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3. Die amerikanischen Naturvölker

Bei den Urbewohnern der Neuen Welt, den sogenannten Indianern, herrschen, ungeachtet ihrer weiten Ausbreitung von Norden nach Süden, sehr ähnliche Verhältnisse in Bezug auf die Stellung der Frauen. Gemeinsam ist ihnen der Weiberkauf und die vorherrschende Monogamie, sowie das nur noch seltene Vorkommen des Weiberraubes oder vielmehr der Entführung, und der Polygamie bei Häuptlingen. Häufig ist die Werbung durch Unterhändler, die Arbeit um die Braut (wie bei Jakob in der Bibel), die Beschränkung der Ehe durch nahe Verwandtschaft und durch das Totem-Gesetz, welches die Exogamie derart ordnet, daß nur eine Frau aus einem Stamm oder Geschlecht gewählt werden darf, welcher (wie der australische Kobong) ein anderes Thier zum Sinnbilde hat, wobei aber in der Regel der Mann in den Stamm der Frau übertritt, welchem auch die Kinder angehören. Es giebt aber auch endogamische Stämme, besonders im Süden. Die Heirathsgebräuche sind meist sehr einfach; von ehelosen Zuständen dagegen hat man nur aus vergangenen Zeiten vereinzelte Berichte. In Südamerika (wie merkwürdigerweise früher bei den europäischen Iberern, den Vorfahren der Basken) kommt noch die eigentümliche Sitte ( Couvade genannt) vor, daß sich nach der Geburt eines Kindes der Vater niederlegt und pflegen läßt, wovon man einen heilsamen Einfluß auf das Gedeihen des Kindes erhofft, während der ursprüngliche Grund wohl in der Betonung der Vaterschaft liegt, die ja bei früheren ungeordneten Zuständen zweifelhaft war. Die Liebe der Eltern, besonders der Mutter, zu den Kindern ist groß, soll aber bei den Feuerländern nur kurze Zeit dauern. Es giebt Gegenden, in denen die Sitten lockerer, und solche, in denen sie geordneter, solche, in denen die Stellung der Frauen tiefer, und solche, in denen sie höher ist. Man berichtet von kriegerischen weiblichen Häuptlingen in Nordamerika; bei den Haidah und Südkaliforniern giebt es thatsächlich weibliche Besitzer dieser Würde. Bei den Irokesen wirkten Frauen zur Wahl und Absetzung der Häuptlinge mit und hatten Stimmrecht in den Versammlungen der Stämme. Sehr häufig werden die Frauen mit harten Arbeiten verschont und üben bestimmenden Einfluß auf die Handlungen der Männer aus. In Südamerika sind die Männer träger und daher die Frauen mehr geplagt als im Norden des Erdtheils, wo aber auch oft, bei wandernden Stämmen, schwere Lasten und Sorgen auf ihnen ruhen und sie mehr und roher mißhandelt werden als im Süden.

Amerika besaß vor seiner Entdeckung und Eroberung durch die Europäer auch Kulturstaaten, die sich von Sonora im Norden bis Chile im Süden erstreckten, jedoch in Hinsicht auf das Verhältniß der Geschlechter durchschnittlich nicht höher standen als die Naturvölker dieses Erdtheils. Im alten Mejiko wurde die Frau gekauft, war Eigenthum und Sklavin des Mannes und wurde für den Bruch der Ehe mit barbarischer Hinrichtung bestraft. Die Priester hatten eine größere Macht gegenüber dem Familienleben als anderswo in der Neuen Welt; sie knüpften (und zwar wörtlich, durch Verknotung der Gewänder) die Ehe und lösten sie wohl auch. Die Reichen übten Vielweiberei, und bei ihnen waren die Frauen geachtet und geschont. Ja es ist erstaunlich, daß in einem Reiche, welches wie das der Azteken im Blute der Menschenopfer schwamm, ethische Ideen auftauchten, wie sie in den aufbewahrten Ermahnungen von Eltern an Kinder erscheinen, die von Geschlecht zu Geschlecht überliefert wurden und worin es u. a. heißt: »Entehre dich nie, meine Tochter, beschimpfe nicht deine edlen Ahnen, bedenke, daß, wenn Niemand dich sieht, doch Gott überall gegenwärtig ist und dich strafen wird.«

Im alten Peru war die Ehestiftung ein Staatsmonopol. Jeder Jüngling mußte mit 24 und jede Jungfrau mit 18 bis 20 Jahren heirathen. Die jungen Leute wurden jährlich einmal auf einen Platz zusammenberufen und durch die Beamten oder Kurakas (Vornehmen) einander zugetheilt, indem dieselben ihnen die Hände in einander legten. Bei den Inkas that es der König selbst; doch war die Einwilligung der Eltern zur Wahl erforderlich. Jedes neue Ehepaar erhielt ein Haus und ein Stück Land und einen fernern Theil für jedes Kind, für Söhne aber zwei Theile. Vielweiberei war ein Vorrecht des Adels. Das Harem des Königs wurde aus den Schönsten der »Sonnenjungfrauen« rekrutirt, welche sich im übrigen bei Todesstrafe kein Liebesverhältniß zu schulden kommen lassen durften und in Klostergebäuden streng abgeschlossen dem Sonnen- und Tempeldienste lebten. War der Herrscher der Auserwählten überdrüssig, so wurden sie als »Bräute des Inkas« nach Hause gesandt und blieben allgemein geachtet. Prescott, Geschichte der Eroberung von Mejiko. – Derselbe, Geschichte der Eroberung von Peru.

In diesen Verhältnissen spielt ein Drama, verfaßt in der Quechua-Sprache Perus und in mehrere europäische Sprachen übersetzt (zuerst 1837 bruchstückweise und 1858 vollständig spanisch, 1876 und 1878 deutsch u. s. w.). Allerdings drängt die kunstvolle Form mancher Theile dieses Dramas, es drängen die Eigentümlichkeiten mancher spielender Charaktere, wie auch manche ausgesprochene Ansichten dem unbefangenen Leser den Verdacht auf, daß Landsleute und Kenner eines Lope de Bega und Calderon de la Barca an dem Werke gefeilt haben mögen; im übrigen aber spricht das Quechua-Original und es sprechen echt peruanisch-heidnische Anschauungen für die Entstehung des Stückes geraume Zeit vor der spanischen Eroberung. Das Stück hat folgenden Inhalt:

 

Ollanta, der Titelheld, Feldherr des Inka Patchakutek, von »bürgerlicher« Abkunft, hat die Tochter dieses Sonnensohnes zur heimlichen Ehe gewonnen, und die Mutter, die Gemahlin des Inka, hat diesen alles Gesetz beleidigenden Bund heimlich begünstigt und bestätigt. Ollanta schickt seinen Diener, eine Art von spanischem Grazioso ab, um sein Weib, welches noch im Sonnentempel als Priesterin und als vorgebliche Jungfrau lebt, zu grüßen. Der Oberpriester, der das Ehegeheimniß aus dem Monde gelesen, tritt aus dem Tempel und warnt Ollanta, daß er das Verhältniß zu Coyllur (»schöner Stern«) fortsetze, da sie des Inka Tochter sei, der ihn von Kindheit an gepflegt, erzogen und trotz seiner niedern Abkunft zum Feldherrn befördert habe. Ollanta ist zerknirscht, kann aber an der festgeschlossenen Ehe nichts mehr ändern. Indeß beschließt er, dem Inka alles zu gestehen und an sein väterliches Wohlwollen zu appelliren. In ihrem Gemache sitzt Coyllur weinend, die Mutter tröstet sie vergebens. Der Inka-Vater kommt, ist über den Kummer seiner Tochter selbst bekümmert und sucht sie durch Tanz und Gesang zu zerstreuen. Umsonst. Der Text der Gesänge erinnert sie nur noch lebendiger an ihre unglückliche Liebe zu Ollanta. Der Inka ist mit seinen beiden Feldherren allein und beräth einen Kriegszug gegen die rebellischen Antis. Ollanta gesteht ihm seine Liebe zu Coyllur und erinnert ihn an die Thaten, die er für des Inka Thron gethan. Der Inka wüthet, heißt ihn sein Auge meiden und steckt seine Tochter in die Haft eines Klosters der Sonnenjungfrauen, damit sie für die Erde verschwunden sei. Jetzt wird Ollanta zum Empörer und zum Anführer des Rebellenstammes. Er verschanzt sich auf einer Gebirgsfeste und läßt sich zum Inka krönen. Darüber stirbt der alte Inka; sein Herz ist gebrochen über der mißrathenen Tochter und dem Undanke seines Pflegesohnes. Zwölf Jahre vergehen (die Lücke erinnert an das »Wintermärchen«). Das Kind Coyllurs und Ollantas ist mittlerweile im Hause der »auserwählten Jungfrauen« erzogen worden, freudelos von einer tyrannischen Matrone gequält. Diese Perdita heißt Ima Sumak (»wie so schön!«). Auf dem Inkathrone ist der Sohn des Patchakutek, also der Bruder Coyllurs und Onkel der Ima Sumak, gefolgt, ein rauher und roher Tyrann, der nichts eiliger zu thun hat, als den Empörer Ollanta in seinen Bergen aufzusuchen und den abgefallenen Stamm wieder zum Gehorsam zu zwingen. Ima Sumak, das elfjährige Kind, hört eines Tages, vom Garten ihres Klosters aus, das Klagen eines Weibes hinter den Mauern: sie erfährt von ihrer Hüterin, daß dort eine vornehme Frau eingekerkert sei, dringt in das Verließ und findet Coyllur an Ketten in Ohnmacht. Beide erzählen sich ihr Geschick, und als Ima Sumak ihren Namen nennt, erkennt die Mutter in der süßen Taube ihre eigene Tochter. Zum Inka kommt ein Bote und meldet den siegreichen Ausgang der Expedition gegen Ollanta. Dieser wird mit anderen Rebellen ihm vorgeführt. Alle werden erst zum Tode verdammt, aber plötzlich – und hier versagt die psychologische Wahrheit des peruanischen Dramas vollständig – begnadigt der barbarische Inka den Ollanta, macht ihn neuerdings zum General, untergiebt ihm eine Provinz und ernennt ihn zum Mitregenten. In diese Scene tritt die jammernde Ima Sumak, die den Inka um Erbarmen fleht für ihre gefangene Mutter. Der Inka begiebt sich mit allem Gefolge zum Kerker. Die alte Quälerin Imas gesteht dem Herrscher, es sei seines Vaters Tochter und seine Schwester Coyllur, die der Inka längst todt und begraben wähnt. Natürlich vereint er sie dem Ollanta, und das Drama schließt zu allseitiger Befriedigung der Zuschauer, für die es bestimmt war.


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