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5. Kapitel.
In Eis und Schweigen

Als der Nachthimmel, reingefegt vom Gewittersturm des Tages, mit seinen weißflammenden Sternenlampen die dunkle Steppe erleuchtete, setzte sich das, was von den beiden Kompaniezügen übriggeblieben war, in langer schwarzer Kolonne in Bewegung. Sie marschierten mit vorgeschickter Spitze und Seitendeckung. Die Askari trugen die Gewehre schußfertig in den Händen und tauschten die notwendigsten Bemerkungen nur mit unterdrückten Stimmen. Trotz der kopflosen wilden Flucht der Wadschagga hatte der Unteroffizier, der als der einzige noch lebende Weiße die Verantwortung für hundert schwarze Soldaten auf den jungen Schultern trug, die Vorsicht nicht vergessen.

Er wußte gut genug, daß mit dem bisherigen König von Udschagga nicht alle zukünftigen in der Tiefe jenes Korongo verschwunden waren. Da oben in den vielen einzelnen Landschaften des Riesenberges saßen unabhängige und mächtige Häuptlinge genug, die gern den leeren Königssitz von Moschi einnehmen würden, umsomehr, als sie wegen ihrer offenen oder heimlichen Teilnahme an Melis Empörung die Rache der Deutschen zu fürchten hatten.

Mit müden Schritten stolperten die Askari dahin. Die Kämpfe und Entbehrungen der letzten Tage waren von ihren verfallenen, schmutzverkrusteten Gesichtern abzulesen. Aber in unerschütterlichem, nur noch stärker gewordenem Vertrauen merkten ihre von Schlaflosigkeit geröteten Augen auf das leiseste Zeichen ihres jungen Führers.

Den mittleren, längsten Teil des Zuges bildeten die Gefangenen. Sie waren zahlreicher als die Bedeckung selbst. Alle von ihnen, die nicht verwundet waren, trugen je vier und vier schwankende, notdürftig hergestellte Bahren und Hängematten mit schwerverwundeten Askari. Neben jener, in der Hatako seit Stunden laut- und reglos dalag, ging der Sanitätsgefreite her und teilte wortlos prompte und zielsichere Püffe aus, sobald einer der Träger strauchelte.

Die Frische der regengekühlten Nacht ermöglichte den müden Menschen gutes Vorwärtskommen. Als die schmale Sichel des Mondes im Westen verschwunden war, lagerten sie schon zu kurzer Rast am Ufer des nebelüberwallten Rauflusses. Vor ihnen erhoben sich in dunkel drohender Wucht die Massen des Gebirges.

Sie tranken gierig und tauchten Hände und Gesichter in das kalte Wasser. Mit Kolbenstößen und raunenden Schimpfworten ordneten die Askari die zum Flusse drängenden Gefangenen; geschäftig eilte der Sanitätsgefreite mit seinem Verbandskasten und einer kleinen Laterne, deren trüben Schein er nach draußen sorglich mit der Hand abblendete, von einer Bahre zur anderen und tränkte und tröstete die Verwundeten, denen der nächtliche Marsch mit den Erschütterungen des Getragenwerdens ein Weg endloser Qualen war.

Der Unteroffizier hatte hastig einen Trunk genommen, Leute zur Ablösung der Spitze nach vorn geschickt und war dann, vor Erschöpfung aufstöhnend, auf einen moosigen Stein am Wasser gesunken. Mit gekrümmtem Rücken und schwer vornüberfallendem Kopfe saß er, und in dem müden Dämmern seines Hirns sprang immer wieder der schmerzliche Gedanke an seinen Oberleutnant, der gleich bei dem ersten Ueberfall der Aufrührer gefallen und unter ihnen verschwunden war und der andere, sorgende, über das Schicksal der Boma und ihrer Besatzung auf. Er hatte die schnellsten seiner Leute vorausgeschickt, die seine Ankunft melden sollten – wenn noch jemand da oben lebte zum Melden –! Seit fünf Tagen hatte er nichts mehr von der Station gehört als die höhnischen Schreie der belagernden Wadschagga da unten, die von ihren siegreichen Brüdern in Moschi prahlten. Das wollte und konnte er nicht glauben, nur die wohlbekannten Knalle von erbeuteten Militärgewehren hätten ihm die furchtbare Wahrheit beweisen können, und die hatte er – Gott sei Dank! – nie gehört. Aber dennoch – –

Da gellte ein Schrei durch die Nacht, schrill, grausig und nervenlähmend, der Todesschrei eines Menschen! Von dem fürchterlichen Ton aus seinem Brüten gerissen, fuhr der Weiße in die Höhe. Alles um ihn her verstummte, erstarrte in jeder Bewegung. Nach oben gekehrt schimmerte das matte Weiß der Augen aus den dunklen Gesichtern. Spähend bohrten sie die Blicke in den schwarzen Wald, wo der unheimliche Saut hergekommen war. Schwerlastendes banges Schweigen war ihm gefolgt nichts war hörbar ringsum als das dumpfe Rauschen des Flusses in der Finsternis des Waldtals.

Da löste ein Schuß die Qual dieser Stille. Donnernd brach sein Widerhall von den Felsen und neue Schüsse, immer schneller und wilder, sich überstürzend in rasendem Trommeln, weckten neue langhinrollende Echos in der Nacht.

In einem Nu war ihre Lautlosigkeit verwandelt in tobenden Aufruhr. Brüllende heulende Stimmen, aufstachelnd zu wildem Angriff und zu verzweifelter Gegenwehr, gellten aus der Finsternis über dem Flußtal. Wie von einer Flutwelle hochgerissen, löste sich das Lager in wirres Durcheinander auf. In der Angst ihrer Wehrlosigkeit schreiend, sprangen die Gefangenen hinter die Askari, verkrochen sich unter die Bahren mit den schreckerfüllt rufenden und stöhnenden Verwundeten, sprangen ins Wasser und brachen in wilder Flucht in das schützende Dunkel der Büsche und Bäume. Brüllend warfen sich die Askari in den auseinanderstiebenden Schwarm, schlugen und schossen ziellos nach den wie Ratten verschwindenden dunklen Gestalten und waren selbst Ziel für rotaufblitzende Schüsse, die von den Steilufern auf sie herabkrachten. In langgezogenem Schrillen rief die Schützenpfeife des Weißen zum Sammeln und löste endlich den wilden Wirrwarr von Menschen- und Waffenstimmen, kopfloser Flucht und nutzloser Verfolgung.

Ueber die Brücke kam in rasendem Laufe ein Mensch geflogen, Feuerstrahlen und zerhacktes Blei sprühten und fetzten ihm nach. In herandringendem wüstem Geheul verstand der Weiße kaum die abgerissen keuchende Meldung: »Bana, die Spitze stieß auf Schigallas Romboleute – viele, im Wald – zwei Askari fielen – den – –. Den Rest seiner Worte verschlang das Johlen eines Menschenhaufens, der sich strudelnd über die Brücke ergoß. Schattenhafte Leiber, die wie Rudel wilder Hunde ansprangen, verzerrte schwarz-weiß gebänderte Gesichter unter schwankenden Federbüscheln, stahlgrau funkelnde Speer- und Messerklingen tauchten aus dem Dunkel auf, stürzten sich auf die braungekleideten Gestalten der Askari und vermischten sich mit ihnen im Getümmel erbitterten Handgemenges. Ein rasendes Morden begann; mit erbarmungsloser Wildheit und trotziger Verzweiflung tobte es in der tiefen finsteren Enge des Flußtals. Brüllen und Stöhnen, Wut- und Schmerzensschreie, dumpfe Schläge, knallend splitternde Lanzenschäfte und vereinzelt krachende Schüsse drangen aus der hin- und herwogenden Masse der Kämpfenden. Mit dumpfem Aufschlag brachen Gestalten nieder, wälzten sich ringend am Boden, stürzten verschlungen in das aufspritzende Wasser und verschwanden mit letztem Schrei indem Rauschen der Fluten.

Und immer neue Scharen von Wilden quollen aus dem nachtdunklen Wald herunter, stürmten über die Brücke oder durchschwammen den Fluß, und heulend vor Mordgier stürzten sich naßglänzende Körper mit geschwungenen blanken Waffen auf den zusammenschmelzenden Haufen der Askari. Einzelne, die keinen Gegner fanden, warfen sich wie blutberauschte Leoparden auf die Bahren der Verwundeten und stießen in besinnungsloser Mordlust ihre Messer und Sperre in die Leiber der Wehrlosen. Röchelnd wälzten sich die Sterbenden auf den blutschlüpfrigen Steinen, wurden von den Füßen der rasend weiter Kämpfenden zertreten, und über die sperrig herumwirbelnden Stangen ihrer Bahren stürzten die ineinander verkrampften Leiber in ganzen Knäueln zu Boden.

Unter einem Fußtritt zerbrach die Laterne des Sanitäters und das brennende Oel ergoß sich über den fettgetränkten Haarschopf eines hingefallenen Wilden. Mit flammenumhülltem Kopf sprang er, brüllend vor wahnsinnigen Schmerzen hoch in die Luft, fuhr sprühend wie eine lebendige Fackel in die verknäulten Massen der Fechtenden, die aufschreiend auseinander prallten und begrub dann mit erlösendem Sprunge seine Marter und sich selbst in den weißgischenden Fluten.

Zäh und wild wie gestellte Löwen fochten, zwischen die Wurzeln eines Baumes gedrängt, der junge Weiße und der alte Betschausch (Vizefeldwebel) Fetha. In stummer Entschlossenheit, sich zu wehren bis zum letzten Hauche des Lebens, warfen sie Mann um Mann in die Arme des Todes, die immer wieder nach ihnen griffen. Mit verzerrtem Munde und totblassem Gesicht schlug der Weiße mit einem aufgerafften Dschaggaschwert in blitzschnellen Hieben die blinkenden Speerklingen zur Seite, die nach ihm stießen, und in raschen, fast taktmäßigen Bewegungen zuckte das Bajonett des verwundet ins Knie gesunkenen Betschauschs vor und zurück.

Ueber der Bahre Hatakos brach ein zu Tode getroffener Askari zusammen, sein Körper verdeckte den unter ihm Liegenden vor den Hyänenblicken der Mörder. Aus den dunklen dumpfen Wäldern seiner Heimat, durch die ihn Fiebergluten getrieben hatten, endlos hinter unerreichbar Fliehenden her, kehrte er in halbem Wachen in die kampfdurchtobte Wirklichkeit dieser Nacht zurück. Heiß und glasig irrte sein glänzender Blick über den Totentanz, der sich in rasenden Wirbeln um ihn durch die Finsternis drehte. Lachend entblößte er seine weißen Zähne und stieß das Knie gegen den Körper über ihm, den eben zuckend das Leben verließ. »Bugwan, Alter, wach auf«, schrie er, »sieh, die Masai tanzen um den Elefanten!« Lustig, wie ihn bewußtes Leben niemals sein ließ, hob er die Hände, um den Takt zu klatschen und schrie auf in Schmerz und dumpfer Wut, als die verletzten Muskeln seiner Schultern nicht gehorchten. »Ah, Du bist's, Melis Gepard! – Du lebst noch immer! – Willst beißen?« Er spannte die Muskeln, wölbte knirschend den Körper zu einer Brücke auf, um die Last abzuschütteln, ein Schwall von klebrigem Blut floß bei der Bewegung vom Halse des Toten herab über sein Gesicht, in wirrem Stammeln erstarben ihm die Worte, bebend irrten seine machtlosen Hände über den Leichnam. – –

Klingend wie ein Trompetenstoß übertönte und durchdrang plötzlich eine knabenhafte Stimme von der Höhe des Hohlwegs herab den Tumult im Flußtal: »Seitengewehr pflanzt auf! – Laufschritt marschmarsch!« – und erstarrende Stille sank über den Kampfplatz.

Einen Augenblick nur, und sie begriffen! Wie ein auseinanderzuckender Schwarm von Fischen, die ein Steinwurf schreckte, fuhren die Wilden auf und davon, verschwanden mit unbegreiflicher Schnelle und Behendigkeit im Dunkel der Bäume, im strömenden Wasser, zwischen den Riffen und Schründen der Uferwände.

Die Askari der Bomabesatzung, die unter Führung des jungen Kompanieleutnants in schwer dröhnendem Laufschritt über die Brücke eilten, fanden von den Warombo, aber auch von den eigenen Kameraden, fast nur noch Schwerverwundete und Tote.

»Licht! Licht machen! – Sanitäter! Los, heran!« schrie die helle Knabenstimme. »Lechner! – Herr Oberleutnant Lechner! – Jehnes! – – Weiß!« – gellte sie dann über den Schauplatz des Gemetzels, immer dringender, bebender vor Grausen und Hoffnungslosigkeit. Erst auf den letzten Namen antwortete ein schwaches »Hier!« aus der Finsternis. Dann tauchten keuchende schwankende Gestalten, zerfetzt, schweißüberströmt und blutbespritzt, mit flackernden verstörten Augen aus der Dunkelheit in den weißstrahlenden Schein der aufsprühenden Magnesiumfackeln.

Der junge Mensch im Offiziersrock biß tapfer die Zähne zusammen und zwang die Augen, die sich schaudernd schließen wollten, offen zu bleiben. Mit klarer Stimme gab er Befehle. Geschäftig griff alles, was Hände hatte, zu. Und es gab genug zum Zugreifen auf des Todes nächtlichem Reigenplatz. –

Zwischen hohen Baumwurzeln erhob sich taumelnd ein Europäer, stieg über reglose Körper hinweg und tappte, lichtgeblendet, dem Leutnant entgegen. Seine Brust ging in kurzen Stößen, sein Gesicht war kalkweiß, in der nervös zuckenden Hand hielt er ein Dschaggaschwert, von dessen gekrümmter Spitze Blutstropfen langsam zu Boden fielen.

»Unteroffizier Weiß von Pare zurück mit – mit – – ja Herr Leutnant, ich weiß nicht mit wieviel Askari noch!« sagte er mit leiser Stimme.

»Gut, Weiß, gut, – setzen Sie sich nieder! Sind Sie verwundet? – Nicht? Das ist ein Wunder! – Mensch, Mensch! – –« Die Stimme des Leutnants war unsicher geworden. Dann gab er sich einen Ruck und ertränkte Ergriffenheit und inneres Beben im Sprudel seiner gewohnten schnoddrigen Redeweise. »Warten Sie mal – da!«, er nestelte seine Feldflasche los, »gießen Sie erst was davon auf die Lampe, sie scheint ein bißchen trübe zu brennen! So und nun als erstes: Lechner und Jehnes sind tot, nicht wahr?« »Ja, Herr Leutnant und –«, er sah sich um es war fast, als wollte sich ihm der Mund zum Weinen verziehen, »– und alle andern wohl auch!« Der junge Offizier senkte einen Augenblick den Kopf. »Na, Weiß – wir sind Soldaten und sind in Afrika! Nun erzählen Sie mal!«

Lange saßen die beiden Weißen im Wechselgespräch zusammen, während die Fackeln kreuz und quer über den Kampfplatz tanzten und rührige Hände Lebende von Toten schieden. Die Verwundeten wurden getränkt und verbunden und Bahren für sie gezimmert. Die Leichen der gefallenen Wilden flogen kurzerhand in den Fluß und von denen der Askari wurde unter den Bäumen eine lange Reihe gebildet. Hellklingend im steinigen Boden bereiteten Spaten und Seitengewehre für alle ein letztes gemeinsames Haus. » Tayari, (fertig) Bana Leitinanti!« meldete ein schwarzer Unteroffizier. Die beiden Europäer erhoben sich von dem aufgeschichteten Reisighaufen. »– – Die Browning hatte ich ihm mitgegeben. Ein Teufelskerl! – Daß er dem Meli, diesem schwarzen Vieh, das Herz aufgefressen hat, ist eigentlich ein Witz. Nur befürchte ich, daß ihn unser Chef nicht verstehen wird; der ist in solchen Dingen eigen. Will den alten Menschenfresser mal begrüßen, hoffentlich hat der Sanitäter recht gesehen, daß er noch lebendig ist« sagte der Leutnant, das Gespräch beschließend. Gefolgt von dem Unteroffizier schritt er über den feuererhellten Platz, da kam etwas von oben herabgeflogen, fiel mit dumpfem Aufschlag einem Askari, der sich eben bückte, auf den Rücken und kollerte in ein Gebüsch.

»Nanu, wer schmeißt denn da mit Kürbissen« sagte der Leutnant verdutzt und sah unruhig in die Höhe.

Der Askari zog das Wurfgeschoß aus dem Busch. »Allah!« stieß er hervor, ließ es wieder fallen und starrte, sich die Hand abwischend, erschrocken darauf nieder.

»Was ist es denn? Zeig doch mal her, Mensch!« Der Leutnant langte mit dem Fuße darnach, die Kugel rollte in den Schein des Feuers, und die beiden Weißen fuhren zusammen – es war der Kopf eines Menschen! Ueber schwarzverschrumpften Wangen grinsten leere Augenhöhlen, und aus lippenlosem Munde bleckten weiße Zähne.

Der Offizier riß sein Schnupftuch heraus, faßte den Schädel an den Haaren und hielt ihn beim Feuer empor. »Was soll – der kam doch von da oben, nicht? Wer mag das sein oder gewesen sein?« fragte er verwirrt.

»Bana Obaleitnan Lekna!« sagte da laut und langsam eine tiefe Stimme in das allgemeine starre Schweigen.

Wer –? Du bist's Hatako!«, stammelte der Leutnant fassungslos, »was sagst Du da?«

Halb aufgerichtet auf seiner Bahre sah ihn Hatako aus heißen Augen, doch mit klarem Blicke an. »Es ist Herr Oberleutnant Lechner«, wiederholte er, »ich habe diesen seinen Kopf schon auf einer Stange vor der Banda (Schutzdach) Melis gesehen, als ich den holte zum Töten.« Er wies mit dem Finger auf den Kopf. »Auch für diesen da hat er bezahlen müssen!« Dann sank er matt zurück, und seine von den Delirien des Wundfiebers gejagte Seele ging wieder auf ihre weiten Wanderungen.

In stummer Erschütterung setzte der Offizier das verstümmelte Haupt des Kameraden auf das Tuch nieder. Kein Wort fiel im Kreise. Hoch droben schwangen im Nachtwind die Aeste der Bäume vor blitzenden Sternen auf und ab. In der Tiefe der Felsen brüllte der Fluß, dumpf und in unheimlicher dunkler Wildheit wie die Seele seines Sandes. – –

Die Befragung der Posten hatte, kein Ergebnis. Sie hatten nichts gehört und gesehen von dem Boten, der die grausige Drohung dieses Grußes überbracht hatte.

Als die Salve über dem Grabe der Gefallenen verhallt war, setzte sich der Zug in langsame Bewegung. Er blieb auf dem ganzen langen Wege ungefährdet von den Warombo. Der Morgen graute schon, als die schweren Tore der Boma sich hinter dem stillen Zuge schlossen.

Für Hatako begannen lange dumpfe Wochen im Bomalazarett. Schon nach wenigen Tagen war er außer Gefahr; auch mit dem Gifte der Raubtierpranken war sein gesundes Blut fertig geworden und auf die erste Frage, die er nach überstandenem Fieber mit unterdrücktem furchtsamen Flackern in den Augen an den alten Stabsarzt richtete: ob er seine Arme wieder würde bewegen können wie früher, hatte der ihm bestimmt und ruhig geantwortet: »Ja! Doch mußt Du ganz still liegen, ganz still, hörst Du! Und noch viele Tage lang!«

Der Arzt saß in dienstfreien Stunden oftmals bei ihm, fragte ihn nach Ausdrücken in seiner Muttersprache und ließ ihn erzählen vom Leben seines Volkes. Das, was er hörte, schrieb er alles in ein dickes braunes Lederbuch. Seine Worte unterbrechend, verfolgte Hatako manchmal mit seltsam gespanntem Blick die schreibende Hand, und eines Tages fragte er den Arzt, wie man es machte, schreiben zu lernen. – »Es muß gut sein, mit sich selber sprechen zu können über das, was man sieht und hört. Und auch, aus einem Buche lesen, was andre gesehen und gehört haben und was ihre Meinung davon ist.«

Mit leisem Kopfnicken, als hätte sich ihm ein längst gehegter Gedanke bestätigt, sah ihn der Gelehrte aus seinen klugen stillen Augen an. »Ich werde Dir den Trompeter Johannes schicken und ihm ein Lesebuch und ein Schreibbuch und einen Bleistift geben. Johannes hat auf der Mission Lesen und Schreiben gelernt und kann es Dich lehren.«

Johannes kam, und der Unterricht begann. Er hatte schon früher welchen an Kameraden und deren Kinder erteilt, aber einen Schüler wie diesen Hatako, der ihm sonst in zweierlei Hinsicht, als Heide und als Kannibale, ein unsäglicher Greuel war, hatte er noch nicht gehabt. Schon nach acht Tagen schrieb der Mjema, aus dessen finstren Augen doch nichts als Mordgier und Wildheit sprachen, das ganze Alphabet. – Johannes schlug die Hände überm Kopfe zusammen und zerrte jeden, den er erwischen konnte, herein ins Lazarett, das Wunder zu besehen. Er wußte freilich nicht, daß Hatako alle Tage von morgens bis abends und noch die halben Nächte hindurch beim Schein einer Laterne, die ihm der gefällige Farsi besorgt hatte, schrieb und übte, oder, mit dem Finger folgend und leise murmelnd, die Worte und kleinen Sätze in seiner Muttersprache las, die ihm der Arzt aufgeschrieben hatte. Als sich Johannes nach einer Woche als Schreiblehrer überflüssig sah, legte er den Finger an seine breite Nase und änderte den Lehrstoff. Mit zur Seite geneigtem Kopf begann er von den Lehren des christlichen Glaubens zu sprechen. Wenn er mit drohend gerecktem Finger von den Einrichtungen der Hölle sprach, bekamen seine Augen, die gewöhnlich ein wenig schläfrig blickten, Glanz und Leben. Von denen des Himmels wußte er selbst nicht viel. Hatako hörte zu, aber er schrieb dabei weiter, malte Buchstaben an Buchstaben, gleichmäßig und schöngeformt, wie die langen Bänder von Ornamenten, die die Männer seines Volkes in die Tanztrommeln und die hölzernen Götzen schnitzten.

Dann und wann besuchte ihn auch der alte sudanesische Sol, ein Moslem voll eifernder Frömmigkeit. Auch seinem Herzen war dieser Menschenfresser eigentlich ein Greuel. Aber nur zur Hälfte. Es war ein altes Soldatenherz, und stets schlug es ihm wieder in schnelleren heißen Schlägen gegen die Brust, wenn draußen die Askari von dem verwegenen Wildling erzählten, der mit seinem Haumesser aus Löwen und Elefanten losging, den tausend Wadschagga oben im Gebirge nicht hatten fangen können und der aus Zehntausend heraus ihren König geholt, ihn samt seinem Jagdleoparden erschlagen und halb aufgefressen und ihn dann den Wadschagga auf die Köpfe geworfen hatte.

Auch der Sol schilderte in manchem langen Beisammensein die Lehren seiner Religion, doch sprach er mehr vom Paradiese und seinen Freuden. Hatako hörte auch ihm stumm zu und schrieb dabei. Bis er eines Tages den Alten durch eine ergänzende Darstellung der Lehren des Islam und das Hersagen ganzer Reihen von Koransuren verblüffte. Da gab der Sol alle Bekehrungsversuche an diesem Heiden, der über die Lehren des heiligen Buches so gut unterrichtet war und doch nicht glaubte, auf.

Und auch Johannes verzweifelte. Als er wieder einmal im Tone des Predigers seiner Mission lange von der allgemeinen Sündhaftigkeit der Welt und der besonderen Hatakos gesprochen hatte, sagte der mit seiner tiefen ruhigen Stimme – »Gut! Deine Rede ist mit Fett getränkt wie ein Masaizopf. – Sag', kommen Männer wie Du in den Himmel?« »Ja!« rief Johannes überzeugt und mit strahlenden Augen. »Dann will ich nicht hinein« antwortete Hatako, sah ihn an, schweigend und voll milder Verachtung wie der Löwe den Schakal, der an seiner Beute zupft und schrieb weiter.

Es dauerte lange, bis Johannes den Mund zumachte. Dann ging er, betrübt den Kopf wiegend, und kam nicht wieder.

Noch einer schlug über Hatakos Schreibübungen die Hände überm Kopfe zusammen – der junge Leutnant. Lachend kam er an und übergoß ihn mit einer Flut von Foppereien. »Ist's wahr, Hatako, Du lernst schreiben? Na, ich hätte auch eher geglaubt, daß unser zahmer Pavian Balduin da draußen unter die Schriftgelehrten gegangen ist, als Du alter Gurgelabschneider. Zeig mal her! – Mensch, Du kannst ja schöner schreiben als ich! Warte, wenn ich heim nach Uleia (Europa) gehe, nehme ich Dich mit, da kannst Du Küster und Kastellan im Schloß meiner Väter werden und die Chronik meiner afrikanischen Heldentaten schreiben. Hast Du Dich übrigens nun entschlossen, ob Du Dich taufen oder lieber beschneiden lassen willst? Oder willst Du dem Glauben Deiner Väter an die stärkende Wirkung von gebratener Männerlende treu bleiben und vielleicht die Medizinmannskarriere in Deinen muffigen Urwäldern einschlagen?«

»Ich verstehe nicht alle Deine Worte, Bana Leutnant«, sagte Hatako lächelnd, »aber wirst Du mich wieder mitnehmen auf Löwenjagd, wenn der Aufstand vorbei ist und meine Wunden geheilt sind?«

»Natürlich, mein Sohn! Aber vorläufig sieht's noch düster aus am Kilima Ndscharo. Weißt Du, dieser Schigalla macht uns zu schaffen. Das Land des seligen Meli ist ja ruhig und die Landschaft Rombo so ziemlich, aber dieser Räuberhauptmann Schigalla ist mit einer Bande von seinen eigenen und von Melis Galgenvögeln ins Gebirge hinauf geflüchtet und überfällt von da aus unsere Patrouillen und Trägerkolonnen und brandschatzt die Wadschaggadörfer, die sich uns unterworfen haben. Und wir können mit unseren übriggebliebenen paar Mann den Kerl nicht aufstöbern und erledigen und müssen warten, bis die dritte Kompanie von Mombo und die Ersatzleute vom Rekrutendepot in Daressalam eingetroffen sind. Aber dann gehts ihm ans Fell!«

»So will ich ganz still liegen, daß ich bald gesund werde und mit dabei sein kann!« sagte Hatako mit aufleuchtenden Augen.

Der Offizier wurde ernst. »Ja, nur fürchte ich, das Bana Hauptmann vorher ein paar unangenehme Worte mit Dir reden wird, wegen der Sache mit Melis gefrühstücktem Herzen. Kerl, Du bist doch ein Urviech! – Wie kannst Du bloß?!«

Daß der Leutnant mit seinen Befürchtungen recht hatte, wurde Hatako klar, als ein paar Tage später der Hauptmann zu einer Revision des Lazaretts kam. Als Letzten sprach er Hatako an. »Du hast Dich als ein tapferer Soldat erwiesen, aber es ist Dir gelehrt worden, daß Gefangene, Verwundete und Tote bei uns heilig und unverletzlich sind. Das, was Du mit der Leiche Melis getan hast, zeigt mir, daß Du nicht gehorchen kannst. Also können Dir auch andere nicht gehorchen, und Du kannst nicht Ombascha bleiben. Wenn Du gesund bist, kommst Du zum Schauri!« sagte der Hauptmann kalt und ging.

Mit unbewegtem Gesicht nahm Hatako den Bleistift wieder in die Hand. Ob er Askari oder Ombascha war, berührte ihn wenig, aber bald glitt sein Blick von dem Papiere weg und haftete auf dem schmalen Lichtbande, das durch das Fenster fiel. Eine scharfe steile Falte teilte seine Stirn, und dahinter begannen Gedanken in schwerem zähen Wühlen zu arbeiten.

Woher kam diese unbesiegbare Gier in seinem Blute, die es immer wieder zwang, den Feind nicht nur mit den Waffen, sondern auch mit den Zähnen zu zerreißen? – Warum war sie nur in ihm und nicht in den Schwarzen anderer Stämme und nicht in den Weißen? – Und warum war sie ihm nicht mehr so selbstverständlich wie einst und den anderen ein Abscheu und den Weißen ein Grund zum Strafen? –

Mühselig und ungelenk tasteten diese Gedanken herum, kreisten wie ein Tier, das eine verwischte Fährte sucht, und verloren sich doch zuletzt müde in der Weite eines fremden dunklen Landes.

Die Nachmittagssonne vergoldete das Lichtband im Fenster. Ein Abglanz ihres Scheines erhellte die düsteren Augen des Grübelnden und ein friedvoller, fast weicher Zug löste die harten wilden Linien seines Mundes.

Weit dehnte sich ein blühendes sonnenbeschienenes Feld und in tiefem feierlichen Klange zitterte ein langgezogener Ton durch sein Herz – mit einem Male wußte er, daß es das Sonnenlächeln jener weißen Frau, der Klang ihrer Stimme war. Einmal von ruhelosem Wunsch und Drang befreit, schwang der Schlag seines Herzens in großer, selig leichter Stille, träumend schloß er die Augen – da verlosch das Licht und verhallte der Klang, und wie ein Löwe aus der Nacht sprang die Erinnerung ihres Todes. –

– Nie mehr würde er dieses Lächeln sehen, nie mehr den Klang ihrer Stimme hören! – Erloschen der Stern, der unerreichbar fern, aber mit freundlichem Schimmer am dunklen Himmel seines Lebens gestanden hatte, – nie nie mehr. – –

In ungestillter wilder Wut und Qual warf er sich zurück, krümmte seinen Körper, schlug die spitzen weißen Zähne in das Fleisch des eigenen Armes.

»Was machst Du, Hatako?« fragte plötzlich die Stimme des Arztes neben ihm. Er schreckte zusammen und in heißer Qual sah er stumm den Frager an. Der setzte sich auf den Rand des Bettes, seine dünnen weißen Finger schlossen sich leicht um Hatakos Handgelenk und die Augen auf dem Zifferblatt der Uhr, sagte er ruhig: »So wie Du mit mir über alles reden konntest, was in Deinem Leben war, kannst Du es auch über das, was in Deinem Kopfe ist. – Gleich als Du zu uns kamst, sagte ich Dir, daß ich Dein Freund bin und Du weißt, daß ich das nicht nur gesagt habe.«

Eine Weile blieb Hatako stumm und sah starr an die Decke. Dann begann er zu sprechen, langsam und mit langen Pausen zwischen den Worten, mehr wie zu sich selbst: »Sieh, Bana Mganga, ich habe immer zu essen gehabt, seit ich bei Euch Askari bin und eine Uniform, um mich zu bekleiden und ein Dach gegen Regen und Tau und Geld für Tabak und Frauen und auch Jagd und Kampf – aber nie ist mein Herz ruhig gewesen und satt. – Immer brennt es und sucht umher, ich weiß nicht was. – Und immer sind Gedanken in meinem Kopfe und fragen, warum alle Dinge so sind. – Warum ich immer so bleiben muß, wie ich bin, nie vergessen kann, wenn jemand freundlich zu mir war, aber nie auch, wenn mir jemand Böses getan hat. Und daß mich das, was ich liebe oder hasse, stets erfüllt bis ganz herauf, sodaß ich nicht höre und sehe und nicht müde werde, bis ich meinen Freunden geholfen habe oder das Blut meiner Feinde auf der Zunge geschmeckt. – Aber ich will nicht mehr ein Menschenfresser sein und von meinen Kameraden verachtet und verspottet werden, wo ich doch klüger und stärker bin als sie alle, und von den Weißen bestraft werden, denen ich doch zu dienen versprochen habe. – Sieh, Bana Mganga, alle diese Dinge rennen und springen durch meinen Kopf und trampeln unaufhörlich darin wie die tausend Hufe einer Herde von Zebras. Ihr Europäer wißt so viel, und Du weißt noch viel mehr als alle anderen, kannst Du mir antworten und sagen, warum das alles so ist?«

In flüchtiger zarter Bewegung strich die weiße feine Hand des Arztes über die braune Stirn des Wilden und mit stillem müden Lächeln sagte er: »Nein Hatako, das kann ich nicht. Auch wir Weiße wissen nicht alles, und seit vielen tausend Jahren haben auch die Klügsten unter uns auf viele »Warum« keine Antwort gefunden. Aber manche Deiner Fragen wird Dir noch Dein eigenes Leben beantworten.«

»O, aber wenn ich alt bin und meine Knochen sind lahm, und mein Blut ist kalt, dann wird mir das Wissen nichts mehr nützen. Da mir nun Menschen keine Antwort geben können, so werde ich gehen und Götter fragen. Der eine der Mohamedaner und die drei der Christen sind in fernen Himmeln, wo ich nicht hin kann. Aber dort oben in dem kalten Eislande sollen mächtige Geister wohnen; Bugwan sagte, daß sie immer da waren und so alt sind wie die Welt. Also müssen sie sehr klug sein und alles wissen. Schon immer wollte ich hinauf in ihr Land, aber stets mußte ich wieder umkehren. Nun werde ich nochmals hinaufsteigen, und lieber will ich sterben als wieder herabkommen, ohne auf dem letzten allerhöchsten Stein des Berges gestanden zu haben und mit den Geistern gesprochen über das, was ich Dir sagte und noch vieles mehr, Bana Mganga.«

Er hatte geendet, und seine von dunklen Leidenschaften durchflammten Tieraugen blickten ganz seltsam verändert, etwas von der rührenden Wundergläubigkeit eines märchenspinnenden Kindes strahlte daraus dem alten Arzt entgegen.

Die blutleeren Finger seiner Hände ineinander gelegt, sah der Gelehrte mit versonnenem Lächeln auf das braune Gesicht herab. »Ja, geh hinaus, Du seltsames Menschenkind und hole auch Du Dir die Antwort, welche schon allen geworden ist, die vor Dir in den Himmel gestiegen sind« sagte er leise und ging hinaus.

Eine Woche später meldete sich Hatako beim Feldwebel gesund und trat dann mit zum Appell an. Die dritte Kompanie und die Ersatzmannschaften mit zwei hierher versetzten Offizieren waren eingetroffen. Die Kompanie wurde aufs neue in Züge eingeteilt und bekanntgegeben, daß der erste und dritte Zug zusammen mit der anderen Kompanie am anderen Tage aufbrechen sollte, um Schigallas Banden aus ihren Verstecken oben über der Urwaldzone aufzustöbern und unschädlich zu machen.

Der Hauptmann selbst verkündete den Tagesbefehl, und dessen letzter Satz lautete: Der Ombascha Hatako wird wegen Kannibalismus vom Ombascha zum Gemeinen degradiert.

Wie aus Stein gehauen stand Hatako vor der Front, keine Muskel zuckte in seinem mager gewordenen Gesichte, aus dem die Backenknochen scharf hervorsahen. »Nach dem Wegtreten gehst Du in die Kammer und gibst Dein Alma ab!« setzte der Hauptmann mit einem kalten Blick auf den Degradierten hinzu.

» Nido, Bana Hauptmann« sagte seine tiefe unbewegte Stimme, » nadaka Schauri

»Was willst Du noch?«

»Bana Hauptmann, ich möchte zum ersten oder dritten Zug versetzt werden, um mitgehen zu können und Schigalla jagen.« Die Stirn des Offiziers furchte sich, er öffnete den Mund zu einem harten »Nein«, da trat der Stabsarzt, der mit verschränkten Armen im Kreis der Offiziere gestanden hatte, neben ihn und sagte schnell und mit unterdrückter Stimme: »Einen Augenblick bitte! Als Arzt habe ich zu bemerken, daß der Mann lange an seinen schweren Wunden gelegen hat und ihm ein bißchen frische Bergluft recht gut tun würde. Und als Kamerad appelliere ich an Ihren Gerechtigkeitssinn, der nicht verkennen wird, daß der Mann zwar ein Kannibale, aber auch ein ausgezeichneter Soldat ist und bitte, ihm nach seiner verwirkten Strafe doch auch Gelegenheit zum Wiedergutmachen geben zu wollen.«

Der Hauptmann lachte auf. »Sie reden ja wie ein Advokat, der einen Raubmörder loseisen will, Doktorchen – Also gut, mag Ihr kannibalischer Klient mitgehen und die Schweinebande einfangen helfen. Aber reden Sie ihm ins Gewissen, daß er sie nicht gleich wieder anschneidet!«

Dann verständigte er den Kompaniefeldwebel von Hatakos Versetzung zum dritten Zuge.

Am anderen Morgen zogen die Abteilungen mit klingendem Spiel zum Tore der Boma hinaus, durchs Dorf und dann auf verschiedenen Wegen den Berg hinan. Im dritten Zuge, der unter Führung des Feldwebels den Weg über Marangu nahm, marschierte auch Hatako. An seinem linken Aermel fehlte das Dreieck des Ombaschas. Als sein Blick auf ein rotes Fädchen fiel, das noch von dem Zeichen am Stoffe hing, lief ein Zucken um seine Mundwinkel, als hätte er auf eine bittere Frucht gebissen. Dann nahm er gelassen den Faden weg und blies ihn in die Luft, und sein Gesicht hatte wieder den unbewegten, finster verschlossenen Ausdruck wie immer.

Am Abend lagerte die Abteilung auf einer Lichtung im Urwald. Hatako hatte die erste Wache. Auf sein Gewehr gelehnt, starrte er auf einen schmalen, dunklen Spalt, den ein vom Berg herabkommender Pfad in der grauen, nebelüberwallten Mauer des Waldes öffnete. Dort war es gewesen, wo wieder einmal um Haaresbreite die wilde Fahrt seines Lebens ein Ziel gefunden hätte. Dort hatte ihn die lauernde Dschaggahorde angefallen, doch nach dem Kampfe hatte nicht er, aber mancher der Dschaggakrieger im weichen feuchten Waldgras dieser Lichtung gelegen – – Ein Lächeln kräuselte seine Lippen, und ein tiefer Atemzug hob ihm Brust und Kinn – er war stärker und schneller als alle Männer von Dschaggaland – er war unbesiegbar!

Dann hob er die Augen, und in verlorenem Sinnen hing sein Blick an der bleichschimmernden Eiskuppel, die, von Mondschein übergossen, in unendlicher Höhe auf milchfarbenen Wolken schwamm.

Einen Tag später lagerten sie zweitausend Meter höher zwischen eisglitzernden Felstrümmern. Am Nachmittag hatten sie ein stundenlanges heißes Gefecht mit Schigallas Banden gehabt, das sich in dem Steingewirr der Sattelebene in wilde Einzelkämpfe aufgelöst hatte. Die Ueberlegenheit, die die Askari durch ihre bessere Disziplin und Bewaffnung gehabt hatten, war durch das Vertrautsein mit dem Gelände und den Mut der Verzweiflung beim Gegner, der seine letzte Zuflucht verteidigte, ausgeglichen worden. Beide Parteien hatten schwere Verluste gehabt, aber die der Aufständischen waren noch nicht schwer genug gewesen, um ihre Widerstandskraft zu brechen. Die Offiziere der Truppen, die sich jetzt vereinigt hatten, wußten, daß damit zu rechnen war, solange ihr Führer, der verwegene wilde Schigalla noch lebte.

Die Feuer lohten hoch und rot empor und zähneklappernd drängten sich die schwarzen Soldaten, in ihre Decken vermummt, immer näher an die prasselnden Flammen heran. Als Hatako gegen neun Uhr geweckt wurde, um mit auf Wache zu ziehen, blies ein Wind von den Gletschern herab, der wie mit scharfen Messern in Gesicht und Hände schnitt. In wenigen Minuten war das Sterngefunkel des Himmels über sturmgejagten Wolken verschwunden. Zwischen Fetzen, die die Peitschen des Sturmes von den drängenden dunklen Massen abgerissen hatten, huschte ein paarmal noch weißer Mondglanz über die Berglandschaft, dann ging alles in den stiebenden grauen Schwaden und dem schrillen Pfeifen des Schneesturms unter.

Hatako löste den Kameraden ab, der schneebedeckt und steifgefroren an einem Steine lehnte und vor Kälte kein Wort sprechen, sich kaum bewegen konnte. Neben einer überhängenden Felssäule stellte er sich auf. In gewaltigen körperhaft schweren Stößen warf sich der Sturm gegen ihn, er mußte sich auf sein Gewehr stützen, um nicht umgerissen zu werden, und halbe Minuten lang die Augen schließen und den Kopf zum Atmen abwenden. Ein schauerliches Getöse erfüllte die Luft, mit tausend wilden Stimmen schrie der Sturm aus der Nacht. Es brüllte und heulte, kreischte und pfiff, stöhnte und winselte über zackigen Graten, in Schluchten und Schründen uns verhallte wie das schwere Brausen bewegter See tief tief drunten in den dunklen Massen der Wälder.

Prickelnd und klirrend wie Sandstrahlen sausten sturmgetriebene Schwaden von Eiskristallen gegen den Felsen. In der auf- und niederwabernden Lohe der Lagerfeuer glühten sie purpurn wie Rubinensplitter.

Prustend band sich Hatako das flatternde Backentuch seines Tarbuschs am Halse fest und fuhr dann mit den froststeifen Händen in zwei kleine Fellsäckchen, die er sich noch am Abend vor dem Abmarsch genäht hatte. In dem Tosen des Sturmes hörte er einen schweren Schritt hinter sich erst, als der Ankommende dicht bei ihm war. Es war der Kompaniefeldwebel, der die Posten revidierte. Die Hand vor die Augen gelegt, sah er Hatakos Bemühungen zu.

»Man merkt's, daß Du den Zauber hier oben schon kennst, mein Junge!« lachte er auf, als er den Zweck der drolligen Pelzsäckchen erkannte, und anerkennend schlug er den Askari aus die Schulter.

»Nichts Neues auf Wache!« meldete Hatako.

»Nein, was Neues ist das nicht gerade, aber doch was lang Entbehrtes« sagte der Weiße mit leuchtenden Augen und machte eine Handbewegung in das wirbelnde Gestöber von Schnee und Eis hinaus. Und Hatako bemerkte zum ersten Male, daß diese Augen von derselben grünlichkalten Farbe waren wie die Eiszapfen, die von dem Felsturm über ihm herabhingen. Mit gespreizten Beinen und gegen die Wucht der Windstöße weit vornübergebeugtem Oberkörper stand die Riesengestalt des Weißen, und aus seinem rotbraunen Gesicht blickten die Eisaugen, ohne zu zwinkern, in die peitschenden weißen Wirbel hinaus.

Plötzlich zuckte er zusammen und ruckte hastig an Hatakos Arm. »Hallo, war da nicht eben jemand? Hast Du – – Da wieder!«

Spähend bohrten sich das helle und das dunkle Augenpaar in die schrägtreibenden lichtgrauen Eisschauer.

» Watu kulle! Unaona? Watu vingi!« (Leute dort, siehst Du sie? Viele Leute) flüsterte Hatako und nestelte hastig mit den vermummten Händen am Sicherungsflügel seines Gewehres.

Der Feldwebel warf sich herum, und dröhnend wie das Gebrüll eines Stieres drang seine Stimme durch das Heulen des Windes: » Angelieni, Adui tayari!« (Aufgepaßt, der Feind kommt). Da krachten auch schon Schüsse auf und zwischen den Felsen zischten Wurfspeere klirrend und splitternd herab, und wie vom Sturme herangeweht raste ein Menschenschwarm durch die Felspforte in die Lagerschlucht herein. Weißbeschneit und heulend und belfernd wie Steppenwölfe, über denen der Hunger die Peitsche schwingt, stürzten sie vorwärts.

Hatako war von ihrem Ansturm gegen den Felsen geschleudert worden, er stürzte hin, raffte sich wieder auf, riß noch im Aufspringen mit den Zähnen den Handschuh ab und »Peng! Pengpeng – Peng!« sprühten seine Schüsse in das Rudel. Unwiderstehlich wie ein wütender Elefant fuhr die mächtige Gestalt des Feldwebels unter die Stürmenden, wie Schmiedehämmer arbeiteten seine waffenlosen Fäuste, boxten und stießen in den Menschenknäuel und schmetterten ihnen die Köpfe zusammen. Aus dem Lager drang wüstes Gebrüll, wirres Schießen und stampfendes Getrappel von kämpfenden Menschen.

Nur wenige Augenblicke dauerte, es an, und ebenso blitzschnell wie der Angriff erfolgt war, brandete er zurück, und wie Schatten flogen die nacktfüßigen Wilden wieder die Steintrümmer hinan und zum Hohlwege hinaus.

Ein gedrungener stiernackiger Schwarzer mit gewaltig breiten Schultern schnellte als Letzter zwischen dem Felsen und dem Askari durch, ein glühender Blick aus rotgeäderten Augen, flüchtig wie ein Feuerfunke, traf Hatako, und in gedankenschnellem Hiebe fuhr aus dem Sprunge heraus eine Klinge mit scharfem Pfiff auf seinen Kopf nieder. In duckendem Vorstößen unterlief Hatako den Hieb, und mit dumpfem Schlage fuhr die totdrohende Klinge unschädlich in das zusammengeknotete Nackentuch. Im nächsten Augenblicke war die wilde Gestalt im Schneetreiben verschwunden.

»Schigalla! – Haya Bana!« gellte Hatakos Stimme, – und in flüchtigen Sätzen sprang er dem Fliehenden nach.

»Schigalla?!« brüllte fragend der Feldwebel, raffte einen abgebrochenen Speer auf und fuhr geschwind und wuchtig hinterdrein.

Da klangen verworrene Rufe aus der Nacht, in flüchtigem Schwarme hetzten grauverschwommene Gestalten zurück, der Sturm trug ein helles Kommando herüber, Askarigewehre knallten, Schreie der Wilden antworteten. Die letzte noch fehlende Abteilung der Truppen, zwei Züge der dritten Kompanie, waren eben angekommen und auf die flüchtenden Aufständischen gestoßen. Sie trieben sie in langer Schwarmlinie zurück, und die aus dem Lager in hitziger Verfolgung Nachströmenden empfingen sie wieder von vorn.

Die Wilden fuhren auseinander, stoben einzeln und in versprengten Trupps über die Halde und gerieten in immer neue Gruppen von Verfolgern, die allerwärts zwischen den Felstrümmern auftauchten. Aber auch diese selbst stießen im dunklen Gestöber des Schnees aufeinander, schlugen und schossen, sich nicht erkennend, blindlings darauf los, und mancher Askari fiel durch die Hand eines Kameraden. Doch die Ueberzahl der Truppen machte in dieser Sturmnacht mit den Banden Schigallas und damit den letzten Flammen des Aufstandes am Kilima Ndscharo ein Ende. Es gab keine Gnade bei diesem Morden im Schneesturm. Die Askari trieb lange verbissene dumpfe Wut über all ihre gemordeten Kameraden und die Einwirkungen der Kälte, unter der sie so furchtbar litten, und die Wadschagga und Warombo, die tapfersten und tüchtigsten ihres Volkes, fochten jetzt nur noch für ein rasches Ende des unstäten, elenden Lebens, das sie hier in der Rauheit und Unwirtlichkeit der Gebirgsgipfel, hoch über ihren sonnigen Heimatfluren, geführt hatten.

Sie fielen sich mit den blanken Waffen und den bloßen Händen an, erwürgten sich gegenseitig, stürzten einander die eisigen Felsen hinab und zerschellten und starben gemeinsam in den Steinbetten der Gletscherbäche, von Eiswasser überrauscht, in den erstickenden weißen Massen der Schneewehen auf dem Grunde der Schluchten oder zwischen den Sägezähnen zerrissenen Gesteins in der Enge dunkler Klüfte.

Unruhig suchend rannte Hatako auf dem Kampfplatz hin und her, gefolgt von dem kampfwütig schnaubenden Feldwebel. Eben noch hatte er die gedrungene Büffelgestalt des Anführers gesehen, wie sie, ein breites Masaischwert schwingend, unter eine durcheinanderwirbelnde Gruppe von Kämpfenden sprang, da war der Feldwebel mit mehreren Wilden zusammengeraten, Hatako hatte ihm beigestanden und dabei den Häuptling aus den Augen verloren.

Aus einem Kessel, der von hochgetürmten Blöcken wie eine Ringmauer umgeben war, scholl wildes Gebrüll herauf. Hier war der Platz, wo am heißesten gekämpft wurde, und da würde der Häuptling sein! Rutschend und stolpernd sprang Hatako hinab und erreichte das Getümmel der Kämpfenden gerade, als es sich in Flucht und Verfolgung auflöste. Und richtig sah er hier den Gesuchten wieder. Behender als es seine massigen Körperformen vermuten ließen, huschte er, von den anderen Fliehenden abgesondert, über die Steinblöcke hinweg und eine ginsterbestandene Halde hinauf. In langen, fast geräuschlosen Sätzen sauste der Askari hinterher, nur darauf bedacht, die kurze dunkle Gestalt da vorn nicht wieder aus den Augen zu verlieren.

Ebenso unvermittelt wie das Unwetter eingesetzt hatte, verzog es sich jetzt wieder; durch fliegende graue Wolkenschleier brach gedämpftes Mondlicht herab, und die letzten Stöße des Sturmes erstarben mit fernem dumpfen Brausen in nachtverhüllter Tiefe. Ein beschneiter glatter Hang dehnte sich vor Hatako aus, und weit weit vorn flog der Verfolgte wie ein schwarzer Schatten darüber hin. Der Askari ballte die Fäuste im Lauf; erstaunt und wütend, daß dieser Mann da noch schneller war als er, verdoppelte er seine Geschwindigkeit. Den Blick starr auf den huschenden Schatten gerichtet, fegte er über den Schnee, und hinter sich, in weitem Abstande zwar, aber deutlich genug, hörte er noch immer den schweren Lauf des Feldwebels. Ohne Unterbrechung ging die Hetzjagd weiter, immer höher hinauf. Der Häuptling schien gemerkt zu haben, daß er verfolgt wurde und gab sein Aeußerstes her, aber unermüdlich blieben ihm die Beiden auf den Fersen.

Mondlicht übergoß jetzt voll und klar den eisglänzenden Wall des Gletschers vor ihnen, in ungeheurer Wölbung türmten sich seine mattschimmernden Massen zum sternfunkelnden Firmament hinauf, unbewegt und hart wie eine Glocke von bläulichem Glas lag die Nachtluft über den Eisfeldern. Fern unter ihnen hallten letzte Schüsse und Rufe und die zitternden, verloren schwingenden Klänge eines Trompetensignals.

Langsamer wurde der Lauf des Fliehenden, auch seine Jäger keuchten in immer kürzeren mühsameren Stößen. Aber in verbissener Entschlossenheit rannten und rannten sie, immer höher hinauf in die weiße schweigende Eiswelt. Eine Gruppe nackter Klippen ragte wie verbranntes Gemäuer über die blinkende Fläche empor, in ihren schwarzen Schlagschatten tauchte der Fliehende unter. Japsend kam Hatako an und umkreiste in stolpernden Sprüngen die Felsen, doch von dem Verfolgten war nichts zu sehen. Die ungeheure Anstrengung eines Laufes in der dünnen Luft dieser fünfeinhalbtausend Meter zersprengte ihm fast die Brust, scharfe Stiche fuhren ihm durch Stirn und Ohren, und Blutfäden rannen aus seinen Nüstern. Krampfhaft schnappend holte er zwei drei Atemzüge Luft, wischte sich mit dem Jackenärmel das Blut ab und sah sich suchend um. In schwankendem Lauf kam unten der Feldwebel über das Eis gestolpert, sein schweres Keuchen drang laut durch die stille kalte Luft.

Scharf horchend und lugend, denn mit jedem Schritt konnte er auf den lauernden Verzweifelten stoßen, wand sich Hatako durch die Felsspalten, da durchschnitt ein kurzer Ruf die Stille, ein dumpfer Schall wie von schwerfallender Last folgte. Hastig sprang Hatako hinaus, und hundert Schritt unterhalb sah er eine riesengroße Menschengestalt vom blinkenden Eise aufstehen, eine schwärzliche Masse lag zu ihren Füßen, und donnernd hallte ein Ruf durch die Gletschernacht – »Hatako, njo hapa! Nimekamata! (Komm her, ich habe ihn).«

»Ndio!« scholl Hatakos Antwort hinab, und mit einem entspannenden Seufzer setzte er sich zu kurzer Rast verschnaufend nieder.

Aufglühend und wieder verblassend, wie die Bilder eines Traumes, glitten die Erlebnisse und die Gestalten der Toten des Dschaggaaufstandes an ihm vorüber. Als letzte stand die jener weißen Frau vor seiner Erinnerung, ihr gutes goldnes Lächeln erfüllte ihm noch einmal wie fliehender Abendsonnenglanz sein müdes Bewußtsein und verlosch dann still in der kalten weißschimmernden Wirklichkeit der Eisnacht, die ihn umgab.

Langsam stand er auf, da fiel sein Blick auf die Gipfel, die silbern über ihm erstrahlten, und in Bann geschlagen blieb er stehen. So nahe, zum Greifen nahe schimmerten die Throne, auf denen die Geister saßen – die Geister, die er doch fragen wollte nach allem, was ihn drängte und trieb – wer weiß, wann er dem Ziele seiner jahrelangen Sehnsucht wieder so nahe kam – der Kampf da unten war zu Ende und rief ihn nicht mehr – hinaufgehen jetzt, hinauf! Lieber sterben als nochmals umkehren!

Da senkte er den Kopf und stieg langsam dem silbernen Glanz entgegen. Schwächer und ferner hallte die rufende Stimme des Weißen weit unter ihm durch die Nacht – ohne innezuhalten oder sich nur umzusehen, schritt der Mjema den Gletscher hinan.

Blau und kalt strahlte der Mond, auf silbergleißender Bahn stieg ihm der Wanderer entgegen. Stille sang um ihn und weltverlorene Einsamkeit ewigen Eises. Die Zeit blieb stehen, er wußte nicht, wie lange er schon wanderte, wußte nicht, ob es sein Blut war, das so laut sang und brauste, oder die Stimmen der Geister, die er suchte. Immer langsamer und taumelnder wurde sein Gang, Schauer von Feuerfunken sprühten aus dem kalten Glanz des Eises, dröhnend wie ein gewaltiger Hammer klang der Schlag seines Herzens durch die Stille, und in jagenden Stößen pfiff der Nebel seines Atems aus dem weitgeöffneten Munde.

Stufen, Wälle und Berge von Eis, dunkelblauschimmernde Abgründe, blinkende Hörner und glitzernde Wände blieben unter seinen Füßen zurück; neue türmten sich über ihm empor in endloser erdrückender Wucht – er stieg und stieg.

Da – seine halbgeschlossenen Augen öffneten sich jäh und schlossen sich wieder vor der unfaßbaren Größe des Anblicks, der sich ihm bot. Regungslos stand er, seine Hand bedeckte die Augen, sein Atem war verstummt, Stille der Ewigkeit umfing ihn.

Langsam, ganz langsam ließ er die Hand sinken und blickte auf. In grenzenloser Rundung öffnete sich vor ihm ein ungeheurer Abgrund, seine Tiefen verloren sich in blauschimmernder Nacht. Ueber den gewaltigen Massen eines Kreiswalles von Eis, der sich leuchtend hinausschwang in unabsehbare Weiten, brannten weißflammende Sterne.

Scheu und zögernd drehte er den Kopf und sah sich mit starren Augen um – er stand auf dem Gipfel des Geisterberges! Schweifend glitt sein Blick durch den weißen Glanz der Nacht, drang forschend hinab in den dunkelblauenden Abgrund und eilte suchend aufs neue über die blinkenden Hänge des Eiswalls. –

Da begriff er! – Schweigen, Kälte und Oede, ungeheure Verlassenheit und Einsamkeit, unendliche Leere – sonst wohnte nichts und niemand hier oben!

Lange stand er, und die Kälte des ewigen Eises drang in sein Herz. Da begann es zu singen und zu tönen in der Luft, Nebel wallten aus den Tiefen des Kraters, in mächtigen Klängen setzte das ewige Lied des Sturmes ein. Der Mensch auf der Gletscherzinne hob den Kopf, streckte die Arme zu den verlöschenden Sternen empor, und ein Lachen voll Wildheit und Trotz übertönte den brausenden Gesang des Sturmes.

 

Ende.

 


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