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XI.

Albrecht von Waldstein erschien zur festgesetzten Stunde vor dem Prager Fürsterzbischof Lamberg. Er küßte demüthig die Hand des milden, ehrwürdigen Greises. Dieser gebot ihm an seiner Seite Platz zu nehmen, und begann mit feierlicher Stimme:

»Ich habe Dich in hochwichtigen Angelegenheiten zu mir beschieden, Albrecht! Du bist mir ein theueres, ein verpflichtendes Vermächtniß meines geschiedenen Freundes Strachovsky, wie Du ein solches ihm von Deinem in Gott ruhenden Vater, der auch meinem Herzen nahe stand, warst. Ich habe in seine Hand geschworen, nach meinen Kräften Dein Glück zu fördern. Mich däucht, der Augenblick dazu ist gekommen. Die Zeit ist schlimm, bewegt und unglücksschwanger, die Gewalten wechseln, die Ereignisse fluthen hin und her. Ich weiß, Du bist dem steierischen Ferdinand im Herzen zugethan, Du ahnst in ihm Deinen künftigen Herrscher; auch ich erkenne ihn als solchen, wenn Mathias von der Lebensbühne tritt. Von ihm hoffst Du für Böhmen, für Dich eine große, eine glänzende Zukunft. Deine Berechnung trügt nicht, in wenig Jahren vielleicht wird sie gerechtfertigt sein. Du hast Dich unserem Glauben wieder zugewendet, Albrecht; nicht nur der Freund also, auch der Kirchenfürst muß für Dich Sorge tragen. Du bedarfst eines festen Haltpunktes, einer sicheren Stütze auch außerhalb Dir in dieser bedrängten Zeit. Du bist nicht reich, Albrecht, und Dein Vater wünschte in Dir, hoffte in Dir die Erhöhung des Glanzes seines Hauses. Auch Du strebst darnach. Um kurz zu sein: Du sollst Dich vermählen; ich habe für Dich eine Gattin gesucht und gefunden.«

»Vermählen?« rief Waldstein und erbleichte, »schon jetzt vermählen und mit wem? –« Er erhob sich, sein Entschluß war rasch gefaßt, er öffnete dem hochwürdigen Prälaten sein ganzes Herz, er schilderte ihm in begeisterter Rede Walperga, seine Liebe zu ihr, sein Verzichtleisten auf Glanz und Ruhm, sein bescheidenes Verlangen nach Zurückgezogenheit und mäßigem Glücke. Er wollte entsagen, wollte Walperga freien.

Der Erzbischof hörte ihn ruhig an, dann sagte er lächelnd: »Ich habe mich in Dir getäuscht, Albrecht, ich habe Dich für ernster gehalten. Ich glaubte Deine Jahre, Deine Erfahrungen, die Kenntniß der Welt hätten den jugendlichen Rausch der Schwärmerei, das Wohlbehagen an Luftschlössern in Dir bereits geschwächt und zur Ruhe gebracht; allein es ist nicht so! – Meine Lehren und Ermahnungen werden nichts fruchten; ich muß Dich Deiner eigenen Einsicht und Erkenntniß überlassen. Ich glaube gern an Dein Glück, wie Du selbst daran glaubst; nur nicht an seine Dauer. Zwei, drei Jahre werden Dir vorüberschwinden im glückseligen Rausche, im Reiz der Einsamkeit, im ruhigen Behagen; aber der Ehrgeiz in Deiner Brust, wird er, weil ruhig, auch getödtet sein? Wird er nicht allzubald wieder erwachen? Wird Dir Dein Müßiggang genügen, wenn dort und hier im Drang der Weltereignisse Namen auftauchen, genannt, gefeiert werden, die Dir bis jetzt unbeachtet schienen; wenn diese Namen einen Platz einnehmen, wozu eigentlich Dich Deine Kräfte berufen?! Werden Deines Weibes Reize, von denen, wie's im Laufe der Natur, die Jahre auch den Blüthenstaub abstreifen, Dich für alle Dir dann auferlegten Entbehrungen trösten? Wirst Du Dein Leben so früh abschließen? Ich glaub' es nicht; in Dir fließt waldsteinisch Blut, das ist von anderer Art. Gedenke Deiner Ahnen, Deines Vaters, Deines Oheims, der so nahe am Kaiserthrone steht! – Das alles könntest Du vergessen um einer jungen Liebe willen, die zu spät kommt für Deine Jahre? Wär' Dir die Schwärmerei gekommen, als Du Page warst, ich würde sie begreiflicher finden: doch jetzt! – Und dann – denk' auch an Dein unbescholten Wappenschild! Ich mag an alle Tugend Deines Mädchens glauben; in den Augen der Welt bleibt sie doch eine Straßensängerin, und eine solche hat kein Waldstein vor Dir gefreit. – Ich kann's nicht glauben, daß Deine Leidenschaft so gewaltig, daß sie Dich so viel, alles vergessen, opfern lassen könnte! Du wärst kein Mann, könntest Du Dich nicht selbst beherrschen!«

Er schwieg und ging langsam in der Stube auf und ab. – Waldstein saß gesenkten Hauptes, schweigend da. – Es folgte eine lange Pause, nach dieser nahm der Erzbischof wieder das Wort:

»Ich hatte Dich schon so gut wie verlobt, weil ich nicht denken konnte, daß eine Jugendthorheit, ein Traum aus der Schäferzeit in Dir mächtiger sein könnte, als Ueberlegung und Vernunft; daß ein Nebelbild das Gebäude von Macht und Ruhm, das Du Dir selbst aufgebaut, umzustürzen vermöchte. Ich gedachte mit dem männlichen Albrecht zu sprechen.«

»Und wer ist sie,« fragte langsam Waldstein und zog die Brauen tief und fester herab, und in seiner Brust war es, als zöge eine furchtbare Leere ein, »die Ihr mir bestimmt, gnädigster Fürst?«

»Mit solchem Glanze, wie Du Deine Braut,« versetzte mit leisem Spotte der Erzbischof, »ausstattest, kann ich Dir die meinige nicht schmücken, auch würde mir die Begeisterung dazu fehlen. Wüßt' ich, daß Du nur Jugend und Schönheit freist, daß Dir Glanz, Rang und Reichthum eitle Dinge, so hätt' ich nie an meine Wahl gedacht. Der äußere Abstand freilich, der ist groß, und jetzt wag' ich's kaum noch, Dir sie zu nennen. Ich glaubte freilich, Du seiest in den Jahren und Dein ganzes Wesen darnach, wo der Verstand freit für das Leben, und nicht das Herz für eine kurze Frist. – Ich bin ein Priester und versteh' mich nicht darauf, doch habe ich gehört, Liebe sei eine Blume, die nur kurze Zeit blüht.«

»Und wer ist die Dame,« fragte Waldstein zum zweitenmale, mehr aus Verlegenheit und Bestürzung, als aus Neugierde, »die mein erhabener Gönner mir bestimmt? Sie muß von hohem Werthe sein, da sie der Wahl des edlen Herrn sich erfreut. – Nennt mir den Namen, fürstliche Gnaden; ich fühl's, ich steh' beschämt vor Euch mit meiner niederen Leidenschaft, die nichts hat, als den inneren Werth.«

»Sie bietet Dir weder Schönheit, Albrecht, noch Mädchenreiz und Jugend! Es ist die Witwe und einzige Erbin des mährischen Unterkämmerers, Przemek von Wiczkova, Frau Lucretia Nekysch von Landek, fünfzig Jahre alt, doch stattlich und nicht reizlos. Vier mährische Herrschaften sind ihr eigen, die böhmischen Güter ungerechnet. Sie ist die reichste Erbin, die wir kennen; ihr Gatte mag sich einen Fürsten schätzen.«

»Und sie verlangt nach mir,« fragte Albrecht, »die ich nie gesehen?«

»Allein sie sah Dich mehrmals; Frauen von reiferen Jahren haben einen scharfen Blick für männliche Schönheit. Sie gestand mir selbst ihr Wohlgefallen, das Du vor ihren Augen gefunden; ich bin ein Priester, darum konnte sie mir leichter vertrauen, als einer Freundin selbst. Und leugnen will ich's nicht – kam sie mir nicht zuvor, ich hätte selbst ihre Aufmerksamkeit auf Dich gelenkt; ich glaubte dies der Zusage schuldig zu sein, die ich Strachovsky und so auch Deinem Vater gab.«

»Es ist die Frage,« warf Albrecht ein, »ob ich bei näherer Bekanntschaft den ersten Eindruck fessele, ob –«

»Das dürfte freilich nur Dein Werk und Dein Gelingen sein; ein schöner Mann gefällt, wenn er gefallen will. Der erste Eindruck ist ein mächtiger Fürsprecher. – Ich habe ihr Deinen Besuch auf morgen zugesagt. Du darfst dies mein Versprechen, wenn Dir der Auftrag auch lästig ist, nicht zu Schanden machen. Das Eine wenigstens könnt' ich verlangen.«

»Ich werde gehorchen, gnädigster Fürst; doch will – doch kann ich nichts versprechen; ich muß dies ungestüme Herz, auf dessen mächtigen Widerstand ich nicht gerechnet, erst bewältigen.«

»Das sollst Du nicht, mein Sohn, Dein Entschluß soll frei sein, als käm' er aus Deiner Seele, als hätte Deine Vernunft ihn geboten und selbst alle Bedenklichkeit überwunden.«

»Der Reichthum,« äußerte Albrecht überlegend, »vermehrte wohl meines Stammes Glanz; allein, da die Dame so bejahrt, so dürfte sie mir keine Erben schenken.«

»Du könntest sie auch überleben – hab' ich gedacht; Du zählst erst fünfundzwanzig Jahre, irr' ich nicht. – Doch nahe liegt noch ein Ausweg: da Du so viel von Deinen Sternen hältst, so frage sie und thu', was sie Dir heißen. Ein schwankender Entschluß will immer einen äußeren Stützpunkt haben. Geh' zu Keppler, er mag die Nacht zu Rathe ziehen, und gieb mir morgen Bescheid. Der Besuch jedoch ist keinesfalls zu unterlassen.«

»Das will ich,« rief Waldstein aufspringend, »ich eile zu Keppler; er soll meine Sterne fragen, sie haben mich noch nie getäuscht; mögen sie mein Urtheil sprechen, ihnen gehorche ich!«

Er küßte des Erzbischofs Hand und enteilte. Dieser sah ihm lächelnd nach.

Und Keppler verhieß ihm durch die Sterne aus dieser Verbindung Reichthum, Glanz, Rang und Kriegsruhm. – In seiner Brust entspann sich jetzt ein Kampf, der gewaltig war, aber kurz. Der alte Ehrgeiz flammte mächtig wieder auf. »Walperga!« rief er und sein Auge feuchtete sich zum erstenmal in seinem Leben, »ich lege entsagend Deinen schönen Blumenkranz nieder; mag ihn der Lorbeer ersetzen und meine heiße Stirn kühlen. – Möge Otto's reine Liebe Dich trösten – möge er nicht länger verschmäht werden! – Doch soll sie nichts erfahren, erst wenn alles vorüber; ihr Schmerz, ihre Thränen könnten mich von meiner Bahn reißen. Erst wenn's zu spät, vorüber, wird sie leichter entsagen!«

Er ging zur Witwe.

Lucretia von Landek hatte als Jungfrau von zwanzig Jahren dem damals bereits fünfundfünfzigjährigen Herrn von Wiczkova ihre Hand gereicht. Er war nach den Liechtensteinern der reichste Grundherr im Markgrafthum Mähren, sie arm und eine Waise. Seinem Reichthum gegenüber hatte sie ihm damals nur Schönheit zu bieten. Noch kannte sie keine junge Liebe. Aller Wahrscheinlichkeit nach durfte sie der viel ältere und stets kränkliche Gatte zur jungen Witwe machen; aller Berechnung entgegen aber erreichte er das hohe Alter von fünfundachtzig Jahren und Lucretia erlangte ihre Freiheit erst wieder, als sie ihr Alter mehr noch als ihre Erscheinung bereits zur Matrone stempelte. – Sie hatte an der Seite des ungeliebten Gatten alle Reize und Vortheile genossen, die Reichthum und Rang gewähren können, doch ihr Inneres war leer geblieben, nur angefüllt mit der Sehnsucht und dem Drange eines Liebe begehrenden Weibes. Des Gatten Tod, der ihr die Freiheit gab, machte sie zur unumschränkten Besitzerin ungeheuerer Reichthümer, noch jung im Herzen und in ihrer Phantasie glaubte sie an die Anzahl ihrer Jahre nicht und entbrannte für den männlich schönen Waldstein in fast mädchenhafter Leidenschaftlichkeit. In seinem Besitze hoffte sie das lange ersehnte Glück zu finden und Ersatz für lange Entbehrungen. Der Erzbischof kam ihrem Verlangen auf halbem Wege entgegen und ward ihr Werber.

In verschwenderischem Putze empfing sie den jungen Edelmann; obgleich in ihrem Wesen sich Würde und Hoheit mit Leidenschaft und Neigung paarte, so leuchtete in unbewachten Momenten die letztere doch so sichtbar hervor, daß auch ein ungeübteres Auge, als das Waldstein's, einen entschiedenen Sieg darin erkannt haben würde. Seine Erscheinung, seine Nähe setzte dem ersten Eindruck die Krone auf. In seiner stolzen Zurückhaltung, einer Art männlicher Demuth schien er ihr hinreißend, in seiner Haltung verschmolz der Liebhaber mit dem Herrscher in eine reizende Persönlichkeit, er war ein Mann, wie sie seit langen Jahren sich denselben vor die begehrende Seele gezaubert. Weil sie im Momente, wie vom Blitz getroffen, liebte, zweifelte sie nicht an der Möglichkeit der Gegenliebe und in der Art, wie sie war, von zahlreichen Freiern umgeben, mußte sie sich auch im Werthe halten.

Nach einer langen Unterhaltung schied er wie betäubt. Er hatte geglaubt, die ältliche Frau würde einen zurückstoßenden, widrigen, gegen Walperga's Bild grell abstechenden Eindruck auf ihn machen; dies war nicht der Fall! Die Art, wie sie ihm liebenswürdig zu erscheinen trachtete, hatte nichts Abschreckendes, nicht einmal etwas Unangenehmes. Er befand sich nun nach Verlauf von wenig Stunden auf einer neuen Bahn, gerissen aus jener, deren Grenzen und Raine er sich bereits endlos mit Blumen ausgeschmückt, zurückversetzt in den alten Wirkungskreis, in eine Lebensphase, wie sie früher sein Ehrgeiz erträumt.

Er ging zum Erzbischof und gestand ihm alles. Der greise Kirchenfürst legte seine Hand auf Albrecht's Schulter und sagte lächelnd: »Ich dacht' es wohl, daß dieser Kelch nicht so bitter schmecken würde, setztest Du ihn erst an die Lippen. – Jetzt muß ich es aber Deinem Scharfsinn überlassen, wie Du Dein Verhältniß mit dem Sängermädchen lösest. – Ich weiß nicht, ob Du ihr ein Ehegelöbniß gethan. Kauf' Dich los, sei die Forderung noch so hoch; meine Börse steht zu Deiner Verfügung; nur meide jedes öffentliche Aergerniß.«

»Ich hab' ihr,« versetzte Waldstein, »ewige Liebe geschworen, doch von einem Ehebunde nicht gesprochen. Doch jenes schloß auch Anspruch und Hoffnung auf diesen ein. Wie ich das Mädchen kenne, so wird die Unglückliche weder Geld nehmen, noch meinen Frieden stören. Aber das Herz dürfte ihr brechen!«

»Solchen Leuten,« warf der Bischof ein – »was Du ein Schwärmer bist – bricht vor Liebe nicht das Herz, und selten sind die Fälle, wo überhaupt ein Herz bricht. Auf jede Zurücksetzung folgt Haß; man nimmt aus Haß endlich das Geld. Der Verlust desselben dünkt ihnen für den Betheiligten schmerzlicher als unverdiente Großmuth. Zudem hat das Mädchen eine Mutter und Mütter handeln weniger erhaben und schwärmerisch in solchen Fällen.«

»Nein, nein, hochwürdigster Fürst!« warf Albrecht ein, »es ist nicht ein Atom Gemeinheit an dem Mädchen. Hier wag' ich weder zu schenken noch zu entschädigen. Doch hab' ich einen Freund, Otto, er dient mir gern, er war schon einmal mein Helfer; er wird – kann's Einer – ihr Tröster sein. Zudem liebt er sie auch.«

»Eine andere Liebe,« meinte Lamberg; »da hätten wir den Ausweg und Ersatz. Nichts tröstet besser über die erhaltene Wunde, als wenn man dem Gegner selbst eine geschlagen. Man kann Stolz mit Stolz vergelten und triumphirend zeigen, daß man nicht verlassen sei, daß man auch vergessen könne. Man nennt's mit gleicher Münze zahlen. Nun geh', mein Sohn, und bring' den Handel zu Ende; um bei der Freifrau Wiczkova Dir die Bahn zu ebnen, dafür lass' mich sorgen.« Er entließ ihn.


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