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IV. Das Zeitalter der Aufklärung

1. Häusliches und geselliges Leben.

Nennt man die Zeit etwa vom westfälischen Frieden bis zur französischen Revolution das Zeitalter der Aufklärung, so ist dies nicht so zu verstehen, als ob in jener Periode das, was wir gewöhnlich »Aufklärung« nennen, allgemein geherrscht hätte. Es herrschte vielmehr oft genug in nicht unbeträchtlichen Kreisen der europäischen Kulturwelt das Gegentheil dieses Begriffes, nämlich Aberglaube, Unduldsamkeit oder Unwissenheit; aber im ganzen und großen ist eine höhere Auffassung der Weltfragen, als sie im Zeitalter der Gegenreformation, ja selbst eine höhere, als sie in dem der Reformation vorwog, – man kann sagen eine Fortsetzung des öffentlichen Geistes, der das Zeitalter der Renaissance beseelte, in denjenigen Kreisen, welche in den wichtigsten Lebensfragen die maßgebenden waren, das Kennzeichen der herrschenden Ansichten in dem uns nun beschäftigenden Zeitalter.

Auf die häuslichen und geselligen Verhältnisse in der nächsten Zeit nach dem dreißigjährigen Kriege mußte zuvörderst der traurige Umstand von Einfluß sein, daß diese furchtbare Kette von Greueln aller Art Deutschland zweier Drittel seiner Einwohner beraubte und daß Städte und Dörfer in Menge entweder ganz verschwanden oder auf einen kleinen Theil ihres früheren Umfanges herabschmolzen. Es ist wenig bekannt, daß am 14. Februar 1650 der fränkische Kreistag in Nürnberg, um der Entvölkerung zu steuern, jedem Manne erlaubte, zwei Weiber zu nehmen, den Männern jedoch anempfahl, diese Weiber einerseits wohl zu versorgen und andererseits allen Unwillen zwischen ihnen zu verhüten. Leider wissen wir gar nichts über den Erfolg dieses sonderbaren Beschlusses, ja nicht einmal, ob davon Gebrauch gemacht wurde, in welchem Maße, wie lange und mit welchen Wirkungen. Wahrscheinlich wußten die Kreismitglieder nicht, daß nach den im Orient vorliegenden Thatsachen die Vielweiberei die Volkszahl nicht nur nicht vermehrt, sondern vielmehr vermindern hilft.

Schenkt man den Aeußerungen des Wiener Predigers Megerle (genannt Abraham a Sancta Clara, zu Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts) Glauben, so wäre damals beinahe die einzige Sorge der Wiener Mädchen gewesen, einen Mann zu bekommen, worüber Gewißheit (?) zu erlangen der bunteste Aberglaube in Bezug auf Vorzeichen im Schwange war. Das Folgende meist nach A. Schultz, Alltagsleben einer deutschen Frau zu Anfang des 18. Jahrhunderts, Leipzig 1890. Es wurde auch anderwärts den »Frauenzimmern« nachgesagt, daß sie durch »Charmiren« (etwa was wir heute »kokettiren« nennen), Liebäugeln, Pfänder-, Tanz-, Karten-, Ball- und andere Spiele die Liebe der Männer zu gewinnen suchten, bis sie ein Ständchen, Liebesbriefe, Küsse etc. erobert hatten. Der Tänze waren eine zahllose Menge, der dabei vorgeschriebenen Regeln keine geringere, und sie waren die beste Gelegenheit zur Anknüpfung von Liebesbünden. Von den Männern sagte man, daß sie vorzugsweise auf das Geld schauten (mehr auf das »Gewicht« als auf das »Gesicht«), von den Eltern, daß sie diese Richtung theilten und die Töchter und schwachen Söhne zu reichen Heirathen zwangen. Die Gebräuche bei der Brautwerbung waren sehr einfach. Die Verwendung eines Werbers war beliebt, und wenn man (durch das »Jawort«) einig wurde, folgte das Verlöbniß mit Festsetzung der Mitgift oder Ausstattung (auch Ehesteuer oder Heirathsgut), dem Ringwechsel und dem Mahlschatz, einem Geschenk an die Braut, von dieser das »Fangeisen« genannt. Zur Hochzeit schenkte der Bräutigam der Braut das Brautkleid und den Brautschmuck, – sie ihm am Morgen vor der Trauung das »Bräutigamshemd«, an dem sie selbst nichts nähen, auch mit der Nähterin nicht handeln durfte (aus Aberglauben). Die Einzuladenden wurden auf dem »Hochzeit-Zeddel« verzeichnet, nach dem der Hochzeitbitter, schwarz gekleidet, mit einer Bandrose auf dem Hute, sie einlud. Am Tage vor der Hochzeit nahm die Braut ein Bad, bei Reichen mit Wohlgerüchen. Am Abend vor der Hochzeit feierte man den »Rammel- oder Weltzerabend«, eine Gasterei, bei der mit der Braut »allerhand Scherz« getrieben wurde. Der Brautkranz bei der Trauung wuchs oft zu einer Krone an. Das Mahl nach der Trauung wurde in dem »Hochzeitshause« (einem Gast- oder Zunfthause) eingenommen, und die neuen Eheleute erhielten Geschenke von den geladenen Gästen. Auf das Gastmahl folgte der Braut-Reigen. Am Tage nach der Hochzeit schenkte der Mann der Frau die Morgengabe, und es folgte die Nach-Hochzeit, eine Bewirthung jener Personen, die dem Hochzeitmahl nicht hatten beiwohnen können, wobei allerlei Scherze gebräuchlich waren. Den Schluß machte der Kehrab, ein allgemeiner Tanz der sich bei den Händen haltenden Gäste.

Was die Kleidung betrifft, so gaben die deutschen Damen damals noch mehr als heutzutage fremden Stoffen, besonders französischen und englischen, den Vorzug; auch holländische waren beliebt, namentlich aber venetianische Spitzen. Die französische Mode herrschte durchaus. Umsonst eiferten manche Schriften gegen die Reifröcke, und Predigten gegen die Schnürleiber (Corsets hießen damals nicht diese, sondern leichte Jacken mit Aermeln, in denen man es sich bequem machte) und gegen ausgeschnittene Kleider. Juwelen liebten die Damen sehr zu tragen, oft freilich unechte; falsche Zähne aus Elfenbein waren nichts Seltenes. Masken aus Leinwand, mit Wachs, Kampher u. s. w. bestrichen, trugen sie im Schlafe vor dem Gesichte, um die Haut zart und fein zu machen oder zu erhalten; Schönpflästerchen ( Mouches) klebte man auf Gesicht und Busen, um Flecken der Haut zu bedecken oder diese weißer erscheinen zu lassen. Das Frisiren war eine wohleinstudirte, viel Zeit erfordernde Kunst, des Puders Anwendung auf die Haare unerläßlich, und der modische Kopfputz, die Fontange (von einer Mätresse Ludwigs XIV. erfunden!), krönte das Gebäude, herrschte aber nicht lange, sondern kam 1714 plötzlich aus der Mode. Schon neben ihr wurden allerlei meist unschöne und plumpe Hauben, Mützen, Kappen und Hüte getragen, wenn man ausging. Handschuhe gab es von verschiedener Form, Fächer (in Wien »Waderl«) ebenso; es gab Damen, welche Spazierstöcke trugen. Regen- und Sonnenschirme waren weder allgemein gebräuchlich noch scharf geschieden; meist schützte man sich gegen Regen durch ein Umschlagtuch, das über den Kopf ging, im Winter gegen die Kälte durch Pelz und Muffe. Diesen Dienst leisteten auch Sammtmasken (welche außerdem das Incognito zu wahren hatten). Schnupftabak genossen feinere Damen mehr, als heutzutage; vereinzelt rauchten auch Damen in England, Frankreich und Holland, in Deutschland nicht.

Zu den Vergnügungen der Damen gehörte nur selten das Reiten (im Quersattel); weit häufiger waren Tänze und Bälle und an der Fastnacht Vermummungen, in gewöhnlicher Zeit Kaffee- und Theevisiten. Die gewöhnliche Sprechart war dabei in stets zunehmendem Maße mit französischen Wörtern überladen. Daß Frauen Gasthäuser besuchten, geschah sehr häufig, doch mehr in den niederen Ständen; dabei thaten sie der Trinklust keinen Zwang an; sogar Weiber, welche dahin kamen, um ihre zechenden Männer auszuzanken, hielten tapfer mit.

Unter den damaligen weiblichen Dienstboten stand voran die »Junge-Magd«. Sie war so ziemlich das heutige »Mädchen für Alles«. Unter ihren Verrichtungen figurirte das »Nachtreten«, d. h. die Pflicht, ihre Herrschaft auf allen Ausgängen zu begleiten und hinter ihr herzugehen, besonders ihr auf dem Kirchgange das Gesang- oder Gebetbuch nachzutragen und es ihr in der Kirche einzuhändigen. Hatte die heranwachsende Tochter ein eigenes Dienstmädchen, so hieß dieses »Jungfer-Magd«. »Zove« war der Titel einer der adeligen Frau dienenden Putzmacherin und Aufwärterin. Auf mehr Vornehmheit Anspruch erhebende Damen hielten statt der Magd einen Lakaien. Ueber Diebstähle und verliebte Abenteuer der Mägde herrschte große Klage.

Unter den nützlichen Beschäftigungen der Frauen wird besonders das Sticken erwähnt; Nähen, Spitzenklöppeln u. s. w. wurde meist den Mägden überlassen. Daneben betrieben die Damen auch Zeichnen, Malen, Musik (mit Laute, Klavier u. s. w.) und Gesang.

Den Dienst bei Wöchnerinnen versahen »Wächterinnen« oder »Beifrauen«, die besonders starkem Aberglauben huldigten. Nach hergebrachten patriarchalischen Anschauungen freute man sich unbändig über die Geburt eines Sohnes, während die einer Tochter kalt hingenommen wurde. Die Taufe war ein großes Fest gleich der Hochzeit. Wuchsen die Kinder heran, so erhielten die Mädchen Puppen zum Spielen und wurden durch Kinderbälle darauf vorbereitet, in den Männern Puppen zu sehen.

Die Prediger klagten über den den Töchtern von unverständigen Eltern, welche sie den Mägden überließen, eingepflanzten Leichtsinn. Nicht selten wurden in den Kirchen lose und übel ausfallende Bekanntschaften angeknüpft, welche weiter zu führen Kupplerinnen sehr eifrig waren und zu denen Eltern, wenn der Verführer reich war, ein Auge zudrückten. Leichtfertige Mädchen wurden, gleich den weiblichen Waisenkindern, in einer Abtheilung des Zuchthauses (!) untergebracht.

Bei allen diesen Schattenseiten krankte das deutsche Frauenleben nicht an solchen Uebeln wie das französische, in welchem schamloser Wandel vorherrschte und nur durch Schöngeisterei nothdürftig verdeckt wurde, das italienische, welches durch den Unfug seine Signatur erhielt, daß jede verheiratete Frau durch die »Sitte« gezwungen war, sich von einem Cicisbeo begleiten zu lassen, und das englische, welches sich durch Excentrizitäten oft der anstößigsten Art und fabelhafte Roheit auszeichnete. In England kam auch bis auf die neueste Zeit die entsetzliche Unsitte des Frauenverkaufs vor. Hellwald, menschliche Familie S. 317.)

2. Die Höfe.

Im 16. Jahrhundert hatten die Frauen von Einfluß als Regentinnen sich hervorgethan; im 17. spielten sie vorwiegend eine Rolle als Mätressen. Kein anderes Land hatte unter dieser Unsitte und den mit ihr zusammenhängenden Uebelständen soviel zu leiden wie Frankreich. Anna von Oesterreich (in Wahrheit von Spanien, geb. 1601, gest. 1666), die Gattin des unfähigen Ludwig XIII., war die letzte französische Königin (bis auf Maria Antoinette), welche sich eine Stellung im Staate zu wahren wußte. In ihren jüngeren Jahren leichtfertig (was besonders ihr Verhältniß zum englischen Gesandten Buckingham zeigte), führte sie im reiferen Alter einen Kampf um die Macht, der eines Mannes würdig gewesen wäre, wenn auch ihr Verhältniß zu dem schlauen Nachfolger des großen Richelieu, zu dem Kardinal Julius Mazarin nicht ohne Flecken war. Nach seinem Tode (1661) zog sie sich in ihre Stiftung, das Kloster Val de Grace zurück. Das Bestreben beider ging dahin, den älteren Sohn des Königs, Ludwig XIV. (geb. 1638, gest. 1715), zum vollendeten Cavalier, aber ohne Neigung zu den Staatsgeschäften, und den zweiten, Philipp, Herzog von Orleans, zum kraftlosen Weichling zu erziehen, damit er seinem Bruder keine Verlegenheiten bereite. Zugleich unterstützte der Kardinal-Minister seine politischen Plane durch seine sieben mehr ehrgeizigen als schönen Nichten, zwei Fräulein Martinozzi und fünf Fräulein Mancini, von denen sechs Prinzen, Herzoge und Grafen gewannen, eine aber, Marie Mancini, sich die Königskrone erobern sollte. Einfluß gewann sie wohl auf den König, nicht aber dessen Liebe, die ihren Anfang mit einer Kammerfrau machte. Marie Mancini verscholl nach ihrer unglücklichen Ehe mit einem Colonna.

Ludwig XIV., welcher 1660 Maria Theresa von Spanien († 1683) geheirathet und seit Mazarins Tode selbst zu regieren begonnen hatte, – er, welcher das weibliche Geschlecht so sehr ehrte, daß er vor jeder Magd den Hut abzog, hat das Mätressenregiment der zwei Jahrhunderte, in denen er lebte, begründet; denn vor ihm hatten die Damen dieser Klasse keinen Einfluß auf den Staat. Anfangs überließ er den Haupteinfluß am Hofe der Herzogin von Soissons, einer der Mancinis (Mutter des großen Eugen von Savoien), die ihm als Kupplerin diente, und erhob sie zur Beschützerin der sogenannten filles d'honneur, einer muthwilligen Bande, die er dadurch zu seinem Harem stempelte. Die Königin hatte nichts zu bedeuten, und Ludwig zog ihr seine Schwägerin Henriette, Tochter Karls I. von England, vor, die aber schon 1670 starb. In einer ihrer Hofdamen, die er 1661 kennen lernte, in Louise de la Vallière (geb. 1644) fand er, da er ihre Herrin nicht besitzen konnte, einen Ersatz. Schön war sie nicht; aber ihre Hingebung und Bescheidenheit bezauberte ihn dermaßen, daß er für sie Versailles verschönerte und pompöse Feste veranstaltete. Er erhob sie zur Herzogin und ihre Kinder zu Grafen. Ihre große Frömmigkeit aber rief in ihr Gewissensbisse hervor, welche sie um so mehr peinigten, als der König sie zu Gunsten einer Hofdame seiner Gattin, der bereits verheiratheten Marquise Françoise von Montespan, einer üppigen und geistreichen aber herzlosen Schönheit, hintansetzte. Louise fügte sich, und es kam vor, daß der König mit der Königin und beiden Mätressen zugleich ausfuhr und das Volk über die »drei Königinnen« spottete. Dessen überdrüssig, floh Louise dreimal in ein Kloster; zweimal holte sie der König heraus, aber endlich entließ er sie, und »Schwester Louise de la Miséricorde« lebte als Karmeliterin noch bis 1710. Der widerhaarige Mann der Montespan wurde in die Bastille gesperrt, und der Herzog von Montausier, dessen Frau die Unterhändlerin in dem neuen Verhältniß gemacht, zum Erzieher des Dauphin ernannt (!), den er mit Willen des Königs zum thatlosen Schwächling erzog.

Die Geistlichkeit bekämpfte den Skandal, indem sie der Mätresse die Sakramente entzog; die Minister aber schützten sie, die feilen Dichter besangen sie, und der König erfand neue Gartenanlagen und Feste für sie. Ihre Söhne machte er zu Herzogen und Grafen; ihre Töchter zwang er Prinzen zur Ehe auf. Aber die Erzieherin dieser Kinder wurde der Mutter ebenso gefährlich wie diese ihrer Vorgängerin. Die Vallière hatte nur im Herzen des Königs geherrscht, die Montespan am Hofe; die dritte Hauptmätresse erweiterte ihren Einfluß auf den Staat! Es war dies Françoise d'Aubigné, die Enkelin des tapferen Hugenotten Agrippa. Geboren 1635 im Gefängniß ihres entarteten und nichtsnutzigen Vaters, wurde sie durch Verwandte zur katholischen Kirche bekehrt, heirathete den verkrüppelten, aber geistvollen Dichter Scarron, der 1660 starb, stach dann in genannter Stellung ihre Herrin aus, welche zurückgezogen und sich stets vor dem Tode fürchtend, noch bis 1707 lebte, und wurde 1674 Marquise von Maintenon. Nach der kurzen Episode der »Herzogin« von Fontanges (oben S. 318) trat sie an die einflußreiche Stelle der Gebieterin des Gebieters und wurde, nach dem Tode der Königin, 1685 des Königs Gattin, freilich ohne Krone. Nun wurde durch sie der katholische Quietismus herrschende Mode, und die Verfolgungen der Protestanten begannen mit Beihilfe der Enkelin eines solchen. Sie brachte einen steifen, trübseligen Ton an den einst glänzenden Hof, war bei den Berichten der Minister anwesend und wurde von Ludwig dabei unter dem Titel » votre solidité« um ihre Meinung gefragt. Durch sie gelangten die Jesuiten zum größten Einfluß, und die Orgien der jeunesse dorée wurden von Versailles nach Paris verlegt. Sie überlebte den von seiner Sonnenhöhe herabgestiegenen Monarchen und starb 1719.

Kehren wir nun zu dem schwächlichen Bruder des »großen Königs«, zu Philipp I. von Orleans zurück. Als seine englische Gattin starb (s. oben S. 322), suchte man ihm mit großer Eile eine zweite Frau. Dieser Mühe unterzog sich die Prinzeß Anna von Gonzaga-Nevers, Witwe des in Paris katholisch gewordenen Pfalzgrafen Eduard und daher Princesse palatine genannt. Auf einer Reise in Deutschland warf sie ihre Blicke auf die Tochter des Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz, Elisabeth Charlotte (geb. 1652, † 1722), zu Hause Liselotte genannt. Sie gewann beide Theile und den König zur Einwilligung, und die einzige Schwierigkeit war der protestantische Glaube der Auserwählten. Die Sache selbst war dem Kurfürsten gleichgültig; er scheute sich nur vor seinen deutschen Glaubensgenossen, in die Konversion seiner Tochter zum Katholizismus einzuwilligen. Um dies zu umgehen, erhielt Liselotte, scheinbar ohne, in Wahrheit aber mit Vorwissen des Vaters, in einem abgelegenen Zimmer des Schlosses zu Heidelberg von seinem französischen Sekretär katholischen Unterricht. Die Bekehrung gelang, endete mit dem Uebertritt in Metz und einem der Tochter diktirten und vom Vater erheuchelten Briefwechsel, der den Schritt beschönigen sollte. Dann wurde (1671) das Opfer nach Paris gebracht. B. Erdmannsdörffer, Deutsche Geschichte vom westfälischen Frieden bis zum Regierungsantritte Friedrich d. Gr., Berlin 1888, S. 496 ff. Hier hat die deutsche Fürstentochter mitten unter einer tief verdorbenen, sittenlosen Umgebung, unter der sie sich wie eine Einsiedlerin fühlte, deren Achtung, ihr Deutschthum und die Reinheit des Charakters bewahrt. Ihre nach der Heimat geschriebenen Briefe sind so unnachahmlich natürlich und treuherzig, ja so klassisch wahr, echt deutsch und den Nagel auf den Kopf treffend, daß man darin nicht einmal die fürchterliche deutsche Orthographie jener Zeit vermissen möchte. Erhebend ist auch die Standhaftigkeit, ja der Humor, mit dem sie 30 Jahre lang das Leben an der Seite eines verächtlichen Gemahls und dann noch 20 Jahre das als Witwe in einer unsympathischen Atmosphäre ertrug, sowie die Aufrichtigkeit, mit der sie jenem servilen und entsittlichten Hofe die Wahrheit sagte.

Sie war unschön, klein und dick, verschmähte jede Eleganz, liebte Jagd und Reiten über alles, und war daher am französischen Hofe nicht beliebt. Dafür verachtete sie das herrschende Mätressenwesen tief sammt allen damit betheiligten Personen und lebte namentlich in offener Feindschaft mit der Maintenon, die sie »alte Zott« und »Hexe« nannte. Wenig Freude erlebte sie an ihrem Sohne, dem berüchtigten Regenten während der Minderjährigkeit Ludwigs XV., Philipp II. von Orleans (geb. 1674). Freilich hatte sie wenig Einfluß auf seine Erziehung, und in dem Erzieher, den er erhielt, dem schändlichen Abbé, später Kardinal Dubois, hatte sie sich gründlich getäuscht. Er machte den Herzog systematisch zum Wüstling und konnte ihm nur eine gute Seite, die Liebe zur Mutter, nicht nehmen, so sehr er und der Hof dahin arbeiteten. Tief kränkte sie seine Verbindung mit einer Tochter der Montespan, und heftig beklagte sie, daß er als Regent sie nur noch selten besuchte. Ihre besser gerathene Tochter, gleichen Namens wie sie, wurde die Gattin des Herzogs Karl Leopold von Lothringen und Mutter Kaiser Franz I., des Gemahls der Maria Theresia. Der tiefste Schmerz aber mußte für sie der sein, daß sie die unschuldige Ursache der Verwüstung ihres Heimatlandes wurde. Der Tod ihres kinderlosen Bruders, des Kurfürsten Karl (1685) gab Ludwig XIV. den schmählichen Vorwand, sein Land als Erbschaft der Schwester für Frankreich in Anspruch zu nehmen, und als der Kriegsminister Louvois die Pfalz nicht halten konnte, ließ er sie aus blinder Wuth mit Feuer und Schwert verheeren.

Weniger als die Briefe Liselottes sind diejenigen ihrer Landsmännin, Familien- und Schicksalsgenossin Maria Anna Christina von Baiern (geb. 1660, † 1690) bekannt. Wie jene dem Hause Wittelsbach, aber der katholischen Linie angehörend, wurde sie ebenfalls (1680) einem französischen Prinzen, dem ältesten Sohne Ludwigs XIV. vermählt. Auch sie blieb sowohl deutsch als rein am verdorbenen Hofe, und ihre Schreiben an ihre ehemalige Erzieherin, die Gräfin Magdalena Portia, geb. Spiering, athmen dieselbe Natürlichkeit und Treuherzigkeit wie die der Herzogin von Orleans. Christine wurde die Mutter des ersten bourbonischen Königs von Spanien und die Großmutter Ludwigs XV., erlebte aber weder die Thronbesteigung des ersteren, noch die Geburt des letzteren, da sie schon mit 30 Jahren in Versailles hinschied.

Die Gattin des Regenten, Françoise Marie, genannt von Bourbon, war ihm gegen seine Neigung aufgedrängt. Sie war geistlos, träge, bigott und hochmüthig; zwischen den Gatten bestand kein erquickendes Verhältniß, was wohl dazu beitrug, den Regenten in seinem lasterhaften Leben zu bestärken. So war es aber beinahe in der ganzen vornehmen Welt; Mann und Frau gingen ihre eigenen Wege und überließen die Kinder Hofmeistern und Dienstboten. Keine Mätresse oder keinen Liebhaber zu haben, war für Männer (sogar für Geistliche) oder Frauen geradezu kompromittirend. Des Regenten älteste Tochter Marie Louise war denn auch geradezu ein Muster von Sittenlosigkeit. Schon früh wurde sie Witwe des Herzogs Karl von Berry, eines Enkels des »Sonnenkönigs«, und wetteiferte nun mit ihrem Vater, der seine Freude daran hatte, in tollen Excessen, ja nahm an seinen geheimsten Orgien Antheil, die sie zum Spaß zeitweise durch fromme Uebungen in einem Kloster unterbrach. Dabei überaß und betrank sie sich in einem selbst damals auffallenden Maße und hatte stetsfort eine abwechselnde Anzahl von Liebhabern, in deren Auswahl sie es nicht genau nahm. Ja der bevorzugteste, mit dem sie sich heimlich vermählte, Marquis Riom, war ein häßlicher und brutaler Mensch, der sie öffentlich mißhandelte. Sie erlag ihren Ausschweifungen (1719) im 24. Lebensjahre! Auf andere Art excentrisch war ihre Schwester Louise Adelaide, welche ihre männlichen Neigungen (Pferde, Hunde, Pistolenschießen, Feuerwerkerei u. s. w.) mit ins Kloster nahm, dessen Aebtin sie wurde.

Wie der Abbé, Kardinal und Minister Dubois den Regenten, so verderbte Fleury, der nach einander dieselben Würden bekleidete, systematisch den jungen König Ludwig XV., um ihn regierungsunfähig zu machen. Zuerst mit seiner Gattin Maria Lesczynska glücklich lebend, wurde er absichtlich mit ihr verfeindet und ergab sich nun dem Mätressenthum in einem Grade, gegen welchen das seines Vorgängers harmlos war! Wir würden nur schon Gesagtes übermäßig steigern und Raum verschwenden, wenn wir auf seine Favoriten, die Madame de Mailly, die Madame d'Etioles, genannt Marquise Pompadour, die Gräfin Dubarry und die Unzahl anderer Gegenstände seiner ekeln Laune, oder gar auf die scheußlichen Mysterien des »Hirschparks« eingehen wollten. Dieses entsetzliche Unwesen, für das der elende Scheinkönig dem Staate Milliarden stahl, hat wohl mehr als irgend andere Uebelstände zu den Stürmen der Revolution die Vorbedingung abgegeben. Eine Ironie der Geschichte aber ist es, daß die jüngste, freilich schwächliche Tochter dieses Scheinmonarchen, Louise (geb. 1737), 1770 den Schleier der Karmeliternonnen nahm, nun »Schwester Therese« hieß, die niedrigsten Arbeiten verrichtete und sich streng kasteite. Ohne diese Lebensart zu ändern, trat sie 1774 an die Spitze des Klosters. Der König besuchte sie öfter, und sein unglücklicher Nachfolger verehrte die fromme Tante hoch, untersagte ihr aber die versuchte Einmischung in politische Dinge. Sie starb 1787 – zwei Jahre vor der Revolution. –

Die nämlichen Gründe, die uns bewegen, die Schmachregierung des fünfzehnten Ludwig kurz abzuthun, zwingen uns bezüglich der übrigen europäischen Höfe im Uebergange vom 17. zum 18. Jahrhundert ebenso zu verfahren. In der That ist das Leben dieser Höfe lediglich eine so oder anders geartete Nachahmung desjenigen am französischen Hofe. Hatte auch Karl II. von England seit seiner Thronbesteigung nach dem Sturze von Cromwells Werk, bereits Mätressen, – die einflußreichsten und intrigantesten bezog er, als er sein Land an Ludwig XIV. verrieth, – nach Macaulay – aus Frankreich; es waren Louise von Quérouaille und Hortensia Mancini, eine der Nichten Mazarins (oben S. 321), welche ihrem Gatten, dem Herzog von Meillerai, genannt Mazarin, entlaufen war. Der Hof von Whitehall regierte durch Favoriten, Börsenmakler und heruntergekommene Peers, und der nichtswürdige König starb an den Folgen einer Orgie mit seinen Mätressen. Sein Bruder und Nachfolger Jakob II. war moralisch nicht besser, aber weit gemeiner und ein blutiger Fanatiker des Katholizismus, worin er es selbst dem Papste zu arg trieb. Der Bruder seiner Mätresse Arabella, John Churhill, war zugleich sein Unterhändler und Bettler bei Ludwig XIV.

Von Jakobs II. beiden Töchtern, die in den Lehren der Hochkirche erzogen waren, hat die ältere, Maria II. (geb. 1662, reg. 1688, † 1695), nur durch ihren sie überlebenden Gemahl, den wackern Wilhelm III. von Oranien Bedeutung. Die jüngere dagegen, Anna (geb. 1665, mit Georg Prinz von Dänemark vermählt 1683, reg. 1702, † 1714), war dem Namen nach selbständige Königin. Noch hing sie an den Ueberlieferungen ihres Hauses, wurde aber durch den Einfluß, den der siegreiche Herzog von Marlborough und seine politisch gewandte Gattin Sarah, geb. Jennings (1660-1744), ihre Hofdame und Freundin, gewannen, zu einer über den Parteien stehenden Haltung veranlaßt. Lord und Lady Marlborough regierten, er im Kriege, sie im Frieden; als aber die Whig-Grundsätze der letzteren mehr hervortraten, griff eine Entfremdung Platz. Lady Masham geb. Hill gewann die Königin und bewirkte den Sturz der Herzogin, der denn auch durch Intriguen den des Herzogs und die Herrschaft der Tories herbeiführte. Anna und diese Partei hätten gerne die Thronfolge dem Hause Stuart gewahrt; aber ihr Tod und die Unfähigkeit ihres Halbbruders (Jakob III.) zerstörten den Plan und bahnten dem Hause Hannover den Weg zur britischen Krone. Anna hatte ihrem schon 1708 gestorbenen Gatten 17 Kinder geboren, die sämmtlich vor ihr starben. Lady Marlborough pflegte in der Zurückgezogenheit ihren geistesschwach gewordenen Gemahl und überlebte ihn noch lange.

Das Haus Hannover war, als es zum englischen Throne gelangte, bereits demoralisirt. Georg I. hatte schon als Kronprinz die Frau von Wyk zur Mätresse, deren Schwester – Gräfin Platen – bei seinem Vater dieselbe Stellung einnahm. Und das war nicht alles; die Platen liebte und verführte den Grafen Philipp Königsmark, der hinwieder in einem Verhältniß zu Sophia Dorothea, der Gattin des Kurprinzen stand, und die Verwickelung endete tragisch durch die Ermordung des von der Platen verrathenen Grafen und die lebenslängliche Einsperrung seiner Angebeteten, auf Befehl des Kurfürsten Ernst August. Georg folgte diesem und kam 1714 nach England, wo er sich durch rohes Benehmen auszeichnete und durch die Weiber, denen er seine Gunst schenkte, die Herzogin von Kendall und die Frau von Kielmannsegge (Tochter jener Platen) das Land aussaugen ließ. Georg II. bildete eine Ausnahme an seinem sittenlosen Hofe, der ihn nöthigte, »des Anstandes wegen« Mätressen zu halten, und an dem Herren und Damen sich ihrer Zuchtlosigkeit rühmten. Eine jener Personen, Elisabeth Chudleigh, setzte ihr Lotterleben am Hofe Georgs III. fort, bereiste ganz Europa, wurde vom Papste und von Friedrich dem Großen empfangen, zu Hause aber wegen Bigamie vor Gericht gestellt, entging jedoch infolge von Bestechung der Strafe und fand schließlich bei Katharina II. von Rußland Aufnahme.

Eine Schwester Georgs III., Karoline Mathilde, hatte das Unglück, den unzurechnungsfähigen König Christian VII. von Dänemark heirathen zu müssen, als sie erst 16 Jahre zählte. Die anmuthige, liebenswürdige und herzensgute Fürstin wurde 1766 an einen Menschen gefesselt, der schlechterdings keine gute Seite und für sie kein Herz hatte und sich wie ein verkommener Raufbold und Nachtschwärmer benahm. Da lernte sie den ihr vom König aufgedrängten Leibarzt Johann Friedrich Struensee (geb. 1737) kennen und schätzen, dem es gelang, ein besseres Verhältniß zwischen dem Königspaare herzustellen, ohne die zwischen demselben unmöglich gewordene Liebe herzaubern zu können. Struensee wurde ihr Sekretär und – Geliebter, – K. Wittich, Struensee, Leipzig 1879, S. 47 ff. in welchem Grade, ist nicht mit Sicherheit bekannt. Ihm war das Verhältniß nur eine Sache des Ehrgeizes, – dem Spottkönig war es gleichgültig, – auf die Königin übte es einen schlimmen Einfluß, es machte sie – um milde zu sprechen, – unvorsichtig. Als Struensee das Ziel seines Ehrgeizes errang, ging es nicht lange, so hatte er sich mit Allen verfeindet, außer mit der Königin. Gegen diese und ihn trat nun des Königs Stiefmutter Juliane Marie von Braunschweig, eine strenge, herzlose Frau, in die Schranken. Eine 1771 von der Königin geborene Tochter wurde von ihren Feinden für das Kind des Ministers und nunmehrigen Grafen gehalten. Zugleich beschuldigte man das liebende Paar hochverrätherischer Plane, und die Verschwörung, die sich bildete, führte zur Ueberrumpelung des Königs, der zum Verhaftsbefehle gegen die Königin gezwungen wurde, und zur willkürlichen Verhaftung Struensees. Der verrätherische Graf Rantzau vollzog den Befehl an der Königin auf rohe Weise. Die Köpfe Struensees, welchen Drohungen der Richter zum Verrathe an der Königin zwangen, und seines unzuverlässigen Freundes Brandt fielen, die Königsehe wurde geschieden, Mathilde von ihren Kindern getrennt und nach Celle in Hannover verwiesen, wo sie schon 1775 an gebrochenem Herzen starb. Ihre Kinder waren glücklicher; der Sohn wurde später ein trefflicher König (Friedrich VI.), der Struensees Werk vollendete, die Tochter Herzogin von Augustenburg und Urgroßmutter der heutigen deutschen Kaiserin.

Eine Berücksichtigung der deutschen Höfe würde uns zu weit führen. Ihr Leben bietet in Bezug auf die Frauen nichts Außerordentliches dar. Unheilvollen Einfluß übte in Württemberg Friederike Wilhelmine von Grävenitz auf Herzog Eberhard Ludwig (geb. 1676 † 1733), den Gründer Ludwigsburgs, einer Nachahmung von Versailles. Sie glänzte durch Verschwendung, Unterstützung von Abenteurern, Bereicherung ihrer Brüder und Schwestern. Die Gräfin von Urach, wie sie hieß, fiel jedoch durch ihren eigenen einflußreichen Bruder infolge politischer Verwickelungen, mußte das Land verlassen, nahm aber ein erschwindeltes Vermögen mit und starb 1744 in Berlin. Der nächste Herzog Karl Alexander ließ sie in contumaciam zum Tode verurtheilen und sandte ihr ihre Verwandten nach. Sein Sohn Karl Eugen lebte nach dem Muster Ludwigs XV.; er, der Stifter der Karlsschule, wurde aber durch Franziska von Bernardin, seit 1774 Gräfin von Hohenheim, auf bessere Wege geführt, heirathete sie 1784, und erhob sie 1787 zur Herzogin. Sie hat als »Fränzele« im Lande ein gesegnetes Andenken hinterlassen.

Ohne unmittelbaren Einfluß auf den Staat und nur dessen Finanzen verderblich waren die Günstlinginnen Augusts des Starken, Kurfürsten von Sachsen und Königs von Polen. Zwei von ihnen sind weltbekannt geblieben. Maria Aurora, Gräfin von Königsmarck, Schwester des Grafen Philipp (oben S. 329 f.), geb. 1670, in Gunst seit 1694, 1696 Mutter des »Marschalls von Sachsen«, Moritz, wurde gegen 1700 entlassen, diente dem Herrscher in diplomatischen Geschäften und starb 1728 in Quedlinburg; in Sprachen, Musik und Malerei war sie nicht unbewandert. Später nahm ihre Stelle Anna Konstanze von Brockdorf ein, geb. 1680, 1703 Gattin des sächs. Ministers von Hoym, 1707 von ihm dem König abgetreten und vom Kaiser (!) zur Reichsgräfin von Kosel erhoben; 1716 in Ungnade gefallen, wurde sie in Stolpen eingesperrt und lebte als Gefangene, im Gewande eines jüdischen Hohenpriesters Kabbala treibend, bis 1765. Sie war von Geist und liebte die Litteratur, besonders aber die französische. Die brave Gattin des starken aber lüderlichen Monarchen, Christine Eberhardine von Brandenburg-Kulmbach, entzog sich dem verschwenderischen und sittenlosen, wenn auch künstlerisch zugeschnittenen Leben am Dresdener Hofe und starb 1727 in freiwilliger Verbannung.

Kein anderes Land aber sah die merkwürdige Erscheinung, welche Rußland während des größten Theiles des 18. Jahrhunderts kennzeichnete, die Vereinigung der Mätresse und der Monarchin in einer Person. Auf verschiedene Weise lebte diese Anomalie in Katharina I., Anna, Elisabeth und Katharina II. Wir müßten die Geschichte Rußlands in jener Zeit schreiben, wollten wir schildern, wie die Livländerin Katharina I. aus dunkelm Ursprunge durch zweifelhafte Zwischenstufen sich an die Seite des kräftigsten Despoten des Jahrhunderts und auf den Thron schwang, wie Peters Nichte, Anna, selbst ohne Thatkraft, ihrem Geliebten Biron das Reich überließ, wie Peters Tochter Elisabeth (geb. 1709, Kaiserin 1741-62), von ähnlichem Charakter, aber leidenschaftlicher, weit tiefer sank, und wie Katharina II., die ihr Temperament noch weniger zügelte, doch gleich der englischen Elisabeth ihr Reich groß machte, aber für ihres Volkes Wohlfahrt mehr mit gutem Willen versuchte, als sie zu vollbringen vermochte. Wir werden ihr wieder begegnen.

3. Religion und Aberglaube.

Der Aberglaube, welchem das weibliche Geschlecht noch in der Zeit der Aufklärung huldigte (doch vorwiegend in den unteren Schichten), unterschied sich von dem im allgemeineren Maße herrschenden Aberglauben nicht wesentlich; wie letzterer, durchzog er, was wir bereits anzudeuten Gelegenheit fanden, das ganze Leben und Treiben. Dagegen nahm der mit Erscheinungen auf dem Gebiete der Religion verquickte Aberglaube bei den Frauen Gestalten an, die sich von ähnlichen Vorkommnissen in der Männerwelt ziemlich scharf unterschieden. Unter den der Leichtgläubigkeit verfallenen oder dieselbe bei anderen mißbrauchenden Männern jener Zeit finden wir Schwärmer, wie die Spener, Zinzendorf, Lavater, Swedenborg u. a., und Schwindler, wie die Saint-Germain, Cagliostro, Gaßner. Welche Erscheinungen ihnen im Bereiche des Ewigweiblichen entsprachen, mögen folgende Beispiele zeigen.

In der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts bildete in Paris die Familie Pascal einen Mittelpunkt schwärmerischen und quietistischen Fühlens und Lebens. Der berühmte Mathematiker, Jansenist und Jesuitenfeind Blaise Pascal (geb. 1623, gest. 1662) hatte zwei Schwestern, Gilberte und Jacqueline. Dreydorff, Pascal, sein Leben und seine Kämpfe, Leipzig 1870. Letztere war ebenso ein dichterisches Wunderkind wie ihr Bruder ein mathematisches, und erregte schon mit 12 Jahren am Hofe Aufsehen; selbst der Kardinal Richelieu bewunderte sie und gewährte ihr deshalb die Begnadigung ihres ihm mißliebigen Vaters. Ihre Gedichte waren dogmatischen und asketischen Inhalts, und auf Zureden ihres darin übrigens gar nicht standhaften Bruders ergab sie sich völlig einem gottseligen Leben und trat in das jansenistische Frauenkloster Port-Royal in Paris, dessen Vorsteherinnen Jacqueline (»Schwester Angelika«) und Agnes Arnauld nach einem mystischen Leben in Gott trachteten, – während Pascal dem Männerkloster Port-Royal auf dem Lande beitrat, das er später verleugnete. Als es aber mit dem Nonnenkloster abwärts ging, versuchte es mit einer Reliquie, einem angeblichen Dorn aus der Dornenkrone Jesu, Reklame zu machen, und die Nonnen von Port-Royal beteten zur » Sainte épine«. Das zwölfjährige Töchterchen von Gilberte Pascal, verehelichter Perier, wurde, wie die Jansenisten behaupteten, durch die Berührung des Dornes von einem Augenübel geheilt; aber der behandelnde Arzt war nicht so gefällig, das Wunder anzuerkennen, sondern that es erst, als er in ein Fieber verfiel, das als Gottes Strafe galt. Die fromme Jacqueline Pascal aber besang das Wunder in schlechten Versen mit unästhetischen Krankheitsschilderungen, ja Pascal selbst, des »geheilten« Kindes Pathe, wurde durch den Vorgang bewogen, seine wundersüchtigen und beinahe wahnwitzigen » Pensées« zu schreiben, aus denen eine Polemik mit den gegnerischen Jesuiten hervorging. Als sich nun in diesem Streite Papst Alexander VII. gegen die Jansenisten erklärte, bewiesen die Frauen von Port-Royal in der Stadt mehr Ausdauer als die Männer von Port-Royal auf dem Lande. Während letztere sich unterwarfen, ließen erstere sich gewaltsam vertreiben (1660), was Schwester Angelika, Jacqueline und Pascal nicht lange überlebten.

Eine schwärmerische Jansenistin war auch Antoinette Bourignon (geb. 1616, gest. 1680), eine Mißgeburt mit das Gesicht bedeckenden schwarzen Haaren und an die Nase gewachsener Oberlippe. Sie behauptete Erscheinungen zu haben, schrieb mystische Bücher, in denen sie die Abschaffung von Regierungen, Handel und Ehe verlangte, und trieb ihr Wesen von Frankreich über Holland bis Schleswig. Ihre Anhänger nannten sie die »zweite Mutter Christi«.

Eine weitere Dame derselben Geistesrichtung, Jeanne Marie de la Mothe-Guyon (geb. 1648, † 1717), beabsichtigte Genf zur katholischen Kirche zu bekehren und mußte wegen ihrer das Volk aufreizenden Lehren in ein Kloster gehen, aus dem ihr die Maintenon heraushalf. Sie ließ sich zur Qual alle Zähne ausziehen, goß sich geschmolzenes Blei auf den Leib und schrieb mystische Bücher. Aus der Bastille, in die man sie sperrte, konnte sie nach Holland fliehen, durfte dann aber nach Frankreich zurückkehren. Noch ärger trieben es im Fakirismus spätere Jansenisten. Auf dem Grabe ihres Genossen François de Paris († 1727) geschahen angeblich wunderbare Heilungen; Schwärmer beteten, predigten und prophezeiten dort, wurden von Krämpfen und Zuckungen befallen, und viel Volk strömte zusammen, so daß die Polizei gegen die »Convulsionärs« einschritt. Aber sie versammelten sich im geheimen, und es hieß, es seien dort Mädchen gekreuzigt und »zu Gottes Ehre« geprügelt worden, was nach Ansicht mancher nur taschenspielerische Täuschung gewesen wäre.

Eine andere Richtung verfolgte um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Tochter des Marquis de Sènes und Gattin des spanischen Generals de la Croix, von dem sie sich zeitweise trennte, um in Avignon dem Vicelegaten Aquaviva Gesellschaft zu leisten. Als Witwe in Lyon lebend, verlegte sie sich auf das Teufelaustreiben, das sie durch Gebet, Handauflegen, Weihwasser und Oel zu bewirken behauptete, worauf sie die ausgetriebenen Teufel zu erblicken vermeinte. Sie erlebte noch die Revolution, die sie ein Werk des Teufels nannte und deren angeblicher Seher Jacques Cazotte (1792 guillotinirt) ihr Anhänger war.

In den Kreisen des seit 1666 in Frankfurt a. M. von Philipp Jakob Spener ins Leben gerufenen Pietismus der »Stillen im Lande« waren die Frauen mit besonderer Aufmerksamkeit umgeben und wurden die eifrigsten Apostel dieser Lehre. Mit regstem Interesse beobachteten sie die Seelenkämpfe und Wandlungen, die sie durchmachten, führten Tagebücher über ihre frommen Empfindungen, die freilich oft hohl genug klangen, und schrieben einander gefühlsselige Briefe. Die gelehrte Holländerin Anna Maria von Schurmann in Utrecht widerrief 1670 ihre nichts weniger als freigeistigen Schriften. In der Regel führten die Pietisten ein musterhaftes Leben; aber es kamen auch recht unfromme und widerliche Erscheinungen vor. »Offenbarungen« und Verzückungen mehrerer Frauen waren noch harmlos gegenüber der wildesten sinnlichen Ausschweifung unter religiöser Maske, diese fand Eingang in der Sekte, welche um 1700 der Theolog Gottfried Justus Winter und Eva von Buttler, die von ihrem Manne Jean de Vesias getrennt lebte, gründeten. In der kleinen Grafschaft Sayn-Wittgenstein aufgenommen, predigten sie äußerlich Buße; im geheimen aber lebten Männlein und Weiblein durchaus kommunistisch und vertheidigten, als es bei den noch nicht völlig Eingeweihten ruchbar wurde, ihre Güter- und Weibergemeinschaft aus der Bibel. Eva war das eigentliche Haupt der Rotte und gefiel sich in der Rolle, das, was die erste Eva verscherzt habe, als zweite Eva wieder herzustellen. Endlich wurde der Skandal amtlich entdeckt und die Bande eingesperrt. Sie konnten entfliehen und wurden, um sich zu retten, katholisch. Bald setzten sie insgeheim bei Pyrmont ihr Lasterleben fort; aber endlich wurden sie prozessirt, mit Körperstrafen belegt und ausgewiesen.

Wie diese Personen den Pietismus in übeln Ruf brachten, haben andere seiner Geschichte trotz allen Schwächen desselben Ehrenblätter eingereiht. Statt der bunten Abenteuer bezeichnen stille Wohlthaten ihren Weg. Benigna, Gräfin von Solms-Laubach, geborene von Promnitz auf Sorau, eine geistig rege und thätige Frau, war eine begeisterte Schülerin Speners. Sie brachte freilich den Pietismus in die Mode; aber wo dies an den Höfen geschah, zog auch die Tugend mit ihm ein. Ihre Tochter Erdmute Benigna, Gräfin von Reuß-Ebersdorf (gest. 1732), wurde die Schwiegermutter des Grafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, des Stifters jener fest organisirten Abzweigung des Pietismus, der Herrnhuter. Neben Benigna wirkte ihre Freundin Henriette Katharina von Gersdorf, geborene von Friesen; am damaligen Sitze ausgelassensten Treibens, in Dresden, wagte sie es, ihre reine Frömmigkeit zu bekennen; Zinzendorf war ihr Enkel und empfing von ihr den Geist, den er in seine Schöpfung trug. Eine zweite Genossin Benignas war Christine von Stolberg-Geudern (gest. 1749), eine geborene mecklenburgische Prinzeß. Ihre Schwester, Königin Luise von Dänemark (gest. 1721), verpflanzte die Richtung, von der wir sprechen, in dieses Reich. Landgräfin Elisabeth Dorothea von Hessen-Darmstadt, Tochter Herzogs Ernst I. von Sachsen-Gotha (gest. 1709), brachte den Pietismus in ihrem Lande zur Herrschaft und trotzte dem Kampfe, den die orthodoxe Kirche dagegen erhob.

4. Die Salons und die Litteratur.

Der Einfluß, den seit der Zeit Ludwigs XIV. die Frauen auf dem Felde des Christenthums ausübten, war keine die Litteraturgeschichte allein berührende Erscheinung, sondern durchdrang gleichmäßig das gesammte Kulturleben der höheren Stände und machte sich für die Zeit von mehr als einem Jahrhundert in der Art geltend, daß man sagen darf: »die Literaturen der mittel- und westeuropäischen Völker und ihre Lebensäußerungen überhaupt von etwa 1660 bis etwa 1770 tragen durchweg einen weiblichen und weichlichen Charakter, entbehren durchweg männlicher Kraft und Entschiedenheit«. Milton und Lessing sind die Marksteine, zwischen denen sich diese eigentümliche Erscheinung abspielt. Ihre Geburtsstätte hatte die letztere in den von Damen der französischen Aristokratie gehaltenen und beherrschten Salons. Als den ersten derselben nennt die Kulturgeschichte den der Marquise von Rambouillet in dem nach ihrer Familie benannten Hotel. Was von litterarischen Schöpfungen in diesen Umgebungen zuerst hervortrat, waren weitläufige und inhaltleere Romane und schwülstige Gedichte. Viele der ersteren verfaßte die schreibselige Madeleine de Scudéry (geb. um 1627, gest. 1701), deren Roman »Cyrus« den großen Perserschah als schmachtenden Hirten vorführt; ihre Gedichte verschafften ihr den Beinamen einer neuen Sappho. Eine bessere Gattung des Romans, ja eigentlich den modernen Roman überhaupt begründete die Gräfin Marie Madeleine de La Fayette, geb. Pioche de la Vergne (1634-1693), welche zuerst wahre und wirkliche Gefühle in diese Dichtform brachte. Noch mehrere Damen folgten ihr in demselben Streben, ehe sich auch Männer demselben widmeten.

Ganz allein in ihrer Art steht aber eine andere Zierde des Hotel Rambouillet, die einzige großartige Briefstellerin ihrer Zeit und Begründerin des klassischen Briefes, Marie de Rabutin-Chantal, Marquise von Sevigné (geb. 1627, vermählt 1644, Witwe 1651, † 1696). Ihre Herzensgüte ging so weit, daß sie Verfolgte selbst dann vertheidigte und sich ihrer annahm, wenn sie es nicht verdienten, wie der Kardinal Retz und der Minister Fouquet. Am Hofe nahm sie eine ähnliche isolirte und doch geachtete Stellung der Reinheit ein wie später die pfälzische Liselotte (oben S. 324 ff.); ihren Ruhm aber verdankt sie den nicht für die Oeffentlichkeit bestimmten Briefen, deren meiste an ihre Tochter Madame de Crignan gerichtet waren und welche von Tiefe der Gefühle, Anmuth der Darstellung und unbefangenen Beurtheilung ihrer Zeit und ihrer Zeitgenossen, sowie der in ihr auftauchenden Bestrebungen und Werke zeugen. Die in der Sammlung befindlichen Antwortbriefe der Tochter sind der Mutter würdig.

Bei dem damaligen Zustande der Sitten konnten (und wollten?) es die schöngeistigen Kreise nicht vermeiden, auch das »anmuthige Laster« in ihre Umgebung zu ziehen. So konnte die Buhlerin Ninon de l'Enclos (geb. 1616, † 1706) nicht nur mit den Berühmtheiten ihrer Zeit verkehren, sondern sogar ihr Haus zu einem Sammelpunkte derselben machen. Der Kriegsminister La Boissière war ihr Sohn; ein anderer, Villiers, verliebte sich in sie, ohne sie zu kennen, und als sie sich seine Mutter nannte, erschoß er sich.

Eine Wandelung in ihrem Wesen erlitten die Salons seit dem Beginne des 18. Jahrhunderts. Ihr Ton wurde leichter, ihr Esprit witziger, ihr Streben mehr dem Genießen als dem Schaffen geneigt. Unter der Regentschaft des Herzogs von Orleans (oben S. 325) war in Sceaux bei Paris das Schloß des Herzogs Ludwig August von Maine, eines Sohnes der Montespan, und seiner Gattin Louise Benoite, gebornen Prinzeß Bourbon-Condé ein Sammelplatz der Schöngeister. Die Herzogin, eine Zwergin, aber zierlich und geistvoll, versöhnte durch ihren vollendeten gesellschaftlichen Takt, ihren Witz und ihre Beredsamkeit ihre Umgebung mit ihren tyrannischen Launen, ihrem Egoismus und ihrem Mangel an Gerechtigkeitssinn, und beherrschte sie bis zur sklavischen Ergebenheit der sie überschwänglich besingenden Verehrer. Das Hirtenspielen war das Hauptvergnügen dieses Kreises, der in der Malerei Watteaus verewigt ist und, zu seiner Ehre sei es gesagt, zum lüderlichen Hofe des Regenten ein höchst anständiges Gegenbild darbot. Hier konspirirte man gegen den letzteren, der dem Hausherrn die erst für ihn bestimmte Regentschaft weggeschnappt hatte, und hier begannen die Salons oppositionell zu werden. Daneben feierte man glänzende Feste, besonders in feenhaft durchleuchteten Nächten, machte Bootfahrten auf der Seine, spielte Theater auf den Miniaturbühnen des Schlosses, wobei die kleine Herrin selbst die Hauptrollen übernahm. Großherzige Gastfreundschaft genossen hier oft längere Zeit die jetzt freilich verschollenen Berühmtheiten jener Tage, denen sich auch der noch unberühmte Voltaire beigesellte, der einige Dutzend von ihnen aufwog und den die Herzogin umsonst durch eine feste Anstellung zu fesseln suchte. Als aber die Verschwörung, deren Fäden der Regent und Tubois zeitig in den Händen hatten, dem Untergange verfiel, wurde die kleine Herzogin 1718 verhaftet und in Dijon gefangen gesetzt, jedoch später freigelassen und in Sceaux eingegrenzt, wo das frühere Leben in bescheidenerem Maße wieder begann.

Hier und in den Salons oder Bureaux d'esprit der Marquise von Lambert der Madame Fontaine-Martel, Madame Denis, Madame Doublet und anderer bildete sich der Uebergang zu der dritten Phase der Salons, der freigeistig-revolutionären. Diese Vorbereitung einer neuen Zeitperiode stand durchaus unter der Leitung der Frauen. Alles was in Frankreich geschah, hatte eine Frau oder mehrere im Hintergrunde, woher das Sprichwort entstand: » Cherchez la femme«. Die Frauen protegirten gegen pflichtgemäße Huldigungen die Werke der Schriftsteller und diese selbst. Die höheren Stände waren es, welche die Bewegung ins Leben riefen, die den Sieg der Aufklärung herbeiführen sollte. Das war die »Sündflut«, welche Ludwig XV. in seinem Lasterleben kommen sah, indem er zu seiner Devise machte: » aprés moi le déluge«. Und sie war ihm nahe. Seine eigene Hauptmätresse und spätere Kupplerin, die Pompadour begünstigte die Aufklärer und sammelte sie im Palaste um sich, während sie in den Salons von Paris, die in Opposition zum Hofe von Versailles traten, lächerlich gemacht wurde. Ganz entschieden auf dieser Stufe der Geisterbewegung stand zuerst der Kreis der Frau von Tencin. Schon als Nonne in einem freilich lockern Kloster (Montfleuri) hatte sie Aergernisse erregt, gab 1714 das Klosterleben auf und lebte bei ihrem Bruder, einem sittenlosen und ränkevollen Abbé. Sie war die Geliebte des Kardinals Dubois und betheiligte sich an den Schwindeleien des schottischen Börsenhelden Law. Von ihren zahlreichen unehelichen Kindern war der Philosoph d'Alembert eines, das sie aussetzte; er wies sie daher entrüstet zurück, als er sie kennen lernte. Sie gewann Einfluß auf Fleury und Ludwig XV., stand mit den Jesuiten in Verbindung und korrespondirte mit dem Papste Benedikt XIV., der ihr sein Bild sandte. Trotzdem versammelten sich bei ihr Geister wie Montesquieu, Fouteuelle, Helvetius, Marmontel u. a., die sie ihre Menagerie nannte. Sie schrieb selbst schlechte Romane, half aber berühmte Werke ihrer Gäste ins Leben führen. Als sie 1749 starb, siedelte ihre Umgebung in die Salons der Madame Geoffrin über, einer bereits bejahrten und nicht durch Geist hervorragenden, zudem noch innerlich frommen Dame, auf die aber der Reflex des Geistes ihrer Gesellschaft fiel, so daß sie auf ihren Reisen an den Höfen des Ostens gefeiert wurde; denn bei ihr trafen sich auch die in Paris weilenden vornehmen Fremden und verkündeten zu Hause ihren Ruhm. Ein mit dem ihrigen wetteifernder Salon war der der gewandten Briefstellerin Marquise du Deffant (geb. 1697, † 1780), die jedoch bald von ihrer liebenswürdigen Gesellschafterin Julie l'Espinasse (geb. 1732, † 1776) überstrahlt wurde. Eifersucht trennte beide, und nun theilten sich die Geistreichen. Die älteren, Voltaire, Montesquieu u. a. blieben bei der älteren; die jüngeren, wie Diderot, d'Alembert u. a. zogen zu der jüngern. Der letztere wurde ihr Geliebter, fand sich jedoch bald durch einen feurigen jungen Spanier Mora verdrängt, dem sie dann wieder den militärischen Grafen Guibert vorzog, der sie aber verließ. Die Damensalons hatten jedoch ihre Zeit gehabt; sie hatten vorgearbeitet; bei der Hauptarbeit aber wollten die Männer allein sein, und nun wurde der Feldzug gegen Kirche und Staat ohne Scheu in ihren Versammlungen geführt.

Außer den Damen der Salons haben manche andere auf einzelne Heroen der Litteratur einen namhaften Einfluß ausgeübt. Voltaire stand sein Lebenlang unter diesem Einflusse. Die bereits alte Ninon de l'Enclos interessirte sich für seine Jugend; die Herzogin von Maine war ihm hold, wie wir sahen; der Schauspielerin Adrienne Lecouvreur, welcher ein kirchliches Begräbniß verweigert wurde, widmete er eine Ode; seit 1733 aber fand er feinen Halt an der Marquise Gabriele Emilie du Chatelet-Lomont, geborenen (1706) Letonnelier de Breteuil, welche die alten Sprachen kannte und Mathematik nach Leibniz und Newton studirte. In der Liebe aber war sie nicht skrupulös, und auf den lockern Herzog von Richelieu folgte in ihrer Neigung der häßliche und charakterlose Voltaire, der auf ihrem Gute Cirey in der Champagne 15 Jahre lang lebte. Ihr Gatte, der Marquis, ehrte den Gast hoch, war aber als Oberst eines Regiments wenig zu Hause und legte dem ihm kaum verborgenen Verhältniß nichts in den Weg, das die Liebenden übrigens als platonisch erklärten. Ihre Unterhaltung drehte sich meist um Philosophie und Astronomie, wovon der vielseitige Voltaire nicht wenig lernte, der seine Egeria die »göttliche Emilie« nannte. Auch besaß das Schloß ein Theater und eigene vorzügliche Schauspieler, die, unter Mitwirkung der Marquise und ihrer Gäste, des großen Gastes Dramen aufführten. Oft auch machte das Paar Reisen nach Paris. Noch kurz vor ihrem Tode (1749) wurde die Marquise dem Gaste untreu zu Gunsten des Offiziers Marquis Saint-Lambert, eines seichten Schriftstellers in Prosa und Versen. Merkwürdiger Weise war dieser Mensch den beiden berühmtesten französischen Schriftstellern des vorigen Jahrhunderts in der Liebe hinderlich. Nach der Marquise nämlich liebte er die Gräfin d'Houdetot, welche ungeachtet ihrer Häßlichkeit auch dem Genfer J. J. Rousseau eine heftige Leidenschaft einflößte, aber den Marquis vorzog. Der Freund der Einsamkeit lebte damals (1755-57) mit seiner ungebildeten Beihälterin Therese Levasseur (deren Kinder er ins Findelhaus schickte) in der für ihn auf dem Gute der Frau Louise Florence de la Live d'Epinay gebornen Tardieu (geb. 1726, gest. 1783) in Montmorency eingerichteten Einsiedelei. Frau von Epinay war eine nicht unbedeutende pädagogische Schriftstellerin. Sie suchte Rousseau von seiner Leidenschaft zu heilen, erntete aber von dem Sonderling, der bei ihr die »neue Heloise« schrieb, nur Undank. Ergreifend ist der Widerspruch zwischen seinem Verhalten gegenüber den Frauen im Leben und dem hohen Ideal der Weiblichkeit, das er in seiner Musterschülerin Sophie, der unglücklichen Gattin des Musterschülers Emil, aufstellte.

5. Aufgeklärte Herrscherinnen.

Die deutschen Frauen des 17. Jahrhunderts widerstanden, selbst wenn sie französisch gebildet waren, dem verderblichen französischen Einflusse auf Sitten und Gemüth weit besser und nachhaltiger als die Männer. Sie zogen den natürlichen, gesunden Verstand dem Esprit vor und schämten sich nicht, hausbacken zu sein. Leider sank dieser Ruhm im 18. Jahrhundert, wenn auch vorzugsweise in den höheren Ständen, und auch hier nicht allgemein.

Schon gegen Ende des 17. Jahrhunderts treffen wir nicht nur eine Zunahme litterarischer und gelehrter Beschäftigungen bei Frauen, sondern geradezu einen Ueberfluß daran, – jedoch ohne daß sie etwas Wesentliches geleistet hätten. Es war mehr Modesache, als Forscher- und Denkertrieb, welch' letzterem ohnehin die zugleich mit der gelehrten Liebhaberei auftretende, bereits oben erwähnte frömmelnde Richtung wesentlichen Eintrag thun mußte. Von einer Aufklärung, die soweit ging wie die der französischen Salons, war in Deutschland keine Rede. Der rechte Vertreter der damaligen vornehmen deutschen Richtung, welche nach schrankenlosem Wissen strebte, aber es mit der Religion zu vereinbaren suchte, war Leibniz. Und diesen größten Gelehrten seiner Zeit finden wir denn auch in ernstem geistigen Verkehr mit bedeutenden Frauen. Es gilt dies besonders von Sophie, Tochter des Kurfürsten von der Pfalz und unglücklichen Königs von Böhmen Friedrich V. und der englischen Prinzeß Elisabeth, welche zwar ihren Gatten zum böhmischen Abenteuer angeregt, aber auch in der Verbannung treu mit ihm ausgehalten hatte. Sophie, geb. 1630, 1658 mit dem Erbprinzen Ernst August von Hannover (s. oben S. 329 f.) vermählt, 1698 Witwe, 1701 als Erbin Großbritanniens anerkannt, dessen Regierung sie aber, 1714 sterbend, nicht mehr antreten konnte, war »geistreich und hochgebildet, von weltklugem Sinn und voll warmer Theilnahme für gelehrte Forschung und künstlerische Thätigkeit.« Diese einige früher angeführte Züge nach H. Scheube, die Frauen des 18. Jahrhunderts, Berlin 1876, I. Ihre Ehe mit dem prachtliebenden und gewissenlosen Fürsten, der seine Unterthanen an Venedig verkaufte und das Blutgeld in der Lagunenstadt verjubelte, war keine glückliche. Wohl theilte sie des Kurfürsten Prachtliebe, fand aber trotzdem Zeit, mit dem genannten Gelehrten, der seit Ernst Augusts Aufstieg zur Kurwürde gerade seine anfänglichen haltlosen Schrullen aufgab und in seine glänzendste Periode trat, sich über weltbewegende Fragen, wie die Vereinigung der christlichen Kirchen, die Geheimnisse der Gottheit, die Vielheit der Welten und die schwierigsten philosophischen und mathematischen Probleme zu besprechen. An diesen über dem Durchschnitte der Zeitbildung hoch erhabenen Bestrebungen nahm später auch ihre Tochter Sophie Charlotte (geb. 1668, 1684 vermählt mit Friedrich, dem nachherigen ersten Könige Preußens, gest. 1705) theil. Beide Frauen empfingen nicht nur von Leibniz, sondern gaben auch ihm die fruchtbarsten Anregungen. Auch mit dem englischen Freidenker John Toland, der 1701 kam, ihr die Aussicht auf die britische Krone zu eröffnen, hatte Sophie Gelegenheit bekannt zu werden. Er bewunderte ihre Rüstigkeit in vorgerücktem Alter wie ihre Kenntnisse und ihre in mehreren Sprachen gleich gewandte Redefertigkeit. Im Schloßparke von Herrenhausen, ihrem Lieblingsorte, wurde sie vom Schlage gerührt.

Sophie Charlotte, ihre Tochter, die erste Königin von Preußen, die Cousine von Elisabeth Charlotte, sprach schon als Kind französisch, italienisch und englisch und lernte lateinisch. Mit ihren Eltern bereiste sie Italien und lernte die bildende Kunst lieben und die ihr bereits vertraute Musik tiefer kennen. Sie besuchte mit ihrer Mutter auch Versailles in dessen Glanzzeit, wo der prachtliebende König sie auszeichnete. An diese brillante Aufnahme dachte sie so gern zurück, daß sie sich nach ihrer Vermählung in Berlin über die dort herrschende Nachahmung französischen Tones und Prunkes kindlich freute. Wichtiger als dies ist, daß es ihrer Liebenswürdigkeit gelang, die sie mit Abneigung empfangende Stiefmutter ihres Gatten, Dorothea von Holstein-Glücksburg, für sich zu gewinnen. Ihre Ehe war eine solche ohne Liebe, aber auch ohne Zerwürfniß; der Prinz und die Prinzeß hielten jedes seinen eigenen Hof, – jener einen steifen, förmlichen, diese einen heitern, zwanglosen, geistreichen, an dem die flüchtigen Hugenotten die Hauptrolle spielten, von dem aber Frivolität und selbst das Spiel verbannt war. Sophie Charlotte und ihre Mutter waren es vorzüglich, deren Gewandtheit es gelang, dem prachtliebenden Kurfürsten die Königskrone auf das Haupt zu setzen. Bei der Krönung in Königsberg 1701 soll die Schönheit der neuen Königin alle andere Pracht in Schatten gestellt haben. Aber der fortwährende Festprunk war ihr lästig, sie sehnte sich nach Einsamkeit, und der König gab ihr nach, indem er ihr das Schloß Lützenburg bauen ließ, dessen Vollendung sie nicht erlebte und das nach ihrem Tode in »Charlottenburg« umgetauft wurde. Hier war es ihr vergönnt, frei der Kunst, Wissenschaft und Wohlthätigkeit zu leben und einer maßvollen Aufklärung zu huldigen. Der König billigte diese Bethätigung, die seiner Krone neuen Glanz verlieh, und ließ selbst Leibniz nach Berlin kommen, der in Charlottenburgs Gärten oft bis tief in die Nacht hinein mit der Königin philosophirte. Auch John Toland erschien an ihrem Hofe und war von ihm und von ihr begeistert, von der er sagt, er habe noch niemand gesehen, der geschicktere Einwürfe zu machen oder solche zu beantworten verstände. Stets mit ihrer Mutter in Verbindung, starb sie auf einem Besuche bei ihr in Hannover, noch nicht 37 Jahre alt, an einem Halsübel, bis zum Ende große Fassung und geistvolle Rede bewahrend.

Welchem Abstande von ihr begegnen wir in ihrer Schwiegertochter und Nichte Sophie Dorothea, welche es war, die ihren harten Gemahl Friedrich Wilhelm I. gegen ihre eigenen Kinder aufhetzte! Wie sehr aber werden wir wieder an sie erinnert in ihrer Enkelin Friederike Sophie Wilhelmine, der angebeteten Schwester Friedrichs des Großen (geb. 1709, gest. 1758), seit 1731 Gattin des späteren Markgrafen Friedrich von Baireuth und 1743 Stifterin der Universität Erlangen. In Anlagen und Wissenstrieb glich sie der Großmutter; schwere Leiden in der Jugend hatten in ihr aber deren feste Grundsätzlichkeit und heitere Lebensanschauung untergraben. Doch wurde der Hof ihrer neuen Heimat nach den Muster Charlottenburgs ein Sitz der Musen, freilich wie jener von französischem Geiste beseelt. Auch Voltaire »verherrlichte« ihn und korrespondirte mit der Fürstin, die krank und trübsinnig hinschied, während der geliebte Bruder gegen eine Welt in Waffen rang.

Die größte, wenn auch nicht die kenntnißreichste deutsche Fürstin des 18. Jahrhunderts war aber Maria Theresia, römisch-deutsche Kaiserin und Regentin der österreichischen Erblande (geb. 1717, reg. 1740, gest. 1780). »Aufgeklärt« war sie zwar nicht, vielmehr streng gläubig. Vor allem für die Erhaltung ihres Erbes und für die Macht ihrer Krone begeistert, aber frei von Willkür und Gewaltthat, neigte sie nicht einmal der Einführung von Reformen zu, wurde aber in ihrem durchaus rechtlichen und sittlichen Streben durch die Reformbedürftigkeit der Zustände dahin geführt, Verbesserungen überall zu fördern, wo sich die Notwendigkeit dazu zeigte. Ihr ist der Beginn einer Centralisation der Verwaltung ihrer vielgestaltigen Länder und der Vereinigung derselben zu einem Reiche zu verdanken. Ihre Völker wetteiferten, ihr Liebe und Hingebung zu bezeugen. Dazu trug vor allem ihre »liebenswürdige und lebenswarme Persönlichkeit« bei, A. Wolf, Oesterreich unter Maria Theresia u. s. w., Berlin 1884, S. 74 ff. welche Eigenschaften die Schönheit ihrer Jugend überdauerten und mit einer stets würdigen Haltung ebenso verbunden waren, wie mit echt österreichischer Treuherzigkeit und Offenheit, die auch aus ihren Briefen spricht. Auf Wissenschaft und Kunst sah sie nur gönnerhaft herab, – Philosophie und Poesie haßte sie geradezu, ausgenommen wenn letztere sie feierte. Dagegen liebte sie die Musik. Ihre Frömmigkeit war so groß, daß sie alle kirchlichen Gebräuche, selbst Processionen und Wallfahrten eifrigst mitmachte. Sie war unduldsam gegen Protestanten und Juden, wandte sich aber von den anfänglich begünstigten Jesuiten später ab und wurde überhaupt im Alter milder. Ihr sittliches Regiment war überstreng, ihre Regententhätigkeit höchst ausdauernd, so daß sie in Befehlen und Anordnungen unermüdlich war. Durch ihren edeln Sohn Joseph II. ist sie wider Willen eine Mutter der Aufklärung geworden. –

Welch anderes Bild und doch wieder welche Aehnlichkeit bietet uns die aufgeklärteste und mächtigste Regentin des 18. Jahrhunderts dar, die »nordische Semiramis«, die deutsche Inhaberin des russischen Thrones, Katharina II.! Geboren als Sophia Augusta, Tochter des Fürsten Christian August von Anhalt-Zerbst, 1729 in Stettin, gewann sie 1762 die Krone des Zarenreiches ohne alles Erbrecht durch gewaltsamen Staatsstreich und Beseitigung ihres nichtswürdigen Gatten Peters III. (von Holstein-Gottorp) und starb nach langer schicksalsreicher Regierung 1796. Vom Deutschthum hatte sie kaum etwas an sich; sie war dem Geiste nach eine russifizirte Französin. »Eine Herrschernatur, ganz Nerv und Spannkraft; eine der glänzendsten Erscheinungen, welche je einen Thron schmückte; – wenige Fürsten sind sich der Größe und Verantwortlichkeit ihrer Stellung in dem Grade bewußt gewesen wie sie.« A. Brückner, Katharina II., Berlin 1883, S. 562 ff. Ihr Auge blickte Hoheit, ihre Haltung war würdevoll. Ungemessen war ihr Ehrgeiz, unbedenklich war sie in den Mitteln zu seiner Befriedigung. Aber Härte, Grausamkeit und despotische Willkür lagen ihr fern; gegen Untergeordnete war sie sogar rücksichtsvoller als gegen Höhere und auch gegen diese höflich, nachsichtig, selbst gegen Fehlbare. Große Geistesgegenwart zeichnete sie aus; ihre Freigebigkeit war oft überreich. Scherze liebte sie sehr, aber ihre Stimmungen und Launen wechselten oft rasch. Ihre maßlose Sinnlichkeit und die Ablösung ihrer intimen Günstlinge überlassen wir gern der Skandalchronik. Innerlich war sie ohne Religion; aber während sie äußerlich streng zur »orthodoxen« Kirche ihres Reiches hielt, übte sie Duldsamkeit gegen alle Bekenntnisse. Darin begegnete sie der Aufklärung ihrer Zeit, mit deren Koryphäen, Friedrich II., Joseph II., Voltaire und den Encyklopädisten, sie ebenso sympathisirte, wie sie später die Revolution, welche dieses Vorrecht der Gebildeten unter das Volk brachte, verabscheute und verdammte. Sie liebte die Pracht und den Luxus bis zur Sinnlosigkeit. Aber ihre Thätigkeit war rastlos. Ihre Briefe sind ungemein zahlreich. Ihr französischer und russischer Stil ist tadellos, der deutsche etwas altfränkisch; mit dem französirten Deutschen Grimm verkehrte sie besonders gern und stempelte ihn zum geistigen Vertrauten und finanziellen Vollmachtträger. Außerdem schriftstellerte sie belletristisch, pädagogisch und satirisch. Unermüdlich war sie im Lesen aller Tageserscheinungen, forschte in Sprachvergleichung und Völkerkunde ihres Reiches und war darauf erpicht, überall in Europa slawische Anklänge zu finden; auch schrieb sie eine Geschichte Rußlands für ihre Enkel. Die Musik liebte sie, ohne Anlage dafür zu besitzen. Was sie für ihr Reich that, hat die politische Geschichte aufgezeichnet; sie hat das Werk Peters des Großen fortgeführt, ohne zu ahnen, daß es heute wieder rückgängig gemacht wird!


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