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Die Nachricht war inzwischen zu Mirojedsky gelangt, und er hatte sich augenblicklich zu Lazarewitsch begeben. Diese Auseinandersetzung verlief, trotz süßer Flötentöne, weit peinlicher noch als die Unterredung mit den drei anderen Bewerbern.

Nachdem Lazarewitsch sich derart von vier Gesandten hatte Unannehmlichkeiten sagen lassen müssen wegen eines Vorkommnisses, an dem er sich unschuldig fühlte, empfand er seinerseits das Bedürfnis, sie jenem weiterzugeben, der das ganze Unwetter mal wieder mutwillig heraufbeschworen hatte. Erregt, zornerfüllt ging er zum Fürsten.

Aber der Despot war nicht der ob dessen, was er angerichtet, erschrockene Knabe, als den ihn der Ministerpräsident zu finden erwartete. Er hatte die Rattenburger Miene aufgesetzt – wie seine Minister zu sagen pflegten –, und die Distanz war hergestellt. Die Vorwürfe, die Lazarewitsch machen wollte, schnitt er ab, kam dem Angriff mit Angriff zuvor. Die Brauen zusammengezogen, sagte er: »Während meines Aufenthaltes in Andronikowice bin ich, durch untrügliche Beweise, über gewisse Vereinbarungen in der Holzhäuserfrage unterrichtet worden, die, ohne mein Wissen, zwischen Ihnen und Mirojedsky in Karlsbad getroffen worden sind. Danach sollte die von mir angeregte Konkurrenzausstellung zu einer reinen Posse erniedrigt werden, die die anderen und auch mich betröge, die Bestellung aber sollte bestimmt der Firma Zeysigoff zufallen, obschon wir doch von ihrer Minderwertigkeit im Vergleich zu den übrigen Bewerbern alle überzeugt sind. Lieber als dies zuzulassen, entschloß ich mich, der Sache ein Ende zu machen, indem ich mein eigenes Projekt der Ausstellung schweren Herzens aufgab und Herrn Oki Abunais Angebot annahm. Persönlich hätte ich, wie Sie wissen, am liebsten

Holsts Firma mit der Lieferung betraut gesehen, weil ich sie für die beste unter den Bewerbern halte; aber ich bin überzeugt, daß die Japaner aus eigenstem Interesse uns gut bedienen werden, weil sie mit ihrer Industrie in Europa ja erst Fuß fassen müssen. Da außerdem ihre Bedingungen auch noch weit billigere sind als die der übrigen, so glaube ich für die Interessen des Fürstentums, so gut ich konnte, gesorgt zu haben. Ich wüßte wirklich nicht, was dagegen einzuwenden wäre.«

»Mirojedsky findet sehr viel dagegen einzuwenden,« entgegnete Lazarewitsch. »So viel, daß ich fürchte: es kann für das Fürstentum und auch für Eure Hoheit sehr üble Folgen haben. Er sprach von Entziehung der traditionellen Freundschaft seiner Regierung.«

»Ich kann nicht finden, daß das Land bei dieser Freundschaft je besonders gut gefahren wäre,« entgegnete der Fürst. »Zunehmende Abhängigkeit hat sie ihm gebracht.«

»Mirojedsky sagte auch, daß wenn Hoheit die von seiner Regierung gehegten Erwartungen so gar nicht erfüllten und nur Schwierigkeiten schüfen, gegen die Einsetzung eines homogeneren Herrschers nichts einzuwenden sein würde.«

Der Fürst richtete sich hoch auf. Unter der durchsichtigen Haut der Schläfen traten die Adern blau hervor. Er sagte schroff: »Ich habe das Bewußtsein, dem Fürstentum gegenüber meine Pflicht getan zu haben.«

»Mirojedsky ging so weit, Tscheslav Obradowitsch zu nennen. Er warf hin: wenn dessen Banden einbrechen sollten, würden sie viele Anhänger im Lande finden. Das möchten Eure Hoheit bedenken.«

Dies war Lazarewitschs schärfster Pfeil. Aber er prallte ab. Sehr hochmütig, beinah nachlässig antwortete Hans Hadubrand: »Das Fürstentum würde mir freilich leid tun, wenn es je unter solchen Herrscher kommen sollte. Aber ich? – Ja, verehrter Herr Ministerpräsident, halten Sie es denn wirklich für ein solches Glück, hier Despot zu sein, daß man es sich durch Preisgabe des eigenen Gewissens erkaufen möchte?«

Nun lenkte Lazarewitsch sofort ein. Im allerinnersten Herzen gefiel ihm ja des Fürsten Haltung. Er verglich ihn mit früheren Dynasten, die alles hingenommen hätten, nur um sich zu halten. Auf solchen Unterschieden beruhte eben wohl die Distanz. »Ich wiederhole ja nur Mirojedskys Worte,« sagte er, »weil die Situation tatsächlich recht kritisch ist. Im übrigen«, und er starrte mit seinen seltsam tiefen Augen in die Ferne, »möchte ich doch betonen, daß sich Hoheit auf mich persönlich verlassen können – und – ich glaube – auch auf das übrige Ministerium. Ich werde Hoheit mit meiner Verantwortung decken, eventuell die Konsequenzen ziehen – und – einstweilen einen Ausweg suchen.«

Nachdem der Minister gegangen, verließ Hans Hadubrand die ruhige Sicherheit, die er zur Schau getragen, doch etwas. Zwar, dessen war er gewiß, daß er recht gehandelt hatte. Denn jede Intrige gutheißen, jeden Schmutz übersehen – das konnte doch unmöglich des Lebens Sinn und Aufgabe sein. Aber was war der Sinn? Und wie konnte man die Aufgaben lösen? Wie schwer, wie dunkel war das alles. – Und – man stand so allein. Während all dieser Vorkommnisse verlief der Ausflug in die benachbarte Hauptstadt aufs glänzendste, und ahnungslos genossen die Reisenden die schnell eilenden Stunden des Vergnügens. Zwar den ursprünglichen Zweck, die Ausstellung zu besuchen, hatte eigentlich nur Gräfin Karasin erfüllt, und eine neue Sorte giftig grün blühender Chrysanthemen in Mengen bestellt, um sie in ihrem Salon als Kontrast zu ihrem rot flammenden Haar aufzustellen. Es hatte eben eine Überfülle sonstiger belustigender Dinge gegeben. Die paar Tage reichten gar nicht aus für alles, was sich bot. Allein schon aus den Hotelfenstern die breiten Quais längs des Flusses zu sehen, mit den vielen gutgekleideten Menschen, war eine Augenweide; durch die wohlgehaltenen Straßen zu schlendern oder im sausenden Fiaker zu fahren, eine lang entbehrte Wohltat. Die ganze Stadt so merkwürdig neu, mit prächtigen Magnatenpalais und lockenden Schaufenstern. Darüber thronend die hochgelegene Burg. Auf einer Insel im Fluß ein Restaurant mit lustigem Getriebe und aufwühlender Zigeunermusik.

Die letzten Rennen des Jahres fanden gerade statt in diesem Lande der schönen Pferde und feschen Equipagen. Man war dabei einer Menge Bekannten begegnet, aus aller Welt und auch aus dem Lande selbst. Reizende Frauen mit fein geschnittenen Kameenzügen und graziös biegsamen Gestalten waren aus ihren großen Herrschaften mit Viererzügen zu den Rennen gekommen; Männer mit eleganten Figuren, feurigen Blicken, scharf gebogenen Nasen. Alle kannten, duzten sich untereinander. Eine Rasse, eine Welt für sich. Die aber Fremde – stundenweis wenigstens – voll bestrickender Liebenswürdigkeit in sich aufnahm.

Mrs. Clarence hatte dann alle, die sich so zusammengefunden, zum Diner ins Hotel geladen, und es war nachher bei Zigeunermusik bis tief in die Nacht getanzt worden. Wie immer und überall war Muriel, trotz aller anderen Schönheiten, auch hier die Gefeierte, die Königin. Und genoß, das zu sein, in frohster Laune. »Ist das Leben nicht glorios!« rief sie und stieß ihren Champagnerkelch gegen den Axels. Sie zeichnete ihn aus, trotz aller feurigen Huldigungen der Landessöhne. – Und auch das verstand sie, immer neue Vorwände zu schaffen, um in anmutigster Weise die Gebende zu sein. Mit den Fräulein Lourencao und Jelena Lazarewitsch hatte sie selbstverständlich Vielliebchen gegessen und ebenso selbstverständlich verloren. Das bot den Anlaß zu einer Wanderung durch die Läden der Stadt mit Einkäufen für die drei. Ganz ausstaffiert wurden sie, daß sie strahlten. Und auch für Ljubitza mußten Hochzeitsgeschenke besorgt werden.

Axel verstand Muriel völlig in diesem Bedürfnis, vergnügte Sorglosigkeit um sich zu erblicken. Es war ihm, als lerne er sie jetzt erst kennen. Und er entdeckte viel Verwandtes. Nur keine Trübseligkeit! das war ja auch sein Lebensmotto. Es wollte ihm aber gerade hier in dieser lustigen Welt plötzlich scheinen, als habe er davon in den letzten Wochen etwas viel gesehen. Na, überhaupt – wenn man mal wieder einen Blick in die wirkliche Welt tat, merkte man erst, was doch alles in der Stadt an den zwei Flüssen fehlte! –

Aber nun waren die Ferientage vorbei. Gleich sollte die Rückreise angetreten werden. Im Augenblick der Abfahrt vom Hotel wurde Mrs. Pemberton noch ein Eilbrief gebracht. Muriel erkannte auf dem Umschlag die Handschrift Nicodemus Pembertons, und sie neckte die Tante: »Drei Tage Trennung! Wie mag die der Onkel ertragen haben! Das erfordert mindestens einen Eilbrief!« –

Erst als man im Zuge saß, wurden die von den Herrn auf dem Bahnhof rasch eingesteckten Zeitungen, wurde auch der Brief gelesen. Da zeigte es sich aber, daß er nicht die von Muriel der alternden Tante prophezeiten Zärtlichkeitsergüsse enthielt, sondern ausschließlich von dem handelte, worüber auch die Zeitungen kurze Telegramme brachten – von den Holzhäusern! – Nicodemus Pemberton berichtete über die unliebsame Überraschung, die ihm und seinen beiden Kollegen bei dem Besuch im Ministerium geworden, und fuhr dann fort: »Natürlich sind wir alle drei sehr ärgerlich und auch entschlossen, uns diese Plötzlichkeit des Fürsten nicht gefallen zu lassen. Tatsächlich kann er die Lieferung ja gar nicht persönlich vergeben, und Oki Abunai weiß das auch recht gut, aber er hat damit gerechnet, durch öffentliche Kompromittierung des Fürsten die Sache zu erzwingen. Am wütendsten aber ist Mirojedsky. Er soll Lazarewitsch eine schlimme Szene gemacht haben. Drohte mit nichts Geringerem als Preisgabe des Fürsten, da er sich der großen Schutzmacht gegenüber undankbar erweise, ging soweit, Tscheslav Obradowitsch als eventuellen Nachfolger zu nennen. Der würde allerdings ein willfähriges Werkzeug in seiner Hand sein! – Natürlich hat Mirojedsky seine vielen hiesigen Krippengänger sofort mobilisiert, und es herrscht große Aufregung in der Stadt und besonders in dem ihm nahe stehenden Teil der Presse. Der Fürst hat freilich auch eine Partei für sich, und einstweilen sucht ihn Lazarewitsch auch noch zu decken. Aber man darf sich nicht verhehlen, daß tatsächlich sowohl Minister- wie Fürstenkrise besteht. Holst, der so zornig ist, daß er eigentlich nur noch Lateinisch spricht, hat, fürchte ich, Recht, wenn er sagt, nur ein deus ex machina könne noch Katastrophen abwenden. – Vielleicht werden die Holzhäuser übrigens noch andere Opfer fordern: Holst soll nämlich sehr aufgebracht gegen Kronar sein, er hätte mehr aufpassen sollen – was ich übrigens ungerecht finde. Aber enttäuschter Ehrgeiz macht leicht ungerecht! – Auf alle Fälle freue ich mich unendlich auf unser Wiedersehen, mein Darling!«

Mrs. Pemberton teilte natürlich nur Muriel den ganzen Brief mit und erzählte den übrigen Ausflüglern nur so viel vom Inhalt, als sie angemessen dünkte. Aber das Fehlende konnte sich jeder leicht selbst ergänzen. So verlief die Rückreise denn in sehr anderer Stimmung als die Ausfahrt. –

Am gedrücktesten waren Kronar und Fräulein Lazarewitsch. Die rundliche Jelena hatte ja von klein auf Staatsumwälzungen, Dynastienwechsel, Ministerkrisen erlebt, und so schlimm und gefährlich es auch oft um ihn gestanden, war der Papa doch immer wieder obenauf gekommen – aber unheimlich waren solche Zeiten doch allemal und voll schauerlicher Möglichkeiten: im Haus Papa schwermütiger, Mama apoplektischer denn je. Und grade jetzt hatte alles so gut gestanden: Papas Partei am Ruder, Milosch mit Ljubitza verlobt, und dadurch auch die Wukowitschgruppe gewonnen. Ach diese dummen, dummen Holzhäuser!– – Axel seinerseits wußte, als habe er es ihn sagen hören, was Holst denken mochte. Dachte es ja selbst jetzt. Warum war er denn nicht während des Sommers ein paarmal nach Andronikowice gefahren, statt die ganze Zeit in der langweiligen Stadt zu bleiben? Es wäre ja nur richtig gewesen, sich mal beim Fürsten zu melden, und bei ihrer alten Kameradschaft hätte ihm Papa auch sicher von den Anerbietungen Oki Abunais erzählt. Dann würde es ihm gewiß gelungen sein, den Fürsten von dieser unglückseligen Übereiltheit abzuhalten, oder wenigstens wäre die eigene Regierung durch ihn gewarnt worden. Dann wäre er jetzt der große Mann! – Ja, warum hatte er das denn nicht getan? Und er antwortete sich alsobald: weil es Liane ja nicht zugelassen hätte, daß er verreiste. Daß er selbst gar nicht daran gedacht hatte, war ihm entfallen. Er empfand sich als Opfer ihrer Schuld.

Muriel sah die Fältchen um Jelenas kläglich herabgezogene Mundwinkel und ward des Mitleids voll für dieses eben noch so fröhliche Mädchen, dessen Lebensschiffchen schon wieder zwischen böse Krisenklippen zu treiben drohte. – Und vor allem sah sie den Unmut in Axels Augen. Nein, so durfte ihr schöner Ausflug nicht enden! – Dieser nette Mensch, der ihr in diesen Tagen und fern von der Cousine noch so viel besser als bisher gefallen, den sie eigentlich jetzt erst recht entdeckt hatte, der mußte wieder froh und munter werden. Seine Augen lachten ja so hübsch um die Wette mit den Lippen, wenn er ausgelassen war! Dem sollte sein grämlicher Chef nichts anhaben. Und auch an den Fürsten dachte sie. Auch so ein netter Mensch. Und ebenfalls bedrängt, in Gefahr sein Despotenthrönchen zu verlieren. Wenn sie es recht bedachte, eigentlich die beiden Männer, die ihr bisher im Leben am besten gefallen hatten. Denn der mit seiner Brücke verunglückte Mr. Clarence war ja doch eine sehr kurze, recht vergessene Episode! Aber diese beiden, die sollten nicht verunglücken! Da durfte es keine Katastrophe geben. Es mußte ein Ausweg gefunden werden. Sie begann nachzusinnen. Eigentlich eine Lappalie diese ganze Sache! – Sie rechnete. Und das verstand sie. Ihr Kopf blieb stets kühl, praktisch ihr Denken – bei allem Übermut. Ja, es würde gehen. Ohne sie zu inkommodieren. Denn das lohnte nicht. – Und plötzlich lachte sie Axel hell an: »Cheer up! Sie werden sehen, es geht alles gut!« –

Im Bahnhof, die heimkehrenden Töchter erwartend, standen Herr und Frau Lourençao, blaß und kümmerlich im kalten Winde fröstelnd und wie immer den Eindruck erweckend, als hätten sie für die Jahreszeit nicht die richtige Kleidung an. Und neben ihnen Madame Lazarewitsch, blauroter denn je in dem, seit der Rückkehr aus den Weinbergen, neu angelegten Panzer westlicher Zivilisation, aber heut mit angstvollem Sorgenausdruck, der nicht recht zu dem breiten Antlitz passen wollte. Nicodemus Pemberton, auch etwas grämlich, aber doch erstrahlend, sobald er Darling erblickte. Und etliche andere.

Und wie sie nun noch alle so standen und Madame Lazarewitsch sich für den Ausflug ihrer Tochter bedankte, sagte Mrs. Clarence plötzlich laut und vernehmlich, so daß alle Umstehenden es hören mußten: »Liebe Madame Lazarewitsch, sagen Sie doch bitte dem Ministerpräsidenten, daß ich in einer Stunde bei ihm sein werde. Ich will ihm dann persönlich mitteilen, daß ich hier, wo ich eine so nette Zeit gehabt habe, ein kleines Andenken an meinen Aufenthalt hinterlassen möchte. Ich hab' mich drum entschlossen, Ihrem Lande die vielbesprochenen Holzhäuser zu schenken. Meine telegraphische Bestellung an das amerikanische Haus, das sie mir liefern soll, geht noch heute abend ab.«

Alle schauten sie staunend an. Am starrsten die Familie Lourençao. Wie war der Besitz doch so verschieden auf der Welt verteilt! – Madame Lazarewitsch begriff anfänglich kaum. Diese Selbständigkeit! Solchen Entschluß fassen! Durfte das denn diese blutjunge Frau, und konnte sie, was sie da so leichthin versprach, denn auch wirklich ausführen? Es handelte sich ja um Millionen! – Fräulein Lazarewitsch verstand die Tragweite der Worte schon besser: sie hatte ja in diesen Ausflugstagen Einblicke in Milliardärverhältnisse getan; und so war sie es, die, als erste, der schönen Amerikanerin dankend um den Hals fiel und, früherer Episoden im bewegten Leben ihres Vaters gedenkend, ausrief: »Nun ist Papa mal wieder gerettet!«

Auch Axel war anfänglich der Atem etwas vergangen. Donnerwetter ja, ein Leben mit solchen Möglichkeiten, das war freilich »glorios!« Und jetzt bemerkte er gar, daß die schöne Frau, die eben spielend ein Landesschicksal zurechtgerückt hatte, ihn lustig und wie in geheimem Einverständnis anzwinkerte: »Sagte ich nicht, cheer up, es wird alles gut?« – Ja, hatte sie es denn etwa für ihn getan? – Gerettet war er auf alle Fälle vor den Folgen seiner sommerlichen Untätigkeit. – Das war einmal eine Frau! Die war kein Hemmnis – die wußte zu helfen! –


Gerettet war auch Hans Hadubrand. Wußte es aber selbst noch nicht.

Die Tore des Palais waren geschlossen. Die verstärkte Wache im Hof versammelt. Offiziere in großer Zahl. Von Wukowitsch ausgewählte Leute. Milosch, der Stiernackige, als Kommandant. Einstweilen hielten sie noch zum Fürsten. –

Aber übel stand es. Demonstranten zogen durch die Straßen. Kaffeehauspolitiker und allerhand andere Gestalten, von denen niemand recht wußte, wo sie plötzlich hergekommen. Unbekannte. Stets Bereite. Kleinere Gruppen zuerst. Dann immer dichtere Züge. Alle zum stucküberladenen Palais gewandt. Die Meisten nicht wissend, worum es eigentlich ging. Die Wenigen mit harten Lippen, finsteren Brauen. Entschlossene.

Hans Hadubrand hatte hinaus gewollt. Mit ihnen reden. Sie aufklären. Meinte, ein Wort von ihm müsse genügen. Sie könnten gar nicht anders als begreifen, daß er allein sie nicht betrog, weil er ja nichts von ihnen wollte. Schon machte er sich auf, zu ihnen zu gehen – da – eine Wandlung in seiner Umgebung. Die Sprache der Offiziere beinah barsch. Befehl der Regierung sei, den Despoten unter allen Umständen im Palais zu halten. Milosch erklärte, wenn der Fürst jetzt hinausträte, sei alles verloren, Straßenkampf unvermeidlich. Schützen wollten sie ihn. Aber der Schutz sah Gefangenschaft recht ähnlich.

Nun saß Hans Hadubrand einsam in seinem Arbeitszimmer, zwischen all den Andenken an Rattenburg; entsann sich, wehen Herzens, mit welchen Wünschen und Absichten er von dort hierher gekommen. Draußen im Flur hörte er die Posten auf und ab patrouillieren. Wußte, daß auch Mulicke mit Gewehr und Pistole vor der Türe stand, fest entschlossen zu äußerster Verteidigung seines Herrn – in diesem Lande, wo man bekanntlich die Herrscher, wie daheim die Rehböcke, niederknallte.

Die Schritte der Wache übertönend Lärm und Rufen von der Straße. Wachsender Tumult. Anschwellende Haufen vor dem Palais. Johlen zu seinen Fenstern hinauf: »Fort mit dem Fremden! Fort mit dem Andersgläubigen! Er entzweit uns mit unserm Mütterchen Rußland! Er verrät uns an ein Heidenvolk! Fort, fort!« – Stoßen, schieben. Andere Scharen drängen zum Palais. Kleinere aber. Puffen, keilen gegen die Ersten. Gröhlendes Widersprechen: »Er will unser Bestes! Er will uns von der Knechtschaft befreien! Wir sind nicht Vasallen!« Hinaufschreien: »Hoch der Despot! Hoch Urosch!« Dagegenanbrüllen: »Fort mit ihm! Wir wollen keinen Fremden! Hoch Tscheslav Obradowitsch! Tscheslav! Tscheslav!« Und wieder: »Urosch! Urosch!« Tosen. Toben. Lallen.

Vor Mirojedskys Gesandtschaft auch Züge, Gruppen, Gedräng, Gebrüll. »Verlaß uns nicht! Der Fremde will uns ausliefern! In Heidenhäusern sollen wir wohnen! Du bist unseres Glaubens! Schütz uns! Du allein bist unser Freund! Hoch Mütterchen Rußland! Hoch Mirojedsky!«

Unschlüssig beratschlagten indessen Lazarewitsch und Wukowitsch im Ministerium. Was sollte geschehen? War Tobenlassen vielleicht das klügste? Zogen sie heim, wenn sie genügend gegröhlt hatten? Oder sollte man es riskieren, die Straßen säubern zu lassen? Aber konnte man sich auf die Truppen verlassen? Hatten Mirojedskys Rubel nicht vielleicht auch da schon gewirkt?

Da – wie durch Zauberschlag – eine Veränderung des ganzen Bildes. Der Besuch der Amerikanerin, der Retterin! – Unbekümmert kam sie, zwischen den Johlenden hindurch. »Habe Ärgeres daheim bei Streiks gesehen. Sie werden sich ja gleich beruhigen und anders schreien, sobald sie wissen!«

Und plötzlich wußten es alle. Von dem die Vorstellung von Ansprachen ans Volk erweckenden Balkon herab verkündete Lazarewitsch mit weithin schallender Stimme die frohe Botschaft. Und wohin seine Stimme nicht mehr drang, lief die Nachricht von Mund zu Mund durch die Menge, füllte mit einem Schlag die ganze Stadt. »Geschenkt bekommen wir die Holzhäuser! Gar nichts brauchen wir zu zahlen.« – »Wer schenkt sie uns?« – »Eine fremde Frau!« – »Kann die denn das, eine Frau?« »O ja, die kann das!« – »Der gehören Bahnen und Städte und Fabriken!« »Und Land! so viel, viel, mehr als das Fürstentum!« »Wo ist die Frau? Die wollen wir sehen!« – »Eben war sie hier im Ministerium.« »Ja, aber jetzt ist sie in die amerikanische Gesandtschaft. Da wohnt sie.« Da war die Menge auch schon dort. Vergessen das eben noch umjohlte Palais des Despoten, vergessen das eben noch bejubelte Haus Mirojedskys. Die ganzen Menschenmassen, schwitzendes Fleisch, stinkender Atem, stierende Augen, zerzaustes Haar, zerrissene Kleider – alles gedrängt, gepreßt, geknäult vor Nicodemus Pembertons Gesandtschaft. Hinauf schallend aus Tausenden heiser geschrieener Kehlen: »'rauskommen, 'rauskommen! Wir wollen die sehen, sehen!« – Schon donnerten Fäuste gegen die Haustür. Es hätte kein Sträuben geholfen. Aber sie sträubte sich ja auch gar nicht. An das weit geöffnete Fenster trat Muriel – stand da – in all ihrer sieghaften Schönheit – eine Blendung, eine Vision – und – lachte, lachte! Lachte immer wieder! – – Das Leben glorios! – ein kapitaler Spaß! –


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