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Einige Wochen später stand in den Zeitungen eine Notiz, die durch Funkspruch von hoher See übermittelt worden: Der Dampfer, auf dem sich der neuernannte Botschafter von Linteloe mit seiner Gemahlin eingeschifft hatte, war auf dem Ozean schwerem Unwetter begegnet. Der Kapitän hatte die Weisung gegeben, daß die Passagiere ihre Kajüten nicht verlassen sollten. Trotz dieser Anordnung mußte Frau von Linteloe aber doch auf das Verdeck gegangen sein. Zwar hatte sie niemand der Wachehabenden dort bemerkt, aber am Morgen nach dem Sturm war sie verschwunden. Es blieb nur die eine Erklärung, daß sie von einer Sturzwelle erfaßt und hinweggespült worden sei.

An vielen Punkten der Welt ward es gelesen. Auch in der Stadt an den zwei Flüssen. Axel las es, ganz wie Tausende anderer. Nichts sagte ihm, wie es in Wahrheit zugegangen. Kein Ahnen kam ihm von dem letzten Kampf, wo entsetzliches Grauen vor dem Tode und namenlose Sehnsucht nach dem Ende miteinander gerungen hatten und die Sehnsucht schließlich doch Siegerin geblieben war, weil der Ekel vor sich selbst und die Wegesmüdigkeit zu übermächtig geworden. Keine innere Stimme hatte ihn gerufen in dem Augenblick, da sie in den nächtlichen Wellen versank, keine innere Stimme flüsterte ihm heute die Erklärung zu, wie es alles gekommen. Denn er hatte sie in den Armen gehalten und war ihr weit mehr als irgendein anderer Mensch gewesen – und hatte sie doch kaum gekannt.

Aber ein großes Bedauern stieg jetzt in ihm auf. Er sah sie wieder vor sich, wie er sie in diesem Zimmer oft gesehen, und empfand noch einmal den ganzen rührenden Zauber ihrer zarten Schönheit. – Dabei fiel ihm aber ein, daß er sich während der letzten Wochen ihres Zusammenseins manchmal mit Bangen gefragt hatte, ob ihre Züge nicht Spuren des Verblühens und künftigen Alters zeigten, – und in aller Trauer empfand er es doch schon als eine Erleichterung, daß er sie nun nie würde alt sehen können. Ihm selbst kaum bewußt, hatte seiner Jugend davor gegraut.

Er stand auf und öffnete die Samttruhe, in der er ihre Briefe bewahrte. Jene Briefe, die sie ihm, eigentlich gegen seinen Willen, geschrieben hatte. Scheu entfaltete er die bekannten Blätter, nicht wissend, wie ihn das alles heute anmuten würde, und doch voll eines beinah neugierigen Verlangens, ihre Worte noch einmal zu vernehmen. Ach, er brauchte ihre Stimme nicht zu fürchten, keinen noch so leisen Vorwurf würde er von ihr je vernehmen – Liebe, lauter Liebe quoll aus diesen Seiten. Sie überschüttete ihn mit ihres Herzens Reichtum, dichtete ihn um, bis er erschien als der, den sie in ihm gesehen, war noch jenseits des Todes die Gebende.

Er aber sagte sich beim Lesen ihrer großen Liebe, daß er sie doch sehr glücklich gemacht haben müsse. Das also hatte sie doch vom Leben gehabt. Durch ihn. Und in der Erinnerung an sie liebte er die eigene Jugend.

Belgrad 1905. – Crossen 1919.


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