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V. Die Germanen

1. Die Frauen der Sage.

Indem wir die Alpen überschreiten und den von den Römern nichteroberten Theil Europas betreten, stoßen wir auf unsere Stammesgenossen, die sich über unser Deutschland und die nördlich davon zwischen Nord- und Ostsee ausgestreckten Halbinseln und Inseln Skandinaviens verbreitet haben. Nur in der Zeit ihres Heidenthums besaßen die Germanen eine eigenartige Kultur; seit der großen Völkerwanderung und der Annahme des Christenthums sind sie mit den übrigen Völkern Mittel- und West-Europas zu einem gemeinsamen Kulturkreise verwachsen.

Die Germanen hatten in vorchristlicher Zeit eine ihnen gemeinsame und von den Glaubensformen aller anderen Völker abweichende Mythologie. Einer der schärfsten Unterschiede in dieser Beziehung war der, daß von den beiden für die Erde glänzendsten Weltkörpern die Sonne weiblich und der Mond männlich gedacht wurde, wovon bei allen anderen Kulturvölkern, namentlich des europäischen Südens, das Gegentheil der Fall war. Wir wollen nicht untersuchen, ob dies daher rührt, daß im kältern Norden die Sonnenwärme etwas willkommenes ist und daher dem sanftern weiblichen (der kalte Mond dagegen dem härtern männlichen) Geschlechte zugeschrieben wurde, während im Süden die Tageshitze leicht lästig, ja gefährlich wird und daher Attribut des wehrhaften Mannes (wie der sanfte Mondschein das des wehrlosen Weibes) wurde. Umgekehrt ist in Norden der Tag männlich und die Nacht weiblich. Beide Verhältnisse aber zeigen, wie sehr bei den Germanen schon frühe die gesellschaftliche Gleichstellung beider Geschlechter und die Theilung der Macht zwischen ihnen gediehen war, indem die öffentliche Wirksamkeit auf die Männer beschränkt, der Vorzug in der häuslichen aber den Frauen eingeräumt wurde. Mond und Sonne wurden oft als Mann und Frau gedacht, und noch in christlicher Zeit wurden sie »Herr Mond« und »Frau Sonne« genannt, von deren gegenseitigen Beziehungen unsere deutschen Volkssagen viel zu berichten wissen. Näheres in des Verfassers »Deutsche Volkssage«, 2. Aufl., Wien 1879, S. 29 ff. Oft aber auch weiß die Sage von ihrer Feindschaft zu erzählen. Da indessen die weibliche Sonne und der männliche Mond als kräftiges Weib und schwächlicher Mann etwas unwillkürlich Komisches haben, so fehlt es auch dem Norden nicht an Spuren von Sonnengöttern und Mondgöttinnen, denen wir weiterhin begegnen werden.

In der Verpersönlichung der Naturerscheinungen geht aber die Volkssage weiter; sie kennt neben dem Wind auch eine Windin, wovon wohl der Ausdruck »Windsbraut« kommt. Die Windin, heißt es in der Volkssage, ist verliebter Natur, sie reißt Männern den Hut vom Kopfe und führt ihn fort, daß sie ihm nachlaufen müssen; sie ist eine Hexe und hält es mit den menschlichen Hexen. Der Wind dagegen hat es auf die Weiber abgesehen und treibt Unfug mit ihren Haaren und Röcken. Meist aber bilden Frauen und Mädchen das holdere Element der Sage; sie sind in enger Verbindung mit den Blumen, hüten Schätze von Gold und Silber in den Höhlen oder Burgruinen, sind unschuldig verfolgt oder verwünscht, oft in Gestalt garstiger Thiere, wie Spinnen, Kröten, Schlangen, Drachen, und können nur durch schwierige Proben des Muthes ihrer Verehrer erlöst werden. Daß weiße Tauben Bilder der Seele und zugleich oft verwandelte Jungfrauen sind, ist ein schönes Zeugniß der Werthschätzung des »Ewig-Weiblichen«. Böse Weiber dagegen (z. B. Hexen) verwandeln sich in Elstern, Eulen, schwarze Katzen u. s. w.

Hat schon diese Verquickung von Thier und Mensch etwas Dämonisches, so tritt letzteres noch deutlicher hervor in den Fabelwesen von vorherrschend menschlicher Gestalt, aber dämonischem, in das Pflanzen- oder Thierreich oder die sonstige Natur hinüberspielendem Charakter. Ganze Dämonenklassen sind vorwiegend oder auch in sämmtlichen Gliedern weiblich gedacht, und stellen in rührender Weise das sanfte, hingebende, furchtsame, oft aber auch rachsüchtige Wesen des Weibes dar. In der Klasse der Nixen, in denen wohl die Wasserwogen oder die im Wasser sich spiegelnden Sterne lebendig geworden, erscheinen selten Männer, fast immer wunderschöne Mädchen und Frauen, denen aber etwas dem Menschen Fremdes anhaftet. Sie haben, heißt es, keine Seele, fühlen sich aber eben so sehr zu schönen Menschenjünglingen hingezogen, wie diese zu ihnen, leiden jedoch an sehnsüchtigem Heimweh nach der kühlen blauen Fluth, in die sie die Geliebten eher hineinziehen, als daß sie ihnen aus derselben auf das trockene Land folgen. Sie verstehen sich auf das Wahrsagen, auf Gesang, Saitenspiel und Tanz, wie auch auf das Waschen, das sie oft für Menschen besorgen. Oft aber sind sie den Menschen feindlich, verfolgen und tödten sie sogar, während sie umgekehrt, wenn ihre Liebe zu Menschen entdeckt wird, des Todes durch ihre Väter gewiß sind, so daß sich dort, wo sie hausen, das Wasser blutroth färbt! Endlich verschwinden sie spurlos, wenn ihre wahre Natur von den Menschen entdeckt wird. Den Fischschweif, den ihnen die keltische Sage leiht, haben sie in der deutschen Sage verloren und sind ganz menschenähnlich.

Ebenso vorherrschend weiblich erscheinen die Walddämonen, unter denen die Wald-, Holz- und Moosweibchen äußerst zarte Wesen (die Seelen der Bäume) sind, die von den »Holzhetzern« aus dem Gefolge des wilden Jägers (d. h. den Stürmen) wüthend verfolgt, ergriffen und zerrissen werden, aber auch sterben, wenn man Bäumchen schält, ausreißt oder sonst mißhandelt. In Tirol heißen sie »Selige« oder »Heilige« und sind den Nixen ähnlich. Derber sind die »witen Wiwer« (weißen Weiber) in Norddeutschland und Dänemark, riesig und häßlich die wilden Weiber in Böhmen. Unheimlich ist auch die Roggenmuhme oder Weizenmutter, die in den Getreidefeldern spukt.

Die Weiber der Zwerge, dieser Geister des Gebirges, dessen verborgene Schätze sie vorstellen, heißen auch Erdweibchen; sie lassen sich weit seltener sehen als ihre Männer. Bisweilen aber dienen sie den Menschen als Hebammen, Mägde oder Spinnerinnen, und bisweilen schließen sie gleich den Nixen, Liebesbünde mit den Menschen; werden solche von ihren Angehörigen entdeckt, so schießt ein Blutquell aus dem Felsen.

Aehnlich verhält es sich mit den Riesinnen, die hinter den Riesen sehr zurücktreten, gleich diesen aber kraftvoll, ungeberdig und unbändig sind. Besonders bekannt ist die Sage von der Riesentochter auf Nideck im Elsaß.

Von anderen Dämonen kennt die Volkssage schauerlicherweise neben dem personifizirten Tod auch eine Todin, die mit Rechen und Besen zusammenkehrt, was der Tod mit der Sense niedergemäht hat. Ferner die häßlichen Truden, die den Menschen im Schlafe drücken, während die schönen Nachtmaren, die an die indischen Apsaras (oben S. 84) und persischen Pairikas (S. 99) erinnern, schöne Jünglinge besuchen, sich mit ihnen vermählen, aber wieder entfliehen, wenn sie nicht durch Zaubermittel festgehalten werden. Vergl. kulturgeschichtliche Skizzen S. 191.

Haben nun schon diese nächtlichen Wesen Bezug auf den Mond, so tritt solcher noch deutlicher hervor in den Gruppen dreier Wesen, und zwar weiblicher, welche an die drei sichtbaren Gestalten des Trabanten der Erde anklingen. Ungemein häufig sind in den deutschen Volksmärchen drei Schwestern, von denen eine (der Vollmond) die beiden anderen (zu- und abnehmender Mond) überstrahlt. Die älteste Gestaltung dieser Gruppe ist wohl die der Nornen oder Schicksalsgöttinnen, die den griechischen Moiren und römischen Parzen entsprechen. Ihr Spinnen und Abschneiden des Lebensfadens ist im jüngern Märchen zu den mehr komischen Gestalten dreier Spinnerinnen abgeschwächt, an deren Stelle oft drei Sängerinnen oder in christlicher Zeit drei heilige Jungfrauen treten; ja es kommt vor, daß die vergessenen Nornen zu »Nonnen« werden oder Majen (Marien) heißen. Verwandt mit den Nornen sind, mit besonderm Bezuge auf den Krieg, die nordischen Walküren, in Deutschland Idisi, welche nach dem ersten Merseburger Zauberspruch in drei Gruppen die Gefangenen in Fesseln legten, das Heer der Feinde aufhielten und die gefangenen Freunde befreiten. Weinhold, die deutschen Frauen in dem Mittelalter, 2. Aufl., Wien 1882, I S. 53 f.

Aus Truden, Nornen und Walküren haben sich, in Vermischung mit den Zauberinnen des klassischen Alterthums, auf der düstern Seite die Hexen, auf der freundlichen die Feen des Mittelalters entwickelt.

Eine höhere Entwickelungsform der heidnischen Religion als die reinen Naturwesen und die dämonischen Gestalten sind die Götter und Göttinnen, bei den Nordgermanen Asen und Asinnen genannt. Dem männlichen Prinzip des Himmels stand auch bei sämmtlichen germanischen Völkern das weibliche als Erde gegenüber. Die Erde, die Quelle aller Fruchtbarkeit, ist auch ihnen die Mutter aller Wesen. Die Quelle, aus welcher alle weiblichen Gottheiten der Germanen entsprungen sind, ist Hel (daher Hölle, von hilan, hehlen, verbergen), die verborgen wirkende Mutter alles Lebens, das aus ihr hervorgeht und zu ihr zurückkehren muß. Als sie mit der Zeit in verschiedene Gestalten auseinanderfiel, wurde ihr Name zur Bezeichnung ihres letzteren Charakterzuges, als Göttin des Todes und der Unterwelt. Näheres Deutsche Volkssage S. 548 ff. Ihre freundliche Seite (die Vegetation) wird im Volksmärchen zur guten verstorbenen Mutter, ihre düstere (das Todtenreich) zur schlimmen Stiefmutter, welche Charaktere sich in der guten und bösen Tochter (z. B. Goldmarie und Pechmarie) widerspiegeln. Die dem Römer Tacitus bekannten Germanen nannten sie Nerthus, nach anderer Leseart Ertha (Erde); beide Namen lebten in der nordischen Jördh, der ersten Gattin Odhins fort. Die letztere heißt auch Frigg, von welcher sich mit schwacher Veränderung des Namens Freyja, die Göttin der Anmuth (wieder die heitere von der düsteren Seite) abzweigte. Von Frigg, der »vornehmsten der Asinnen«, wird in der Edda gesagt, sie wisse aller Menschen Geschick, sage es aber niemandem voraus. Ihre Mutterliebe zeigt die Bezeichnung Baldurs als »Friggs einzige Freude«. Freyja ihrerseits wird die herrlichste der Asinnen und die vornehmste nach Frigg genannt. Sie hat viele Namen, weil sie sich oft andere gab, als sie zu unbekannten Völkern fuhr, um ihren Gatten Odhur zu suchen, der eine Abzweigung von Odhin ist, wie sie von Frigg. Er verschwindet und Freyja weint ihm goldene Thränen nach. Sie ist die Schenkin der Asen, – Beweis dafür, daß sie ursprünglich die Hausfrau in Asgard war.

Da der oberste Gott nicht nur den Himmel, sondern auch den Tag vertritt, so ist die Erdgöttin auch Nachtgöttin. In dieser Gestalt nimmt sie die deutsche Volkssage stark in Anspruch. Sie heißt in verschiedenen Gegenden unseres Landes Holda (Holle, auch Hulda), Berchtha, Herka (Herke), Selga, Gode u. s. w., unter welchen Namen sie zu gewissen Zeiten (meist in den »Zwölften«, d. h. von Weihnacht bis Dreikönige) als Spinnerin nächtliche Umzüge hält. Als Frau Venus spukt sie im Hörsel- und im Inselberg, als weiße oder schwarze Frau in verschiedenen Schlössern.

Als Fria hat im zweiten Merseburger Zauberspruche die genannte Göttin mit ihrer Schwester Volla (Vollmond?) und neben ihnen Sunna (Frau Sonne) mit ihrer Schwester Sinthgunt, als Gefolge Wodans, den Beruf, Wunden zu heilen.

Im nächtlichen Gefolge Wodans, der wilden Jagd oder dem wüthenden (d. h. Wuotans) Heere, haben die Frauen keine Stelle; dagegen werden sie von ihm einzeln nach dem Todtenreiche entführt; die neuere Gestalt dieser Vorstellung ist die Lenorensage.

Im Norden sind die Asinnen (meist Gattinnen der Asen) zu der stattlichen Zahl von Zwölfen angewachsen, die aber verschieden aufgezählt werden.

Unter ihnen sind, bei der dunkeln Sprache der Eddalieder, ausgeprägte Charaktere nicht zu finden. Nach Frigg und Freyja, die bereits erwähnt sind, werden genannt: Saga, deren Name wohl auch ihre Bedeutung ausdrückt, Eira, die beste der Aerztinnen, Gesion, die Beschützerin der unvermählt Sterbenden, Fulla (Volla), die Friggs Schmuck hütet und mit ihr Rath pflegt, Siöfna, die Erweckerin der Liebe, Lofna, die Stifterin der Ehen, Wara, die Wächterin über Eide und Verträge, Syna, die Thürhüterin der Götterburg und die Beschützerin der Schuldlosen, wie Hlina, diejenige der von Gefahr Bedrohten u. s. w. Iduna, die Gattin Bragis, verwahrt die Aepfel, welche die Götter genießen sollen, wenn sie altern, und von denen sie wieder jung werden. Nanna, die Gattin Baldurs, stirbt vor Schmerz über seinen Tod und wird mit ihm in Hel vereint. Gerda, eine Riesentochter, erweckte Freyrs Liebe, der einst vom Himmelssitze aus die Welt betrachtete, und alles leuchtete an ihr; er sandte den Skirnir aus, um sie zu werben, und gab ihr sein Schwert dafür, das von selbst focht. Nur Drohungen des Boten vermochten den stolzen Sinn der Riesentochter zu beugen.

Von den Asen wurde die Entstehung der Familie und der Stände abgeleitet, und zwar von Heimdall, der unter dem Namen Rigr die Erde durchwandert, in drei Besuchen bei drei Ehepaaren verschiedenen Standes. Ai und Edda (Urgroßvater und Urgroßmutter) heißen die Ahnen des Sklavenstandes. Ihr Sohn, Thräl (Knecht), schwarz von Haut, rauh an Gliedern, krumm an Rücken, freit die häßliche Dirne Thyr; sie leben knapp, misten Aecker, mästen Schweine, hüten Geißen und graben Torf. Von Afi und Amma (Großvater und Großmutter) stammen die freien Bauern. Ihr Sohn Karl (Mann) und sein Weib Snör (Schnur, Schwiegertochter) schauen frisch in die Welt, bauen ein Haus; der Mann zähmt Stiere, führt den Pflug und fertigt Wagen. Fadir (Vater) und Modir (Mutter) endlich gründen den Adel; sie arbeiten nicht; er sorgt für Pfeil und Bogen und sie, weiß wie Schnee, für das gute Sitzen des Kleides und für die schöne Herrichtung der Tafel. Ihr Sohn heißt Jarl (Fürst) der früh das Waffenführen, die Jagd und den Kampf, Schwimmen und Spiel erlernt, und seine Braut ist Erna, die »adliche, artliche, gürtelschlanke«.

Das jüngste Stadium des Heidenthums giebt sich in der völligen Verwandlung der Götter in Menschen kund, in welcher sie jedoch noch Spuren ihrer Göttlichkeit als Helden und Heldinnen bewahren. Dieselben sind Söhne, Töchter oder sonstige Abkömmlinge der Götter; ihre Herkunft ist dunkel und geheimnißvoll; sie wachsen oft, gefangen, verkannt oder hintangesetzt, im Verborgenen auf, weil Sonne und Mond, die sie bedeuten, aus der Nacht hervorgehen. Durch ihre Tapferkeit treten die Helden, durch ihre Schönheit die Heldinnen in die Welt hinaus, und ihre Liebe wird durch Glück belohnt, oft aber durch einen frühen Tod (Untergang der Gestirne) grausam geknickt. Ein goldener Stern auf Stirne oder Brust verräth ihre wahre Bedeutung; die Unverwundbarkeit bis auf eine schwache Stelle ist ein anderes Kennzeichen der Göttlichkeit. Mit der Zeit sind die Erzählungen von diesen Göttersöhnen und ihren Heldinnen zu Romanen ausgeschmückt worden. Ehe es so weit kommt, sind die Heldinnen der Edda knapp und nebelhaft geschildert, eigentlich nur angedeutet. Sigrun ist eine Walküre, die, einer verhaßten Ehe zu entgehen, Helgi dem Hundingstödter ihre Liebe schenkt, nach der er sich längst gesehnt und, durch Luft und Meer reitend, die Schiffe des ruhelosen Wikings vom Untergange rettet. Ihre Sippe bekämpft ihn, er erschlägt im Streite ihren Vater und wird nach Jahren aus Blutrache durch den Schwager Dag gefällt. Sigrun verflucht den Bruder und verschmäht seine Sühne. Dann erfährt sie, daß der todte Helgi zum Grabhügel reitet, eilt dahin und kost mit dem Lebend-Todten, stirbt aber bald, und beide werden wiedergeboren. Ueber alle Heldengeschichten aber hat an Erhabenheit der Sagenkreis von dem Sonnenhelden Sigurd (Sigfrid) und seiner in doppelte Gestalt zerlegten Geliebten (Brunhild und Kriemhild) durch Jahrhunderte hin bei allen germanischen Stämmen von der Donau bis Island hervorgeleuchtet.

2. Die Frauen der Geschichte.

Völlig verschmolzen ist indessen das Göttliche mit dem Menschlichen erst in den der Wirklichkeit angehörenden Seherinnen. Eigentliche Priesterinnen konnten die Germanen nicht haben, weil im Staate Könige und Beamte (Richter), in den Häusern aber die Väter Priester waren. Ein markerschütterndes Vorbild einer Seherin läßt das erste Werk der altern Edda, die Wöluspa, in der Unheilsprophetin Wala zu Odhin sprechen. In die Geschichte führen uns die Wahrsagerinnen der Kimbrer, weißgekleidete alte Frauen, welche die Kriegsgefangenen über einem ehernen Kessel opferten und aus ihrem Blute weissagten, Strab. VII. 2. während der Schlacht aber durch Trommeln auf die Deckfelle der Wagen einen (wie sie wohl glaubten) zauberhaften Lärm verursachten. Eine spätere Seherin ist bei Tacitus Albruna, von der man jedoch nichts Näheres weiß. Bekannter ist um das Jahr 70 die Bruktererin Veleda, die in einem Thurme, der Menge unsichtbar, wohnte, ihre Orakel durch Verwandte nach außen sandte und durch Geschenke hoch geehrt wurde. Ihr Ende ist unbekannt. Ueberhaupt aber schrieben die alten Deutschen dem Weibe einen heiligen und prophetischen Charakter zu. Tacit. Germ. 8. Die Mittel, durch welche die Seherinnen die Zukunft zu ergründen suchten, bestanden im Werfen geschnittener, mit Zauberzeichen (Runen) beritzter Holzstäbchen, Weinhold, die Frauen I. S. 65 f. deren Bedeutung sie unter Gebeten auslegten. Das Einritzen der Runen sollte weiterhin zauberhafte Wirkung haben, z. B. Wunden heilen, Fesseln brechen, Liebe erwecken, Feinde unschädlich machen, Lebensläufe und künftige Ereignisse vorhersagen. Ein böser Zauber konnte aus Haß durch Sprüche und Lieder und das Brauen von Getränken Schaden herbeiführen, z. B. Blendwerke, schlimmes Wetter, Mißwachs, Krankheiten und Tod erzeugen, Menschen in Thiere verwandeln, Todte beschwören. Die Seherinnen reisten im Norden umher und ließen sich zur Ausübung ihres Zaubers in die Häuser rufen. Der Glaube an diese Thorheiten setzte sich zu christlicher Zeit in demjenigen an das Treiben der Hexen fort.

Ein begeisterter und also in gewissem Sinne göttlicher Zug im germanischen Weibe liegt auch in dessen Theilnahme am Kriege nach dem Vorgange der Walküren. Die Mütter, Frauen, Schwestern und Kinder der Krieger hielten sich hinter den Schlachtreihen auf, bei Wanderungen in der Wagenburg, ermunterten die Männer durch Zurufe, warfen sich den Fliehenden entgegen, die sie beschworen, sie vor Gefangenschaft zu schützen, welche sie mehr fürchteten als den Tod, und trieben sie mit ergriffenen Waffen gegen den Feind zurück. Wenn aber alles verloren war, erdrosselten die Mütter ihre Kinder und tödteten sich selbst. Ja viele stritten unter den Männern im Kampfe und fielen auch oft darin.

Im Frieden war das Weib, ungeachtet seiner sittlichen Hochhaltung, in sozialer und rechtlicher Hinsicht durchaus unselbständig und befand sich, gleich dem Kinde, als Mädchen in der Munt (Vormundschaft) des Vaters, als Frau in der des Mannes, als Witwe in der des nächsten Verwandten. Im Vermögens- und Grundbesitze war es wenigstens sehr beschränkt, vom Erbrechte in frühester Zeit sogar ausgeschlossen (später aber immer weniger).

Die germanischen Frauen waren hochgewachsen und kräftig und wurden ihrer Schönheit wegen von den Römern vielfach bewundert. Ihr blondes Haar wurde Mode in Rom. So besang der römisch-gallische Dichter Decimus Magnus Ausonius noch am Vorabend der Auflösung des römischen Reiches in glühenden Farben seine schöne suebische Sklavin Bissula. In der Liebe waren die Germaninnen von der heutigen Auffassung derselben weit entfernt. Auch abgesehen davon, daß sie nicht über sich selbst verfügen konnten, sondern der Vater die Tochter, ohne sie zu fragen, dem Freier vergab, waren sie nicht weichmüthig, sondern stark von Gefühlen, und ließen sich durch unglückliche Liebe nicht aus der Fassung bringen. Ein treffendes Beispiel ist das standhaft und nicht ohne bittere Ironie getragene Schicksal der edeln Ingibjörg, die sich durch die Trennung von ihrem Fridthiofr ebensowenig niederdrücken, wie durch das Glück der Vereinigung mit ihm überheben läßt. Oft freilich siegte treue Neigung und wurde nicht selten durch Entführung an das erwünschte Ziel gebracht, wie das Beispiel des herrlichen Paares Armin und Thusnelda zeigt. In älterer Zeit und noch weit ins Mittelalter hinein herrschte der Glaube an Zaubertränke und andere Künste, durch welche Liebe erweckt werden konnte. Auf die Keuschheit der Frauen wurde das höchste Gewicht gelegt; sie wurde in der ältern Zeit selten verletzt und dann mit harten Strafen gesühnt. Die Ehen wurden meist in reifem Alter geschlossen und trugen daher auch kräftige Früchte. Ehen zwischen Verwandten, mit Ausnahme der auf- und absteigenden Linie, waren nicht verwehrt, sogar zwischen Geschwistern und zwischen Stiefsohn und Stiefmutter nicht immer. Nur selten kam, und zwar lediglich aus Gründen der Machtentfaltung, bei Häuptlingen mehrfache Ehe vor, die z. B. von Ariovist erzählt wird, Tac. Germ. 18, 19. Caes. bell. gall. I. 53. in Skandinavien aber häufiger vorkam. Indessen machten sich auch bei den Germanen die Mächtigen aus dem Halten von unvermählten Nebenfrauen keine Gewissenssache, und zwar noch tief in christliche Zeit hinein.

Der Abschluß der Ehe geschah in der Vorzeit der Germanen durch den Brautkauf. In roherer Zeit wurde durch den »Muntschatz« allerdings die Braut selbst, nach dem Aufkommen gesitteterer Begriffe aber die Munt über sie erworben. Beide Gatten beschenkten dann einander mit Pferden, Rindern und Waffen. In der Hingabe der letzteren an die Braut lag natürlich nur eine symbolische Bedeutung, nämlich die der Annahme der Frau als Genossin des Mannes; es war die Grundlage, aus der sich später die Morgengabe entwickelte. Schröder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, Leipzig 1889, S. 67 f.

Durch die große Völkerwanderung trat auch eine riesige Wandelung in den Sittenanschauungen und Tätigkeiten der Germanen ein, die in nicht geringem Grade auch die Stellung der Frauen beeinflußte und uns weiterhin beschäftigen wird.


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