Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Von hüben und von drüben

In dem Nachlasse eines Anverwandten, der vor nun schon geraumer Zeit in verhältnismäßig frühen Jahren starb, fand ich die nachfolgenden Aufzeichnungen.

 

Jetzt habe ich sie täglich vor mir, die schöne, blaue Donau, die aber nur zu besonderen Zeiten, etwa an goldig-milden Herbsttagen oder, dunkler noch, im Winter, wenn die Eisschollen treiben, diese ihre eigentlichste Farbe zeigt, vornehm und trotzig wie angelaufener Stahl und doch auch verheißungsvoll und unendlich wie das Blau des Himmels, das sich darüber spannt. Jetzt bin ich täglich bei ihr, gehe den Treppelweg entlang, auf dem mir bisweilen die riesigen, braunglänzenden Pinzgauerhengste eines Schiffszuges mit dem breit im Sattel sitzenden »Merigamer« entgegenkommen, die auf der Berg- oder Naufahrt begriffen sind, blicke über die weite, von hohem goldgelben Steinklee bestandene Heidefläche, die süßen, würzigen Duft, den man fast zu schmecken meint, aussendet, – den blinkenden Fluß zu den dunkelnden Wienerwaldbergen, von denen helle Wiesen grüßen und die silbrigweißen Stämme keuscher, einsamer Birken, aus denen sich in Mondnächten schlanke Lichtelfen herauslösen mögen. Blicke hinüber in den dichten lautlosen Auwald, an dem behende, fragende, neugierige Wellen immerzu vorübereilen – aber nie erfahren sie das Geheimnis, nach dem sie so fröhlich lüstern sind. Schaue auch nach den runden, sanften Kuppen, die, halbfremd schon, darüber noch ins Bild lugen. Aber am stärksten zieht es meine Blicke doch immer wieder nach den glitzernden Wellen selbst, die das Sonnenbild trinken und immerzu, in unendlicher Stetigkeit, daherhasten, drängen, tänzeln und wiegen und die der schimmernde Leib dieses herrlichen, mächtigen, geliebten Stromes sind, der wie ein Allvater durchs Land zieht, nach beiden Seiten Ausschau hält, ob die alte Ordnung noch gewahrt werde, und sich doch nicht halten läßt, vorüberwallt, dahineilt und doch zurückkommt, vergeht und entsteht, begrüßt, Abschied nimmt und doch immer da ist.

Die Donau! Vor kurzem haben sie wieder eine kunstreiche, wunderlich verkreuzte Brücke über sie geschlagen und die Eisenbahn rennt durch das eiserne Gestänge, als wäre es festes Land und als könnte es gar nicht anders sein. Und es ist doch noch gar nicht lange her, da war es noch anders, ganz gewiß. Da sind unsere Landesbrüder von drüben nicht so leicht herübergekommen und die Hiesigen nicht so bald zu den »Enterdanigen«, wie sie hier noch immer sagen. Dazwischen war ja der Strom, der breite, mit seinen lispelnden, fragenden Wellen, die aber nie lange gefragt haben, wenn sie einen entführen wollten, der sich ihrem Spiel allzu sorglos anvertraut oder auf schwankem Kahn in den Auwald hinüberruderte, um Holz heimzubringen. Heute fährt die rußige Maschine über Wald und Strom und ob Berg oder Wasser ist, das scheint sie nicht zu kümmern, und der darin sitzt in dem wohlverwahrten Wagen, der braucht sich auch nicht darum zu kümmern und sieht es gar nicht und ist schlafend derweil um viele hunderte Kilometer weitergekommen und wenn er des Morgens den Ortsnamen, der draußen ausgerufen wird, auf der Karte seines Reisehandbuches sucht, so findet er, daß die Gebirge, Flüsse und Ebenen, die herum sind, schon ganz andere Namen bekommen haben. Und setzt sich vielleicht dort fest, nimmt ein Weib und gründet seinen Hausstand und wird Bürger im fremden Lande. Solches hat sich freilich immer schon ereignet, aber dann waren es doch nur seltene Ausnahmen. Der Donaustrom allein war eine Marke, die die Leute innerhalb beider Hälften des niederösterreichischen Landes selber schon festhielt. Die im Süden, wo die Berge sich recken, als wollten sie's den Alpengipfeln weiter drinnen gleich tun, redeten als von etwas Fremdartigem von dem Wesen und Treiben ihrer Landsleute drüben, wo es fast keine Berge gäbe, aber sonnenheiße Flächen, die für Gold auf den Feldern und Silber auf den schwarzen Bauernwesten sorgen. Und die Bächlein dort rännen nur trüb und langsam dahin, aber um so lieber steige das Naß der Erde in die schweren Trauben der Weingärten und statt Milch sei Wein der tägliche Haustrunk. Die Bauern oder und unter dem Manhart, wo der »Bua« zum »Bui« wird, und nicht seinen »Huat«, sondern seinem »Huit« juchzend, wenn er überhaupt juchezen kann, in die Lüfte wirft, aber hatten wieder seltsame romantische Vorstellungen von den Alplern, hinter denen schon die Steiermark mit der Mariazeller Gnadenmutter sei, wo so furchtbar hohe Berge wären, daß es auch im Sommer winterlich kalt sein könne, wo sie Vieh und Holz in Fülle hätten, aber Pferdefuhrwerk kaum brauchen könnten, weil sie ihre magere Ernte auf dem Rücken zu Tal tragen müßten. Übrigens wurden solche Kenntnisse nur bei besonderen Gelegenheiten, etwa in der winterlichen Spinnstube und am Herdfeuer, ausgekramt, wo die Stimmung der Stunde Fernes und Fremdes heranträgt, und zu einem Gespräch über die Türkei war es dann nimmer weit. Sonst aber dachten die von hüben und die von drüben wenig eins ans andere, weil sie zu wenig Berührung miteinander hatten. Und war es zwei Braven, zwischen deren Wiegen die Donauwellen ihre Lieder sangen, von der Vorsehung bestimmt, daß sie zusammenkommen, daß sie eins sein sollten für ihr ganzes Leben, so war das in der Regel keine so einfache Sache. Da mußte schon lange vorher ein schwebeleichter Faden und wieder und wieder einer, wie vom Wind vertragen, übers Wasser ziehen, daß sie sich kreuzten, ineinander verfingen und allmählich ein festes Band als Brücke flochten, auf dem die Liebesgötter fröhlich einherzogen. Im besonderen aber waren da noch notwendig: ein fröhlicher Bursch, den eine süß-säuerliche Romantik um das wohlverdiente Behagen, das romantische sowohl wie auch das reale, seines irdischen Daseins betrog; eine hilfreiche Fee, die aber doch nur ein klapperdürres Frauenzimmer ist und deren Eingreifen eine sehr verschiedene Beurteilung findet; ein Windbeutel und ländlicher Don Juan, der einen gewaltigen Anlauf ins Bürgerlich-Solide nimmt, über dessen Erfolg die Besitzerin des brennendheißen, törichten Herzens zu befragen wäre, die auch dabei eine wichtige Rolle zugeteilt bekommen hat, und noch eine Reihe anderer Personen, die alle sich zur rechten Zeit zeigen werden.

*

Wenn einer heutzutage nach Pürbach will, so verläßt er in der Kreisstadt den nach Norden gehenden Wiener Zug und fährt mit der kleinen Landesbahn etwa eine halbe Stunde ein stilles Wässerlein entlang, wobei er nichts als Felder und Rebenhügel sieht und die Bezirksstraße von jener Stadt her, zwischen deren von Buben und Straßengängern zerrauften und ausgebrochenen Kirschenbäumen, die an die Stelle der schönen, ernstgeruhigen Pappeln von einstmals getreten sind, sich dann langsam die ersten Häuschen des Marktes zu schieben beginnen. Den aber umfährt der Zug fast zur Hälfte und hält erst draußen bei einer Reihe von Scheunen an, die sich wie eine Planke vor das Bild der Kirche, des Schlosses und der grünumwipfelten Dachgiebel stellen.

Einstens hingegen ging es die Brünner Reichsstraße daher, hügelauf, hügelab, über den Schricker Berg, auf dem noch immer eine weithin sichtbare Ulmengruppe lagert, und, in ein Seitensträßlein einbiegend, hatte der Reisende dann auf einmal das Dorf lieblich und in buntem Durcheinander in einer Mulde vor sich liegen, während gegen Untergang der Kirchberg jenes Städtchens mit seinem hohen, lichten Turm sich von den dahinter aufragenden Kuppen so mächtig abhob, daß es ohne viel Übertreibung wie eine wahrhaftige Gebirgslandschaft anzusehen war. Wie schön aber mußte das Bild gar in einer hellen Mondnacht sein, wenn das volle Licht des Mondes auf die breite Stirnseite des Gotteshauses und die lange Fensterfront des Schlosses fiel! Kein Laut ringsum. Aber hätte einer damals in gewissen Nächten einer bestimmten Zeit die Linien und Gegenstände mit dem Fernrohr an sich heranziehen wollen, er hätte meinen müssen, dort drunten unter den Fenstern des fürstlichen Verwalters gehe etwas verbrecherisches oder gar Gespenstisches vor. Ein Mann in Knechtskleidung öffnete leise und vorsichtig den Torflügel und geleitete einen gezäumten Schimmel heraus; doch seltsam, die Hufe gaben keinen Klang auf den Holzläden der Einfahrt und den Steinen vor dem Tor. Und hätte man schon ganz nahe dabeistehen müssen, um gewahr zu werden, wie sie mit Tüchern und Fetzenwerk umwickelt waren, daß sie das Treiben des Ausreitenden nicht verrieten. Dieser aber erwartete beide, Knecht und Roß, in hohen Reitstiefeln, eine flotte Studentenmütze auf dem Kopf, draußen an der Straße.

»Wirst du auch den Mund halten können, Hias?«

»Aber, junger Herr!« beteuerte der Knecht im Flüsterton, indem er die Füße des Tieres freimachte und die Riemen nochmals anzog.

»Um fünf Uhr früh lieg' ich wieder in den Federn!« Und schon hat sich der Jüngling in den Sattel geschwungen und jagt hinaus in die Winter- und Faschingsnacht und denkt nicht mehr daran, daß der Herr Vater aufwachen und nach ihm fahnden könne. Die Gedanken sind ihm weit voraus und längst droben in Nikolsburg, wo er bei den Piaristenpatres im Gymnasium saß, ehvor er in die herrschaftliche Schreibstube gesteckt wurde, und wo es jetzt im Tanzsaal beim »Wilden Mann« seit zwei Stunden von Mund zu Mund geht: »Heut kommt der Völtz! Da kann es lustig werden!«

Hätte der Beobachter indes am hellichten Tage zu den Fenstern hineingeschaut, hinter denen Gottlieb Völtz über seinen Kontobüchern saß, er hätte ihn an seiner Feder kauen sehen mit einer Miene, die nicht zu dem frischen Blut stimmen wollte, das in seinen Adern pulste. Und wäre einer gar imstand gewesen, in das Innere dieses Jünglings zu gucken, er hätte gewußt, wie schlecht sich dieser mit seiner Tagesarbeit abfand und wie sehr er jene Glücklicheren unter den ehemaligen Mitschülern beneidete, die nach Wien an die Hochschule hatten ziehen dürfen. Er hielt's nicht aus in seinem Pürbach. Und setzte es vor Ablauf eines halben Jahres richtig durch, daß endlich auch für ihn ein Morgen kam, an dem er im blaugepolsterten Postwagen lehnt, mit einem Postillon in Stulpen und gelbausgeschlagenem Frack auf dem Bock, und nach der Kaiserstadt reist, wo er eine Zeitlang in der fürstlichen Hofkanzlei Dienste tun soll, viel auf der Universität herumstöbert und dazwischen noch immer Zeit genug findet, mit schönen Wienerinnen schön zu tun. Und während manche gute Nikolsburgerin, mit der er eine Nacht durchtanzt hatte, sich noch immer als künftige Frau Verwalter oder Amtmannin von Pürbach sieht, sitzt er eines Tages schon in dem safrangelben Zimmer des Herrn Harbacher, bürgerlichen Seidenzeugfabrikanten in der Schottenfeldgasse, und eine schmale, blasse Blondine mit wässerigen Augen und einer Spitznase lispelt schwärmend zu ihm auf: »Es muß so romantisch sein bei Ihnen auf dem Lande!« worauf der Gottlieb einfach sagt: »In Wien gefällt's mir schon besser. Besonders dort, wo Sie sind, Fräulein Elvira!« Das Fräulein Elvira errötet ein wenig und haucht: »Wie schade, daß wir nächste Woche schon aufs Land ziehen! Aber Sie müssen uns besuchen, draußen in St. Georgen! Papa hat es schon gesagt, er will Ihnen seine Weingärten zeigen.« Und seufzt, daß der gute Gottlieb einen Augenblick meint, es müsse recht schlecht stehen um diese Weingärten.

Nein, da brauchte er sich keine Sorge zu machen. Es ging einem das Herz auf, sah man die blanken oder in Sturm und Regen grau gewordenen Stecken mit den hinauf und hinüber rankenden Rebenzweigen die Höhen gegen den Wienerwald nach drei Seiten zu hinanmarschieren. Das sind die nicht so weit gedehnten, aber umso gesegneteren Rieden südlich der Donau. Aber sooft man sich umwendet und wenn lang kein Haus mehr zu sehen ist, steht der Kirchturm von St. Georgen mit den vier gehelmten Erkern an seinem hohen Satteldach breit und trotzig da. Und man wird sich ihn und Platz und Gäßlein ringsum ebensogut ansehen müssen, wie Pürbach drüben nächst der Straße ins mährische Land. Denn just zwischen diesen beiden Orten fing das Schicksal nun sein Gewebe zu spinnen an. Es waren nicht alle Fäden gleich im Wert, aber einer darunter war gar sein und köstlich und dabei stärker doch als alle andern – so stark wie wackere Herzen sind.

*

Ein duftender Juniabend. Im dunklen Garten hinter dem gelben Landhäuschen mit den weißen Fensterläden sitzt Gottlieb Völtz aus Pürbach mit dem Fräulein Elvira Harbacher vom Schottenfeld in Wien. Eben entläßt er ihr Gesicht, das seine Küsse heiß gemacht hat, aus seinen festen Händen und lacht vor Fröhlichkeit. Da macht sie »Pst!« und weist zurück ins Gebüsch, durch das man aus dem Nachbargarten die Schritte und das Geflüster Vorüberwandelnder hört.

»Wer ist das?« fragt Gottlieb.

Statt einer Antwort blickt die Geliebte zum Himmel auf und seufzt: »Das hat sich der große Sonnenkönig in Versailles nicht träumen lassen!«

»Was?« macht Gottlieb erstaunt und steht auf, um ihr ins Antlitz zu sehen. »Der vierzehnte Ludwig von Frankreich? was willst du mit dem?«

»Still!« wispert sie, »sie könnten uns hören. Und eigentlich soll man davon nicht reden. Aber ist es nicht zu arg: hat einen wahrhaften König zum Gemahl gehabt und will nun einen gemeinen Lebzeltergesellen heiraten!«

»Die Frau Höfinger von nebenan? Da muß ich wohl lachen. Was du jetzt wieder zusammenschwärmst! Du willst immer auf hohe Dinge hinaus.«

Das Mädchen rümpfte ein wenig die Nase und erwiderte dann mit einem leisen Bedauern im Ton ihrer Stimme: »Ja, ja, mein Gottlieb, das sind eben Dinge, um die man sich vielleicht bei euch da draußen nie gekümmert hat. Aber Papa und Mama lesen alle Tage die Zeitung und der Papa hat einmal auch eine Chronik nach Hause gebracht und seitdem kann kein Zweifel mehr bestehen. Der Wachszieher und Lebkuchenbäcker, dessen Nachbarn wir sein durften, war niemand anderer als der Kronprinz von Frankreich, der Dauphin, und Sohn der unglücklichen Königin Maria Antoinette. An ihn, der damals noch ein Kind war, haben sich die blutigen Hände der Henkersknechte nicht herangewagt, aber niemand hat mehr von ihm was gehört und er ist verschollen geblieben, bis man jetzt erst, nach seinem Tode, erfuhr, daß der, der aus der Fremde hier eingewandert, jener war, der Frankreichs Königskrone auf seinem Haupte hätte tragen sollen.«

»Und wie ist es denn bekannt geworden?« fragte Gottlieb.

Es war nicht viel Anteilnahme, eher Resignation aus seiner Stimme herauszuhören. Um so eifriger erwiderte die schmale Schöne, indem sie den Ton ihrer Rede verdunkelte: »Er ist durch Mörderhand gefallen! Vor drei Jahren an einem Sommerabend wie heute stand des Meisters Majestät, die sich zum Handwerker erniedrigt hatte, vor dem Kessel und rührte das flüssige Wachs Da kam ein vermummter Reiter die Straße dahergesprengt, eilte ins Haus, stieß dem Prätendenten einen Dolch ins Genick und war ebenso schnell wieder verschwunden wie er gekommen war. Nur ein paar Leute draußen vor den letzten Häusern haben ihn noch gesehen. Diese berichteten auch, daß er die Kleidung eines Abbés getragen habe.«

»Und hat man dann Dokumente gefunden, die der Ermordete geheim gehalten?«

»Das nicht. Die Wahrheit kam überhaupt nicht so leicht an den Tag. Die Leute hier haben nicht die Bildung, um gleich das Richtige zu finden, und auch die Witwe konnte keine Erklärung für das schreckliche Ereignis geben. Doch der Herr Gaetano Buononcini, der Chorsänger am Kärntnertortheater ist und in der schönen Jahreszeit hier wohnt, ebenso wie wir, hat es gleich gewußt und als er einmal ein in Stahl gestochenes Bildnis des unglücklichen Königs brachte, der auf der Guillotine hat sterben müssen, da sagten dann freilich alle: Der Höfinger war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten! Aber nun ließ sich nichts mehr tun und wie du siehst, hat sich seine Witwe, die sich zumindest eine Herzogin von Bourbon oder Vendôme oder Condé nennen könnte, jetzt schon soweit vergessen, daß sie sich mit ihrem Altgesellen verheiraten will, Es ist fürchterlich! O pauvre France!«

»Weißt du, Elvira,« nahm nun der junge Mann das Wort, »das habe ich auch schon gehört, daß man über den Verbleib des Königssohnes nichts weiß und darüber da und dort einer aufgestanden ist und gerufen hat, er sei der Anwärter auf die Krone, und es war doch nichts Wahres daran. So, meine ich, wird es auch hier sein und an den braven Meister hat sich nach seinem Ableben ein wunderlich Gerücht gehängt, an dem er selber schuldlos ist. Was aber den Altgesellen betrifft, so wollen wir nicht richten. Die Frau hat halt noch ein junges Herz, wie wir beide es haben.«

»Doch sie hat schon zwei erwachsene Söhne.«

»Wirklich? Mit denen will ich gut Freund werden. Aber wir zwei wollen uns nun beeilen, nicht wahr, Elvira, daß uns die Königlichen da nebenan nicht zuvorkommen?« Und er rückte an sie heran und schloß sie von neuem in seine Arme.

»Du!« machte sie und wehrte ihm nicht. Aber ein klein wenig Mißmut, daß ihre Erzählung ihn nicht in Schauer versetzt hatte, war von ihren Zügen nicht ganz geschwunden.

Ein halbes Jahr später zogen sie, einander angetraut als Mann und Weib, in Pürbach ein. Und so waren zwei, eines von hüben und eines von drüben, zusammengekommen und das war eigentlich ohne viel Umstände gegangen. Aber war es auch das Richtige? Konnten sie eins werden, ein Leib und eine Seele, der frisch und keck zugreifende Gottlieb Völtz und das schmale Fräulein Elvira mit den wasserblauen Augen, die gar nicht so tief waren, daß der gute Gottlieb mit Seel' und Sinnen darin hätte ertrinken können? – –

*

Fast zur gleichen Zeit fand in St. Georgen die Hochzeit der Frau Margaretha Höfinger mit dem Altgesellen Heinrich Loibl statt. Das war zweien nicht recht: ihrem älteren Sohne Lambert und dem Bruder des Bräutigams Jakob Loibl. Lambert Höfinger war achtzehn Jahre alt und führte das Geschäft seit dem raschen Tode seines Vaters, während sein jüngerer Bruder Ernst schon vorher als Kaufmannslehrling nach Wien gekommen war. Mit Fleiß und Tüchtigkeit hatte sich Lambert, trotz seiner Jugend, rasch in die Nachfolge des Vaters gefunden und das Haus tapfer zusammengehalten. Nun aber sagte er eines Tages: »Mutter, ich möchte, daß Sie mich auszahlen und fortlassen.«

Die Mutter sagte: »Aber Lambert!« und sonst nichts. Und nach einer Weile: »Du könntest ja dann auch noch dasein und dasselbe tun und lassen wie bisher und wie es dich freut.«

»Es wird nicht gut tun,« hatte der Sohn erwidert und an der Mutter vorbei nach der Wand gesehen. Zwei Wochen darnach war er gegangen, verbrachte anderthalb Jahre auf der Wanderschaft und saß dann in Gloggnitz im Gebirge, bleichte Wachs und buk Lebkuchen, wie es sein Vater in St. Georgen getan, und nahm ein Weib, das ein wunderschönes Gesichtchen hatte, braune Ringellocken an den Schläfen aufsteckte und Sonntags ein seidenes Busentuch über die Schultern trug. Ihre Zuckerküchlein waren weit im Umkreis geschätzt. Wer weiß, was die beiden noch Süßes in die Welt schickten? –

Jakob Loibl aber hatte es selbst auf die wohlhabende Witwe abgesehen gehabt, obwohl er gut zehn Jahre jünger war als sie und als ein liederlicher Geselle längst zu wissen bekommen hatte, wie hoch er im Anwert stehe bei ehrbaren Frauen. Zeitweise verschwand er aus dem Treiben des Marktes, und aus näherer und weiterer Umgebung drangen dann böse Gerüchte über ihn herein und liefen an seiner Statt von Haus zu Haus: wie er Schulden gemacht, jungen Mädchen die Köpfe verdreht habe, den Weibern überall nachstelle und von manchem Zechtisch geradewegs auf die Straße gesetzt worden sei. Nun aber war er nach einer lärmenden Auseinandersetzung mit dem brüderlichen Nebenbuhler ganz verschollen und blieb es ein Jahr, zwei und länger, so daß man an seine Rückkunft nicht mehr dachte und es bald hieß, vor Jahresfrist habe man noch dies oder jenes über ihn gehört, nun aber sei es ganz still geworden. Das Letzte, was dem Bruder zu Ohren gekommen, ging dahin, daß er wieder zum Handlungsgewerbe, von dem er ausgegangen, zurückgekehrt sei, aber nirgends gut tue, mit seinen Dienstherren überall Streit vom Zaune breche und endlich von Mautern, wo er sich nicht besser gehalten, über die Donau gesetzt habe. Allein dann gingen Jahre ins Land und Jakob Loibl wurde an der Stätte seiner ersten Streiche allmählich zu den Vergessenen geworfen, indessen er selber sein Wesen anderwärts weitertrieb, im Böhmischen und im Mährerlande herumstrich, nirgends festen Fuß fassen konnte und schließlich, da er schon in die Vierzig einrückte, als der bildsaubere Mensch mit dem verwegenen Geschau und dem schwarzen Kraushaar, der er noch immer war, zu Horn im niederösterreichischen Waldviertel in einen großen Laden trat und sich daselbst nach kurzer Zeit einredete, daß er es mit der Tochter des Hauses ernstlicher meine, als je zuvor mit einem weiblichen Wesen. Der Vater, der nicht nur das schöne Kind, sondern auch eine eiserne Kasse besaß, die weit und breit den Gegenstand angelegentlicher Einschätzungen bildete, wollte davon nichts wissen und entledigte sich des unwillkommenen Bewerbers, der im Handumdrehen eine Stelle bei seinem Konkurrenten erhielt und mit diesem ein um so besseres Auskommen fand, als sich der andere drüben nun gelb und grün ärgerte. Da er von seinen Nachstellungen natürlich nicht abließ, der Vater auch seine Tochter nicht so abweisend sah, wie er es gewünscht hätte, blieb dem Sorglichen nichts anderes übrig, als das Mädchen auswärts in Obhut zu bringen. Hierin hatte er nicht umsonst auf seinen Schwager gerechnet und so packten eines Tages Mutter und Tochter unter Schluchzen und Tränen den Koffer, der Vater spannte seinen Falben vor ein Steirerwägelchen und dann ging es dahin, zwei Tage lang: auf krummen und geraden Wegen, an Korn- und Kleefeldern, Erdäpfel- und Rübenäckern vorbei, zwischen Weingärten und durch dunklen Wald, und als das Rößlein anhielt, war es unter demselben Kirchturm, der einstens die nächtlichen Ausritte des frischen, fröhlichen Gottlieb Völtz gesehen hatte. Über dem Kopf des Falben aber schwebte ein Fädchen in der Luft, von fernher, als ob es sich hier verfangen wollte.

Das war wiederum wie daheim ein ländliches Kaufmannshaus, wo die Anna bei Ohm und Muhme Unterstand fand, die sie wie eine Verlorengeglaubte aufnahmen und wie ihr eigenes Kind hielten, obwohl sie genug hungrige Mäuler um die Schüssel sitzen hatten. Diese kamen, wenn es Essenszeit ward, aus der Kinderstube, hinter den Reisballen, den Kisten und Fässern des Magazinraumes hervor, aus dem Hof herein, wo der große, semmelgelbe Sultan darüber wachte, daß keines der Hühner über die Mauer sprang und die Gänse rechtzeitig aus der Schwemme heimkehrten, oder aus dem Garten endlich, wo die Zwetschken und Äpfel zu den kleinen Gästen niederhingen, auch wenn sie noch nicht ausgereift waren, wenn sie dann aber alle um den Tisch saßen, das Tischgebet gesprochen hatten und die Suppe schlürften, saß oft breitstämmig und mit gespornten Stiefeln ein räsonierender Mann auf der Ofenbank, der seine Pfeife nicht ausgehen ließ und erst wenn das Fleisch aufgetragen wurde, sich erinnerte, daß auch bei ihm zu Hause ein paar Töpfe über der Herdglut brodelten. Stand er dann auf, um sich zum Fortgehen anzuschicken, so sagte der braunlockige Toni, der älteste der kleinen Schar, immer: »Wünsch' wohl zu speisen, Herr Amtmann!« und machte erst jetzt ein fröhliches Gesicht.

Der Herr Amtmann hieß Gottlieb Völtz, aber niemand hätte in dem wenig umgänglichen Gast, dessen Züge sich so gern zu einem breiten Lachen gelegt hätten, den lebensfreudigen Gottlieb von einstens wiedererkannt. Sein liebster Weg war quer über die Straße in das befreundete Haus, wo er sich meistens gleich im Kaufladen ohne vieles Fragen hinter dem kleinen Schreibpult niederließ, auf dem die grauen Steingutkrüglein mit Schnupftabak standen und die kleine Wage, mit der dieser heikle, delikate Artikel ausgewogen wurde. Dabei trug er zur Sommerzeit stets einen grauen Zylinder, der sich von jenen Behältnissen kaum abhob, so daß ihn die Eintretenden zuerst gar nicht bemerkten, und manche Bauersfrau, die ein Lot Kaffee, der damals noch für Luxus galt, hatte verlangen wollen, aber nun das Schelten des »gestrengen Herrn« fürchtete, im letzten Augenblick ihren Wunsch auf den Lippen zurückhielt und bescheiden bloß sagte: »Um einen Kreuzer Zwirn!« oder »Um einen Kreuzer Nadeln!«

Oder der Herr Amtmann saß drinnen im Zimmer, wo gegessen wurde, und da geschah es einmal, daß die Hausmutter nach seinem Weggehen die Äußerung tat: »Ich hab' ihn recht gern den Herrn Völtz, aber daß er uns mit seiner Pfeife immer alles so anstänkert, ist mir gerade nicht angenehm.« Worauf der wackere Hausvater erwiderte: »Na, laß es gut sein, es ist ihm halt so wohl bei uns.« Da hob der kleine Anton den Kopf aus der Krautschüssel und stimmte bei: »Es paßt ihm halt viel besser bei uns. Bei der Frau Amtmannin zu Hause gefällt's ihm wahrscheinlich nicht so gut!« Die Betroffenheit der Eltern setzte sich in ein gelindes Kopfstücklein um. Aber sie hatten beide Mühe, das Lachen zu verbeißen.

*

Eines Tages kam der Amtmann in den Laden, sagte zu dem Kaufmann, daß er seine Schweine sehen möchte, winkte beim Durchgehen die Frau aus der Küche, herrschte den Toni an, der sich hatte anschließen wollen, und eröffnete draußen im Hof den beiden, die schon erkannt hatten, daß es sich um Außerordentliches handle: »Der Loibl Jakob ist da!«

»Um Gottes willen!«

»Drüben in Frohsdorf will er sich ankaufen. Heut' früh hat er mich angesprochen und gefragt, ob es mir noch so gut gehe wie in St. Georgen, der Haderlump!«

»Was ist da zu tun?« jammerte die Hausmutter tief bestürzt.

»Auf die Anna achtgeben,« sagten die beiden Männer gleichzeitig.

*

»Der Loibl Jakob ist da,« sagte der Amtmann am selben Tage auch droben im Schloß, als er sich der Amtmannin gegenüber zu Tisch setzte.

»Der Arme!«

Gottlieb Völtz sah auf, er wußte nicht, wo dieser Laut, kläglich, halb gehaucht, hergekommen. Das Gesicht der Frau Elvira war schon wieder erstarrt. Er bezwang sich und fuhr fort: »Eigentlich sollte man das Mädel heute noch fortbringen.«

Da ward ihm die Antwort: »Das treue Werben dieses seltsamen Menschen ist wirklich rührend. Er hat schon zuhause immer etwas so Romantisches in seinem ganzen Tun und Treiben gehabt, wandert der Erwählten seines Herzens nach und weiß sie zu finden, wo sie auch seine Widersacher versteckt halten mögen. Kein Hindernis schreckt ihn und wenn es mit rechten Dingen auf Erden zugeht, so wird ihm eines Tages doch noch sein Lohn werden.«

In diesem Augenblick hätte sich der Herr Amtmann an einem Hühnerknöchelchen beinahe verschluckt.

*

Freilich wurde dem Beharrlichen sein Lohn. Dafür sorgte schon die Anna selber. Und die Frau Amtmannin, die sich das ganze Jahr nicht auf der Straße sehen ließ, war nun auf einmal rührig geworden. Es schien, als hätte sie das Mädchen, mit dem Ohm und Muhme nicht mehr zurechtkamen, zu ihrer Vertrauten gemacht. Der Hausvater erkannte die Gefahr und traf alle Vorbereitungen für die Heimkehr des jungen Wesens. Allein bevor es noch zur Ausfahrt kam, wurde er zum erstenmal mit einem Besuch der Frau Elvira beehrt, die ihm mit der Ankündigung ins Haus fiel, der immer böswillig verschwärzte Werber werde sich in der nächsten Stunde geziemend vorstellen. Er sei zeit seines Lebens nicht verstanden worden, übrigens gedenke er ohnehin ein neues Leben anzufangen und so weiter. Die Nichte, die an der Tür gelauscht haben mochte, kam hinzu und ließ ihre Tränen fließen. Die Muhme wurde weich, der Oheim aber wußte, was die Stunde geschlagen habe. Schneller als sie hergekommen, wurde die Anna wieder zu ihren Eltern heimgebracht.

Am Tage danach folgte ihr Jakob. Es gab Lärm und Heulen, Beteuerungen und Verzweiflungsausbrüche, ein hartes Vaterherz, das begütigende Fürsprecherinnen zum Auftauen zu bringen suchten, Versprechungen in Hülle und Fülle, ein langes Schweigen und noch längere Belehrungen und zum Schluß eine Verlobung mit darauffolgendem elterlichen Segen. Zur Hochzeit kam der Pürbacher Oheim zum zweitenmal herüber und hatte seinen Ältesten mitgenommen, ihm ein Stück von der Welt zu zeigen. Der Pfarrer hielt eine rührsame Ansprache, und damit war es unwiderrufliche Tatsache geworden, daß Jakob Loibl und die Horner Kaufmannstochter ein Paar seien – wieder eines davon von hüben und eines von drüben. Aber waren es jetzt die Richtigen? Zwei, füreinander bestimmt, daß sie eins würden mit Herz und Seele, die arme törichte Anna und der lockere Vogel und Flausenmacher, den ein Wind (war's ein guter, war's ein schlechter?) die Donau herüber getragen hatte?

*

Als der Pürbacher Hausvater sich's daheim wieder bequem gemacht hatte, saß der Amtmann bei ihm und ließ sich seine Erlebnisse aus den zweifelhaften Festtagen berichten. Da sagte der Hausvater auch: »Mit meinem Toni ist's eine eigene Geschichte. Der Bub hat sich den ganzen Tag im Gewölbe herumgetrieben und war kaum an die Luft zu bringen. Alle Augenblicke ist er zu mir gelaufen gekommen und hat gesagt: Vater, das Salz kostet da soviel und das Brennöl soviel! Daß schon alle lachten und ihren Spaß daran hatten, und mein neuer Herr Neffe, dem dieser Eifer sehr gefiel, die Meinung aussprach: Der Bub muß auch Kaufmann werden! und als er hörte, der Toni gehe nun bald ins Dreizehnte, hinzufügte: Aber der muß gleich nach Wien und soll nicht auf dem Land versauern. So wahr mir heute meine Eheliebste angetraut worden ist, ich brauch' dem Ernst Höfinger drinnen nur eine Zeile zu schreiben und er nimmt ihn in die Lehre! Und indem er sich zu mir wendete: Das ist nämlich der Sohn meiner Schwägerin aus ihrer ersten Ehe. Er hat jetzt ein großes Materialwarengeschäft in der Kärntnerstraße und gibt was auf mein Wort.«

Der Amtmann sah nachdenklich vor sich hin und sagte dann: »Ein Haderlump ist er, der Loibl Jakob, aber ein dummer Kerl ist er nicht! Der Ernst Höfinger wird einen Pfifferling auf seine Rede geben, auch wenn er zum erstenmal sein Wort halten und nach Wien schreiben sollte. Aber ich kenne ja den braven Ernst selber von St. Georgen her und daß er noch an mich denkt, hat er mir oft sagen lassen, wirklich wahr, auf diesen Gedanken wär' ich nicht gekommen! Und recht wär's Ihnen doch, gelt! Na, das ist ausgezeichnet, und für den Buben wüßt' ich mir gar nichts Besseres!«

Und er drückte dem Freunde herzlich und kräftig die Hand.

*

Nun aber tritt der Pürbacher Schulmeister auf den Plan. Er nimmt eines Tages einen wunderschönen, wie ein Opal schimmernden Gänsekiel zur Hand, schnitzelt daraus mit vielem Bedacht eine gediegene Schreibfeder, rückt an seiner Brille herum und hält dann ein Blatt Papieres vor sich hin, dessen Inhalt er mehrmals heruntermurmelt, bald dort noch ein Kleines einrenkend, noch ein Strichelchen beisetzend, um dann mit selbstzufriedener und milderer Stimme als sonst seinen Schüler heranzuwinken: »Da komm' her, Toni! Hast dich schön gewaschen? Da setz' dich nieder! Siehst den Faulenzer? Gelt, auf einem so schönen, weißen Papier hast noch nicht geschrieben? Also, jetzt gib acht! Da mußt anfangen, so wie ich dir's vorsage.«

Der erste Bogen mißlang. Der zweite aber wurde ohne Unfall zu Ende geführt und es stand, genau nach dem Diktat des Schulmeisters, nun folgendes darauf zu lesen:

 

»Wertester Herr!

Ihrem Wunsche gemäß nehme ich mir die Freiheit, Ihnen zu schreiben. Ein großes Vergnügen würde es mir sein, wenn ich mich unter Ihrer Leitung zu einem tüchtigen und brauchbaren Menschen ausbilden könnte. Und da dieses nach Ihrer Äußerung auf die Anfrage des Herrn Amtmannes vielleicht bald sein könnte, so ersuche ich Sie höflichst darum und verspreche Ihnen zugleich, Ihren Wünschen durchaus nachzukommen.«

 

Dann noch die achtungsvolle Unterzeichnung des Gesuchsstellers und damit war der Brief fertig, eine kurze, sachliche Vorstellung und zugleich Schriftprobe, als welche sie sich, schön und rein, wie sie war, gewiß sehen lassen konnte mit ihren festen Zügen und ihren großen und schlanken Buchstaben, bei denen die Ecken bedrohlich spitz, die Bogen aber um so wohler gerundet erschienen, während die Schlinglein zierlich ins Weiß des Papieres hinausgeführt waren und die langen unten beginnenden Haarstriche, mit denen man damals noch gern das Mittel-S, das scharfe und das mit einem »t« zusammengezogene schrieb, wie mit Lineal und Reißfeder fein hingesetzt sich zeigten. Die »I« in »Ihnen« und »Ihrer« reckten sich stolz zur Höhe, das große »H« aber war geradezu verbindlich hingehaucht – das ganze »wie gestochen«, wie der bewundernde Ausdruck aller guten Bürger heute noch lautet.

*

Als Herr Ernst Höfinger in seiner Schreibstube zu Wien den Brief des Pürbacher Knaben gelesen hatte, nickte er lächelnd, sagte für sich: »Hm, das ließe sich ja nicht übel an!« und entfaltete das nächste Stück seiner heutigen Post. Das waren wieder so jugendliche Schriftzüge, schulgerecht und appetitlich nebeneinandergesetzt, nur weiblich feiner als die früheren, und dieser Brief lautete:

 

»Lieber Herr Onkel!

Im Auftrage meines lieben Vaters habe ich Ihnen zu bestätigen, daß die 15 Brot Zucker richtig bei uns in Gloggnitz eingelangt sind. Aber eigentlich sage ich viel lieber: fünfzehn Zuckerhüte, und einem war der Spitz abgebrochen, aber das macht nichts. Wissen Sie noch, wie Sie einmal gesagt haben, ich sei gerade so groß wie ein Zuckerhut? Nun bin ich gewiß schon so groß als ihrer zwei, übereinandergestellt, und der Vater meint, wenn ich mich strecke, werde ich mir von dem Ganserlberg, der bei Ihnen sein soll, aus die Wienerstadt bald ganz genau ansehen können. Was das heißt, verstehe ich nicht recht, aber es muß etwas daran sein, weil er mit der Mutter jetzt öfter von Wien spricht. Gesund sind wir alle, was wir auch von Ihnen hoffen und der Frau Tante. Und vorige Woche haben wir einen neuen Lebkuchen erfunden, der allen Leuten sehr gut schmeckt. Ich bekomme auch einen, wenn ich diesen Brief geschrieben habe. Ich schließe deshalb und verbleibe Ihre dankschuldige Nichte

Leni.«

 

Eben trat Frau Höfinger herein, die einen Gang durch die Stadt vorhatte.

»Da schau, Friederike, eine große Neuigkeit,« sagte ihr Mann und reichte ihr den Brief aus Gloggnitz. »Das kleine Fräulein verrät da allem Anschein nach ein Geheimniß. Dem Lambert sieht dies wohl ähnlich. Einmal hat er schon eine derartige Andeutung gemacht und vielleicht ist er jetzt schon in Wien und kommt erst zu uns, bis er seinen Ankauf ins reine gebracht hat. Wahrscheinlich fürchtet er, ich traue ihm nicht zu, daß er auch in Wien auf einen grünen Zweig komme, und will uns vor eine fertige Tatsache stellen. Aber er hat einen klaren Kopf und was er sich einmal vorgenommen, ist ihm noch immer geglückt. Nur dürfen wir uns nichts merken lassen, denn daß der kleine Naseweis uns schon soviel verraten, braucht er nicht zu wissen.«

»Dein Liebling!« lächelte die Frau. »Und was ist dieser andere Brief?«

»Der ist von unserm neuen Lehrjungen.«

»Ei, die beiden passen gut zusammen.«

»Ja, das sind zwei junge Menschenkinder, die schon früh von dem Boden ihrer Heimat losgerissen werden und in ein neues Leben hinausmüssen. Hoffen wir, daß es ihnen wohlergehe auf der Wiener Erde.«

»Vielleicht machen beide hier ihr Glück,« fügte Frau Friederike hinzu.

*

Drei Wochen danach, am letzten Juni, fuhr der Kaufmann aus Pürbach, dessen Namen ganz unwillkürlich hier noch nicht genannt wurde, im Poststellwagen mit seinem Erstgeborenen nach Wien. Völlig neu war dem Toni diese Fahrt nicht. Etwa ein Jahr vorher war er ebenso dahin gefahren, zur Firmung in der Stefanskirche, aber es schien ihm, als wäre seine damalige Aufregung eine fröhlichere gewesen, so heiter er sich auszusehen bemühte und nimmer an die Tränen zurückdenken wollte, die er, ganz erschreckt, seine Mutter beim Abschied hatte weinen sehen. Ihm gegenüber saß ein dicker Herr, der über die Hitze schimpfte und dann, auf ihn zeigend, den Vater fragte:

»Führen Sie den nach Wien?«

»Ja, in die Lehr'.«

»Aha, deshalb schaut er so drein. Na, nach fünfzig Jahren wird er schon ein anderes Gesicht machen.«

Das war ein Wort von wunderbarer Tiefe. Man denkt fürs erste gar nicht dran, was für solide Weisheit darin steckt. Der dicke Herr dachte anscheinend auch nicht daran, denn er sah bei dieser freundlichen Rede und auch vor- und nachher gar nicht so angestrengt aus.

Allein das Nachtessen beim »Pfauen« am Tabor, wo der Stellwagen seinen Standort hatte und der Vater bei seinen Geschäftsreisen nach der Hauptstadt immer Quartier nahm, ließ sich ganz gemütlich an und die Frankfurter Würstlein, die dem Hungrigen, nachdem er mit einem Fleischgericht schon aufgeräumt, noch besonders zugelegt wurden, waren kein übler Vorgeschmack für all die guten Dinge, die es in dieser Stadt geben sollte. Am nächsten Morgen wurde mit dem frühesten aufgestanden. Der erste Gang galt dem Stefansdome. Da war es so still und dunkel, so ganz anders als voriges Jahr zu Pfingsten, wo die vielen hellen Kerzen brannten und Priester und Alumnen geschäftig ab und zu eilten, jedes Schiff der Kirche von erwartungsvollen oder schon befriedigten Kindergesichtern erfüllt war. Der Vater betete lange und Toni reihte alle Bitten an sein Vaterunser, die ihm die Mutter noch in letzter Stunde ans Herz gelegt hatte. Dann aber ging es hinaus und keine hundert Schritte weit, so hielt der Vater schon. »Da wären wir,« sagte er, doch die grauen Laden waren noch geschlossen und eiserne Balken mit schwarzen Vorhängeschlössern lagen davor. »So ist es deinem Großvater auch schon gegangen,« fuhr er fort und lachte, als wollte er ein Bangen von beiden verscheuchen. »Wir sind die, die überall zu früh kommen. Mach es auch so, Toni, es wird dir nie leid tun, wenn du zu früh dran bist. Aber das Zuspätkommen hat schon manchen gereut.«

»Ja, Vater,« beteuerte der Sohn, »ich will immer zu früh kommen!«

In diesem Augenblick trat ein Hausdiener aus dem Tor, machte sich mit gewohntem Griff an die Riegel und gleich darauf rief der Vater: »Da ist auch schon der Herr Schmidt, wenn ich nicht irre.« Nun kam auf einmal Bewegung in alles. Die Läden und Türen taten sich auf, die Auslagfenster ließen eines nach dem andern Licht in das Gewölbe, in das die beiden Fremden eintraten und wo eine Menge Hände sich zu rühren begannen. Herr Schmidt, der Buchhalter, begrüßte den Vater und empfing den Zögling, der auf die Fragen, die an ihn gestellt wurden, ein paarmal »Ja« und ein paarmal »Nein« sagte, so wie es sich gehörte, und sich dann, während die beiden Männer ins Gespräch kamen, mit großen Augen in der Runde umsah. Auf einmal sagte der Vater: »Also Toni, mach dich nützlich! Ich habe jetzt ein paar Gänge zu tun und komme wieder, wann der Herr von Höfinger hier ist.« Der Herr Schmidt wies ihm, wie er sich nützlich machen könne: dort bei einem grauen Fenster stand ein wackliger Tisch, auf dem verschiedene Stöße grauen, braunen und blauen Papieres lagen. Ein Kleistertopf stand daneben. Toni begriff sofort. Hier handelte es sich ums »Gacklpicken«, das schon zu Hause eine Lieblingsbeschäftigung von ihm gewesen war. Ohne Umstände machte er sich daran und faltete und klebte graue, blaue und braune Säcke und Säckchen für Kaffee und Waschsoda, Reis und Fernambukholz, Zucker und Blauvitriol. Als es Mittag war, hatte er schon fast den ganzen Vorrat aufgearbeitet. Inzwischen war der Herr Höfinger gekommen und er ihm vorgestellt worden, hatte sein Vater bei diesem vorgesprochen und von ihm selber Abschied genommen, war der Tag hell und goldig geworden, daß die Pürbacher Kinder in die Felder stürmten, wo die Libellen über den Wassergräben in allen Farben schillerten. Das Fenster aber, an dem der Toni sein Geschäft verrichtete, war noch immer so staub- und spinnengrau wie es am Morgen gewesen.

Er hielt treulich Wort. Jeden Tag war er der erste, der aus dem Leutezimmer herunterkam, und traute sich bald bis zu dieser, bald bis zu jener Ecke zu laufen, um dort weiter auszulugen, und war doch immer noch früh genug an seinem Platze. Am Sonntagsmorgen aber trabte er noch viel früher aus dem Tor und durch die Rotenturmstraße über die Schlagbrücke bis zum Tabor: er wollte beim »Pfauen« wieder einmal den Pürbacher Stellwagen sehen und dabei sein, wann er abfahre. Richtig, da stand er schon. Die Pferde waren schon vorgespannt, der Kutscher ging ab und zu, das Letzte in Ordnung zu bringen. Dann kam ein stattlicher Herr in Jagdanzug mit zwei jungen Fräulein und eine ländlich gekleidete Frau mit einem Knaben, der gerade so groß war wie er, und stiegen ein. Na, dachte der Toni, jetzt wird es gleich losgehen! Aber es ging noch nicht »los«. Was gibt es denn noch? Das dauert aber lange! Er wird ganz fröhlich in seiner Erwartung und möchte selber anschieben, daß der Wagen sich rühre. Aber jetzt! Der Postillon besteigt den Kutschbock, der Hausknecht überprüft noch einmal das Riemenzeug, die Abschiednehmenden drängen sich unter dem Torbogen. Endlich! Juhu! möchte der Toni rufen, wie der Wagen einen Ruck tut, aber, seltsam, im gleichen Augenblick ist es ihm, als hätte er diesen Ruck mit heftigem Schmerz in seiner Brust selber verspürt. Er schaut, sucht sich zu fassen und wie er wieder aufblickt, ist der Wagen schon weit davon – und er ist hier geblieben! Er darf ja nicht mitfahren! Die sind in ein paar Stunden draußen, dort, dort, wo all sein Liebstes ist, und er muß ja da bleiben, in der fremden, grauen, finsteren Stadt! Und so ist er trübselig zurückgegangen und hat sich seiner Tränen nicht geschämt.

*

Da ließ sich der nächste Sonntag anders an.

»Heut sollst du sehen, Toni, daß es auch bei uns Gras und Bäume gibt,« hatte der Lehrchef in guter Laune morgens zu dem helläugig dreinblickenden Jungen gesagt und am Nachmittag durfte er mit Herrn und Frau Höfinger und ihren beiden Töchtern, die einige Jahre älter waren als er und freundlich mit ihm scherzten, hinaus vors Tor, wo viele fröhliche und geputzte Menschen sich ergingen.

»Man muß sich seiner annehmen,« meinte Herr Höfinger, »er ist guter Leute Kind. Und unser Lambert wird nichts dagegen haben, wenn wir noch einen Gast mitbringen.«

»Gewiß nicht und gar heute, wo er ganz in seinem Glück ist im neuen Heim.«

»Ich habe mir schon vorgestern alles angeschaut. Er hat's gut getroffen und hat pfiffig gelächelt, als ich mit meinem Beifall nicht kargte. Mit wenig Geld ließen sich Haus und Hof instand setzen und zum Garten brauchte er nichts hinzuzutun, der ist ohnehin schon groß und schön genug, wir müßten nun alle Sonntage kommen, meinte er. Das wird freilich nicht gehen, allein ich denke, selten wollen wir uns nicht machen. Der Garten ist was für die Kinder und auch uns wird es wohltun, in behaglichem Geplauder einen oder den andern Sonntagnachmittag draußen zu verbringen.«

Eine Stunde später war die Gesellschaft im Grünen verteilt. Man hatte sich herzlich begrüßt, einen ersten Rundgang durch alle Räume des Hauses und die kleinen Nebengebäude gemacht und Toni war mitgegangen, als ob er zur Familie gehöre. Nun aber hatten sich die Alten, von ihren Angelegenheiten redend, im kühlen Gartenhaus zusammengetan und die Buben liefen lärmend weg und kümmerten sich nicht um ihn, und so war er auf einmal vereinsamt, schlenderte verlegen und ungesehen zwischen den Beeren umher und näherte sich immer mehr dem Hof, wo ihn der große, gutmütige Waldmann interessierte und aus den offenstehenden Fenstern der Backstube ein warmer, süßer Duft strich. Dann wußte er sich nichts mehr anzufangen, gängelte wieder zur Gartentür und wieder in den Hof zurück und saß hierauf die längste Weile dort auf einem Bänklein, wie auf ein gutes Wort wartend oder einen Dienst, den er mit Freuden getan hätte. Und erbarmte sehr einem kleinen, zierlichen Fräulein in hellblauem Kleidchen, das eben aus dem Garten hereingehüpft war und sich, wie er mit Verwunderung merkte, in der Küche mit vielem Eifer daran machte, Feuer zu zünden, Kännchen und Schalen zurechtzustellen und die Milchpfanne nochmals blank zu scheuern. Nun holte sie eine große Kaffeemühle hervor, füllte sie mit den gebräunten Bohnen, zögerte dann ein wenig, setzte sich hin, stand wieder auf und schickte einen teilnehmenden Blick zu dem kleinen, einsamen Gast hinaus, der sich sofort bemühte, recht gleichgültig ins Blaue hinaufzusehen.

»Du,« hörte er dann eine schüchterne feine Stimme, »kannst du Kaffee reiben?«

»O ja!« und schon sprang er freudig auf, hatte die Mühle zwischen den Knien, drehte die Kurbel und es war wie ein Wunder, daß die Bohnen nicht nach allen Seiten auseinanderflogen. Sah er nun munter drein, so war das kleine Fräulein nicht weniger glücklich über ihren Einfall und schoß geschäftig hin und her, hatte noch einen Gang in die Stube und einen in den Keller und einen in die Vorratskammer. Dann aber blieb sie vor ihrem Gehilfen stehen und mußte hellauf lachen: »Ja, was treibst du denn? Es ist ja längst schon alles durch!«

Toni hielt an. »Ah so!« stammelte er und wurde glühend rot.

»Es macht nichts,« sagte die kleine Hauswirtin und füllte den Inhalt des Lädchens in die Kaffeemaschine. »Wie heißt du denn?«

Toni nannte seinen Namen.

»Ich heiße Leni.«

Bald danach kam die Mutter, lobte den Eifer ihres Töchterleins und des fremden Knaben, der sich nun weiter dienstfertig umtat und in einer halben Stunde überall ein und aus wußte, als wäre er hier zu Hause. Nun tauchten auch des Mädchens Brüder wieder auf und machten ihn zu ihrem Spielgefährten. Und als sich der kleine Pürbacher am Abend zur Ruhe streckte, meinte er, einen so schönen Tag habe er doch noch nicht erlebt wie diesen heutigen. – –

*

Nun habe ich lange nicht mehr an meiner Geschichte weitergeschrieben. Ein Frühsommer voll gesättigter Düfte, mit glänzenden, rauschenden Baumwipfeln, Taubenflügen und Lerchentrillern in der Luft hat mich immer wieder hinausgezogen. Ich dehnte meine Morgengänge bis zum Mittag aus, lag nachmittags mit einem guten Buch unter den Büschen an der Donau und kehrte auf weiten Umwegen erst bei Mond- und Sternenlicht schlafensmüde in meine Behausung zurück. Seit langen Jahren habe ich diese Gegend fast nur mehr an Sonntagen gesehen und bin nun erstaunt und glücklich, wie in den stillen Wochen noch immer der volle, liebe, alte Zauber hier waltet, den wir aus den Werken der großen Tonmeister unserer Stadt herauszufühlen meinen. Nicht einmal das mittelalterliche Burgfest, das kürzlich in der benachbarten Ruine und ihrer Umgebung veranstaltet wurde, konnte mir ihn zerstören. Ich bin geflohen und habe lächeln müssen über das, was mir nachher darüber erzählt wurde. Was sind das doch für seltsame Menschen! Verkleiden sich als Ritter, Junker und Edelfrauen und haben unter ihren blonden Lockenperücken den Zwicker auf der Nase sitzen, daß ihnen die bewundernden Blicke der Gaffer ja nicht entgehen, die aus der Großstadt zu Tausenden herausströmen. Träumen sie wirklich noch von einer guten, das heißt besseren alten Zeit, der sie näher zu sein glauben, wenn sie mit ungeschickten Gesichtern in die Tracht vergangener Jahrhunderte schlüpfen, jener Zeiten, da ihre Väter vielleicht die Leibeigenen gerade desselben hochfahrenden Ritters waren, den sie gar stolz verkörpern möchten? Hat es unsere Zeit nicht wirklich in so vielem »herrlich weit gebracht«? Und ist es nicht auch heute »eine Lust zu leben«? Allmählich bin ich recht mißtrauisch gegen diese Dinge geworden, die Bärenfelle und Methörner, eisernen Rüstungen und wehenden Federn, Strumpfhosen und wallenden Lockenhaare. Und lieben, aus einer persönlichen Empfindung heraus wirklich lieben kann ich nur die Erinnerungszeichen jener Zeit der lauschigen Gärten mit den Geisblattlauben, der weißen Musselinvorhänge um die Pelargonien-, Margariten- und Stiefmütterchenstöcke auf den Fensterläden, der Glaskasten mit den Porzellanfigürchen und anderen zierlichen Dingen, der feinen, zarten Miniaturbildnisse, aus denen uns vertraute Züge entgegenblicken, der Zeit unserer Großväter, da unsere Eltern noch jung waren. – –

»Ich heiße Toni.«

»Ich heiße Leni.«

Anton und Magdalena!

Wenn im Gang der Dinge diese Blätter einst in andere Hände kommen sollten, so wird mancher, der soviel Geduld gehabt hat, sie bis zu den Kaffeehantierungen der beiden jungen Menschenkinder zu lesen, ahnungsvoll sagen: Na, gottlob, jetzt könnte die Sache endlich anfangen, interessant zu werden! Und gerade hier muß ich nun ein beklommenes Geständnis machen ,… Aber gibt es nicht Dinge, die wir nicht wissen, nur fühlen, sicher in uns geborgen tragen und doch nicht nennen können, ein Beglückendes, vor dem heilige Scheu jede frevle Neugierde in Bann hält?

Doch zunächst kann ich noch verraten, daß unser Anton sich auch noch fünf Jahre später an den Sonntagnachmittagen in der gleichen Weise betätigte. Nur war er nicht mehr der fremde schüchterne Junge von dazumal, und war das Kaffeekochen zu einem lustigen Brauch der jugendlichen Gesellschaft geworden, die sich im Garten beim Wiesenspiel und an der Kegelbahn tummelte und unter den milden Augen der Mutter erst recht fröhlich wurde, wenn der Herr Höfinger, den die Jahre ernster gemacht hatten, um vier Uhr seinen Gehstock aus der Ecke nahm und zum »Grünen Baum« auf ein Spielchen ging. Dann aber rasselte und knirschte in der Küche auch immer die kleine eiserne Mühle zwischen zwei Jünglingsknien, klangen die Gläser und Schalen und fiel gelegentlich auch, o ja! ein Stück klirrend auf die Fliesen. Das schmucke Fräulein Leni trug mit lieblicher Gewandtheit Tassen und Kannen in den Garten und Anton eilte wie ein Kellner mit Tuch und Semmelkörbchen voraus und hinterdrein, daß er darum geneckt wurde und die junge Wirtin auch und beide hörten merkwürdigerweise nichts lieber als dieses muntere Genecke.

Hinter dem Gartenhaus lag ein kleiner Hügel, ganz von Fliederbüschen umstanden, zwischen denen ein schmales, gewundenes Weglein zur Höhe hinaufführte. Droben war ein Ruhesitz, den ich in jungen Jahren, da er schon alt und verfallen war, selber noch gesehen habe. Und ich denke mir, dieses Plätzchen, das die Blicke bis zum Stefansturm und bis zu den runden Waldbergen gleiten ließ, selber aber ganz im Grünen versteckt und nur für den weiten, weiten Himmel offen dalag, muß in Dämmerstunden etwas Herrliches für jugendliche Herzen und empfindungsvolle Gemüter gewesen sein. Das meine ich nur, denn zu berichten weiß ich jetzt nichts mehr, und das ist das Geständnis, von dem ich früher gesprochen habe: die Geschichte, die nicht nur vielleicht, sondern ganz gewiß jetzt schön zu werden angefangen hätte, kann ich nimmer weiter erzählen; meine Quellen verstummen, so muß auch ich schweigen. Aber daß die beiden, die dann einen Bund fürs Leben schlossen, füreinander bestimmt waren und eins werden konnten in Freud und Leid, diese Gewißheit trage ich selber in meinem dankerfüllten Herzen. Denn dieses dritte Paar, wo eines von hüben und eines von drüben stammte und zwischen deren Wiegen die Donau ihre Lieder gesungen, war ja niemand anderer als die, die mir das Leben geschenkt haben, niemand anderer als Vater und Mutter, meine geliebten Eltern, deren Glück meine Jugendtage übergoldete! Und so muß ich eigentlich auch jenen andern danken, die vorausgingen: dem fröhlichen Gottlieb Völtz, der dann ein bärbeißiger Amtmann wurde, seiner hilfreichen Elvira, dem Loibl Jakob und der Anna, die ihn durchaus haben wollte. Ich segne ihr Andenken samt allen Irrtümern ihres Erdenwallens!

 

Hier schließen die Aufzeichnungen meines Anverwandten. Er war ein stiller, heiterer Mensch, der an altväterischen Scherzen gelegentlich sein sinniges Vergnügen fand. In einer Laune, die von unschuldiger Sophisterei nicht ganz frei war, hat er sich wohl die Geschickte seiner Vorfahren in der hier mitgeteilten Weise zurechtgelegt.


 << zurück weiter >>