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Erstes Kapitel
Die Luftfahrt der Yacht Medusa

1.

»Victoria Station, Sir! Drei Shillings sechs Pence, Sir. Danke, Sir. Nichts zurück? Ich danke Ihnen, Sir.«

» All right, Cabby.«

Zwei Herren sprangen vor der Victoriastation in London aus einem Cab, nachdem sie diese Worte mit dem Kutscher gewechselt hatten. Mit ihrem Gepäck in der Hand – ganz unbedeutend, nur eine kleine Reisetasche pro Mann und Kopf – eilten sie in die Bahnhofshalle, wo es schon von Menschen wimmelte. Unter der großen Uhr angelangt, blieben beide wie in einem gemeinsamen Impuls stehen und sahen sich um. Leute strömten an ihnen vorbei; die zwei Herren musterten einige Sekunden lang aufmerksam die Vorbeipassierenden. Plötzlich flüsterte der eine von ihnen seinem Freunde zu: »Da, Lavertisse, da ist er.«

Im selben Augenblick kam ein etwas korpulenter Mann, wie ein Träger gekleidet, auf sie zu. Er machte mit der Hand eine Geste nach der Mütze und zog dann ein kleines Paketchen aus der Tasche, das er dem einen der wartenden Herren hastig überreichte – dem, der vorhin den Kutscher bezahlt hatte.

»Die Schlüssel von Bakers, Professor,« sagte er, »und die Quittung über Ihre Möbel und Wertsachen. Alles ist in guter Verwahrung.«

»Welchen Namen haben Sie angegeben, Graham?«

»Lord Purbrook, Professor.«

Der andere brach in ein Gelächter aus.

»Lord Purbrook! Sie haben wirklich Phantasie, lieber Graham. Gibt es überhaupt einen Lord dieses Namens?«

»Ja, Professor, es ist der geizigste Lord in Irland, und ich bin auf seinem Gut geboren. Er ist siebzig Jahre alt. Der wird uns nicht behelligen.«

»Man kann es wohl annehmen, Graham. Und die Billette für die Medusa für mich und Lavertisse?«

»Liegen obenauf im Paket, Professor. Ihr Gepäck ist schon aufgegeben.«

»Vortrefflich, Graham. Wir sehen uns in einem Monat wieder, oder ich telegraphiere. Adieu inzwischen! Lassen Sie es sich gut gehen!«

Der Herr, den Mr. Graham Professor tituliert hatte, schien im Begriffe, mit diesen Worten zu gehen, als Mr. Graham ihn zurückhielt und mit noch leiserer Stimme sagte:

»Er reist auch heute ab.«

»Wer? Kenyon? Der Detektiv?«

»Pst! Ja, eben er, Professor. Kam an seiner Wohnung vorbei und sah, wie er sich auf den Weg machte. Aber, all right, Professor. Sie haben nichts zu befürchten.«

»Sie glauben nicht, Graham?«

»Nein – und ich muß sagen, es steht Ihnen, das Glattrasierte und das lange Haar. Sie sehen wie ein Opernsänger aus, so wahr ich lebe.«

»Danke für das Kompliment, lieber Graham – und was sagen Sie zu Lavertisse mit blondem Haar? Großartig, nicht wahr ... By Jove! Sie hatten recht, Graham. Da kommt er!«

Die drei Herren unter der Uhr starrten alle plötzlich auf eine der Eingangstüren, in der ein elegant gekleideter rothaariger Herr sich eben zeigte, gefolgt von einem Träger mit einer Menge Gepäck. Ohne die Blicke zu bemerken, mit denen die Gruppe unter der Uhr ihm folgte, ging er auf den Gang zum Perron zu und war bald außer Sehweite. Der Herr, den man Professor tituliert hatte, wendete sich langsam dem Mann im Trägeranzug zu.

»Sie hatten wirklich recht, Graham. Er reist, und mit diesem Zug! Also ist die Luft in London wieder rein ...«

»Gedenken Sie nun zu bleiben, Professor?«

»Eine Idee, Lavertisse! Warum nicht? Trotz all seiner Schnitzer hat er uns doch den Boden recht heiß gemacht ... Jetzt ist die Luft rein. Was meinen Sie, Lavertisse?«

»Ganz wie Sie wollen, Professor. Ich muß nur sagen, daß ...«

»Ja, was denn?«

»Daß es aussehen könnte, als ob Sie sich ... als ob wir uns vor ihm gefürchtet hätten und nur bleiben, weil wir wissen, daß er abgereist ist.«

»Lavertisse, Sie haben wieder einmal recht. Beim Hund, Sie haben recht! Ganz so würde es aussehen! Vor ihm gefürchtet! Leben Sie wohl, Graham, in einem Monat haben Sie von mir Bescheid.«

»Leben Sie wohl, Professor, glückliche Reise!«

Die Gruppe unter der Stationsuhr löste sich auf. Der beleibte Mann im Trägergewand ging mit einem Gruß dem Ausgange zu und verschwand nach Vauxhall Bridge Road. Die beiden Herren, mit denen er gesprochen, blieben noch einen Augenblick stehen, während der eine von ihnen hastig das Paket öffnete, das er eben empfangen hatte. Dann verschwanden auch sie in der Richtung des Abfahrtsperrons für die Züge nach Portsmouth.

Draußen am linken Teil der Portsmouther Reede, gerade vor dem Molo, der von Southsea ausgeht, lag am besagten Tage eine Yacht, deren Name in letzter Zeit nicht selten in der Presse zu lesen gewesen war. Annoncen und Reklamenotizen innerhalb und außerhalb des Textes hatten von der Yacht Medusa und ihrer bevorstehenden Lustfahrt zu erzählen gewußt. Eine neue Idee einer neuen Gesellschaft, sagten die Notizen – eine Art Monte-Christo-Tour zu den Kanarischen Inseln im Herbstnebel; vier Wochen an Bord und inkognito! Erstklassige Küche, erstklassige Weine; erstklassige Einrichtung vom Mastkorb bis in den Kielraum; drahtlose Telegraphie; erstklassige Gesellschaft schließlich, garantiert durch die erstklassigen Preise. Für Vergnügungen an Bord in jeder Hinsicht gesorgt; Bälle mit und ohne Maske, Lektüre, Sport; und vor allem völlige Zwanglosigkeit, gewährleistet dadurch, daß keiner der Passagiere an Bord seinen Namen anzugeben brauchte – nur der Reederei, die ihrerseits dafür garantierte, daß es leichter für ein Kamel war, durch ein Nadelöhr zu gehen, als für einen Unwürdigen, mit der Medusa mitzukommen. Eine Reise inkognito unter solchen Bedingungen, aus Englands Herbstnebeln in den ewigen Sommer der hesperischen Inseln – bedurfte es mehr, um vollkommen glücklich zu sein, so wußten auf jeden Fall die Zeitungsnotizen nichts davon ... Alle Auskünfte, Fahrkarten usw. bei den Reedern Messrs. Finch & Cie, 18 Commercial Road, Portsmouth, sowie ihren Londoner Agenten.

Sechs Tage vorher, am 14. November, war bekanntgegeben worden, daß alle Billette ausverkauft waren, daß die Abfahrt der Yacht aus England für den 20. November nachmittags festgesetzt war und daß Messrs. Finch & Cie (die neugegründete Firma, die das Ganze machte) ihre Gäste an Bord willkommen hieß und ihnen glückliche Reise wünschte.

Eine bezahlte Lustfahrt mit allen Vorteilen einer Privatreise und keiner ihrer Ungelegenheiten – so war die Überschrift dieser letzten Mitteilung.

Am Nachmittag des 20. langten die Passagiere der Yacht Medusa mit dem Mittagszug von Victoria Station an. Bald sah man eine Reihe Jollen sie und ihr Gepäck zu der weißen Lustyacht bringen, auf deren Verdeck ein rotbärtiger, sonnverbrannter, etwas beleibter Mann in Seekapitänsuniform sie begrüßte, wenn sie die Landungstreppe hinaufkamen.

»Guten Tag, Sir! Guten Tag, Mylady! Willkommen an Bord, meine Herrschaften, willkommen an Bord! Mein Name ist Kapitän Broxleigh. Wünschen Sie inkognito zu reisen oder nicht, Sir? Und Sie, Mylady? All right, ganz nach Wunsch, Mylady. Welchen Namen also auf unserer kleinen Lustfahrt?«

Mit dieser Begrüßung, die je nachdem ob die Reisenden mit oder ohne Damengesellschaft waren, variierte, wurden sie von Kapitän Broxleigh empfangen. Jeder gab einen Namen an, den der Kapitän auf einer Karte notierte, worauf er dem Steward zurief:

»Nr. 8–9, John! Mr. und Mrs. Allan Peters. Nr. 2, John! Mr. Eric Doolittle, Einzelpassagier.«

Hie und da kam es vor, daß einer der einlangenden Passagiere dem Kapitän etwas zuflüsterte, worauf dieser nach einem herzlichen Seemannslachen mit einem Theatergeflüster antwortete:

»Ganz unbesorgt, Sir! Alles klar an Bord der Medusa. Ausgewählte Passagiere, wissen Sie? Seien Sie ganz beruhigt über Ihre Wertsachen, behalten Sie sie nur in Ihrer Kajüte. Und ... (die Stimme des Kapitäns wurde noch beruhigender) wir haben einen Inspektor an Bord, Sir! Mr. James Kenyon – kennen Sie den Namen? Feinster Privatdetektiv in London, Sir. Sie sehen ihn da drüben an der Reling, der elegante Herr mit dem roten Haar ... im Vertrauen gesagt, Sir! Unter uns – inkognito an Bord, Sie verstehen, Sir!«

Der Kapitän hatte schon achtzehn der zwanzig Kajütenplätze an Bord der Medusa angewiesen, als an der Landungstreppe eine letzte Jolle anlegte, die zwei Herren mit einigem, aber nicht sehr großem Gepäck brachte. Der eine von ihnen war ein Mann von ungefähr fünfunddreißig Jahren, glattrasiert, mit schwarzen Augen und gewinnenden Gesichtszügen. Als er zufällig den Hut abnahm, konnte man sehen, daß sein Haar lang, aber überaus wohlgepflegt war. Sein Begleiter, dessen Züge übrigens etwas an die seinigen erinnerten, schien ein paar Jahre jünger als er, wenn dieser Eindruck nicht vielleicht durch das lockige blonde Haar hervorgerufen wurde, das seinen Kopf bedeckte.

Der Kapitän, der die beiden Neuankömmlinge gemustert hatte, während sie den Besitzer der Jolle bezahlten, pfiff leise vor sich hin.

»Die zwei letzten Opferlämmer,« murmelte er. »Professor, wie war es doch, und sein Freund. Sehen bei Gott eher wie Schauspieler aus als – – Guten Tag, meine Herren. Willkommen an Bord, willkommen an Bord! Mein Name ist Kapitän Broxleigh. Wünschen Sie inkognito zu reisen oder nicht? All right, ganz wie Sie wünschen. Welchen Namen also Sir, auf der Reise?«

Der Jüngere der beiden Herren – der Blonde – an den der Kapitän diese Frage gerichtet hatte, dachte einen Augenblick nach.

»Morland,« sagte er dann. »Mr. Charles Morland, Kapitän, wenn ich bitten darf.«

» All right, Sir. Und Sie, Sir?«

»Tja, was meinen Sie selbst, Kapitän? Hm, sagen wir vielleicht Mr. James Kenyon!«

Der Kapitän fuhr auf und starrte ein paar Sekunden lang sein Gegenüber durchdringend an. Dann stammelte er:

»Mr. James Kenyon! ... Aber wir haben ja schon einen Mr. James Kenyon an Bord!«

Nun war es an dem neuangekommenen Passagier der Medusa, die Augen aufzureißen. Mit einer Stimme, die er nur schwer beherrschen konnte, wiederholte er mißtrauisch:

»Sie haben einen Mr. James Kenyon an Bord – – was meinen Sie, Herr Kapitän?«

»Was ich sage. Er steht dort drüben an der Reling, wenn Sie es wissen wollen – der elegante Herr mit dem roten Haar. Der berühmte Privatdetektiv aus London, Sir. Sie scherzten wohl mit mir, Sir?«

Die beiden zuletzt gekommenen Gäste des Kapitäns hatten sich wie in einem gemeinsamen Impuls gleichzeitig nach der Richtung umgedreht, die Kapitän Broxleigh angedeutet hatte. Nun wandten sie sich einander zu und betrachteten sich eine gute halbe Minute lang, ohne ein Wort zu sagen. Zum Schluß zuckte der Ältere von ihnen die Achseln und wendete sich mit einem kleinen Lächeln an den Kapitän:

»Sie müssen mein Erstaunen entschuldigen, Herr Kapitän. Das kann man wirklich seltsam nennen. Warum kam mir gerade dieser Name in den Sinn? Ein Mr. Kenyon, der Detektiv ist, an Bord! Weiß Gott, daß ich nie zuvor in meinem Leben von ihm reden gehört habe! Ich habe den Namen direkt aus der Luft gegriffen, Herr Kapitän, ob Sie mir nun glauben wollen oder nicht!«

»Haha! Natürlich, Sir!« Der Kapitän brach über den kleinen Auftritt, den er da verursacht hatte, in ein schallendes Gelächter aus. »Haha! Sie haben den Namen in irgendeiner Zeitung gelesen, Sir! Und nun haben Sie sich daran erinnert, ohne daß Sie es wußten. Das unter ... unter ... wie sagt man doch?«

»Das unterbewußte Gedächtnis, meinen Sie, Herr Kapitän? Sie haben recht. Ich muß den Namen natürlich irgendwo gelesen haben – – na, genug davon, Herr Kapitän! Setzen Sie also John Smith! Oder haben Sie schon andere dieses Namens an Bord?«

Der Kapitän lachte herzlich, und der frischgetaufte Mr. John Smith fuhr etwas langsamer fort:

»Aber sagen Sie mir, Kapitän, ich glaubte, man sei hier an Bord inkognito? Aber es kommt mir vor, als ob Sie nicht gerade – ja, Sie verstehen, was ich meine – nicht gerade ängstlich das Inkognito Ihrer Gäste wahren würden.«

Der Kapitän errötete leicht und beugte sich tiefer über die beiden Herren:

»Nehmen Sie es nicht übel – aber ich war so überrascht, daß ... Und dann ist es auch das, meine Herren, so viele der Gäste haben Schmuck und große Geldsummen mit. Solche Menschen sind immer nervös, Sie verstehen, und da fragen sie mich beständig, ob ich Kassaschränke habe. Natürlich habe ich Kassaschränke, erwidere ich, zu Ihrer Verfügung, aber Sie können ganz unbesorgt sein. Alles klar an Bord der Medusa! Seien Sie ganz beruhigt über Ihre Wertsachen, behalten Sie sie getrost in Ihrer Kajüte – überdies haben wir einen Inspektor an Bord, und keinen Geringeren als Mr. James Ken – –«

»Schon gut, schon gut, Herr Kapitän. Nicht bös gemeint! Hoffe nur, daß unser Inkognito bewahrt bleibt, das ist alles.«

»Auf Leben und Tod!« Kapitän Broxleigh machte eine bekräftigende Armbewegung. »Niemand wird je eine Klage über unsere Reise hören, Gentlemen!«

»Schön, Herr Kapitän. Und die Kajüten?«

»Nr. 10–12, Gentlemen, zwei Kajüten mit Baderaum und eine kleine Kabine. Hallo, John! Nr. 10–12 für Charles Morland und Mr. John Smith!«

Der Kapitän nickte seinen beiden zuletzt gekommenen Passagieren väterlich zu, und während der Steward sich ihrer und ihres Gepäcks annahm, wendete er sich der Treppe zur Kommandobrücke zu.

»Alles klar zur Abfahrt!« rief er dem Maat zu, der oben Wache hielt. Hätte er die Herren Morland und Smith mit dem Blicke verfolgt und es verstanden, von den Lippen abzulesen, so hätte er sehen können, wie Herr John Smith sich über Herrn Charles Morland beugte und flüsterte:

» By Jove, Lavertisse! Kenyon an Bord! Der Mann, der uns ärger zugesetzt hat als die ganze Scotland Yard! Jetzt gilt es, Kopf hoch! Ich prophezeie uns ein interessantes Kreuzen mit der Yacht Medusa.«

2.

Die Yacht Medusa verließ den Hafen von Portsmouth um halb fünf Uhr, gerade als die Novemberdämmerung einbrach. Um halb elf Uhr am selben Abend kamen zwei Herren in weiten Reiseulstern und Sportkappen die Stufen hinauf, die zum Promenadendeck führten. Die Luft war kühl, im Norden verschwamm das Meer in grauem Nebel. Im Osten und Südosten blinkte es in gleichmäßigen Zwischenräumen rot, grün und weiß von den Leuchttürmen an der französischen Küste auf.

Die beiden Herren in den weiten Reiseulstern gingen mit langen Schritten auf dem Promenadendeck auf und ab. Anfangs pafften sie schweigend an ihren zwei Zigarren. Dann blieben sie ganz rückwärts stehen und starrten in das Kielwasser der Medusa.

»Feine Yacht, Professor.«

»Feine Yacht, Lavertisse, das ist sicher. Alles fein an Bord – nicht zum wenigsten die Gesellschaft. Haben Sie gesehen, was für Juwelen einige der Damen exponierten?«

»Ich habe es gesehen. Und ich hatte den Eindruck, daß unser rothaariger Freund es auch sah und sich für den Anblick interessierte.«

»Kapitän Broxleigh? Nun, das ist nicht zu verwundern. Ich kenne ja die Antezedenzien des guten Kapitäns nicht, aber ich glaube wirklich, daß er das erstemal der Chef einer solchen Tour ist.«

»Nun, es ist wohl überhaupt das erstemal, daß eine solche Tour arrangiert wird. Sehen Sie die Leuchttürme dort drüben?«

»In Ihrem schönen Frankreich, Lavertisse! Haben Sie Heimweh?«

»Hm – und Sie, Professor? Aber sagen Sie, sollten wir uns nicht mit den Namen anreden, die wir an Bord haben? Es wäre doch sicherer, da wir –«

»Da wir so remarkable Gesellschaft an Bord haben. Er hat uns ja gar nicht angesehen.«

»Heut abend nicht, aber ... er hat manchmal lange Ohren.«

»Manchmal ja, aber bis hierher reichen sie nicht. Und seine Ohren sind auf jeden Fall nicht so scharf wie Ihre, Lavertisse, wenn Sie es darauf abgesehen haben. Die Geschichte mit der verschwundenen Geldsendung vergesse ich nicht so bald.«

Der angebliche Mr. Smith warf seine Zigarre über Bord.

»Für die Haie,« sagte er. »Sind Sie einmal im Louvre gewesen, Lavertisse?«

»Verschiedene Male.«

»Als Betrachter?«

»Hm, nun, manchmal als Sammler. Keine großen Sachen, natürlich – ein Bellini und ein paar Goldpiècen aus der Zeit Charles IX. Keine schwere Arbeit, muß ich sagen, aber ein schrecklicher Radau in den Zeitungen, als die Geschichte aufkam. Drei Wochen zu spät.«

»Sie sind wirklich ... Nun, ist Ihnen da zufälligerweise ein Bild von Géricault aufgefallen?«

»Groß oder klein?«

»Groß – bedeutend zu groß für einen Sammler wie Sie – das Floß der Medusa.«

»Das! Ja gewiß. Was meinen Sie, Professor?«

»Nichts, nur daß ich hoffe, daß unsere Medusa eine bessere Fahrt haben wird als das Schiff, das Géricault gemalt hat.«

»Ja, was denn? Macht Kenyon Sie doch nervös?«

»Durchaus nicht. Wenigstens nicht augenblicklich. Ein flüchtiger Einfall, weil wir gerade von Frankreich sprachen, vermute ich. Das unterbewußte Gedächtnis, wie sich Kapitän Broxleigh so gelehrt ausdrückte. Trinken wir doch noch einen Grog, bevor wir in die Koje kriechen. Lav ... Morland, alter Junge!«

3.

Zwei Tage nach ihrer Abfahrt aus Portsmouth passierte die Yacht Medusa die Nordwestspitze der Iberischen Halbinsel. Die Fahrt über die Biscayabucht hatte ihrem Ruf alle Ehre gemacht. Das Wetter hatte sich, sowie man südlich von der Bretagne war, unerträglich gestaltet, und an den zwei letzten Tagen war nur ein halbes Dutzend der Passagiere des Bootes unerschrocken genug gewesen, sich auf dem Verdeck zu zeigen. Unter denen, die fehlten, war Herr Charles Morland, der aus der Kajüte Nr. 10 die Luft mit Verwünschungen der Stunde erfüllte, in der er, von Messrs. Finch & Cie verlockt, seinen Fuß an Bord der Medusa gesetzt hatte. Hingegen hatte sich sein Freund, Mr. Smith, keinen Moment von den verschiedenen Einfällen der Biscayabucht imponieren lassen. Kapitän Broxleigh selbst hatte eine tüchtige Extraarbeit gehabt, er mußte von Kajüte zu Kajüte gehen und seinen Passagieren versichern, daß nicht die allermindeste Gefahr sei und das Vergnügen nun bald beginnen würde. Mehrere der Damen an Bord hatten darauf gedrungen, sofort umzukehren und nach Portsmouth zurückzudampfen – der Kapitän war diesen Vorschlägen mit einer Suada entgegengetreten, die eines Cicero würdig war und Herrn John Smith beinahe die Rede verschlug.

Am Nachmittag des 22. war das Wetter wie umgewandelt. Es wurde ruhig, fast windstill; nur schwaches Wellengekräusel deutete an, was dieser Ruhe nach dem Sturm vorangegangen war, und die sanfte Brise, die vom Osten her die Medusa erreichte, brachte Zitronendüfte. Von drei Uhr an begannen sich die Passagiere auf dem Verdeck zu zeigen, mit mehr oder weniger blassen Wangen, streckten sich dann in den breiten Deckfauteuils und ließen sich von der spanischen Sonne bescheinen. Kapitän Broxleigh ging von einem Liegestuhl zum anderen, vor väterlicher Befriedigung strahlend und nach allen Seiten zugleich konversierend.

»Sehen Sie nun, Mr. Doolittle, was Sir? Feines Wetter!«

»Nicht wahr? Tut es Ihnen leid, daß Sie mitgekommen sind? Andere Sonne als in England, oder was meinen Sie, Mrs. Peters? Spüren Sie den Zitronengeruch vom Lande? Hallo, Mrs. Warburton? Wie steht es heute? Was sagen Sie zu dieser Luft? Denken Sie noch daran, mit dem Zug aus Lissabon heimzureisen?«

Man hätte glauben können, daß der gute Kapitän Aktien der Iberischen Halbinsel und ihres Klimas hatte, so enthusiastisch war sein Tonfall.

»Aber glauben Sie, daß wir dieses Wetter behalten, Herr Kapitän?«

»Nein, Mrs. Forster, das glaube ich nicht. Es kommt ein Wetterumschlag, und zwar bald.«

»Aber, Kapitän! Was meinen Sie ... Ein Wetterumschlag schon wieder –«

»Zum Besseren, Madame! Dieses Wetter« – der Kapitän machte eine Handbewegung wie ein Fremdenführer – »ist gut, aber die Kanarischen Inseln! Ah, ich sage Ihnen nur, das ist ...!«

Er hielt inne, außerstande, Adjektive für das Wetter auf den Kanarischen Inseln zu finden.

Um vier Uhr erschien Charles Morland, auf den Arm des Stewards gestützt und nahm auf einem Strecksessel neben seinem Freund Smith Platz, der ihn mit einem Nicken begrüßte.

»Nun, wie steht's, alter Junge?«

Herr Charles Morland installierte sich mit zusammengekniffenen Lippen und vermied es, zu antworten, aber nach zehn Minuten begannen die frische Luft und der Sonnenschein zu wirken. Er streckte sich auf dem Liegestuhl aus und drehte seinem Freunde den Kopf zu. Nachdem er mit einem hastigen Blick die Entfernung zu den nächsten Streckfauteuils abgeschätzt hatte, murmelte er:

»Kenyon sitzt dort drüben, Professor!«

»Ja, allerdings.«

»Hat er – –«

»Nichts. Er hat mich kaum angesehen. Übrigens flirtet er mit der Witwe – Mrs. Forster. Auf einer Erholungsreise läßt er die Geschäfte offenbar zu Hause ... Hallo! Was ist denn das?«

Mr. Smith hatte sich rasch in seinem Satz unterbrochen. Kapitän Broxleigh kam die Reihe der Deckstühle entlang geschritten, sein kupferrotes Gesicht strahlte vor Befriedigung, unter dem Arm hielt er einen Stoß Blätter.

»Zei – ei – tungen!« rief er mit komischer Nachahmung der Aussprache der Londoner Zeitungsverkäufer. »Zei – ei – tungen, Pall Mall Gazette, Evening News, Star, Extra-Ausgabe!«

Alle Passagiere der Medusa hatten sich von ihren Liegesesseln halb erhoben und starrten den wackeren Kapitän an, dessen Antlitz inmitten des roten Bartes, der ihn umgab, wie eine Sonne leuchtete.

»Zei – ei – tungen!« rief er wieder. »Die eigene Zeitung der Yacht Medusa! Drahtlos wie auf den Ozeandampfern, mit Schreibmaschine typiert, meine Herrschaften! Bequem, was, Sir? Allerneuestes aus London – ein Exemplar, Sir? Gratis, Madame, gratis!«

Eine Serie von Lachsalven belohnte die Tirade des guten Kapitäns, und man riß sich so eifrig um das Leiborgan der Yacht Medusa, als wäre es eine Reliquie aus Gutenbergs Offizin, und nicht mit Schreibmaschine typiert. Der Kapitän verteilte die Exemplare mit freigebiger Hand, sorgte dafür, daß niemand leer ausging, und genoß einige Minuten lang seinen Triumph. Plötzlich kam eine Stimme von Herrn John Smiths Sessel:

»Sagen Sie, Herr Kapitän!«

»Bitte, Sir?«

»Wo haben Sie Ihren Drahtlosen?«

»Dort oben, Sir, auf der Kommandobrücke. Sie sehen die kleine Kajüte neben meiner? Das ist der Apparat.«

»Drucken Sie die Zeitung auch da?«

»Ja, gewiß.«

»Wie heißt Ihr Telegraphist, wenn ich fragen darf?«

»Young, Mr. Young.«

»Ißt er nicht mit uns anderen?«

»Nein, Sir, er ißt für sich allein.«

»Für sich allein? Pflegt der Telegraphist nicht mit den Offizieren an Bord zu essen?«

»Ja, Sir, aber Mr. Young – Mr. Young speist für sich, oben in seiner Kajüte.«

»Wohnt er auch dort?«

Es sah aus, als zögerte Kapitän Broxleigh einen Augenblick mit der Antwort.

»Ja, ja, gewiß ... Ich muß mal nach dem Kompaß sehen. Hoffe, Sie finden die Zeitung interessant, Sir.«

Er verschwand mit wiegenden Schritten auf die Kommandobrücke, und die Herren Smith und Morland nahmen die Lektüre des Spezialorgans der Yacht Medusa wieder auf. Die Sonne hatte den westlichen Horizont erreicht und senkte sich nun blutrot durch die leichten Nebelschleier, große rote Flecken zurücklassend, die den Blasen glichen, die nach einem sinkenden Stein emporwirbeln. Es begann etwas kühler zu werden, und die Gäste an Bord der Medusa zogen sich allmählich in die Salons und Kajüten zurück. Schließlich waren nur die Herren Morland und Smith übrig. Herr Smith sah sich um, wie um sich zu vergewissern, daß sie wirklich allein waren, dann sagte er:

»Gehen Sie nicht hinunter, Lavertisse? Es fängt an, kalt zu werden.«

»Gut für den Kopf, Professor. Sind wir allein?«

»Ja, bis auf den Kapitän oben auf der Kommandobrücke.«

»Feine Idee das mit der Zeitung, Professor.«

»Sehr aufmerksam, das muß ich sagen. Viel Neues steht zwar nicht darin ... Hallo!«

Herr Smith war mitten in seinem Satz steckengeblieben und starrte mit weitgeöffneten Augen das Exemplar der Zeitung der Yacht Medusa an, das er in der Hand hielt. Sein Freund betrachtete ihn erstaunt.

»Was ist denn los?«

»Was los ist! Das wollte ich eben Sie fragen. Wo, sagte doch der gute Kapitän Broxleigh, werde diese Zeitung hergestellt?«

»Oben in der Kajüte des Telegraphisten, Professor.«

»Und wie, Lavertisse?«

»Auf der Schreibmaschine.«

»Auf der Schreibmaschine – ausgezeichnet ... Wie wollen Sie dann erklären, Lavertisse, daß diese Zeitung hier gedruckt ist und nie im Leben mit einer Schreibmaschine in Berührung war!«

»Was meinen Sie, Professor? Sehen Sie denn nicht, daß das Schreibmaschinenfarbe ist?«

»Sehen! Ich sehe, daß es wie Schreibmaschinenfarbe ausschaut. Aber ich sehe auch, daß hier unten steht: Gedruckt bei Stodder & Son, Portsmouth. Bitte, sehen Sie doch selbst!«

Herr Morland nahm mit verblüffter Miene die Zeitung, die sein Freund ihm reichte und starrte die Stelle an, auf die dieser wies. Er ließ das Blatt sinken und stieß einen schrillen Pfiff aus.

»Was zum Teufel hat das zu bedeuten?«

»Fragen Sie jemand anderen, Lavertisse! Einen Augenblick, lassen Sie mich Ihr Exemplar sehen!«

Herr Smith riß die Nummer seines Freundes an sich, prüfte sie rasch und machte dann einen Rundgang um das Verdeck, wo er noch zwei oder drei vergessene Nummern des Organs der Yacht Medusa fand. Mit ihnen kehrte er zu seinem Strecksessel zurück und legte sie sämtlich Herrn Morland auf die Knie.

»Bitte, sehen Sie selbst, Lavertisse.«

»Was denn, Professor?«

»Ob Sie an diesen etwas entdecken können.«

Herr Morland untersuchte mit gerunzelten Brauen die Zeitungsnummern, eine nach der anderen.

»Bei Gott, Professor ... was heißt das? Da ist nicht ein einziges Exemplar mit diesem Vermerk außer dem Ihren? Verstehen Sie das? Das muß aus Versehen hineingeraten sein.«

Sein Freund fuhr langsam fort:

»Haben Sie die Länge der Zeitungen verglichen, Lavertisse?«

Herr Morland zuckte zusammen und nahm noch eine Musterung der Exemplare der Zeitung der Yacht Medusa vor, die er zur Hand hatte. Wieder ließ er sie mit einem erstaunten Pfiff sinken.

»Sie haben recht, Professor, Ihr Exemplar ist zwei Millimeter länger als die anderen!«

»Und auf diesen zwei Millimetern steht die Notiz von Stodder & Son. Also, Lavertisse?!«

»Also muß sie bei den anderen mit Absicht abgeschnitten sein.«

»Vermutlich mit der Maschine, wobei meine Nummer durch irgendeinen Zufall unversehrt geblieben ist. Irgendein Versehen bei der Aufstapelung, vermute ich. Und was glauben Sie, ist der Sinn des Ganzen, Lavertisse?«

Die beiden Herren starrten einander schweigend an. Die letzten Strahlen der Sonne flammten einen Augenblick aus einer Wolke eine halbe Meile über ihren Köpfen. Sie erloschen, und eine kleine Abendbrise erhob sich aus dem Atlantischen Ozean.

Plötzlich sagte Herr Morland:

»Aber eine Zeitung eine Woche im voraus zu drucken ... Das ist doch nicht möglich, da müßte man ja ein Prophet sein. Das ist ja die reine Absurdität, Professor!«

»Bah, was steht in den Zeitungen? Das Parlament und ein paar Morde. Das ist keine Kunst, aber ... Entschuldigen Sie mich einen Augenblick.«

Er stand auf und verschwand in der Richtung der Kommandobrücke, auf der Kapitän Broxleigh noch undeutlich sichtbar war. Herr Morland sah ihn die Treppe hinaufgehen, die die Inschrift »Eintritt verboten« zeigte, ein Anruf des Kapitäns ließ ihn stillstehen. Dann folgte eine Konversation von einigen Minuten, wobei der Kapitän verschiedentliche Gesten mit den Armen machte. Dann kehrte Herr Smith mit raschen Schritten zurück.

»Kommen Sie, Lavertisse! Wir dürfen jetzt kein Aufsehen erregen. Gehen wir in unsere Kajüten hinunter!«

»Was ist denn los, Professor?«

»Ich werde es Ihnen sofort sagen. Kommen Sie!«

Herr Morland humpelte, auf den Arm seines Freundes gestützt, davon, aber bedeutend gerader im Rücken, als da er auf das Verdeck kam. Sein Freund führte ihn direkt zu den Kajüten 10-12, schloß die Türe und placierte ihn in einem Fauteuil des diminutiven Salons. Dann zündete er eine Zigarre an und begann mit heftigen Schritten auf und ab zu gehen. Schließlich sagte er mit gesenkter Stimme:

»Was halten Sie von einem Telegraphisten, Lavertisse, der oben in seiner Kajüte wohnt und ißt, der nicht von Fremden gestört werden will und eine Tageszeitung herausgibt, die eine Woche zuvor zu Land gedruckt wird und deren Druckort abgeschnitten ist? Ist das nicht eine Kuriosität? Als ich von Ihnen weg auf die Kommandobrücke ging, war es, um ein Telegramm abzusenden. Ich bekam keinen Zutritt, um den Telegraphisten nicht zu stören. Er arbeite meist nachts, sagte der Kapitän, und schlafe gern um diese Zeit. Der Kapitän versprach, das Telegramm zu besorgen.«

»Existiert dieser Telegraphist überhaupt, Professor?«

»Ja, das ist das Seltsame, Lavertisse. Ich sah ihn mit eigenen Augen – allerdings nur von weitem. Er saß auf einem Sessel am Fenster der Kajüte und schlief. Ich konnte sein Profil ziemlich deutlich sehen. Und das ist es, was die Sache so verdammt – Lavertisse! By Jove! By Jove! Das wäre ... ah, nom d'un miracle!«

»Was? Was meinen Sie?«

»Ich weiß es noch kaum – es war nur so ein Gedanke, der mir durch den Kopf ging. Das unterbewußte Gedächtnis wieder einmal! Was fragte ich Sie doch kürzlich abends, als wir auf dem Verdeck standen?«

»Allerlei, Professor ... Meinen Sie, ob ich im Louvre gewesen bin?«

»Allerdings, und ob Sie ein Bild gesehen haben, das wie hieß?«

»Das Floß der ...«

»Nun, Lavertisse, und wenn ich richtiger gesprochen hätte, als ich ahnte! Die Passagiere jener anderen Medusa litten Schiffbruch und wurden gerettet – aber wir, Lavertisse? Sind Sie bewaffnet?«

»Nein.«

»Ich auch nicht. Und was glauben Sie, wie viele Tausend Pfund an Geld und Juwelen an Bord sind? Wenn die ganze Yacht und die Reise ebenso eigentümlich wären wie der Telegraphist, was dann, Lavertisse?«

»Professor, Sie sind verrückt! Sie sind verrückt! Dieser Kenyon macht Sie nervös!«

»Es ist möglich, daß ich verrückt bin, lieber Freund, aber jedenfalls nicht aus Angst vor Kenyon ... heute abend müssen Sie Ihre Seekrankheit überwinden.«

»Bitte, sprechen Sie nicht davon. Und was wünschen Sie?«

»Sie sollen mich auf einer nächtlichen Expedition begleiten. Ich will durch diesen Telegraphisten, der tagsüber schläft, ein Telegramm abschicken.«

4.

Der Morgen des 23. November 1910 brach mit blendendem Sonnenschein an. Von dem Verdeck der Yacht Medusa zeichneten sich die Küstenberge und Wälder im Inneren des Landes wie ein Rand feiner schwarzer Zäckchen von dem weißflammenden östlichen Horizont ab; schwerer Nachttau lag auf dem Verdeck, ein leiser Wind zerrte an dem Takelwerk – es war ein wunderbar lieblicher Morgen.

Die Uhr zeigte kaum halb acht, als die ersten Gäste der Yacht Medusa auf dem Verdeck zu erscheinen begannen.

»Hallo, Mrs. Warburton, Sie sind aber zeitig auf! Wie geht es?«

»Guten Morgen, Mr. Doolittle. Wie soll man bei einem solchen Klima nicht zeitig auf sein? Goodness, das ist etwas anderes als in England.«

»Wenn ich mir London um diese Zeit denke, Mrs. Warburton!«

»Wenn man aufsteht, ist das Schlafzimmer gelb vor Nebel – Frühstück in einem nebligen Speisesaal – dann im Nebel zur City! ... Guten Morgen, Mrs. Forster, guten Morgen, Mr. Kenyon! Wie steht es? Was sagen Sie zu dieser Sonne?«

»Du meine Güte, wenn man an England denkt! ... Sehen Sie, der Kapitän ist schon auf! Er winkt Ihnen zu, Mr. Kenyon! Guten Morgen, Herr Kapitän.«

Mrs. Dolly Forster packte Mr. Kenyon am Arm und wies auf die Kommandobrücke. Von der aufgehenden Sonne beleuchtet, die seinen Bart so rot wie Barbarossas erscheinen ließ, stand Kapitän Broxleigh mit weitgespreizten Beinen, die eine Hand in der Hosentasche, da. Er lächelte seinen Passagieren so väterlich triumphierend zu, als wäre der wunderbare Sonnenaufgang mit allen Details von ihm eigens für die Lustfahrt der Yacht Medusa bestellt. Er warf dem Maat, der am Steuerruder stand, ein paar Worte zu und kam mit wiegendem Gang die Treppe der Kommandobrücke hinunter.

» Well, Ladies und Gentlemen? Was sagen Sie also zu der Klimaveränderung, von der wir gestern sprachen? Was sagen Sie, Mrs. Forster, Sie hatten doch solche Angst davor?«

»Ach, Kapitän, Kapitän! Ändern Sie das Wetter so oft Sie wollen, wenn Sie es so ändern!«

»Madame, ich bin Ihr Sklave. Nun –« der Kapitän übersah mit raschem Blick die Schar der Passagiere – »fürchte ich leider, werden wir etwas anderes ändern müssen als das Wetter.«

»Das Menü, Kapitän?«

»Nein, Madame, leider nicht das Menü – den Kurs.«

»Den Kurs? Was meinen Sie? Fahren wir nicht nach den Kanarischen Inseln?«

»Lassen Sie mich Ihnen die Sache erklären, meine Herrschaften! Sie wissen, unter welchen Bedingungen Sie alle Billetts für die Medusa genommen haben. Nichts Normales kann etwas daran ändern. Doch jetzt ist etwas Abnormales eingetroffen.«

»Ja, was denn, Herr Kapitän?«

»Krieg, meine Herrschaften. Gestern abend um sechs Uhr hat Deutschland England den Krieg erklärt.«

Es wurde mit einemmal totenstill in dem Kreise, der in dem weißen Morgenlicht Kapitän Broxleigh umringte. Mrs. Forster, Mr. Kenyon, alle, die der Zufall und Finch & Cie an Bord der Lustyacht Medusa zusammengeführt, starrten entgeistert wie Statuen den Kapitän an. Die Yacht wiegte sich leicht auf den Wellen des Atlantischen Ozeans. Einige Sekunden vergingen, ohne daß ein Wort gesprochen wurde – dann brach es los:

»Krieg? Deutschland hat uns den Krieg erklärt? Ist das wahr, Herr Kapitän? Scherzen Sie mit uns? Sprechen Sie! So reden Sie doch, Herr Kapitän! Ist es wahr?«

Kapitän Broxleigh senkte den Kopf wie bei einem Begräbnis und fuhr mit dumpfer ernster Stimme fort:

»Meine Herrschaften, es ist wahr. Heute nacht um halb vier Uhr lief ein drahtloses Telegramm ein, daß das Deutsche Reich uns gestern abend den Krieg erklärt hat. Ich wollte Sie nicht wecken – ich wartete den Morgen ab, um zu hören, was Sie zu sagen haben. Nun also?«

»Aber die Einzelheiten, Kapitän?«

»Ich habe keine Einzelheiten erfahren. Nur eine einfache Mitteilung von Reuter und von meinen Reedern. Wegen Marokko, heißt es.«

»Und woher wissen Sie, daß das Telegramm echt ist?«

»Die Chiffre, Sir. Außerdem habe ich zurücktelegraphiert und Bestätigung bekommen. Hier ist das Telegramm – wollen Sie mit Mr. Young sprechen?«

Wieder wurde es totenstill in dem kleinen Kreis der Passagiere. Der hereinströmende Sonnenschein grub wunderlich tiefe Linien in die Gesichter, die Damen sahen einander an, ausnahmsweise wortlos, und die Herren hatten sich aufgerichtet und blickten auf das Meer. Plötzlich fragte eine Stimme:

»Diese Telegramme – kann ich sie sehen?«

Kapitän Broxleigh überreichte ein paar Papiere.

»Bitte sehr, Mr. Kenyon. Wollen Sie vielleicht mit Mr. Young sprechen?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, rief er: »Mr. Young, kommen Sie herunter!«

Während Mr. Kenyons Augen die Papiere durchflogen, die der Kapitän ihm gegeben hatte, öffnete sich die Türe der Kajüte oben auf der Kommandobrücke und ein junger Mann wurde sichtbar. Der Kapitän winkte ihm, und er eilte die Treppe hinunter.

»Das ist unser Telegraphist, Mr. Kenyon! Mr. Young, von dem ich Ihnen gestern sprach.«

Mr. Kenyon, der nun die Papiere, die der Kapitän ihm gegeben, durchgelesen hatte, betrachtete den jungen Mann forschend.

»Sie sind der Telegraphist hier an Bord?«

»Ja, Sir.«

»Und Sie haben dieses Telegramm empfangen?«

»Ja, Sir, heute nacht, halb vier Uhr. Um vier Uhr telegraphierte ich auf Order des Kapitäns zurück und bekam um halb sieben Antwort. Bestätigende Antwort, Sir. Gestern sechs Uhr abends hat Deutschland uns den Krieg erklärt.«

Wieder herrschte Totenstille in dem Kreise auf dem Verdeck; dann begannen abermals Rufe durcheinanderzuschwirren.

»Was gedenken Sie zu tun, Herr Kapitän? Glauben Sie, daß es ernst ist, Herr Kapitän? Was, glauben Sie, können sie ausrichten? Wir haben doch eine solche Flotte! Die können uns doch nichts anhaben, was?«

Der Kapitän beschwichtigte den Lärm durch eine Geste.

»Meine Herrschaften, ich bin ein gemieteter Mann. Ich habe nur die Order meiner Gesellschaft auszuführen. Sie fragen, was ich tun werde. Ich frage Sie, was wollen Sie, daß ich tue? Die Gesellschaft hat mir aufgetragen, meine Weisungen von Ihnen entgegenzunehmen.«

»Von uns!« Das war wieder Mr. Kenyon. – »Also, vor allen Dingen, sind wir alle beisammen?«

»Ja, Sir, alle bis auf Mr. Morland und Mr. Smith.«

»Wo sind sie?«

»In ihren Kajüten. Mr. Morland erkrankte gleich nach dem Mittagessen, und Mr. Smith in der Nacht. Sein Freund muß ihn mit seiner Seekrankheit angesteckt haben.«

»Ach so!« Mr. Kenyon zuckte die Achseln. »Die kommen also nicht in Betracht. Bleiben wir anderen. Was meinen Sie, meine Damen und Herren?«

Eine Pause entstand. Mr. Kenyon fuhr fort:

»Wir haben drei Möglichkeiten. Entweder die Reise fortzusetzen, als ob nichts geschehen wäre ...«

»Mr. Kenyon, wie können Sie?! Wenn England im Krieg ist!«

»Oder sofort nach England zurückkehren. Oder –« Mr. Kenyon machte eine Pause – »oder nach Lissabon zu fahren und mit der Eisenbahn heimzureisen.«

»Mit der Eisenbahn, wo wir auf der Medusa bezahlt haben?« Das war Mrs. Warburtons Ausruf und ihm folgten ein Dutzend anderer. Warum? Wer weiß, ob wir von Calais aus hinüberkommen? Wer weiß, ob nicht Frankreich gegen uns geht? Mr. Kenyon, warum sollten wir nach Lissabon?«

Mr. Kenyon zuckte die Achseln. –

»Meine Damen und Herren, es wäre eine Möglichkeit, und ich glaubte, Sie darauf aufmerksam machen zu sollen. Ich bin nicht darauf erpicht – das einzige wäre, daß wir so eine Bestätigung des Telegramms bekommen könnten – – –«

»Der Telegraph der Medusa steht Ihnen zur Verfügung, Sir. Ich bin vom E. E. I. Eletrical Engineering Institute. geprüft, Sir.«

Es war die Stimme des jungen Telegraphisten, sie klang ein ganz klein wenig erregt. Mr. Kenyon schüttelte ihm lächelnd die Hand.

»Nichts für ungut,« sagte er. »Also meine Damen und Herren?«

»Nach Hause –«

Das Gemurmel war vielstimmig, und Kapitän Broxleigh verbeugte sich, die Hand an der Mütze.

»Sie haben entschieden, meine Herrschaften,« sagte er schlicht. »Es liegt nicht an mir, daß die Lustfahrt der Yacht Medusa sich so kurz gestaltet hat ... Das Frühstück ist fertig, meine Herrschaften.«

Die Heimfahrt der Yacht Medusa vollzog sich rascher als die Ausfahrt, aber sie wird von den Passagieren in noch treuerer Erinnerung bewahrt. Was die Reise selbst betrifft, so war nichts zu bemerken. Der Wind war günstig. Die Biscayabucht verhielt sich neutral. Kapitän Broxleigh war die Seele des Schiffes. Er eilte von einem Ende zum anderen, stets bereit zu trösten und die Konversation zu beleben, wenn sie einschlief. Telegramme aus England über den so plötzlich erklärten Krieg trafen in gleichmäßigen Intervallen durch Mr. Young ein, der nächst dem Kapitän die Zentralgestalt des Schiffes war. Sie wurden gelesen, wieder gelesen, bis ins unendliche diskutiert, gedeutet und mit ihren Vorgängern verglichen. Die Situation schien zuerst stagnierend, dann drohend; deutsche Torpedoboote wurden östlich von Grimsby bis hinauf nach Edinburgh rapportiert, englische Kreuzer sollten drei davon bei Harwich versenkt haben. Wie würde es gehen? Die Diskussion schwang hin und her, und nur ab und zu einmal in den Pausen kam es vor, daß jemand fragte:

»Wie geht es denn eigentlich Mr. Morland?«

»Noch immer krank,« lautete die Antwort. Der Kapitän schüttelte den Kopf.

»Und Mr. Smith?«

»Auch krank.«

»Aber er war auf der Hinreise doch so munter!«

»Allerdings ... Jedenfalls darf niemand in seine Kajüte hinunter. Der Kapitän bringt ihm selber das Essen – er ist ein Engel. Es wird doch etwas Ansteckendes sein, obwohl sie es geheimhalten.«

Am Vormittag des 24. passierte man die Bretagne. Keinerlei Symptome des Kriegsausbruchs waren zu sehen, weder in Gestalt von Kriegsschiffen, Kanonaden noch sonst etwas. Um halb drei Uhr kam das erste Zeichen, daß man sich England näherte: ein dichter klebriger Novembernebel und ein Thermometer, das auf 38° Fahrenheit sank; endlich um halb fünf Uhr passierte die Yacht Medusa einen noch graueren Nebel im Nebelmeer – die Insel Wight – und segelte in den Hafen von Portsmouth, von dem sie vor fünf Tagen ihre Sonnenfahrt angetreten hatte.

Kaum war man in den Hafen eingelaufen, als Kapitän Broxleigh in Gesellschaft des Telegraphisten Mr. Young von der Kommandobrücke herunterkam.

»Nun, Herr Kapitän?«

»Ich muß ans Land, Sir, ans Land, meine Herrschaften, zum Rapport! Wir sind genötigt, hier draußen zu ankern – wegen des Krieges. Komme im Augenblick zurück, und sonst finden Sie mich bei Messrs. Finch & Cie. Ich werde veranlassen, daß Jollen Sie alle abholen. Adieu unterdessen – leben Sie wohl, Mrs. Warburton! Adieu einstweilen, Mr. Peters. Adieu, Mr. Kenyon! Hoffe, wir treffen uns bald wieder, Sir!«

Mit einem letzten salutierenden Griff nach der Kappe war der treffliche Kapitän in der Jolle, begleitet von seinem Telegraphisten. Die Passagiere an Bord der Medusa winkten ihnen energisch zu. Die ihr Gepäck noch nicht in Ordnung gebracht hatten, begaben sich in ihre Kajüten, um es fertigzustellen. Die anderen maßen das Deck, unablässig nach der Küste starrend, wo man vergeblich nach Zeichen des ausgebrochenen Kriegszustandes auslugte.

So verging eine halbe Stunde, dreiviertel Stunden, und man begann an Bord der Yacht immer eifriger zu debattieren, während die Dämmerung sich zu Nacht verdunkelte; eine Stunde, und die Herren begannen ärgerlich zu werden, während die Damen nervös auf dem Verdeck im Umkreis ihrer Reisetaschen auf und ab wanderten. Endlich, eine Stunde nach Kapitän Broxleighs Abfahrt, wurde das Dunkel von dem Licht einer Signallaterne gespalten, und eine Stimme rief:

»Medusa?! Ahoj, Medusa!«

»Hier! Hier!«

Eine Jolle tauchte aus dem Schatten um den Bug der Medusa auf und glitt ihre Langseite entlang, bis sie die Landungstreppe erreichte. Ein untersetzter Mann in Seemannskleidern sprang an Bord.

»Die Yacht Medusa?« fragte er.

»Was soll das heißen?« Die Ausrufe, die ihn empfingen, waren nicht allzu freundlich.

»Das ist die Yacht Medusa?«

»Nun ja – was in Teu – –«

»Schon gut, Sir. Ist ein Mr. Kenyon an Bord?«

Mr. Kenyon machte einen hastigen Schritt nach vorne.

»Ich heiße Kenyon,« sagte er. »Was wünschen Sie?«

»Ein Brief an Sie, Sir. Bekam ihn von einem Herrn auf dem Kai, Sir. Keine Antwort.«

»Warten Sie, warten Sie ...« Bevor Kenyon das gerufen hatte, war der Mann schon wieder unten in seinem Boot; in ein paar Sekunden war er im Nebel verschwunden, taub für die Zurufe, die ihm von der Yacht folgten.

Die Passagiere scharten sich um den Londoner Detektiv, der im Licht eines der Salonfenster stand, den eben empfangenen Brief in der Hand zerknüllend.

»Was ist denn, Mr. Kenyon? Betrifft es den Krieg? So antworten Sie doch, Mr. Kenyon!«

Weit davon entfernt zu antworten, steckte Mr. Kenyon, einen wunderlichen Laut ausstoßend, den Brief in die Tasche und sprang mit einem Satz über die Stufen zur Kajütenabteilung. Die übrigen Passagiere folgten ihm in bestürztem Gänsemarsch. Sie fanden ihn vor der Türe zur Kajüte Nr. 10, sahen ihn die Türe aufreißen und hineinstürzen, und so viele als konnten, folgten nach. Mr. Kenyon drehte das elektrische Licht auf, und plötzlich erhob sich ein einziger Ruf unsagbaren Staunens von seinen Begleitern.

»Der Kapitän! Kapitän Broxleigh!«

Auf einem Sofa in der Kajüte ausgestreckt lag, gebunden und geknebelt, eine Gestalt, an deren Identität nicht zu zweifeln war. Der rote Bart, das sonnverbrannte Gesicht – – es war der Kapitän. Ein neuer Ruf des Entsetzens erhob sich von den Passagieren:

»Herr Kapitän! Aber, Herr Kapitän!«

Dann trat eine Stille ein, die durch Mr. Kenyons Vorgehen veranlaßt wurde. Er beugte sich über die Gestalt am Sofa, betrachtete sie mit vernichtenden Blicken und brüllte:

»Sie sind Kapitän Broxleigh?! Antworten Sie!«

Dann, sich erinnernd, daß der Mann auf dem Sofa einen Knebel im Munde hatte, riß er diesen heraus und wiederholte seine Frage mit derselben Donnerstimme. Der Mann auf dem Sofa starrte ihn mit glühenden Augen an und zischte schließlich:

»Was machen Sie denn ein solches Geschrei? Sie haben doch die Papiere von dem anderen Hund bekommen! Das ist doch genug.«

Wie vom Blitz getroffen, griff Kenyon sich an die Stirn und stand ein paar Augenblicke stumm da, dann wendete er sich hastig an die übrigen Passagiere.

»Meine Damen und Herren, darf ich Sie bitten, sich zu entfernen? Dies ist eine ernste Sache ... Mrs. Forster, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie noch zwei Sekunden blieben.«

*

Es war um halb sieben Uhr desselben Abends, als Mrs. Dolly Forster ihrer intimen Freundin von der Lustreise Mrs. Warburton folgendes anvertraute:

»Lucy, kannst du dir so etwas denken! – Du weißt ja schon, daß das mit dem Krieg nur ein Bluff war – kannst du dir denken, das Boot war gemietet, um uns alle umzubringen, außer den Kapitän natürlich, den richtigen Broxleigh! Mr. Kenyon weiß nicht, wie viele von der Besatzung in den Plan eingeweiht waren. Dieser Mr. Smith war derjenige, der das Ganze auf irgendeine merkwürdige Weise entdeckte. Er und sein Freund, Mr. Morland (du weißt doch, Mr. Morland, der die ganze Zeit so krank war?), übermannten den Kapitän (den richtigen Broxleigh) und legten ihn in ihre eigene Kajüte, und Mr. Smith verkleidete sich selbst als Kapitän und seinen Freund als Telegraphisten und redete uns ein, der Krieg sei ausgebrochen, nur um uns dazu zu bringen, heimzusegeln – er wußte ja nicht, inwieweit man sich auf die Besatzung verlassen konnte. Als wir glücklich nach Portsmouth gekommen waren, schickte er Mr. Kenyon diesen Brief und ersuchte ihn, den Kapitän zu arretieren. Er schickte ihm auch die Verträge, die der Kapitän mit den Reedern hatte, was sie ihm bezahlen, wenn er uns umbringt (oh, Lucy, denk nur, wenn Mr. Smith nicht gewesen wäre!) und du weißt ja, wie Mr. Kenyon den Kapitän auf dem Sofa in Mr. Smiths Kajüte fand ... Mr. Kenyon sagt, daß dieser Smith ein Verbrecher ist, der Professor Pelotard heißt oder eigentlich Collin, oder wie es nun war, aus Schweden, und sein Freund heißt Lavertisse. Mr. Kenyon war so aufgeregt, daß er kaum wußte, ob er versuchen sollte, diesen Pelotard zu arretieren oder nicht – es ist ein furchtbarer Verbrecher, sagt Mr. Kenyon ... aber denke nur, Lucy, wenn er nicht gewesen wäre!«

5.

Es war ebenfalls halb sieben Uhr an diesem Abend, als zwei Herren in Reiseulstern das Haus Nr. 18 Commercial Road, Portsmouth, verließen. An der Vorderseite des Hauses befand sich ein Schild: Finch & Cie, Seefahrtsagentur; es entlockte den beiden Herren ein Lächeln und einen verständnisvollen Blick.

»Mit knapper Not durchgerutscht, Lavertisse,« sagte der eine von ihnen. »Ja, ja, die Medusa. Was sagte ich von Géricaults Bild?« –

Sie bogen in die Straßen nach Gosport ein. Herr Collin fuhr fort:

»Mit knapper Not! Ich muß sagen, wir haben es fein gedeichselt, diese Nacht, vor Spanien – Kapitän Broxleigh war kein leichter Fall, Sie waren matt von der Seekrankheit, und wir hatten nicht einmal einen Revolver. Nein, aber solche Schurken, und ein solcher Plan! Gold und Juwelen für 40nbsp;000 Pfund an Bord, nach dem was die ehrenwerten Herren Finch und der Kapitän berechnet hatten! Und wir alle ein Fraß für die Haifische, Lavertisse ...!«

»Es war ein reines Wunder, daß Sie es entdeckten, Professor.«

»Die Leute waren zu schlau, Lavertisse. Wäre das mit der drahtlosen Zeitung nicht gewesen! Und der Mannequin im Fenster der Telegraphistenkajüte! Dieser Telegraphist, der bei Tage schlief! Genial und dumm zugleich. Wo wären wir, wenn sie nicht diesen Schnitzer gemacht hätten!«

»Bei den Haifischen, Professor, wie Sie schon sagten. Aber warum, glauben Sie, hatten sie die Zeitung auf festem Lande drucken lassen?«

»Sie hatten wohl keinen Telegraphisten gefunden, auf den sie sich verlassen konnten. Tja, jetzt hat Mr. Kenyon den Ruhm, die ehrenwerte Gesellschaft zu entlarven und zu arretieren. Und was haben wir, Lavertisse?«

»Immerhin ein bißchen was, Professor.«

»Hm, nicht zu viel in Anbetracht dessen, was wir geleistet haben. Die Kontorkasse des Herrn Finch, die wir vor einer Viertelstunde in wohlwollender Weise übernahmen, wies ja kaum vierhundert elende Pfund auf. Und ich fürchte, Lavertisse, daß wir auf keine Medaille der Königlichen Lebensrettungsgesellschaft rechnen können.«


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