Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band XIX
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Die Geschichte von der Favoritin des Chalifen.

Ich vernahm, o König, daß ein Mann einer Gesellschaft folgende Geschichte erzählte: Als ich einst an einem sehr heißen Tage an meiner Hausthür stand, kam mit einem Male eine hübsche Frau an, begleitet von einer Sklavin, die ein Paket trug. Sie hielten nicht eher an, als bis sie vor mir standen, worauf die Frau zu mir sagte: »Hast du einen Trunk Wasser?« Ich versetzte: »Jawohl, tritt herein in den Hausflur, meine Herrin, damit du trinken magst.« Da trat sie ein, während ich hinaufging und zwei mit Moschus parfümierte irdene Krüge voll kühlen Wassers holte, von denen sie den einen nahm, worauf sie ihr Gesicht entschleierte. Ich 184 sah, daß sie der leuchtenden Sonne oder dem aufgehenden Mond glich, und sprach zu ihr: »Meine Herrin, willst du nicht nach oben kommen, um dich auszuruhen, bis die Luft kühler geworden ist, worauf du wieder heimkehren magst?« Sie versetzte: »Ist keiner bei dir?« Ich entgegnete: »Ich bin ein Junggeselle, und keine Menschenseele ist im Hause.« Da sagte sie: »Wenn du ein Fremdling bist, so bist du der, nach dem ich suche.« Alsdann kam sie herauf und legte ihre Sachen ab, und ich fand, daß sie dem Vollmond glich. Hierauf brachte ich, was ich an Speise und Trank bei mir hatte, und sprach: »Meine Herrin, entschuldige mich; dies ist alles, was ich bei mir habe.« Sie versetzte: »Es ist sehr gut und grade danach verlangte ich.« Dann aß sie und gab der Sklavin den Rest, worauf ich ihr ein Flacon mit Rosenwasser brachte, das mit Moschus parfümiert war. Sie wusch sich die Hände und blieb bis zur Zeit des Nachmittagsgebets bei mir; dann holte sie aus dem Paket, das sie bei sich hatte, ein Hemde, Hosen, ein Obergewand und ein goldgesticktes Tuch und gab es mir, indem sie zu mir sagte: »Wisse, ich bin eine der Favoritinnen des Chalifen; wir sind unser vierzig, und jede von uns hat einen Liebhaber, der sie so oft, wie sie es will, besucht. Nur ich allein bin ohne Geliebten und ging heute aus, um mir einen zu suchen, als ich dich fand. Und wisse, daß der Chalife jede Nacht bei einer von uns zubringt, während die andern neununddreißig Favoritinnen sich mit ihren neununddreißig Schätzen vergnügen. Ich wünsche deshalb, daß du mich an dem und dem Tage im Chalifenpalast besuchst und mich an dem und dem Orte erwartest. Wenn dann ein kleiner Eunuch zu dir herauskommt und zu dir das Wort spricht: »Bist du Sandal?« so antworte: »Ja,« und folge ihm.« Hierauf nahmen wir voneinander Abschied, und ich preßte sie an meine Brust und umarmte sie, und wir küßten uns lange. Dann ging sie fort, und ich saß da und wartete bis der festgesetzte Tag kam, worauf ich mich erhob, um nach dem verabredeten Platz zu gehen, als mir 185 unterwegs ein Freund begegnete und mich zu sich nahm. Als ich zu ihm heraufgestiegen war, schloß er die Thür hinter mir und ging fort, um etwas zum Essen und Trinken zu holen. Der Mittag kam jedoch und die Zeit des Nachmittagsgebets, ohne daß er zurückkehrte, so daß ich von großer Unruhe erfaßt wurde. Auch der Abend erschien, ohne daß er wiederkam, und ich starb fast vor Ärger und Ungeduld und verbrachte wachend und halbtot die Nacht, da die Thür verschlossen war und ich wegen des Stelldicheins fast den Geist aufgab. Endlich, als es bereits Tag geworden war, öffnete er die Thür und erschien mit einer Fleischpastete, gezuckerten Pfannkuchen und Bienenhonig und sprach: »Bei Gott, ich war in einer Gesellschaft, die mich einschloß und erst jetzt wieder losließ; ich bin zu entschuldigen.« Ich gab ihm keine Antwort, während er mir die Sachen, die er bei sich hatte, vorsetzte. Nachdem ich einen Bissen gegessen hatte, eilte ich hinaus, um vielleicht noch das Verlorene wieder einzuholen. Als ich aber zum Palast gelangte, fand ich dort achtunddreißig Hölzer aufgerichtet und daran achtunddreißig Männer und unter ihnen achtunddreißig Favoritinnen gleich Monden gekreuzigt. Auf meine Frage, weshalb sie gekreuzigt wären, sagte man mir: »Der Chalife fand diese Männer bei den Mädchen, welches seine Favoritinnen sind.« Da warf ich mich dankbar vor Gott nieder und sprach: »Gott lohne es dir mit Gutem, mein Freund!« Denn hätte er mich nicht heute Nacht eingeladen, so wäre ich mit ihnen gekreuzigt. Gott sei Lob!«

 


 


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