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Zögernd wandte sich nun Liane zum Gehen, doch als sie und Axel, die scheidende Sonne im Rücken, nun langsam herabschritten, gewahrten sie eine Gestalt, die ihnen entgegenkam, vom sinkenden Abendlicht beschienen. Es war der Fürst. Er war allein. Nur der treue Mulicke folgte ihm in kurzer Entfernung.

Und Hans Hadubrand mußte völlig traumverloren dahingeschritten sein, denn er war den beiden schon ganz nahe, als er sie erkannte. »Wie, Sie hier oben?« sagte er erstaunt zu den sich tief Verneigenden und blinzelte, als erwache er.

»Ich wollte meinem Vetter doch diesen schönen und so wenig besuchten Punkt einmal zeigen,« antwortete Liane.

»Es ist in der Tat ein interessanter Platz,« sagte der Fürst, »und er redet von so viel Vergangenheit. Ich muß hier oben immer an all die Kämpfe denken, die diese alte Festung oft umtobt haben. Ja – und wozu hat es schließlich doch alles geführt?«

»Nun doch letzten Endes dazu, daß das Land unter Eurer Hoheit Regierung recht glückliche Tage erlebe, wie wir es so sehr wünschen,« antwortete Liane lächelnd.

»Dafür danke ich Ihnen,« sagte der Fürst und schaute sie einen Augenblick fest an. »Wünsche von Ihnen sollte der Himmel eigentlich erfüllen. Aber«, setzte er dann hinzu, »ich sehe da Ihren Wagen, Frau von Linteloe, Sie wollten wohl gerade aufbrechen? Ich möchte Sie nicht aufhalten.«

»Ja,« antwortete Liane, »mit Eurer Hoheit Erlaubnis möchte ich jetzt nach Hause fahren.«

Hans Hadubrand und Axel geleiteten sie beide hinab bis zum Wagen. »Gestatten Sie mir,« sagte der Fürst und bot ihr die Hand, um ihr beim Einsteigen zu helfen. Er hatte dabei den Ausdruck von jemand, der stolz ist, daß ihm etwas sehr Kostbares anvertraut wird, und sich möglichst sorgsamer Bewegung befleißigt. Dann, als Liane saß und sich dankend verbeugte, grüßte er sie mit geschlossenen Absätzen und der Hand an der Mütze. So blieb er stehen, bis der Wagen davongerollt war. Aus der Ferne wehte Lianes weißer Schleier noch einmal, dann entschwand er hinter einer Biegung des Weges. Es war, als sei die Dämmerung um die beiden Männer plötzlich dunkler geworden.

»Bleibst du noch einen Augenblick hier?« wandte sich der Fürst an Axel.

»Gern,« antwortete dieser.

Schweigend gingen sie zuerst nebeneinander. Auf Axel hatte sich mit der Dämmerung eine Beklommenheit gesenkt. Er wußte selbst nicht recht, warum. Nun hörte er den Fürsten vor sich hin sagen, als würden ohne sein Wissen plötzlich Gedanken laut: »Ja, das war daheim schön. Gewisse Begriffe, gewisse Menschen, die standen dort unerschütterlich fest.«

»Nun, und hier, meinst du, ist es anders?« frug Axel. Er zwang sich, leichthin zu reden, die Beklommenheit abzuschütteln.

»Ich habe die Empfindung,« sagte der Fürst, »auf einem Boden zu stehen, wo kein Punkt ist, der nicht plötzlich nachgeben und einstürzen könnte. Und die, die so wühlen und lockern, sind gerade jene, die stützen und schirmen sollten.«

»Was meint er nur?« dachte Axel und empfand ein Unbehagen – er wußte wieder nicht recht, warum.

Der Fürst aber fuhr fort: »Ja, die vom gleichen Stamm und Glauben sind und vorgeben, unsere Schützer zu sein, die trachten am meisten, uns zu deteriorieren. Da ist ein fortwährendes Appellieren an niedere Instinkte, ein Ausnützen äußerer Wehrlosigkeit oder innerer Schwäche.«

Ach so! Also ein politisch Lied! dachte Axel, wahrscheinlich irgendeine neue Tücke Mirojedskys, auf die Haha anspielt. Und dabei atmete er erleichtert auf. Aber worauf hatte er denn gefürchtet, daß der andere anspielen könne?

»Eigentlich«, sagte der Fürst, »sollten sich ja alle Menschen gegenseitig helfen und vor dem Straucheln bewahren, denn wir sind doch alle eins, und von jeder Kreatur geht zur anderen der Ruf: tat twam asi, das bist du selbst!«

Mirojedsky hat doch wohl Recht, dachte Axel: er ist ein Schwärmer.

»Aber vor allem«, sprach der Fürst weiter, »sollte man doch auf Ruf und Ansehen derer achten, die man sogar rein äußerlich zu den Seinen rechnet; findest du nicht auch?«

»Zweifellos,« antwortete Axel, und, an Mirojedsky und die Möglichkeit irgendeiner wichtigen Information denkend, frug er vorsichtig: »Werden denn gerade augenblicklich besondere Zumutungen an euch gestellt, deren du dich nicht erwehren kannst?«

»Ja,« stieß der Fürst hervor und fuhr dann mit einigem Zögern fort: »Aber laß uns lieber nicht auf Spezialfälle eingehen. Erfahren wirst du es alles freilich auch ohne mich, – aber ich weiß doch nicht, ob ich darüber so mit dir reden darf.«

Er kaute unschlüssig auf der Unterlippe, und Axel empfand auf einmal wieder die anfängliche Beklommenheit; es war ihm, als habe Hans Hadubrand während des ganzen bisherigen Gespräches das Eigentliche auf dem Herzen behalten und als müsse das erst noch kommen. Und wirklich hub der Fürst, wie in plötzlichem Entschluß, jetzt wieder zu sprechen an, hastig und abgerissen: »Übrigens dachte ich gar nicht bloß an politische Dinge, wo es sich um den Verkehr zwischen Staatsmännern und das Schicksal ganzer Völker handelt, – nein, wenn ich sage, daß einer des anderen Ruf hüten sollte, so meine ich, gilt das überhaupt für die Beziehungen von Mensch zu Mensch, und vor allem von Mann zu Frau. Und nicht wahr, Kronar, darin stimmst du doch ganz und gar mit mir überein?«

Er konnte Axels betretenen Ausdruck über diese plötzliche Wendung in der zunehmenden Dunkelheit nicht gewahren und sprach nun, offenbar absichtlich, rasch weiter: »Aber das brauche ich dich ja nicht erst zu fragen. Es versteht sich ja von selbst. In unserer Studentenzeit, da haben wir wohl alle mal Witze über philisterhafte Weltanschauung gemacht und uns mit unseren sogenannten freieren Ansichten bisweilen gebrüstet ... aber an gewisse Begriffe läßt sich doch nicht tasten ... die sind eben heilig und unerschütterlich ... so etwas ... nein, das gibt's einfach nicht ... doch es wird spät, ich muß nun wieder zurück ... ich steige hier den kurzen Fußweg hinab, der direkt zum Schloßgarten führt ... und du gehst wohl die große Straße ... ja ... also guten Abend, Kronar, guten Abend!«

Und schon hatte er Axel die Hand gedrückt und war davongeschritten, sichtlich bestrebt, den früheren Kameraden nicht zu Worte kommen zu lassen. So war denn auch Axels erster Gedanke: von dem fürstlichen Vorrecht der Monologe macht der gute Haha wirklich ergiebigen Gebrauch! – Axel suchte damit ein gewisses Unbehagen abzuschütteln, das er die ganze Zeit empfunden hatte. Aber es war doch irgend etwas in des Jugendgenossen Worten gewesen, das ihn zwang, nachzusinnen. Und während er nun im Nebel, der von den Flüssen aufstieg, zur Stadt zurückschritt, frug er sich: Was meinte Haha denn eigentlich? ... Von Mann zu Frau? ... sollte das etwa eine Warnung sein wegen Liane? – Und wie Axel nun einmal geartet war, schoß ihm sogleich der Gedanke durch den Kopf: War Haha etwa gar eifersüchtig, mich dort oben mit ihr zu finden? Sie sagte ja, daß sie ihn dort bisweilen treffe. Störte ich ihn? – Aber Axel verwarf diese Annahme ebenso rasch. Solch ein durchaus Korrekter wie der! Nimmermehr! – Doch nun begann er weiter zu grübeln: Lag in seinem Verkehr mit Liane denn überhaupt etwas, das vor strengen Richtern nicht bestehen konnte? Sie sahen sich ungewöhnlich viel, ja gewiß, aber sie kannten sich eben von klein auf, es bestand sogar irgendwelche vage Verwandtschaft zwischen ihren Familien. Und irgendeine Freude mußte man doch in diesem verschlafenen Orte haben. Und außerdem – setzte er, in Gedanken ungeduldig werdend, hinzu – ging das weder den Fürsten noch sonst jemand was an! Der einzige, der zur Einsprache berechtigt gewesen wäre, der kümmerte sich ja überhaupt nicht darum.


Als Axel zu Hause anlangte, sah er, daß in der Kanzlei Licht brannte. Er trat ein und fand Agathokles Troll vor dem Schreibtisch sitzend und wie gewöhnlich in die Reisedecke eingewickelt.

»Wie kommt es, daß Sie noch hier sind, Herr Hofrat?« frug Axel.

»Der Herr Gesandte hat noch Arbeit für mich,« antwortete Agathokles Troll, der besonders zu frösteln schien. Auf dem Postament erhitzter Ziegelsteine und im Licht der Reflektorlampe über ihm, die seine glänzende Glatze wie mit einem hellen Heiligenschein umgab, erschien er mehr denn je als der Märtyrer und zugleich Hohepriester eines geheimen Kultes, dessen Symbole die ihn umgebenden Akten waren. »Es ist nämlich ein Chiffretelegramm angekommen,« fuhr er fort, »und der Herr Gesandte konzipiert die Antwort, die ich dann gleich chiffrieren und expedieren soll.«

»Aber Hyelm und Langenssen werden Ihnen doch dabei helfen?« frug Axel.

»Die sind fort,« antwortete Troll. »Es ist ja weit über Kanzleischlußstunde, und so jungen Leuten, die nicht mal etatsmäßige Beamte sind, denen fehlt eben doch das wahre Aufgehen im Dienst. Die wollen sich amüsieren.«

Neidenswerte junge Leute, dachte Axel, die hier Amüsement zu finden vermögen!

In diesem Augenblick trat Baron Holst aus seinem Arbeitszimmer in die Kanzlei. Er hatte die Brille von den Augen auf die Mitte der Stirn geschoben, hielt Papiere in der Hand und sah tief bekümmert aus. »Ah, Kronar,« sagte er, »schön, daß Sie da sind! Sehen Sie,« und er wies auf ein beschriebenes Blatt, »da wird mir von zu Hause telegraphiert, ich solle meinen ganzen Einfluß einsetzen, um uns die Bestellung der Holzhäuser zu sichern, eventuell könne ich der amerikanischen und schweizerischen Gruppe je einen kleinen Anteil an der Lieferung zugestehen – wir würden uns mit pars pro toto begnügen – keinenfalls aber dürfe ich die neue russische Konkurrenz aufkommen lassen. Ja – allen Einfluß einsetzen – das ist leicht gesagt! Wenn nun aber die Leute hier ihre Holzhäuser anderswo als bei uns bestellen wollen, können wir ihnen nichts tun, und das wissen sie. In solchen Fällen aber ist es mit dem Einfluß immer schwach bestellt, denn sehen Sie, Kronar: der Einfluß, habe ich oft bemerkt, ist immer nur da stark, wo man sich denken kann, daß er gelegentlich auch mal, statt von Post und Telegraphendrähten, von ganz anderen Dingen getragen werden könnte.«

»Vielleicht«, meinte Axel, »könnte unsere Firma bewogen werden, sich in der Bezahlungsfrage kulant zu zeigen. Das würde hier doch sicher von Einfluß sein.«

»Da kennen Sie unsere Holzhäuserfabrikanten aber schlecht,« erwiderte Holst. »Das sind große Herren, und die meinen, die Leute hier könnten es sich zur Ehre anrechnen, überhaupt etwas von ihnen zu bekommen. Im Grunde haben sie ja Recht – denn unsere Holzhäuser, ja, die sind eben ein industrieller Begriff, gegen den überhaupt nichts aufkommen kann. Sogar nach Kadinen haben wir geliefert!«

Der hagere Holst hatte sich in die Brust geworfen und war mehr und mehr in Eifer geraten, getragen vom Glauben an die historische Überlegenheit der heimischen Industrie. Ruhiger werdend setzte er hinzu: »Na, was an mir liegt, soll gewiß geschehen. Morgen gehe ich nochmals zu Lazarewitsch. Etiam atque etiam will ich ihm zusetzen, und vielleicht heißt es dann doch schließlich: gutta cavat lapidem. Einstweilen aber, lieber Hofrat, chiffrieren Sie dies vorläufige Beschwichtigungstelegramm, das ich eben entworfen habe, und senden Sie es nach Hause. – Und dann hoffentlich für heute: detur aliquando otium quiesque fessis

Aber noch während Baron Holst diesen Wunsch nach Ruhe aussprach, trat ein Diener ein und meldete den amerikanischen Gesandten.

»Führen Sie Seine Exzellenz in mein Arbeitszimmer,« sagte Holst seufzend.

»Soll das Telegramm nun doch abgehen?« frug Agathokles Troll in stillem Dulderton.

»Nein, nein, Herr Hofrat, warten Sie lieber noch das Ergebnis dieses Besuches ab: nescis quid vesper serus vehat« – und damit verließ Holst eilig die Kanzlei, wo Agathokles Troll, fröstelnd und in die Decke gehüllt, mit Axel zurück blieb. – –

»Mirojedsky arbeitet mit Volldampf, um die Holzhäuserlieferung für seinen Zeysigoff zu erlangen,« begann Pemberton, nachdem er die Zigarette angezündet hatte, die ihm Holst in seinem Arbeitszimmer anbot. »Er läßt alle Mittel spielen, um auf Fürst und Minister einzuwirken. Aber der Fürst wehrt sich einstweilen noch und sucht nach einem Ausweg, denn er möchte nicht in noch tiefere Abhängigkeit von dieser Protektion geraten. Da soll er, wie mir der Hofmarschall vertraulich erzählt hat, die Äußerung getan haben, eine Konkurrenzausstellung von Holzhäusern würde ihm das geeignetste Mittel erscheinen, um zu einer gerechten Entscheidung zwischen den verschiedenen Bewerbern zu gelangen.«

Holst schaute den Amerikaner verdutzt an und konnte sich offenbar nicht sogleich in die neue Lage finden. Der Gedanke, daß die von ihm vertretene weltberühmte alte Firma sich einer Art Schulprüfung unterziehen solle, war ihm nicht sympathisch. Für Anfänger wie jene dort mag das gehen, dachte er, – aber wir! Quod licet bovi non licet Jovi. So antwortete er denn gemessen und zurückhaltend: »Ich weiß absolut nicht, wie man sich bei uns zu diesem ganz unvorhergesehenen Vorschlag stellen wird.«

»Aber verehrter Kollege,« sagte Pemberton, »es liegt doch überhaupt in unserm Interesse, den Fürsten zu unterstützen in seinen Bestrebungen, Mirojedskys Bevormundung abzuschütteln. Und so viel ist ja klar, daß bei einem ehrlichen Wettbewerb die Zeysigoffschen Fabrikate nicht den Preis davontragen können.«

»Das wird Mirojedsky sich selbst aber genau ebenso sagen, und gerade darum wird er nicht auf den Vorschlag des Fürsten eingehen wollen,« erwiderte Holst.

»Aber es wird ihm schwer fallen, einen Grund für die Ablehnung der Ausstellung zu finden, der sich öffentlich vorbringen läßt,« entgegnete der Amerikaner. »Wenn wir drei auf den Vorschlag eingehen, so kann es in der Tat nichts geben, das fairer erscheint. Und Känzli, mit dem ich vorhin sprach, glaubt, daß man bei ihm einverstanden sein wird. Es würde also darauf ankommen, daß Sie die Zustimmung Ihrer Leute erlangten.«

Doch ehe noch Holst antworten konnte, trat wieder ein Diener ein und meldete, Mrs. Pemberton sei vorgefahren.

»Ach ja richtig,« sagte Nicodemus eilig aufspringend, »meine Frau wollte mich ja hier abholen. Da muß ich gleich fort.«

»Aber erlauben Sie, wir sind ja noch gar nicht zu Ende,« rief Holst bestürzt und sichtlich nervös durch die weibliche Unterbrechung. »Wenn Sie gestatten,« und er schritt zurück zur Kanzlei, »werde ich Graf Kronar bitten, Mrs. Pemberton in den Salon zu führen und ihr Gesellschaft zu leisten.«

Axel war noch in der Kanzlei und lauschte den grämlichen Aussprüchen des wartenden Hofrats.

»Lieber Kronar,« sagte Holst ärgerlich, »da kommt eben Mrs. Pemberton, während wir noch mitten in unserm Gespräch sind; tun Sie mir doch den Gefallen und unterhalten Sie sie im Salon, bis wir fertig sind. Mein amerikanischer Kollege wollte gleich weg, wie ein Knabe, den sein Kindermädchen abholt, ich aber sage: jemand, der Staatsgeschäfte besorgen will, muß auch mit der eigenen Frau fertig werden. Domum suum coërcuit quod plerisque haud minus arduum est quam provinciam regere

Während Holst in sein Arbeitszimmer zurückkehrte, begab sich Axel zu Mrs. Pemberton in den Salon. Der Amerikanerin tägliche Anstrengungen, noch schön zu erscheinen, waren heute recht erfolgreich gewesen. Mit dem großen Hut und Schleier konnte man sich beim Lampenlicht vorstellen, wie sie einst ausgesehen hatte. »Nun, Graf,« sagte sie und lächelte ihn mit dem neckischen Lächeln an, das vor zwanzig Jahren die Männer bezaubert hatte und heute nur noch auf den stets gleich empfänglichen Nicodemus Pemberton wirkte, »einmal bin ich diesen schrecklichen Holzhäusern nun doch dankbar, da sie mir die Freude verschaffen, Sie zu sehen. Sie kommen ja gar nicht mehr, mich zu besuchen? Aber freilich, ich verstehe: Sie haben hier Ihre Verwandten wiedergefunden – so eine reizende Frau, unsere liebe Frau von Linteloe – da müssen Sie wohl immer bei denen sein.«

Axel sah im Geist Mrs. Pembertons Jour mit dem Pingpong und dem kleinen Hund, und er murmelte etwas von vieler Arbeit und der Einrichtung seines Hauses.

»Oh, ich verstehe es ja sehr gut,« sagte Mrs. Pemberton, »warum sollten Sie auch zu einer alten Frau wie mir kommen?« Und dabei lächelte sie wieder schelmisch und machte eine kleine Pause, um ihm Zeit zu höflichem Widerspruch zu lassen. »Aber wissen Sie, sehr bald wird mein Haus etwas wirklich Anziehendes enthalten: ich habe nämlich eben ein Telegramm erhalten, daß meine Nichte, Muriel Clarence, auf dieser Seite gelandet ist. Sie geht zuerst nach Paris und kommt dann direkt hierher zu mir. Und nicht wahr, Graf, wenn sie erst hier ist, da werden Sie mir helfen, damit sie hier das hat, was wir drüben ›eine gute Zeit‹ nennen?«

»Was täte man nicht für die Nichte einer so schönen Tante!« antwortete Axel und frug dann: »Kommt Miß Muriel allein?«

»Oh, Miß Muriel! nein, das ist zu komisch, Graf! Sie ist ja Mrs. Muriel Clarence, die berühmte Mrs. Clarence! – Ihr Mann war einer unserer bekanntesten Eisenbahnkönige, und er kam damals ums Leben, als er mit dem ersten Probezug über die große, neu erbaute Brücke auf einer seiner Bahnen fuhr – die Murielbrücke hatte er sie getauft: er war nämlich gerade acht Tage mit Muriel verheiratet und auf der Hochzeitsreise. Es war eines der größten und jedenfalls das sensationellste all unserer Eisenbahnunglücke,« fuhr Mrs. Pemberton wichtig fort, als verleihe auch ihr dieser Umstand eine gewisse Bedeutung. »Und nur durch einen Zufall war Muriel nicht selbst mit in dem Eisenbahnzug, als ein Bogen der riesigen Brücke einstürzte und der ganze Zug in dem reißenden Fluß verschwand. – Nun ist sie schon zwei Jahre Witwe und kommt zum ersten Mal nach Europa. Übrigens ersehe ich aus ihrem Telegramm, daß sie mit Mrs. Frank Anderson gereist ist und daß diese auch hierher kommen will.«

»Und wer ist nun wieder Mrs. Frank Anderson?«

»Nein, Graf, das ist zu arg!« rief Mrs. Pemberton ganz erregt. »Da kennen Sie nun sicherlich, ganz wie Ihr gelehrter Chef, all die toten römischen Schriftsteller und wissen dabei nicht, wer die große lebende Mrs. Frank Anderson ist – die Autorin, die Philanthropin, deren Bücher wir in Amerika verschlingen – mit einem Wort: eine unserer führenden Frauen.«

»Ja, sehen Sie, Mrs. Pemberton, ich habe mich von schönen Frauen stets gern führen lassen, und auf welche Ausflüge sie nur immer wollten; aber so eine als ›führend‹ etikettierte Frau? – nein, das klingt mir nun einmal gar nicht, als ob die zu der Art Frauen gehören könnte, von denen ich mich gern führen lasse.«

»Mrs. Anderson war eine unserer gefeiertsten eleganten Frauen,« sagte Mrs. Pemberton, »aber sie hat viel Unglück gehabt und ist dann Philanthropin geworden.«

»Frauen, von denen es heißt, daß sie viel Unglück gehabt haben, sind allerdings häufig sehr anziehend,« meinte Axel, »denn es bedeutet gewöhnlich, daß sie einen unangenehmen Mann hatten, und dadurch werden sie wirklich merkwürdig häufig philanthropisch gegen andere – oder wenigstens gegen einen anderen.«

»Mrs. Andersons Mann war mehr wie unangenehm,« sagte Mrs. Pemberton. »Er war ein gemeiner, roher Kerl. Sie hatte ihn aus großer Neigung geheiratet und entdeckte dann bald, daß er sie so niedrig einschätzte, wie er es selbst war. Schließlich, als das Leben mit ihm ganz unmöglich geworden war, ließ sie sich scheiden. Er sagte dazu nur, nun würde man ja sehen, wie tief sie herabkäme. Sie hat es anfänglich auch schwer gehabt, denn er hatte ihr ganzes Vermögen verschleudert, aber sie hat sich durchgearbeitet und nimmt heute eine Ausnahmestellung ein, sowohl durch ihre Bücher, die alle darauf ausgehen, das Los der Armen zu bessern, wie durch die große Anstalt, die sie in Neuyork gegründet hat und wo bedürftige Frauen in verschiedenen Berufen unterwiesen und für sie Erwerbe gesucht werden.«

»Hier bin ich, darling« sagte in diesem Augenblick Pemberton, mit Holst vom Arbeitszimmer her eintretend, »verzeih, daß ich warten ließ.«

»Oh,« sagte Mrs. Pemberton mit einem neckischen Lächeln zu Axel hinüber, »ich hatte ja inzwischen einen angenehmen kleinen Schwatz mit diesem jungen Herrn – er ist so nett, aber von Amerika weiß er noch nicht viel.«

»Ich wartete ja nur auf die Amerikanerin, die es mich lehren würde,« entgegnete Axel.

» Charming,« sagte Mrs. Pemberton, » quite charming

Nachdem dann das Ehepaar fortgefahren war, begab sich Holst mit Axel zurück in die Kanzlei und entwarf ein neues Telegramm, um die neueste Phase der großen Holzhäuserangelegenheit nach Hause zu melden. Dann dehnte er die langen hageren Glieder und sprach gähnend, aber befriedigt: » Jucindi acti labores


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