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Um die flache Kuppe eines niederen Hügels wand sich ein rotleuchtendes Band von frischaufgeworfenem Erdreich. Auf der turmartigen Spitze eines Termitenbaues, der den Hügel krönte, wehte schwarz-weiß-rotes Tuch im Steppenwind. Und im Uferwald, der sich halbmondförmig um den Hügel legte, huschten und kauerten, zahllos wie Ameisen die dunklen Gestalten von Dschaggakriegern. Unter nickenden Federkronen starrten rot- und weißbemalte Gesichter, wie Dämonenmasken in Rache- und Beutegier nach dem Hügel mit der Fahne hinüber.
Dann und wann hallte ein gellender Ruf aus dem Halbdunkel des Laubdaches herunter, krachte zwischen den Bäumen donnernd ein Schuß, dem bläulicher Pulverdampf in dicken Schwaden nachschwebte oder kam, gefolgt von dem Hall eines Militärgewehres ein Bleistück von drüben angeschwirrt, das Laub und Zweige herabfetzte.
Dort, wo der Fluß, dem befestigten Hügel gegenüber, eine seiner scharfen Krümmungen machte, war vorsichtig an die deckende Böschung geschmiegt, eine große Matte auf vier Pfählen ausgespannt. Mit Kopf und Brust und den ausgestreckten Vorderpranken lag ein großer Jagdgepard vor dem Schutzdach im Sonnenschein. Sein Hinterleib und die starke blanke Kette, die ihn am Halse hielt, waren im Halbdunkel des Zeltes verborgen. Bewaffnete Krieger hockten und standen dichtgedrängt, auf ihre langblättrigen Sperre und buntbemalten Schilde gelehnt, auf dem schmalen Kiesstreifen zwischen Wasser und Steilufer. Lärmend wie ein Vogelschwarm spritzte und plätscherte eine Schar von braunen Weibern, die in flachen Körben grüne und goldgelbe Bananen, die einzige Nahrung des Dschaggavolkes, vom Berg heruntergebracht hatten, im seichten Uferwasser herum. Unter den Bäumen wirbelte der Rauch von Kochfeuern empor, wassertragende nackte Männer wurden von Kriegern mit rauhen Rufen und freigebigen Stockschlägen herauf- und heruntergetrieben.
Jetzt hob der Gepard den Kopf, öffnete träge blinzelnd seine gelben Augen und richtete mit leisem Knurren den kräftig schlanken Körper auf. Zwei Bewaffnete, die einen Masai geleiteten, waren die Böschung herabgekommen und näherten sich dem Zelte. Mit halblautem »Hodi!« (Hallo) blieben sie einige Schritt entfernt stehen.
Ein ungewöhnlich hochgewachsener junger Mann erschien unter dem Zelt, legte dem Geparden die Hand auf den Kopf, worauf der sofort wie ein riesiger Kater zu schnurren begann, und fragte kurz: »Nini?« (Was).
Der eine der Ankömmlinge senkte in ehrerbietigem Gruße die Speerspitze und berichtete, daß dieser Masai angekommen sei und im Aufträge seines Herrn, eines Händlers, König Meli sprechen wolle.
Der Frager trat heraus und warf aus hochmütigen Augen einen musternden Blick auf den Masai. Nur wenn er ihn noch viel schärfer angesehen hätte, wäre er das ganz leichte blitzschnelle Aufzucken bei seinem Anblicke im Auge des Fremden gewahr geworden. Mit gesenkten Lidern und ruhigem stumpfem Gesicht stand der ihm gegenüber.
»Was willst Du?« fragte der Lange.
»König Meli einen Auftrag von meinem Herrn, dem Händler Mahmud bin Salek, ausrichten«, antwortete der Masai mit dumpfer, schwerer Stimme.
»Welchen Auftrag?«
»Das soll ich Meli, dem König der Wadschagga, sagen.«
»König Meli ist nicht für jeden Schenzi zu sprechen. – Der König ist mein Oheim; sage es mir und wenn Salz in deinen Worten ist, werde ich sie dem König überbringen. Taugt aber Dein Auftrag nichts, so lasse ich Dich verprügeln, bis Du Dich in die Fetzen Deiner Haut kleiden kannst, und dann trägst Du Holz für unsere Kochfeuer! Nun sprich!«
»Vielleicht kannst Du mich verprügeln lassen – vielleicht. – Aber mein Auftrag ist für König Meli und nicht für seinen Neffen. Der König wird Dirs nicht danken, wenn er durch Dich das nicht bekommt, was er jetzt sehr gut gebrauchen kann« antwortete der Masai in seiner eigentümlichen tonlosen Sprechweise.
Der Königsneffe machte eine auffahrende Bewegung, aber er bezwang sich, trat einen Schritt zurück und mit einem Blick, in dem sich Wut und Erstaunen mischten, sagte er langsam und drohend: »Dein Gesicht ist das eines Schafes, aber Dein Gebell das einer frechen Hyäne. Wenn es der König nicht gern hört, dauert mich Dein Fell. – Wartet hier«.
Er verschwand im Zelt. Gleichmütig, fast schläfrig, glitt der Blick des Masai über die Menschen und Dinge seiner Umgebung und gelassen nahm er eine Prise – da blieb seine Hand mit dem aufgeschütteten Tabak in der Bewegung stehen, wie von einer anderen, unsichtbaren festgehalten. Nur eine winzige Zeitspanne, einen Pulsschlag lang – und untertan einer auf ihr Ziel gerichteten, stets gegenwärtigen Beherrschtheit, zog er gleich darauf behaglich schnüffelnd den Tabak in die Nase. Aber mit bohrendem Spähen aus einem Winkel seiner Augen heraus war sein Blick auf eine hohe Stange neben dem Mattendach gerichtet. Von dort oben grinste ein abgeschlagener Menschenkopf herab. – Schwarzbraun war das Gesicht, mit geronnenem Blute besudelt, das Weiß der Augäpfel nach oben verdreht, zwischen den im letzten Kampf gefletschten Zähnen sah blauschwarz die Zunge hervor. – Fast nichts Menschenähnliches mehr lag in jener grinsenden Fratze, und doch war etwas Bekanntes darin in das Auge des Wilden gefallen, hatte seine Hand gelähmt und hämmerte in seinem Gehirn – »Oberleutnant Lechner sah dort herab!«
Mit ruhiger Hand steckte er die Tabaksdose weg und tastete und rückte wie ordnend an dem Gürtel herum, den er unter seinem Lederüberwurf trug.
»Wenn Du Masai-Kuhjunge dem König nichts Rechtes zu sagen weißt und er wird zornig auch auf uns, daß wir ihn gestört haben, so schneide ich Dir beide Ohren ab!« zischte der eine der Krieger.
»Nur eins, das andere nehme ich!« knurrte der Zweite dazwischen. Als einzige Antwort zuckte es ganz flüchtig und verhalten, wie in wildem Hohn, um die Lippen des Fremden.
»Herein Du!« rief jetzt der Jüngling aus dem Zelt und zog die Kette des Geparden zu sich heran. Der Fremde warf einen schweifenden Blick zum Himmel; es war, als grüßte er die Sonne. Dann stand er im Zelt, und versteckt unter halbgeschlossenen Lidern, bemühte sich sein Blick, das Dämmerlicht darin zu durchdringen.
Der Raum war fast leer. Auf einer Antilopenhaut, auf der mehrere Sperre, ein buntbemalter Schild aus Büffelhaut und eine aus Elfenbein geschnitzte Keule lagen, kauerte ein halbwüchsiger Bursche, der Speerträger des Königs. Ein uralter Mann mit zittrigem Kopfe hockte neben einem mit glühenden Holzkohlen gefüllten Messingbecken und rieb sich fröstelnd die Hände. Dahinter auf einem mit Riemen bespannten und einem Leopardenfell bedeckten Lagergestell ruhte in halbliegender Stellung König Meli. Ein großer weicher Mantel aus schwarz-weißen Kolonbusaffenfellen bedeckte seinen Oberkörper. Seine linke Brust war mit dunklen Narben bedeckt, die ihm einst ein Leopard gerissen hatte. Sie war frei und für jeden sichtbar wie immer. Mit einem schräg von unten kommenden gleichgültig verächtlichen Blick musterte er den Eingetretenen, die kupfernen Armbänder an seiner Sinken klirrten leise, wenn er das lange silberne Rohr seiner Tabakspfeife bewegte.
»Sprich!« sagte seine helle Stimme kurz und scharf.
»Mahmud bin Salek, mein Herr, hat auf der Straße nach Mombassa einen anderen Händler, namens Ibrahim von Mswa getroffen und von ihm erfahren, daß König Meli von Udschagga Flinten und Pulver kauft und gut bezahlt. Mahmud bin Salek läßt König Meli sagen, daß er viele gute englische Flinten zum Laden mit Patronen hat und läßt den König bitten, sich mit nicht mehr als zwei Männern in seiner Begleitung nach dem Lager Mahmuds führen zu lassen, um ihm die Waffen zu zeigen«, sagte der Bote in einförmigem Tonfall, wie eingelernt, her.
Der König stieß den Kopf mit dem spitzen Kinn vor, wie ein schnappender Hund. »Flinten mit Patronen? Wieviele? Und wo ist das Lager?« »Nicht weit von hier«, antwortete der Masai. »Wenn König Meli gleich mit geht, wird er am Ziele sein, wenn die Sonne dort steht!« setzte er hinzu, und das Wort »am Ziele« sagte er mit schwerer langsamer Betonung. Dabei deutete er auf einen Punkt des Himmels, wo die Sonne nach ungefähr einer Stunde stehen mußte.
Der Gepard am Zelteingang stieß einen kurzen dumpfknurrenden Laut aus. »Was willst Du, Nenda?« fragte der Neffe des Königs einen Draußenstehenden.
»Der Häuptling Schigalla von Rombo läßt sagen, daß wir wieder drei Askari entdeckt haben, die zum Fluß nach Wasser geschlichen waren. Einen haben wir getötet, hier ist sein Gewehr und die Risassi (Patronen), die anderen sind zurück in die Boma entkommen« hörte man den Mann draußen melden.
»Hä hä« lachte Meli und klatschte sich auf den Schenkel, »sie haben Durst! Wir werden sie heute abend totschlagen wie Fliegen. – Gib her!« Er langte nach dem Gewehr, öffnete und schloß spielend die Kammer und legte es dann auf den vor ihm Stehenden an. »Wenn ich hier drücke, Du, fällst Du tot um und hast ein Loch im Bauch, das geht durch und durch. – Sind Eure Flinten auch so gut?«
Der Fremde hatte mit einem flüchtigen Blick gesehen, daß die Waffe nicht geladen war und stand mit unbeweglichem Gesicht vor der Mündung. Aber etwas anderes noch hatte er gesehen, und darauf haftete sein Blick unter dem schmalen Spalt der Lider vor. Auf dem Lager hinter Meli lag ein khakibrauner Uniformrock, es war der eines Offiziers, die Knöpfe und Schulterstücke daran schimmerten in mattem Goldglanz! Er konnte nur den Körper jenes Mannes bekleidet haben, dessen abgeschlagener Kopf draußen auf der Stange steckte: Oberleutnant Lechner! – – Und die Askari drüben waren ohne Führer und ohne Trinkwasser, und heute abend wollte sie Meli totschlagen wie Fliegen! – –
Fest und hart schloß sich der Mund des Masai, zum erstenmal traf ein voller Blick aus seinen Augen, scharf wie ein entblößtes Schwert, den Dschaggakönig. Er reckte sich hoch auf und die Rechte an seine linke Hüfte gelegt, sagte er: »Wenn König Meli mitkommen will, wird er eine noch bessere Waffe als diese kennen lernen!«
Der König hatte das Auge noch am Visier des Gewehres und hatte jenen Blick nicht gesehen. Es war die erste und letzte Warnung seines Schicksals gewesen. – – –
Er warf das Gewehr auf die Matte. »Wieviele Flinten habt Ihr?« fragte er.
»Sehr viele. Mehr als Du wirst brauchen können, König Meli!«
»Eh Du, Mresu, komm Du mit! Wir wollen die Werkzeuge kaufen, mit denen wir die Ratten oben in Udschagga ausgraben werden« rief er und sprang auf. Er hing sich das Leopardenfell über die rechte Schulter und legte ein aus dünnen Kupferringen geschmiedetes Band, in dem zwei Straußenfedern steckten, um den Kopf. Der Knabe reichte ihm die Keule und einen Speer. Dann klatschte der König in die Hände und einer der Männer, die draußen standen, erschien im Eingang.
»Ndizi tano, schicke sogleich einen schnellen Läufer in mein Haus nach Moschi ya juu und laß meinem Oheim Kondo sagen, er soll noch heute Männer mit Elfenbein herabschicken, zwei – nein dreimal die Finger an beiden Händen! Sie sollen an der Brücke des Rau warten. – Und sage draußen, daß ich in zwei Stunden zurück sein werde. Hast Du recht verstanden? Da ist mein Alama (Zeichen) für Kondo!« Er reichte dem Unteranführer eine kleine mit krausen Linien bedeckte Kupferscheibe. Der senkte grüßend den Speer und eilte, laut einen Namen rufend, davon. Neben dem Kohlenbecken erhob sich ächzend und murmelnd der alte Mann. Auf dürren schlotternden Beinen schlurfte er zum Eingang und machte die Kette des Geparden los. Mit einem Satze sprang das große schlankbeinige Tier an dem König hoch und stieß ihm liebkosend die Muffel gegen die Brust.
»Was machst Du da, Mze?« fragte Meli, ärgerlich das Tier abwehrend.
»Nimm ihn mit, nimm ihn mit, Meli, vielleicht kann er Dir helfen!« sagte der Alte halblaut, doch mit eindringlicher bittender Bewegung.
»Helfen? Beim Flintenkaufen –? Ah, Du kommst wieder auf Deine Unglücksvorhersage von gestern Abend! So, ich glaube nicht daran, Mze!«
Ohne ihm zu antworten, stellte sich der Alte, in sich hineinmurmelnd, an den Eingang. Der König ging, gefolgt von seinem Neffen, hinaus, als Letzter folgte der Masai.
Da tippte ihn der Alte mit zittrigem Finger an die lederbekleidete Brust. »Du Fremder, warum verbirgst Du Deine Augen vor Mze? Es ist nutzlos – – ich sehe alles – alles – alles – –
Mit einem schnellen Seitenblick auf ihn ging der Masai vorüber, verschlossen und unbewegt war seine Miene, aber immer noch hörte er, in dem tiefen Schweigen, das beim Erscheinen des Königs draußen eingetreten war, den Alten murmeln: – »sehe alles – alles – –«.
»Wohin?«, fragte Meli über die Schulter. Der Fremde wies nach Westen. »Dort durch den Korongo (Schluchtartiges trocknes Bett eines Flusses der Regenzeit) und drüben hinauf!«
Krieger und Sklaven sprangen vor dem König, der ohne sie anzusehen, vorbeischritt, zur Seite und grüßten mit gebeugtem Knie. In schlenderndem Gang, seinen Speer in der Hand wirbelnd, folgte ihm sein Neffe, und in lässiger Haltung trottete der Masai nach. An seiner Seite strich in unhörbarem Gange der Gepard dahin und wendete ab und zu den Kopf mit den gelben Augen prüfend nach ihm.
Sie blieben auf ihrem Wege in Deckung der Bäume. Der ganze Wald wimmelte von Wadschaggakriegern. Unaufhörlich barst das Dröhnen und Krachen ihrer Vorderlader in den dunklen Schatten des Waldes auf. Ganz sparsam nur knallte es antwortend vom Hügel herüber. Ein Verwundeter wurde vorbeigeführt, blanker Schweiß stand auf seiner graubraunen Stirn, unter der Hand, die er auf die rechte Brust preßte, sickerten große schaumige Blutstropfen hervor. Zwischen den brettförmigen Wurzeln eines Baumes kniete ein bunt vermummter Zauberer und versuchte einem vor ihm Liegenden, der sich stumm im Todeskampfe wand, eine Schale mit einer schmutziggrünen Flüssigkeit zwischen die fest aufeinandergepreßten Zähne zu schieben. Ein langer, fast nackter Kerl sprang mit einer halb auseinandergerissenen Askarihose in der Hand, ohne rechts und links zu blicken, über den Weg; einige andere rannten ihm laut schimpfend nach.
Hinter den Luftwurzeln eines Baumes verborgen, lugte Meli, die Hand vor den Augen, nach dem Hügel hinüber. Es war nichts Lebendiges da oben zu sehen. Blutrot wie eine Wundnarbe leuchtete das Erdreich der Wälle, in langen Pausen puffte einmal ein weißes Wölkchen dahinter auf, schlaff und mit ineinander verschwimmenden Farben hing das Flaggentuch in der weißflimmernden Glut des Mittags.
Ein untersetzter Mann, dessen nackter Oberkörper von gewaltigen Muskeln strotzte, trat unter den Baum. Aus seinem wilden, narbenbedeckten Gesicht leuchtete unter dem herabwallenden Kopfschmuck von dunklen Straußenfedern das blutgeäderte Weiß seiner Augen. Mit kurzem Gruß blieb er neben dem König stehen.
Meli wandte sich ihm zu. Mit dem unheimlichen hohlen Auflachen einer Hyäne wies er nach der Boma. »Lo Schigalla, sieh da! Heute abend, sobald ich zurück bin, überlaufen wir den Bau jener verhungerten und verdursteten Kaninchen! Hoffentlich haben sie noch Blut genug, daß Du Dir Hände und Füße darin waschen kannst.« »Recht so, König! Die langen Speerblätter unserer Krieger werden dafür sorgen, daß es dafür reicht«, antwortete der Häuptling mit tiefer heiserer Stimme und ging weiter.
Ohne die leiseste Bewegung stand die Luft in unerträglicher sengender Hitze über der Steppe. Selbst hier unter den Bäumen lastete sie in drückender, atembeklemmender Schwere. Das Himmelsgewölbe schien plötzlich niedriger geworden zu sein, sein ehernes strahlendes Tiefblau verblaßte, zwischen Himmel und Erde sank ein aus silbergrauem heißen Dunst gewebter Schleier.
Als die Drei aus dem Walde traten, lenkten sich ihre Blicke nach dem östlichen Horizont. Dort, wo sonst Himmel und Erde in weißem Glast in Eins verflossen, stand ein scharf abgeschnittener dunkler Streifen wie eine Mauer am Rande der Welt. Heber ihren Zinnen schimmerte ein drohendes gelbes Licht.
Der Gepard lief unruhig ab und zu. Er blieb stehen, setzte plötzlich in großen, ziellosen Sprüngen davon, kam, sich herumwerfend, zurück und drängte sich in seltsamer beklommener Unrast dem rasch vorausschreitenden König zwischen die Beine. Er stolperte, trat wütend nach dem Tier und schrie seinem Neffen zu: »Nimm ihn an die Leine, Mrefu! – Dieser Mze wird jeden Tag verrückter! Er muß fort nach Moschi, sobald wir zurückkommen.« Schweigend machte der Jüngling einen kurzen Riemen von seiner Schulter los und befestigte ihn am Halsband des Tieres.
Ein Glutstrom wehte den drei Menschen erstickend aus dem Korongo entgegen. Seine kahlen Wände waren rot und heiß, wie von inneren Feuern durchglüht. In stumpfem, grauen Glanz, wie erhitztes Blei, hing der Himmel über der Schlucht. Fliegenschwärme stürzten den Eindringenden mit gierigem Summen entgegen und hingen sich zäh und unverscheuchbar wie angeklebt an ihre schweißigen Glieder und Gesichter.
Meli drehte sich um, wischte sich mit dem nackten Arm das schweißüberströmte Gesicht ab und fragte gereizt: »Eh, Du Sohn eines Dummkopfs, warum können wir nicht da oben entlanggehen, wo es luftiger ist?« »Gleich hier ist ein Pfad, der hinaufführt, König Meli; laß mich vorangehen und ihn zeigen!« antwortete der Masai und übernahm die Führung. Unbeeinflußt von der alles Leben lähmenden Schwüle stieg er mit federnden Gliedern hinan. Der Abhang war steil und zerrissen. Einzelne bleiche Dornranken, die aus verfilztem Grase wuchsen, gaben den Händen Halt, wenn ihn der bröckelnde Lehmboden versagte.
Jetzt stand er oben. Dem aus dieser Seite höheren Rand der Schlucht gerade gegenüber lag der Hügel mit der Boma der Belagerten. Die Landschaft ringsum verschwamm in unheimlichem, trübdämmernden Zwielicht, nur die Kuppe mit dem Termitenhügel flammte noch wie eine Fackel in feuerrotem Sicht.
Während er mit einem einzigen tiefen Atemzuge den schnelleren Schlag seines Herzens ausglich, riß er den Lederüberwurf von den Schultern und die Masaihaarzöpfe vom Kopf herunter und zog das lange schwertähnliche Messer, das er an der linken Seite trug, aus der Lederscheide. Von letztem, grellweißen Sonnenlicht umflossen, das wie ein ungeheurer Scheinwerfer über die blauschwarze Wolkenwand brach, die jetzt bis zum Zenith emporgewachsen war, stand seine nackte Gestalt mit der wie in Weißglut blinkenden Klinge in der Hand, am Rande der Schlucht.
Drüben auf dem Termitenhügels erschien eine kleine Gestalt, riß hurtig die Fahne heraus und verschwand wieder. Wütende Schüsse krachten ihr aus dem Walde und dem Buschrande von jenseits des Hügels nach. Und plötzlich wurde es lebendig droben auf der Höhe. Allerwärts sprangen auf einmal braune Gestalten über die Wälle und ergossen sich mit brausendem Hurrageschrei und rasenden Laufes wie ein Wildbach die Hügellehne herab. Vor dem Walde brandeten sie auf, stauten sich und brachen in erneutem wütenden Anprall hinein. Donnernde Hurrarufe, wildgellendes Geheul und durcheinander krachende und knatternde Schüsse schlugen aus der dunkeldämmernden Tiefe empor. Die Glieder gespannt wie ein zum Sprunge gereckter Panther, mit geöffnetem Munde und lauschend vorgerecktem Kinn, stand der Wilde droben am Abhang. Da erschien Melis Kopf über dem Rande der Schlucht. Mit einem letzten keuchenden Satze sprang er herauf und wandte sich hastig nach der Richtung des Kampfgetöses um – da fiel sein Blick aus die nackte Gestalt, die drei Schritt vor ihm in wilder furchtbarer Drohung stand und erstarrte in eisigem Schreck. »Wa – –«, der Saut erstarb ihm auf den Sippen. » Unajua Bibi Kola?!« (Kennst Du Frau Köhler) keuchte die tiefe Stimme des Wilden. Beide Hände abwehrend vorgestreckt, prallte der König zurück, ein wildes Gesicht mit spitzen weißen Zähnen erschien dicht vor dem seinen – es war das Letzte, was der Dschaggakönig sah. – Mit pfeifendem Hiebe fuhr die Klinge herunter, mit seinem Schädel zersprang klirrend das Kupferband um seiner Stirn, und noch ehe der zusammenbrechende Körper den Boden berührte, sauste die Klinge aufs neue herab, spaltete ihm die Brust – in den aufspringenden Blutstrahl tauchte die braune Hand des Wilden und riß ihm das zuckende Herz heraus. Mit schrill trillerndem Schrei schwang er es in brennender Rache hoch in die Luft, und in wilder Wut bissen und rissen seine Pantherzähne in den blutigen Fetzen hinein. Ein kreischender Laut aus Menschen- und ein knurrend fauchender aus Tiereskehle dicht vor ihm ließen ihn zusammenzucken und innehalten. Im nächsten Augenblick schon prallte ein geschmeidiger Leib gegen ihn, wühlten ihm reißende Pranken in beiden Schultern und schnappte ein heißer roter Aachen dicht vor seinem Gesicht in wildem Grimme nach seiner Kehle. Zurücktaumelnd unter der Wucht des Anpralls fuhr seine Linke mit dem Fleischstück schützend vor den Hals und die Rechte stieß gedankenschnell das Schwertmesser vor, zurück und nochmals vor. Dumpfaufstöhnend vor Schmerz riß der geifernde Rachen in wahnwitziger Wut das Fleischstück aus der schützenden Hand und schlug knirschend die Zähne hinein, während ihm Blut und Eingeweide aus dem zerfetzten Leibe quollen. Mit verzweifelter Kraftanstrengung wand sich der Wilde aus den klammernden Pranken, zu Tode wund rollte der zuckende, um sich schlagende Körper des Raubtieres zur Seite, aber mit stoßerhobenem Sperre warf sich im gleichen Augenblick der junge Krieger auf den Mörder seines Onkels. Schlangengleich schnellte dessen Körper beiseite, unter der Wucht des fehlgegangenen Stoßes schoß der Jüngling nach vorn, doch im Sturze noch faßte er das Bein des Feindes und riß ihn mit sich zu Boden. Engverschlungen rollten die Beiden unter Stöhnen und Keuchen durch's Gras, jeder bemüht, dem andern mit Händen oder Zähnen die Kehle, aufzureißen. Im Kampfe auf Leben und Tod bogen und bäumten, rollten und wanden sie sich, gerieten zwischen die rasend arbeitenden Zähne und Pranken des verendenden Geparden und kugelten, ein ineinander verkrampfter Knäuel von Mensch und Tier, dem Rande der Schlucht zu. Mit letzter gewaltiger Anstrengung, die ihm die Sehnen und Adern wie Stricke und die Augen wie Kugeln hervortreten ließ, würgte sich der Wilde hart am Absturz endlich frei, klammerte sich an Grasbüscheln fest. In sausendem Schwunge stürzte der Körper des Raubtieres in sie Tiefe, doch die verzweifelt herumfahrenden Arme des Königsneffen konnten schon im Fallen noch die Zweige eines Dorngestrüpps fassen und ihn vor dem Absturze bewahren.
*
Wie in Blut gebadet, mit bebenden, zuckenden Gliedern und in kurzen Stößen keuchender Brust kniete der Sieger oben am Schluchtrande und sah, als sich die vor seinen Augen wogenden roten Nebel senkten, hinunter auf den Ueberwundenen. Arme und Beine mit Dornrissen bedeckt, aus denen sickernd das Blut quoll, lag der langausgestreckt in den Büschen und stierte herauf. Ein Gemisch von Angst, Mut und entsetztem Staunen schimmerte in seinen dunklen Augen, schnaufend gurgelte er: »Du hast – Wer bist Du?!« Zitternd und taumelnd vor Schwäche und Blutverlust erhob sich der Sieger langsam. Schwankend stützte er sich auf den aufgerafften Speer seines Feindes; aber jetzt noch, kaum fähig zu sprechen, tönte als Unterton wilder Hohn in seinen Worten, als er hinabrief: »Wer ich bin? – Ich bin Ombascha Hatako von der elften Kompanie und bin der Masai, den Du verprügeln lassen wolltest und der Träger, den Du nach mir selbst frugst oben am Berge und den Du mit Holz bewarfst, stumpfer blinder Hund von einem Dschagga!«
Ein heulendes Sausen stürzte wie eine ungeheure Woge über die Ebene heran und verschlang den Hall seiner letzten Worte. Staub und Gras und Laub wirbelten in dunkler Säule hoch und bohrten sich in rasenden Kreisen hinauf in die blauschwarze drohende Wucht der Wolken, die wie ein berstendes, alles zermalmendes Deckengewölbe herunterbrachen. Mit einem Schlage wurde es Nacht, ein blendender Feuerschein zerriß ihre Finsternis, rollend fuhr der Donner durch den weiten Raum der Steppe. In zuckendem Wechsel sprang die Landschaft aus der Nacht in blendendes Licht und wieder zurück in schwere Dunkelheit. Mit Raubtiergebrüll stürzte sich der Sturm auf den Wald, schlug zerschmetternd seine Tatzen hinein und raste mit schrillem Geheul durch die Enge der Schlucht ins Weite. Die Wucht seines Angriffs hatte den Schwerverwundeten zu Boden geworfen. Ueberflackert vom Schein der Blitze bemühte er sich, mit ausgerissenen Grasbüscheln das strömende Blut seiner Wunden zu stillen. Nach Zeug zum Verbinden um sich spähend, fiel sein Blick aus die Leiche des Königs. Keuchend wälzte er den starren Körper von dem Leopardenfell, das ihn bekleidete, herab; mit blutverklebten Fingern schnitt er Streifen aus der weich gegerbten Haut, legte zerkautes Gras auf seine Wunden und band die Fellstreifen in vorsichtiger, mühevoller Arbeit darüber.
Von den mächtigen Segeln des Sturmes getrieben glitt die Gewitterwolke nach Westen davon, rauschend stürzte ihr ein Schweif von wild herabströmendem Regen nach. Dumpf krachende Schläge und verworren tosendes Gebrüll drangen aus dem Wald und mischten sich mit dem Dröhnen des Donners.
Schwindlig vor Blutverlust war Hatako mit der Stirne in das nasse Gras gesunken, aber der Lärm des Verzweiflungskampfes, den seine Kameraden dort unten aufgenommen hatten, zwang ihm den Kopf zum Lauschen wieder hoch. Vor sein Bewußtsein trat das Bild des Waldes, wie er ihn vorhin gesehen hatte; zahllos wie seine Bäume waren die Dschaggakrieger, die darin steckten, und noch viele Hunderte mehr mußten dem jenseitigen Hange des Hügels gegenüber liegen und nun jeden Augenblick ankommen, um die durchbrechenden Kameraden im Rücken zu fassen! Jeder Mann wurde da unten gebraucht und er lag hier, festgehalten von seinen Wunden, wie ein krankes Tier. –
Knirschend biß er die Zähne zusammen, straffte wütend alle Muskeln und hob stöhnend vor Schmerz und Schwäche den Oberkörper aus die stützenden Arme – da gellte wildes, anfeuerndes Geheul von jenem Ende des Korongo herauf, der in die Steppe auslief. Ein Weilchen horchte er aufmerksam nach der Richtung des Lärmes, dann war ihm klar, daß es die Wadschagga von drüben waren, die da ankamen.
Wie ein Peitschenschlag auf ein müdes Tier wirkte diese Erkenntnis aus ihn. Mit verzerrtem Gesicht hob er sich erst auf Hände und Knie, dann in qualvoller Anstrengung zu voller Höhe, brach schwankend wieder zusammen, kämpfte sich nochmals hoch und stand endlich mit verschwimmendem Blick und vor Schwäche taumelnd, aufrecht. Blut rann ihm aus einer Stirnwunde in die Augen, Blut aus den zerfetzten Schultern, an den Armen und aus ungezählten Rissen und Wunden am Körper herab; der peitschende Regen wusch die roten Bäche ab und die Kühle des Wassers stärkte ihn und half ihm, den Willen zu spannen zu letzter Anstrengung. Auf den Speer Mrefus gestützt, bog er sich über den Abhang und spähte durch die grauen Schwaden des Regens hinab – da kamen die Ersten mit geschwungenen Schwertern und Sperren im vollen Saufe an! Mit gespreizten Beinen hob er den Speer zum Wurfe, da dachte er an den Browning des Leutnants. Ein hastig tastender Griff – oh gut! – die Waffe war noch da!
Brüllend rannten zwei Krieger, den anderen voraus, soeben unten vorbei, da knallte es aus über ihnen, kurz und scharf. Der eine knickte zusammen, fuhr mit der Hand an das getroffene Bein, der andre sah wild in die Höhe – da traf ihn eine Kugel mitten ins Gesicht. Er schlug hin, hinter ihm Laufende fielen über ihn, in den dichtgedrängten Trupp fetzten hämmernde Schüsse von oben herunter. Sie stockten und prallten zurück, stürzten in wirrem Knäuel übereinander und brüllten auf in wilder Wut, als sie den einzelnen Schützen da oben erkannten, der ihnen den Weg versperrte. Neuankommende stießen zu dem Haufen und drängten nach vorne, doch vorbei wagte sich keiner. Der da oben mußte erst herunter.
Wie die Steinböcke ihrer Berge sprangen sie gegen den Abhang an, schoben sich, eng an die deckenden Erdwände gedrückt, herauf, unerreichbar für die wenigen Schüsse, die Hatako noch in der Pistole hatte. Da nahm er sie in die Linke und in die Rechte sein altes getreues Messer und sah sich um nach einer Deckung für den letzten Kampf seines Lebens. Doch nichts bot sich auf der glatten Hochebene, nur der tote Körper des Dschaggakönigs lag still im regennassen Gras. Da fuhr ihm blitzschnell und rettend sein Gedanke vom Turme der Boma wieder durchs Gehirn. Er ließ die Waffen fallen und gepeitscht vom Rausch des Kampfes und letztem Triumph glühender Rache, riß er den Leichnam hoch, neue Blutbäche quollen unter der Anstrengung aus seinen Wunden, mit ersticktem Gurgeln und brechenden Knien schleppte er den Toten an den Rand des Abhangs, und dröhnend brach sein Schrei von den Wänden des Korongo: »Senkt die Sperre Wadschagga, Euer König kommt!« Dann warf er den verstümmelten Leichnam in die Schlucht hinab.
Mit schwerem dumpfem Schlage fiel er vor die Füße der Krieger nieder. In Totenstille erstarrte das Getümmel. Von Entsetzen gelähmt, stierten sie auf den zerschmetterten nackten Leichnam. Dann brachen Rufe, Fragen, Schreckensschreie, Wutgebrüll unter ihnen auf. Sie bückten sich über ihn, fuhren schaudernd wieder zurück, und wirrten durcheinander, führer-, rat- und tatenlos. Und in Schrecken und Bestürzung dieses Augenblicks hinein knatterte plötzlich rasendes Gewehrfeuer, drang wildes Hurrarufen, sprangen khakibraune Gestalten mit blinkenden Bajonetten und geschwungenen Kolben vom Ausgang der Schlucht heran. Wie wenn ein Windstoß in einen Haufen dürres Gras fährt, wirbelten da die Dschaggakrieger auf und davon. Ein Ruf nur hallte immer wieder aus der Masse der Flüchtenden, pflanzte sich fort zu den letzten noch kämpfenden Scharen im Wald, am Fluß und in der Steppe und riß sie mit in die Wirbel allgemeiner, besinnungsloser, wilder Flucht – » Meli amekufa, kimbia Wadschagga, Meli amekufa!« (Meli ist tot, flieht Wadschagga, Meli ist tot).
Den Mund verzerrt von Hohn und Verachtung, die Augen durchglüht von wildem Stolz, schickte der blutbesudelte Mann auf der Klippe den Fliehenden die letzten Schüsse aus der Pistole nach. Dann fiel ihm die Waffe aus der herabsinkenden Hand, er bog den Kopf zurück, und wie aus schwerem Traum erwachend und in neuen Traum versinkend blickte er über sich. Verhallender Donner rollte in der Ferne, grauflockiges Gewölk flog pfeilschnell nach Westen zu und durch letzte blinkende Tropfen fiel siegendes Sonnenlicht mit flüchtigem Spiegelglanz in die wilden Augen des Kämpfers. Dann verlosch das Licht des Bewußtseins in ihrem Blick, das Braun seines Gesichtes verfärbte sich zu fahlem Grau, ein Zittern schüttelte seine Glieder und mit aufgehobenen Armen sank er langsam nieder ins regennasse Gras.
So fand ihn, als mit stillem warmen Leuchten der Abend sank, ein kleiner Trupp seiner Kameraden. Ein weißer Unteroffizier führte sie, in ihrer Mitte brachten sie einen jungen Dschaggakrieger von ungewöhnlich großer schlanker Gestalt, dem die Hände gebunden waren. »Aeh, ein toter Dschagga!« sagte einer der Askari und lüftete mit dem Bajonett die Schulter des Daliegenden. Ein Zucken ging durch den nackten Körper, er stöhnte auf und öffnete zwinckernd und mühsam die blutverklebten Augen.
»Er ist kein Dschagga!« schrie plötzlich der Gefangene mit schriller Stimme auf. Mit den gefesselten Händen auf die nackte Gestalt des Verwundeten deutend, wendete er sich zu dem Unteroffizier: »Bana, dieser Mann hier hat König Meli getötet!«
Der Weiße sah ihn kalt an. »Ja und was ist dabei? Meli war ein Rebell!« Er beugte sich zu dem Erwachenden nieder und sah ihm ins Gesicht. »Hallo! – Ja, das ist doch Hatako, unser Mjema!« » A la, kweli (wahr), Hatako!« riefen die Askari freudig und drängten und bückten sich helfend zu dem Kameraden herab. »Ein Askari ist er? Nein ein menschenfressendes Tier!« schrie der Gefangene gellend, »er hat den Leichnam meines Onkels verstümmelt, hat ihm das Herz herausgerissen und aufgefressen! Mit diesen meinen Augen habe ich es gesehen!«
Der Weiße sah ihn drohend an und kniete neben Hatako nieder. »Hast Du gehört, was jener Mann sagte?«
»Ha, Bana, es ist die Wahrheit!« sagte Hatako mit langsamer leiser Stimme. Der Unteroffizier zuckte zusammen und erhob sich schnell. Die Hand an seinem Rock abwischend, sah er finster auf den vor ihm Siegenden herab. Wie fröstelnd schüttelte er die Schultern. »Afrika, du schreckliches Afrika –« murmelte er vor sich hin und strich sich mit der Hand über die Augen.
Ein alter Askari, der den Verwundeten untersuchte, sah mit schnellem Blick zu dem Weißen auf. » Desturi ya Monjema, Bana! Nafanja nini?« (Manjemasitte, was ist da zu machen) sagte er achselzuckend, riß sein Verbandspäckchen auf und beschäftigte sich weiter mit seinem hilflosen Kameraden.
Der Weiße bückte sich in plötzlicher Bewegung und hob aus dem Grase die leergeschossene Pistole auf. Seine Augen wanderten von dem Kannibalen zu der Tiefe des Korongo und wieder zurück. Mit einem Ruck schüttelte er dann all das lastende Grauen des Tages und dieses letzten Erlebnisses ab. Er kniete neben seinen helfenden schwarzen Soldaten nieder und faßte, fest die Hand, durch deren Berührung er sich eben noch beschmutzt gefühlt hatte. »Was Du da mit dieses aufrührerischen Dschaggahäuptling gemacht hast, Hatako, wird nach den Gesetzen der Europäer bestraft. Doch das ist Sache von Bana Hauptmann. Meine Sache ist es, daß Du uns brav geholfen hast und jetzt selbst Hilfe brauchst. Aber nun verstehe ich das wirre Zeug, was die Gefangenen über einen bösen Geist erzählten, der ihren König hier herabgeworfen und dann viele ihrer Leute mit Kugeln getötet hat, die er ohne eine Flinte aus den Händen warf.«
Ein ganz schwaches spöttisches Zucken spielte als Antwort um den Mund Hatakos. Er leckte sich die trockenen Lippen und richtete den fieberheißen Blick bittend auf das Gesicht des Weißen. »O, Du hast Durst?« Sorglich hob er ihm den Kopf hoch und setzte seine Feldflasche an den Mund des Menschenfressers. Gierig trank Hatako, dann schloß er aufseufzend die Augen und sank wieder in Bewußtlosigkeit zurück. Mit aller Behutsamkeit ihrer geübten Hände untersuchten die Askari seinen Körper, der über und über mit schwärzlichem geronnenen Blute bedeckt war.
Dieser finstre Fremdling hatte nie ihre Freundschaft gesucht, stets war er verschlossen kalt und einsam seinen Weg gegangen, war niemals ein Genosse ihrer Freuden gewesen. Aber in der unbeirrbaren Witterung ihrer einfachen Seelen hatten sie immer gewußt, daß dieser schweigsame Wilde mit den grüblerischen Augen ein guter verläßlicher Kamerad sein würde, in Kampf und Not.
Ein Laut erstaunenden Schreckens kam jetzt aus aller Munde, als unter den abgelösten Fellverbänden die bis auf das Weiß der Knochen gerissenen blutigen Wunden seiner Schulter sichtbar wurden.
»Großer Gott, wer hat ihm das gemacht?« stieß der Weiße schaudernd hervor.
»Huju (Jener) Bana!« sagte der alte Askari einfach und nickte mit dem pfeffergrauen Wollkopf nach dem in Todesstarre gekrümmten Rücken des Geparden, der buntfleckig aus dem Grase schimmerte. Jetzt erst bemerkte der Weiße das tote Raubtier, an dessen aufgerissenen Leibe Scharen von dicken, stahlblauen Fliegen wimmelten.
»Auch den hat er untergekriegt! – Was ist das für ein Mensch!« flüsterte er kopfschüttelnd vor sich hin und stieß mit der Fußspitze an den Kadaver. Aber plötzlich fuhr er auf. Er dachte daran, daß Raubtierwunden fast gleichbedeutend waren mit Blutvergiftung! Hastig wandte er sich zu einem Askari, den ein dicker, blutgefleckter Verband an der Hand am Mithelfen hinderte.
»Du Hamiß, lauf schnell hinunter zu dem Sanitäter, er muß irgendwo am Flusse sein und sag ihm, er soll ganz schnell hierherkommen und seinen großen Verbandskasten mitbringen und ein Tin (Blechgefäß) voll Wasser. – Und vier Mann von den Gefangenen und Stangen und Stricke für eine Tragbahre! Aber ganz schnell, hörst Du!«
Der Askari knallte die Hacken zusammen und sprang leichtfüßig den Korongo hinab.