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Das Unglückshotel

Es war ein lieblicher Januarmorgen am Kap Martin bei Monte Carlo. Die Bäume rauschten im sommerlauen Winde, die Sonne schien, und wenn keine Vöglein sangen, so kam dies daher, daß sie von der Bevölkerung verspeist worden waren. Denn diese Südländer sind gar praktische Leute und ziehen einen Vogel im Topf zehn Vögeln in ihren Wäldern vor, welch letztere sie aus diesem Grunde lieber fällen.

Auf der Treppe des neuen Luxushotels Impérial et Royal stand der Portier des Hauses mit auf den Rücken gelegten Händen, erhobenem Kinn und auf der Nase ruhender Schirmmütze. Die Januarsonne beleuchtete seine energischen Züge, die kühle Morgenbrise spielte mit seinem Haar, und seinen Lippen entströmten die leise gepfiffenen Töne: »Als ich noch Prinz war von Arkadien.« Denn der Portier des Impérial et Royal war ein feingebildeter Mann.

In einem kleinen Erdgeschoßzimmer mit teppichbelegtem Fußboden und großem Bücherschrank saß vor einem amerikanischen Mammutschreibtisch ein Mann. Von den Wandregalen herab leuchteten internationale Hotelkuriere, eine Reihe von Baedeker-Bänden und Didot-Bottin; der Tisch war mit einem Artilleriepark mit Schreibmaterial bedeckt, und aus der Wand ragte ein französisches Telephon. Aber der Mann, der in dem Schreibstuhl saß, las nicht in den Büchern, schrieb nicht auf dem Tisch und benützte nicht das Telephon. Er saß da, still und unlustig; denn er war Direktor und Besitzer des Impérial et Royal und ein tief unglücklicher Mann, der mit Fug und Recht hätte singen können: »Als ich noch Prinz war von Arkadien …«

Sein Name war Joseph Meinerts, und er war der Sohn eines eingewanderten Schweizers, der sich vor vielen Jahren in Monte Carlos Hafenviertel niedergelassen und hier ein bescheidenes Restaurant errichtet hatte. Es war anfänglich ein billiges Speisehaus gewesen, das zumeist von kleineren Geschäftsleuten besucht wurde; als es später viele deutsche Gäste bei sich sah, erhielt es von seinem Besitzer den Namen Restaurant Germania.

Das Geschäft ging glänzend, und wenn der alte Abraham Meinerts auch nicht Millionär wurde, so war es doch eine hübsche sechszifferige Summe, die er nebst dem florierenden Restaurant bei seinem Ableben seiner Erbin Dorothea und seinem Sohn Joseph hinterließ.

Und während weiterer sieben Jahre hob sich das Geschäft unaufhörlich und wuchs wie ein am Bach gepflanzter Baum; aber ach, es war trotz alledem ein vom Tode gezeichneter Baum, denn Herr Meinerts jun. war ein unverbesserlicher Idealist. Während das gelbe Bier aus den Spunden schäumte, träumte er von knallenden Champagnerpfropfen, rötlich schattenden Wachskerzen und den Klängen eines Musikorchesters. Blaue Träumereien, aus denen er zur rauhen Wirklichkeit erwachte, mit dem immer fester werdenden Entschluß, das Restaurant Germania – je eher, je lieber – loszuwerden.

Daran aber war nicht zu denken, solange die alte Dorothea lebte. Mit jedem Jahr mürrischer und geiziger, wachte sie gleich unerbittlich über dem Sohn wie über dem Personal; wer vom Wege der Pflicht abwich, der bekam es mit ihr zu tun. Auf des Sohnes Vorschlag, das Restaurant zu verkaufen, hatte sie nur bissige Vorwürfe und derbe Flüche zur Antwort. »Daß dich das Donnerwetter …! Solch eine Goldgrube wolltest du verschleudern? Nicht, solange ich lebe!«

Endlich starb sie im vierundsiebzigsten Jahre ihres Daseins, und Joseph tat einen Seufzer der Erleichterung. Innerhalb dreier Monate hatte er auf Kap Martin einen Grund für ein neues Luxushotel gekauft, innerhalb eines Jahres war das Hotel fertig, und das Restaurant Germania hatte um eine klingende Summe den Besitzer gewechselt. Des alten Abraham und seiner Dorothea Sparpfennige waren samt und sonders in dem neuen Luxusbau untergebracht, nebst weiteren Beträgen, die Joseph zu gleichem Zweck entlieh. Und wie ein neuer Cäsar Augustus zog er in seiner Burg ein, bereit, die blauen Tausender der, luxusliebenden Fremden einzustreichen.

Aber das einzige Blaue, das er während der ersten Zeit seiner Hotelherrlichkeit zu sehen bekam, war das Mittelmeer, das sich ewig blauend unter den blanken Fenstern des Hotels Impérial kräuselte. Er hatte von Anfang an einen groben Fehler begangen, indem er die Arbeiten unnötig beschleunigte; die Folge war, daß das Hotel drei volle Monate fertigstand, ehe überhaupt auf die Saison zu rechnen war; und während dieser drei Monate stand es leer. Endlich wurden die Tage kürzer, der Herbst zog ein, die Jachten begannen zu landen, und Joseph rieb sich die Hände in froher Erwartung der vornehmen europäischen Reisenden.

Aber nichts ist launischer als die Glücksgöttin, die Hotelwirte beschützt. Zwei Hotels können dicht nebeneinanderliegen, identisch an Ausstattung, Bequemlichkeiten, Küche und Weinen; und während das eine das Gold mit Messern schneidet, wird der Besitzer des anderen melancholisch in den Revolverlauf starren.

So war es mit Joseph Meinerts und dem Hotel Impérial. Tag um Tag kehrte sein elegant lackierter Autoomnibus leer oder fast leer vom Bahnhof zurück, während Hotel d'Autriche, zwei Schritte weit davon, kaum Platz für seine Gäste hatte und sein Dach mit den Flaggen der sechs Nationen prunkte, die es beherbergte.

Joseph raufte sich vor Verzweiflung das Haar. Er verteilte durch alle Kondukteure der P-L-M-Gesellschaft Reklamekarten; er stellte auf den Bergwänden rings um die Azurküste Schilder auf, hoch wie der babylonische Turm; und zuletzt lud er sechs Journalisten von verschiedenen Weltblättern ein, in dem luxuriösen Hotel Impérial zu wohnen. Sie taten es, und sogar mit Vergnügen; erwiesen der Küche ihres Gastfreundes und feinen guten, wohlabgelagerten Weinen alle Ehre und lauschten dazwischen zerstreut seinen Klagen:

»O, Messieurs! Neunhundert silberne Gabeln und ebenso viele Messer und Dessertmesser; zweitausend Teller, Suppenteller, Dessertteller und all die Tischwäsche, und dies alles liegt im Schranke, wenn es nicht unberührt auf den Tischen liegt. Was soll ich tun, Messieurs? Das feinste Porzellan in Monte Carlo! Eine Garage, die alle Automobile Europas aufnehmen kann! Und eine Bedienung, Messieurs, jeder Mann ein Hofmeister! O, ich bin desperat, Messieurs … Helfen Sie mir, schreiben Sie in Ihre Zeitungen! Noch etwas Wein gefällig, Messieurs? Der beste Wein in Monte Carlo – und liegt unberührt im Keller!«

» Cheer up!« sagte Dranwood von New York Heralds Pariser Ausgabe. »Wir wollen Ihnen schon helfen, Mr. Meinerts! Und zum Kuckuck übrigens, bedenken Sie doch nur, der Wein wird immer besser, je länger er liegt!«

Joseph betrachtete ihn mit tränenvollem Blick; denn dies war ein grausamer Scherz. Dennoch faßte er ein wenig Mut.

Seither war wiederum eine Woche verflossen, und in schwarzem Zweifel an der Macht der Presse saß er nun in seinem Kontor und starrte hinaus auf die alte Burg von Monaco. Plötzlich hörte er, wie der Portier sein Pfeifen unterbrach, und eine Minute später trat dieser Herr mit geschäftsmäßiger Miene in das Kontor. In der Hand hielt er ein Telegramm.

»'n Morgen, Herr Meinerts«, rief er. »Na, es hellt sich auf, es hellt sich auf. Da ist ein Telegramm, das für zwei gilt. Miß Dixon, die Millionärin aus Amerika, bestellt Appartements für sich, die Gesellschaftsdame und die Dienerschaft. Hier sehen Sie mal!«

Joseph nahm mit zitternder Hand das ihm gereichte blaue Papier und las:

 

»Impérial Kap Martin, ankomme sechsundzwanzigsten, bitte erste Etage vier Zimmer reservieren für mich und Gesellschaftsdame, Dienerschaft mitfolgt, Garageplatz gewünscht.

Annie M. Dixon«

 

Joseph Meinerts war ein frommer Mann und ein Idealist. Er faltete gerührt die Hände um das heilbringende Telegramm und starrte feuchten Auges hinaus auf das ewig blauende Mittelmeer und die weißen Möwen, die im Winde umhergeworfen wurden wie losgerissene Schaumbüschel.

»Endlich!« murmelte er. »Endlich!« Dann trat ein Zug von Entschlossenheit auf seine Stirn, und er verschwand treppenaufwärts, um alles für den Empfang des berühmten Gastes vorzubereiten.

Als er zurückkam, trat er in die Loge des Portiers, der sich eben sorgfältig die Nägel feilte; denn Herr Voßmann war nicht nur ein feingebildeter, sondern auch ein soignierter Mann.

»Herr Voßmann,« sagte er, »erzählen Sie mir doch von Miß Dixon.«

»Ach Jott!« rief Herr Voßmann erstaunt, denn er war nicht bloß Deutscher, sondern Berliner. »Wissen Sie wirklich nicht, wer Miß Dixon ist, Herr Direktor?«

»Ja, gewiß, ich glaube, von ihr gehört zu haben«, stammelte der Direktor. »Aber sacré cochon, wenn ich es nicht vergessen habe!«

Der Direktor zog einen gelinden französischen Fluch als weit distinguierter stets einem deutschen vor.

»Jotte doch!« rief der Portier noch einmal. »Die reiche Miß Dixon, Herr Direktor! Einzige Tochter des alten Habakuk Dixon, der den Trust in falschen Haaren machte und Besitzer der Viehherden von halb Texas ist! Sie ist nie zuvor in Europa gewesen, Herr Direktor. Erster Besuch! Und sie wohnt bei Ihnen! Bombenreklame, Herr Direktor! Famos – blendend! sage ich Ihnen. Wir müssen es gleich in den ›New York Herald‹ geben und in die Kurzeitung. Das wird die Leute ziehen, sage ich Ihnen – bedenken Sie nur, eine Erbin von hundert Millionen Dollar, einer halben Milliarde Franks!«

Aber der Direktor hörte es nicht wehr; mit bebenden Knien war er abermals treppaufwärts entschwunden, um zu kontrollieren, ob alles in der Wohnung der verwöhnten Erbin sich nur ja in vollkommenster Ordnung befinde.

Am Vormittag des sechsundzwanzigsten Januar langte Miß Dixon mit dem Expreß Calais – Rom auf dem unansehnlichen Bahnhof von Monte Carlo an, wo unter den übrigen Hotelwagen der Autoomnibus des Hotels Impérial in verklärtem Glanz erstrahlte. Miß Dixon nahm mit ihrer Gesellschaftsdame darin Platz, während das Gepäck der Damen und die Dienerschaft in einem einfacheren Fuhrwerk folgten.

An der Treppe des Hotels wartete Joseph entblößten Hauptes. Seine Augen waren feucht, und um seinen gelichteten Scheitel erglänzte es gleich jenen Feuerzungen, die die Apostel ehedem in ihren Visionen schauten. Mit stummer Verbeugung führte er die Damen nach ihrer Wohnung, durch deren leichtgeblähte Gardinen Meeresluft und Sonnenschein strömten. Auf dem Tisch und vor den Spiegeln dufteten große Schalen voll Rosen und Veilchen.

Miß Dixon dankte mit einem Nicken, bestellte ein Bad in ihrem Privatbaderaum, einen Lunch in ihr Privatspeisezimmer und verabschiedete ihn.

Voll Seligkeit kehrte Joseph in Herrn Voßmanns Loge zurück, wo er den Portier gedankenvoll in einer älteren Nummer von »Society and Sporting News« blättern sah.

»Ist – ist sie nicht entzückend?« stammelte er.

»Ja, ganz gewiß!« murmelte der Portier, zerstreut in der Zeitung weiterblätternd.

Und Miß Dixon war auch tatsächlich entzückend, obwohl von einer amerikanischen, etwas maskulinen Schönheit. Sie war groß, blond und hatte ungewöhnlich helle blaue Augen, die die Menschen zu beurteilen im Stande schienen. In ihrer einfachen grauen Reisetoilette machte sie mit ihrer schlanken Gestalt und ihren beherrschten Bewegungen den Eindruck einer Prinzessin.

»Ja, sie ist wirklich sehr schön«, sagte der Portier, in Betrachtung eines Porträts versunken, das seine Zeitung zeigte. »Hier haben Sie ihr Porträt, Herr Direktor! Miß Dixon, die auf ihrer ersten europäischen Reise hier erwartet wird. Tochter des – aber lesen Sie selbst, Herr Direktor! Das Porträt könnte ähnlicher sein.«

Joseph betrachtete das Porträt in der eleganten Kurzeitung, fand es wunderbar getroffen, las ehrfurchtsvoll den darunterstehenden Text und eilte sodann zum Küchenchef, um die Zubereitung des von der jungen Amerikanerin bestellten Lunch zu überwachen.

Aber schon nachmittags erschien eine Wolke an seinem sonnigen Horizont. Miß Dixon ließ ihn zu sich ins Konversationszimmer rufen.

»Mr. Meinerts,« sagte sie, »ich bin sehr zufrieden mit Ihrem Hotel, bis auf weiteres sehr zufrieden.«

Joseph versank in sklavische Bücklinge, denen er aber sogleich Einhalt tat, als Miß Dixon in leicht gereiztem Ton fortfuhr:

»Aber ich finde es hier gräßlich leer. Haben Sie denn gar keine Gäste? Mir scheint, ich bin hier ganz allein im Hause. Ich erwartete, das Hotel voll von Mitgliedern der Aristokratie zu finden, Mr. Meinerts. Ich las in der ›Daily Mail‹, wie besucht Ihr Hotel sei, und darum wählte ich –«

Errötend und erbleichend unterbrach Joseph sie.

»Madame,« stammelte er, »wir haben eben erst eine Menge Abreisen gehabt, aber innerhalb der nächsten Tage erwarte ich auserlesen vornehme Gäste: den Prinzen von Sachsen-Emmerich, die beiden Grafen Bautzen aus Österreich, den Marquis von Meuse.«

»Nun, schön!« sagte sie. »Ich verlasse mich auf Sie, Direktor. Ist mein Privatauto angekommen? Bitte, geben Sie dann Auftrag, daß es vorfährt.«

Joseph beeilte sich, den Auftrag betreffs des eleganten Autos zu vollführen, das im Laufe des Tages mit einem englischen Chauffeur eingetroffen war; es stand leider Gottes allein in der Garage, die sämtliche Kraftwagen Europas hätte aufnehmen können. Seine Seele war voll Sorge ob der Erklärungen, die er Miß Dixon gegeben hatte, denn er war ein unverbesserlicher Idealist, und die Persönlichkeiten, deren Namen er genannt, wurden erst im Februar oder März erwartet.

»Aber es kommen sicherlich Leute, Herr Voßmann«, sagte er zu seinem vertrauten Freunde, dem Portier. »Die Reklame beginnt ja schon zu wirken; gottlob, daß ich diese Idee hatte. Sie sollen sehen, es kommen Leute.«

»Zum Henker, das wäre doch auch zum Dreinschlagen!« sagte der Portier, der sich zuweilen einen vulgäreren Ausdruck erlaubte. »Wo das Aas ist, Herr Direktor – denken Sie doch, eine Halbmilliarden-Erbin!«

Und als sich abends die blauen Schatten von Westen über das Mittelmeer senkten und die Bäume auf Kap Martin mit leisem Neigen den schweren Abendtau empfingen, da fiel auch in Direktor Joseph Meinerts geprüftes Herz eine taukühl erfrischende Botschaft. Sie hatte die Form eines neuen Telegramms, das am selben Vormittag in Budapest aufgegeben war und folgendermaßen lautete:

»Impérial, Kap Martin, reservieren Suite von drei Zimmern nebst Dienerschaftsraum, ankomme achtundzwanzigsten. Graf Ulbing-Deunkirchen.

»Gott segne die Presse!« sagte Joseph. »Gott segne sie. Das ist Stratzmann in der ›Neuen Freien‹. Gelobt sei der Tag, da ich diese Idee hatte!«

Und fleißig die dritte Staatsmacht segnend, ging er zu Bett und träumte, daß ganz Europas Adel unter großem Getöse von Wagen und Gästen in seinem Hotel Einzug hielt. – – – –

+++

An demselben Tag, da Miß Dixon aus Amerika auf Kap Martin eintraf, war im Café Hungaria in Budapest eine äußerst elegante, aber ausgelassen lustige Gesellschaft versammelt. Der große Festsaal dieses hyperfeinen Cafés war von einem lärmenden, lachenden Gewimmel schneidiger ungarischer Uniformen gefüllt. Kellner stürzten im Laufschritt hin und her; und jener Teil des Saales, der nicht von Offizieren und dem Kaffeehauspersonal eingenommen war, schien ausschließlich für Champagnerflaschen reserviert worden zu sein. Ihre grünbauchigen Brigaden lagen in verstreuter Schützenlinie über die Tische verteilt, da und dort unterbrachen von alliierten Tokayertruppen, und über dem ganzen Schlachtfeld lagerte ein dichter Lützennebel von Havannarauch. Eine im Hintergrund des Saales postierte Zigeunerkapelle hatte bereits den ungleichen Kampf mit den Offizierskehlen aufgeben müssen, und nur mit Aufgebot aller Kräfte gelang es dem Baron Leopold Springfeld, sich vernehmbar zu machen, als er noch einmal ein donnerndes Hoch ausbrachte auf »seinen alten Freund Graf Ulbing-Deunkirchen anläßlich dieses definitiven Hochzeitsfrühstücks«.

Es war nämlich ein Frühstück, das hier trotz der vorgerückten Tagesstunde seinen Verlauf nahm. Hierauf erhob sich Graf Ulbing-Deunkirchen auf etwas wankenden Beinen und fragte nach einem blinzelnden Blick auf den Kronleuchter den Kellner, wieviel Uhr es denn eigentlich sei.

»Acht Uhr, Herr Graf.«

»A–acht – der Kuckuck; da haben wir ja nicht mehr lange Zeit. Meine Herren –« Und er begann seinen Antwortstoast, während seine Blicke wohlwollend, aber höchst unsicher durch den Raum schweiften.

Die Gesichter, die ihm hier begegneten, gehörten ausnahmslos einem der Eliteregimenter der Donaustadt an, den Kossuth-Husaren, zu dem auch er selbst zählte. Es war eine Sammlung sehr aufgeräumter, schwarzbärtiger Herren mit tintenschwarzen Augen, deren Häupter, vom Majorsrang angefangen, sämtlich den Schmuck der Venustonsur anzulegen begonnen hatten; und wie er nun all diese Gesichter und die Uniformen ihrer Träger überblickte, stand plötzlich die Bedeutung dieses Festes völlig klar vor seinem champagnerbenebelten Gehirn.

Maurus von Ulbing-Deunkirchen gehörte einer alten deutsch-ungarischen Familie an, die sich im achtzehnten Jahrhundert mit einem aus dem schwedischen Pommern eingewanderten Geschlechte namens Deunkirchen (der Tradition nach herstammend von »Donkirka« in Schweden) gekreuzt hatte. Er war der letzte Sprößling und Abkomme eines Stammes, der seine Scholle verloren hatte; denn diese hatten seine Väter Stück um Stück den Wucherern überantwortet. Wie es aber auch mit ihrem Vermögen bestellt gewesen, hatten die Ulbings eine große Rolle gespielt, und Maurus' Großvater hatte erst kürzlich als Kriegsminister seinen Abschied genommen. Unvermählt und ein alter Gewohnheitsmensch, hatte er sich darauf in seine kleine Wohnung nach Wien zurückgezogen, um seiner Briefmarkensammlung zu leben.

Maurus selbst lebte ganz anderen Interessen, was auch weithin von Wien bis Triest bekannt war. In Kürze gesagt, waren dieser Interessen drei: Wein, Weiber und gepfefferte Geschichten, welche drei Dinge ja in einem innigen Zusammenhang standen. » Nézd baratom, Brüderchen«, sagte er mitunter in einer etwas angeheiterten Laune, den Arm um den Hals eines neuerworbenen Freundes legend; »siehst du, der Champagner, der ist mein Verderben gewesen. Champagner und Tokayer! Tokayer, verdammt feiner Tropfen das – Hick! Hast du bemerkt, Brüderchen, daß zwei Jahrgänge Tokayer fehlen? Hick, zwei Jahrgänge fehlen in der ganzen Welt – 1890 und 93. Verflucht gute Jahrgänge, und sie fehlen, fehlen, weil ich sie ausgetrunken habe!« pflegte der Graf schluchzend zu schließen.

Indessen interessierte Graf Maurus sich, wie gesagt, außer für Wein auch für schöne Frauen, und hierbei ging sein Geschmack in gerade entgegengesetzter Richtung. Er verabscheute von Herzen alle abgelagerten Jahrgänge, und man munkelte sogar, daß er sich hüten müsse, so fortzufahren, wie er begonnen, um nicht auf allzu frische Jahrgänge zu geraten, deren Genuß gesetzlich verboten ist. Indessen war das wohl Verleumdung, und im ganzen genommen war Graf Maurus nichts als ein Mann von gutem Humor, besserem Durst und fabelhaft schlechten Geschäften. Der Kredit der Offiziere in Ungarn war ja ein guter, und Graf Ulbings Kredit war in bezug auf seine ehelichen Aussichten besonders gut gewesen. Aber in diesen letzten Tagen hatten die Wucherer nein und halt gesagt; und man hatte dem Grafen das unwiderruflich letzte Darlehen gewährt, unter der Bedingung, daß er endlich Wort hielte, heirate und die Geldangelegenheiten ordne. Mit einem saftigen ungarischen Fluch hatte er sich in die Aussicht gefügt, definitiv zu einem einzigen Jahrgang überzugehen, und bloß den Beschluß gefaßt, sich wie die alte Garde bei Waterloo so teuer wie möglich zu verkaufen.

Unterdessen wurde von seinen Freunden festgestellt, daß weder Wien noch Budapest eine Erbin mit hinlänglichem Kapital besäße, die bereit wäre, Maurus' Vergangenheit gegenüber ein Auge zuzudrücken. Alle Hoffnungen richteten sich daher auf Amerika, und des Grafen Freierbahn war nun von sachkundigen Händen nach Monte Carlo ausgesteckt worden. Paris: zuviel Konkurrenz; Montreux: zu unsicher und zu sehr Sportplatz; St. Moritz: dito.

»Nein, Monte Carlo ist das beste«, entschied der Vorsitzende bei den Beratungen, Baron Springfeld. »Und diesmal wird die Sache rationell gemacht, mein lieber Maurus. Kein Sprit, kein Spiel; Zimmer – zumindest drei – in einem der feinsten Hotels und livrierten Diener. Laß mich sehen: Métropole, Hotel de Paris, Hermitage – nein, ich weiß schon! Ich las neulich in der Neuen Freien von dem allerneuesten der Luxusbauten da unten: Hotel Impérial auf Kap Martin hieß es. Das scheint etwas Hyperfeines zu sein – gerade berechnet für amerikanische Erbinnen und Aristokraten, wie du es bist. Es bleibt bei Impérial.

Und der Baron beeilte sich, das Telegramm abzusenden, das am Abend desselben Tages Direktor Joseph Meinerts Herz mit so seliger Freude erfüllen sollte.

Graf Maurus selbst hörte diese Erwägungen mit jener Ruhe an, die verhärtete Verbrecher, wie es heißt, einstmals an den Tag gelegt haben, während man darüber diskutierte, ob sie gehängt, verbrannt oder lebendig begraben werden sollten. Er bemerkte bloß gedankenvoll, während er den letzten Schluck der Tokayerflasche leerte, deren Jahrgang er gegenwärtig auszurotten im Begriffe stand:

»Du ordnest das alles ja vortrefflich, lieber Springfeld. Aber du weißt doch, diese elenden Juden wollen nicht mit mehr als fünfzehntausend herausrücken. Wenn's jetzt schief ginge, wäre es doch zum Henker schade um diesen Hotelier.«

»Puh, ein Schenkwirt mehr oder weniger«, murrte sein Major und Chef von Donath; und Baron Springfeld fügte hinzu:

»Übrigens sind alle Hotelwirte dort Millionäre, und wer ein solches Hotel hat wie dieses Impérial, der ist Multimillionär, darauf kannst du Gift nehmen!«

Und damit gingen die Beratungen in jene animierte Unterhaltung über, die in Form eines Hochzeitsfrühstücks noch um acht Uhr abends währte. Um zehn Uhr wurden sie eine Weile durch Graf Maurus' Fahrt nach dem Bahnhof unterbrochen, wohin ihn die Freunde in gesammeltem Trupp geleiteten. Der Expreß wartete schon, um ihn nach der sonnigen Riviera zu führen; er wurde in ein Erste-Klasse-Coupé einquartiert, und die letzten Hurrarufe erschollen. Dann pfiff die Lokomotive, die Räder rasselten über die Donaubrücke, und Graf Maurus hatte den Rubikon überschritten.

Sieg oder Tod!

*

Brief von Miß Annie Dixon, Kap Martin, an Mr. Ruben S. Dixon, London.

Kap Martin, den 26. Januar 1912.

Lieber Papa!

Wie Du siehst, bin ich glücklich an der Riviera angekommen und wohne in dem furchtbar feinen Hotel, von dem wir gelesen hatten! Die Reise war im höchsten Grad langweilig. Ethel und ich hielten Umschau nach irgendwelchen Mitreisenden, die etwa in unserem Stil liegen konnten, aber es war nichts zu finden, obwohl die Schaffner Extratrinkgelder erhielten, um uns behilflich zu sein. Bei alledem hat Ethel sich als ein wahrer Schatz erwiesen – Du solltest sie nur sehen mit ihren grauen Haaren, es ist zu köstlich! –, indem sie nicht faul war, unseren Mitreisenden zu verstehen zu geben, wer ich sei: die reiche Miß Dixon!

Das Hotel ist, wie gesagt, furchtbar nobel, aber – denke Dir nur, welches Pech! – bisher so gut wie leer. Es hätten in den letzten Tagen viele Abreisen stattgefunden, sagt der Direktor, der natürlich eitel Artigkeit gegen mich ist. Zuerst erschrak ich über die große Wohnung, aber das hat keine Gefahr; mit dem werde ich keine Scherereien wegen der Rechnungen haben. Er scheint durch die Zeitungen über mich unterrichtet zu sein – die Zeitungen sind doch zu etwas gut, Papa! Er ist ein komischer, kleiner, dicker Herr, der so unaufhörlich dienert, daß der Schweiß von ihm rinnt. Er tröstete mich, indem er alle die Aristokraten aufzählte, die in den nächsten Tagen hier erwartet werden. So wird hoffentlich alles gut gehen, Papachen, obwohl eine Woche ja keine lange Frist ist, um all das auszuführen, was ich vorhabe.

Im Notfalle kann ich dem Direktorchen ja allenfalls ein paar Tausender abknöpfen, dessen bin ich sicher!

Mit den besten Hoffnungen

Deine
Annie.

P. S. Das Automobil, das Du in Cannes mieten ließest, ist hier ganz richtig mit einem englischen Chauffeur angekommen, der Jobson heißt. Sobald ich kann, schreibe ich.«

*

Brief des Grafen Maurus von Ulbing-Deunkirchen an Baron Leopold Springfeld, Budapest.

Kap Martin, 28. Januar 1912.

Alter Freund!

Also angekommen, wie Du siehst, aber mit einem verdammten Kater. Fühlte mich beim Aussteigen, als hätte ich die Lokomotive im Kopf. Und einen Schlund wie Feuer! Jetzt geht es etwas besser, dank einem Bad und der Fürsorge, die der vortreffliche, wiewohl geschwätzige August an seinen unwürdigen Herrn vergeudet.

Ich sage Dir, dieses Hotel, das Du Dir da zum Kriegsschauplatz ausersehen hast, das ist etwas Feines! Luxusautomobil beim Bahnhof, der Wirt bei meiner Ankunft vor der Treppe, dienernd und schwänzelnd, als sei ich der Franzl in eigener Person. Herr Graf hin und Herr Graf her! »Belieben das zweite Stockwerk, Herr Graf? Oder eine Suite im ersten neben Miß Dixon, Herr Graf? Beide parat, Herr Graf!« – »Wer zum Kuckuck ist Miß Dixon?« frage ich. – »Eine Amerikanerin, Herr Graf, einzige Erbin von Habakuk Dixon, der den Trust in falschen Haaren machte und die Viehherden von halb Texas besitzt, Herr Graf! Erste Visite in Europa, Herr Graf, und eine halbe Milliarde Erbteil zu erwarten, Herr Graf!« – »Ich wohne ganz prinzipiell immer im ersten Stockwerk, Herr Direktor«, sage ich. – »Ganz wie es gefällig ist, Herr Graf! Und wo belieben zu speisen, Herr Graf? Im eigenen Speisezimmer oder im großen Saal? Miß Dixon speist im großen Saal.« – »Ich will es nicht schlechter haben«, sage ich. »Decken Sie für mich im großen Saal, Direktor. Und, hallo, weil ich daran denke, reservieren Sie einen Jahrgang!« – »Einen Jahrgang, Herr Graf?« – »Ja, einen Jahrgang trocken, sagen wir Pol Roger. Ich habe gehört, es sei hier ein warmes Klima.« – »Jawohl, Herr Graf; ich verstand nicht sofort; verzeihen, Herr Graf! Sollen wir ihn zu Mittag servieren?« – »Jawohl, aber nicht heute den ganzen Jahrgang.«

(Wie Du siehst, mein lieber Leopold, habe ich Dein Trinkverbot teilweise übertreten, aber glaube mir, es geschieht nur aus politischen Gründen; ich will mich mit diesem Ehrenmann, dem Direktor, wohl verhalten.)

Ich hielt eben bei meinen hors d'oeuvres (muß sagen, das Essen ist pikfein!) und hatte mich weiter für Artischocken in Essig entschieden (brillant für Kater!), als Miß Dixon mit ihrer Gesellschaftsdame auftauchte – in großer Toilette. Wie lernten wir einstmals im Vergilius, alter Genosse? Obstupui, steteruntque comae … oder so. Ich war starr, das Haar sträubte sich mir auf dem Kopf, die Stimme blieb mir im Hals stecken. Fünfhundert Millionen! Leopold, fünfhundert Millionen und ein Trust in falschen Haaren und die Hälfte von Texas' Viehherden! Klingt es nicht märchenhaft? Und das Mädchen noch obendrein schneidig! Ein bißchen zu alt, du lieber Gott; sechsundzwanzig nach meiner Schätzung, aber! … Du hättest den Direktor sehen sollen! Der gute Kerl kam dahergetanzt, als wollte er jeden Augenblick auf dem Kopf stehen und »wagte in Vorschlag zu bringen« und »nahm sich die Freiheit, zu empfehlen …« oder »dürften es wohl Langusten sein. Miß Dixon?« Sie bestellte und behandelte ihn dabei wie Luft. Ja, von diesen reichen Speckhändlern kann man lernen! Die traktieren so einen Hotelkrösus wie einen Lakaien. Ich bin nicht schüchtern, wo es sich um Kneipwirte handelt, das weißt Du; aber einem Kerl gegenüber, der ein solches Hotel besitzt, traute ich mich nicht, so patzig zu tun. Aber ich vergesse Miß Dixon. Nachdem sie den Direktor verabschiedet hatte, schenkte sie sich ein Glas Apollinaris ein (was für Tischsitten diese Amerikaner haben, pfui Teufel!) und warf ein Auge auf mich. Die Ursache, argwöhne ich, war der Direktor, der sich nach kaum beendigter Vorstellung bei ihr zu mir schlängelte. »Wie finden der Herr Graf das Essen? Sind unsere hors d'oeuvres nach Geschmack, Herr Graf? Und der Wein richtig frappé? Was dürfen wir danach bestellen, Herr Graf?« Mit einer schwachen Imitation von Miß Dixons Methode winkte ich ihm ab und sagte: »Geben Sie mir nur etwas Suppe und Johannes des Täufers Haupt auf einer Schüssel, Direktor.« Er lachte untertänigst und dienerte sich hinaus. Mit dem Menschen wird es keine Scherereien wegen der Rechnungen geben, Leopold!

Nach Tisch ging ich ins Rauchzimmer; es war fast leer. Wir scheinen nicht mehr als fünf oder sechs Personen im Hotel zu sein, Und dann guckte ich in das Lesezimmer, um zu sehen, ob es irgendwelche Neuigkeiten in den Zeitungen gebe, irgend etwas von daheim, etwa ein Judenpogrom. Vor der Telegrammtafel sah ich die alte Gesellschaftsorgel stehen, die so aufmerksam die Ohren gespitzt hatte, als der Direktor mich titulierte. Bandeln wir zuerst mit dieser Dame an, dachte ich, und leitete eine leichte und spielende Konversation ein. Die alte Schachtel war entzückt. Wir sprachen von Amerika und Monte Carlo, und nachdem ich mich vorgestellt hatte, von Budapest. Da auf einmal hörte ich Miß Dixons Stimme (sie spricht wie ein Silberglöckchen). »Ethel!« rief sie. »Bist du da?« (So eine alte Dame nennt sie beim Vornamen – das ist wohl so Brauch in Amerika!) In diesem Augenblick gewahrte sie mich. Sie scheint nicht so hochnäsig zu sein, wie solche Milliardärinnen es sonst sind, sondern kam gleich heran, als die Alte sagte: »Annie, darf ich dir Graf Ulbing-Deunkirchen vorstellen? Der Graf und ich hatten eben solch entzückendes Plauderstündchen miteinander.«

Und nach kaum einer Viertelstunde, liebes Brüderchen, saßen wir in ihrem Luxusauto – privat! – auf dem Wege nach Monte Carlo. Wir bekamen unsere Karten ausgefolgt und gingen in den Spielsälen umher und setzten an mehreren Tischen. Ich muß gestehen, Miß Dixon hatte mehr Glück als ich; sie gewann einen ganzen Haufen Louis, während ich im Trente ein paar Tausende von meiner mageren Kasse verspielte.

(Du siehst, alter Freund, daß ich Dein Spielverbot übertreten habe, aber glaube mir, es geschieht nur aus politischen Gründen.)

Ich lachte nur über meine Verluste; denn es wäre stumpfsinnig, in der Nähe eines solchen Goldkälbchens zu zeigen, welche Bedeutung das Geld für unsereinen hat. Aber stell' Dir vor, wie komisch die Weiber sind! Sie schien wahrhaftig ganz aufgeregt von ihrem kleinen Gewinn, obwohl er meiner Schätzung nach für sie nicht mehr bedeutet als eine Zigarette für mich.

Jetzt kriech' ich in die Federn. Mir scheint, Dein Plan hat gute Aussichten; denn ihr Gutenacht war sehr gnädig. Geh, versuch' doch, die Blutsauger ein bißchen mit dieser Miß Dixon zu kitzeln. Ich fühle mich so unsicher im Sattel mit den zehntausend Franken, die ich noch übrig habe.

Dein alter Freund
Maurus von Ulbing-Deunkirchen.

P. S. Richtig! Vergaß ganz, zu fragen, ob das große Frühstück denn schon zu Ende ist!

 

Brief von Miß Annie Dixon, Kap Martin, an Mr. Ruben S. Dixon, London.

Kap Martin, den 29. Januar 1912.

Lieber Papa!

Entschuldige, daß ich Dir zwei Tage nicht geschrieben habe; hoffentlich hast Du Dich deshalb nicht beunruhigt. Aber in diesem Falle sind wirklich keine Briefe gute Briefe. Der gegenwärtige Stand der Dinge verheißt das beste für unsere Pläne. Aber laß Dir der Reihe nach berichten.

Du erinnerst Dich, daß ich in meinem letzten Brief über den Mangel an besserem Publikum in diesem vornehmen Hotel klagte. Nun, schon tags darauf hatte ich keinen Grund mehr, zu klagen. Mehrere Gäste waren eingetroffen, darunter allerdings nur einer, mit dem ich und Du zu zählen haben. Er ist Ungar – das sah ich beim ersten Blick, als ich mittags in den Speisesaal trat: groß, elegant und dunkel wie die Nacht, allerdings mit schon etwas gelichtetem Scheitel. Er könnte ja jünger sein, und Schnurrbärte verabscheue ich, wie Du weißt; der seine ist horribel und gibt ihm fast das Aussehen einer Zeitungsreklame für Haarwuchspomade. Aber er hat sehr elegante Manieren, und man sieht ihm von weitem den Aristokraten an, schon an der Art, wie er das Hotelpersonal behandelt, so leger und dabei so von oben herab. Ich bin, wie Du weißt, europäischen Kellnern gegenüber nie ganz à mon aise und behandle sie darum so stramm wie möglich, aber als ich den Grafen beobachtete, beneidete ich ihn förmlich um seine Gabe, mit dieser Art Leute umzugehen.

Dies sind aber Nebensachen. Ich hatte nach Tisch nichts Eiligeres zu tun, als im Almanach nachzuschlagen, der in der Hotelbibliothek aufliegt, und fand, daß seine Familie eine sehr vornehme ist; er hat Ahnen bis zurück ins vierzehnte Jahrhundert, und seine Verwandten waren alles Mögliche bei Hof, Kriegsminister und dergleichen. Was sein Vermögen betrifft, so stand wohl nichts davon darin, aber ich gab meiner Kammerjungfer Auftrag, seinen Bedienten August auszuhorchen, und der hatte um so mehr zu berichten: die Güter des Grafen sind die größten in ganz Siebenbürgen, und er selbst ist eine der bekanntesten Persönlichkeiten in Budapest. Das könnte uns ja passen, meine ich!

Na, wir wurden durch Ethel miteinander bekannt und fuhren gleich darauf in meinem Auto nach dem Kasino; wie gut, daß Du dieses Auto besorgen ließest! Der Graf bewunderte es sehr; er selbst, sagte er, verlege sich mehr auf Pferde. Er ist ja Offizier, und ich kann mir denken, welch großen Marstall er auf seinen Gütern hält. Als wir nach dem Kasino kamen, war er die Aufmerksamkeit selbst und verschaffte mir im Nu eine Karte; dann gingen wir in den Spielsälen umher und spielten an mehreren Tischen. Ich gewann fünfhundertfünfzig Franken, die mir kolossal gelegen kamen. Hoffe nur, daß ich meine Freude dem Grafen nicht zu offen zeigte. Er selbst verlor drei- oder viertausend mit der größten Ruhe; das Spielen mache ihm eigentlich wenig Spaß, sagte er. Das begreife ich auch sehr gut. Wenn man so riesenhafte Güter in S. hat … Und nebstbei ist es ja sehr günstig, daß er ernst ist und nicht zuviel Geld verspielt. Ein paar Tausender machen wohl nicht soviel aus, da bleibt immer noch genug übrig für Papas Annie.

Auf dem Heimweg sagte er, er sei nur hierhergekommen, um sich ein bißchen zu unterhalten, und sei jetzt sicher, eine entzückende Zeit hier zu verleben – wobei er mir tief in die Augen blickte. Hallo, dachte ich, der gnädige Herr beginnt anzubeißen, und um ihn in der richtigen Spannung zu erhalten, nahm ich sogleich nach der Rückkehr ins Hotel Abschied von ihm. Am nächsten Tage trafen wir einander beim Lunch und fuhren in meinem Auto nach Nizza, wo wir die Verkaufsläden besuchten. Der Graf war noch artiger als tags zuvor und bat mich, mir als Andenken an die entzückende Fahrt ein kleines Schmuckstück verehren zu dürfen. Und wirklich, das tat er; als wir im Café de la Régence (dem vornehmsten Restaurant Nizzas) dinierten, überreichte er mir ein kostbares Armband, und Ethel erhielt eine Nadel für ihren Automobilschleier statt jener, die sie nach ihrer Aussage »verloren« hatte, die Gute war vor Entzücken fast von Sinnen.

Ja, Papa Ruben, was sagte man wohl, wenn Annie sich einen Grafen mit solch kolossalen Gütern angelte! Und unmöglich ist das gar nicht. Wenn nämlich alles so gut geht wie bisher. Das einzig Schlimme ist, daß die Zeit zu knapp wird. In vier Tagen kommt ja unsere Bekannte nach Europa, und bis dahin muß alles klipp und klar sein. Aber verlaß Dich darauf, das wird es sein. Dies verspricht Dir Deine siegesgewisse und glückliche

Annie.

P. S. Ich sehe, daß ich in der Eile vergaß, Dir seinen Namen zu schreiben; er heißt Graf von Ulbing-Deunkirchen und ist Offizier bei den Kossuth-Husaren in Budapest. Stelle natürlich sofort Deine Nachforschungen an, Papachen, obwohl sie in diesem Falle wohl unnötig sind. Einen Aristokraten wie den Grafen erkennt man schon von weitem, und es bedarf keines großen Scharfsinnes, um zu sehen, wen man da vor sich hat. – Noch einmal

Deine Annie.

*

Brief des Grafen Maurus von Ulbing-Deunkirchen, Kap Martin, an Baron Leopold Springfeld, Budapest.

Kap Martin, 31. Januar 1912.

Alter Freund!

Dieser Brief hat sich um einige Tage verzögert, aber ich verfahre, wie Du wissen mußt, in meiner Kriegführung wie die Japaner; ich handle und schweige. Und der Henker soll mich holen, wenn es nicht ganz danach aussieht, als ob Dein alter Fest- und Waffenbruder Maurus in Budapest einziehen würde mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel und einer halben Milliarde Kriegsentschädigung! Das wäre ein gelungener Streich, he, alter Knabe? Da dürften allerdings Nathanson und der alte Salomon ihre klugen Äuglein aufsperren und ihr »Herr Graf« ein bißchen artiger sagen als bisher! Und der edle Champagnerhändler Leubel! Und alle die anderen, deren Zahl Legion ist! Aber, zum Kuckuck, ich nehme wohl den Mund zu voll. Noch ist die Festung nicht genommen. Nathanson muß nochmals an den Ausspruch des großen Philipp von Mazedonien erinnert werden, der da sagte, ein mit Gold beladener Esel könne die stärkste Festung einnehmen. Du mußt ihn also aufsuchen, alter Freund, und zwar sofort, denn die Wahrheit zu gestehen, stecke ich in einer höchst miserablen Situation und wäre in einer noch weit ärgeren, wenn ich nicht in Herrn Quadratura Circuli einen so treuen Bewunderer gefunden hätte. Du verstehst vermutlich nicht, wen ich meine, und ich will darum hinzufügen, daß es der Hoteldirektor ist, der zugleich rund und viereckig ist und hierdurch glücklich das erwähnte Problem gelöst hat, das einzige, dessen ich mich aus der Geometrie erinnere. Sein einziges Bestreben ist, mich zufriedenzustellen, und bisher haben wir es, wie es sich unter Gentlemen ziemt, vollständig vermieden, von den schmutzigen Geschäften zu sprechen. Es ist also nicht seinethalben, daß Nathanson Gold schwitzen muß – noch nicht seinethalben! Seltsamerweise ist Miß Dixon selbst schuld an meiner kitzligen Situation.

Vor allem waren wir dieser Tage in Nizza, besahen die Verkaufsgeschäfte, und als schneidiger Kavalier kaufte ich ihr als Andenken an diesen Tag ein Armband und dem Gesellschaftsdrachen eine Brustnadel. Das kostete mich mit dazugehörigem Diner in Régence dreitausend Franken.

Am nächsten Tage (§ 2), gestern also, unternahmen wir eine Vormittagspromenade auf die Terrasse vor dem Kasino und sahen zu, wie den Täubchen die Schwanzfedern abgeschossen wurden. Nachdem wir dieses Vergnügens müde geworden, gingen wir in den Spielsaal, um unser Glück zu versuchen. Dieses war jedoch sowohl ihr wie mir höchst ungnädig. Ich verlor weitere Zweitausend von meiner Kasse; wieviel sie verlor, weiß ich nicht, aber auf einmal fragte sie mich so nebenher, ob ich nicht ein paar Louis für sie auf Dreizehn setzen wollte. (Dreizehn scheint ihre Glücksnummer zu sein.) Ich beeilte mich natürlich, einen blauen Schein hervorzuholen und zu ihrer Verfügung zu stellen. Sie nahm ihn ruhig in Empfang und verspielte ihn in weniger als zwanzig Minuten. Ein zweiter ging denselben Weg, worauf wir zum Lunch heimfuhren.

Selbstverständlich hatte ich erwartet, mein Geld zurückzubekommen, aber offenbar ist sie zerstreut und in Geschäften schleuderisch wie alle Frauenzimmer; sie schien vollkommen darauf vergessen zu haben und blieb den ganzen Nachmittag unsichtbar. Ich hoffe, sie heute beim Lunch zu treffen, aber mahnen kann ich ja nicht, und so sitze ich gegenwärtig da mit tausend Franken in der Tasche. Die ganze Geschichte geht in die Brüche, wenn nicht Nathanson mit einem großen Kriegskreditiv herausrückt.

Und scheußlich wäre es ja, gelinde gesagt, wenn die Sache schief ginge. Bedenke – eine halbe Milliarde, und die Chancen tatsächlich die besten! Ich sehe ja, wie ihr meine Gesellschaft behagt und wie sehr sie für Titel schwärmt. Glaube sogar, sie schwärmt für mich persönlich (wenigstens ein bißchen). Habe sie häufig auf kleinen Seitenblicken ertappt! Speziell mein Schnauzbart scheint Eindruck zu machen. Ein paarmal hat sie mich um meine Güter zu befragen versucht, die der Schwindler August ihrer Kammerjungfer angepriesen zu haben scheint, aber ich habe ausweichend geantwortet, auf meinen Dienst hingewiesen und bloß hingeworfen, daß ich schon lange Zeit nicht dort gewesen sei, was ja so wahr ist wie das Evangelium. Wenn erst der alte Habakuk mit der Mitgift herausrückt, dann werden sich leicht Güter kaufen lassen.

Versuche also, ehemöglichst mindestens zehntausend Franken aufzutreiben für Deinen Freund und Glücksritter

Maurus von Ulbing-Deunkirchen.

*

Brief von Miß Annie M. Dixon, Kap Martin, an Mr. Ruben S. Dixon, London:

Kap Martin, 1. Februar 1912.

Lieber Papa!

Bloß ein paar Zeilen vor dem Schlafengehen, um Dir ein Lebenszeichen zu geben.

Lieber alter Ruben S., ich bin heute abend furchtbar nervös, denn meine Lage hier ist noch immer sehr unklar. Ich hoffe ja das beste, aber, du lieber Gott, sechs Tage sind schon verstrichen! Einer oder höchstens zwei noch, und – Du weißt ja! Ich glaube den ungarischen Grafen ja so ziemlich im Garn zu haben, aber ganz sicher bin ich nicht. Noch hat er nichts gesagt, ob aus Schüchternheit oder aus anderen Gründen, läßt sich nicht entscheiden, und ich kann doch nicht um ihn anhalten!

Und die Hotelrechnung ist auch in Sicht – nicht, daß ich einen Skandal fürchtete, aber man weiß, was für Tratsch es in solchen Hotels gibt, und kommt dem Grafen derlei zu Ohren – aber was schwätze ich da! – Miß D. kommt jedenfalls früher als die Rechnung.

Mein Gott, Papachen, was soll ich nur tun, wenn die Sache schief geht? Ich muß es morgen forcieren! – In Eile Deine

Annie.

*

Brief von Grafen Maurus von Ulbing-Deunkirchen an Baron Leopold Springfeld, Budapest.

Kap Martin, 1. Februar 1912.

Bester Leopold!

Eine kurze Karte, in der Dämmerung geschrieben, um Dich um ein Lebenszeichen zu bitten; ich meine: um ein goldenes Lebenszeichen.

Du kannst Dir wohl denken, wie blödsinnig nervös ich bin, da ich gestern erst schrieb und heute wieder schreibe; aber versetze Dich auch in meine Situation! Da sitze ich mit weniger als tausend Franken in der Tasche (bedeutend weniger!) und ohne jede Sicherheit betreffs Miß D. Ich hoffe ja das beste, aber, du lieber Gott, man kann nie wissen, was Frauenzimmer wollen und meinen. Heute abend erschien sie mir ganz auffallend nervös. Immer wieder starrte sie meine Schnurrbartspitzen an und machte lange Gesprächspausen. Sie ist natürlich verwöhnt, und ein ordinärer ungarischer Graf ist nicht das, was sie sich als Dekoration zu ihren fünfhundert Millionen gedacht hat, obwohl sie bisher mit der Ware zufrieden zu sein schien. Was soll ich nun tun, alter Knabe, wenn Du mir nicht mit ein bißchen Bargeld aushilfst? In ein paar Tagen habe ich die Hotelrechnung auf dem Hals. Allerdings glaube ich kaum, daß Herr Quadratura Circuli krakeelt – der ist ein Biedermann! –, aber mein Renommee! Du verstehst: Wenn Miß D. einen derartigen Klatsch hört, so bin ich als Glücksjäger gestempelt. Sie glaubt ja an meine Güter! Ja, selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Aber jedenfalls bin ich ganz verdammt nervös.

Morgen treffe ich sie beim Lunch. Wollen sehen, ob die Götter gnädig sind. Dein Freund

Maurus.

*

Brief von Annie Dixon an Mr. Ruben S. Dixon, London:

Kap Martin, 3. Februar 1912 (11 Uhr vorm.)

Lieber Papa!

Ich bin so erregt, daß ich kaum weiß, wie diesen Brief schreiben. Ich zittere am ganzen Körper und kann es kaum glauben, daß es wahr ist, daß ich hier sitze – als Gräfin! Denn das ist das Unfaßlichste: Gestern nachmittag hielt er um mich an, bekam natürlich mein Jawort – und heute haben wir geheiratet!

Mein Kopf geht rundum, Papachen! Aber ich will mir Mühe geben, zusammenhängend zu schreiben.

Ich erwachte gestern mit dem klaren Bewußtsein, wie hoch es an der Zeit sei, und in äußerster Unruhe betreffs des Ausgangs meiner Sache. Heute oder morgen kommt ja Miß D. nach Europa, und vorher muß alles abgemacht sein. Heute muß es geschehen, dachte ich, mag's nun biegen oder brechen! Und nun höre, wie es zuging.

Wir fuhren wie gewöhnlich gestern nachmittag in meinem Auto spazieren – Gott segne dieses Vehikel! – und er schlug mir einen Besuch in irgendeinem Museum vor; ich glaube, sie haben Fische darin! Als wir hinkamen – wir waren allein, denn Ethel hatte ich natürlich zu Hause gelassen, ich wollte ihn nötigenfalls zwingen, um mich zu werben – ja, was wollte ich sagen? Als wir also in diese Fischhalle kamen, war sie gesperrt, und ich erschrak sehr – Du kannst Dir denken, wie sehr! –, denn ich fürchtete ja, daß jetzt aus der ganzen Sache nichts würde. Aber gottlob gab es Gartenanlagen rings um das Museum, und ich bewog ihn zu einem Spaziergang, während das Auto wartete. In den Anlagen waren Blumenbeete, und die bewunderte ich weiß Gott wie lange, und endlich kamen wir zu einer Bank, auf die wir uns setzten. Er schwatzte und schwatzte geradezu zum Rasendwerden, über das Meer und über die Blumen und so weiter, während ich an nichts anderes dachte, als wie ich ihn zu einer Erklärung bringen könnte. Denn er mußte sich diesen Abend noch erklären! Endlich bekam ich ihn auf die richtige Bahn (ob er wohl etwas merkte?), und er schwatzte weiter des langen und breiten, wie man einander auf den ersten Blick lieben könne, und allerlei, an das ich mich nicht erinnere; und zum Schluß gestand er endlich, daß er mich im ersten Augenblick geliebt und sofort gewußt habe, daß er ohne mich nicht leben könne, und ich möge nur um Gottes willen nicht denken, daß er meines Geldes wegen um mich werbe. (Das glaube ich gern, nachdem ich alles in allem dreihundert Franken habe und ihm außerdem zweitausend schuldig bin, die ich vorgestern von ihm auslieh und verspielte.)

Als er nun endlich zu Ende war, sagte ich mit niedergeschlagenen Augen, so, geradeso hätte ich mir immer meinen Mann gedacht, so ritterlich und edel und uneigennützig: worauf ich mich von ihm küssen ließ. (Ich verabscheue die Küsse von Ausländern, besonders von solchen mit Schnauzbärten!) Dabei wäre es nun geblieben, aber das war ja unmöglich, wie Du weißt! Miß D. kommt vielleicht schon heute, und eine Geldforderung wegen gebrochenen Eheversprechens ist solch eine unsichere Sache, das weiß ich, und darum schlug ich ihm plötzlich in einer Anwandlung von mädchenhafter Romantik vor – Du verstehst! –, daß wir uns sofort im geheimen trauen lassen sollten.

Ein bißchen verblüfft war er ja, machte aber weiter keine Schwierigkeiten; ich hatte mich gefaßt gemacht, allerlei von der hohen Familie bei Hofe und dergleichen zu hören.

Und nun, lieber Papa, während ich diese Zeilen schreibe, bin ich schon Gräfin von Ulbing-Deunkirchen, nicht mehr und nicht weniger; wir sind beim Pastor und auf dem Konsulat gewesen, es ist also alles all right!

Gestehe, daß Deine Annie ihre Sache fein eingefädelt hat! Riskiert war es ja, aber, gottlob, nun ist es vorüber, und nun mag Miß D. kommen, wenn sie Lust hat, und er mag so böse werden, wie er will, wenn er seinen Irrtum entdeckt – vorausgesetzt, daß es ein Irrtum ist; ich glaube nämlich, daß er wirklich in mich verliebt ist. Sobald ich Geld von ihm verlangen kann, also vermutlich heute nachmittag, schicke ich Dir einiges, Papachen; ich weiß, Du kannst es gut brauchen.

Deine glückliche Annie.

 

Brief von Graf Maurus von Ulbing-Deunkirchen, Kap Martin, an Baron Leopold Springfeld, Budapest:

Kap Martin, 3. Februar 1912 (11 Uhr vorm.)

Herzensbruder! Viktoria!

Ich sitze hier in Impérials Schreibzimmer, nachdem ich soeben ein Telegramm mit obenstehenden, inhaltsschweren Worten an Dich von Stapel gelassen habe. Noch einmal muß ich hinausrufen: Viktoria! Viktoria! Die Festung ist gefallen! Graf Maurus hat sie zur Übergabe gezwungen; die Schlüssel sind ausgeliefert, und eine halbe Milliarde Kriegskontribution wird mit nächstem ausbezahlt.

Mit anderen Worten, alter Knabe, ich bin verheiratet! Verheiratet mit der goldenen Miß Dixon. Seit heute vormittag. Aber laß mich von Anfang an erzählen.

Wie ich in meinem Vorgestrigen schrieb, hoffte ich, Miß Dixon tags darauf beim Lunch zu treffen; stelle Dir meine Freude vor, als sie sich allein einfindet ohne die betagte Miß Ethel – die ehrwürdige Alte litt an Migräne.

Wir verzehrten unseren Lunch unter eifriger Konversation; hierauf fuhren wir in ihrem Auto zuerst nach Mentone, das ein stumpfsinniges Lokal ist, und dann wieder zurück nach Monte Carlo. Da kam ich auf die Idee, sie zu fragen, ob sie schon das Ozeanographische Museum in Monaco gesehen habe. Sie verneinte, zeigte aber sehr großes Interesse dafür, und ich jubelte im Innern, denn dort konnten wir ganz ungestört sprechen. Der unheimliche Zustand meiner Kasse hatte mich nämlich halb und halb zu dem Entschluß gebracht, mich der ersten besten Gelegenheit zu bedienen. So ging's denn spornstreichs davon; als wir aber hinkamen, wups, war der ganze Kram gesperrt, und ich schäumte innerlich vor Wut, daß die schöne Gelegenheit mir entwischt war. Zum Glück gibt es Anlagen rings um das Museum, und ich lud sie zu einem Spaziergang ein, während wir das Auto warten ließen. Wir tauchten in den Parkanlagen unter, die Luft war mild wie an einem Frühlingsabend, und eben wurde das Gas angezündet.

Gerade dies Dämmerlicht, – Du weißt, wo man sein kleines Apéritif nimmt! Überall blühten Rosen und Pelargonien, und zuletzt kamen wir zu einem Plateau, so mitten zwischen Himmel und Erde, mit einem alten Wachtturm in der Ecke, und – ganz vereinsamt. Wir setzten uns auf eine Bank unter einer alten Pinie und betrachteten das Meer, und ich begann zu schwadronieren von allem möglichen, weißt Du, um sie nicht durch allzu schneidiges Drauflosgehen zu erschrecken. Innerlich aber zitterte ich und hatte nur den einen Gedanken, wie ich möglichst bald ans Ziel kommen könnte. Endlich begann ich von der »Liebe auf den ersten Blick« zu reden, wie ein Buch, – von der Liebe, die da Brücken schlägt zwischen den Nationen, – und auf einmal faßte ich mir ein Herz und haspelte die Sache ab. – »Miß Dixon,« sagte ich, »ich bin Ihrer unwürdig. Sie stehen hoch über mir, aber ich liebe Sie, Sie und keine andere, und glauben Sie nur um Himmels willen nicht, daß ich um Ihr Geld freie, denn das ist nicht der Fall, bei meinem Wort« usw.

Und meiner Seele, sie war gleich bereit und fiel sanft in meinen Schoß wie eine reife Zwetschge; worauf sie mir gestand, daß sie mich heißer liebe, als sie jemals einen Mann lieben zu können geglaubt, und überzeugt sei, daß ich sie nicht des Geldes wegen nehme, und daß ihr nur bange sei, was meine Familie dazu sagen würde, wenn ich ein armes Mädchen ohne Ahnen heiratete. Ich tröstete sie, sie würden bald merken, daß ihr Adel ein besserer sei als der der Geburt, worauf sie sich beruhigte.

Und nun, da die Sache in Ordnung und der erste Kuß getauscht war, kam sie mit ihrer kleinen Überraschung; ich war wahrhaftig nicht weit davon, vor Erstaunen in das Mittelmeer zu purzeln. Schüchtern, aber bestimmt bringt sie die Frage vor, ob wir nicht sogleich heiraten könnten, was ja so romantisch wäre, und gerade mich hätte sie sich als Helden in dem Roman ihres Lebens gedacht. Sobald ich ein Wort hervorbringen konnte, fiel ich natürlich auf die Knie, nannte sie meine Prinzessin aus dem Westen und sagte Ja und Amen zu allem, was sie in bezug auf die kirchliche Methode vorschlug, erklärte feierlich, daß es mir ganz schnuppe sei, ob sie nun in der Einsamkeit oder auf dem Dach des Kasinos getraut werden wolle, ob à la romaine, grecque, anglaise oder mahométane. Worauf ich mit der holden Beute nach Kap Martin zurückkehrte.

Heute in aller Gottesfrühe wurde ich von August aus meinem Schlummer geweckt, im Auftrag von Miß Dixon – liebliche Ungeduld, wie der Dichter sagt! –, und kaum hatte ich die Kleider übergeworfen, als es schon in Begleitung einiger Zeugen fortging, um den Segen des Himmels zu unserem Bund einzuholen. Die Geistlichkeit erledigte sich ihrer Aufgabe mit anerkennenswerter Schneidigkeit, alle Papiere waren in Ordnung, worauf wir uns aufs Konsulat verfügten, um den Warenstempel für alle Zukunft einregistrieren zu lassen: vor Nachahmungen wird gewarnt. Und jetzt, alter Knabe, sind wir eben zurückgekehrt, um uns umzukleiden, wonach ich und meine goldene, kleine Frau im traulichen Tete-a-tete unseren Lunch einnehmen wollen. Und beim Dessert wird an Papa Habakuk telegraphiert, der den Trust in falschen Haaren machte und Besitzer der Viehherden von halb Texas ist.

Denn, wann sie auf meinen Schlössern einziehen wird, von denen sie mit einer geradezu rührenden Beharrlichkeit phantasiert, das hängt von niemand anderen als von Herrn Habakuk ab.

Alter Leopold, ich schließe jetzt. Hol's der Kuckuck, ich weiß selbst nicht, ob ich träume oder wache. Ich glaube eher zu träumen und hoffe nur, niemals erwachen zu müssen.

Dein Freund
Maurus.

Nachdem obenstehender Brief beendet war, verließ Graf Ulbing-Deunkirchen das Schreibzimmer, um ihn höchst eigenhändig in Impérials schmiedekupfernen Briefkasten zu werfen. Dann ging er in den Rauchsalon, zündete eine Zigarette an und ließ sich in Erwartung seiner neugewonnenen Gattin in einem Fauteuil nieder. Durch die halboffene Tür hörte er ihren Namen nennen und sah einen Kontorjungen mit einem blauen Kuvert treppaufwärts stürzen. Offenbar ein Telegramm.

In seinen Klubstuhl gelehnt, grübelte er einige Minuten über die Fügungen des Schicksals; aber er war zu nervös, um sitzenzubleiben. Den Zigarettenrauch in kurzen Stößen aus den Nasenlöchern paffend, sprang er auf und tat einige rasche Schritte im Zimmer auf und ab. Seine Augen fielen dabei auf ein blaues Blatt Papier auf einem der Tische; war es ein Telegramm? Er nahm es auf und sah, daß es eine in englischer Sprache erscheinende Tageszeitung der Riviera war. Gleichgültig durchblätterte er sie mit dem Gedanken, ob etwa etwas von ihm und Miß Dixon darin stünde – man weiß ja nie –, als er auf der dritten Seite eine Notiz fand, die ihm den Atem benahm wie ein kräftiger Boxerstoß vor den Magen.

»Miß Annie M. Dixon«, las er mit schwindelnden Augen, »aus Los Angeles in Kalifornien ist auf ihrem ersten Besuch in Europa mit ihrem Vater, dem bekannten Trustmagnaten und Multimillionär Mr. H. Dixon, an der Riviera angekommen und in einer für die Saison gemieteten Villa am Cap d'Ail, die zuvor Lord Pentonville gehörte, abgestiegen. Die scharmante junge Dame hat einem Interviewer gegenüber ihre Freude ausgedrückt, endlich unsere sonnige Azurküste betreten zu können. Durch unvorhergesehene Hindernisse hatte ihre schon eine Woche früher geplante Ankunft in Europa einen Aufschub erlitten. Wir heißen Miß Dixon sowie ihren Vater herzlichst willkommen, während wir gleichzeitig Anlaß nehmen, eine zuvor in New York Heralds Pariser Edition erschienene irrtümliche Notiz, wonach Miß Dixon schon eingetroffen und in Kap Martin wohnhaft sein soll, zu berichtigen.«

Der Graf las nicht weiter. Alles drehte sich um ihn, das ganze Hirn wirbelte ihm wie nach einer durchzechten Nacht. Er sank in den Stuhl zurück. War es möglich? War es Wahrheit? Der Direktor hatte ja gesagt … Aber diese Eile mit der Trauung, diese Fragen nach den Gütern! … Daß doch der Satan! – Natürlich ist es möglich, ganz gewiß die Wahrheit! O, ich Esel! Ich elender Pfuscher! Da liegt Leopolds schöner Plan im Rinnstein wie ein geplatzter Ballon! Verheiratet mit einer verdammten Schwindlerin! Verheiratet! Verheiratet! Verheiratet! – Wie mir nicht einfallen konnte, daß es zwei Missis Dixon geben kann! Und ihre Romantik – prost! Jetzt verstehe ich, wie sicher sie sich fühlen konnte, daß ich sie nicht des Geldes wegen nähme!

Während der Graf noch die schönsten ungarischen Kernflüche zwischen den Zähnen zermahlte, hörte er ehrerbietige Schritte und sah den vor Gemütserregung schwitzenden Direktor vor sich stehen.

»Herr Graf!« stotterte Mr. Meinerts unter zehnfachen Verbeugungen. »Herr Graf! Erlauben Sie mir … ich habe gehört …«

Graf Maurus beeilte sich, die blaue Zeitung in die Tasche zu stopfen. In des Himmels Namen, hatte der es auch schon gehört! Dann war ja auch der letzte Plan beim Teufel!

»Ich habe soeben erfahren,« fuhr Joseph, vor Demut errötend, fort, »daß der Herr Graf und Miß Dixon, die reiche Miß Dixon … o, Herr Graf, gestatten Sie mir, zu gratulieren … ehrfurchtsvoll zu gratulieren …«

»Jawohl, so ist es,« unterbrach der Graf ihn mit erstickter Stimme, »ich und die reiche Miß Dixon! Ich danke Ihnen, Direktor! Seien Sie so gut und lassen Sie dem Personal einen entsprechenden Teil von meinem Jahrgang zukommen, um auf unser gemeinsames Wohl zu trinken. Ich werde es nie vergessen, und auch Sie, Direktor, sollen Ursache haben, niemals zu vergessen, daß es unter dem Dache des Hotels Impérial war … ich kann fast sagen, daß wir dank Ihnen miteinander bekannt wurden, ich und die reiche Miß Dixon!«

»O, Herr Graf, Herr Graf!« stöhnte Joseph voll überschwenglicher Freude und mit demutsvoll gesenktem Blick, der sich nicht zu dem Antlitz des Grafen zu erheben wagte, was vielleicht ganz gut war; denn dieser kämpfte in diesem Augenblick mit einem verzweifelten Verlangen, Herrn Joseph Meinerts an die Gurgel zu fahren und sein Hotel in Brand zu stecken.

Kaum aber war der untertänig runde Rücken durch den Türrahmen der Halle zu entschwunden, als andere Schritte hörbar wurden, ein Rauschen seidener Röcke sich näherte und Miß Dixon, rot vor Erregung, in das Rauchzimmer gestürzt kam. Sie blieb mit flammenden Augen vor dem Grafen stehen; ihre weiße Hand hielt ein Telegramm – dasselbe, das Maurus nach ihrem Zimmer hatte tragen sehen –, und während sie es ihm reichte, sagte sie mit vibrierender Stimme:

»Lesen Sie! Dies erhielt ich soeben von meinem Vater! Pack Sie! O, was für Pack Sie sind!«

Der Graf begegnete ruhig ihren Blicken, nahm das Telegramm und las es.

»Miß Dixon, Impérial, Kap Martin!« war die Aufschrift. »Abbrich um Gottes willen Bekanntschaft mit erwähntem Graf Ulbing-Deunkirchen bettelarm verschuldet hoffe nicht zu spät Ruben.«

Er faltete es ruhig zusammen, zog seine Zeitung aus der Tasche und sagte artig:

»Was für Pack ich bin, das sehen Sie ja aus dem Telegramm, auf alle Fälle bin ich Graf Maurus von Ulbing-Deunkirchen, Leutnant bei den Kossuth-Husaren. Wer aber sind Sie, meine Gnädige? Was für Pack sind Sie, wie Sie sich so liebenswürdig auszudrücken belieben? Wollen Sie dies hier lesen?«

Er reichte ihr die englische Zeitung; sie las die Notiz flüchtig durch und warf dann die Zeitung zu Boden. Maurus hob sie gelassen auf und steckte sie in die Tasche, während ein Wortschwall von Miß Dixons Lippen ihn umwirbelte, gleich einem Blizzard am Mississippi.

»Wer ich bin. Sie impertinenter Schwindler, Sie ungezogener Ritter Habenichts? Ich bin Miß Dixon, und wenn ich denselben Namen habe wie die dort in der Notiz, kann ich dafür? Habe ich gesagt, daß ich sie sei? Und haben Sie etwa nicht beteuert, daß Sie mich um meiner selbst willen nehmen und nicht meines Geldes wegen? Seien Sie nur ganz überzeugt, daß ich Sie nur wegen Ihrer Güter und Titel nahm, Sie ungarische Schnurrbartreklame! O, es ist gemein, gemein, ein armes Mädchen so zu betrügen! Verheiratet mit Ihnen, mit Ihnen, mit Ihnen! Aber Sie werden es bereuen, Sie werden es bereuen. Ich werde …«

»Madame,« unterbrach Graf Maurus sie, »ich bereue es schon! Ich will Ihnen nur in Ihrem eigenen Interesse raten, sich nicht etwa zu unvorsichtigen Schritten hinreißen zu lassen, nachdem die Sache doch schon so gut wie entdeckt ist; die französische Polizei duldet keine Spekulationen auf fremde Namen, das kann ich Ihnen sagen. Sie tun am besten, augenblicklich zu verschwinden, und zwar so diskret wie möglich.«

Sie betrachtete ihn schweigend mit blitzenden Augen und machte dann Miene, zu gehen, aber Graf Maurus hielt sie zurück.

»Noch eins: Gehen Sie nicht zum Direktor, um sich Geld auszuleihen!«

»Ja, gerade das will ich tun, und zwar sofort.«

»Und gerade das werden Sie nicht tun, meine holde Gattin. Dann wäre die Sache total verpfuscht, muß ich Ihnen sagen. Wir sind ja nun miteinander im reinen, denke ich? Nun gut! Wohin Sie Ihre Schritte zu lenken belieben werden, weiß ich nicht, es geht mich auch nichts an; ich reise nach Südamerika. Dies ist meine letzte Chance, und nach diesem Skandal bin ich in Budapest unmöglich geworden. Ich werde also zum Direktor hineingehen und nach meiner Unterredung mit ihm, in einer halben Stunde, erhalten Sie fünftausend Franken von mir, nicht einen Centime mehr. Verstehen Sie, Miß Annie M. Dixon?«

»Ich verstehe, Graf Ulbing-Deunkirchen«, sagte sie kalt. »Gehen Sie zum Direktor!«

»Ich gehe, meine Taube. Wir treffen uns in einer halben Stunde in Ihrer Wohnung. Armer Quadratura Circuli! Es tut mir leid, ihn einer so schmerzhaften Operation unterziehen zu müssen, aber es ist notwendig!«

*

Am nächsten Morgen um zehn Uhr kam der Portier, Herr Voßmann, in Joseph Meinerts Kontor gestürzt; der Direktor stand süß träumend beim Fenster und starrte hinaus auf das Mittelmeer, wo die Möwen im Winde umherflatterten wie losgerissene Schaumbüschel. Um seine Stirn lag ein Zug stillen Friedens, der durch den Zuruf des Portiers brutal aufgescheucht wurde.

»Haben Sie gehört, Direktor? Haben Sie gelesen? Saubere Geschichte, muß ich sagen! Und natürlich just in Ihrem Hotel! Ach Jott! Nee, Sie haben wahrhaftig das größte Pech, das ich je gesehen habe!«

»Was ist geschehen?« stammelte Joseph erbleichend. »Was ist geschehen? Sind es die Skandinavier im dritten Stockwerk?«

»Na, die sind wohl auch nicht anders, vermute ich«, brüllte der Portier. »Nein, solch ein Pech wie das Ihrige habe ich nie gesehen! Aber es ist nicht das dritte Stockwerk, wenn Sie es nicht wissen, sondern das erste.«

»Das e–erste?« stotterte Joseph, während der kalte Angstschweiß ihm ausbrach und eine Strähne seines dünnen Haares sich löste und über das Ohr fiel. »Dort wohnen ja der Graf und die reiche Miß Dixon! Sie wollen doch nicht fortgehen? Herr Voßmann, sie wollen doch nicht fortgehen?«

»Fortgehen?« schrie der Portier. »Das eben haben sie beide heute nacht getan, in aller Stille, und wollen Sie die Erklärung haben, so lesen Sie hier und sehen Sie, was man über Sie sagt!«

Joseph nahm mit verständnislosen, kindlich erstaunten Augen die Zeitung in Empfang, die der Portier ihm reichte, eine Nummer des »Daily Telegram«, derselben Zeitung, die tags zuvor Graf Maurus aus seinen Illusionen geweckt hatte. Zweimal las er den Artikel, den der Portier ihm wies, ehe der Sinn der Notiz ihm klar wurde.

»Einen scharfen Protest,« stand darin, »müssen wir gegen die Art und Weise des Direktors des Hotels Impérial et Royal einlegen, Reklame für sein Hotel zu treiben. Wie allgemein bekannt, hat es sich durchaus als keine Goldgrube für seinen Besitzer erwiesen – das Hotel ist vielmehr trotz aller krampfhaften Versuche des Direktors, mit allerhand Mitteln Gäste an sich zu locken, seit seiner Vollendung ganz einfach leergestanden. Wir haben bisher geschwiegen, aber nun, da Direktor Meinerts' letzter Trick uns vollends die Augen geöffnet hat, halten es wir für unsere Pflicht, dem Publikum ein scharfes Aufgepaßt! zuzurufen. Wie bekannt, traf Miß Dixon aus Los Angelos gestern mit ihrem Vater, dem bekannten Multimillionär, an der Riviera ein, was zu melden wir uns beeilten. Wir berichtigten zugleich eine im ›New York Herald‹ erschienene Notiz, wonach Miß Dixon bereits im Impérial et Royal wohnen soll. Nach allem, was wir später zu vermuten Ursache hatten, war sowohl diese Notiz wie auch die Anwesenheit einer – natürlich falschen – Miß Dixon im Impérial Direktor Meinerts nicht unbekannt, ja dürfte vielleicht mit Sicherheit als ein Versuch seinerseits zu betrachten sein, durch gewissenlose Ausnützung von Miß Dixons Namen Gäste an sich zu locken. Wir sehen uns, wenn auch widerstrebend, veranlaßt, dieses Verfahren von seiten des Direktors eines großen Unternehmens bloßzustellen; es erfordert dies unsere Pflicht gegenüber dem Publikum, insbesondere dem englischen.

Red. Daily Telegram.«

Halb ohnmächtig vor Verzweiflung, nachdem er endlich den Sinn des Artikels erfaßt hatte, hörte Joseph kaum die weiteren Ergüsse des Herrn Voßmann, die mit unaufhaltsamer Vehemenz ihren Weg nahmen:

»Und wenn Sie es nicht schon wissen, kann ich Ihnen erzählen, daß weder der Graf nach die Gräfin (sie haben sich ja geheiratet – wozu zum Kuckuck war eigentlich diese Komödie?) heute nacht in ihrem Zimmer geschlafen haben. Die beiden sauberen Herrschaften samt der Gesellschaftsdame haben Reißaus genommen. Und eben sagte der Chauffeur, das Privatautomobil sei in Cannes gemietet worden! O, mille diables, mille diables, was für Pech Sie haben, Herr Direktor!«

»Und meine zwanzigtausend Franks, meine zwanzigtausend Franks!« schluchzte Joseph. »O, jetzt verstehe ich, was er damit meinte, daß ich niemals ihren Aufenthalt unter meinem Dache vergessen sollte! Und daß er bezahlen wolle, sobald er die Mitgift habe! O, diese Schurken! Mich so zu plündern! O, wäre ich in meinem alten Restaurant geblieben, Herr Voßmann! Einfache Leute, aber ehrlich ging es zu! Hierher kommt kein Mensch, und kommt einer, so stiehlt er mir zwanzigtausend Franks, abgesehen von allem Essen und den Weinen.«

Schluchzen erstickte die Stimme des Direktors, und er starrte durch große, fette Tränen hinaus auf die boshafte Welt.

Man hörte in Monte Carlo nie mehr von Miß Dixon. Ihre wie des Grafen Maurus' Schulden wurden unter den unsicheren Forderungen des Hotels Impérial abgeschrieben, als ein Jahr später der Konkurs unvermeidlich geworden war. Denn nach dem Besuch der falschen Miß Dixon und »Daily Telegrams« Notiz stand das Impérial leerer als je, leer wie das Grab.

Wer später bei einem Besuch von Monaco das Restaurant Germania auf dem Boulevard des Roses aufsuchte, konnte dort einen korpulenten Mann mittleren Alters mit melancholischen Augen beobachten, der das Amt eines Kellners versah. Sein Blick war träumerisch, denn er sah in der Ferne rötlich-schattende Wachskerzen in einem Luxusrestaurant; Champagnerpfropfen knallen, die Klänge der Musikkapelle erbrausen, und alle Gäste im Lokal sind die Ehrlichkeit selbst.

Und auf einer Farm in Argentinien arbeitet nun Graf Maurus von Ulbing-Deunkirchen als Vacquero bei Senor Antonio Dominguez; denn Direktor Joseph Meinerts fünfzehntausend Franken waren in Buenos Aires bald verpufft. Und wenn die Viehherden der großen Ranche gestempelt werden sollen und er an dieser Arbeit teilnimmt, dann hört man oft das verzweifelte Brüllen der Tiere, denen der ehemalige Leutnant bei den Kossuth-Husaren pflichtgemäß ein großes und deutliches A. D. einbrennt.


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