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XIII.

Es war Abend. Albrecht hatte sich ermüdet in einen Sessel geworfen. Der verrätherische Schlaf nahm ihn in seine Arme, um ihn zu seinem willenlosen Werkzeug zu machen, um ihm Träume vor die Seele zu führen, denen er nicht gebieten konnte. Wie damals in Padua, sah er den Fels aufragen in den Himmel und eilte zu ihm, und klomm an ihm empor, und rang und strebte nach der Krone, und hörte das Gekreisch der Geier, und sah ihre blutrünstigen Augen, und erblickte in der Tiefe die flammenden Feuerzungen, die nach ihm emporleckten, und – der Donnerschall ertönte, der die Erde aus ihren Fugen reißen wollte, und er stürzte nieder in den entsetzlichen Abgrund, wo Vernichtung ihm entgegengähnte, und wie er zur Besinnung des entsetzlichen Sturzes kam – da hielt er die Krone nicht in seiner Hand. Zu beiden Seiten standen zwei Frauengestalten: links Walperga, eine Lilie in der Hand, bleich wie diese Lilie, wehmüthig auf ihn niederblickend, ihm die blasse Blume reichend; und zur Rechten stand Lucretia – sie trug die funkelnde, prächtige Krone in der Hand und neigte sie lächelnd seinem Haupte näher. Da entquoll ein tiefer Seufzer seiner Brust und – er griff nach der Krone. In demselben Augenblicke schmetterte es von tausend Schlachthörnern in der Luft und durch den weiten Himmelsraum zogen Kriegerschaaren im funkelnden Waffenschmuck dahin, an ihrer Spitze, den Feldherrnstab in der Hand, er selbst, sein Spiegelbild – herrschend, gebietend, zum Siege führend – da faßte eine kalte Hand die seinige, er erwachte, Matusch stand vor seinem Lager.

»Gnädiger Herr!« sagte er, »das Fräulein, die Walperga, wollte ich sagen, ist geraubt, verschwunden. Die alte Marga ist außer sich, der Verzweiflung preisgegeben. Sie hatte sich kurze Zeit entfernt – als sie zurückkehrte, fand sie das Haus leer – in der Ferne hörte sie einen Hilfschrei – lief in die Nacht hinaus – fand nigends eine Spur. Ich kam in demselben Augenblick. Eure Leute waren noch nicht da; alles Suchen und Rufen war vergebens. Das Weib ist rasend in ihrer Verzweiflung, und wenn ich bisher meinte, die Walperga sei ihre Tochter nicht, so glaub' ich jetzt ihrem Schmerz, daß sie die Mutter!«

»Ein Bubenstück!« rief Waldstein aufspringend, und noch stand aus dem Traumbild Walperga's rührende Gestalt, die Lilie in der Hand, das Antlitz blaß und ergeben, vor seiner Seele. »Der Scherbic – oder – Camilla! Ruf' mir die Diener! Ist's schon spät?«

»Bald Mitternacht.«

»Wir müssen an Ort und Stelle. Gieb mir den Degen! Zwei Pferde vor! Wir jagen hinunter. Das nennen die Schurken wachen? Ich muß dem Weibe das Mädchen schaffen, ich muß das arme Kind befreien; wär's auch – für einen Anderen! Nur fort – fort!«

Er warf sich in die Kleider, Matusch stieg mit ihm zu Pferde und sie sprengten, wie von Geistern getrieben, die steile Spornergasse hinab in den Aujezd.

Es war am Abend nach der Vernichtung der Passauer bei Hluboschic. Die ganzen Bürger, befreit endlich von ihren Peinigern und zugleich empört über das ihnen von der fremden Soldatesca aufgebürdete Drangsal, rannten mit und ohne Waffen durch die Straßen der kleinen Seite und suchten rachgierig und mordlustig nach versteckten Passauer Kriegsknechten; denn solche, hieß es, hielten sich noch verborgen bei katholischen Geistlichen und ihren Freunden. Der Schauplatz dieses Tumultes, in dem man einen Feind suchte, der längst schon außer den Thoren sich befand, war größtentheils der Aujezd, durch welchen das wilde Kriegsvolk auch in die Stadt gedrungen war.

Marga hatte sich während des Ueberfalles der Truppen und auch während der darauf folgenden Tage und Nächte verborgen gehalten. Die Ruine schien der Raublust der Soldaten nichts zu bieten, die Weiber selbst gebrauchten die Vorsicht, des Abends kein Licht zu brennen. So tobte der Aufruhr wohl das Ufer entlang und weiter hinten in der Hauptstraße des Aujezd, aber er drang nicht unmittelbar in die Nähe der verfallenen Häuser. Zur Nachtzeit übrigens schilderten Waldstein's Leute in der Nähe, und der treue Matusch war nicht fern.

An dem Abende, wo wir Matusch in der Gesellschaft seiner Trinkgenossen belauscht, entfernte sich Marga in der Dämmerung nur für kurze Zeit, um Lebensmittel zu holen, was sie während des Tages, wo ein wildes Treiben in der nächsten Gegend herrschte, nicht wagen mochte. Sie glitt an der Mauer herunter und verschwand, einen Sack unterm Arme, zwischen den Häusertrümmern.

Denselben Abend aber hatte sich Scherbic zur Ausführung seines schändlichen Anschlages erwählt. Er hatte die Nacht vorher den unterirdischen Weg aus seinem Garten bis an die Kellergewölbe des Klosters geführt. Hier stieß er an eine Mauer. Nachdem diese durchbrochen war, befand er sich nebst Vojta bei Fackelschein in einer Art Gruft – es mochte das alte Geißelgewölbe des Klosters sein – links war eine Mauer niedergestürzt und der Schutt reichte bis zur Decke der Wölbung hinan. An der Vorderwand befand sich eine Nische und in dieser ein hölzernes Crucifix beiläufig von Manneshöhe, rechts führte eine ziemlich breite Treppe aus dem Keller.

»Erlaubt mir die Fackel, gnädiger Herr!« sagte Vojta, »ich glaub', ich hab' den Anfang und das Ende gefunden; diese Treppe führt gerade ins Freie; und dann haben wir einen Eingang und einen Ausgang. Ich irre mich nicht so leicht.« Er sprang fort und verschwand mit dem Lichte in der Dunkelheit. Scherbic war allein in der Finsterniß, und es überkam ihn, so verwegen er sonst war, doch ein Grausen in dem kalten Gemäuer. Oben erhob sich ein dumpfes Gepolter; Vojta kam rasch mit der Fackel herabgesprungen und rief: »Gefunden! Ueber der Treppe ist eine Fallthür – diese führt nach der Wasserseite und scheint mir nur durch Steine und Schutt bedeckt. Diese Stelle müssen wir oben auffinden – und das wird meine Arbeit sein; bleibt hier, ich eil' ins Freie durch den Garten – Ihr geht bis zur Thür, und wenn Ihr oben meinen Schritt zwischen dem Gemäuer vernehmt, so gebt ein Zeichen. Ich räume das Gestein hinweg und wir haben einen Eingang. Weiß ich den Fleck nur erst, so wälz' ich wieder Schutt darauf und mach' ihn für jeden Anderen unkenntlich. Und morgen Abends, Ritter, harrt ihr hier unten mit der Fackel, ich locke das Jüngferlein aus ihrer Burg, werf' ihr ein Tuch über den Kopf, trag' sie herein und von da – durch unseren Gang in den Garten – 's ist leicht wie ein Blatt, da wir's so machen; dann in den Wagen – ein Tuch vor den Mund, Dolch auf die Brust – Pferde vor; wenn die Sonne aufgeht, sind wir schon auf Eurem Schloß bei Ivan, wo uns zwischen den Bergen kein Teufel findet.«

»Spitzbube, Du bist nicht dumm,« versetzte Janko, »wenn wir die Dirne aber nur erst aus dem Hause hätten? Statt eines Einganges in das Gebäude finden wir einen nach außen.«

»Das ist eben der Stollen, der zu uns führt; lass't das meine Sorge sein, gnädiger Herr. Der Rothkopf ist in solchen Dingen bewandert und anschlägig. Hab' ich erst morgen das Kleid an mit den Waldstein'schen Farben, so daß sie mich für einen von den Taugenichtsen hält, die uns hier auf den Dienst lauern, so will ich sie schon herauskriegen aus dem Steinhaufen. Der Tumult wegen des Passauer Gesindels kommt uns zu Statten. Die Alte geht allabendlich auf kurze Zeit fort, und das Mädchen wird glauben, Waldstein lasse sie durch seinen Diener holen, um sie an einen sicheren Ort zu bringen.«

»Fuchs,« versetzte Scherbic, »die Sache hört sich gut an in Deiner Beschreibung, aber wenn's zur Ausführung kommt, macht uns der Satan gewiß einen Strich durch die Rechnung. Wär' die Sache mit Gewalt zu zwingen, ich setze meine Knochen d'ran und Du auch – da fürchten wir nichts; so aber hetzen wir uns die ganze Meute und das ganze Gesindel vom Aujezd obendrein auf den Hals. Indessen gewagt muß es werden! Du kennst Deinen Lohn, Schurke, wenn's gelingt und ich die Dirne endlich auf meinem Felsen erst habe! Es ist immer besser, Du setzest morgen den Hals daran, wenn Dich die Waldstein'schen Wachen erwischen, als Du kehrst gehorsam wieder zurück, woher ich Dich geholt, zum Galgen.«

»Es wird gelingen, Ritter, ich hab' stets ein richtig Vorgefühl gehabt, wenn ich eine Spitzbüberei unternahm. Jetzt haltet die Fackel und steigt die Treppe hinan, ich fliege wie der Wind durch unseren Gang und Garten; ehe noch unsere Auflaurer kommen, müssen wir über den Ausgang im Klaren sein.«

Vojta verschwand und Scherbic begab sich, die Fackel in der Hand, auf seinen Posten. Es währte auch nicht lange, so hörte er über der schweren aber morschen Thür ober seinem Haupte den Fußtritt Vojta's, der über das Gemäuer sprang. Jetzt gab er ein Zeichen von sich, und der Riese begann oben Schutt und Steine hinwegzuräumen. Einen Augenblick später hatte er die Thür gehoben und befand sich Scherbic gegenüber.

»Da wären wir richtig,« sagte er, »senkt die Fackel, ihr Licht könnte uns verrathen – und kehrt ins Gewölbe zurück. Erwartet mich dort! Ich räume einigen Schutt wieder auf die Thür und merke mir die Stelle. Es ist nur ein Katzensprung ums Haus und bis zum Eingang der Weiber.«

Vojta legte die Fallthür nieder und Janko stieg wieder die Stufen hinab in das Gewölbe. Erst jetzt betrachtete er sich genauer den Schauplatz seines Abenteuers. In dem Gemäuer waren hier und da einzelne Ringe angebracht, als hätte es zum Gefängniß gedient. Das hölzerne Crucifix in der Nische war bemalt, aber die Farben daran verblichen, mit Moder bedeckt. Aus dem Antlitz des Heilandes sprach ein gräßlicher Schmerz, die Züge schienen sich bei der unbestimmten Fackelbeleuchtung zu beleben und nahmen einen Ausdruck von Verzerrung an.

Es überschlich den wilden Janko unheimlich; die feuchte, dumpfe und kalte Luft legte sich über ihn wie ein Leichentuch, er fühlte, daß sein Blut fast frostig durch die Adern schlich, und bedauerte, daß er nicht einen scharfen Trunk zur Stärkung und Erwärmung zu sich genommen. Er eilte Vojta entgegen. Am Ausgang der Grube stand auch dieser schon vor ihm. Sie traten in eines der halbverfallenen Gemächer, wo sie ihren Schlupfwinkel hatten, und verharrten hier, vor den Krügen sitzend und über ihrem Anschlag brütend, bis zur Morgendämmerung, wo sich beide wieder einzeln in ihre geheimen Wohnungen begaben.

Marga hatte, wie uns bereits Matusch berichtet, im Abenddunkel die Ruine verlassen. Als sie nach einer halben Stunde etwa zurückkehrte, war Walperga verschwunden, die Thür offen. Rasend in ihrem Schmerze und die Umgegend des Klosters mit ihrem Wehgeschrei erfüllend, durchirrte sie die Trümmer, bis Matusch kam und endlich Waldstein's Bediente. Matusch ließ die Alte unter der Obhut der Letzteren und eilte – rathlos wie er war, auf den Hradschin, wo er Albrecht zu Hilfe rief.

Vojta's Anschlag gelang beinahe vollständig. Hinter einer Mauer verborgen, in die Waldstein'sche Livrée gekleidet, paßte er den Augenblick ab, wo Marga die Ruinen verlassen hatte. Dann erhob er sich, pfiff dreimal unter dem Fenster beim Wasser und schlug in die Hände, wie Matusch zu thun pflegte, und eilte dann an den Eingang. Walperga erschien am Guckloch, und da sie einen Waldstein'schen Diener zu erkennen glaubte, öffnete sie auch die Thür. »Der Herr von Waldstein schickt mich,« sagte Vojta, »kommt um des Himmels Willen herab, Jungfer! Passauer Volk hält sich in der Gegend versteckt, die Bürger sind mit Feuer und Schwert hinterher, es soll hier alles abgebrannt werden. Mein Herr erwartet Euch an der Ecke mit den Uebrigen und sperrt den Zugang. Es ist keine Zeit zu verlieren! Sie ziehen schon lärmend von der Insel Kampa herauf.«

Walperga war bis zum Tode erschreckt. »Aber die Mutter?« fragte sie und ein leiser Zweifel beschlich ihre Brust.

»Ist schon dort!« drängte Vojta, »Ihr sollt Euch retten, sonst ist's zu spät.«

Walperga glitt am Seil die Wand herunter und lag in Vojta's Armen. Der Riese hob sie federleicht empor und sprang und rannte in die Ruine hinein. Ein falber Schimmer ließ das Mädchen sein abscheuliches Gesicht erkennen. »Du bist kein Diener Waldstein's,« kreischte sie auf und suchte sich loszuwinden – »Hilfe, Mutter, Matusch, hierher!«

»Dann bin ich des Teufels Diener,« heulte Vojta und schlang ihr das Tuch drei- bis viermal um den Kopf und sprang vorwärts über Steine und Mauerstücke. Er war über der Fallthür. Hier legte er das Mädchen, welches ohnmächtig wurde, einen Augenblick auf den Boden, räumte mit Händen und Füßen den Schutt hinweg, hob die Thür, von unten schimmerte ihm Fackelglanz entgegen, er raffte das Mädchen mit seinen nervigen Armen wieder vom Boden auf, sprang hinab, ließ die Thür über sich zufallen und legte unten seine schöne Last in Scherbic' Arme.

»Ich sehe nach dem Wagen und den Pferden,« sagte er, »und ob's draußen für uns auch geheuer ist. Im Aujezd herrscht wegen der Passauer viel Tumult – das kann unsere Flucht befördern. Gleich bin ich wieder hier.« Er verschwand durch den Gang nach der Gartenseite hin.

Scherbic hatte die Fackel in einen der Wandringe gesteckt; er hielt jetzt Walperga in seinen Armen und zog ihr das Tuch vom Kopfe; in diesem Augenblick erwachte sie, erkannte sein Angesicht und stieß einen markerschütternden Weheschrei aus.

»Schöne Taube!« sagte Scherbic grimmig und lüstern, und umschlang die sich Sträubende fester, »hier ist Dein Täuber; auf Dich kommt's an, soll er's sein, oder ein Habicht und Dich zerfleischen.«

»Elender!« kreischte Walperga und faßte nach ihrem Gürtel und suchte den Dolch, mit dem sie sich zu bewehren pflegte, wenn sie allein in den Ruinen war; sie hatte ihn vergessen, oder er war ihr während ihres Kampfes mit Vojta entfallen. »Lass' mich los – Ungeheuer, das die Hölle gegen mich gesendet.«

»Redest Du aus diesem Tone, Dirne,« drohte Scherbic, »so schnüre ich Dir die Kehle zu. Von hier aus dringt Dein Hilferuf nicht auf die Oberfläche der Erde, und bald sind meine Knechte hier: dann geht's fort in den Wagen, geknebelt und gebunden – fort auf mein Schloß, das kein Verfolger kennt; dort sollst Du schon mein sein, ganz mein werden, Du spröde Magd; dort findet Dich kein Los und kein Waldstein – die Dir wohl besser behagen, als der Janko!«

»Um der Barmherzigkeit Gottes willen,« flehte Walperga und rang sich los und stürzte zu seinen Füßen nieder, »gebt mich frei, Herr! Ich hab' nichts als meine alte Mutter und meinen ehrlichen Namen. Erbarmt Euch mein – seid ein Mensch! ich will es Euch ewig, ewig danken, ich will nie auf Rache sinnen, will Euch nicht verrathen, will –«

»Daß ich ein Thor wäre,« versetzte Scherbic und suchte sie zu sich empor zu ziehen, »Du wirst, wie ich sehe, schon kirre werden, wirst mich nicht verschmähen! Ja, Walperga, ja, Sängermädel – nach Dir hab' ich gerungen und mir's sogar mein Blut kosten lassen. Dies schöne Gesicht mit seinen Thränen, diese schneeweiße Brust, die Arme, die Du da verzweiflungsvoll ringst, müssen mein sein, ganz mein. Wolltest Du mein Weib nicht werden, sollst Du doch gern das Lager mit mir theilen; ich will Dich zahm machen – wilde Taube!«

»Dann mögen sich die Todten meiner erbarmen!« schrie Walperga außer sich und ihre Augen trafen das Crucifix in der Wand. »Gekreuzigter Heiland, nimm Du mich in Deinen Schutz!« Mit übermenschlicher Kraft entriß sie ihre Hand und sprang nach dem Kreuze und umfaßte es krampfhaft; dieses aber wich und brach krachend in Trümmer, Schutt, Staub und Moder fiel auf das niedersinkende Mädchen herab und aus der Nische trat, von der Fackel grell beleuchtet, ein bleiches Todtengerippe hervor; es war, als schreite es heraus aus der Wand durch Dunst und Rauch. Walperga schien verschwunden. Janko's Haar sträubte sich; so ruchlos seine Gesinnung auch, war er doch abergläubisch genug, in diesem Ereigniß eine gespenstische Macht zu erblicken. Der an diesem Abend häufig genossene Wein, mit dem er sich zu dem Abenteuer hatte stärken wollen, hatte seine Phantasie ohnehin aufgeregt.

»Barmherziger Gott! Die Todten selbst –« stöhnte er, »das ist Hexerei und Teufelskunst!« Und vom Entsetzen gejagt, stürmte er durch den Gang fort nach dem Garten in das Gemach, wo eben Vojta eintrat mit der Meldung, daß alles zur Flucht bereit sei. »Nichts – nichts –« rief Scherbic, und seine Zähne klapperten vor Schauder und Entsetzen, und Todtenblässe überdeckte sein Gesicht – »ich hab' etwas Gräßliches erlebt – hilf mir fort, in den Wagen!«

»Und die Dirne?« fragte Vojta.

»Lass' sie, nur fort – fort – in den Wagen – hinaus aus Prag.« Zu gleicher Zeit schallte aber auch der Hilferuf Marga's sowohl, als der Waldstein'schen Leute bis in den Garten herein und Vojta fühlte instinctmäßig, daß alles verloren und er nur auf Rettung seines Herrn bedacht sein müsse. Er faßte daher den Junker kräftig unterm Arm und führte oder trug ihn vielmehr durch den Garten nach dem Wagen, der nicht fern vom Thore hielt. Scherbic warf sich hinein, Vojta folgte ihm, die Diener hatten den Befehl, so schnell als möglich auf der Straße nach Königssaal fort zu fahren; sie peitschten auf die Pferde und der Wagen rasselte zum Aujezder Thor hinaus.

Walperga war unter dem fallenden Kruzifix, dem Gemäuer und Moder ohnmächtig niedergesunken. Als sie wieder erwachte, war Scherbic verschwunden, so entsetzlich ihr auch das Todtengerippe entgegen grinste, so fühlte sie doch zugleich, daß sie seinem Erscheinen allein eine momentane Rettung zu verdanken habe. Sie griff nach der Fackel, dort hinaus, wo Vojta und Scherbic verschwunden, wagte sie nicht zu entfliehen. Sie sah jetzt rechts von sich die Stufen, hier herab mußte sie geschleppt worden sein – dort war ein Ausgang zu ihrer Rettung möglich, ihr Entschluß war schnell gefaßt – jeden Augenblick konnte Scherbic mit ihren Henkern wieder zurückkehren. Das Windlicht in der Hand stürmte sie die steilen Stufen hinan, ihr Kopf stieß an die Fallthür, diese – das sagte ihr ein dumpfes Gefühl – mußte gehoben werden, denn obgleich sie in ihrer Verhüllung nichts gesehen, gewahrte sie doch, daß Vojta die Thüre über sich hatte zufallen lassen. Sie stemmte nun Kopf, Nacken und Schulter gegen die schweren Bretter und – die Todesangst gab dem Mädchen übernatürliche Kräfte – sie stieg hervor aus der grauenhaften Tiefe, die Fackel in der Hand gleich einer Waffe schwingend und ließ nunmehr ihr Hilfegeschrei ertönen. Waldstein's Leute waren in der Nähe, auch Marga, und diese nahm laut aufjauchzend ihr gerettetes Kind in die Arme. Man trug sie vor die Pforte, hier schwang sich Einer hinauf und ließ sich von einem Zweiten das leblose Mädchen emporreichen.

In Folge dieses nächtlichen Tumultes waren die Leute aus der Nachbarschaft herbeigelockt worden und diese bewaffneten sich sofort, als sie von dem Raubanfalle auf das Mädchen Kunde erhielten, theils um das Haus zu beschützen, theils um die Umgegend nach den Räubern zu durchforschen. – In einer halben Stunde etwa langten auch Waldstein und Matusch an und waren freudig überrascht, die Geraubte so schnell wieder gefunden zu sehen. Es währte geraume Zeit, bevor sich Walperga so weit erholt, um in zusammenhängenden Worten alles zu erzählen, was ihr begegnet war. – Waldstein hielt die Bleiche und Bebende in seinen Armen, Matusch und zwei Andere nahmen Fackeln, um das Gewölbe zu untersuchen. Kein Bild einer aufgeregten Phantasie hatte Walperga getäuscht und den Janko erschreckt. In der Nische stand, rostige Fesseln an Händen und Füßen ein Gerippe, allem Vermuthen nach die grauenhaften Ueberreste eines Mönches, den man in früheren Jahren hier lebendig eingemauert. Mit dem Crucifix war durch die Hand des verzweiflungsvollen Mädchens die morsche Vordermauer herabgerissen worden, welche die schreckliche Behausung verbarg. So war auf den Hilferuf Walperga's im entscheidenden Momente durch einen wunderbaren Zufall in der That ein Todter als ihr Retter erschienen.

Matusch meldete Waldstein sofort das Ergebniß der Nachforschung, wodurch auch Walperga zum Theil beruhigt wurde, denn auch sie hatte in dem schrecklichen Augenblicke eher an das Dazwischentreten einer gespenstischen Macht, als eines natürlichen Ereignisses gedacht.

Sie ruhte in Waldstein's Schoße, von seinen Armen umschlungen; zu ihren Füßen saß Marga, die Thränen von ihren schier vertrockneten Augen wischend. Langsam legte sich der gewaltige Herzschlag des Mädchens, das nun zum zweitenmale, nur mit mehr Fassung, den Raubversuch und ihre schrecklichen Empfindungen während desselben schilderte.

»Du sagst, die Gräfin war da?« wandte sich Albrecht zu Marga, während seine Hand sanft die Stirn des Mädchens streichelte.

Die Alte erzählte nun den Besuch Camilla's umständlich; wie diese sich heftig nach ihrer Nebenbuhlerin, seiner Braut, erkundigt, einen Liebestrank verlangt und daß sie Walperga gesehen.

»Aus der Lüge ist Wahrheit geworden,« seufzte Albrecht und sein Auge schloß sich verdüstert.

»Entweder hat dies Bubenstück,« sagte er nach kurzem Bedenken, »der Scherbic verübt, oder diese Gräfin hat es angestellt. Ich sagte Dir doch, Du mögest Dein Kind hüten wie Deinen Augapfel, mögest es verbergen vor dieser Camilla, dieser rachebrütenden Circe. Nun hat die Arme das Schrecklichste zu befürchten von der Wuth dieses Weibes. Statt eines Verfolgers hat mein armes Kind nun deren zwei. – Auch hier heißt es rasch handeln und auf der Hut sein. Marga, pack' alle Deine Sachen von Werth zusammen; Matusch mag Dir behilflich sein. Noch in dieser Nacht müßt Ihr dieses unheilvolle Nest verlassen. Ist das Jagdhaus auf Vorschov auch noch nicht eingerichtet, so gewähren doch seine Mauern Sicherheit, und dann bin ich Euch näher.«

Er berief Matusch und befahl diesem, einen Diener nach dem Hradschin in sein Haus zu schicken, um einen Wagen und noch mehrere seiner Leute zu berufen. Die Weiber sowohl als ihre Habseligkeiten sollten noch vor Tagesanbruch an ihren neuen Aufenthaltsort geschafft werden.

Als nun Marga ihre versteckten Gemächer und Kammern leerte, staunte Waldstein über den Reichthum und die Pracht, die hier verborgen war; glänzende Gewänder aus Sammt und Damast mit Gold- und Silberstickereien für Walperga, Kästchen mit Juwelen, prachtvolle Teppiche und Decken, kostbare Bilder, Schmuck- und Tafelgefäße von edlem Metall, Säcke mit Gold- und Silbermünzen kamen zum Vorschein. Die Alte hatte während ihrer Laufbahn als Wahrsagerin und Zauberin eine mehr als fürstliche Ernte gehalten und ihrer Tochter eine Aussteuer gesammelt, deren sich keine Edeldame zu schämen brauchte.

Da während ihres Geschäftes Marga sich häufig entfernte, so war Albrecht mit Walperga, die unschuldsvoll und ergeben noch in seinen Armen lag, öfter allein. Er gab ihr süße Liebesworte, denen sich – wie er es nie vermocht – die Töne der Wehmuth beigesellten, des Entsagungsschmerzes, den er tief in der Brust verbergen mußte. Die arme Blume dauerte ihn. Er hatte nicht den Muth, ihr zu gestehen, was ihr die nächste Zukunft doch enthüllen mußte. Er baute auf die Zeit und ein Wunder! – Und er vermochte es nicht, Liebesgeständnisse, wie sie jetzt feuriger als je auf seinen Lippen schwebten, zurückzuhalten, mit denen er sie und sich berauschte und sein mahnendes Gewissen einschläferte. – Er beschwor sie, seiner und ihrer Feindin, der Gräfin, nichts zu glauben, nur dem zu trauen, was er selbst ihr offenbaren, was ihre Augen sehen würden. »Unser Los ist noch in Dunkelheit gehüllt, Walperga,« sagte er mit tiefer Bewegung, »aber ob im Besitz, ob im Entsagen: mein Herz wird nur Dir gehören. Ich habe nur Dich geliebt, meine erste und einzige Liebe, und werde Dich ewig lieben!«

Wohl kannte Walperga die frühere Neigung der Gräfin zu ihm und fühlte, daß sie von des leidenschaftlichen Weibes Eifersucht alles zu besorgen habe; aber sie fühlte auch aus dem Innersten ihrer Seele heraus, daß er dieses Weib nie zu lieben vermocht und daß seine wahre und reine Neigung nur ihr gehöre. Dieser Besitz füllte ihre ganze Seele aus, und so sah sie nicht ahnungstrübe und besorgt in die Zukunft. »Wenn auch unerreichbar,« hatte er gesagt, »bleibst Du doch mein schöner Stern,« und sie hatte freudig wiederholt: »Wenn auch unerreichbar, doch mein schönster Stern!«

Marga war froh, daß endlich die Stunde gekommen, wo sie den Ort ihrer beständigen Angst und Besorgniß verlassen und mit ihrer Tochter und ihren Schätzen ein sicheres Asyl beziehen sollte. Wallenstein's Neigung zu ihrem Kinde schien ihr eine ernste, ehrenhafte; sie wagte es, in Walperga jetzt schon seine künftige Gattin zu erblicken. Er war nicht reich, sie ausgestattet mit Schätzen, den Makel oder vielmehr das Dunkel ihrer Herkunft überstrahlte ihre Schönheit. Und dies Dunkel konnte sich noch glänzend lösen. So erwartete sie nur sein entscheidendes Wort der Werbung und wollte ihm dann, was noch Rätselhaftes lag auf ihrer Vergangenheit und ihres Kindes Herkunft offenbaren. Eine glückselige, ruhmvolle Enthüllung stand vielleicht noch bevor.

»Und diese Gräfin also,« dachte sie, »will mein armes Kind verderben. Freilich wird sie's wollen, wenn sie erfährt, daß meine Goldtochter die gesuchte Nebenbuhlerin ist, daß sie sein stolzes Herz gerührt und gefesselt. – Nun, es ist gar kein Raub; denn er mochte sie schon früher nicht und bevor er noch mein Kind gesehen. Gieb Acht, Du niederländische Hexe, daß ich Dir nicht statt des Liebestrankes ein anderes Tränklein braue! Um mein Kind zu retten, wär' ich wohl einer Unthat fähig. – Warst Du doch selbst dem Gatten untreu und magst nun selber Untreu erfahren.«

Nachdem alles eingepackt und zum Aufbruch bereit war, ritt Waldstein, um für seine Person Aufsehen zu vermeiden, mit Matusch über die Insel Kampa den Fluß entlang voran; denn noch immer standen vor der Ruine und weiter bis zum Aujezd hilfreiche und neugierige Leute aus der Nachbarschaft, die theils ihren Schutz anboten, theils die näheren Umstände der beabsichtigten Entführung erfahren wollten. Der Wagen mit den Weibern und umgeben von zahlreichen bewaffneten Dienern folgte bald darnach.

Am Reichsthore, das man in so später Nachtstunde nur auf Albrecht's Geheiß öffnete, erwartete er ihn, und so bewegte sich der Zug von da zur Rechten, die Stadtmauer entlang, dann von der Straße links ab, wo über dem Dorfe Devic damals das jetzt in Trümmern liegende Jagdhaus Vorschov lag. – Hier führte Albrecht die Frauen in die bereits in Stand gesetzten Gemächer und schied, um sie der nöthigen Ruhe zu überlassen, nachdem er den zurückgelassenen Dienern die sorgfältigste Obhut eingeschärft.

Als Albrecht die Höhe der Straße erreichte, um wieder nach dem Reichsthore zurückzukehren, flammte eben der junge Morgen in breiten Purpurfarben hinter seinem Rücken über der weiten Moldau und über Groß-Holeschovic empor und warf seinen und des Rosses Schatten, gleich dem Abbild eines riesigen, ewigen Wanderers auf die Fläche. Dieser Sonnenaufgang im Augenblicke, wo Albrecht vielleicht für immer von seiner Liebe schied, um der Pflicht zu gehorchen, erschütterte ihn tief; ein Sonnenuntergang hätte ihn weicher, entsagender gestimmt. Es ist die Sonne meines künftigen Glanzes, mußte er sich sagen, und diese Sonne versenkt den milden Stern Walperga in ewige Nacht.

Er gab ungeduldig dem Rosse die Sporen und sprengte durchs Thor nach seiner Wohnung. Hier warf er sich ins Fenster und blickte herab auf die in Purpur und Gold prangende Stadt, von deren Thürmen, als wären sie Memnonssäulen, einstimmiger Glockenjubel erklang, den jungen Tag zu grüßen. Er suchte Bilder in der Pracht dieses majestätischen Panoramas, um mit ihnen den Sturm und Drang seiner Brust zu erfüllen und dies Wogen und Toben zu beschwichtigen. – Diese Glocken, sagte ihm eine innere Stimme, werden einst alle zu Deinem Jubel schallen und dieses leise weinende Lied Deines Herzens übertönen. – »Es ist grausam,« sagte er für sich, »daß ich dies edle Wesen verlassen, täuschen muß! Aber mein Schicksal ruft und spricht: Den kann Liebe nie dauernd beglücken, der nur den Ehrgeiz kennt! Ich fühle diesen gewaltigen Kampf in meiner Brust und muß – weichen. – Leb' wohl, Du schöne Blume; Du blühest nicht für mich. Hätt' ich Dich nie gesehen, nie – nein: Dir, Dir wäre besser! Mein Stolz ist größer als mein Herz. – Beglücke Otto! Ja er – er wird mein Helfer auch diesmal sein. Tritt doch in mir sein gefährlichster Nebenbuhler zurück – und so hilft er sich selbst zugleich. – Er mag sie dann, vorgeblich ihrer größeren Sicherheit wegen, nach Hermanic, auf mein Schloß, begleiten; dort soll sie spät und wenn vielleicht ihr Herz schon für ihn gesprochen, von meiner Untreue erfahren. – Ich werde noch heute Lucretia bewegen und den Erzbischof, unsere Verbindung geheim zu halten und zu beschleunigen, unsere Trauung soll still und ohne verrätherische Zeugen geschlossen werden. – Zuerst muß ich mich Otto's versichern; er wird helfen und schweigen bis zur rechten Stunde.«


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