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Über die Lage der Menschen in bloßer Natur.

Kapitel XIV.
Stand und Recht der Natur.

1., 2. Die Menschen sind von Natur gleich. 3. Durch Eitelkeit abgeneigt, ihre Gleichheit mit anderen anzuerkennen. 4. Geneigt, einander durch Vergleiche herauszufordern. 5. Geneigt, die gegenseitigen Rechte zu schmälern. 6. Erklärung des Rechts. 7. Recht auf den Zweck bedeutet Recht auf die Mittel. 8. Jeder Mensch ist von Natur sein eigener Richter. 9. Kraft und Wissen jedes Menschen ist für den eigenen Gebrauch bestimmt. 10. Jeder Mensch hat von Natur ein Recht auf alle Dinge. 11. Erklärung von Krieg und Frieden. 12. Die Menschen sind von Natur im Kriegszustand. 13. In offenbarer Ungleichheit ist Macht gleich Recht. 14. Die Vernunft befiehlt den Frieden.

 

1. In den vorigen Kapiteln ist die ganze Natur des Menschen geschildert worden, die in den natürlichen Kräften des Geistes und Körpers liegt und in folgende vier Begriffe zusammengefaßt werden kann: Körperkraft, Erfahrung, Vernunft und Gefühl.

2. In diesem Kapitel wird es ersprießlich sein zu erwägen, in welchen Zustand der Sicherheit diese unsere Natur uns gesetzt hat, und welche Wahrscheinlichkeit sie uns gelassen hat, uns in derselben zu behaupten und uns gegen die Gewalt anderer zu schützen. Wenn wir nun sehen, wie wenig Überlegenheit die Kraft und das Wissen bei Männern im reifen Alter bietet und mit welcher Leichtigkeit der an Verstand und Kraft oder an beiden schwächer Begabte die Macht des Stärkeren vollkommen zerstören kann, da nur wenig dazu gehört, um einem Menschen das Leben zu nehmen, so können wir daraus schließen, daß die Menschen ihrer Natur nach einander Gleichheit zugestehen müßten und daß derjenige, der nicht mehr verlangt, als maßvoll anzusprechen ist.

3. Andererseits, wenn wir die große Verschiedenheit der Menschen in Betracht ziehen, die von der Mannigfaltigkeit ihrer Affekte herrührt, wie manche von Eitelkeit erfüllt sind und auf Vorherrschaft und Überlegenheit über ihre Mitmenschen hoffen, und zwar nicht nur dann, wenn sie gleiche Macht besitzen, sondern auch, wenn sie minderwertig sind, so müssen wir anerkennen, daß die Menschen, die bescheiden sind und nichts anderes als natürliche Gleichheit verlangen, unweigerlich der Kraft der anderen, die versuchen werden, sie zu unterdrücken, preisgegeben sind. Und daraus muß in der Menschheit ein großes Mißtrauen und gegenseitige Furcht voreinander entstehen.

4. Da außerdem die Menschen auf verschiedene Weise durch natürliche Affekte einander angreifen, indem jeder Mensch gut von sich selbst denkt und dies bei anderen nicht leiden kann, so müssen sie schlechterdings einander durch Worte und andere Zeichen der Verachtung und des Hasses, die in allen Vergleichen enthalten sind, herausfordern; bis sie die Überlegenheit schließlich nur durch körperliche Kraft und Stärke entscheiden können.

5. Wenn wir überdies in Betracht ziehen, daß das Verlangen vieler Menschen auf ein und dasselbe Ziel gerichtet ist, ein Ziel, das zuweilen nicht von beiden erreicht noch geteilt werden kann, so folgt daraus, daß der Stärkere es allein erreichen muß, und daß durch Kampf entschieden wird, wer der Stärkere ist. Und so reizt der größte Teil der Menschen ohne Zusicherung von Vorteilen, aus Eitelkeit, Vergleich oder Verlangen die übrigen, die sonst mit Gleichheit zufrieden sein würden.

6. Und da die Menschen mit Naturnotwendigkeit bonum sibi wollen, also wünschen, das, was für sie selbst gut ist, erstreben, was ihnen schädlich ist zu vermeiden suchen, jedoch am meisten den schrecklichen Feind der Natur, den Tod, von dem wir sowohl den Verlust unserer Macht wie auch den größten körperlichen Schmerz während des Verlustes erwarten, so ist es nicht vernunftwidrig, wenn ein Mensch alles tut, was er vermag, um seinen eigenen Körper und seine Glieder vor Tod und Schmerz zu bewahren. Und was nicht gegen die Vernunft ist, nennen die Menschen Recht oder jus oder untadlige Freiheit im Gebrauch unserer eigenen natürlichen Macht und Fähigkeiten. Daher ist es ein natürliches Recht, daß jeder Mensch sein eigenes Leben und seine Glieder mit aller Macht, die ihm zu Gebote steht, erhalten darf.

7. Und da, wo ein Mensch das Recht auf den Zweck hat, und der Zweck nicht ohne die Mittel erreicht werden kann, d. h. ohne die Dinge, die für den Zweck notwendig sind, so folgt, daß es nicht wider die Vernunft und folglich das Recht jedes Menschen ist, alle Mittel anzuwenden und jede für die Erhaltung seines Körpers notwendige Handlung vorzunehmen.

8. Auch muß jeder Mensch gemäß natürlichem Recht selbst die Notwendigkeit der Mittel und die Größe der Gefahr beurteilen. Denn wenn es vernunftwidrig ist, daß ich selbst meine eigne Gefahr beurteile, dann muß ein anderer sie beurteilen. Aber dieselbe Einsicht, die einen anderen die Dinge beurteilen läßt, die mich angehen, macht mich auch zum Richter dessen, was ihn angeht. Und daher habe ich ein Recht darauf, sein Urteil daraufhin zu prüfen, ob es mir dienlich ist oder nicht.

9. Wie nun, gemäß dem Naturrecht, eines Menschen Urteil seinem eigenen Wohl dienen soll, so werden auch seine Kraft, sein Wissen und seine Kunstfertigkeit richtig angewandt, wenn er sie für sich selbst verwertet; sonst hätte ein Mensch ja nicht das Recht, sich zu erhalten.

10. Jeder Mensch hat von Natur ein Recht auf alle Dinge, d. h. er darf jedem beliebigen Menschen alles antun, was ihm beliebt, alle Dinge, die er erreichen kann und will, besitzen, benutzen und sich ihrer freuen. Denn sintemal nach seinem eigenen Urteil alles, was er will, gut für ihn sein muß, weil er es will, und es ihm gelegentlich zum Schutz gereichen kann, oder er wenigstens es so auffassen kann, und wir ihn zum Richter darüber gemacht haben (Abschnitt 8), so ergibt sich mithin, daß alle Dinge auch zu Recht von ihm getan werden können. Aus diesem Grunde sagt man mit Recht: Natura dedit omnia omnibus, daß die Natur allen Menschen alles gegeben habe; so daß jus und utile, Recht und Nutzen, dasselbe ist. Aber dies Recht aller Menschen auf alles ist in der Wirkung nicht mehr wert, als wenn ein Mensch ein Recht auf nichts hätte. Denn ein Mensch kann wenig Gebrauch von seinem Rechte machen und Nutzen davon haben, wenn ein anderer, der ebenso stark oder stärker als er selbst ist, ein Recht auf dasselbe hat.

11. Wenn wir nun sehen, daß zu der in der menschlichen Natur begründeten gegenseitigen Angriffslust ein Recht jedes Menschen auf alle Dinge kommt, wodurch ein Mensch mit Recht vorgeht und ein anderer mit Recht widersteht, und daß die Menschen daher in beständigem Mißtrauen gegeneinander leben und darüber nachsinnen, wie sie einander zuvorkommen sollen, so ist der Zustand der Menschen in dieser natürlichen Freiheit der Kriegszustand. Denn Krieg ist nichts anderes als Zeit, wo der Wille und die Absicht mit Streitkräften zu kämpfen in Worten oder durch Handlungen öffentlich erklärt wird, und die Zeit, die nicht Krieg ist, ist Frieden.

12. Da der Zustand des Krieges und der Feindseligkeiten sich so auswirkt, daß die Natur sich selbst zerstört und die Menschen einander töten (wie wir sowohl aus den Erfahrungen mit wilden, heute lebenden Völkern feststellen können wie auch durch die Erzählungen unserer Vorfahren, der alten Bewohner Deutschlands und anderer jetzt zivilisierter Länder, wo wir die Bevölkerungen dünn und kurzlebig finden und alle Annehmlichkeiten des Daseins, die durch den Frieden und die Gesellschaft gewöhnlich erfunden und vermittelt werden, entbehrend): so widerspricht derjenige, der in einem solchen Stande, wie es der Stand der Freiheit und des Rechtes aller auf alles ist, leben möchte, sich selbst. Denn jeder Mensch wünscht selbstverständlich von Natur das eigene Beste, dem dieser Zustand, worin wir Streit zwischen von Natur gleichen und einander zu zerstören fähigen Menschen voraussetzen, zuwider ist.

13. Wenn wir nun sehen, daß dies Recht, uns durch unsere eigene Umsicht und Kraft zu schützen, sich aus der Gefahr herleitet, und daß Gefahr aus der Gleichheit der menschlichen Kräfte entsteht: so ist es viel vernünftiger, wenn ein Mensch diese Gleichheit verhütet, bevor die Gefahr naht und bevor sich die Notwendigkeit des Kampfes ergibt. Daher hat ein Mensch, in dessen Macht es steht, einen anderen Menschen zu leiten oder zu beherrschen, ihm Gutes oder Böses zuzufügen, das Recht, diese seine augenblickliche Macht dazu zu benutzen, um nach Belieben Vorsichtsmaßregeln für seine Sicherheit gegenüber diesem anderen für künftige Zeiten zu treffen. Wer daher seinen Gegner schon unterworfen oder irgend jemand, der durch seine Jugend oder seine Schwäche ihm nicht widerstehen konnte, in seine Gewalt bekommen hat, kann gemäß dem Rechte der Natur von einem Kinde oder einer schwachen und unterdrückten Person die beste Bürgschaft nehmen, die ein solches Wesen ihm geben kann, für die Zukunft von ihm geleitet und regiert zu werden. Denn da wir immer unsere eigene Sicherheit und unseren eigenen Schutz im Auge haben, so handeln wir offenbar dieser unserer Absicht zuwider, wenn wir einen solchen Menschen freiwillig entlassen und gleichzeitig zugeben, daß er Kraft gewinnt und unser Feind wird. Daraus kann auch gefolgert werden, daß unwiderstehliche Macht im Stande der Natur Recht ist.

14. Aber da man bezüglich der Gleichheit der Kraft und anderer natürlicher Fähigkeiten der Menschen annimmt, daß niemand genügend Macht besitzt, um sich dadurch auf lange Zeit hinaus zu sichern, solange er im Zustande der Feindseligkeit und des Krieges verharrt, so befiehlt die Vernunft, jedem Menschen zu seinem eigenen Besten den Frieden zu suchen, soweit Hoffnung besteht, denselben zu erreichen und sich mit allen Hilfsmitteln zur eigenen Verteidigung gegen diejenigen, von denen dieser Friede nicht erlangt werden kann, zu stärken und alles zu tun, um dieses Ziel zu erreichen.

Kapitel XV.
Entäußerung natürlichen Rechts durch Gabe und Vertrag.

1. Das Naturgesetz beruht nicht auf dem Übereinkommen der Menschen, sondern auf Vernunft. 2. Daß jeder Mensch sich des Rechtes begibt, das er auf alles hat, ist ein Naturgebot. 3. Was es bedeutet, sein Recht aufzugeben oder zu übertragen. 4. Der Wille, etwas zu übertragen und der Wille, etwas anzunehmen sind beide erforderlich, um das Recht zu übertragen. 5. Recht, nicht durch bloße Worte de futuro übertragen. 6. Worte de futuro können in Verbindung mit anderen Zeichen des Willens Recht übertragen. 7. Die freie Gabe wird erklärt. 8. Kontrakt und seine Arten. 9. Ein Schuldversprechen wird erklärt. 10. Ein Kontrakt, auf gegenseitigem Leistungsversprechen beruhend, ist im Stande der Feindseligkeit ohne Gültigkeit. 11. Die Menschen können nur untereinander Verträge abschließen. 12. Wie ein Schuldversprechen gelöst wird. 13. Ein durch Furcht erpreßtes Schuldversprechen ist nach dem Naturgesetz gültig. 14. Ein Schuldversprechen, das einem anderen Schuldversprechen zuwiderläuft, ist ungültig. 15. Ein Eid wird erklärt. 16. Der Eid muß jedem Menschen in seiner eigenen Religion auferlegt werden. 17. Ein Eid erhöht die Verpflichtung nicht. 18. Schuldversprechungen binden nur die Absicht.

 

1. Darüber, was unter dem Naturgesetze zu verstehen sei, sind die es bisher erörtert haben, nicht einig. Denn zumeist führen Schriftsteller, die Veranlassung haben zu behaupten, daß etwas gegen das Naturgesetz verstößt, nur an, daß es der Übereinstimmung aller Völker oder der weisesten und gesittetsten Völker zuwider sei. Es ist aber nicht vereinbart worden, wer die weisesten Völker bestimmen soll. Andere sagen, daß etwas gegen das Naturgesetz verstößt, wenn es nicht die Zustimmung der ganzen Menschheit hat; diese Erklärung kann nicht zugelassen werden, weil dann niemand das Naturgesetz verletzen könnte; denn die Natur des einzelnen Menschen ist in der Natur der Menschheit inbegriffen. Aber insofern als alle Menschen, die von der Heftigkeit ihres Affekts und durch schlechte Gewohnheiten verleitet werden, Dinge tun, die nach der allgemeinen Auffassung dem Naturgesetz widersprechen, so ist es nicht die Übereinstimmung in einem Gefühl oder einem durch Gewohnheit erzeugten Irrtum, welche das Naturgesetz macht. Die Vernunft gehört nicht weniger zur menschlichen Natur als das Gefühl und ist bei allen Menschen die gleiche, weil alle Menschen sich einig sind in dem Wunsche, geleitet zu werden auf dem Wege zu dem, was sie erreichen möchten, nämlich zu ihrem eigenen Besten, und das ist das Werk der Vernunft. Es kann daher kein anderes Naturgesetz als das der Vernunft geben, noch andere Gebote des Naturrechtes als die, welche uns die Wege des Friedens weisen, wie man denselben erreichen kann, und die der Verteidigung, wo dies unmöglich ist.

2. Eins der Gebote des Naturgesetzes sagt daher, daß jeder Mensch sich des Rechts, daß er von Natur auf alles hat, begeben müsse. Denn wenn verschiedene Menschen nicht nur auf alle anderen Dinge, sondern auf die Persönlichkeit des Mitmenschen ein Recht haben, so entsteht, wenn sie von demselben Gebrauch machen, ein Angriff auf der einen Seite und Widerstand auf der anderen, also Krieg; und daher dem Naturgesetz zuwiderlaufend, dessen Wesen im Friedenstiften besteht.

3. Wenn ein Mensch sich seines Rechtes entäußert, so verzichtet er entweder einfach darauf oder er überträgt es auf einen anderen Menschen. Verzicht heißt, daß man durch deutliche Zeichen zu verstehen gibt, daß man eine gewisse Handlung, die man früher zu Recht hätte ausführen können, nicht mehr ausführen will. Die Übertragung des Rechts auf einen anderen bedeutet, daß man dem Empfänger desselben deutlich zu verstehen gibt, daß man ihm gemäß dem Rechte, das man vor der Abtretung besaß, keinen Widerstand leisten oder ihn behindern wolle. Denn wenn von Natur jeder Mensch ein Recht auf alles hat, so ist es für einen Menschen unmöglich, irgendein Recht auf einen anderen zu übertragen, das er nicht vorher hatte. Und darum ist alles, was ein Mensch bei der Übertragung von Recht tut, nur eine Willenserklärung, daß er demjenigen, dem er sein Recht übertragen hat, die Nutznießung ohne Belästigung zugesteht. Wenn beispielsweise ein Mann sein Land oder seine Güter einem anderen übergibt, so entzieht er sich das Recht, sie ferner zu betreten und das genannte Land oder die Güter zu verwenden oder den anderen im Gebrauch dessen, was er ihm gegeben hat, sonst zu behindern.

4. Bei der Übertragung eines Rechtes sind daher zwei Dinge erforderlich: eins von seiten dessen, der überträgt, und zwar eine ausreichende Willensäußerung darüber, das andere von seiten dessen, auf den es übertragen wird, und zwar eine ausreichende Genehmigung derselben. Wenn eines von beiden fehlt, so bleibt das Recht, wo es war; noch kann man annehmen, daß der, welcher sein Recht jemanden gibt, der es nicht annimmt, einfach darauf verzichtet und auf irgend jemand, der es haben will, überträgt: weil nämlich der Grund dafür, daß man dasselbe einem lieber als einem anderen überträgt, mehr in diesem einen als in allen übrigen liegt.

5. Wenn keine anderen Zeichen vorliegen, daß ein Mensch auf sein Recht verzichtet oder es übertragen hat, als nur Worte, so muß es in Worten geschehen, die die Gegenwart oder die Vergangenheit, und nicht nur die Zukunft angeben. Denn wenn jemand von der Zukunft, zum Beispiel morgen, sagt: Ich will geben, so erklärt er damit, daß er es noch nicht gegeben hat. Das Recht bleibt ihm daher für heute und weiterhin, bis er es wirklich aufgegeben hat. Wer jedoch sagt: ich gebe jetzt oder habe einem anderen etwas gegeben, damit er dasselbe morgen habe und genieße, oder sonst an einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkte, dann hat er jetzt wirklich das genannte Recht übertragen, das unter anderen Umständen er selbst zu der Zeit, wo der andere sich dessen erfreut, besitzen würde.

6. Aber da Worte allein keine genügende Erklärung des Vorhabens sind, wie in Kapitel XIII Abschnitt 8 gezeigt wurde, so können Worte, de futuro gesprochen, wenn der Wille dessen, der sie ausspricht, auch durch andere Zeichen zutage tritt, sehr häufig so aufgefaßt werden, als ob sie de praesenti gemeint wären. Denn wenn es offenbar ist, daß der Gebende den Wunsch hat, daß sein Wort von demjenigen, dem er gibt, so verstanden wird, als ob er wirklich sein Recht übertrage, dann muß er notwendigerweise so verstanden werden, daß er alles will, was dafür notwendig ist.

7. Wenn ein Mensch irgendeines seiner Rechte auf einen anderen ohne Rücksicht auf vergangene, gegenwärtige oder künftige Gegenleistung überträgt, so wird dies freiwillige Gabe genannt. Und bei einer freiwilligen Gabe können nur die Worte de praesenti oder de praeterito bindend sein: denn wenn sie nur de futuro sind, übertragen sie nichts, noch können sie so verstanden werden, als ob sie dem Willen des Gebers entsprächen; weil eine freie Gabe keine größere Verpflichtung mit sich bringt als die durch Worte zur Geltung gebrachte. Denn wer zu geben verspricht nur um seiner eigenen Neigung willen, der überlegt noch, solange wie er nicht gegeben hat, je nachdem die Ursache seiner Gefühle anhält oder abflaut; und wer überlegt, hat noch nicht gewollt, weil der Wille der letzte Akt seiner Überlegung ist. Wer daher verspricht, ist damit kein Schenker, sondern ein doson, welcher Name dem Antiochus gegeben wurde, der oft versprach und selten gab.

8. Wenn ein Mensch sein Recht in Erwartung einer Gegenleistung überträgt, so ist dies keine freie Gabe, sondern gegenseitige Leistung und wird Kontrakt genannt. Und bei allen Kontrakten erfüllen entweder beide Parteien sogleich und geben einander die Gewißheit und Sicherheit der Durchführung des abgeschlossenen Kontraktes: so wenn die Menschen kaufen oder verkaufen oder tauschen; oder eine Partei erfüllt sogleich und der andere verspricht, wie wenn man auf Kredit verkauft, oder aber keine Partei erfüllt sogleich, sondern beide vertrauen einander. Und es ist unmöglich, daß es außer diesen dreien irgendeine Art von Kontrakt gibt. Denn entweder leisten beide Kontrahenten, oder keiner von beiden, oder einer leistet und der andere nicht.

9. In allen Kontrakten, in denen eine Leistung vereinbart wird, wird das Versprechen dessen, der sich zu einer Leistung verpflichtet, Schuldversprechen genannt. Und dies überträgt, obwohl es ein Versprechen und für die Zukunft vorgesehen ist, doch das Recht, wenn dieser Zeitpunkt gekommen ist, nicht anders als durch gegenwärtige Übergabe. Denn es ist ein sicheres Zeichen, daß der, welcher erfüllte, annahm, daß der andere auch die Erfüllung beabsichtigte. Versprechen, die daher gegenseitige Vorteile im Auge haben, sind Schuldversprechen und Zeichen des Willens oder des letzten Akts der Überlegung, durch den die Freiheit des Erfüllens oder Nichterfüllens aufgehoben wird, und folglich sind sie bindend. Denn wo die Freiheit aufhört, da beginnt die Verpflichtung.

10. Im Gegensatz dazu stehen Kontrakte mit gegenseitigem Leistungsversprechen, derart, daß gegenwärtig von keiner Partei etwas erfüllt wird; wenn der Kontrakt zwischen Menschen geschlossen wird, die nicht zu zwingen sind, liefert sich in Anbetracht dessen, daß die Menschen geneigt sind, überall ihren Vorteil wahrzunehmen, dadurch derjenige, welcher vorleistet, der Habsucht oder einem anderen Motiv desjenigen aus, mit dem er den Kontrakt schließt. Und darum sind solche Schuldversprechen wirkungslos. Denn es ist kein Grund vorhanden, warum jemand zuerst erfüllen sollte, wenn es wahrscheinlich ist, daß der andere nicht nachher erfüllt. Und ob es nun wahrscheinlich ist oder nicht, darüber muß der Zweifelnde selbst urteilen (wie in Kapitel XIV Abschnitt 8 gesagt wurde), solange als sie im Stande und in der Freiheit der Natur verharren. Aber wenn es eine solche zwingende Macht über beide Parteien gibt, daß sie sich ihres persönlichen Urteils in diesem Punkte begeben, dann dürfen diese Schuldversprechen Geltung haben; wenn man sieht, daß derjenige, der zuerst erfüllt, keinen vernünftigen Grund hat an der Erfüllung des anderen zu zweifeln, dann kann er dazu gezwungen werden.

11. Und da bei allen Schuldversprechen, Kontrakten und Schenkungen die Annahme dessen, dem das Recht übertragen wird, einen wesentlichen Bestandteil dieser Schuldversprechen, Schenkungen usw. bildet, so ist es unmöglich, jemandem ein Schuldversprechen oder eine Schenkung zu machen, der von Natur oder durch Abwesenheit nicht in der Lage ist, oder wenn er es ist, nicht tatsächlich seine Genehmigung dazu erklärt. In erster Linie ist es daher unmöglich, für jeden Menschen, mit Gott dem Allmächtigen ein Schuldverhältnis einzugehen, es sei denn, daß er geruht hätte zu erklären, wer das genannte Schuldversprechen in seinem Namen empfangen und genehmigen soll. Auch ist es unmöglich, mit denjenigen Lebewesen einen Vertrag zu schließen, die uns ihren Willen, wegen Mangels gemeinsamer Sprache, nicht kundtun können.

12. Ein Versprechen darüber, daß irgendeine Handlung zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort getan werden soll, wird vom Schuldner gelöst, wenn dieser Zeitpunkt gekommen ist: entweder durch Erfüllung oder durch Verletzung. Denn ein Versprechen, das einmal unmöglich ist, ist wirkungslos. Aber eine Verpflichtung, etwas ohne zeitliche Beschränkung nicht zu tun, was soviel heißt, wie eine Verpflichtung, etwas niemals zu tun, wird nur dann durch den Schuldner gelöst, wenn er sie verletzt oder stirbt. Und gewöhnlich sind alle Schuldverhältnisse von dem Gläubiger lösbar, zu dessen Nutzen und Verfügung der Schuldner eine Verpflichtung übernommen hat. Wenn der Gläubiger daher auf dies Recht verzichtet, so ist es eine Lösung des Schuldversprechens. Und ganz allgemein sind aus demselben Grunde alle Verpflichtungen nach dem Willen des Verpflichtenden entscheidbar.

13. Es ist eine häufig besprochene Frage, ob Verträge, die den Menschen durch Furcht aufgezwungen werden, bindend sind. Ob zum Beispiel, wenn ein Mensch aus Todesangst versprochen hat, einem Diebe am nächsten Morgen hundert Pfund zu geben und ihn nicht zu verraten, eine solche Verpflichtung bindend ist oder nicht. Und obwohl in einigen Fällen derartige Versprechen nichtig sein können, sind sie doch darum nicht nichtig, weil sie durch Furcht erpreßt sind. Denn es scheint kein Grund dafür vorzuliegen, daß das, was wir aus Furcht tun, weniger beständig ist als das, was wir aus Habsucht tun. Denn sowohl das eine wie das andere macht die Handlung zu einer willkürlichen. Und wenn kein Vertrag, der aus der Todesfurcht entsteht, gut wäre, so könnten keine Friedensbedingungen unter Feinden oder irgendwelche Gesetze durch Gewalt festgesetzt werden; denn alle diese nimmt man nur auf Grund jener Furcht an. Denn wer würde sich der Freiheit, die ihm die Natur gegeben hat, kraft seines eignen Willens und seiner eigenen Macht sich zu regieren, entäußern, wenn er nicht den Tod fürchtete, für den Fall, daß er sie behielte? Welchem Kriegsgefangenen würde man das Vertrauen schenken, sein Lösegeld zu suchen, anstatt daß man ihn lieber tötete, wenn er nicht durch Verpfändung seines Lebens an die Erfüllung seines Versprechens gebunden wäre? Jedoch nach Einführung der Staatskunst und Gesetze kann sich dies ändern; denn wenn die Vollziehung eines solchen Vertrages gesetzlich verboten ist, dann kann der, welcher einem Diebe irgend etwas verspricht, sich nicht nur weigern es zu erfüllen, sondern muß es sogar. Wenn jedoch das Gesetz die Erfüllung nicht verbietet, sondern sie dem Willen des Versprechenden überläßt, dann ist dieselbe noch gesetzlich: und Schuldversprechen über gesetzlich Erlaubtes ist auch einem Diebe gegenüber bindend.

14. Wer jemanden etwas gibt, verspricht oder vertraglich zusichert, und, nachdem er es gegeben hat, einem anderen dasselbe gibt, verspricht oder vertraglich zusichert, macht den letzten Akt ungültig. Denn es ist unmöglich, daß ein Mensch ein Recht überträgt, das er selbst nicht besitzt, und das Recht, das er selbst vorher übertragen hat, besitzt er nicht mehr.

15. Ein Eid ist eine Klausel, die einem Versprechen beigefügt wird und womit derjenige, der etwas verspricht, auf Gottes Gnade verzichtet, falls er es nicht, soweit es gesetzlich und für ihn möglich ist, erfüllt. Und das liegt in den Worten, die das Wesen des Eides ausmachen, nämlich: »So wahr mir Gott helfe.« So war es auch bei den Heiden. Und bei den Römern lautete die Formel: »Du, Jupiter, sollst den, der wortbrüchig wird, töten, wie ich dieses Tier töte.« Der Zweck eines Eides ist daher, den Wortbruch eines Vertragschließenden zu rächen. Es hat keinen Sinn bei Menschen, wie mächtig sie auch immer sein mögen, zu schwören, weil deren Strafe durch verschiedene Ereignisse, ob sie wollen oder nicht, vermieden werden kann; Gottes Strafe aber nicht. Obwohl es bei vielen Völkern Sitte war, beim Leben ihrer Fürsten zu schwören, so bekennen doch diese Fürsten, die nach göttlichen Ehren trachten, daß man nach ihrer Meinung nur bei der Gottheit schwören solle.

16. Und da nun Menschen die Macht, an die sie nicht glauben, nicht fürchten können, und da ein Eid, ohne die Furcht vor dem, bei dem man schwört, keinen Sinn hat, so ist es notwendig, daß derjenige, der einen Eid leistet, dies in der Form tut, die er in seiner eigenen Religion anerkennt, und nicht in der Form, die für denjenigen, der ihm den Eid auferlegt, maßgebend ist. Denn obgleich alle Menschen von Natur wissen können, daß es eine höhere Macht gibt, so glauben sie doch nicht, daß sie bei derselben schwören, wenn es in einer anderen Form oder unter einem anderen Namen geschieht, als sie ihre eigene Religion (die sie für die wahre halten) lehrt.

17. Und aus der Definition des Eides erkennt man, daß durch ihn keine größere Verpflichtung, den Vertrag zu erfüllen, entsteht, als die in dem Schuldversprechen selbst enthaltene, daß er einem Menschen aber größere Gefahr und Strafe vor Augen führt.

18. Schuldversprechen und Eide sind de voluntariis, d. h. de possibilibus. Auch kann der Gläubiger von dem Schuldner nicht verlangen, daß er Unmögliches verspricht, denn dies fällt nicht in die Überlegung: und folglich (siehe Kapitel XIII Abschnitt 10, welches den Gläubiger zum Interpreten macht) kann ein Schuldversprechen sich nur auf die beste Absicht beziehen, die Erfüllung des Versprechens oder etwas Gleichwertiges zu leisten.


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