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Graf Borgacz' Erzählungen

Monte Carlo ist so wie die Natur voll stiller Erzählungen für den, der sie bloß abzulesen versteht; aber sie ist auch voll hörbarer Erzählungen für denjenigen, der die richtigen Quellen zu finden weiß.

Ich bitte meinen Freund, Graf Borgacz, vorstellen zu dürfen, keineswegs ein Phantasieprodukt, sondern einen ungarischen Hauptmann, der Monte Carlo und die unterschiedlichen Phasen des Abenteurerlebens seit vielen Jahren kennt.

Ich selbst lernte den Grafen durch einen gemeinsamen Bekannten kennen und warf, als ich seinen Titel hörte, ein argwöhnisches Auge auf ihn. Denn dieser Graf sah allem ähnlicher als einem Grafen. Sein Anzug war etwas Unbeschreibliches. Er ist beiläufig 45 Jahre alt, brünett, mit spielenden schwarzen Augen, braun gebrannt von der Sonne der ungarischen Steppen und Südafrikas. Denn der Graf ist in Südafrika gewesen, während des Krieges. Er ist übrigens überall ein bißchen gewesen. Startete als Offizier und Gutsbesitzer in Ungarn, gab aber bald den letztgenannten Beruf auf, indem er das Gut verkaufte, und kurze Zeit darauf – allzu großer Schulden zufolge – auch den ersteren. Nahm den Abschied mit Hauptmannsrang, fuhr in die Welt hinaus und durchkreuzte sie in diversen Richtungen, ohne eine bleibende Stätte zu finden. In Australien, dies räumt er ein, ist er nie gewesen, sonst aber kennt er sämtliche Weltteile; und in Südafrika war er, wie gesagt, während des Krieges.

Schon ehe dieser ausbrach, kannte er die Ressourcen der Buren und die Unvorbereitetheit der Engländer; und gleich den Glücksrittern früherer Zeiten beeilte er sich bei der Kriegserklärung, sein gutes Schwert dem Stärkeren zur Verfügung zu stellen. Der Krieg begann, alles ging für die Buren gut, und wären sie von der Stelle marschiert, statt auf der Stelle zu marschieren, so wären die Engländer in drei Monaten aus Südafrika draußen gewesen. Aber wir wissen, wie es ging. Die Burenarmeen lösten sich in ungeordnete Milizen auf, die Engländer erhielten Verstärkungen, der Krieg ging den Krebsgang, und Graf Borgacz wurde tapfer fechtend gefangengenommen, nachdem ihm neun Pferde unter dem Leibe erschossen worden waren. Sein gutes Schwert fürchtend, sputeten die Engländer sich, ihn gleich dem großen Napoleon nach St. Helena zu schicken. In der dortigen Zwangspension verbrachte der Graf ein ganzes Jahr; nach Angabe das ärgste, das er erlebt hat. Nicht genug damit: das Gold, das er in Transvaal gesammelt hatte – Golderz wurde konfisziert, und der Graf kehrte als verarmter Mann nach Europa zurück. Wohin nach Europa? Eine dumme Frage! Ein Mann, der wie er auf den Ozeanen des Lebens umhergetrieben hat, landet unausweichlich früher oder später in dem großen Sargassomeer an der französischen Südküste. Näher bestimmt, in Monte Carlo.

In Monte Carlo hat der Graf nun verschiedene Jahre damit verbracht, Verwirrung in die Statistici zu bringen, die da festzustellen trachten, wieviel ein Mensch braucht, um zu leben. Ein Europäer, sagen sie, wenn ich nicht irre, lebt nicht unter 500 jährlich, ein Neger mit 250, und ein Chinese von einem Fünfer. Graf Borgacz vereinigt die Eigentümlichkeiten dieser Rassen, indem er bald mit einem Fünfer, bald mit 500, selten darüber lebt. Die Erklärung des Umstandes, daß er überhaupt leben kann, liegt darin, daß er eine Freundin gefunden hat, Mme. Hélène, von serbischer Herkunft, die eine Pension hat, in welcher niemand wohnt, und die daher nicht von den Pensionsgeldern leben kann, welche der Graf nicht zahlt. Da die Pension also ohnedies nicht zu existieren vermag, ist Mme. Hélène der Ansicht, daß der Graf ebensogut hier wohnen kann wie ein anderer; und infolgedessen haben Mme. Hélène und Graf Borgacz ihre Geldbörsen zusammengetan.

Hier und da wohnen jedoch einige verirrte Deutsche und Ungarn für kürzere Zeit in dieser Pension, solange sie kein Geld haben; worauf sie heimlich abreisen, vorsichtig vermeldend, die aufgelaufene Schuld bei Mme. Hélène zu begleichen. Zumeist sind es traurige Gestalten, zuweilen der Flasche ergeben, und in diesem Fall befleißigt Graf Borgacz sich, die Rolle eines Pensionsvorstehers und eines magister bibendi zu vereinigen. Er kauft mit einigem Profit geeignete Trinkwaren ein, die Frankreich in üppigem Vorrat bietet, kredenzt sie und trinkt die Gäste unter den Tisch. Denn der Graf hat nicht umsonst fünfzehn Jahre lang in fleißigem Genuß der Spirituosa aller Völker und Länder die Welt durchirrt. Seine Fachkenntnis in dieser Hinsicht ist gigantisch. Wäre er etwas schreibkundiger, könnte er ein Brockhaus des Alkohols werden; nun ist er dies aber nicht und begnügt sich daher, sein Wissen praktisch umzusetzen.

Gibt es keine Gäste bei Mme. Hélène, so verbringt der Graf seine Zeit in Monte Carlo damit, Systeme zu berechnen und seine Freunde beim Apéritif aufzusuchen. Ins Kasino geht er nie, aus dem Grunde, weil das Kasino seinen Besuch nicht empfängt. Graf Borgacz hat nämlich seine Viatique bekommen, den Betrag, den das Kasino wohlwollend auszahlt, damit man seines Weges geht. Aber obwohl der Graf seine Viatique genommen, ist er nicht seines Weges gegangen. Irre ich mich nicht, so hat er das Viatique-Geld beim Bakkarat in Nizza verspielt, obgleich er selbst behauptet, er habe es an einen rumänischen Juden verloren. Der Graf ist nämlich in höchstem Grade Antisemit und ein eifriger Anhänger des Zionismus.

Trifft der Graf Sie beim Apéritif, so wirft er zuerst einen stolzen Blick aus seinen schwarzen Augen auf Sie, wie Sie auf irgendeinem Trottoir an einem Tischchen sitzen, das einen Whisky, einen Absinth oder einen Bock aufweist (welch letzterer kein Tier, sondern ein Glas Bier ist). Grüßen Sie ihn dann, so grüßt er mit Magnatenmiene zurück, sei auch sein Kostüm wunderlicher, sein Kinn borstiger, seine Krawatte schäbiger als je. Reden Sie ihn hierauf: »Herr Graf!« an (denn Graf Borgacz spricht am liebsten deutsch), so merkt er auf wie ein altes Kavalleriepferd, das Blut wittert (oder ist es der Tiger, der aufmerkt, wenn er Blut wittert?). Graf Borgacz aber wittert nicht Blut, sondern Kognak. Denn wiewohl er alles trinkt, was flüssige Form hat, mit Ausnahme von Milch und Wasser, zieht er Kognak vor. Das heißt, eigentlich zieht er Vodka vor, aber der ist so teuer. Laden Sie ihn also zu Ihrem Tische ein und fragen: »Herr Graf, was trinken Sie?« so erwidert er mit einem verbindlichen Lächeln: »Alles, am liebsten aber Kognak.« – Hierauf kommt der Kognak, der Graf rollt sich eine Zigarette von dem schwärzesten Tabak der Regie und beginnt zu erzählen.

Er kann ebensowenig das Erzählen wie das Rauchen und Trinken lassen, und er erzählt in deutscher Sprache und zwar immer unterhaltend für den, der so glücklich ist, sein Budapester Deutsch zu verstehen. Statt heute und heulen sagte er heite und heilen; statt machte und warte sagt er mochte und worte; statt haben und Haus, chaben und Chaus. Seine R rollt er mit einem Laut, wie wenn man Tonnen über einen Dachboden rollt; und zwischen jedes dritte und vierte Wort schiebt er ein erklärendes nämlich ein.

Da sitzen Sie also in Gesellschaft des vermutlich bärtigen und ziemlich ungepflegten Grafen Borgacz Fülöp, Hauptmann der Reserve im ungarischen Heer, ehemaliger Gutsbesitzer am Plattensee, jetzt in Siebenbürgen; und während er sein leeres Glas betrachtet – denn sein Glas ist immer leer, sowie die Tasche Kristoffer des Ersten von Oldenburg –, entspinnt sich folgende Unterhaltung:

»Wie geht es nun jetzt, Graf?«

»Joi, Hundeleben is hier! Worum hob' ich genommen meine Viatique? Denken sich, jetzt is mein System fertig. Nämlich, kann ich spielen mit siebenhundert Franks, kann sein auch mit fünfhundert. Treff' ich gestern da Jud« (der Graf sagt »Saujud«, aber wir brauchen bloß »Jud« zu drucken), »und zeig' ich ihm mein System.«

»Wohnt er bei Mme. Hélène?«

»Jawohl, wohnt Saujud bei Mme. Hélène. Kriegt er nächste Woche nämlich Geld, kann sein, schon morgen. Hob' ich ihm gestern gezeigt mein System, hot ihn sehr interessiert. Ober will ich nicht spielen mit Juden. Hob' ich erzählt Ihnen von Tschiborowsky und Theodorides? Woren zwei Saujuden. Hoben gewohnt dahier, zuerst im Hotel du Louvre, dann bei Mme. Hélène. Hoben sie nämlich später gekriegt Geld und hoben sich zurückgezogen nach Hotel.«

»Verzeihen Sie, haben sie bei Mme. Hélène bezahlt?«

»Hát – nein, hoben sie nix bezahlt; waren zwei Saujuden. Geh' ich einen Tag, nochdem sie übersiedelt, an Hotel vorüber und seh' ich sie da sitzen; trinken sie Magenbitter. Bleib' ich stehen und schau sie an. Rufen sie mich an und sagen: ›Guten Tag, Herr Graf, wie geht's haite? Trinken wir Bittern, purgieren wir nämlich, denn morgen fängt an das große Spiel. Theodorides hat ein System.‹ – ›Nämlich ist das mein System‹, sog ich. – ›Nein, Herr Gros, ist das nicht‹, schwören Juden und wollen's einladen mich zu Magenbitter, aber geh ich und bin ich sicher, daß is mein System, wos ich hob' gezeigt. Nämlich eine Woche später ziehen sie sich wieder zurück zu Mme. Hélène; hoben sie alles verloren; muß es doch gewesen sein dem Theodorides sein System. Sogt da Mme. Hélène: ›Muß ich Geld hoben, kann ich nicht mehr worten.‹ Sogen die Juden: ›Kriegen wir Geld morgen, kann sein, übermorgen; dann bezohlen wir.‹ – ›Gut!‹ sogt Mme. Hélène und hofft sie, daß werden sie nicht übersiedeln, ohne doß sie nix merkt. Kommt morgen und übermorgen, oder Juden kriegen's kein Geld. Hot Mme. Hélène nix zu essen, hob' ich auch nix zu essen; und kriegen auch Juden nix. Brauchen jetzt Geld und spekulieren lange; dann grinst Theodorides – hot er drrrei gelbe Zähne in Kiefer wie umg'schmissene jüdische Grobstein' – und sogt er: ›Wir gehen ins Kasino, nämlich du mit deinem Überrock und ich mit meinem‹, und erzählt er seinen Plan dem Tschiborowsky. Tschiborowsky hat einen feinen Überrock, wos is mit Seide gefüttert, Tschiborowsky is groß und dick; Theodorides is klein und moger, und Überrock von ihm ist wie meiner.«

»O, Herr Graf, Ihr Überrock …«

»Überrock von mir ist scheißlich. Hundeleben is hier.«

»Die Literflasche ist des Armen Überrock, Herr Graf. Wollen Sie mir die Ehre geben, noch einen Kognak zu trinken?«

»Donk ich recht sehr, mein Herr! Gehen jetzt Theodorides und Tschiborowsky ins Kasino und geben Überröcke ab, ober nämlich nicht zusammen, sondern jedermann für sich. Gehen sie dann in Spielsäle und wechseln sich Rockpoletten und schauen sie Spiel zu. Is nix zu stehlen und gehen Saujuden wieder hinaus. Theodorides geht zuerst und gibt falsche Rockpolette ab und kriegt dem Tschiborowsky sein Überrock. Nimmt ihn auf Arm und geht; grinst er noch mit seine drei gelbe Zähne, aber niemand sieht. Tschiborowsky wortet holbe Stunde noch, oder länger nicht, nämlich is er unruhig wegen Theodorides mit seinem Überrock. Geht er dann und gibt dem Theodorides seine Polette ab und kriegt seinen scheißlichen Rock. Will man ihm anziehen helfen, nämlich ober geht er ihm knapp über Ellbogen und fangt er an zu fluchen: ›Is das nicht mein Überrock!‹ schreit er. ›Geben Sie mir meinen Überrock oder geben Sie mir Ersatz. Geben Sie mir Entschedigung für meinen schönen Überrock, was ich haite hier abgegeben hob'.‹ Man sucht nach sein Überrock, man find't ihn nicht, der Tschiborowsky schimpft und heilt. Kommt der Direktor und sogt er: ›Geben Sie mir mein Überrock, mein feinen Überrock, wo ich noch haite gehabt hob'. Hoben mir gestohlen diese Kerle. Sehen Sie, wos Sie hoben mir gegeben dafür!‹ Sogt der Direktor: ›Wo haben Sie diesem Herrn sein Überrock? Sie müssen ihm das Geld geben.‹ – ›Will ich dreihundert Franks haben,‹ schreit Tschiborowsky, ›für mein feinen Überrock; mein feiner Überrock ist doppelte wert, aber geben Sie mir dreihundert, ich nehm's.‹ Die armen Garderobediener sammeln zweihundert und geben dem Tschiborowsky, und ergeht heilend, wie hätt' er seinen Vater begraben. Was machen nemlich die Saujuden? Hoben sie Hunger; hat Mme. Hélène nix zu essen; hob' ich auch nix, aber pfeifen sie drauf. Gehen's in Café de Paris und bestellen's Essen und Wein. Wollen sich satt essen und trinken; dann wollen spielen dem Theodorides sein System.«

»Wos aber nemlich machen die armen Garderobediener? Wissen's, daß der Tschiborowsky sie hot geprellt um zweihundert Franks, lassen sie kleinen Buben hinter ihm hergehen. Sieht er Tschiborowsky den Theodorides treffen; heilen die beiden vor Lochen, und gibt Theodorides dem Tschiborowsky sein Überrock, worauf gehen sie ins Kaffeehaus. Bub von die ormen Garderobediener rennt zurück und sagt: ›Nemlich diese Saujuden hoben uns geprellt, sie hoben Überrock und jetzt fressen's in Café de Paris.‹ Die ormen Garderobediener holen Direktor, sind außer sich vor Wut und sagen's: ›Nemlich diese Saujuden hoben uns begaunert um die zweihundert Franks; hoben Überrock und jetzt fressen in Café de Paris.‹«

Wie immer macht der Graf vor Schluß seiner Geschichte eine Pause und betrachtet wehmütig sein Glas. Sie zwinkern den Kellner mit einem Kognak heran und fragen:

»Nun, und wie weiter, Herr Graf?«

»Sind nemlich die Juden aus Kasino hinausg'schmissen worden und hoben orme Garderobediener ihre zweihundert Franks zurückgekriegt. Mm. Hélène und ich haben nix gekriegt.«

»Wie schade«, sagen Sie. »War Theodorides denn ein Grieche?«

»Der Theodorides war ein Grieche, jawohl, und ein Jud obendrein, sind dos zwei Sachen zu viel auf einmal. Seien sich Griechen ärger als Juden. Wohnt einmal Grieche bei Mme. Hélène; erwartet er sich nemlich Geld morgen, kann sein, übermorgen und kommt keins. Wohnt da auch Jud; hot er nämlich mit mein System gespielt und hot gewonnen. Löwenthal hot er geheißen, Grieche Christopoulos. Hot der Löwenthal gewonnen und will er abreisen und trifft Mme. Hélène ihn gerod, wie er will ausziehen, ohne wos zu sogen. Hot sie nemlich nix zu essen und ich auch nix und zwingt sie den Löwenthal, sich zu geben vier Louis. Der Löwenthal schreit und weint und sagt: ›Nu muß ich nemlich hier bleiben, hob' ich kein Geld mehr, kann ich nicht nach Berlin kommen.‹ Wohnt Saujud nämlich in Berlin. Kommt der Christopoulos aus seinem Zimmer und sagt er: ›Monsieur, wollen Sie ein Billett nach Berlin kaufen? Nemlich ich verkauf' es billig. Kann ich selbst nicht abreisen, erwarte ich nemlich Geld morgen, kann sein, übermorgen.‹ – ›Was kostet?‹ fragt der Löwenthal und betrachtet sich ihn. ›Fünfundneunzig Franks!‹ sogt Christopoulos, der Grieche. – ›Fünfundneunzig Franks! O, er is verrückt!‹ schreit der Löwenthal und heilt auf wie Ferkel. ›Fünfundneunzig Franks! Er is verrückt, verrückt!‹ – ›Is es Zweiter-Klass'-Billett nach Berlin und hat mich hundertzwölf Franks gekostet‹, sogt der Christopoulos. – ›Ich gebe vierzig‹, sagt der Löwenthal. – ›Für neunzig kann ich verkaufen,‹ sogt der Christopoulos, ›aber ich verlier' dabei, ich verlier'‹«, und heilt er auch. – ›Fünfzig‹, sogt der Löwenthal mitten in Schluchzen. – ›Fünfundachtzig‹, erwidert der Christopoulos und tut, wie wenn wollte er gehen. – ›Worten Sie!‹ schreit Jude. ›Gebe ich sechzig, Herr Christopoulos. Beim lebendigen Gott, kann ich nicht mehr geben, hob' ich kein Geld nicht!‹ – ›Fünfundsiebzig ist mein letzter Preis,‹ sogt Christopoulos, ›und nicht ein Sou darunter‹, und wieder geht er zur Türe. – ›Da haben Sie, da haben Sie, Herr Christopoulos‹, sagt Jude und holt Geld heraus, drei Louis und fünfzehn Franks in Silber. Und zieht er ab mit seine Sachen. Mme. Hélène und ich, wir essen gerod, kommt da der Christopoulos zurück und sogt: ›Der Teufel soll Saujud holen; nemlich er hot mich betrogen, er hat mir falsches Geld gegeben, Herr Graf.‹ ›Wieviel?‹ frog ich. – ›Zwanzig Franks, Herr Graf.‹ – ›Das is nicht viel für einen Saujud,‹ sog' ich, ›aber es ist für Sie Pech, Herr Christopoulos.‹ – ›Es tut nix,‹ sogt er, ›ich hob Gott sei Dank das Zwanzigfrankstück gewechselt.‹ – ›Wo denn?‹ frog' ich, will ich nemlich Adresse kennen, weil gibt man oft Mme. Hélène falsches Geld, wenn bezahlt man. Sind alles hier Verbrecher. ›Wo haben Sie falschen Louis gewechselt, Herr Christopoulos?‹ – ›In Kirche, Herr Graf,‹ sogt er, ›Gott sei Dank hob' ich ihn in Sammelteller wechseln können und achtzehn Franks zurückgekriegt …‹ Hát, nein, is für Griechen nichts heilig! … ›Oder ist das doch Schweinsjud,‹ sogt Christopoulos noch einmal, ›mich so betrügen. Gott sei Dank, Herr Graf, hob' ich ihn auch betrogen!‹ – ›Wie das, Herr Christopoulos?‹ sog' ich, aber will er nix sagen, sondern locht er nur.

Nächsten Tag is Christopoulos nemlich verschwunden und kann Mme. Hélène ihn nicht finden. Is er fort und Geld hat sie keins gekriegt. Zwei Tage vergehen, und ich und Mme. Hélène sitzen jeden Tag da und essen und trinken. Am dritten Tog heilt es auf Treppe und wir mochen Türe auf. Ist es Saujud. – ›Beim lebendigen Gott!‹ sogt er. ›Wo is Christopoulos, der Grieche, ich will ihn teten.‹ – ›Fort is er,‹ sog' ich, ›wos is geschehen?‹ – ›Herr Graf, er hot mich betrogen, mich betrogen‹, schreit der Löwenthal. – ›Wieso?‹ sog' ich. – ›Ach, ach, nemlich is gräßlich‹, heilte Saujud. ›Kauf' ich ein Billett von ihm, Herr Graf, waren Sie Zeuge, bezahl' ich ehrlich, was er verlangt; bezahl' ich neunzig Franks.‹ – ›Waren's nur fünfundziebzig, du Saujud,‹ sog' ich, ›und zwanzig falsche, aber mocht nix; wos hot Christopoulos angestellt?‹ – ›Hot er mir altes Billett verkauft,‹ heilt Jud, ›wos schon gebraucht war, Herr Graf, und Loch hat er zugepickt. Und in Ventimilla merkt man's, Herr Graf, und steckt man mich in Arrest. Drei Tage bin ich gesessen. Ach, war gräßlich. Beim lebendigen Gott, den Christopoulos will ich teten.‹«

Der Graf macht eine Pause und sagt dann:

»Hát – nämlich die Griechen sind ärger wie die Juden. Kennen Sie Schweizer Schrumperle?«

Sie haben niemals von Herrn Schrumperle gehört und sagen das.

»Na, hát!« sagt der Graf und betrachtet lange sein Glas, das natürlich leer ist. Sie blinzeln dem Kellner zu, es kommt Verstärkung, und nachdem der Graf und Sie einander ritterlich zugetrunken haben, fährt der Graf fort:

»Nemlich, was hob' ich gesogt? Schrumperle, das war langer Kerl aus der Schweiz, Luzern, glaub' ich, und ist nach Monte Carlo gekommen, damit er System spielt. Gott, wie viele Systeme gibt's, und alle nixnutz! Ober nemlich könnt' ich Ihnen eins zeigen, wos – no egol. Sie spielen nicht, ich weiß! Nemlich der Schrumperle, der kam daher mit viel Geld und spielte System, sein eigenes, und wohnte Hotel de Paris. Spielte drei Monate sein System und darauf siedelte er sich über zu Mme. Hélène; hot er sich nemlich Geld erwartet morgen, kann sein übermorgen. Verging ein Monat und nichts kriegte er. Nämlich Mme. Hélène und ich, hatten wir nix zu essen, und Schrumperle hatte er nix zu essen; langer, dünner Kerl war er und wurde er erschrecklich mager. Ging er in Versatzamt mit seine Kleider, oder die bezahlten nix, denn Schrumperle war schlecht gekleidet, und darauf mit seine Unterkleider. Und als es war kalt, denn es war März, ging er in Paar Schwimmhosen, statt's Unterhosen. Wie ein Storch spaziert er daher in seine Schwimmhosen. Sog' ich ihm: ›Worum nehmen's nicht Ihre Viatique und spielen Ihr System in Nizza oder Mentone?‹ – ›Nie‹, sagt er, ›spiel' ich mehr mein System, und in Nizza und Mentone sind keine Roulettes, nur Bakkarat und Boule. Roulette ist das einzige, wos ich spiel', und Ihr System, Herr Graf.‹ – ›Gut!‹ sog' ich. ›Nehmen's Viatique, so spielen wir Roulette. Ich weiß Ort, wo man dos mocht.‹ – ›Tu ich heite noch!‹ sogt er und geht in Kasino. Kommt er nach paar Stunden daher mit Billett nach Berlin und zweihundert Franks, denn haben dumme Beamten nemlich geglaubt, daß ist er aus Schweden, nicht Schweiz. Is feine Sache, mein Herr, aus Schweden sein, kriegt man größere Viatique als alle, außer Amerikaner. – ›Hob' ich jetzt zweihundert Franks,‹ sagt Schrumperle, ›wo wollen wir spielen?‹ – ›In Èze bei Nizza,‹ sog' ich, ›da gibt's nemlich Roulette. Bin ich nie dogewesen, ober weiß ich, wo liegt.‹

No, hát, fahren wir hin, ich und Schrumperle, und finden wir Spielhölle. Is in Haus mit Schenke in Erdgeschoß; Spielhölle liegt in zweiten Stockwerk. Schrumperle und ich, bezahlen wir Entree und wechseln's Marken für unser Geld, denn nämlich darf man mit bar nicht spielen. Darauf trinken wir ein Kognak und spielen mein System. Viele Spieler gibt's nicht in dieser Spielhölle, kann sein zwanzig, und sitzen die um langen grünen Tisch. An einem Ende ist da Erhöhung wie Katheder bei Schule, und da droben steht Roulette. Croupier steht auf Erhöhung und rollt Kugel und sogt Nummer. Ich bemerke, wie er gleich Kugel aus Rouletteloch nimmt, wie er Nummer ansagt, aber denk' ich nicht drauf.

Spielen wir so eine Stunde, Schrumperle und ich, und geht ganz ausgezeichnet; ober nicht so fein, wie heitzutog. Noch einer Stunde hoben wir zwanzig Franks gewonnen auf Schwarz und Rot, und trinken Kognak in Bar auf mein System. Ich betrachte Bar-Mann, is es le patron selber und frog' ich: ›Monsieur, seien Sie Italiener?‹ – ›Nein, Monsieur,‹ sogt er, ›bin ich nämlich Grieche.‹ – ›Herr Schrumperle,‹ sog' ich, ›lossen Sie uns gehen sofort, der Patron ist nemlich Grieche.‹ – ›Wos weiter?‹ sogt Schrumperle. ›Wollen wir nicht gehen, hier is fein, will ich jetzt spielen auf Nummer. Zwanzig Franks Gewinst ist zu wenig, Herr Graf.‹ – ›Zwanzig Franks Gewinst ist wenig, Herr Schrumperle,‹ sog' ich, ›ober es ist nemlich mehr als zweihundert Verlust.‹

Schrumperle hört nicht drauf und gehen wir zurück zu Tisch; setzt er sich zu Fuß von Katheder und ich daneben hin. Betracht' ich so die anderen Spieler bei Tisch; sind alle solche wie Schrumperle, wos genommen haben ihr Viatique und hier in Èze spielen, damit sie wieder zurückgewinnen. Spielen vorsichtig, meistens auf Schwarz und Rot. Sind zwanzig, schwör' ich, daß setzen zehn Schwarz und zehn Rot; und setzen elfe Rot, kommt Schwarz.

›Schrumperle,‹ sog' ich, ›gehen wir sofort, Patron is Grieche; setzen neun Schwarz und elfe Rot, kommt Schwarz.‹

Ober Schrumperle hört nicht drauf. Setzt auf 4, 14, 24, 34. Null kommt. ›Pech, zum Deubel‹, sogt er und setzt er noch einmol auf 4, 14, 24, 34. Fünfunddreißig kommt. Fünfunddreißig is Schwarz, und sieben Spieler hoben Schwarz gesetzt, dreizehn Rot. ›Herr Schrumperle,‹ sog' ich, ›gehen wir sofort, Patron is Grieche; setzen sieben Schwarz und dreizehn Rot, kommt Schwarz.‹ Ober will Schrumperle nix hören; setzt 4, 5, 6, 14, 15, 16, 24, 25, 26, 34, 35, 36; zwölf Nummern jedes mit drei Franks und kommt Nummer 1. ›Verflixtes Pech!‹ sogt er. Nummer 1 is Rot und hob' ich bemerkt, daß sechs Spieler hoben gespielt Rot und vierzehn Schwarz. Noch einmol sog' ich: ›Herr Schrumperle, trinken wir ein Kognak und gehen sofort, Patron is Grieche!‹ Schrumperle is taub; langmächtige Arme von ihm flattern über Tisch wie Gardinen aus Fenster, und setzt er 3, 4, 5, 6, 13, 14, 15, 16, 23, 24, 25, 26, 33, 34, 35, 36, sechzehn Nummern, alle mit vier Franks. Nummer 6 kommt, Nummer 6 is Schwarz, und seh' ich, daß sieben Spieler haben gesetzt Schwarz, dreizehn Rot. Zupf' ich Schrumperle am Arm und sog': ›Hier gibt nur ein System zum Gewinnen, nemlich, denn Patron is Grieche. Lassen's mich setzen, lassen's mich setzen, Herr Schrumperle!‹ Ober er is verrückt, er hat hundert Franks noch übrig und er setzt, setzt, setzt: 2, 3, 4, 5, 6, 12, 13, 14, 15, 16, 22, 23, 24, 25, 26, 32, 33, 34, 35, 36, zwanzig Nummern, alle zu fünf Franks. ›Sehen's, Herr Graf, muß ich gewinnen, muß ich gewinnen‹, lispelt er und 18 kommt, 18 is Rot, und sieben Spieler haben gesetzt Rot, dreizehn Schwarz. Bevor Croupier noch hat können Kugel aus Loch nehmen, droben auf Katheder, is Schrumperle auf vom Stuhl gefahren. Lang is er wie Storch, und steckt er Kopf in Roulett. ›Zwanzig Nummern,‹ schreit er, ›und kein Gewinst, ich versteh' nicht, ich versteh' nicht.‹ Und was glauben's, 16 ist gekommen, und Croupier sogt statt dem 18, damit daß Schrumperle nicht soll gewinnen. Da brüllt Schrumperle wie Stier in Alpen und sogt: ›Betrüger, Raiber, geben's mir mein Geld, geben's mir mein Geld, spielen Sie falsch, geben's mir mein Geld!‹«

Graf Borgacz verstummt und betrachtet philosophisch sein Glas.

Nach einem kurzen Zwinkern nach dem Kellner hinüber sagen Sie:

»Nun, wie ist es weiter gegangen, Graf? Hat Schrumperle sein Geld bekommen?«

»Sind wir nämlich alle beide sofort rausgeschmissen worden«, sagt der Graf. »Saugriechen seien ärger als Saujuden.«

*

Folgende zwei wahre Geschichten habe ich von Graf Borgacz.


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