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Julius Robert Mayer

Bemerkungen über die Kräfte der unbelebten Natur

Annalen der Chemie und Pharmazie, herausg. v. F. Wöhler und J. Liebig vom 31. Mai 1842

Der Zweck folgender Zeilen ist, die Beantwortung der Frage zu versuchen, was wir unter »Kräften« zu verstehen haben, und wie sich solche untereinander verhalten. Während mit der Benennung Materie einem Objekte sehr bestimmte Eigenschaften, als die der Schwere, der Raumerfüllung, zugeteilt werden, knüpft sich an die Benennung Kraft vorzugsweise der Begriff des unbekannten, unerforschlichen, hypothetischen. Ein Versuch, den Begriff von Kraft ebenso präzis als den von Materie aufzufassen, und damit nur Objekte wirklicher Forschung zu bezeichnen, dürfte mit den daraus fließenden Konsequenzen, Freunden klarer hypothesenfreier Naturanschauung nicht unwillkommen sein.

Kräfte sind Ursachen, mithin findet auf dieselben volle Anwendung der Grundsatz: causa aequat effectum. Hat die Ursache c die Wirkung e, so ist c = e; ist e wieder die Ursache einer andern Wirkung f, so ist e = f, usf. c = e = f ... = c. In einer Kette von Ursachen und Wirkungen kann, wie aus der Natur einer Gleichung erhellt, nie ein Glied oder ein Teil eines Gliedes zu Null werden. Diese erste Eigenschaft aller Ursachen nennen wir ihre Unzerstörlichkeit.

Hat die gegebene Ursache c eine ihr gleiche Wirkung e hervorgebracht, so hat eben damit c zu sein aufgehört; c ist zu e geworden; wäre nach der Hervorbringung von e, c ganz oder einem Teil nach noch übrig, so müßte dieser rückbleibenden Ursache noch weitere Wirkung entsprechen, die Wirkung von c überhaupt also >e ausfallen, was gegen die Voraussetzung c = e. Da mithin c in e, e in f usw. übergeht, so müssen wir diese Größen als verschiedene Erscheinungsformen eines und desselben Objektes betrachten. Die Fähigkeit, verschiedene Formen annehmen zu können, ist die zweite wesentliche Eigenschaft aller Ursachen. Beide Eigenschaften zusammengefaßt sagen wir: Ursachen sind (quantitativ) unzerstörliche und (qualitativ) wandelbare Objekte.

Zwei Abteilungen von Ursachen finden sich in der Natur vor, zwischen denen erfahrungsmäßig keine Übergänge stattfinden. Die eine Abteilung bilden die Ursachen, denen die Eigenschaft der Ponderabilität und Impenetrabilität zukommt–Materien; die andere die Ursachen, denen letztere Eigenschaften fehlen–Kräfte, von der bezeichnenden negativen Eigenschaft auch Imponderabilien genannt. Kräfte sind also: unzerstörliche, wandelbare, imponderable Objekte.

[Wir wollen zuerst die Materien zur Aufstellung eines Beispiels von Ursachen und Wirkungen benutzen.] Knallgas, H + O, und Wasser HO verhalten sich wie Ursache und Wirkung, also H + O = HO. Wird aus H + O, HO, so kommt außer Wasser noch Wärme, cal., zum Vorschein; diese Wärme muß ebenfalls eine Ursache, x, haben; es ist also: H + O + x = HO + cal.; es könnte sich nun fragen, ist wirklich H + O = HO, und x = cal., und x = HO, worauf sich aus obiger Gleichung ebenfalls schließen ließe u. dgl. m. Die Phlogistiker erkannten die Gleichung von cal. und x das sie Phlogiston nannten, und taten damit einen großen Schritt vorwärts, verwickelten sich aber wieder dadurch in ein System von Irrtümern, daß sie statt O,–x setzten, also beispielsweise H = HO + x erhielten.

Die Chemie, deren Gegenstand es ist, den zwischen den Materien stattfindenden ursächlichen Zusammenhang in Gleichungen zu entwickeln, lehrt uns, daß einer Materie als Ursache eine Materie als Wirkung zukomme; aber mit gleichem Rechte kann man auch sagen, daß einer Kraft als Ursache, eine Kraft als Wirkung entspreche. Da c = e, und e = c, so ist es naturwidrig, das eine Glied der Gleichung eine Kraft, das andere eine Wirkung von Kraft oder Erscheinung zu nennen, und an die Ausdrücke Kraft und Erscheinung verschiedene Begriffe zu knüpfen; kurz; also: ist die Ursache eine Materie, so ist auch die Wirkung eine solche; ist die Ursache eine Kraft, so ist auch die Wirkung eine Kraft.

Eine Ursache, welche die Hebung einer Last bewirkt, ist eine Kraft; ihre Wirkung, die gehobene Last, ist also ebenfalls eine Kraft; allgemeiner ausgedrückt heißt dies: räumliche Differenz ponderabler Objekte ist eine Kraft; da diese Kraft den Fall der Körper bewirkt, so nennen wir sie Fallkraft. Fallkraft und Fall, und allgemeiner noch Fallkraft und Bewegung sind Kräfte, die sich verhalten wie Ursache und Wirkung, Kräfte, die ineinander übergehen, zwei verschiedene Erscheinungsformen eines und desselben Objektes. Beispiel: eine auf dem Boden ruhende Last ist keine Kraft; sie ist weder Ursache einer Bewegung, noch der Hebung einer andern Last, wird dies aber in dem Maße, in welchem sie über den Boden gehoben wird; die Ursache, der Abstand einer Last von der Erde, und die Wirkung, das erzeugte Bewegungsquantum, stehen, wie die Mechanik weiß, in einer beständigen Gleichung.

Indem man die Schwere als Ursache des Falls betrachtet, spricht man von einer Schwerkraft und verwirrt so die Begriffe von Kraft und Eigenschaft; gerade das, was jeder Kraft wesentlich zukommen muß, die Vereinigung von Unzerstörlichkeit und Wandelbarkeit, geht jedweder Eigenschaft ab; zwischen einer Eigenschaft und einer Kraft, zwischen Schwere und Bewegung läßt sich deshalb auch nicht die für ein richtig gedachtes Kausalverhältnis notwendige Gleichung aufstellen. Heißt man die Schwere eine Kraft, so denkt man sich damit eine Ursache, welche, ohne selbst abzunehmen, Wirkung hervorbringt, hegt damit also unrichtige Vorstellungen über den ursächlichen Zusammenhang der Dinge. Und daß ein Körper fallen könne, dazu ist seine Erhebung nicht minder notwendig, als seine Schwere, man darf daher [auch] letzterer allein den Fall der Körper nicht zuschreiben.

Es ist der Gegenstand der Mechanik, die zwischen Fallkraft und Bewegung, Bewegung und Fallkraft, und die zwischen den Bewegungen unter sich bestehenden Gleichungen zu entwickeln; wir erinnern hier nur an einen Punkt. Die Größe der Fallkraft v steht–den Erdhalbmesser = s gesetzt–mit der Größe der Masse m und mit der ihrer Erhebung d, in geradem Verhältnisse; v = md. Geht die Erhebung d = 1 der Masse m in Bewegung dieser Masse von der Endgeschwindigkeit c = 1, über, so wird auch v = mc; aus den bekannten zwischen d und c stattfindenden Relationen ergibt sich aber für andere Werte von d oder c, mc2 als das Maß der Kraft v; also v = md = mc2; das Gesetz der Erhaltung lebendiger Kräfte finden wir in dem allgemeinen Gesetze der Unzerstörbarkeit der Ursachen begründet.

Wir sehen in unzähligen Fällen eine Bewegung aufhören, ohne daß letztere eine andere Bewegung, oder eine Gewichtserhebung hervorgebracht hätte; eine einmal vorhandene Kraft kann aber nicht zu Null werden, sondern nur in eine andere Form übergehen, und es fragt sich somit, welche weitere Form die Kraft, welche wir als Fallkraft und Bewegung kennengelernt, anzunehmen fähig sei? Nur die Erfahrung kann uns hierüber Aufschluß erteilen. Um zweckmäßig zu experimentieren, müssen wir Werkzeuge wählen, welche neben dem, daß sie eine Bewegung wirklich zum Aufhören bringen, von den zu untersuchenden Objekten möglichst wenig verändert werden. Reiben wir z. B. zwei Metallplatten aneinander, so werden wir Bewegung verschwinden, Wärme dagegen auftreten sehen und es fragt sich jetzt nur, ist die Bewegung die Ursache von Wärme? Um uns über dieses Verhältnis zu vergewissern, müssen wir die Frage erörtern, hat nicht in den zahllosen Fällen, in denen unter Aufwand von Bewegung Wärme zum Vorschein kommt, die Bewegung eine andere Wirkung als die Wärmeproduktion und die Wärme eine andere Ursache als die Bewegung?

Ein Versuch, die Wirkungen der aufhörenden Bewegung nachzuweisen, wurde noch nie ernstlich angestellt; ohne die möglicherweise aufzustellenden Hypothesen zum Voraus widerlegen zu wollen, machen wir nur darauf aufmerksam, daß diese Wirkung in eine Veränderung des Aggregationszustandes der bewegten, sich reibenden usw. Körper in der Regel nicht gesetzt werden könne. Nehmen wir an, es werde ein gewisses Quantum von Bewegung v dazu verwendet, eine reibende Materie m in n zu verwandeln, so müßte m + v = n, und n–m + v sein, und bei der Rückführung von n in m müßte v in irgendeiner Form wieder zutage kommen. Durch sehr lange fortgesetztes Reiben zweier Metallplatten können wir nach und nach ein ungeheures Quantum von Bewegung zum Aufhören bringen; kann uns aber beifallen, in dem gesammelten Metallstaub auch nur eine Spur der entschwundenen Kraft wieder finden und daraus reduzieren zu wollen? Zu Nichts, wir wiederholen, kann die Bewegung nicht geworden sein, und entgegengesetzte, oder positive und negative Bewegungen können nicht = 0 gesetzt werden, so wenig aus 0 entgegengesetzte Bewegungen entstehen können, oder eine Last sich von selbsten hebt.

So wenig sich, ohne Anerkennung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen Bewegung und Wärme, von der entschwundenen Bewegung irgend Rechenschaft geben läßt, so wenig läßt sich auch ohne jene die Entstehung der Wärme erklären. Aus der Volumensverminderung der sich reibenden Körper kann dieselbe nicht hergeleitet werden. Man kann bekanntlich durch Zusammenreiben zwei Eisenstücke im luftleeren Raume schmelzen; man versuche nun, ob man durch den unerhörtesten Druck Eis in Wasser verwandeln könne? Wasser erfährt, wie der Verfasser fand, durch starkes Schütteln eine Temperaturerhöhung. Das erwärmte Wasser (von zwölf und dreizehn Grad Celsius) nimmt nach dem Schütteln ein größeres Volumen ein, als vor demselben; woher kommt nun die Wärmemenge, welche sich durch wiederholtes Schütteln in demselben Apparate beliebig oft hervorbringen läßt? Die thermische Vibrationshypothese inkliniert zu dem Satz, daß Wärme die Wirkung von Bewegung sei, würdigt aber dieses Kausalverhältnis im vollen Umfange nicht, sondern legt das Hauptgewicht auf unbehagliche Schwingungen.

Ist es nun ausgemacht, daß für die verschwindende Bewegung in vielen Fällen ( exceptio confirmat regulam) keine andere Wirkung gefunden werden kann, als die Wärme, für die entstandene Wärme keine andere Ursache als die Bewegung, so ziehen wir die Annahme, Wärme entsteht aus Bewegung, der Annahme einer Ursache ohne Wirkung und einer Wirkung ohne Ursache vor, wie der Chemiker statt H und O ohne Nachfrage verschwinden, und Wasser auf unerklärt« Weise entstehen zu lassen, einen Zusammenhang zwischen H und O einer- und Wasser anderseits statuiert.

Den natürlichen, zwischen Fallkraft, Bewegung und Wärme bestehenden Zusammenhang können wir uns auf folgende Weise anschaulich machen. Wir wissen, daß Wärme zum Vorschein kommt, wenn die einzelnen Massenteile eines Körpers sich näher rücken; Verdichtung erzeugt Wärme; was nun für die kleinsten Massenteile und ihre kleinsten Zwischenräume gilt, muß wohl auch seine Anwendung auf große Massen und meßbare Räume finden. Das Herabsinken einer Last ist eine wirkliche Volumensverminderung des Erdkörpers, muß also gewiß mit der dabei sich zeigenden Wärme im Zusammenhange stehen; diese Wärme wird der Größe der Last und ihrem (ursprünglichen) Abstande genau proportional sein müssen. Von dieser Betrachtung wird man ganz einfach zu der besprochenen Gleichung von Fallkraft, Bewegung und Wärme geführt.

So wenig indessen aus dem zwischen Fallkraft und Bewegung bestehenden Zusammenhang geschlossen werden kann: das Wesen der Fallkraft sei Bewegung, so wenig gilt dieser Schluß für die Wärme. Wir möchten vielmehr das Gegenteil folgern, daß, um zu Wärme werden zu können, die Bewegung–sei sie eine einfache, oder eine vibrierende, wie das Licht, die strahlende Wärme usw.–aufhören müsse, Bewegung zu sein.

Wenn Fallkraft und Bewegung gleich Wärme, so muß natürlich auch Wärme gleich Bewegung und Fallkraft sein. Wie die Wärme als Wirkung entsteht, bei Volumsverminderung und aufhörender Bewegung, so verschwindet die Wärme als Ursache unter dem Auftreten ihrer Wirkungen, der Bewegung, Volumsvermehrung, Lasterhebung.

In den Wasserwerken liefert die, auf Kosten der Volumensverminderung, welche der Erdkörper durch den Fall des Wassers beständig erleidet, entstehende und wieder verschwindende Bewegung, fortwährend eine bedeutende Menge von Wärme; umgekehrt dienen wieder die Dampfmaschinen zur Zerlegung der Wärme in Bewegung oder Lasterhebung. Die Lokomotive mit ihrem Konvoi ist einem Destillierapparat zu vergleichen; die unter dem Kessel angebrachte Wärme geht in Bewegung über. und diese setzt sich wieder an den Achsen der Räder als Wärme in Menge ab.

Wir schließen unsere Thesen, welche sich mit Notwendigkeit aus dem Grundsatz » causa aequat effectum« ergeben und mit allen Naturerscheinungen im vollkommenen Einklang stehen, mit einer praktischen Folgerung.–Zur Auflösung der zwischen Fallkraft und Bewegung statthabenden Gleichungen mußte der Fallraum für eine bestimmte Zeit, z. B. für die erste Sekunde durch das Experiment bestimmt werden; gleichermaßen ist zur Auflösung der zwischen Fallkraft und Bewegung einer- und der Wärme anderseits bestehenden Gleichungen die Frage zu beantworten, wie groß das einer bestimmten Menge von Fallkraft oder Bewegung entsprechende Wärmequantum sei. Zum Beispiel wir müssen ausfindig machen, wie hoch ein bestimmtes Gewicht über den Erdboden erhoben werden müsse, daß seine Fallkraft aequivalent sei der Erwärmung eines gleichen Gewichtes Wasser von null auf ein Grad Celsius. Daß eine solche Gleichung wirklich in der Natur begründet sei, kann als das Resümee des bisherigen betrachtet werden.

Unter Anwendung der aufgestellten Sätze auf die Wärme- und Volumensverhältnisse der Gasarten findet man die Senkung einer ein Gas kompromierenden Quecksilbersäule gleich der durch die Kompression entbundenen Wärmemenge und es ergibt sich hieraus–den Verhältnisexponenten der Kapazitäten der atmosphärischen Luft unter gleichem Druck und unter gleichem Volumen = 1,421 gesetzt–daß dem Herabsinken eines Gewichtsteiles von einer Höhe von zirka dreihundertfünfundsechzig Meter die Erwärmung eines gleichen Gewichtsteiles Wasser von null auf ein Grad entspreche. Vergleicht man mit diesem Resultat die Leistungen unserer besten Dampfmaschinen, so sieht man, wie nur ein geringer Teil der unter dem Kessel angebrachten Wärme in Bewegung oder Lasterhebung wirklich zersetzt wird; und dies könnte zur Rechtfertigung dienen, für die Versuche, Bewegung auf anderem Wege als durch Aufopferung der chemischen Differenz von C und O, namentlich also durch Verwandlung der auf chemischem Wege gewonnenen Elektrizität in Bewegung, auf ersprießliche Weise darstellen zu wollen.

Julius Robert Mayer


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