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III.

Die Rüstungen der böhmischen Stände, ihre drohende Haltung und Entschiedenheit, die keinen Glauben an Nachgiebigkeit aufkommen ließ, schreckten den Kaiser Rudolf aus seiner Ruhe empor. Er glaubte alles gethan zu haben, indem er eins verschoben hatte; aber er wurde dringend an seine Zusage erinnert. Er fühlte, daß er einem neuen Sturm entgegentreten, daß er auch diesen beschwichtigen müsse. Und doch sträubte sich sein Herrschergefühl vor der Schwäche der Nachgiebigkeit, und seine Räthe sowohl, als die oberste Geistlichkeit – die Jesuiten am heftigsten – riethen zum Widerstande.

Er versammelte seinen Staatsrath in seinem Zimmer. Es waren die Herren von Slavata, von Martinic, der oberste Kanzler des Königreiches, Popel von Lobkovic und der Prager Erzbischof Graf Karl von Lamberg. Der König erschien in seinem Hauskleide, düster und abgespannt, in seinem Wesen paarte sich Schwäche und Widerwillen, Müdigkeit und Eigensinn. Er gebot den Herren an dem Tische, auf dem nur ein einziges Blatt lag, die vom Herrn von Budova entworfenen und vom König bis auf einzelne Sätze genehmigten Propositionen enthaltend, Platz zu nehmen. Sie gehorchten in unterwürfiger Schweigsamkeit – eine Pause folgte, dann sagte der König, indem er mit der abgemagerten Hand über das bleiche Gesicht fuhr: »Ich habe nur eine Frage an die Herren zu richten: Ist's nothwendig, nachzugeben oder Widerstand zu leisten? Wie die Sachen stehen, wißt Ihr so gut als ich, wohl noch besser; nur verschweigt Ihr sie. Ein König sieht nicht weit, nur so weit die Mauern des Palastes reichen, und hören kann er nur durch Euren Mund! Sprecht!«

»Eure Majestät,« sprach Popel Lobkovic, »was meines Rathes und Urtheiles ist, so sprech' ich zum Widerstand. Noch ist Eurer Hoheit Macht groß, die Völker sind noch nicht alle entlassen, die vor Kurzem kampflustig waren, gegen den Feind aus Ungarn und Oesterreich zu ziehen. Es gilt, mit einem raschen Schlag die offenkundige Empörung zu unterdrücken. Denn Empörung ist es, wenn die Stände sub utraque Truppen werben, wie sie sagen, zum Schutze ihrer Gerechtsame, Gerechtsame, die des Königs Majestät noch nicht genehmigt hat, also ihnen auch nicht beschränkt, vorenthalten oder lädirt worden sein können. Und dann – wär' unsere Waffenmacht auch jener der Meuterer nicht gewachsen, so bedarf es nur eines Aufrufes an Seine Hoheit, Herrn Bruder Mathias, als welcher sein künftig Erbe und die ihm zukommende Krone sofort zu verdefendiren mit einer Truppenmacht erscheinen wird, um –«

»Halt! Genug!« versetzte unterbrechend der König und bitterer Spott spielte um seine schmalen Lippen, »Du weisest mich in meiner Noth an meinen Bruder Mathias!? Der soll geben, der mir stets nehmen will? Er wird mir geben, um mir noch mehr zu nehmen! Ei, bei der heiligen Jungfrau, Dein Rath ist kurzsichtig wie Dein Auge! Säh' ich so kurz, so ging' ich hinunter zu den utraquistischen Ständen in die Neustadt und böt' ihnen Brüderschaft und würde von ihren Schultern unter Jubel auf den Hradschin getragen. Sie wären die Meinigen; freilich das Allernächste und das Leichteste auch, allein ich ganz der Ihrige. Dann aber könntet Ihr Alle gehen, der Lamberg mitsammt der katholischen Klerisei, die Jesuiten vornehmlich, vorausgesetzt, daß man Euch beim Abzug aus dem Königsschloß nicht in die Spieße rennen ließe. Daß Ihr das nicht bedenkt? Rett' ich mich, so geb' ich Euch preis. Bei Gott, ich dien' Euch klüger, als Ihr mir! Ein Wort nur von mir, so bin ich ein Gott auf jener Seite und Ihr die Schlachtopfer. Ja – ein Königswort hat noch gewaltige Kraft. Dein Rath ist schlecht, Lobkovic! Lass' mich da nicht borgen, wo ich – mit Widerwillen zwar – reichlich schenken müßte.«

»Verzeihung, kaiserliche Majestät!« erwiderte der greise Kanzler, ein Mann von riesenmäßigem Umfang, dessen Körperschwere ihm das Gehen und selbst das Reden erschwerte. »Die Absicht war gut; möge mir die Deutung auch gestattet sein. Euer Herr Bruder Hoheit wird für Eurer Majestät Gerechtsame wirken, weil er als künftiger Erbe nur so wirkt gegen die Verkürzung seiner Rechte. Ihm ziemt es, sich jetzt den Königsstuhl fester zu zimmern – um solchen Ausdruckes mich zu bedienen. Will er sein Gut für die Zukunft retten, muß er jetzt helfen; die Krone ist jetzt schon die seine sowohl wie Eurer Majestät!«

»Du verstehst,« entgegnete der König bitter, »die brüderliche Liebe schlecht. Er wird ihnen schmeicheln und gewähren, bis mein Platz erledigt ist; was er dann thut, wenn er ihn einnimmt, das ist eine Frage, deren Antwort in der Zukunft liegt. Von dort her keine Hilfe, und käme sie auch uneigennützig, ich mag sie nicht! Wie schon gesagt: Wo ich geschenkt, mag ich nicht betteln! Gott verzeih' mir die Sünde, ich borge nicht bei Wucherern. Doch – ich hab' das nicht an meinem Blut verschuldet. Es ist die Frage, ob ich auf die Böhmen rechnen kann; denn nur der Böhme kann mir helfen gegen den Böhmen! Seid Ihr so stark, daß Ihr das zwingt ohne Blutvergießen und ohne bindende Unterschrift dieses Blattes? Bedenkt, dies Blatt ist wichtig und ein Freibrief für die künftigen Zeiten, es ist ein Majestätsbrief! Die Majestät hat ihn dann gegeben und die Majestät muß ihn halten, will sie ehrlich bestehen vor Gott und der Welt. Sprich, Martinic!« wandte er sich zu diesem, »Du wiesest die Herren an den König, sag' nun dem König, worin er die Herren unterweisen mag.«

»Eurer Majestät Gewährung dieser Punktationen,« entgegnete dieser, »gewährt allgemeine Toleranz im Reiche, wie sie noch nicht zu finden ist in einem christlichen Staate. Wir haben dessen kein Vorbild und können die Folgen nicht ermessen. Es heißt zwei Parteien gleichmäßig privilegiren, die sich anfeinden wie Wasser und Feuer. Und zwei Parteien, gleich mächtig, der König in der Mitte – wo ist seine Herrschaft dann? Er muß sich einer in die Arme werfen. Die ist schon da und ist im Recht. Die Toleranz, mein gnädigster Herr, die hier gewährt würde, ist nur ein Same zu neuer, unabsehbarer Zwietracht und würde, stärkt sich der Gegenpart durch das vom Ausland immer mächtiger eindringende Lutherthum, unsere heilige Religion und ihre Anhänger hier vernichten. Was der apostolische Vater in Rom dazu sprechen würde, dessen nicht zu gedenken!«

»Du nanntest die Toleranz,« versetzte der König; »gut, daß Du mich daran erinnerst. Als ich sie beim Antritt meiner Regierung übte, befand ich mich gar wohl; ich war geliebt, war mächtig und das Herrschen war mir eine Lust. Erst als die Herren von der Geistlichkeit mir in die Ohren raunten, die Ketzerei sei übermüthig und drohe uns zu verschlingen, und ich, eingeschüchtert, die Toleranz nicht mehr übte, da begann mein traurig Regiment. Nun, meine Herren, hab' ich's verschuldet oder Ihr und die Eurigen? Ist denn Unduldung mit Herrschen eins und dasselbe? Kann man nicht gewähren, weil gewährt wird, und muß die Gewährung denn ein Opfer heißen. Ich gebe keinen Zoll von meinem Erdreich; doch lass' ich meinen Nachbar ruhig auf dem seinen bauen. Er nimmt Dir nichts – gönn' ihm doch den Besitz! Ach – mein Kopf ist wüst und meine Seele matt! Ich bin ein kranker Mann und soll noch für Euch denken, für Euch den Ausweg suchen. Ich weiß nur, was Ihr rathet, das ist schlimm – den Ausweg finden sollen wir, ja den Ausweg. Nun sprich Du einmal, Slavata,« wandte er sich zu diesem; »Du bist so stumm!«

»Mein kaiserlicher Herr gebot mir noch nicht zu sprechen,« versetzte gemessen Slavata.

»Was hältst Du von der Toleranz,« fuhr der König fort, »ich glaube, sie ist nicht übel. Hast Du doch Deine Schwester auch dem utraquistischen Rosenberg zur Frau gegeben, und Ihr fuhrt wohl dabei. Er starb und seine männlichen Sprossen auch! Ihr werdet reiche Erben. Wie hast Du Dich vertragen mit dem Schwäher?! Ja – es lebt, so weit ich weiß, nur noch der Peter Wok von Rosenberg in Ungarn, der alte Türkenbekrieger; dann ist der Stamm erloschen und ich erbe Krumau.«

»Er starb vor kurzer Zeit in Czaslau – auf der Reise hierher,« versetzte Slavata.

»Dann bin ich,« sagte Rudolf nicht ohne Spott, »mitten in meiner Bekümmerniß, die die Herren nicht von mir nehmen wollen, im Schlafe sozusagen reich geworden. Das Schicksal tröstet, wenn es schlägt; es ist ein Schmeichler oft – warum sollten es die Menschen nicht sein? Ja, mit der Toleranz – Du wolltest mir darauf antworten.«

»Mit gnädiger Erlaubniß, Majestät,« antwortete Slavata, »erst unterthänige Antwort auf Eure Personenfrage. Die Verbindung meiner Schwester mit dem Rosenberger forderte unseres Hauses Glanz; ich hab' sie nie gebilligt im Gewissen, doch mein seliger Vater förderte sie. Ich war nie meines Schwähers Feind, doch sah ich ihn nie in meinem Hause; denn der Glaube duldet nicht, daß man das Gemach theilen soll mit Einem, der die Pest bringen kann in die gesunden Räume. Erst als er starb, nahm ich die Schwester zu mir um ihrer eigenen Sicherheit willen und der ihres Kindes. – Und was die Toleranz betrifft, gnädiger Herr,« setzte Slavata mit Feuer hinzu und erhob sich vom Stuhle, »so glaub' ich: Wer seine Religion liebt, darf nicht einer anderen Liebe heucheln!«

Erzbischof Lamberg, der bisher schweigend dagesessen, unterbrach den Redner sanft, doch entschieden, indem er sagte: »Erlaubt! Die Toleranz liegt auch in Gottes Wort. Toleriren heißt nicht lieben; es heißt nur dulden und nicht fördern. Kann ich doch leben, ohne daß ich bekriege. Der Krieg allein ist gerecht, wenn ich bekriegt werde.«

»Um des Himmels Barmherzigkeit willen,« rief Kaiser Rudolf unterbrechend, »keinen Religionskrieg. Denkt an die Hussitenzeit und nehmt eine Lehre. Ein jeder Krieg ist schrecklich – Krieg um die Krone – Bruderkrieg – merkt es wohl! – Doch der schrecklichste ist der Religionskrieg. Der schreit zum Himmel, weil er des Himmels geheimnißvollen Ausspruch, den wir nur anbeten sollen in frommer Gläubigkeit, erklärt und ausficht mit Waffen, durch Blut und Mord! Schweigt mir davon! Glaubt' ich, jene dort drüben, oder wir, könnten eine solche Fahne aufstecken, ich versenkte meine Krone lieber in einen Abgrund, wo sie kein menschlicher Arm erreichen könnte. – Slavata, Du wolltest noch etwas sagen?«

»Ich wollte nur Seiner fürstlichen Gnaden, dem Herrn Erzbischof, erwidern, daß, wo es ein Recht gilt, toleriren nichts anderes heißt, als sein Recht vergeben und das ihm anvertraute Anderer. Denn wir stehen auch hier im Namen des uns gleichgesinnten Volkes, das unmündig ist und dessen Gerechtsame wir vertreten. Weh' mir, wenn ich ein Haus besitze und dem Miethsmann gleiches Recht und Anspruch und Gewalt darauf gebe! Der Miethsmann treibt, ist er bösen Sinnes, mich in Folge dieses Vergebens aus meinen eigenen Räumen!«

»So räthst auch Du,« beschloß der König, »wie die Anderen zum Widerstand und zur Gewalt, wovon meine Seele nichts wissen mag. – Ihr könnt es leicht; denn Schuld und Verantwortung kommt doch nur über mein Haupt. Freilich, die Könige gehen vorüber, die Völker aber bleiben; die Schmach der Zeit heftet sich nur an die Häupter der Könige, die Zeit wird frei gesprochen und auch die Völker werden es von der Geschichte. Die Gerechtigkeit der Zukunft ist nicht für uns. Wenn die Großen des Reiches sündigen, wirft das Volk den Haß auf uns; es meint, wir seien Eure Herren, indes Ihr die unserigen seid. – Und was nun,« unterbrach er sich, »sagt zum Schlusse unser ehrwürdiger Erzbischof? Das Urtheil ziemt ihm zunächst in dieser Sache. Lamberg! Predigt Ihr auch den Krieg und die Gewalt? – Macht's kurz – ich bitt' Euch; mir wirbelt's im Kopfe, ich bin alt und krank – bedenkt das!«

»Mein königlicher Herr!« antwortete der Erzbischof, »die Kirche gebietet Ausrottung der Ketzerei, aber das Wort des Herrn befiehlt auch Duldung. Ich, das Kirchenoberhaupt in unserem Lande, rathe zur Duldung. Verhüte der Herr, daß wir den Weg des Blutes wandeln. Liegt ja doch alle Zukunft in seiner Hand und er, der dieses Zwiespalts Lösung von uns verlangt, wird auch den Frieden segnen, den wir geben wollen. Wird auch die andere Partei gleich mächtig, so kommt's doch nur auf das Maß der Liebe an, mit welcher eine die andere zu sich hinüber zieht. Die Zeit gehört Gott; lassen wir sie walten und ihn in ihr!«

»Amen!« sprach Rudolf mit lauter Stimme und legte seine Hand auf die Schulter des Erzbischofs; »das Wort des Friedens hör' ich am liebsten aus diesem Munde, weil ich es doch so selten vernahm von priesterlicher Lippe. Ihm folge ich! Man ist nicht feige, wenn man der Nothwendigkeit sich fügt und kleine Unbill duldet, um großes Unheil zu verhüten. – Hört es, meine Herren Räthe! Ich wähle den Frieden, nehme den Kranz, den er mir gutwillig beut, und will mir einen anderen nicht erkämpfen. Mög' es die letzte Handlung meines Regimentes sein, so hab' ich doch dazu nur eines Tropfens Tinte bedurft und nicht der Ströme von Blut. – Die Böhmen mögen sagen, daß ich in Frieden von ihnen geschieden bin.«

Er nahm die Feder, um zu unterschreiben.

In diesem Augenblicke trat ein Kämmerling ein und überreichte dem Herrn von Slavata einen schwarz gesiegelten Brief. Slavata öffnete ihn, überflog die Zeilen, erbleichte und das Blatt entsank seiner Hand.

Der Kaiser, welcher, obgleich seine Augen auf dem Blatte vor ihm hafteten – doch diese Bewegung nicht übersah – legte, nachdem er unterzeichnet, die Feder weg und fragte rasch: »Was ist's, was meldet der Brief?«

»Nichts vom Geschäft – kaiserliche Majestät – es ist« – stotterte Slavata.

»Ich will es wissen!« gebot der Kaiser.

»Der König von Frankreich ist – ermordet,« antwortete tonlos Slavata.

»Unser Vetter von Frankreich!« rief Rudolf und sank in den Sitz zurück. Schrecken erfaßte die Uebrigen; es herrschte Todtenstille.

Der Kaiser war's zuerst, der nach einer langen Pause das Wort wieder fand, indem er langsam und sinnend in abgerissenen Sätzen fortfuhr: »Heinrich von Frankreich also – der gute König, in dessen Namen die Bettler ihre Gabe forderten und d'rum erhielten – er, so tapfer und menschenliebend, so offenherzig und so einfach an Sitten, ein solcher Mann – ermordet, sagst Du!? Wenn solche Häupter fallen von der Mörder Stahl – was für ein Los bedroht die anderen? – Und warum? Wer war der Bösewicht? Lies den Bericht, Slavata!«

Slavata las mit lebhafter Stimme das Schreiben; nur zum Schlusse konnten die Zuhörer, den König ausgenommen, der zu sehr ergriffen war von der Schilderung selbst, merken, daß er einigen Sätzen eine willkürliche Aenderung gebe. Der Bericht lautete:

»Den Tag nach der Krönung der Königin, Nachmittags gegen vier Uhr, stieg der König in den Wagen, um den Herzog von Sülly, der etwas unpäßlich war, im Zeughause zu besuchen und im Vorbeigehen die Ehrenpforten und andere Vorbereitungen zum Einzug der Königin, der auf den folgenden Tag angesetzt war, zu besehen. Mit ihm, im Wagen, befanden sich die Herzöge von Epernon und Montbazon, die Marschälle von Lavardin und Roquelaure, der Marquis de la Force, der Oberstallmeister Liancourt und der Marquis von Virebeau. Als der Wagen in die enge Gasse la Feronnerie kam, wurde er von einigen entgegenkommenden Lastwagen aufgehalten und die Bedienten gingen voraus, um Platz zu machen. Während so der Wagen des Königs halten mußte und niemand um ihn war, stieg ein junger Mann von zweiunddreißig Jahren, Franz Ravaillac, gebürtig von Angouleme, auf das rechte Hinterrad und stieß dem Könige, der auf der linken Seite neben dem Herzog von Epernon saß, ein Messer in den Leib. Der Stoß ging fehl; aber Ravaillac wiederholte ihn mit äußerster Geschwindigkeit und traf den König ins Herz; der Mörder entfloh nicht, warf auch das Messer nicht von sich, sondern hatte es noch in der Hand, da er festgenommen wurde, auch gestand er die That sogleich, als ob er ein verdienstlich Werk vollbracht hätte. Schon seit mehreren Tagen war er dem König auf dem Fuß gefolgt und auch an diesem Tage hatte er ihn nicht aus den Augen gelassen. Merkwürdig ist, daß, als Ravaillac festgenommen wurde, sieben bis acht mit Degen bewaffnete Männer herbeiliefen und laut verlangten, daß man den Mörder tödte, sich aber sogleich wieder unter der Menge verloren. Die Leiche des Königs wurde nach dem Louvre zurückgebracht und einige Stunden lang für Jedermann zur Schau ausgestellt. – Ravaillac wurde dem Ausspruch des Parlaments zufolge mit glühenden Zangen gezwickt und von vier Pferden zerrissen. Er ertrug den qualvollsten Tod mit großer Standhaftigkeit und schwieg ebenso standhaft über die Beweggründe zu seiner Unthat. Man setzt ein Complot voraus. Selbst die Richter, welche Ravaillac verurtheilt, wagen es nicht, ihre Vermuthungen auszusprechen. – Verleumdung ist es, wenn man die Anstiftung des Mordes den Jesuiten schuld giebt – auch den Liebling der Königin, Concini, den Herzog von Epernon und die Marquise von Verneuil bezeichnet der Leumund als verdächtig. Das gesunde Urtheil aller Rechtgläubigen aber sucht den Mörder unter den Hugenotten. Ein Fanatiker dieses Glaubens soll's gewesen sein, der den Dolch gegen den König gezückt, weil dieser in den Schoß der Kirche zurückgekehrt.«

Slavata endigte. Der König, dessen bleiche Stirne mit kaltem Schweiß bedeckt war, rief entsetzt: »Mag seine Seele brennen in ewiger Verdammniß wegen so grauser That! Da habt Ihr's! Zwei Glaubensparteien im Lande erzeugen Königsmord und noch stehen sie doch friedlich nebeneinander; wie erst, wenn sie feindselig sich begegnen? – Fürstliche Gnaden!« wandte er sich zum Erzbischof, »ordnet den feierlichen Trauergottesdienst für die Ruhe unseres Vetters Liebden. Böhmen soll mit trauern und ermessen, wie theuer Heinrich unserem Herzen gewesen. – Die Zeit, die unglückselige, wird immer reicher nur an Greuelthaten. Das gesalbte Haupt selbst ist nicht sicher vor dem Mörderstahl. – Herr, wie Du willst, ich rufe den Mord nicht hervor. – Slavata! Hier nimm das Blatt – es ist unterschrieben – trag' es in die Landtafel. Weiß Gott, ob ich damit die Leidenschaften entzügle oder ob ich sie dämpfe.«

»Mein Kaiser hat unterschrieben?« sagte Slavata zaudernd, »nach solchem Vorgang –«

»Der Vorgang,« versetzte Rudolf, »hätt' uns zur Unterschrift bewogen, wenn wir nicht früher schon unterschrieben hätten. So aber ist's geschehen und besser; nicht Furcht hat unsere Hand geführt, sondern Ueberzeugung. An Jenen liegt's, ob dies Blatt ein Palmzweig wird in ihrer Hand oder eine Mörderwaffe!«

»Also befehlt Ihr, königlicher Herr?« zögerte Slavata.

»Unwiderruflich! Vollendet's! – Ihr seid entlassen – ich bedarf der Ruhe. – Das gräßliche Ende unseres heißgeliebten Bruders versetzt auch unserem Dasein eine schwere Wunde. Wir werden sie kaum verschmerzen!«

Er zog sich in sein Gemach zurück. – Slavata warf den Uebrigen einen bedeutsamen Blick zu, dann entfernte er sich schweigend. Auf seinem Gesichte war Verstörung und Ingrimm zu lesen.

Als er durch den Corridor nach der Landstube ging, begegnete ihm Graf Thurn und war im Begriffe, stolz vorüber zu schreiten. Slavata hielt ihn und sagte, indem er das Blatt erhob: »Mein Herr Graf von Thurn! Ihr mögt mir, so es Euch beliebt, folgen und eine Abschrift nehmen. Der Kaiser hat Eurem Begehren willfahrt und unterschrieben. Dies wird der Conföderation des Herrn Grafen zu großer Freude gereichen!«

»Wirklich!« rief Thurn, »es war bei Gott an der Zeit! Wenn ich nur glauben könnte, daß wir Euer Gnaden landesväterlichem Rathe sothanen gnädigen Entschluß des Königs zu verdanken hätten.«

»Das in der That nicht, Herr Graf!« versetzte Slavata bitter; »ich mache aus meiner Gesinnung niemals Hehl und sprech' es noch heute aus, daß nur unter Oesterreichs Scepter und unter alleiniger Herrschaft des heiligen katholischen Glaubens Böhmen zum Heil gebracht werden kann. Doch – es ist des Kaisers erhabener Wille und seine Räthe können nichts als gehorchen. Heinrich von Frankreich ist ermordet, man sagt, von einem Hugenotten. Wolle der Himmel nicht, daß dieses Blut zur Waffe werde in eines Glaubensgegners Hand zu gleich entsetzlicher That!«

»Besorgt das nicht, gnädiger Herr!« versetzte Thurn mit gleicher Bitterkeit, »aus unseren Reihen wird kein Königsmörder erstehen. Wir, die wir fest das Recht wollen, ehren das Recht auch in der Krone und halten heilig das gesalbte Haupt.«

Er folgte Slavata in die Kanzlei bei der Landstube, erhielt die Abschrift, warf sich auf sein Roß und sprengte, die Brust von freudiger Begeisterung geschwellt, den Hradschin hinab in die Neustadt zu Kinsky, um als der Erste seiner Verbündeten den Majestätsbrief König Rudolfs zu verkündigen!


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