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Herr Rosenerz (aus Hamburg?)

»Sie schreiben Geschichten über Monte Carlo?« fragte eines Abends im Juli mein Freund, der Systemspieler, (Jahrgang 1900, England); der Mann der drei unfehlbaren Gewinnmethoden, der die ganze Welt gesehen hat und setzt vorzieht, sie in Monte Carlo an sich vorbeiwandeln zu sehen.

»Ja,« sagte ich, »das tue ich.«

»Und lassen die Leute gewinnen und verlieren«, fuhr er fort. »Es ist ja wahr. Es gibt viele, die ohne Sy –, die leichtsinnig spielen, ohne Ernst. Ja, Gott sei Dank sind sie wohl in der Majorität.«

»Sicherlich«, sagte ich. »Ganz abgesehen von den intensiven, aber vorsichtigen Systemspielern, wo sehen Sie den verzweifelten Spieler mit hohlem Blick und kaltem Angstschweiß, der um Leben und Tod spielt?«

»O, man sieht ihn dann und wann,« sagte mein Freund, »aber nicht so oft in den Spielsälen. Die Dressur hält uns ja mit festem Griff, und Eitelkeit ist eine große Macht. Man will nicht zeigen, was das Fünffrankstück oder der Louis, der auf Schwarz draufging, für einen bedeutet. Aber außerhalb der Säle können Sie die tragische Figur, die Sie beschrieben haben, leicht sowohl zu hören wie zu sehen bekommen. Solange solch ein Mensch da drinnen ist, handelt es sich ihm darum, sich in Schach zu halten; zeigt er zuviel, kann es ihm passieren, daß er die Karte verliert – die schicksalsschwere Karte, die den Eintritt zu dem Hause mit den zehntausend Chancen bedeutet. Es wäre für ihn dasselbe wie für den Opiumraucher die Aussicht, seine Pfeife zu verlieren. Nur daß die Spielleidenschaft ärger ist als das Opiumrauchen. Ich habe beides gesehen.«

»Sie übertreiben«, sagte ich. »Ich glaube trotz allem, was ich in Monte Carlo gesehen habe, daß Sie übertreiben. Ich habe Leute gekannt, die sich Jahr aus, Jahr ein in den Spielsälen aufhalten und normal erscheinen,« (mein Freund betrachtete mich forschend), »und ich habe Leute gesehen, die riesenhafte Summen da drinnen verloren haben. Tag um Tag, ohne daß es zu Tragödien gekommen ist.«

»Es ist möglich,« erwiderte mein Freund, ohne meinen ersten Punkt zu beantworten, »denn es gibt Leute, für die eine Summe, die Sie riesenhaft nennen, weniger als Null ist. Der Russe Stahijew zum Beispiel; haben Sie ihn gesehen? Der riesige Mann, der Zar Peter ähnlich sieht und nach allem, was man erzählt, hier zwölf Millionen verspielt hat.

»Freilich habe ich ihn gesehen. Aber …«

»Abgesehen von ihm und anderen – von mir selbst zum Beispiel, wie ich früher war – haben Sie all diese Spieler später gesehen? Wissen Sie, wohin sie geraten sind? Zumeist weiß man es nicht. Die Viatique und die Zeitungen sind zwei Schleier, die viele Übertretungen hier verhüllen. Die Viatique dadurch, daß sie die Leute lebendig fortschafft und den Totengräbern die Arbeit erspart; die Zeitungen durch ihr Schweigen. Ich könnte Ihnen eine kleine Geschichte erzählen, wenn Sie wollen – obwohl sie nicht sehr für Ihre Sammlung paßt.«

»Tun Sie es, bitte«, sagte ich. »Ein bißchen Cayennepfeffer schadet niemals in exotischen Gerichten.«

Wir saßen auf einer Bank in dem Park oben in Monaco. Uns gegenüber hatten wir die ewigen Berge, die sich samtschwarz gegen den Nachthimmel abzeichneten. Von unserem Gesichtspunkt aus bildeten sie einen riesigen Ringkrater, der ganz Monte Carlo einkreiste. In dem Hafen, der zwischen uns und dem Kasino lag, zitterten tausend Reflexe im Wasser; das Auge des Hafenleuchtturms blinkte rot und stetig. Die Luft war lau und parfümiert wie der Atem einer Südländerin, und stoßweise drangen die Töne des Kasinoorchesters, das im Freien spielte, zu uns herüber. In der Pause, die entstand, ehe mein Freund seine Erzählung begann, glaubte ich die Ouvertüre zu der › Stummen‹ zu erkennen.

»Ich habe schicksalsverfolgte Spieler vieler Nationen gesehen,« sagte mein Freund, »ich könnte fast sagen, aller. Personen, die mit ihrem letzten Geld hierhergekommen sind, um alles auf einen coup zu setzen – akute Fälle; und andere, die längere oder kürzere Zeit je nach der Größe ihrer Kasse spielen, aber nicht aufhören können, solange sie einen Heller haben – chronische Fälle. Die ersteren können jeder Nation angehören; und lassen Sie mich sagen, daß die Ihrige mit vielen Nummern vertreten ist (und natürlich auch chronischen), aber zumeist sind es Deutsche oder Franzosen. Die Russen sind auch nicht zu übersehen. Derjenige, von dem ich Ihnen erzählen will, ist Deutscher oder war es, – ich weiß es nicht, da ich ihn eine Zeitlang nicht gesehen habe. Rosenerz hieß er, so daß er wohl auch Jude war. Eine wunderliche Figur ( a funny animal, sagt mein Freund). Er war dick, rothaarig und hatte einen großen schnaufenden Mund mit gelben Zähnen in dem roten Bart. Und er ging daher, wie man spaßeshalber manchmal als Junge zu gehen pflegte, steckte immer das eine Bein dem anderen in den Weg und grinste den ihm Begegnenden geistesabwesend ins Gesicht. Wo in Deutschland er zu Hause war, weiß ich nicht. Ich glaube, daß Rosenerz aus Hamburg war.

Es sind nun neun Jahre her, seit ich ihn zum ersten Male sah. Er kam auf den Tisch zu, an dem ich stand, und steckte mir seinen schnaufenden Mund in den Nacken, um zu sehen, welche Nummer gekommen war. Er stank nach Bier und Wurst, und ich wandte mich um, um ihn zu ersuchen, ein wenig abzurücken. Er starrte mich bloß mit einem Grinsen seiner graugrünen Augen an, während sein Mund in der Luft schnupperte wie eine Schweineschnauze. ›Schanger‹ rief er und streckte über meine Schulter hinweg dem Croupier eine Banknote hin; ich sah, daß er eine dicke Brieftasche in der Hand hielt. Der Kerl ekelte mich so sehr an, daß ich aufstand und ging; ohne sich ein Jota an meine Grimasse zu kehren, riß er den Stuhl an sich und ließ sich nieder, obwohl eine Dame sich eben setzen wollte. Ich ging zu einem anderen Tisch, kam aber nach einer Weile zurück, von einem unerklärlichen Verlangen getrieben, mehr von dem ekligen Kerl zu sehen. Er saß da mit demselben geistesabwesenden Grinsen und starrte auf den Spieltisch; er hatte wohl viel verloren, dies entnahm ich der Miene des Croupiers. Indessen holte er immer neue Geldscheine aus seiner fettigen Brieftasche und setzte überall, vollkommen sinnlos, auf Nummern, Farben und Transversale, die einander oft aufhoben. Ich betrachtete seine Kleidung, sie war salopp genug, und die Manschetten waren noch schmutziger als seine Hände.

Ich starrte den widrigen Menschen mit seiner schnuppernden Schnauze wohl gute zwanzig Minuten an, und während dieser Zeit verlor er mindestens dreitausend Franks. Dann erhob er sich und stolperte hinaus ins Atrium. Ich folgte ihm, ganz gegen meinen Willen. Ich war vollständig verhext von ihm, wie man es als Junge von einem Lumpensammler und Landstreicher ist. Er bekam in der Garderobe einen alten Chapeau claque ausgefolgt – es war im Juli – und humpelte durch den Eingang hinaus und die Hügel nach Beausoleil hinan. Es begann zu dämmern, und überall saßen die Leute bei ihren Apéritifs. Rosenerz ging an einer nach der anderen der Schenken vorüber und verschwand endlich in einem stinkenden italienischen Speisehaus in einem Gäßchen, zu welchem ich nicht einmal bei Tageslicht zurückgefunden hätte. An dem Fenster stand angeschlagen, man könne hier für einen Frank zu Mittag speisen. Hier also speiste er, nachdem er vielleicht zehntausend Franks im Kasino verspielt hatte!

Tags darauf sah ich ihn wieder, in demselben Kostüm und mit denselben Manschetten. Sein Geld aber war noch nicht zu Ende. Ich sah ihn zumindest zwölftausend verlieren, ohne daß eine Spur von Ausdruck in sein Gesicht kam.

Am nächsten Tag war er verschwunden und am nächstnächsten auch, aber den Tag darauf kam er wieder. Was hatte er getan, glauben Sie? Er hatte sich ein System verschafft.

»Nun gibt es ja Systeme aller möglichen Arten,« sagte mein Freund mit Betonung und betrachtete mich, »aber die meisten sind schlecht, das gebe ich zu; und das, was noch schlechter ist als das System, sind gewöhnlich die Systemspieler selbst. Sie können wohl nach den ewigen Zeitungen rechnen, rechnen und auf dem Papier gewinnen, kommt es aber zum Spiel, so verlieren sie den Kopf und wagen ihrem gepriesenen System nicht zu folgen. Und eines ist gewiß: wenn ein Spieler von Rosenerz' Sorte nach einem System zu spielen beginnt, so ist er noch sicherer verloren, als wenn er ohne solches spielt. Das System ist der schlechte Ratgeber, der unaufhörlich flüstert: du weißt ja, daß es geht – es muß gehen! – eben wenn er vielleicht im Begriff steht, seiner Vernunft zu gehorchen und sich mit seinen letzten Groschen zu retten. Sie hören, daß ich unparteiisch bin und Ihnen in vielem, was Sie über das System sagen, recht gebe. –

Rosenerz hatte sein System in einem gewöhnlichen Papiergeschäft gekauft. Sie wissen, es gibt Systeme von zwei bis zu mehreren hundert Franks; und ich sah an den Umschlag seines Heftes, daß es drei Franks gekostet hatte. Offenbar war er in den übrigen Lebensdetails ebenso ökonomisch wie in seiner Kost. Sie hätten ihn da sitzen sehen sollen, über seine Papiere gekauert, in denen er mit Fingern und Nase wühlte, während der Mund unaufhörlich in der Luft schnupperte! Es war gleichzeitig unheimlich und lächerlich anzuschauen. So oft die Nummer ausgerufen wurde, starrte er auf den Tisch, wo man seine Goldhaufen einzog (denn er verlor beharrlich), und tauchte dann wieder in seine Systemschriften unter, vor Überraschung schnaubend wie ein Seehund. Hatte er ausfindig gemacht, was er das nächste Mal setzen sollte, was immer erst in der letzten Minute geschah, so fuhr er vom Stuhle auf wie ein Wahnsinniger und warf sein Geld auf den Tisch. Oft kam es an falscher Stelle zu liegen und richtete in den Einsätzen der anderen Spieler Verwirrung an. Mitunter hatte er nicht gewechselt und dann schrie er beinahe vor Angst, bis es ihm gelungen war und er setzen konnte. Er schien alles um sich her absolut vergessen zu haben und benahm sich vollkommen rücksichtslos gegen die anderen Spieler; bat nie um Entschuldigung, wenn er an jemanden anstieß, und antwortete kein Wort auf dessen Proteste. Sein Geschrei, wenn er nicht gleich gewechselt bekam, war abscheulich, es war ein unartikuliertes schrilles Zischen aus dem Halse, während der Bart um den großen Mund sich sträubte.

Well, Rosenerz spielte drei Stunden hindurch sein ›Drei-Franks-System‹; in dieser Zeit war er wohl seine fünf- oder sechstausend Franks los geworden und begann plötzlich an dem Tische zu weinen. Es war gräßlich. Er heulte mindestens fünf Minuten wie ein Narr oder wie ein geprügeltes Kind, ehe er hinausbefördert wurde. Das einzige, was ich nicht verstehe, ist, daß man ihm nicht die Karte abnahm; das tat man aber nicht, denn zwei Tage danach war er mit einem anderen System wieder da.

Um neun Uhr des Morgens stand er schon vor dem Kasino und wartete, bis es geöffnet wurde Die Spielsäle werden um 10 geöffnet und um 12 Uhr nachts geschlossen. und stolperte vor Ungeduld in dem Atrium auf und ab. Endlich wurden die Türen aufgeschlagen, und Rosenerz stürzte hinein, ohne darauf zu achten, daß er die alte Mme. Zaletti auf ihren Krücken beinahe umgeworfen hätte. Sie haben die alte Italienerin wohl gesehen, die seit fünfzehn Jahren täglich kommt? Nun, was das neue System gekostet hat, weiß ich nicht, und ebensowenig, ob es gut war (denn Rosenerz war ein Mensch, der mit allen Systemen verlieren mußte), aber um zwei Uhr wurde Rosenerz wiederum unter verzweifelten Jammerlauten hinausgeführt. Die Tränen strömten ihm über die Wangen hinab und hingen an seinen großen Mundwinkeln; er sah abscheulicher aus als je.

Am nächsten Tage kam die Reihe an ein anderes System, und alle Punkte des Programms wiederholten sich getreulich. Rosenerz fand sich um neun Uhr ein, humpelte und schnob eine Stunde im Atrium umher, stürzte Schlag zehn wie ein scheugewordener Stier in den Spielsaal und wurde um zwei oder halb drei unter herzzerreißendem Schluchzen hinausgeschleppt. Wahrscheinlich hatte man seines Geldes wegen Nachsicht mit dem Unwesen, das er aufführte, denn er verlor auch an diesem Tag große Summen.

Zwei Tage später fand ich Rosenerz und einen anderen Juden, namens Silbermann, einen anglisierten, mit zusammengesteckten Köpfen bei einem Tische stehen und Nummern aufnehmen; Rosenerz war in die Hände eines Systembesitzers geraten und zwar eines der allerärgsten. Ich kannte Silbermann par renommé und wußte, wenn Rosenerz mit allen anderen Systemen mit Gewißheit verloren hatte, so sei sein Verlust jetzt so sicher wie Euklides. Warum ich ihn nicht warnte? Was ging er mich an? Und übrigens – warnen Sie die Motte, die in das Licht fliegt, oder den Expreß, der längs der Eisenbahnschienen dahinfährt, aber versuchen Sie nicht, einen Spieler vom Schlage Rosenerz' zu warnen. Die einzige Rettung für ihn wäre, ihn mit Gewalt von den Spieltischen entfernt zu halten.

Rosenerz und Silbermann nahmen einen ganzen Tag lang Nummern auf; dann begannen sie zu spielen. Tag für Tag sah ich sie bei dem Tisch Nummer sechs, auf ihr jüdisches Rotwelsch flüsternd, beisammensitzen und setzen, setzen, setzen. Ich brauche kaum hinzuzufügen: und verlieren. Sie verloren beständig; einige Male kam ein kurzer Glücksstrahl, aber im nächsten Augenblick war er vorbei, und die Banknoten flossen immerzu aus Rosenerz' Brieftasche. Seine Augen waren unsteter als je geworden, der Mund schob sich unaufhörlich in dem roten Barte hin und her, und er sah so widerwärtig aus wie nur je. Nach einer Woche war er verschwunden.

Meiner Vermutung nach hatte er damals sein ganzes Barvermögen verspielt; ich hörte dies später auch von Ihrem Landsmann Möller bestätigt, der das Kasino besser kennt als die Detektivs selbst. Möller sagte, daß der Mann hundertvierzigtausend Franks eingebüßt hat und daß das alles war, was er in seinem ganzen Leben in Deutschland verdient hatte. Nun war er zu seinem Geschäft heimgereist (nach Hamburg oder wo es war).

Ich schüttelte den Kopf. Kannte ich Rosenerz' Art recht, so blieb er nicht lange in seinem Geschäft, so einträglich es auch war. Wer, wie er, prädisponiert und von der Spielfliege gestochen ist, wird die Krankheit nicht los, solange er lebt; wenigstens nicht, solange er Geld hat. Und ich hatte recht.

Zwei Monate später sah ich drei Personen mit raschen Schritten auf dem Wege nach dem Kasino daherkommen. Zwei waren Frauen, die eine von ihnen schön; wie ich hörte, waren es Rosenerz' Frau und Schwägerin. Die Frau ebenso fürchterlich wie ihr Mann – aber die Schwägerin eine anmutige Erscheinung. Sie haben sie übrigens vielleicht gesehen, Mme. Soret nennt sie sich jetzt; ja, ganz richtig, die Kokotte, die in der Villa Fleurs de Lys wohnt.

Dahin ging es nämlich mit Notwendigkeit. Rosenerz hatte sein Geschäft in Deutschland verkauft und seine Frau und Schwägerin bewogen, ihr Geld aus der Bank zu nehmen; er war Vormund der Schwägerin, so daß es leicht ging. Und nun hatten sie sich alle drei in Monte Carlo eingefunden, um Rosenerz' eigenes, in Deutschland ausspekuliertes System zu spielen. Zusammen besaßen sie wohl nahe an hundertfünfundsiebzigtausend Franks.

Sie spielten ein halbes Jahr; und mit jedem Tage sah ich die kleine Schwägerin mit verweinteren Augen; jeder Tag der Woche brachte Verluste, und obwohl sie Rosenerz bat und anflehte, aufzuhören, war dies, so sagte nur Möller, wie einen Felsen erweichen zu wollen. Rosenerz hörte nicht auf, aus dem Grunde, weil er nicht aufhören konnte. Das Gesetz der Trägheit nötigte ihn fortzufahren. –

Er war am Spieltisch fast tragisch anzusehen; er rechnete und rechnete in seinen Papieren, während die Augen auf das Geld oder den Croupier starrten, bis die Nummer ausgerufen war. Gewann er, so spaltete ein Lächeln seinen roten Bart, und der Mund streckte sich vor, wie um das Geld in Empfang zu nehmen. Verlor er, so saß er ganz still und starrte in seine Papiere, bis die Kugel wieder herausgeflogen kam. Er weinte nie mehr, bis an einem schönen Tage, als er das letzte Fünffrankstück der zusammengescharrten 175 000 Franks verlor. Da heulte er auf, genau wie ein tödlich getroffener Hase; es klang so lächerlich, daß sogar die ernsthaften Tischchefs in schallendes Gelächter ausbrachen, ehe sie Herrn Rosenerz hinausführen ließen. Die Frau, die draußen gewartet und, wie ich von Möller gehört, laut gebetet hatte, während er spielte, nahm desselben Tages ihre Viatique und reiste nach Deutschland zurück, ohne ihm einen Pfennig zu geben; Rosenerz wollte ja natürlich nur Geld haben, um weiterzuspielen. Was sie in Deutschland tut, weiß, ich nicht. Möller sagt, sie sei Aufräumefrau in einem jüdischen Hotel in Frankfurt geworden.

Rosenerz selbst strich lange im Kasino umher und versuchte Leute zu gewinnen, die sein System spielen sollten. Zuletzt war er so verhungert, daß er ebenfalls seine Viatique nahm; sobald er jedoch eine Mahlzeit in dem obenerwähnten billigen Restaurant genommen hatte, fuhr er nach Mentone und verspielte das Geld in Baccarat.

Wie er sich weiter durchhalf, ist mir ein Rätsel; aber Tatsache ist, daß ich ihn Jahr um Jahr in der Nähe des Kasinos auftauchen gesehen habe, auf der Suche nach Leuten, mit denen er sein System spielen konnte. Wären die Deutschen nicht so geizig, würde ich glauben, daß er auf Pump von seinen Landsleuten lebte. Ein paarmal ist es ihm gelungen, eine Stelle zu bekommen; einmal in einem deutschen Krämerladen in Nizza, wie Möller mir sagte, wo er sich fast tausendfünfhundert Franks zurücklegte. Dann kam die Rezidive, und er verspielte seine ganzen Ersparnisse im Laufe einiger Tage im Munizipalkasino. Er ist unheilbar.

Die schöne Schwägerin, die die ganze Zeit weinte, während Rosenerz die hundertfünfundsiebzigtausend Frank verspielte, ließ sich später trösten und heißt jetzt Mme. Soret in der Villa Fleurs de Lys. Aber es ist mit ihr dasselbe. Obwohl sie viele Hunderttausend eingezogen hat, ist sie immer ohne Geld. Das Kasino nimmt alles.«

Mein Freund war zu Ende, und wir gingen zusammen gegen den Hafen hinab. Unten im Condamineviertel krochen die Trambahnen umher wie große leuchtende Käfer. Es läutete zehn im Schloßturm oben in Monaco, und aus dem Kasino kamen in abgebrochenen Stößen die Töne aus ›Carmen‹.

Wir gingen langsam den Hafen in Monte Carlo hinab und blieben zögernd vor dem Kasino stehen. Aber die Nacht war zu schön, und so suchten wir statt dessen die Anlagen auf. Es duftete von Oleander, und die Palmenblätter raschelten hier und da metallisch im Nachtwind. Die Tauben girrten schläfrig in ihren Schlägen.

»Jawohl, das Kasino nimmt alles«, sagte mein Fremd, einen eigenen Gedankengang vollendend.

Plötzlich fuhr ich zusammen: in dem Schatten einer Laube hatte ich ein Schnaufen und Kratzen vernommen. Es klang, wie wenn ein Schwein losgekommen wäre und den Erdboden da drinnen aufwühlte. Ich zupfte meinen Freund am Arm und wollte ihn zu der Stelle hinziehen, als der Laut aufzuhören schien und ein Mann am Eingang der Laube sichtbar wurde. Und was für ein Mann! Ein fadenscheiniger grünschwarzer Gehrock hing ihm um die Schultern. Weste trug er nicht, und die Beinkleider stiegen über den dicken Bauch weit zur Brust hinauf. Er war rotbärtig und steckte beim Gehen unaufhörlich den einen Fuß dem anderen in den Weg. In der Hand hielt er einen Stock, mit dem er unter allen Bänken und unter dem abgefallenen Laub stocherte. Dabei schnaufte er wie ein Seehund; zweifellos war es derselbe, von dem ich eben erzählen gehört hatte.

Plötzlich wandte er uns das Gesicht zu. Ich sah zwei kleine glänzende Schweinsäuglein und einen großen Mund, der unter der roten Bartborste in der Luft schnupperte.

»Rosenerz!« flüsterte mein Freund. » By Jove, Rosenerz! Er ist Bankinspektor in den Parks geworden. Kein fettes Amt, denn es werden nicht viele Brieftaschen liegen gelassen.«

So, das war also der Abschluß der Geschichte!


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