Luise Hensel
Gedichte
Luise Hensel

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Herr, hilf mir auf, daß ich meinen Feinden vergelte

              Neige dich zu deinem Kinde,
Sieh das Elend, sieh die Sünde;
Kannst du es so irren sehn?
Herr, du hast ja einst geschworen:
»Jedes Schäflein, das verloren,
Will ich treulich suchen gehn.«

Ach, zu dir nur will ich schreien,
Du nur kannst mir Kraft verleihen
Und den trüben Augen Licht.
Gib mir Tränen, gib mir Buße,
Herr, so fall' ich dir zu Fuße,
Und die Sündenfessel bricht.

Ohne dich will ich nicht leben,
Und zu dir kann ich nicht schweben,
Denn mein Haupt drückt schwere Schuld.
Zu ihm hin mit offnen Armen!
Unbegrenzt ist sein Erbarmen,
Unermeßlich seine Huld.

Keine Seele sei verloren:
Allen ist der Herr geboren,
Hat getragen Spott und Schmach;
Ist für alle hingegangen,
Hat am blut'gen Kreuz gehangen
Ausgestreckt den ganzen Tag.

Ist zur Höll' hinabgestiegen,
Tat für uns im Grabe liegen;
O, wo ist dein Stachel, Tod?
Auferstanden, aufgeschwebet
Ist er auch für uns und lebet
Und vertritt uns nun bei Gott.

Neige dich zu deinen Kindern,
Hilf, o Herr, uns armen Sündern,
Rette, was zu retten ist!
Ach, erhöre unser Sehnen,
Sieh das Ringen, sieh die Tränen,
Gott, der du die Liebe bist! Amen.

Berlin, 1816

 


 


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