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Bisweilen liebte es Axel, allerhand Fragen an Liane zu richten, die doch eigentlich nur quälend für sie beide sein konnten. Aber die Zeit seines brennenden Verlangens war vorüber, und sie wurde ihm mehr und mehr zu einem interessanten psychologischen Fall. Der Hang zum Beobachten, den mancher als diplomatische Qualifikation an ihm rühmte, wandelte sich da allmählich in Freude am Sezieren. Zur Nachfolgerin ihrer eigenen, einst von ihm zerlegten Puppe war Liane geworden. Ohne daß sie es ahnte. Ihre in Jahren angesammelte Sehnsucht sich auszusprechen benutzend, hatte er ihr intimstes Vertrauen erworben, und sie empfand ihn nicht mehr als ein Anderes, er dünkte sie ganz ein Stück ihrer selbst. Wenn er sie nun so nach vielem ausfrug, konnte sie gar nicht anders als antworten, und es lag bei aller Schmerzhaftigkeit doch zugleich eine gewisse Wonne in diesem seelischen Entkleiden, in der Möglichkeit, einmal im Leben vom eigenen Elend, von all den Dingen reden zu können, die niemand wußte. –

Sie waren zusammen ausgeritten. Dann hatte sie bei ihm Tee getrunken, in ihrem Glückszimmer, wie sie es nannte, von dessen einem breiten Fenster aus sie einst die grauen Tauben unsichtbar vorgezeichneten Schicksalsweg im goldenen Himmel hatte fliegen sehen. Nun saß er in einem breiten Ledersessel und hielt sie auf seinen Knieen. Sie hatte den Kopf an seine Schulter gelehnt und empfand ein warmes, einschläferndes Behagen, daß sie am liebsten ganz still gewesen wäre, um durch nichts die Süße der Stunde zu stören. Und sie dachte, höchstens wie eine Katze schnurren möchte man jetzt. Er aber war in einer grübelnden Stimmung und wollte von ihrem früheren Leben wissen. Halb träumend noch flüsterte sie ihm zu: »Ach Axel, über mein Leben ist ja so wenig zu sagen. Daß ich verheiratet bin, ist eigentlich alles, und das weißt du ja. Und das beste von jenem ganzen Kapitel ist, daß es längst vorüber und abgeschlossen ist. Weißt du, als ich mich damals ganz jung verheiratete, da hatte ich so seltsame kindliche Erwartungen all des Herrlichen, was das Leben nun bringen würde. Aber statt dessen war alles so schrecklich traurig. Da war mir dann zumute, als sei das gar nicht ich selbst, sondern als stehe ich erschrocken daneben und wolle all das Häßliche nicht mit ansehen müssen. – Kannst du das verstehen, Axel?«

»O ja, Herz,« antwortete er und sann dabei nach, welche andere Frau er ganz ähnlich hatte erzählen hören.

Liane aber fuhr fort: »Ich frug mich damals immer: ist das wirklich das ganze Leben? Und etwas in mir antwortete: o nein, das eigentliche Leben ist ganz anders, warte du nur. Heute weiß ich, daß schon damals mein eigentliches Ich deiner harrte. Denn all die Jahre, ehe ich dich gefunden, ahnte ich, daß es etwas auf Erden gibt, das ich nicht kannte und dem es mich doch unbewußt trieb die Arme entgegenzustrecken. Manchmal war dies angstvolle Erwarten eines großen Mysteriums so stark, daß es mir den Atem raubte, und ich weiß nicht, ob es mehr Grauen, mehr Sehnsucht war.«

Ohne es zu ahnen, hatte sie seine Gedanken in die Richtung gelenkt, wo sie gerne schweiften. Er nahm ihre Hand, küßte jede Fingerspitze, wie er wußte daß sie es liebte, und sagte, sie mit halb zugekniffenen Augen betrachtend: »Aber in all den Ländern, wo du gewesen, müssen doch viele Männer bemerkt haben, daß du unglücklich warst, und versucht haben, sich dir zu nähern?«

Sie lachte ganz unbefangen: »O ja, Axel! viele, viele! Und es war so komisch und oft auch so widerlich, daß sie mich alle mit dem trösten wollten, was mich doch gerade unglücklich gemacht hatte – so nach homöopathischem Prinzip: Gleiches heilt Gleiches.«

»Aber es hätten doch auch sehr nette und verführerische Leute darunter sein können?«

»Nun ja, vielleicht waren auch solche darunter, aber durch den Schrecken, den ihnen der eigene Mann vor der Liebe eingeflößt hat, sind Frauen oft für lange gefeit.«

»Nein, sag mal wirklich: war gar keiner da, der dir gefiel?«

»Wenigstens nicht mehr, sobald ich merkte, was sie eigentlich wollten. Weißt du, mir erschien das weder sonderlich schmeichelhaft noch lockend. Ich hatte immer genug Phantasie, um genau vorauszusehen, wie häßlich und banal es alles sein würde, und genügend ruhiges Besinnen, um zu wissen, daß, wenn ich es nicht war, diese so sehr verliebt tuenden Leute sich doch recht rasch trösten und statt meiner eben eine andere finden würden.«

»Ich glaube nicht, daß viele Frauen so kühl überlegen,« sagte er spöttisch, aber sie fiel ihm ins Wort: »Ach Axel, ich kenne die Gesellschaft, in der du die letzten Jahre gelebt hast und aus der du urteilst, ja so genau. Und ich weiß, es gibt da wirklich recht viel Leichtsinn. Aber noch mehr wird doch nur affichiert. Du kannst mir glauben, viele der Frauen, denen du wegen bestimmter Allüren mißtraust, sind eigentlich ganz einwandfrei – vielleicht sogar philiströs hausbacken in ihrem verstecktesten Innern. Ich will damit nicht sagen, daß Treue gegen den Mann dabei das Leitmotiv ist. Moderne Frauen sehen sich nicht mehr so wie früher als Gegenstand an, der für den Besitzer intakt gehalten werden muß. Was sie tun oder nicht tun, geschieht um ihrer selbst willen – und es gibt auf dem moralischen Gebiet eben Dinge, die zu tun sie ebenso wenig Lust hätten wie mit dem Messer zu essen. Vererbung, Sensitivität, Gewohnheit, die entscheiden da wohl.«

Er sah sie erstaunt an, als wolle er etwas fragen. Sie aber war herabgeglitten auf einen Schemel ihm zu Füßen, lehnte einen Arm auf seine Kniee, stützte den Kopf darauf und schaute voller Zärtlichkeit zu ihm auf. Doch als sie gewahrte, daß er sprechen wollte, und sie die bösen Gedanken ihm von der Stirn las, da hob sie abwehrend eine Hand gegen ihn empor und berührte leise seine Lippen. »Nicht sprechen, Axel,« bat sie flüsternd, »nichts sagen, was uns beide nachher betrüben würde! Ich will dir antworten, ohne daß du fragst.« – Und sich näher an ihn schmiegend, so daß ihre Weiche und Wärme ihn ganz umflossen, sprach sie mit leiser, bebender Stimme: »Du und ich? Das wolltest du fragen? Wie das möglich war? wie das gekommen?

– Aber wir, Axel, du und ich, das ist ja etwas so ganz anderes – das war so nötig, so unabänderlich bestimmt, wie daß dort unten die beiden Flüsse sich begegnen und vereint zusammen weiterrauschen. Und glaub mir: damit eine Frau so sei wie ich zu dir, da muß eine so grenzenlose Liebe über sie kommen, wie sie wohl sehr selten ist! Da gibt es dann keine Rücksicht, keine Überlegung, keine Gefahr mehr – da gibt es nur das ein und einzige auf Erden! Und was man auch tut, nie hat man der eigenen Liebe genug getan. Ach Axel, ich wünscht', ich wär' die Welt, daß ich sie dir schenken könnte.«


So schwand der Sommer dahin. Der Herbst war gekommen. Verblüht schon, ganz braun der Astern bunte Federblättchen.

Jetzt, wo es kühl geworden, ritt die kleine diplomatische Gesellschaft wieder viel hinaus ins Land. Durch die breite Silberpappelallee am Fluß, längs Wiesen, über denen Nebelstreifen standen. Zwischen Maisfeldern, wo die goldgelben Kolben geerntet wurden und die langen dürren Blätter raschelten. Auf Hügel hinauf, wo die Rebenblätter rot und golden waren und die Trauben in purpurschwarzer Fülle hingen.

Man besuchte die Damen der Familien Lazarewitsch und Wukowitsch draußen in ihren Weinberghäuschen. Da wurde von den jungen Mädchen fleißig an Ljubitzas Ausstattung gestickt. Und die hochbusige Näherin Maritza Georgewitsch schnitt zu, heftete, ließ die Nähmaschine surren. Gleich nach der Rückkehr der Väter vom Urlaub sollte die Hochzeit sein. Ganz ländlich war es hier draußen. Madame Lazarewitsch hatte den Kampf mit dem Panzer westlicher Zivilisation aufgegeben und trug lose weiße Jacken. Mit aufgehaktem Uniformkragen, aus dem der breite, braunrot gebrannte Stiernacken quoll, räkelte sich Milosch zwischen der sich häufenden Wäsche. Schon ganz besitzerhaft. Und Ljubitza ging einher, bleicher und zerbrechlicher denn je, mit großen brennenden Augen und den Zügen einer tragischen Maske. Ihr Anblick griff Liane seltsam ans Herz. Wie sehr wiederholten sich doch in allen Ländern die Schicksalswege! Aber während sie selbst den ihren einst in blinder Ahnungslosigkeit betreten, schien diese ihn sehenden Auges einzuschlagen. Und sie hätte ihr zurufen mögen: Halt ein, halt ein! damit es nicht zu spät sei, wenn einst die Liebe zu dir kommt.

Im Mondschein ritten sie dann alle heim. Es wehte schon kalt auf den Höhen.

Nun begann man die Beurlaubten zurück zu erwarten.

Als erste kehrten Aschirs zurück und brachten Mrs. Anderson wieder mit. Es war selbstverständlich, daß die Amerikanerin und Liane – als beinah einzige anwesende fremde Frauen – häufig zusammenkamen. Dadurch traf Mrs. Anderson auch Axel oft. Und bald besaß sie eine viel genauere Einsicht in das Wesen des wirklichen Axel als Liane selbst. Mrs. Anderson hatte sich schon bei ihrem ersten Aufenthalt im Frühjahr von Liane angezogen gefühlt; jetzt kam sie ihr nahe, gewann sie lieb. Es war ein Gefühl, das sich auf vorausschauendem und doch ohnmächtigem Mitleid aufbaute. Wie Kindern gegenüber, denen mit den Erfahrungen der Vorhergegangenen auch nicht viel zu nützen ist, weil innerer Besitz selbst erworben sein will. Aber wenn sie machtlos war, zu verhindern, so hätte sie doch wenigstens gern darauf vorbereitet. Und so suchte sie, wenn sie mit Liane allein war, Gespräche anzuregen, die diese, wenn sie wollte, auf sich beziehen konnte. Bisweilen erzählte sie dabei von ihrem eigenen Leben, von all der Bitternis, die es enthalten hatte und wie sie dann zu süßester Menschenliebe gewandelt worden.

An einem grauen Nachmittag saßen die beiden Frauen in Lianens weiter Halle. Sie hatten Tee getrunken. Das Summen des Kessels war eben verstummt. Auf den Tischen zwischen den vielen Büchern und Zeitschriften standen jetzt die letzten Herbstanemonen und Georginen in hohen Vasen. Es dämmerte. Durch der Fenster Scheiben sah man undeutlich, wie draußen im Garten rot- und gelbe Blätter von den Bäumen niedersäuselten.

»Der Herbst«, sagte Mrs. Anderson, »ist vielleicht mehr noch als der Frühling eine Zeit der Sehnsucht. Aber einer Sehnsucht, die nicht mehr vorwärts, sondern zurück schaut. Kein frohes Erwarten: was wird nun werden? sondern ein wehes Nachdenken: warum konnte vieles nicht anders sein, als es gewesen? – Meine Gedanken gehen heute schon den ganzen Tag solche rückwärts führenden Pfade.«

Leise, manchmal innehaltend, als spräche sie im Halbdunkel nur für sich, fuhr sie fort: »Immer wieder muß ich dem einen nachsinnen: in welch tiefen Täuschungen befinden wir uns doch oft gerade über diejenigen, von denen wir am meisten zu wissen wähnen. So ganz anders sind sie, als wir sie in unserm Verklärungsbedürfnis sehen. – Der, den ich am meisten geliebt, den hab' ich nicht gekannt... und auch er hat mich nicht gekannt. In seinen Armen hab' ich gelegen, habe geglaubt, wir gäben uns alles – und weiß doch heut: nie schmolzen unsere Seelen ineinander. – Aber... gibt es das denn je? – Ich habe von der Möglichkeit solcher Seligkeit geträumt, sie zu besitzen gewähnt – aber... ein selbst geschaffenes Phantom war es, das ich herzte, tönern der Götze, zu dem ich betete. – Wie eine Halluzinierte war ich in blindem Glauben der Vision gefolgt, die die Liebe mir vorgezaubert... und zu einem Abgrund hatte sie mich geführt. Und doch fühlte ich gleich da schon, im Augenblick tiefsten Schmerzes und zermalmendster Beschämung ob meiner Täuschung und Selbstvergeudung: die Liebe würde trotz allem in mir weiter leben und mich auch ferner führen. Wohin – das wußte ich damals freilich noch nicht. – Es kamen dann die Zeiten der großen Einsamkeit, der öden Leere, die dem ersten Staunen über den Schmerz folgen. Das Verlorensein. Das Suchen: wohin mit all dem, das meine Seele erfüllt? – Da stieg die Frage auf: Ist die Liebe zum Einzelnen vielleicht immer Irrtum? ist vielleicht irgendwo eine große hungernde Masse, die die Hände nach Gaben ausstreckt, während ich bei dem Einen verharrte, der meiner nicht bedurfte? mußte ich ihn verlieren, um sie zu finden, um zu erkennen, daß ich den Vielen gehöre? – Es kam mir allmählich die Ahnung, daß ich arme Schiffbrüchige, die ich wähnte alles verloren zu haben, vielleicht doch so viel gerettet hatte, daß ich ihnen noch zu geben vermochte. Da begann ich mein Inventar aufzunehmen: mein armes Herz war so zertreten, daß es wie gestorben schien, aber meine Hände, die waren stark geblieben. Und ich beschloß: die sollten dienen. – So wurde ich zuerst Krankenschwester, denn es war damals Krieg und Mangel an Pflegerinnen. Und meine Hände, die noch brannten von den Küssen eines, der mich nie geliebt, verbanden nun jene, die auf fernem Schlachtfeld verbluteten. Oft ist mir dabei gewesen, als fühlten die Verwundeten: heut tröstete uns eine, die sich unser wirklich erbarmte, weil ihr Herz einst ebenso schwer gemartert wurde wie jetzt unsere zuckenden Glieder. – Das gemarterte Herz aber genas mählich bei der Liebesarbeit der Hände. – – Später dann, als der Krieg vorüber, wandte ich mich anderen Schmerzen zu, fand immer neue Aufgaben, weil es ja immer neue Leiden gibt. In meinen Anstalten nennen sie mich nur ›die Helferin‹ – – über diesem Namen suche ich all jene anderen zu vergessen ... mit denen gerufen zu werden ich mich einst so sehr gesehnt.«

Sie schwieg. Schatten schwollen aus den Winkeln, füllten den Raum. Im Dunkeln gewahrte Liane Dinge, die sie im Tageslicht von sich schob, nicht sehen wollte.

Noch einmal hub Mrs. Anderson an. Wie aus der Ferne, durch Nebel kamen die Worte: »Überschau' ich heut mein Leben und manche andre, die ich genau gekannt, so sehe ich, daß da doch eigentlich jeder scheinbaren Erfüllung alsobald, gleich einer unzertrennlichen Schwester, die Enttäuschung folgte. Wir hoffen immer auf das Vollkommene, aber es bleibt hienieden doch stets ein Nest unbefriedigter Sehnsucht. – Abkehr von jedem persönlichen Wünschen, freies Entsagen – das wäre wohl höchste Weisheit.«

Es war Liane, als müsse sie sich an etwas klammern, das im Nebel zu zerrinnen drohte. Sie wollte widersprechen – in einer Art Loyalität gegen diesen Sommer, ihren Sommer – und mußte sich dabei doch entsinnen, daß sie gerade während dieses Sommers bisweilen empfunden hatte: es blieben doch immer Unerfülltheiten.

Immer tiefer war das Abenddunkel im Saale geworden. Kaum noch sichtbar die beiden Frauen.


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