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II.

Waldstein war entschlossen, seinem Versprechen zuwider die Gräfin nicht mehr zu besuchen und ruhig einen Sturm abzuwarten. Er mußte mit ihr brechen und die Folgen über sich ergehen lassen, je früher, desto besser. Ließ er ihr den Wahn einer noch fortwährenden Verbindung, einer Aussicht in die Zukunft, so konnte ein solches Doppelspiel noch gefährlicher für ihn werden und ihre Rache sich dann ganz gegen Walperga kehren. Vor allem lag ihm daran, daß sie das Mädchen nicht zu sehen bekomme. Ihre Schönheit mußte ihr so wie jedem auffallen, seine Bekanntschaft mit ihrer Mutter mußte sie in den Augen des eifersüchtigen Weibes sofort als ihre entschiedene Nebenbuhlerin erscheinen lassen. Er hatte es darum der alten Marga noch einmal fest auf die Seele gebunden, die Gräfin fern von dem Mädchen zu halten, ja ihr die Existenz desselben zu verheimlichen.

Im Hause der Frau von Rosenberg, wo nie die Freude herrschte, war neue Trauer eingekehrt. Ihr langbewährter Freund und Seelenarzt, der Propst Strachovsky war – wie wir schon oben erfahren haben, von diesem Dasein abberufen worden. Diese betrübende Kunde rief in der Brust der unglücklichen Frau alle Erinnerungen an die Trübsale ihres verflossenen Lebens wach und umflorte den Blick, der sich noch manchmal hoffend in die Zukunft verlor, vom neuen mit einem düsteren Schleier. Denn vor wenig Wochen war auch der letzte Rosenberg gestorben.

Sie saß mit Jaroslava am Tische, das bekümmerte Haupt auf die Hand gestützt, und schilderte der horchenden Tochter mit beredten Worten die Tugenden des edlen Abgeschiedenen und seine Verdienste um ihr und ihres Hauses Wohl. Theilnahmvoll und mit gefalteten Händen horchte das schöne Mädchen und wehrte der Thräne nicht, die in ihr Auge trat. In ihrem Schoße schlummerte ihr Liebling und Gespiele, das muntere Eichhorn. Wie damals glänzte der Abendschein in dem traulichen Gemache und wob einen Schimmer von Trauer und Wehmuth über Mutter und Tochter.

Da wurde der Herr von Slavata gemeldet und mit ihm zugleich trat ein junger Edelmann herein: Otto von Los!

Otto hatte die Kanzlei der Landstube, wohin ihn ein Geschäft geführt, verlassen und ging durch den Corridor des Schlosses nach der Haupttreppe des Georgsplatzes, da vertrat ihm Herr von Slavata, der eben vom König kam, den Weg und redete ihn freundlich, ja für sein sonstiges ernstes Wesen sogar heiter an.

Slavata, damals des Königs fast allmächtiger Staatsrath, war bereits ein Mann von gesetzten Jahren, klein von Gestalt, geschmeidig, mit scharfen Gesichtszügen, grauen lauschenden Augen unter der graubehaarten Stirn; den langen Knebelbart trug er sorgfältig gepflegt, die Kleidung von Sammt und Atlas war gewählt und prachtvoll, Degengriff und Wehrgehänge blitzten von Edelsteinen.

Er war der Stammherr eines der ältesten, mächtigsten und reichsten Geschlechter Böhmens; dem Kaiserhause unverbrüchlich ergeben, eifriger Anhänger und Verfechter des Katholicismus und der Priesterschaft, Mitverbündeter und oft wohl Werkzeug der Jesuiten.

»Mein edler Herr von Los,« sagte er verbindlich, »ich weiß wohl, daß ich Euren Stolz nicht breche, der Euch heißt trotz aller freundlichen Ladungen an meinem Haus vorüber zu gehen; darum will ich dies Geschäft ganz den Weibern übergeben und lass' Euch daher nicht früher, bis Ihr mir zu meiner Schwester gefolgt seid. – Was sollen die Frauen unsere Meinungskämpfe büßen? – Die starre Meinung hier und dort gestattet oft – ich weiß es – ein Befreunden der Personen nicht; aber seht einmal, ob Wilhelm von Slavata in seinem Hause das Amtskleid nicht ablegt und einen Werth darauf legt, das Gastrecht als böhmischer Edelmann zu üben.«

»Wer möchte daran zweifeln, Euer Gnaden,« versetzte Los verbindlich, doch gemessen, »hat doch Euer Haus stets böhmische Würde und Sitte aufrecht erhalten. Als wir noch Könige czechischen Blutes hatten, waren die Slavata Zierden des vaterländischen Hofes.«

»Und jetzt, meint Ihr,« versetzte Slavata scharf, »sind sie es an dem fremdländischen Hofe, oder sie sind es nicht, weil er fremdländisch. – Doch lassen wir, wie gesagt, jeden Streit der Parteimeinung. Ich achte und schätze den Edelmann Otto von Los und bin nicht gewillt, ihn von seiner Verbindung mit unseren und des Königs Gegnern abspenstig zu machen. Dien' ich dem Kaiser Rudolf, so glaub' ich auch dem Lande zu dienen nach meinen Kräften und nach meiner besten Ueberzeugung. Daß letztere nicht die Aller, daran trage nicht ich die Schuld! – Die Zeit ist verworren und schwierig. Aber auf alle Stürme in der Natur folgt Sonnenschein und auf die im Völkerleben wieder Ruhe. Der Kaiser, wenngleich alt und krank, ist ein Ehrenmann, der Böhmen liebt und es im Herzen segnet. Weiß Gott, er hat ein schweres Regiment! – Nichts davon weiter, es ist der Bruder und Oheim, der Euch freundlich grüßt und bittet, über seine Schwelle zu treten und sich nicht länger dem verdienten Danke zu entziehen. Die Dankbarkeit ist in edlen Herzen ein Bedürfniß; so lange dieses nicht gestillt worden, lastet sie wie eine Schuld auf der Brust. – Und sollt' es Euch denn so schwer fallen, von den Lippen eines schönen Mädchens gute Worte zu hören!?«

»Ihr habt, gnädiger Herr!« versetzte höflich einlenkend Otto, »meinen Worten einen weiteren Sinn gegeben, als ich darein legte. Nicht geltend machen wollte ich meinen Glauben und nicht erwähnen der Verbrüderung in Glaubenssachen, meiner Verbindung. Muß ich den Eifer doch auch dort ehren, wenn ich ihn hier selbst hege.«

»Fürchtet Euch nicht, Herr Otto,« sprach Slavata, während sie an den Wagen traten, in welchen er den Jüngling nöthigte, »daß Euch beim Eintritt in mein Haus Weihrauch entgegen qualmen und jedes Kleid ein Jesuitenhabit sein wird! Zwar hat meine Schwester in der Trauer um ihren abgeschiedenen Gemahl seit längeren Jahren ihr Trauergewand nicht abgelegt; aber in der Tochter dafür, in Jaroslava, lebt dessenungeachtet der Frohsinn der Jugend.«

»Die Schüchternheit eben,« versetzte Otto, »von so schönem und edlem Munde einen Dank empfangen zu müssen für geringen Dienst, hielt mich bis jetzt zurück. Kam ich, so schien es wohl, als sucht' ich Lohn. Und Eitelkeit beim Manne liebt der zarte Sinn der Damen nicht.«

»Ihr mögt den Werth Eures Verdienstes verkleinern, doch dürft Ihr nicht verhindern wollen, daß die, welchen seine Gunst zukam, es nach Wirkung und Ermessen hoch anschlagen.«

Sie sprachen während der kurzen Fahrt nach der Spornengasse von jenem Raubanfalle, dessen Mißlingen die Frauen von Rosenberg Otto's ritterlichem Dazwischentreten zu verdanken hatten. – Auch Slavata war der Meinung, die das unbefangene Gemüth Jaroslava's ausgesprochen; er hielt den Auftritt für einen Entführungsversuch, der – da man sich in der Person geirrt – auch nicht wiederholt worden war. – Aber Elisabeth's Verdacht beruhte auf festeren Voraussetzungen; sie ahnte richtig, daß ein Feind geheimnißvoll über ihrem Thun walte, der ihr das letzte Lebensglück rauben, sie vernichten oder ihr neue Zumuthungen und Opfer aufbürden wollte.

Als Otto mit Slavata bei den Frauen eintrat, erhob sich mit einem Freudenrufe Frau Elisabeth von Rosenberg und trat rasch auf den jungen Mann los, erfaßte seine Hand, noch ehe er die ihrige küssen und ein Wort des Grußes sprechen konnte, und drückte sie lebhaft an ihre Brust. »Dies Herz,« sagte sie, »wird nun freudiger schlagen, seit es die Hand gefühlt, die ihm so wohl gethan. Seid uns willkommen, Herr von Los! Euer Eintritt in diesen Raum ist licht- und lustbringend wie die Sonne, wenn sie nach langer Winternacht zum erstenmale wieder strahlt.«

Jaroslava, auf diesen Besuch, den so heißersehnten und jetzt doch so erschütternden, nicht gefaßt, erblaßte wie eine Lilie. Indem sie sich, wie von einem Blitzstrahl gerührt, erhob, warf sie das Eichhorn aus ihrem Schoße unsanft auf den Boden – ihre Knie wankten, der freudige Schreck machte sie schwindeln.

Das aus seinem Schlaf so plötzlich aufgeschreckte Thier haftete einen Augenblick entsetzt am Boden, dann aber, traulich und zahm, wie es war, flog es pfeilgeschwind an Otto empor und setzte sich auf seine Schulter, als wäre es ihm längst bekannt.

Jaroslava in seliger Verwirrung, plötzlich mit Glut überhaucht wie eine Mairose, wollte den Ritter von dem kecken Zudringling befreien und trat auf Otto zu und langte nach dem Eichhorn, dies aber sträubte sich und wollte seinen Platz nicht verlassen. Otto, überrascht von der Schönheit und Anmuth des Mädchens, vergaß die Sitte, die es damals nicht gestattete, in Gegenwart der älteren Dame die Hand einer jüngeren früher zu küssen, und drückte Jaroslava's Finger, die an ihm nach dem Flüchtling langten, an seine Lippen. – Dann rasch sich zu Frau von Rosenberg wendend, sagte er:

»Die Furcht vor so vieler, unverdienter Güte, gnädige Frau, hat mich schüchtern gemacht.« – Er hielt unbewußt Jaroslava's kleine Hand noch in der seinigen.

»Ich kann's bezeugen,« ergänzte seinen Redesatz Slavata, »daß Freiherr Otto so blöde wie ein Mädchen ist, fast räuberisch mußt' ich seiner mich bemächtigen – um Euch den Ersehnten zu bringen, und Du, Jaroslava,« wandte er sich mit scherzhaftem Vorwurf zu dieser – »ist das auch sittig, beim ersten Wiedersehen hetzest Du wilde Thiere gegen Deinen Retter?«

Jaroslava war keines Wortes mächtig, sie wollte niedersinken vor namenloser Verlegenheit.

Aber Otto beseitigte rasch den Vorwurf, indem er sagte: »Gestattet, Fräulein, daß ich Euren Liebling, wie er's scheint, auch lieben darf. Er ahnt den Freund in mir und hat sich mir schnell geneigt gezeigt. Verwöhnt im Glücke aber scheint er, da er leichtsinnig den schönsten Platz verläßt und sich dem Unbekannten ergiebt.«

Er nahm nach diesen Worten sachte das Thier von seiner Schulter und überreichte es dem bebenden Mädchen mit einer Verbeugung. Diese, noch immer in sprachloser Verwirrung, drückte es so heftig in ihre Arme, daß es laut knurrte.

Man setzte sich und ging in ein lebhaftes Gespräch über, das zu Otto's Pein anfangs jenen nächtlichen Auftritt zum Gegenstande hatte. Auch Jaroslava mengte sich, endlich Muth fassend, in die Unterhaltung, doch nur in einzelnen Worten und Fragen. So oft aber ihrer lieblichen Stimme Ton erklang, richtete Otto seinen Blick wohlwollend und bewundernd auf sie und senkte, wie ein scharfer Sonnenstrahl, ihre schüchterne Wimper. Ihr war so peinlich und so selig zu Muthe, daß sie nicht wußte, sollte sie wünschen, dieser Besuch würde rasch abgebrochen oder möge lieber ewig dauern.

Otto schied nach ziemlich langem Verweilen, nachdem er den Frauen zugesagt, öfter zu kommen. Unter den Männern schien es nach dem Vorangegangenen stillschweigend ausgemacht, die Rede nicht auf Staatshändel und Parteimeinungen je bringen zu wollen. Slavata, der mit Elisabeth zugleich den werthen Gast durch die Vorgemächer geleitete, entließ ihn beim Abschied mit einem Ausdruck herzlicher Wärme, die seine Gegner sonst nie an ihm zu rühmen wußten.

Jaroslava, jetzt allein gelassen und noch beim Abschied von einem sinnigen Blick Otto's getroffen, nahm das Eichhörnchen, welches sie noch in ihren Armen hielt und warf es im Ausbruche eines wonneseligen Muthwillens mehrmals in die Luft, und fing es wieder auf, indem sie rief: »O, du glückliches Thier, du beneidenswerthes Thier, welch einen herrlichen Freund hast du erworben!« Dem kleinen Wildling Murr aber kam diese neue Behandlungsart doch zu seltsam vor und er entraffte sich seiner Herrin mit einem raschen Sprunge und flüchtete in den Bauer, wo er knurrend und sprudelnd seinen Aerger zu erkennen gab.

Jaroslava aber tanzte und sprang in dem Gemache herum, als wären ihre in Gegenwart Otto's bedrückten Lebensgeister urplötzlich durch einen namenlos seligen Frohsinn erweckt und neu beseelt worden; dann trat sie vor den Spiegel, besah sich geraume Zeit lächelnd darin und sagte unzufrieden: »Wenn mein Antlitz so glühte, als er da war – so mußte ich ihm gar nicht schön erscheinen – und albern und kindisch noch dazu; aber es preßte mir das Herz gar zu sehr – und wie ich auch nach Worten und Gedanken haschte und rang, ich konnte sie nicht finden. Das ist ein Unglück!«

Sie warf sich in den Sessel am Fenster und starrte bald ernst blickend, bald lächelnd in ihren Schoß. So träumte das junge Mädchen lange und blieb lange allein, denn die Mutter verweilte unten beim Herrn Slavata und kam erst, als Dämmerung bereits im Gemache herrschte und als sich der Sturm in der Brust der holden Jungfrau zum Theil schon gelegt und kein Erblassen und Erröthen ihres süßen Geheimnisses Bangen und Hoffen verrathen konnte.

Seltsamerweise und zu Jaroslava's großem Befremden lenkte die Mutter selbst nicht das Gespräch auf Otto und seinen Besuch. Geschah dies aus Absicht oder Gleichgiltigkeit? Ahnte sie vielleicht etwas von dem, was ihr Kind für den schönen Mann empfand, dieses Etwas, für welches sie selbst noch keinen Namen hatte?

Diese Frage beschäftigte sie den ganzen Abend hindurch und während der halb schlaflosen, halb von wundersamen, buntgemischten Träumen erfüllten Nacht.

Als Otto durch das Portal des Hauses schritt, stand Matusch demüthig grüßend und entblößten Hauptes vor ihm.

»Sieh' da, mein alter Freund!« sagte Otto wohlwollend und reichte ihm die Hand hin; »es ist ja richtig – Du dienst der Frau von Rosenberg und gehörst in dieses Haus. Wie geht's?«

»Freudig jetzt,« versetzte der Alte lächelnd, »denn ein treuer Diener muß sich gleichmäßig freuen mit seiner Herrschaft und mit ihr trauern. Theilt sie ihm mit von ihrer Gnade, so will sie auch von seinem Herzen Beweise. Und da ich vermuthe, gnädiger Herr, daß Ihr endlich den Bitten meiner Herrschaft nachgegeben und gekommen seid, ihr einen Freudentag zu bereiten, so macht das meine alte Seele auch recht froh. Fräulein Jaroslava ist doch wohl – wenn ich so sagen darf – ein schönes Kind und mehr noch, so daß der edle Herr es nicht bedauern wird, sie den Strauchdieben abgejagt zu haben!«

»Die ist ein Engel,« versetzte Otto, »und wär' die Schönste, nach der ein Sterblicher verlangen könnte, gäb' es nicht noch eine Andere, die alle Seligkeiten und Reize in sich zusammenfaßt – Walperga!« fügte er leise hinzu.

»Nun ja,« schmunzelte Matusch, »die ist von unserem Stande und in dessen Anbetracht ein Edelgestein. Aber die Tochter meiner Herrin ist ein Edelfräulein, aus anderem Stoff sozusagen gemacht und schon ein höheres Wesen durch die Herkunft.«

»Glaubst Du nicht, Alter,« warf Otto mit einem Seufzer ein, »daß, wenn die Bäume wandern könnten und nicht geheftet wären mit der Wurzel an den Boden, so mancher Baum gern herniederstiege von der stolzen Höhe und pflanzte sich ins Thal und suchte dort einen Baum – als seinen Nachbar?«

»Das wohl, gnädiger Herr! Aber die Bäume haben einmal Wurzeln und können nicht wandern, das hat Gott so eingerichtet. Art bleibt bei Art – die Fichte auf der Höhe, die Weide am Bach. Nun mag man überall Gottes Pflanzung ehren, auch die Weide prangt im hellen Grün und giebt Schatten und ist in ihrer Art ein schöner Baum.«

»Was hast Du für Kunde von Walperga und von Scherbic?« fragte hastig Otto.

»Der Junker Janko scheint verschwunden; doch trau' ich dieser Ruhe nicht; sie scheint mir nur ein tückisch Lauern und eine Furcht vor den Leuten des Herrn von Waldstein. Die Brabanterin ist wohl auch geborgen, seit der gnädige Herr sie allnächtlich dort durch eine Guardia von seiner Liverey beschützen läßt.«

»Wie, Albrecht?«

»Ja, der gnädige Herr von Waldstein. Er war dorten und hat in eigener Person die Weiber seines Schutzes versichert. Seitdem ist alle Angst und Noth von ihnen genommen. Sie sind auch vornehmer in ihrem Haus, als ich gedacht – und wenn sie der Junker Scherbic Bettlergesindel gescholten, so ist das Lüge und Schändlichkeit. Es ist auch etwas Apartes an ihnen.«

»So hat Albrecht Walperga gesehen und wird ihre Schönheit bewundern, wenn er noch einen Maßstab hat für Schönheit!«

»Ohne Zweifel, gnädiger Herr! Denn als er vorletzlich Nachts fortging und ich ihn zwischen den alten Häusern erwartete, gerieth er in Lebensgefahr. Einer von des Scherbic Schurken wollte ein Stück Mauerwerk auf ihn stürzen; doch traf's ihn nicht – ich war zum Glück bei der Hand. Seitdem aber des Freiherrn Wache Nachts dort patrouillirt – ist nichts weiter vorgefallen. Ich gehe auch ab und zu.«

»Und ich erfuhr gar nichts davon?« rief Otto, »doch ist's erklärlich, ich sah seit längerer Zeit Albrecht nicht. Doch eile ich jetzt zu ihm.«

Otto war bei Albrecht. Sein Kommen überraschte und ängstigte diesen. Aber einmal mußte es geschehen; hatte doch Otto dieselben Rechte auf das Mädchen. Sie mochte nun wählen. Otto warf als Nebenbuhler seine Schönheit, sein mildes, gewinnendes Wesen in die Wagschale, Albrecht die Macht des ersten Eindruckes. Sein Herz sagte ihm freilich, sie habe schon gewählt, aber er war Mann der Erfahrung genug, um auch den Wechsel im Weiberherzen zu kennen. Der Kampf mußte gewagt werden; war es doch ein friedlicher mit dem Freunde. Freilich zog ihm der Gedanke an den Verlust die Brust zusammen und er fühlte, daß sich mit Walperga ein Theil von seinem Herzen, von seinem innersten Leben losreißen würde. Denn sie – das gestand er sich nun – war seine erste Liebe, die Liebe, die er hervorgeholt aus seiner innersten Seele; was vorhergegangen, war Sinnenrausch, Spiel der Eitelkeit, wüstes Verkennen und Mißbrauchen der heiligen Leidenschaft gewesen.

Er schilderte Otto sein Zusammentreffen mit Walperga, berichtete ihm von dem, was er bis jetzt für ihre Sicherheit gethan und malte ihm in flüchtigen Umrissen den Eindruck, welchen das Mädchen auf ihn gemacht. Aber in seine Schilderung mengte sich, gegen seine Absicht, so viel Begeisterung, daß es vor Otto aufdämmerte wie eine bange Ahnung. Doch vermied er jede Herzensfrage, denn auch an seinem Freunde glaubte er, so oft ihn sein Blick traf, irgend eine Befangenheit zu gewahren. Der nächste Moment mußte entscheiden und mit fieberischer Spannung und Beklommenheit sah er der Stunde entgegen, wo er die Heißgeliebte sehen, sprechen, in ihrer Nähe weilen sollte.

Die Stunde kam. Otto und Waldstein betraten die Ruine. Mit einem Schwall von Dankesworten begrüßte Marga den neuen Gast; er war ihr schon lange werth als ihrer Tochter bescheidener Verehrer und als Spender kostbarer Gaben. Endlich trat Walperga ein. Schüchtern zwar, doch mit Fassung und in gemessenen Worten empfing sie den jungen Mann, der sie so oft und lebhaft zum Danke verbunden. War es Zufall, daß sie die goldene Rose im Haare trug, die er ihr zuletzt mit dem zarten Geständniß seiner Liebe gesendet? Sein Blick haftete freudig und hoffend auf der Rose. Aber der Ausdruck ihrer Mienen, wenn ihr Auge Albrecht traf, ließ ihn bald dessen Errungenschaft ahnen. Von der Mutter aufgefordert, sang sie sofort vor Otto einige Lieder – was sie Albrecht verweigert. In dieser Gewährung erkannte Albrecht mit richtigem Instincte Gleichgiltigkeit, in ihrem Versagen seiner Bitte aber hatte sich die schüchterne Liebe kundgegeben. Die Lieder, die sie sang, waren für den Hörer und seine Stimmung ohne Bedeutung – sie lauteten von Berg und Hain, von Blumenlenz und Jägerlust; sie sprachen nicht von Liebessehnsucht, von Hoffnungsglanz und Herzensseligkeit. Er bewunderte den holden Klang ihrer Stimme, aber keines der Worte drang belebend, ermuthigend in seine Brust.

Da, als sie geendigt und sich erhob, um die Laute auf den Tisch zu legen, entfiel die Rose ihrem Haar. Albrecht beugte sich und hob sie vom Boden. Sie war gebrochen; der Kelch hatte sich vom Stengel getrennt. Otto's Herz durchzuckte es wie ein Stich; der Finger des Schicksals schrieb ihm sein Urtheil. Albrecht hielt den zerbrochenen Schmuck in der Hand und sagte: »Wie schade! Der Goldschmied hat auch die Blume zu zart geformt.«

Walperga nahm die Rose aus seiner Hand und warf Otto einen dankbaren Blick zu; der Blick aber erschien ihm kalt, er war wie ein Labetrunk für die wunde Brust, er sollte kühlen, aber Genesung bringen konnte er nicht.

Und als sie schieden, da gewahrte er, wie ihre Hand die Albrecht's fand und wie sein Gegendruck elektrisch ihr Wesen durchzuckte. Sie neigte sich anmuthsvoll vor Otto, noch einmal überströmte ihre Lippe von süßtönenden Worten des Dankes; aber ihr Blick haftete nicht mit forschender Wärme auf ihm, sie hätte sonst gesehen, wie der bleiche Schmerz der Entsagung, des hoffnungslosen Verzichtens über seine Mienen flog! – –

Schweigend gingen die Freunde geraume Zeit nebeneinander. Endlich brach Otto diese bange Stille.

»Warum hast Du mir es nicht gesagt, Albrecht, daß sie Dich liebt, daß Du im Sturm ihre Neigung errungen. Ich hätte gefaßter vor ihr gestanden.«

»Also glaubst Du es?« entgegnete Albrecht und nahm des Freundes Arm in den seinigen.

»Ob ich es glaube!? Du mußt es fühlen, mußt es wissen. Was mir im ersten Augenblick kein Räthsel blieb, wie sollt' es Dir verborgen sein!«

»Ich konnt' mich täuschen; des Mannes Selbstgefühl unterliegt leicht dem Trug. Noch kam kein Wort des Geständnisses über ihre Lippen; aus einem Liede, das ich geheim belauscht, mocht' ich errathen, daß etwas aufsprosse in ihrer Brust, wie ein junger Lenz. Doch Lieder sind mannigfacher Deutung fähig. Und das Wundermädchen ist in der That ein Räthsel, dessen Lösung mich reizt und vor der ich wieder zitt're in heiliger Scheu.«

»Ja wohl,« versetzte Otto sinnend, »ihr Frühling ist gekommen, der Keim hat die Erde zersprengt. Du Glücklicher! Dich überschüttet Dein Geschick mit reichen Kränzen, sie flattern Dir aufs Haupt, ob Du kaum darnach langst. Ich glaub' an Deine Sterne, sie künden Dir die Wahrheit und vor der That schon verheißen und bringen sie den Lohn. Ich neide Dich und dennoch bin ich froh, daß ihre Wahl den Freund getroffen. Arm hast Du mich gemacht; doch also ist der Lauf auf Erden, des Einen Reichthum bildet sich aus des Anderen Armuth. Sie nimmt mir nichts, indem sie Dir giebt, denn ich besaß ja nichts; allein sie nimmt mir doch unendlich viel, die ganze Hoffnung und eine Zukunft voll Seligkeit. So war in ihr die Liebe doch mächtiger als der Stolz; mir kam nur dieser zur Erkenntniß!«

»So soll ich einen Raub an Dir begehen,« sagte Waldstein ernst, »der Freund an seinem brüderlichen Freunde? Der süße Kelch füllt sich schon jetzt mit Wermuthstropfen.«

»Du einen Raub,« warf Otto ein, »an einem Gute, das ich nicht besessen!? Doch dem brüderlichen Freunde sei eben hier, im Angesicht des nächtlichen Sternenhimmels, eine ernste Frage gestattet: Was hast Du über die Zukunft Deiner Liebe beschlossen? Was wird Walperga's Los sein, wenn Du sie liebst wie sie Dich liebt und dieser Liebe eine Dauer gegeben werden muß im Leben und für das Leben?«

»Weiß ich es selbst?« seufzte Waldstein – »ermiß den Abstand und dann rathe. Stünd' ich auf einer Hoheit Gipfel, deren Glanz alles überdeckt, was wir auch niederes nennen, ich wäre rasch entschlossen. Kann ich, wo ich eben in die Renn- und Kampfbahn treten will, Arme und Füße mit Ketten beschweren? Ja – ich schmecke sie schon, die Wermuthstropfen in dem süßen Inhalt des Bechers. Ich konnte über die Liebe spotten, konnte mich gegen Dich berühmen, daß ich mit ihr bereits abgeschlossen, daß sie weiter keine Macht über mich habe; das war zu voreilig! Ich habe ihre Rache herausgefordert und beuge meinen Stolz. Statt aller Antwort, Otto, muß ich Dich an die Sterne weisen. Walperga's Aspecten, sagt Keppler, künden mir Glück, doch sagen sie nicht, daß sie je meine Gattin werden wird. Die Constellation warnt mich vor der Gräfin Meer und kündet mir von ihrer Hand Verderben. Ich hab' von diesem Weibe oft zu Dir gesprochen. Lass' mich Dir später auf meinem Gemach erzählen, was seitdem vorgefallen. Du mußt – sieh', ich fordere nicht nur Opfer, ich verlange neue Dienste; so hoch stell' ich die Freundschaft! mir behilflich sein, das Weib zu entfernen. Du mußt ihr sagen, wie sie mein ganzes Lebensglück vernichte, wenn sie auf ihren Ansprüchen beharrt, wenn sie nicht entsagt. Rühre ihr Herz, sie ist ein Weib; sie prunkt mit Großmuth und bringt dieser ein Opfer – ein Glorienschein befriedigt ihre Eitelkeit, sie kann mit der Tugend prahlen, kann laut verkünden, mein Glück sei allein ihr Werk!«

»Doch wie mit Walperga?« fragte Otto wiederholt, »gieb mir nur eine trostreiche Versicherung über ihr künftiges Geschick! Das edle, seltene Mädchen soll nicht des Zufalls Spielball werden und zugrunde gehen, wie die sorglose Mücke in der Kerze Flammenschein!«

»Nein,« rief mit Feuer Waldstein und entblößte sein Haupt; »das soll sie nicht! Im Angesichte dieses heiligen Sternenhimmels schwör' ich dem Freunde, daß ich ihre Tugend und ihre Ehre rein halten will, wie sie vertrauend sie in meinen Willen legt. Entsagen will ich eher blutenden Herzens, als mit kurzer Seligkeit ewige Scham und Reue und ein zürnendes Gewissen erkaufen. Ob ihr Herz, wenn uns das Schicksal trennt, bricht; der Kranz der Schuldlosigkeit decke unzerpflückt, ungeheiligt ihr Haupt und sei es – ihr Grab!«

»Ich weiß es, Albrecht!« sagte Otto von Los und legte den Ton der Versöhnung und Begütigung in seine Worte, »sie wird ihr Herzblut hergeben für die Liebe; Du nicht! Du hältst es höher im Preise, Du giebst es nur für den Ruhm, für die Errungenschaft. Nur die armen Mädchen sterben an gebrochenen Herzen; wir sterben, wenn wir unsere oder andere Herzen zerbrechen wollen. Deut' es nicht übel; ich spreche als Walperga's Anwalt, der darf ich sein – ich habe sie ja geliebt, bevor Du sie kanntest, und gehofft, so lange bis Du erschienst.«

»Mein Bruder!« entgegnete Waldstein, »was forderst Du ewig die Zukunft heraus? Lass' doch den heutigen Tag immer erst walten; die Sonne will ihr Recht haben von ihrem Aufgang bis zum Niedergang, dann treten die Sterne in ihre Rechte. Sie alle dulden keinen Eingriff! Kann ich bestimmen, was ich morgen thue? Eine höhere Kraft treibt und lenkt meine That. Ich kann nur sagen, was ich heute will. In ihrer Gunst kann ich nur siegen, in ihrer Ungunst nur untergehen!«

»Ich kenne Deinen Vorsatz jetzt und habe Dein Wort,« sagte Otto.

Sie gingen weiter nach dem Hradschin.


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