direkt sehe, daß die Farbe in dem Gegenstande zu sein scheint, so sagt sie mir auch, wenn ich durch Spiegelung sehe, daß Farbe nicht in dem Gegenstande ist.

Kapitel III.
Über Vorstellung und ihre Arten.

1. Definition der Einbildung. 2. Schlaf und Träume definiert. 3. Ursachen der Träume. 4. Erdichtung definiert. 5. Phantasmen definiert. 6. Erinnerung definiert. 7. Worin Erinnerung besteht. 8. Warum man im Traume niemals denkt, daß man träume. 9. Warum wenige Dinge seltsam erscheinen in Träumen. 10. Daß ein Traum für Wirklichkeit und für Vision genommen werden kann.

 

1. Wie stehendes Wasser, das durch einen Steinwurf oder einen Windhauch in Bewegung gesetzt ist, nicht augenblicklich abläßt von seiner Bewegung, sobald der Wind aufhört oder der Stein zur Ruhe kommt, ebenso hört die Wirkung, welche der Gegenstand hervorgebracht hat auf das Gehirn, keineswegs auf, sobald durch Wegwenden des Sinnesorgans der Gegenstand aufhört zu wirken. Das will sagen: ob auch die sinnliche Empfindung vergangen ist, das Bild oder die Wahrnehmung bleibt; jedoch mehr in Dunkelheit, solange wir im wachen Zustande sind, weil ein oder der andere Gegenstand fortwährend unsere Augen und Ohren in Anspruch nimmt und beunruhigt, den Geist in einer stärkeren Bewegung haltend, wodurch die schwächere nicht leicht zum Vorschein kommt. Und diese dunkle Vorstellung ist das, was wir Phantasie oder Einbildung nennen: Einbildung ist also, um sie zu definieren, nachbleibende und bei kleinem abnehmende Vorstellung von und nach dem Akt der sinnlichen Empfindung.

2. Wenn aber gegenwärtige Sinnesempfindung nicht vorhanden ist, so sind die nachbleibenden Bilder, wenn überhaupt welche da sind, wie in Träumen, nicht dunkel, sondern stark und klar, wie in der Empfindung selber. Der Grund liegt darin, daß alles, was die Vorstellungen verdunkelte und schwach machte, nämlich Sinnesempfindung und unmittelbare Einwirkung des Gegenstandes, hinweggetan ist: denn Schlaf ist die Abwesenheit des Akts der Sinnesempfindung – wobei aber die Kraft sich erhält – und Träume sind die Einbildungen der Schlafenden.

3. Die Ursachen der Träume, wenn es natürliche sind, bestehen in den Wirkungen oder der Gewalt, welche die inneren Teile eines Menschen auf sein Hirn ausüben, wodurch die Gänge der sinnlichen Empfindung, die durch den Schlaf erstarrt waren, zu ihrer Bewegung wiederhergestellt werden. Die Zeichen, welche dieses offenbar machen, sind die Verschiedenheiten der Träume: alte Leute, die in der Regel weniger gesund sind und weniger frei von inwendigen Schmerzen, sind dadurch um so mehr zu Träumen geneigt, besonders aber zu schmerzhaften Träumen; jene Verschiedenheiten gehen nämlich aus von den verschiedenen Eigentümlichkeiten des Körpers. So gibt es wollüstige Träume, zornige Träume, je nachdem das Herz, oder andere innere Teile, mehr oder weniger auf das Hirn einwirken, durch mehr oder weniger Wärme. Ebenso auch macht uns das Hinabsteigen verschiedener Arten von Galle träumen von den Geschmacksempfindungen verschiedener Arten von Speise und Trank; und ich glaube, es gibt eine Wechselwirkung der Bewegung vom Hirn zu den vitalen Teilen und zurück von den vitalen Teilen zum Hirn, wodurch nicht bloß Einbildung Bewegung erzeugt in diesen Teilen, sondern auch umgekehrt Bewegung in diesen Teilen Einbildung hervorruft, welche derjenigen ähnlich ist, durch welche jene Bewegung erzeugt war. Wenn dieses wahr ist, und daß trübe Einbildungen die Milz nähren, so sehen wir auch eine Ursache, weshalb umgekehrt eine starke Milz schreckhafte Träume verursacht und weshalb die Wirkungen der Wollust im Traume das Bild einer Person hervorbringen können, welche sie verursacht hat Wenn es gut beobachtet würde, ob die Person im Traume der gelegentlichen Hitze des Träumenden ebenso gehorsam folgt wie im Wachen seine Hitze der Gegenwart dieser Person, und wenn es sich herausstellen sollte, daß dem so sei, dann würde es als sicher anzunehmen sein, daß die Bewegung reziproker Natur ist..

Ein anderes Zeichen, daß Träume durch Wirkung innerer Teile verursacht werden, ist die Unordnung und die zufällige Folge der einen Vorstellung oder Einbildung auf die andere: denn während wir wach sind, führt der vorhergehende Gedanke oder Vorstellungsinhalt den nachfolgenden ein und ist Ursache desselben, wie das Wasser dem Finger folgt auf einem trockenen und ebenen Tische; aber in Träumen ist in der Regel kein Zusammenhang, und ist er vorhanden, so bloß durch Zufall, was schlechterdings davon herkommen muß, daß das Hirn bei Träumen nicht in jedem Teile gleichmäßig zu seiner Bewegung wiederhergestellt wird; daher es geschieht, daß unsere Gedanken erscheinen wie die Sterne zwischen den fliegenden Wolken: nicht in der Ordnung, in welcher man wünschen möchte sie zu beobachten, sondern wie die ungewisse Flucht der gebrochenen Wolken es gestattet.

4. Gleichwie das Wasser oder irgendwelche Flüssigkeit, wenn auf einmal durch verschiedene Motoren bewegt, eine Bewegung annimmt, welche aus denen aller zusammengesetzt ist, so auch das Hirn oder der Geist darin: einmal erregt durch verschiedene Gegenstände, setzt er eine Einbildung zusammen aus verschiedenen Vorstellungen, welche einzeln der Sinnesempfindung erschienen. Wie zum Beispiel: die Sinnesempfindung zeigt zu einer Zeit die Figur eines Berges und zu einer anderen Zeit die Farbe des Goldes; aber die Einbildung hat sie nachher beide zugleich: als goldenen Berg. Von derselben Ursache rührt es her, daß uns Schlösser in der Luft, Chimären und andere Ungeheuer erscheinen, welche nicht in der Natur vorhanden sind, sondern stückweise zu verschiedenen Zeiten durch die Sinnlichkeit aufgenommen wurden. Und diese Zusammensetzung ist es, was wir eine Fiktion zu nennen pflegen.

5. Es gibt noch eine andere Art der Einbildung, welche an Klarheit sowohl mit der Sinnesempfindung als mit dem Traume wetteifert; das ist, wenn die Tätigkeit des Sinnes langdauernd oder heftig gewesen ist; und die Erfahrung davon macht man häufiger beim Gesichtssinn als bei den übrigen. Ein Beispiel davon ist das Bild, welches vor dem Auge bleibt, nachdem man starr auf die Sonne geblickt hat. Auch jene kleinen Bilder, die vorm Auge erscheinen im Dunkeln (wovon, wie ich denke, jedermann Erfahrung hat, besonders aber, wer da furchtsam oder abergläubisch ist), sind Beispiele für dieselbe Sache. Und diese mögen, der Unterscheidung halber, Phantasmen genannt werden.

6. Durch die Sinne, deren – gemäß den verschiedenen Organen – fünf gezählt werden, nehmen wir (wie schon gesagt worden ist) Kenntnis von den Gegenständen außer uns; und diese Kenntnis ist unsere Vorstellung von denselben. Aber wir nehmen auch wiederum auf die eine oder die andere Weise Kenntnis von unseren Vorstellungen; denn wenn die Vorstellung derselben Sache wiederkehrt, so nehmen wir Kenntnis von diesem Wieder, das heißt davon, daß wir dieselbe Vorstellung früher gehabt haben, welches so viel ist als eine vergangene Sache einzubilden. Dies aber ist unmöglich für die sinnliche Empfindung, als welche nur auf gegenwärtige Dinge geht. Es mag daher jenes als ein sechster Sinn gerechnet werden, aber als innerer (nicht äußerer, wie die übrigen); gewöhnlich wird er Gedächtnis genannt.

7. Was die Art und Weise, in welcher wir von einer vergangenen Vorstellung Kenntnis nehmen, anbetrifft, so müssen wir uns erinnern, daß in der Definition der Einbildung gesagt wurde, sie sei eine allmählich verfallende und mehr und mehr dunkel werdende Vorstellung. Eine dunkle Vorstellung ist diejenige, welche den ganzen Gegenstand zusammen darstellt, aber keine der kleineren Teile für sich; und je nachdem mehr oder weniger Teile dargestellt werden, heißt die Vorstellung mehr oder weniger klar. Da nun jede Vorstellung, bei ihrer Erzeugung durch Sinnlichkeit, klar ist und die Teile des Gegenstandes deutlich darstellt und, wenn sie wiederkehrt, dunkel ist, so finden wir dann, daß etwas fehlt, was wir erwarteten; hiernach urteilen wir dann, daß sie vergangen und zerrüttet sei. Zum Beispiel: jemand, der in einer fremden Stadt sich befindet, sieht dort nicht nur ganze Straßen, sondern kann auch besondere Häuser und Teile von Häusern unterscheiden; nach seiner Abreise aber kann er sie in seinem Geiste nicht mehr so wie früher bis ins einzelne unterscheiden, indes ein Haus oder eine Ecke ihm entgeht; doch ist eben dieses eine Erinnerung an die Stadt; wenn später mehr Einzelheiten verlorengehen, so ist das auch Erinnerung, aber nicht so gute. Im Fortgang der Zeit kehrt das Bild der Stadt nur noch als eine Masse von Gebäuden wieder, welches beinahe soviel heißt, als es vergessen haben. Da also Erinnerung mehr oder weniger vorhanden ist, je nachdem wir mehr oder weniger Dunkelheit antreffen: warum mögen wir nicht füglich denken, Erinnerung sei nichts anderes als ein Vermissen von Teilen, deren Folge jeder Mensch erwartet, nachdem er eine Vorstellung bekommen hat von dem Ganzen? Auf eine weite räumliche Entfernung sehen, und auf eine weite zeitliche Entfernung sich erinnern, bedeutet gleiche Vorstellungen der Sache haben; denn es mangelt Unterscheidung der Teile in beiden Fällen; die eine Vorstellung ist abgeschwächt durch Fernwirkung, die andere durch Zerfall.

8. Und aus dem bisher Gesagten ergibt sich, daß man niemals wissen kann, man träume; wohl mag man träumen, daß man zweifle, ob es ein Traum sei oder nicht; aber die Klarheit der Einbildung stellt jede Sache mit ebenso vielen Teilen dar wie die Sinnesempfindung selber, und folglich kann man von nichts Kenntnis nehmen, außer als von Gegenwärtigem; während denken, daß man träume, heißen würde: jene seine Vorstellungen, d. h. Träume, als vergangen denken, d. i. als dunkler verglichen mit der sinnlichen Empfindung, so daß man sie gleichzeitig als ebenso klar und als nicht ebenso klar wie die Sinnesempfindung denken müßte, welches unmöglich ist.

9. Denselben Grund hat es, daß die Menschen in ihren Träumen sich nicht wundern über Örtlichkeiten und Personen, wie sie es im Wachen tun würden; denn im Wachen würde man es sonderbar finden, an einem Orte zu sein, wo man niemals zuvor gewesen ist, und nichts davon zu erinnern, wie man hingekommen ist; aber in einem Traume ist wenig von dieser Art auffallend. Die Klarheit der Vorstellung im Traume nimmt das Mißtrauen hinweg, es sei denn, daß die Seltsamkeit alles Maß überschreite, wie wenn man denkt, man sei von einer Höhe herabgefallen, ohne sich Schaden zu tun; und dann wacht man gewöhnlich auf.

10. Auch ist es nicht unmöglich, so weit getäuscht zu werden, daß man, nachdem der Traum vergangen ist, ihn für Wirklichkeit hält. Denn wenn man träumt von Dingen, mit denen man sich regelmäßig im Geiste beschäftigt, und in derselben Reihenfolge, wie man gewohnt ist; und überdies träumt, daß man sich zum Schlafen niederlegte an dem Orte, wo man sich auch beim Erwachen befindet; was alles begegnen kann; so weiß ich kein κριτήριον oder Kennzeichen, an dem man unterscheiden kann, ob es ein Traum war oder nicht, und wundere mich daher um so weniger, wenn ich bisweilen höre, wie jemand seinen Traum für Wahrheit erzählt oder ihn als eine Vision auffaßt.

Kapitel IV.
Über die verschiedenen Arten geistiger Tätigkeit.

1. Gedankengang. 2. Die Ursache des Zusammenhangs der Gedanken. 3. Schlauheit. 5. Erinnerung. 6. Erfahrung. 7. Erwartung oder Mutmaßung, über das Zukünftige. 8. Mutmaßung über das Vergangene. 9. Zeichen. 10. Klugheit. 11. Warnung, aus Erfahrung zu schließen.

 

1. Die Sukzession der Vorstellungen im Geiste oder die Reihenfolge, in der sie sich aneinander anschließen, kann zufällig und unzusammenhängend sein, wie es meistens in Träumen der Fall ist, und sie kann eine geordnete sein, wie es ist, wenn die frühere Vorstellung die spätere führt; und dieses heißt ein Gedankengang.

2. Die Ursache des Zusammenhanges oder der Art, wie eine Vorstellung auf die andere folgt, ist ihr ursprünglicher Zusammenhang zu der Zeit, wo sie durch Sinnlichkeit hervorgebracht wurden; wie zum Beispiel: von St. Andreas springt der Geist auf St. Peter, weil ihre Namen zusammen gelesen wurden; von St. Peter auf einen Fels, aus demselben Grunde; vom Felsen auf Grundlegung, weil wir beides zusammen zu sehen pflegen, und, aus demselben Grunde, von Grundlegung auf Kirche, von Kirche auf Volk, von Volk auf Tumult; und diesem Beispiel entsprechend, kann der Geist fast von jeder beliebigen Sache auf jede beliebige andere überspringen. Aber wie in der sinnlichen Wahrnehmung die Vorstellung einer Ursache und die einer Wirkung aufeinander folgen, so können sie es nach der Wahrnehmung in der Einbildung, und tun es auch in der Regel; die Ursache davon ist das Begehren auf Seite derjenigen, die eine Vorstellung des Zweckes haben und demnächst eine Vorstellung des nächsten Mittels zu diesem Zwecke fassen: wie wenn jemand von einem Gedanken an Ehre, wonach er ein Verlangen trägt, auf den Gedanken an Weisheit kommt, als das nächste Mittel dazu; und von da auf den Gedanken an Studium als das nächste Mittel zur Weisheit.

3. Um jene Art des Gedankenganges zu übergehen, vermöge deren wir von Beliebigem zu Beliebigem fortschreiten, so gibt es von der anderen Gattung verschiedene Arten: als erstes gibt es in den Sinnen gewisse Zusammenhänge der Vorstellungen, welche wir Assoziationen nennen können; Beispiele davon sind: ein Mensch wirft sein Auge auf den Boden, um nach einem verlorenen kleinen Gegenstande zu suchen; die Hunde, die nach einer verlorenen Spur suchen bei der Jagd, und das Stöbern der Hühnerhunde.

Und hierin nehmen wir einen willkürlichen Ausgangspunkt.

4. Eine andere Art von Gedankengang ist es, wenn die Begierde dem Menschen seinen Ausgangspunkt gibt, wie in dem vorherigen Exempel, wo die Ehre, nach welcher ein Mensch Verlangen trägt, ihn veranlaßt, auf die nächsten Wege, die dahin führen, zu lenken, diese wiederum auf die nächsten und so fort. Dies ist es, was die Lateiner sagacitas nennen, und wir mögen es Jagd- oder Spürgeist nennen; wie Hunde wilde Tiere aufspüren nach dem Geruch und Menschen sie jagen nach ihren Fußspuren; oder wie Menschen jagen nach Reichtum, Rang oder Erkenntnis.

5. Es gibt noch eine andere Art des Gedankenverlaufs, welche anfängt mit der Begierde, etwas Verlorenes zurückzubekommen; sie geht von dem Gegenwärtigen aus rückwärts, von dem Gedanken an den Ort, wo wir es vermissen, zu dem Gedanken an den Ort, von dem wir zuletzt kamen; und von dem Gedanken daran zu dem Gedanken an einen früheren Ort, bis wir in unserem Geiste einen Ort haben, wo wir im Besitze des Verlorenen waren; und dies heißt Erinnerung.

6. Die Erinnerung an die Folge eines Dinges auf ein anderes, d. i. daran, welches vorherging, welches folgte und welches gleichzeitig war, heißt ein Erlebnis; ob nun dasselbe von uns willkürlich gemacht wird, wie wenn jemand eine Sache ins Feuer legt, um zu sehen, welche Wirkung das Feuer darauf ausüben wird (Experiment), oder nicht von uns gemacht wird, wie wenn wir uns erinnern eines schönen Morgens nach dem Abendrot. Viele Erlebnisse nennen wir Erfahrung, welche nichts anderes ist als Erinnerung daran, welche späteren Ereignisse auf welche früheren gefolgt sind.

7. Kein Mensch kann in seinem Geiste eine Vorstellung des Zukünftigen haben; denn das Zukünftige ist noch nicht; aber aus unseren Vorstellungen des Vergangenen machen wir ein Zukünftiges, oder vielmehr nennen Vergangenes relativ zukünftig. So kommt es, daß, nachdem einer gewöhnt worden ist, Gleiches auf Gleiches folgen zu sehen, da denkt er, sobald er etwas geschehen sieht, was früher Geschehenem gleich ist, daß das gleiche folgen werde, was, damals folgte: wie z. B. weil man oft gesehen hat, daß auf Vergehen Strafe folgte, so denkt man, wenn man ein Vergehen gegenwärtig sieht, daß Strafe darauf folgen werde; was aber auf Gegenwärtiges folgt, nennen die Menschen eben zukünftig; und so machen wir Erinnerung zur Voraussicht oder Mutmaßung der Dinge, die da kommen sollen; man kann auch sagen zur Erwartung oder Vorausnahme der Zukunft.

8. Ebenso ist es, wenn jemand gegenwärtig sieht, was er früher gesehen hat, so denkt er, daß dasjenige, was dem Früheren vorherging, auch dem gegenwärtig Geschehenen vorhergegangen ist; z. B. wer gesehen hat, daß Asche nachgeblieben ist vom Feuer, und nun wiederum Asche sieht, schließt, daß auch wieder Feuer dagewesen ist; und dies heißt ebenfalls eine Mutmaßung des Vergangenen oder Erraten einer Tatsache.

9. Wenn jemand so oft beobachtet hat, wie nach gleichen Vorereignissen gleiche Folgen sich eingestellt haben, daß er jedesmal, wenn er das Frühere sieht, wiederum das Spätere erwartet; oder wenn das Spätere, darauf rechnet, daß das gleiche vorhergegangen ist: alsdann nennt er beide, das frühere und das spätere Ereignis, Zeichen von einander; wie Wolken Zeichen sind von künftigem Regen, und Regen Zeichen von vergangenen Wolken.

10. Diese Annahme von Zeichen aus Erfahrung ist dasjenige, worin, wie die Menschen gewöhnlich denken, der Unterschied gelegen ist zwischen Mensch und Menschen in ihrer Klugheit, unter welchem Worte man die ganze intellektuelle Fähigkeit oder Kraft eines Menschen zu verstehen pflegt. Aber dies ist ein Irrtum, denn die Zeichen sind bloß mutmaßliche; und je nachdem sie oft oder selten gefehlt haben, so ist ihre Sicherheit größer oder geringer; niemals aber voll und evident; denn obgleich einer immer gesehen hat, daß Tag und Nacht aufeinander gefolgt sind bisher, so kann er daraus doch nicht schließen, daß sie es ferner tun werden, oder daß es von Ewigkeit her der Fall gewesen ist. Erfahrung bringt keine allgemeingültigen Schlußfolgerungen hervor. Wenn die Zeichen zwanzigmal zutreffen und einmal ausbleiben, so kann man eine Wette eingehen von zwanzig gegen eins auf den Erfolg, aber kann nicht darauf schließen als auf eine Wahrheit. Es ist aber hieraus deutlich, daß diejenigen am besten mutmaßen werden, welche am meisten Erfahrung haben, weil sie am meisten Zeichen haben, nach denen sie mutmaßen; welches der Grund ist, daß alte Leute klüger sind, d. h. besser mutmaßen, unter sonst gleichen Umständen, als junge; denn da sie alt sind, so erinnern sie mehr, und Erfahrung ist nichts als Erinnerung. Und Menschen von rascher Einbildungskraft sind, unter sonst gleichen Umständen, klüger als diejenigen, deren Einbildung langsam vor sich geht; denn sie beobachten mehr in geringerer Zeit. Und Klugheit ist nichts anderes als Mutmaßung aus Erfahrung oder Annahme von Zeichen aus der Erfahrung, in vorsichtiger Weise, d. h. so, daß die Erlebnisse, aus denen solche Zeichen entnommen werden, sich alle in der Erinnerung befinden; denn sonst sind die Fälle nicht gleich, welche so scheinen.

11. Wie es bei Mutmaßungen in Betreff vergangener und zukünftiger Dinge Klugheit ist, aus Erfahrung zu schließen, was wahrscheinlich erfolgen wird oder sich ereignet hat, so ist es ein Irrtum, daraus zu schließen, daß etwas so oder so genannt wird; d. h. wir können nicht aus Erfahrung schließen, daß etwas gerecht oder ungerecht, wahr oder falsch heißen soll, oder überhaupt irgendwelchen allgemeinen Satz, es sei denn aus der Erinnerung an den Gebrauch von Namen, die den Dingen willkürlich von Menschen sind beigelegt worden: z. B. wenn man die Fällung eines Richterspruchs gehört hat, es sei tausendmal derselbe Spruch im gleichen Falle, so ist das nicht zureichend, um zu schließen, daß der Spruch gerecht sei, obgleich die meisten Menschen keine anderen Mittel haben, um ihre Schlüsse zu ziehen; sondern es ist notwendig, um einen solchen Schluß zu ziehen, nachzuspüren und ausfindig zu machen, durch viele Erfahrungen, was die Menschen meinen, indem sie Dinge gerecht und ungerecht nennen. Ferner, es ist ein anderes Caveat beim Schließen aus Erfahrung zu entnehmen aus dem zehnten Abschnitt des zweiten Kapitels: nämlich daß wir schließen, Dinge seien außer uns, die in uns sind.

Kapitel V.
Über Namen, Denken und Diskurs der Zunge.

1. Merkmale. 2. Namen oder Benennungen. 3. Positive und privative Namen. 4. Der Vorteil der Namen macht uns fähig zur Wissenschaft. 5. Allgemeine und Einzelnamen. 6. Allgemeines gibt es nicht in der Natur. 7. Zweideutige Namen. 8. Verstand. 9. Bejahung, Verneinung, Urteil. 10. Wahrheit, Falschheit. 11. Wissenschaftliches Denken. 12. Der Vernunft gemäß; wider die Vernunft. 13. Die Ursachen wie des Wissens, so auch des Irrtums. 14. Übertragung des Gedankenverlaufs aus dem Geiste auf die Zunge, und Irrtümer, die daraus entspringen.

 

1. Indem die Reihenfolge von Vorstellungen im Geiste, wie früher gesagt, durch die Art, wie sie aufeinander folgten, als sie durch die Sinne hervorgebracht wurden, verursacht wird; und da es keine Vorstellung gibt, die nicht unmittelbar vor oder nach unzähligen anderen ist hervorgebracht worden, durch die zahllosen Akte der sinnlichen Wahrnehmung, so muß schlechterdings folgen, daß eine Vorstellung nicht auf die andere folgt nach unserer Wahl, und nach dem Bedürfnis, das wir dafür haben, sondern wie der Zufall es fügt, daß wir solche Dinge hören oder sehen, die sie uns vor die Seele bringen. Die eigentliche Erfahrung hiervon zeigt sich uns bei solchen wilden Tieren, die zwar Voraussicht genug haben, um die Reste und den Überfluß ihres Futters zu verbergen, dennoch aber später des Ortes, wo sie es verbargen, sich nicht erinnern und deswegen keinen Gebrauch davon machen können in ihrem Hunger. Hingegen der Mensch, welcher an diesem Punkte sich über die tierische Natur zu erheben beginnt, hat die Ursache dieses Mangels beobachtet und sich eingeprägt; und um ihn zu heben, ist er auf den Gedanken gekommen, ein sichtbares oder sonst wahrnehmbares Merkmal aufzurichten, damit solches, wenn er es wiedersehe, den Gedanken wieder vor seine Seele bringen möge, den er hatte, da er es aufrichtete. Ein Merkmal ist mithin ein wahrnehmbarer Gegenstand, welchen ein Mensch willkürlich für sich aufstellt, zu dem Zwecke, etwas Vergangenes dadurch zu erinnern, wenn dasselbe wieder seiner Wahrnehmung sich darbiete; wie Menschen, die an einer Klippe im Meere vorbeigekommen sind, einen Markstein errichten, um ihrer früheren Gefahr sich zu erinnern und sie zu vermeiden.

2. Zu diesen Merkmalen gehören diejenigen menschlichen Laute, welche wir die Namen der Dinge nennen; wahrnehmbar durch das Ohr und dazu dienend, irgendwelche Vorstellungen der Dinge, denen wir diese Namen gaben, in unsern Geist zurückzurufen; wie die Benennung » weiß« die Eigenschaft solcher Gegenstände in Erinnerung bringt als jene Farbe oder Vorstellung in uns hervorbrachten. Ein Name ist demnach der Stimmlaut eines Menschen, willkürlich gesetzt als Merkmal, um in seinen Geist eine Vorstellung in betreff des Dinges zu bringen, welchem er beigelegt worden ist.

3. Benannte Dinge sind entweder die Gegenstände selber, z. B. ein Mensch, oder die Vorstellung, die wir von einem Menschen haben, wie Gestalt oder Bewegung; oder eine Negation: das ist, wenn wir vorstellen, daß etwas, was wir denken, nicht an ihm ist; so, wenn wir vorstellen: er ist nicht gerecht, nicht endlich, dann geben wir ihm den Namen ungerecht, unendlich, welche eine Negation oder einen Mangel anzeigen; und den Negationen selber geben wir die Namen: Ungerechtigkeit, Unendlichkeit. So haben wir hier zwei Arten von Namen: einmal von Dingen, an welchen wir etwas vorstellen, oder von den Vorstellungen selber: diese heißen positive; sodann aber von Dingen, an denen wir eine Negation oder einen Mangel vorstellen, und solche Namen heißen negative.

4. Es ist mit Hilfe von Namen, daß wir fähig sind zur Wissenschaft; welches Tiere, wegen Mangels daran, nicht sind, noch Menschen ohne Gebrauch derselben; denn wie ein Tier nicht eins oder zwei von seinen Jungen vermißt, aus Mangel an jenen Ordnungsnamen eins, zwei, drei, welche wir Zahlen nennen, so würde ebensowenig ein Mensch, ohne mit dem Munde oder im Geiste die Zahlworte zu wiederholen, wissen wie viele Geldstücke oder andere Sachen vor ihm liegen.

5. Da es viele Vorstellungen von einem und demselben Dinge gibt und wir für jede Vorstellung ihm einen besonderen Namen geben, so folgt, daß wir für ein und dasselbe Ding viele Namen oder Attribute haben; wie wir auf denselben Menschen die Benennungen gerecht, tapfer usw. für verschiedene Tugenden anwenden, oder stark, schön usw. für verschiedene Eigenschaften des Körpers. Und wiederum: weil wir von verschiedenen Dingen gleiche Vorstellungen empfangen, so müssen notwendig viele Dinge dieselbe Benennung haben; wie wir allen Dingen, die wir sehen, denselben Namen »sichtbar« geben, und allen, die wir beweglich sehen, dieselbe Benennung »beweglich«; und diejenigen Namen, welche wir vielen verleihen, werden ihnen allen gemeinsam oder universal (allgemein) genannt; wie der Name »Mensch« auf jedes einzelne Glied der Menschheit geht; hingegen solche Benennung, die wir nur einem einzelnen Dinge geben, heißen wir individuell oder singulär; wie Sokrates oder andere Eigennamen oder, durch Umschreibung, »der Urheber der Ilias« für Homer.

6. Diese Allgemeinheit eines Namens für viele Dinge ist die Ursache gewesen, daß die Menschen meinen, die Dinge seien selbst allgemein. Und behaupten ernstlich, daß es außer Peter und Johann und allen übrigen Menschen, die in der Welt sind, gewesen sind und sein werden, noch etwas sonst gibt, was wir Mensch nennen, nämlich einen Menschen schlechthin, und täuschen sich so, indem sie die allgemeine oder generelle Benennung für das Ding nehmen, das sie bezeichnet. Denn, wenn jemand den Maler beauftragen sollte, ihm das Bild eines Mannes zu malen, was soviel heißt als eines Mannes schlechthin, so meint er nichts anderes, als daß es dem Maler freistehen soll, irgendeinen Mann nach seinem Belieben zu malen, und dies muß notwendig einer von jenen sein, die sind, gewesen sind, oder sein werden, von denen keiner ein Mann schlechthin ist. Aber wenn er ihn veranlassen würde, das Bild des Königs oder irgendeiner andern bestimmten Person zu malen, dann beschränkt er den Maler auf jene eine Person, die er selbst ausgewählt hat. Es ist daher klar, daß es nichts gibt, das allgemein oder schlechthin ist, außer Namen, und deshalb nennt man sie auch unbestimmt, weil wir ihren Sinn nicht selbst scharf begrenzen, sondern es dem Hörer überlassen, von ihnen Gebrauch zu machen. Dagegen ein besonderer Name wird einem der vielen Dinge, die er bezeichnet, zugewiesen oder auf dasselbe beschränkt; so wenn wir sagen »dieser Mann« und auf ihn zeigen, oder ihm seinen eigenen Namen geben, oder in anderer ähnlicher Weise.

7. Die Benennungen, welche allgemein und vielen Dingen gemeinsam sind, werden nicht immer – wie es sein sollte – jedem einzelnen dieser Dinge wegen ähnlicher Auffassungen und Betrachtungen an ihnen allen gegeben; und dies ist die Ursache, daß viele von ihnen keine feste Bedeutung haben und unsern Geist mit andern Gedanken erfüllen, als die sind, für welche sie bestimmt waren. Und diese Wörter nennt man mehrdeutig. Zum Beispiel das Wort »Glaube« bezeichnet manchmal dasselbe wie Meinung, manchmal bezeichnet es speziell den christlichen Glauben und manchmal die Glaubwürdigkeit eines Versprechens (Treu und Glauben). Auch alle bildlichen Ausdrücke sind naturgemäß mehrdeutig. Und es gibt kaum irgendein Wort, das nicht durch verschiedene Zusammenhänge oder verschiedenartige Aussprache und durch begleitende Gebärden mehrdeutig gemacht wird.

8. Diese Mehrdeutigkeit der Wörter macht es schwierig, jene Begriffe wiederzuentdecken, für welche die Wörter ursprünglich bestimmt waren, und das nicht nur in der Sprache anderer Menschen, wobei wir Absicht und Veranlassung und Satzbau sowohl als die Wörter selbst zu berücksichtigen haben, sondern auch in unserer eigenen Rede, die, weil sie durch die Sitte und den Sprachgebrauch bestimmt wird, uns nicht unsere eigenen Vorstellungen wiedergibt. Es ist daher eine nicht geringe Befähigung eines Mannes, aus den Wörtern, der Satzkonstruktion und andern Umständen der Sprache die Doppelsinnigkeit fernzuhalten und die wahre Meinung von dem, was gesagt werden soll, zu erkennen, und das ist es, was wir Verständnis nennen.

9. Aus zwei Benennungen machen wir mit Hilfe des kleinen Verbums » ist« oder eines ähnlichen Wörtchens eine Bejahung oder Verneinung und beide nennt man in den Schulen auch ein Urteil oder einen Satz; dieser besteht also aus zwei durch das genannte Verb verbundenen Benennungen, wie zum Beispiel: »Der Mensch ist ein lebendes Wesen« oder: »Der Mensch ist nicht rechtschaffen«; und den ersten Satz nennt man eine Bejahung, weil der Begriff »lebendes Wesen« positiv ist; den letzteren eine Verneinung, weil »nicht rechtschaffen« negativ ist.

10. In jedem Satz, sei er bejahend oder verneinend, schließt notwendig die letztere Benennung die erstere in sich, wie in dem Satz: »Die Barmherzigkeit ist eine Tugend«; hier umfaßt der Name Tugend den Namen Barmherzigkeit (und viele andere Tugenden außerdem), und in diesem Fall nennt man den Satz wahr oder eine Wahrheit; denn Wahrheit und ein wahrer Satz ist dasselbe. Oder auch der letztere Begriff schließt den ersteren nicht in sich ein, wie z. B. in dem Satz: »Jeder Mensch ist gerecht«, der Ausdruck gerecht nicht auf jeden Menschen zutrifft, denn der Name ungerecht bezeichnet den bei weitem größeren Teil der Menschen. Und dann heißt der Satz falsch oder eine Unwahrheit; ein falscher Satz oder eine Unwahrheit ist ein und dasselbe.

11. In welcher Weise aus zwei Sätzen, ob nun beide bejahend sind, oder der eine bejahend, der andere verneinend, ein Syllogismus gemacht wird, unterlasse ich zu beschreiben. Alles dies, was ich über Begriffe und (logische) Sätze gesagt habe, ist, obgleich nötig zu sagen, nur eine trockene Auseinandersetzung, und es ist hier nicht der Ort, die ganze Wissenschaft der Logik darzustellen, was ich, wenn ich weiter darauf einginge, ins Auge fassen müßte; außerdem ist es nicht nötig, denn es gibt wenige Menschen, die nicht so viel natürliche Logik besitzen, um dadurch unterscheiden zu können, ob irgendeine Schlußfolgerung, die ich in dieser Abhandlung machen werde, richtig oder unrichtig gewonnen wurde; nur so viel sage ich an dieser Stelle, daß die Bildung von Syllogismen das ist, was wir Folgern oder Denken nennen.

12. Wenn nun ein Mensch Schlüsse zieht aus Prinzipien, welche durch die Erfahrung als richtig erkannt sind und dabei alle Sinnestäuschungen und jede Mehrdeutigkeit der Begriffe vermeidet, so sagt man, die Schlußfolgerung, die er gezogen hat, entspricht der gesunden Vernunft; aber wenn jemand aus seinem Schluß durch richtige Folgerung etwas ableitet, was irgendeiner augenscheinlichen Wahrheit zuwiderläuft, dann sagt man, er habe vernunftwidrig geschlossen und nennt einen solchen Schluß einen Unsinn.

13. Wie die Erfindung von Wörtern notwendig gewesen ist, um die Menschen aus ihrer Unwissenheit zu ziehen dadurch, daß sie den notwendigen Zusammenhang einer Vorstellung mit einer anderen in Erinnerung behielten, so hat sie andrerseits die Menschen auch in Irrtümer gestürzt, dermaßen, daß, während sie durch den Vorteil der Wortsprache und des Schließens die unvernünftigen Tiere an Wissen übertreffen, sie dieselben durch die Nachteile, welche jene mit sich bringt, auch an Irrtümern übertreffen. Denn als wahr und falsch kommen die Dinge bei den Tieren nicht vor, weil sie keine Satzbildung kennen und keine Sprache haben; auch können sie keine Folgerungen ziehen und dadurch die eine Unwahrheit durch eine andere vermehren, wie die Menschen tun.

14. Es gehört zum Wesen fast eines jeden materiellen Dinges, das oft in einer und derselben Weise bewegt wird, daß es beständig eine immer größere Leichtigkeit und Anpassung an diese Bewegung erhält, weil dieselbe mit der Zeit gewohnheitsmäßig wird, so daß, um sie zu erzeugen, nichts weiter nötig ist, als sie zu beginnen. Wie die Gemütsbewegungen des Menschen der Anfang aller seiner freiwilligen Bewegungen sind, so sind sie auch der Anfang der Sprache, welche durch die Bewegung der Zunge zustande kommt. Und die Menschen, welche wünschen, anderen die Kenntnisse, Meinungen, Auffassungen und Leidenschaften, welche in ihnen selbst sind, zu zeigen und für diesen Zweck die Sprache erfanden, haben durch dieses Mittel alle jene in dem vorigen Kapitel erwähnte Urteilskraft ihres Geistes durch die Bewegung der Zunge in Worte gefaßt, und ratio ist jetzt zum größten Teil nur oratio, worin die Gewohnheit eine so große Macht hat, daß, wenn der Verstand nur das erste Wort an die Hand gibt, der Rest von selbst nachfolgt, ohne von dem Verstande begleitet zu werden. Wie dies z. B. bei Bettlern der Fall ist, welche ihr Vaterunser sprechen und die betreffenden Wörter in solcher Weise aufeinander folgen lassen, wie sie es in ihrer Jugend von ihren Ammen, ihren Genossen oder ihren Lehrern gelernt haben, ohne daß sie in ihrem Geiste Vorstellungen oder Begriffe haben, die den Wörtern, welche sie sagen, entsprechen. Und wie sie gelehrt worden sind, so lehren sie ihre Nachkommen. Wenn wir nun die Macht jener Sinnestäuschungen in Betracht ziehen, die Kapitel II Abschnitt 10 erwähnt wurden, und ferner, mit welchen Schwankungen die Namen sich festgesetzt haben, wie sehr sie der Mehrdeutigkeit unterliegen und wie verschiedenartig die Menschen in ihrer leidenschaftlichen Aufwallung sind (kaum zwei stimmen miteinander überein darin, was gut und was schlecht, was Freigebigkeit und was Verschwendung, was Tapferkeit und was Tollkühnheit zu nennen sei), und wie sehr sie im Urteilen den Trugschlüssen oder Täuschungen ausgesetzt sind, so darf ich wohl schließen, daß es unmöglich ist, so viele Irrtümer eines einzelnen Menschen zu verbessern, als sich notwendig aus jenen Ursachen ergeben müssen – ohne von neuem bei den ersten Grundlagen aller unserer Erkenntnis, den Sinnen, anzufangen und, anstatt in Büchern, methodisch in unsern eigenen Vorstellungen zu lesen: in diesem Sinne halte ich das Nosce te ipsum für eine Vorschrift, die des Ruhmes würdig ist, den sie erlangt hat.

Kapitel VI.
Über Kenntnis, Meinung und Glaube.

1. Von zweierlei Arten des Wissens. 2. Wahrheit und Offenbarheit notwendig zum Wissen. 3. Bewußtsein definiert. 4. Definition des Wissens. 5. Die Hypothese definiert. 6. Meinung definiert. 7. Glaube definiert. 8. Gewissen definiert. 9. Der Glaube in einigen Fällen nicht weniger frei vom Zweifel als das Wissen.

 

1. Es gibt irgendwo eine Erzählung von jemand, der vorgab, auf wunderbare Art von angeborener Blindheit durch Sankt Alban oder einen anderen Heiligen in der Stadt St. Alban geheilt worden zu sein. Der Herzog von Gloucester, der gerade zugegen war, fragte den Mann, um sich von der Wahrheit des Wunders zu überzeugen: »Welche Farbe ist dies?«, worauf der andere antwortete: »Grün«; und dadurch verriet er sich selbst und wurde wegen Betrugs bestraft. Denn obgleich er vermöge der kürzlich erlangten Sehkraft zwischen grün und rot und allen anderen Farben unterscheiden konnte, ebensogut wie irgend jemand, der ihn danach fragte, so konnte er doch unmöglich beim ersten Anblick wissen, wie man die Farbe benannte, ob grün, rot oder mit irgendeinem anderen Namen. Hieraus können wir ersehen, daß es zweierlei Arten des Wissens gibt, wovon die eine Art nichts weiter als Sinnesempfindung oder ursprüngliches Wissen (wie ich am Anfang des zweiten Kapitels gesagt habe) und Erinnerung davon ist; die andere heißt Wissenschaft oder Erkenntnis der Wahrheit von Urteilen und wie die Gegenstände um uns heißen, und fließt aus dem Verstande. Beide Arten sind lediglich Erfahrung; die erstere ist die Erfahrung des Wirkens der Dinge auf uns von außen, die letztere die Erfahrung, welche die Menschen von dem richtigen Gebrauch der Wörter in der Sprache haben. Und da (wie ich gesagt habe) die Erfahrung nur Erinnerung ist, so ist alles Wissen Erinnerung; und das in Büchern geführte Verzeichnis unserer Erfahrungen der ersten Art nennen wir Geschichte, aber die Aufzeichnungen unserer Erinnerungen von den Namen der Dinge heißen Wissenschaften.

2. Dieses Wort Wissen umfaßt notwendig zweierlei, erstens Wahrheit, zweitens Bewußtsein; denn was nicht wahr ist, kann man niemals wissen. Denn wenn ein Mann sagt, er kenne eine Sache noch so gut, und dieselbe erweist sich später als falsch, so wird er gestehen müssen, daß es kein Wissen, sondern lediglich Meinung war. Ebenso, wenn die Wahrheit nicht bewußt ist, obgleich ein Mann sie behauptet, so ist doch seine Kenntnis davon nicht mehr als das Wissen derjenigen, die das Gegenteil behaupten. Denn wenn die Wahrheit allein genügte, um das Wissen zu machen, so würden alle Wahrheiten gewußt, was nicht der Fall ist.

3. Was Wahrheit ist, habe ich in dem vorhergehenden Abschnitt definiert; was Bewußtsein ist, will ich jetzt erklären. Sie ist nämlich das Zusammenstimmen der Vorstellung eines Menschen mit den Wörtern, die im Akte des vernünftigen Schließens solche Vorstellung bezeichnen. Denn wenn ein Mann bloß mit seinen Lippen redet, wozu der Verstand nur den Anfang an die Hand gibt und – aus Gewohnheit so zu sprechen – den Worten seines Mundes nicht mit den Vorstellungen seines Verstandes folgt, so sind doch seine Schlüsse, obgleich er seine Folgerung mit richtigen Vordersätzen beginnt und vollständig logisch fortfährt und so immer richtige Schlüsse macht, ihm nicht offenbar, weil die Zusammenstimmung der Vorstellung mit seinen Wörtern fehlt. Denn wenn die Wörter allein genügend wären, könnte man einen Papagei ebensogut lehren, die Wahrheit zu erkennen, als sie nachzuplappern. Das Bewußtsein ist für die Wahrheit dasselbe, was der Saft für den Baum ist; der Saft hält, soweit er in den Stamm und die Äste emporsteigt, diese am Leben; wenn er sie verläßt, sterben sie ab. Denn dies Bewußtsein, was so viel ist, als daß wir einen Sinn mit unsern Wörtern verbinden, ist das Leben der Wahrheit; ohne es ist die Wahrheit nichts wert.

4. Das Wissen, welches wir Wissenschaft nennen, definiere ich daher als Bewußtsein der Wahrheit, hervorgehend aus irgendeinem Anfangsgrund oder Prinzip der Empfindung. Denn die Wahrheit eines Satzes ist nie bewußt, bevor wir die Bedeutung der Wörter oder Ausdrücke, aus denen er besteht, auffassen, und diese sind immer Vorstellungen unseres Geistes; auch können wir jene Vorstellungen nicht erinnern ohne den Gegenstand, der sie mittels unserer Sinne hervorgebracht hatte. Das erste Prinzip des Wissens ist daher, daß wir die und die Vorstellungen haben; das zweite, daß wir die Dinge, von denen jene Vorstellungen kommen, so und so benannt haben; das dritte, daß wir jene Namen oder Wörter in solcher Weise verbinden, daß sie richtige logische Sätze bilden; das vierte und letzte, daß wir jene Sätze so verbunden haben, daß sie eine Schlußfolgerung ergeben. Und durch diese vier Stufen wird ein Schluß erkannt und bewußt, und die Richtigkeit des Schlusses heißt dann gewußt. Von diesen beiden Arten des Wissens, deren erstere Erfahrung der Tatsachen und deren letztere Bewußtsein der Wahrheit ist, nennt man die erstere, wenn sie bedeutend ist, Klugheit, und die letztere haben, falls sie beträchtlich ist, Schriftsteller des Altertums und der Neuzeit sapientia oder Weisheit genannt: und dieser ist nur der Mensch fähig, jener sind auch die unvernünftigen Tiere teilhaftig.

5. Man sagt, ein Satz sei angenommen oder vorausgesetzt, wenn er, ohne gewiß zu sein, doch eine Zeitlang zugelassen wird zu dem Zwecke, dadurch daß andere Sätze an ihn angeknüpft werden, zu einer Schlußfolgerung zu gelangen, und dann von Schluß zu Schluß fortzuschreiten, um zu erproben, ob der Satz uns zu irgendeinem unsinnigen oder unmöglichen Schlusse führt; tut er dies, dann wissen wir, daß die Annahme falsch war.

6. Aber wenn wir, durch viele Schlüsse fortgehend, zu keinem gelangen, der sinnwidrig ist, dann halten wir die Voraussetzung für wahrscheinlich; ebenso halten wir ein Urteil für wahrscheinlich, das wir durch irrige Schlußfolgerung oder auf guten Glauben von andern angenommen haben. Und von allen diesen Sätzen, die auf guten Glauben oder irrtümlich zugelassen werden, sagen wir nicht, daß wir sie als wahr kennen, sondern nur, daß wir sie für wahr halten, und ihre Zulassung ist das, was wir Meinung nennen.

7. Besonders wenn die Meinung angenommen wird aus Vertrauen zu anderen Leuten, sagt man, daß sie geglaubt wird, und ihre Zulassung heißt Glauben und zuweilen auch Vertrauen.

8. Was wir gewöhnlich unter dem Wort Gewissen verstehen, ist entweder Wissen oder Meinung; denn die Menschen pflegen zu sagen, daß sie das und das für wahr halten und auf ihr Gewissen nehmen, was sie nie sagen, wenn sie glauben, daß es zweifelhaft ist, daher wissen sie entweder oder meinen zu wissen, daß es wahr ist. Und doch kann man nicht annehmen, daß diejenigen, welche etwas auf ihr Gewissen versichern, wirklich die Wahrheit dessen, was sie sagen, kennen. Es bleibt mithin nur übrig, daß der Ausdruck von denen gebraucht wird, die eine Meinung haben nicht nur von der Wahrheit der Sache, sondern auch von ihrer Kenntnis dieser Wahrheit. Folglich bezeichnet das Wort Gewissen in dem Sinne, wie die Menschen es gewöhnlich brauchen, eine Meinung, nicht sowohl von der Wahrheit des betreffenden Satzes, als von ihrem eigenen Wissen davon, dem die Wahrheit des Satzes untergeordnet ist. Das Gewissen definiere ich daher als Meinung vom Bewußtsein.

9. Der Glaube, der in der Zulassung oder Annahme von Sätzen auf Vertrauen oder Kredit hin besteht, ist in vielen Fällen nicht weniger frei vom Zweifel als die vollkommene und klare Erkenntnis. Denn da es nichts gibt, das nicht irgendeine Ursache hat, so muß, wo Zweifel vorhanden ist, irgendeine Ursache desselben gedacht werden. Nun gibt es viele Dinge, welche wir aus den Berichten anderer empfangen, ohne daß es möglich wäre, irgendeinen Grund des Zweifels uns zu denken; denn was kann man der übereinstimmenden Meinung aller Menschen entgegenhalten in Dingen, die sie kennen und die anders darzustellen, als sie sind, sie keinen Grund haben (so aber ist ein großer Teil unserer Geschichte), wofern ein Mann nicht behaupten wollte, daß die Welt sich verschworen hätte, um ihn zu täuschen? –

Und so viel sei gesagt über Wahrnehmung, Einbildung, Denken, Schließen und Erkennen, welches die Äußerungen unseres Erkenntnis- oder Auffassungsvermögens sind. Jene Kraft der Seele, die wir Beweggrund nennen, unterscheidet sich von der bewegenden Kraft des Körpers, denn diese ist das, wodurch er andere Körper in Bewegung setzt, was wir Stärke nennen, aber die Triebkraft des Geistes ist das, wodurch er dem Körper, worin er wohnt, animalische Bewegung gibt, und die Äußerungen hiervon sind unsere Affekte und Leidenschaften, wovon ich nunmehr sprechen werde.


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