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Die verzauberte Roulette

Wie ehedem Portos beim Weinbecher, wischte sich der alte Baron mit dem Handrücken den Schaum des Whiskygrogs vom Schnurrbart und knipste die Asche von seiner schwarzen Bockzigarre.

»Monte Carlo?« wiederholte er die Frage des letzter Sprechers. »Ja freilich bin ich dort gewesen; das wissen ja die anderen Herren. Aber besondere Geschichten habe ich nicht von dort zu berichten. Einige gewinnen eben, die meisten verlieren; hier und da erschießt sich einer auf der Terrasse und die ›unfehlbaren Systeme‹ florieren wie Fliegenschwämme nach dem Regen.

Das ist alles. So ist es seit vierzig Jahren gewesen und so wird es vermutlich in saecula saeculorum sein … Übrigens gibt es ja Filialen, Sinaia und Constanza in Rumänien und San Sebastian in Spanien.

Ob ich denn wirklich gar nichts Besonderes aus Monte Carlo zum besten zu geben habe? Na, ich spielte ja selbst so'n bißchen, wie die meisten dazumal in den achtziger Jahren. Kokotten gab es damals auch, von denen eure Väter schon gehört haben dürften; na – einige von ihnen stehen wohl noch heute im Dienst. Und Skandale gab's, große und kleine, aber nichts darunter, was die Herren besonders interessieren könnte.

Aber halt! da fällt Mir etwas ein! Haben die Herren schon von der Roulette Nummer 4 und dem Gutsbesitzer Eneberg erzählen hören? Nein? Nun, ein Wunder ist's ja nicht. Er ist ja jetzt gestorben, in Venezuela, glaube ich, denn aus den Tropen kam er und dahin sehnte er sich immer zurück.

Als er sechzehn Jahre war, brannte er seiner adligen Familie, in deren Schoß ihn eine ruhige Zukunft erwartet hätte, durch, um mit einer alten Schute auf See zu gehen und nach Portugal zu fahren. Die Folge war, daß die Familie in Wut geriet. Der alte Eneberg, der zeitlebens keinen Widerspruch vertragen konnte, schwur hoch und heilig, sein Karl sollte nicht einen Knopf von seinem Erbteil bekommen. Und darin hielt er Wort; denn in seinem Zorn über das Betragen des Sohnes vermachte er sein gesamtes Vermögen wohltätigen Instituten.

Dies war also Karl Enebergs erste Dummheit im Leben, die er aber allmählich selbst reparierte. Es war ja zu jener Zeit, muß ich sagen, kein Spaß, Schiffsjunge zu sein. Damals gab es kein Konsulat, das sich der Schweden im Auslande annahm, und ebensowenig ein Reglement, vor dem ein boshafter Kapitän zu zittern brauchte. So viel Wichse, wie Karl Eneberg während dieser ersten Etappe seines ›freien Lebens‹, bekam vermutlich kein anderer Junge dieses Jahrzehnts; aber er schwieg und verschluckte es. In Lissabon riß er aus und fuhr mit einem holländischen Dampfer hinüber nach Sumatra. Dort blieb er und kam auf eine Plantage, ganz von Grund auf, versteht sich, aber hinauf ging es nur sehr allmählich. Ein alter Tabakzüchter namens van der Monk faßte eine Vorliebe für ihn und machte ihn zu seinem Inspektor – oder wie es juridisch heißt – – zu etwas dergleichen.

Die Jahre vergingen. Deutschland begann zu jener Zeit unter Bismarcks Regime Kolonialpolitik zu treiben und in Berlin bildete sich eine Gesellschaft, die in dem neuannektierten Deutsch-Ostafrika Tabak bauen wollte. In Deutschland gab es aber hierfür keine kompetenten Leute. Man wandte sich also an die holländischen Gesellschaften auf Sumatra und Java. Von den Hunderten von Assistenten auf den holländischen Tabakfeldern wurden fünf auserwählt und der deutschen Gesellschaft als besonders empfehlenswert zur Verfügung gestellt. Und einer von diesen Fünfen war Karl Eneberg.

Afrika war zu jener Zeit nicht das, was es jetzt ist, meine Herren: ein halbzivilisierter Weltteil, wo die Schwarzen in gebührendem Respekt vor Gottes und des weißen Mannes zehn Geboten gehalten werden und wo bald überall Eisenbahnen gehen. Es war nichts als wilde und unbekannte Quadratmeilen von afrikanischen Urwäldern und Buschfeld, die Bismarck auf den Landkarten plötzlich gelb gefärbt hatte und die es jetzt zu europäisieren galt.

Eneberg wählte die Lage für die künftige Plantage, und nach einigen Monaten war die Arbeit im Gange und trug ihre Früchte.

Aber die Tropen zehren an einem Menschen und nach etlichen Dienstjahren begann Eneberg sich nach Schweden und Europa zurückzusehnen. Er nahm Abschied, erhielt eine Extravergütung und kehrte mit einem kleinen Vermögen von viermalhunderttausend Mark nach dem Vaterland heim, von dem er als simpler Schiffsjunge Reißaus genommen hatte.

Bei seiner Rückkehr fand er, besonders in Stockholm, eine ganze Menge von Veränderungen vor, die ihm wenig zusagten. Er zog sich daher bald darauf aufs Land zurück, kaufte ein Gut in Uppland und brachte es rasch zu einem mehr als doppelten Ertrag.

Dann verheiratete er sich, trotz aller Warnungen, mit einer kleinen Mamsell vom Theater, niedlich, du lieber Gott, mit einem hübschen Frätzchen, aus dem man aber von weitem ihre feile kleine Seele herauslesen konnte.

Das war Karl Enebergs zweite Dummheit im Leben, und die war er niemals imstande zu reparieren. Es wurde für ihn eine rechte kleine Hölle auf Erden. Die reizende kleine Frau erwies sich alsbald im Besitz einer Hitze, die nicht einmal seine ruhige Gelassenheit abzukühlen vermochte, und zeigte Klauen, die ihn mehr erschreckten als die der afrikanischen Löwen. Genußsüchtig und schleuderisch, wie ein echtes Rinnsteinkind, stellte sie seinen Haushalt sofort auf Millionärsfuß. Um sich auf der Oberfläche zu erhalten, begann er sich auf Geschäfte zu werfen und geriet, da er sein Heim mied, bald in den Stockholmer Gesellschaftstrubel.

Dort machte er auf irgendeine Art die Bekanntschaft eines der größten Spekulanten und Jobber, die unser Land aufzuweisen die Ehre hatte. Von Natur aus gutherzig und sanguinisch, fühlte er sich gegen sein besseres Wissen rasch in die ökonomischen Wirbel dieses Herrn gezogen, und es dauerte drei volle Jahre, bis er plötzlich zur Erkenntnis kam, daß er eine Serie kapitaler Dummheiten hinter sich hatte. Ehedem der Besitzer von Källby und Nyfors, die ihre drei Millionen wert waren, stand er jetzt da mit ein paar schäbigen Tausendern in der Tasche, allgemein verlacht wegen seiner Leichtgläubigkeit. Seine Gattin, die die neuen Zukunftsaussichten wenig nach ihrem Geschmack fand, rechtfertigte unsere Prophezeiungen, indem sie Eneberg den Laufpaß gab und mit einem anderen durchging, der ihr eine bessere Kasse zu bieten in der Lage war.

Eneberg fluchte zwar weidlich über sein Schicksal, lachte aber zugleich über die neuen Seiten, die das Leben ihm nun wies. Früher umschmeichelt und gefeiert, ›einer jener rührigen Söhne unseres Landes, die beweisen, daß Schweden nicht immer notgedrungen das arme Schweden bleiben muß‹, war er nun ein mit Achselzucken genannter Name geworden, ›das leichtgläubige Opfer törichter Spekulationen‹.

Und dies alles seiner gutmütigen Arglosigkeit wegen! Meiner Treu! dachte er, bin ich nicht der größte Idiot, der mir jemals untergekommen ist? Topp! Jetzt rutsche ich nach Monte Carlo und verspiele den schäbigen Rest. Leichtmatrose kann man im Notfall immer werden!

Und so ging es denn fort mit den letzten paar Tausendern in der Tasche.

*

Nun, meine Herren, müssen wir ein paar Jahre zurückgehen. Leisten wir und derweil einen kleinen Grog! – So! – A–a–a–h! – –

In Monte Carlo also, das dazumal noch ein recht ruhiges kleines Nest war, sprach man volle drei Monate von nichts anderem, als von dem verrückten Lord Twickenham. Hatte es sich auch seit langem dem Bewußtsein der Franzosen als feststehende Tatsache eingeprägt, daß alle Engländer verrückt seien, so war es Lord Twickenham dennoch gelungen, sich innerhalb dreier Tage nach seiner Ankunft auf der ganzen Azurküste den speziellen Ehrennamen des ›verrückten Lord Twickenham‹ zu verschaffen.

Er kam mit einem Schiebekarren, den er hinter sich her zog, aus Paris an und wurde, wie ein schockmal zuvor von der französischen, auch alsogleich von der monegassischen Polizei angehalten. Nachdem er seine Papiere vorgezeigt und bereitwilligst durchgelassen worden war, zog er unbeirrt seinen Schiebekarren weiter nach dem Kasinoplatz, trat trotz schriller Proteste der Türwachen in das Kommissariat ein und verlangte eine Eintrittskarte. Die Karte wurde ihm rundweg verweigert – man stelle sich vor, wie der gute Lord aussah in einem einstmals respektablen, jetzt aber durch Regen und Sonne verwaschenen und verschossenen Promenadenanzug mit einem ruppigen hohen Filzhut auf dem Kopfe – worauf Lord Twickenham den Direktor zu sprechen verlangte. Man schlug es ihm ab und hieß ihn, sich seiner Wege trollen. Er erklärte, daß er entschlossen sei, nicht ohne Karte zu gehen, und zeigte zwei muskulöse Boxerarme.

Der Direktor wurde gerufen und kam, eskortiert von einer Menge Wachen.

›Monsieur?‹

›Ich will eine Eintrittskarte haben‹, sagte Lord Twickenham. ›Aber rasch, sonst stiehlt mir jemand draußen meinen Karren!‹

›Monsieur hat draußen einen Karren? Und will eine Eintrittskarte haben? Pardon, wir bewilligen nur Personen in gutsituierter Stellung den Eintritt. Wenn Sie sich nicht entfernen wollen, muß ich …‹

›Mein Name ist Marquis of Twickenham, und ich will eine Eintrittskarte haben. Aber rasch, sage ich, sonst stiehlt mir jemand meinen Karren!‹

›Sie haben natürlich Papiere, um sich zu legitimieren?‹

Ohne ein Wort zu sagen, zog der Lord einen in London ausgefertigten und in Paris visierten Paß hervor, geltend für The Most Noble, The Marquis of Twickenham, Count of Crowley und so weiter, eine halbe Seite voll – nebst einem Depositenschein auf zwei Millionen Franken im Crédit Lyonnais.

Der Direktor fühlte seine Seele von widerstreitenden Gefühlen zerrissen. War es etwa gestohlenes oder geraubtes Geld! Après tout, das war Sache der Polizei; aber ein Skandal … Er zögerte.

Lord Twickenham holte weiter einen Depositenschein des Comptoir National, lautend auf zwei Millionen siebenmalhundertfünfzigtausend Franken, einen Brief des Prinzen von Wales und eine Börse hervor, enthaltend fünfundsechzig Centimes, seine Reisekasse.

Der Direktor ergoß sich in Artigkeiten:, Oh monsieur le marquis (Narren das, diese Engländer!), Ihre Karte soll in zwei Sekunden ausgestellt sein! (Der muß sein Geld bald verlieren, ehe die Polizei ihn ins Irrenhaus steckt!) Nur einen Augenblick Geduld, Herr Marquis! Jean, spring' hinaus und sieh nach dem Karren des Herrn Marquis!'

›Stopp!‹ sagte Lord Twickenham. ›Niemand darf meinen Karren berühren.‹

Man dienerte. Die Karte wurde ausgestellt, und Lord Twickenham entfernte sich, ruhig seinen Karren hinter sich herziehend, um im Hotel de Londres Zimmer zu mieten.

Am nächsten Tage übersiedelte er in eine Villa bei Kap Martin und nahm sich drei Geliebte, die jede eine Villa und ein Halsband um 100 000 Franken erhielten.

Tags darauf mietete er Le Casino Municipal in Beausoleil, dem französischen Teil von Monte Carlo, vom Grund bis zum Dachfirst für 20 000 Franken und gab den Armen in Beausoleil, Monte Carlo und Monaco ein Diner auf echtem Meißner und mit echtem Silber.

Nach sechs Tagen hatte er sein ganzes Geld verspielt und ließ auf telegraphischem Wege zwei seiner Besitzungen mit den höchsten Hypotheken belasten.

An dem Tage, da diese Gelder eintrafen, gewann er in Trente-et-quarante eine und eine halbe Million, kaufte seinen Geliebten drei bis zur absoluten Identität gleiche Windhunde und nahm drei bettelarme Araber aus Algier, die auf dem Kasinoplatz Kram verkauften, als Haushofmeister auf.

Nach weiteren zwei Monaten hatte er seinen ganzen Gewinst samt der von England eingegangenen Gelder beim Roulette verloren.

Er belehnte mittels telegraphischer Order sein drittes Gut bis zu den Schornsteinen hinauf und gab in seiner Villa dem Prinzen von Wales, der eben in Cannes weilte, ein Diner, von welchem noch heutigentags sein damaliger Küchenchef, später Inhaber von Monte Carlos hervorragendstem Goldgruben-Restaurant, nur mit zitternder Stimme erzählt.

Am Schlusse des dritten Monats, als er eben sein viertes und letztes Gut belasten wollte, erhielt er die Mitteilung, daß man um seine Entmündigung angesucht habe und daß dieses Ansuchen vermutlich in wenigen Tagen bewilligt werden würde.

Diese Nachricht hatte zur Folge, daß Lord Twickenham das Kasinotheater mietete und eine Vorstellung gab, in der er selbst der einzige Schauspieler war und der nur seine drei Geliebten, deren drei Hunde und drei Haushofmeister beiwohnten.

Nach Schluß der Vorstellung verabschiedete er seine drei Freundinnen mit Freibriefen auf ihre respektiven Villen – die sie noch heute bewohnen – und gab jedem der arabischen Haushofmeister 1000 Franken.

Er selbst behielt 1000 Franken übrig.

Hierauf ging er in den Spielsaal und zu Tisch Nummer 4, demselben Roulette, an dem er immer spielte, setzte 180 Franken auf 13, den Rest auf Schwarz – und gewann.

Er ließ die 180 auf 13 stehen – wie die Herren wohl wissen, ist es das Maximum auf eine Nummer – setzte von dem erübrigenden Gewinst die Hälfte auf Schwarz – Nummer 13 ist schwarz – die Hälfte auf ungerade – und gewann.

Er hatte in diesen beiden Spielen 18 820 Franken gewonnen.

Er erhöhte die Einsätze auf Schwarz und Ungerade bis auf das Maximum – 6000 auf die einzelne Chance – setzte ebensoviel auf manque, 180 auf 13; und 13 kam noch einmal.

Er ließ die 180 auf dieser Nummer stehen und garnierte die Nummer mit Maxima aller anderen Art – à cheval, transversale pleine et simple, carré, Schwarz, Ungerade und manque.

Zéro kam: Null. Alles außer den Einsätzen auf Schwarz, Ungerade und manque war verloren; diese Einsätze wurden ›ins Gefängnis geschoben‹.

Nach Zéro kam 36; Rot, Gerade, passe.

Lord Twickenham hatte alles verloren.

Lord Twickenham holte ruhig einen Revolver hervor und sagte mit klarer Stimme:

›Möge der, der in seinem Leben ebenso große Eseleien begangen hat wie ich, ebensoviel Glück an diesem Tische haben, wie ich Pech hatte!‹

Hierauf setzte er die Revolvermündung an die Schläfe, und ehe die Wachen hinzuspringen konnten, hatte er sich mausetot geschossen.

Die Gehirnsubstanz spritzte weit über den Tisch Nummer 4, und eine Amerikanerin schrie entrüstet auf über diese Leute, die da hergelaufen kommen und sich gerade auf eine neue Toilette hinauf erschießen – shooting themselves all over ladies' dresses!

In zwei Sekunden war Lord Twickenhams entseelter Körper durch eine Seitentür hinausbefördert worden, und keine Zeitung in Frankreich oder Monaco hatte tags darauf ein Wort über seinen Selbstmord zu vermelden.

Dies erlaubt die allmächtige Leitung des Kasinos nicht. Jener Zeitung, die sich einer Notiz in solch aufsehenerregender Affäre schuldig gemacht, bleiben von Stund' an die Pforten Monacos für alle Zukunft versperrt.

Das Spiel am Roulettetisch Nummer 4 wurde für einen Tag eingestellt, bis das Tuch von den Flecken gereinigt war.

Obgleich aber Lord Twickenhams Selbstmord von keiner französischen Zeitung erwähnt wurde, wurde er dennoch in großen Teilen Europas ruchbar. In England schwieg man ihn tot; aber ein deutscher Zeitungskorrespondent schickte ein ausführliches Referat an seine Zeitung, und von da aus verbreitete sich die Nachricht rasch.

Und bald war Nummer 4 ein gesuchter Tisch. Die letzten Worte des verrückten englischen Lord waren bekannt geworden und hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Und jeder, dem Göttin Fortuna längere Zeit ungnädig gewesen, glaubte in letzter Hand wenigstens auf eine Verbesserung seiner Lage an Lord Twickenhams Tisch rechnen zu dürfen. Merkwürdigerweise gewann kein Deutscher an diesem Tische; sei es, daß Lord Twickenham auch nach seinem Tode den kalten Haß des Engländers gegen den Deutschen beibehalten hatte, oder aus anderen natürlicheren Ursachen.

So standen die Dinge, als Karl Eneberg plötzlich in Monte Carlo auftauchte, ahnungslos, daß an ihm die Prophetien sich erfüllen und Lord Twickenhams letzte Worte verwirklicht werden sollten.

Er selbst wußte ja nichts davon, sondern zog ganz bescheiden in einem Hotel des Condamineviertels ein, wo die Miete billiger ist als anderwärts. Worauf er ausging und Bücher über das Roulettespiel kaufte. Er hatte nie zuvor gespielt und kannte von alters her den Wert von Fachkenntnissen.

Mehrere Tage studierte er die verschiedenen Schriften und wählte dann ein – in Parenthese idiotisches – System, das ihm gute Aussichten zu haben schien. Worin es bestand, ist ja gleichgültig; die Hauptidee war die, an einer einzigen Chance festzuhalten, an Rot oder Schwarz z. B. Man begann zu spielen, wenn dieselbe Farbe zweimal gekommen war, setzte mit der Bank (d. h. auf dieselbe Farbe) und hörte nach dreimaligen Verlusten auf. Dann ging man in gleicher Art darauf über, gegen die Bank zu spielen (d. h. wenn Schwarz kam, spielte man das nächste Mal Rot) und kehrte nach dreimaligen Verlusten zu der ersten Methode zurück. Dabei gab es eine Progression, einfacher Satz, doppelter, vierfacher, achtfacher; dann wieder einfacher.

Nun denn, Karl Eneberg aus Stockholm erhielt seine Eintrittskarte und ging in den Spielsaal. Welcher Zufall seine Schritte lenkte, weiß ich nicht; vielleicht wurde gerade ein Stuhl dort frei, genug, er nahm an Lord Twickenhams Tisch Platz und begann zu spielen.

Getreu den Regeln seines Systems folgend, spielte er eine halbe Stunde, überzählte dann seine Barschaft und fand, daß er 1500 Franken gewonnen hatte.

Das geht zu langsam, dachte Karl Eneberg. Da habe ich in den Tropen mehr verdient und dabei nicht an den Parfüms dieser Pariser Damen zu ersticken brauchen. Wir wollen es schärfer nehmen. Im Notfall werden wir Leichtmatrose in Marseille. Das Billett dahin wollen wir uns zusammensparen.

Er übergab das Spiel einen Augenblick, um beim Bar einen Schluck zu tun. Bei seiner Rückkehr fand er den Stuhl noch leer.

Schwarz kam zweimal. Er setzte 2500 Franken auf Schwarz. Es kam noch einmal.

›Famoses System‹, sagte Karl Eneberg. ›Aber verdoppeln kann ich es ja nicht. Mag es stehenbleiben, wie es steht.‹

Schwarz: 10 000! 4000 eingestrichen; Maximum an Einsatz.

Schwarz: 6000 plus, 6000 Einsatz.

Schwarz: 6000 plus, 6000 Einsatz.

Schwarz, schwarz …

Das geht ja wie geschmiert! dachte Karl Eneberg. Bald habe ich Källby wieder. Jetzt zählen wir einmal.

Er hatte 34 000 Franken gewonnen.

›Das langt für heute. Zwei Wochen so fort, so reise ich heim und drehe meiner holden Gemahlin und den guten Freundchen eine Nase. Quel admirable instrument, que la roulette! wie der begabte Verfasser dieses Systems sagt! Übrigens bin ich hungrig.‹

Er aß zu Mittag und unternahm eine Wagenfahrt in die Berge.

Am nächsten Tage kam er wieder und gewann weitere 30 000 Franken.

Tags darauf fand er bei Roulette Nummer 4 keinen Platz frei. Er ging zum nächsten Tisch, befolgte getreulich sein System, verlor 62 000 Franken und behielt zweitausend von dem ganzen Gewinst übrig.

Am nächsten Tage war das Roulette Nummer 4 wieder belagert von solchen, die Lord Twickenhams Manen opferten. Enerberg setzte an einem anderen Tisch, spielte vorsichtig nach seinem System und kehrte nach dem billigen Hotel in Condamine zurück mit 17 Franken in der Tasche: dem Rest seines Gewinstes und seiner Reisekasse.

›Nanu!‹ sagte Karl Eneberg am nächsten Morgen. ›Das reicht nicht für das Billett nach Marseille. Und die Landstraße ist zu schlecht. Hungrig bin ich auch, aber zum Essen langt es nicht. Ein Kognak muß es tun! Und dann kehren wir noch einmal zurück zu dem admirable Instrument!‹

Ein Stuhl war bei Nummer 4 frei. Eneberg ließ sich nieder und legte mit einer Geste, würdig eines Millionärs, Cyranos oder Lord Twickenhams, seine letzten 15 Franken auf 25.

Es war nämlich der 25. April.

In der nächsten Minute sah er sich im Besitze von 525 Franken, die er placierte, er wußte selbst nicht wie. War es nun die Wirkung des starken Kognaks, war es Müdigkeit oder Überreiztheit, kurz, eine Art Rausch hatte sich auf einmal seiner bemächtigt. Er meinte mit der Roulette zu kämpfen wie mit einem schlüpfrigen kleinen Ungetüm. Das Klappern der in einem matten, weißglänzenden Zirkel kreisenden Kugel erschien ihm wie der Laut einer kleinen blassen Klapperschlange, die er unterkriegen mußte. ›Klappre du nur,‹ sagte er für sich, ›ich will dir schon das Genick brechen.‹ Seine Finger verteilten Gold und Banknoten über den Tisch wie im Traum, ohne daß er selbst wußte warum: Elf, Schwarz, Ungerade und manque erhielten jedes sein Maximum aus seinem Gewinsthaufen. Elf kam; und in seinem Gehirn schien eine Stimme zu rufen: 24! 24 wurde mit Gold und Scheinen besetzt, bis es keine Chance mehr zu besetzen gab, und die Stimme des Croupiers verkündete (Natürlich! Er hatte es ja gewußt!):

Vingt-quatre, noir, pair et passe!‹

Eine Spanne Zeit – er wußte nicht, wie lange es war – verging ihm in einer Art Fieber, in dem er gespielt und unerhört gewonnen haben mußte, denn vor ihm lagen dicke Banknotenbündel aufgereiht, und das Gold türmte sich in kompakten Haufen, als er mit einem Male sein Hirn ganz starr fühlte. Und inmitten dieser Starrheit schien wie mit Feuerschrift eine Ziffer eingezeichnet: 13.

Er setzte ohne Zögern mit fiebernder Hand Maxima aller Chancen auf 13, große Stapel von Gold und Banknoten, und starrte die Roulette an mit einer ganz monomanen Vorstellung im Kopfe. 13 mußte kommen, mußte kommen, mußte kommen. Dies kleine zischende Ungeheuer mußte ihm gehorchen. 13 mußte diesmal kommen!

13 kam!

Mit all seinen Chancen! Er zog die Gewinste ein und ließ alle Maxima stehen. Es mußte wiederkommen! Wieder und wieder! Jeder Zweifel war ausgeschlossen!

13 kam zum zweiten Male. Er verfuhr in gleicher Weise. Sein Hirn war wie in einem dumpfen Fieber. Das einzige, was er fühlte und wußte, war, daß 13 kommen würde.

13 kam zum drittenmal. Natürlich; es wunderte ihn nicht, und er sah bloß steif zu, wie man ihm seine Gewinste zuschob.

›Die Sätze bleiben stehen!‹ sagte er, ohne es selbst zu wissen.

Wieder rollte die Kugel, und 13 kam, jenes vierte Mal, auf das Lord Twickenham vergebens gewartet hatte.

Da plötzlich, so erzählte Karl Eneberg, war es ihm, als würde in seinem Schädel ein Revolverschuß abgefeuert. Er stand auf, trunken, taumelnd wie nach langem Fieber, stopfte seinen Gewinst in die übervollen Taschen und schwankte vom Tische mit einem einzigen klaren Gedanken im Kopfe: Whisky!

Die Croupiers und Wachen folgten ihm mit erstaunten Blicken. Zu jener Zeit betrug die Tageskasse an den Tischen 200 000 Franken; waren diese verloren, so war die Bank gesprengt, und das Spiel wurde für diesen Tag eingestellt. Und als Karl Eneberg schwankend den Tisch Nummer 4 verließ, hörte er, nur halb bewußt, den chef de table mit ruhiger Stimme verkünden:

›Messieurs, die Bank ist gesprengt. Das Spiel ist für heute zu Ende.‹

Drei oder vier volle Whiskygläser gaben Karl Eneberg der Wirklichkeit zurück; er fühlte sich, so schrieb er mir, so leer und klar wie ein Frühlingshimmel. Beim Bartisch überzählte er seine Kasse und fand, daß er zwischen zwei- und dreimalhunderttausend Franken gewonnen hatte. Was sollte er nun tun? Nach Schweden heimkehren?

In einem Boote draußen auf den blauen Wellen des Mittelmeeres ging er mit sich zu Rate. Und das Resultat seiner Erwägungen nahm tags darauf die Form eines Ersten-Klasse-Billetts an, das er im Kontor des Norddeutschen Lloyd in Marseille kaufte und das seinen Besitzer zu einer Reise über Newyork nach Havanna berechtigte. Von dort schrieb er mir, er beabsichtige nach Venezuela zu gehen, um zu sehen, ob sich da etwas machen ließe. Ich habe nur einen festen Entschluß fürs Leben gefaßt, schloß er, den, nie wieder einer Roulette in die Nähe zu kommen.

Seither hat man nichts mehr von ihm gehört.

Karl Eneberg kannte Lord Twickenham nicht, wußte nichts von dessen Existenz, und seine kleine Trance beim Spieltisch war wohl die Folge einer gewissen Spannung und eines scharfen Kognaks auf nüchternen Magen. So daß ich im Grund genommen den Lord Twickenham hier nur anbrachte, um, wie es in einer alten Rätselfrage heißt, die Sache schwieriger zu machen. Prost, meine Herren!«


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