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11. Kapitel.
Das Ende der Leoparden.

In dieser Zeit erhielt P. Varmer eine Einladung nach Banalya, wo die Missionare aus Basoko und aus Banalya zur geistigen Erholung und Auffrischung die Exerzitien machen und über seelsorgliche Aufgaben beraten wollten. Es war ihm lieb, nach all seinem Arbeiten einige Tage der geistigen Ruhe widmen und die Mitbrüder der anderen Stationen kennen zu lernen. Sogleich machte er sich auf die Reise.

Früh morgens brach er auf. Es war eine herrliche Fahrt auf dem Strome. Am ersten Tage erreichte er das Dorf Bangabanga. Von dort am anderen Tage weiterfahrend kam er an dem Dorfe Makope vorbei, das gegen die wilden Papoys befestigt war. Doch fuhr er weiter an einem großen Kalksteinbruch vorbei und verbrachte die Nacht in dem kleinen Dorfe Mupela, das vielleicht nur hundert Hütten zählt.

Der folgende Tag führte ihn nach wenigen Stunden an dem ebenfalls stark befestigten Dorfe Bolamboli vorbei, dessen Einwohner wegen ihres Palmweintrinkens berühmt und fast lauter Trunkenbolde sind. Unterwegs, da die Piroge einer Schnelle wegen sich am Ufer halten mußte, schnappte plötzlich ein Krokodil nach einem Ruderer. Nur der Zufall rettete dem Manne das Leben, da er ausglitt und in die Piroge fiel. P. Varmer schoß dem Tier eine Kugel nach, doch wohl vergebens, da das Ungeheuer im Wasser verschwand.

Eine Stunde später sah man das Dorf Bolulu am Ufer, dessen Hütten aber sehr zerfallen und verwahrlost aussahen. Auf der Weiterfahrt erblickten die Ruderer eine Wassergazelle. Vorsichtig näherten sie sich dem Ufer, um das Tier ins Wasser zu treiben. Es gelang. Nun begann eine aufregende Jagd. Und als die Piroge dem Tier nähergekommen war, krachten zwei Schüsse. Das Tier war erlegt und wurde als willkommene Beute ins Fahrzeug gezogen. Das Jagdglück schien dem Weißen heute hold zu sein. Als sie unter einem weit überhängenden Baume durchfuhren, schoß er ein Huhn herunter, und etwas später erlegte er noch zwei schnepfenartige Vögel.

Um vier Uhr erreichte man Bombwa, das größte Dorf des Aruwimigebietes, vielleicht des ganzen Kongolandes. Alle Gongs erdröhnten bei der Ankunft des Weißen. Doch später erfuhr dieser,, daß der Gonglärm weniger seiner Person galt, als dem geräuschvollen Fest, das gerade im Dorfe gefeiert wurde. Eine Einladung des Häuptlings zum Feste lehnte er aber ab, da er von der Reise ermüdet sei und in der Frühe des anderen Tages wieder weiterfahren müsse.

Nach einer vierstündigen Fahrt am anderen Morgen erreichte man gegen Mittag das Dorf Mupe, wo der Häuptling dem Pater Hühner, Eier und Bananen brachte. Sechzig Mann in Galauniform und mit hohen, aus Weidenzweigen geflochtenen Mützen kamen ans Ufer und boten sich an, den Weißen weiterzurudern. P. Varmer nahm das Angebot an, ließ die Panga-Ruderer umkehren und fuhr mit zwanzig Mupeleuten weiter. Um drei Uhr nachmittags sah man Mukanpula, ein schönes Eingeborenendorf von etwa 150 Hütten und rings von einem 2,50 m hohen Pfahlzaun umgeben am Ufer liegen. Nach fünf Uhr geriet das Fahrzeug in eine furchtbare Stromschnelle. Die Ruderer sprangen alle ins Wasser und schoben in anstrengender Arbeit die Piroge geschickt durch die Klippen und schäumenden Wogen, so daß um sechs Uhr abends das Dorf Mandindi erreicht wurde. Mandindi zählt etwa 50 Hütten und 160 Seelen. Aber es war leer und ausgestorben. Die Leute hatten die Flucht ergriffen. Zum Glück hatte der Weiße Hühner und Eier und andere Lebensmittel bei sich und konnte es sich in einer Hütte für die Nacht bequem machen.

Der letzte Tag war sehr beschwerlich. Eine elfstündige Fahrt durch Fälle und Stromschnellen brachte den Pater endlich nach Banalya, wo er von seinen Mitbrüdern aufs herzlichste empfangen wurde.

Wie freute sich P. Varmer, im Kreise lieber Landsleute verweilen zu dürfen, die, von denselben Idealen getragen, an demselben Werke arbeiteten. Es waren Tage der geistigen und seelischen Erneuerung, die allzuschnell verliefen. Tage ernster Beratungen und des Austausches zwischen den Missionaren. Er hatte auch von den Anyotos in seinem Gebiete erzählt und groß war deshalb das Staunen aller, als am 27. Januar ein Eilbote mit einem Schreiben des Apostolischen Vikars von St. Gabriel auf der Mission eintraf. Das Schreiben lautete, es seien an diesem Tage zehn Anyotos, die in Stanleyville zum Tode verurteilt waren, nach Bomili abgereist. In drei Wochen könnten diese dort ankommen. Dort, im Zentrum des Mobalilandes, sollten sie durch den Strang hingerichtet werden. Der Bischof bat einen der Patres der Station, ebenfalls dorthin zu reisen und das Werk der Bekehrung an den Verurteilten zu versuchen. Alle waren sich einig, daß P. Varmer, der doch nach Panga zurückkehren wollte und selbst an der Anyoto-Geschichte beteiligt war, diese Aufgabe übernehme. Ohne Aufschub traf er seine Vorbereitungen und am Samstag, den 29. Januar begab er sich auf den Weg nach Panga, wo er am 4. Februar eintraf.

Hier vernahm er Näheres über die Verurteilten und erfuhr, daß die Hinrichtung nicht vor dem 15. stattfinden würde. So blieb er denn bis zum 9. Februar in der Mission und empfahl seinen Christen, eifrig für die Bekehrung der Verurteilten zu beten, wie ihre christlichen Brüder in St. Gabriel und in Banalya es täten.

Schmerzlich betroffen war P. Varmer von dem plötzlichen, in den letzten Tagen erfolgten Tode des Herrn Remy. Der tapfere Beamte war einem Fieber erlegen. Aber weit und breit murmelte man, sein Tod sei ein Racheakt der Anyotos. Obgleich gar kein Anhaltspunkt zu diesen Vermutungen vorlag, erhielt sich das Gerücht, ein Beweis, welche Macht die Eingeborenen den Schleichmördern zuschrieben.

Um schneller, wenn auch weniger bequem reisen zu können, zog P. Varmer den Waldweg nach Bomili vor. Vier Tagereisen hatte er dazu vorgesehen, allein am zweiten Tage wurde er mitten im Walde von einem Orkan überrascht, der ihn zwang, im nächsten Dorfe Unterkunft zu suchen und das Fieber, das er in seinen Gliedern spürte, zurückzudämmen. So kam er erst Sonntag, den 13. Februar in Bomili an. Doch ging er nicht gleich in die Mission, sondern verblieb auf dem rechten Flußufer, wo die meisten seiner Christen wohnten. In der Hütte des Katechisten fand er Unterkunft.

Am folgenden Dienstag traf der mit der Vollstreckung der Hinrichtung beauftragte Offizier mit einer Kompagnie Soldaten und den Verurteilten in Bomili ein.

Ein Besuch bei dem Offizier klärte ihn über den Gang der Untersuchung und des Prozesses auf. Alle Angaben des Herrn Remy waren durch einwandfreie Zeugen bestätigt worden. Auch weitere Untaten der Angeklagten waren ans Tageslicht gekommen. Gerichtlich wurde festgestellt: Badangi und Zekadksie, Untertanen des Häuptlings Mongudu, haben die Frau Alela mit Messerstichen getötet. Mongudu, welcher der Beihilfe oder der Begünstigung des Mordes angeklagt war, mußte wegen Mangels an Beweisen wieder in Freiheit gesetzt werden. Auch war er beschuldigt, Alingisi und Menzett eine Nacht gefangen gehalten zu haben. Doch er behauptete, es habe sich da um eine bloße Untersuchungshaft gehandelt.

Bafwabanga und Tabeki sind schuldig befunden, das Mädchen Akendokawa unter den Augen ihrer Mutter getötet zu haben. Und der Häuptling Alekete ist der Mittäterschaft überführt.

Alebi hat Bedepe, Hamakuto, Siriago, Batianaga, Mdubutundo und das Mädchen Bokubakoku umbringen lassen. Des Todes von Mandoya, Anabole, Bonge, Ansakana, der Frau Mawere und eines Mädchens aus Bafwambole ist Pwego schuldig befunden worden.

Batebekuko hat Bekwinga, Angabu, die Frau Basali, zwei kleine Kinder und das Mädchen Maroge umgebracht.

Edindeli, Mane und Komondo sind schuldig, das Kind Kambuso aus den Armen seiner Mutter geraubt, ermordet und aufgefressen zu haben.

Asasoa, Balayo und Maduali haben Baiaga getötet und mit Dumba die Leiche verspeist.

Asasoa, Dumba und Maduali haben die Frau Nambele aus Bafwadini mit Messerstichen getötet. Alle diese vier zusammen haben Atembuko mit Gewalt eingesperrt und vier Tage gefangen gehalten. Asasoa hat überdies den Neger Makwakwede und zwei Eingeborene von Bambembe ermordet. Dumba hat in Bambembe drei Schwarze getötet. Maduali und Balayo haben jeder noch zwei andere Neger umgebracht.

Der Häuptling Nbopia ist der Beihilfe an all diesen Morden für schuldig befunden worden.

Während der Untersuchungshaft sind Asasoa, Dumba, Alebi, Alekete und Pwego gestorben. Wer weiß, wie! Vielleicht hatten sie sich heimlich Gift verschafft, um sich der irdischen Gerechtigkeit zu entziehen. Bei den übrigen Zehn lautete das Urteil auf Tod durch den Strang, und dieses Urteil wurde in öffentlicher Sitzung am Obergericht zu Boma rechtskräftig.

P. Varmer dankte dem Offizier für seine Mitteilungen und bat ihn um weitere Auskunft über das Wesen, die Handlungsweise und die Organisation der Anyotos, wie sie die Gerichtsverhandlungen offenbart hätten. Aber der Offizier schüttelte bedenklich den Kopf und sagte: »Viel hat das Gericht nicht zu Tage gefördert. Weitere Schuldige, als die von Remy angegebenen, hat es nicht entdeckt. Es handelt sich bei den Anyotos um einen wohlorganisierten Geheimbund, sonst hätte die weiße Nemesis mehr Licht in die Geheimnisse gebracht. Selbst die Verurteilten haben sich, obschon sie ihre Freveltaten eingestehen mußten, über ihren Bund ausgeschwiegen. Sie geben wohl zu, Mitglieder einer Bande zu sein und auf höheren Befehl gehandelt zu haben, allein kein Sterbenswörtlein über das Wesen und die Organisation der Bande war aus ihnen herauszubringen.

Aus allem kann man schließen, daß dieser Geheimbund aus verschiedenen und von einander unabhängigen Gruppen besteht, deren jede allein auf eigene Rechnung handelt im Dienste eines Oberhauptes, das im allgemeinen der staatlich anerkannte Häuptling des Dorfes ist. Die Gruppen stehen jedoch öfters untereinander in Verbindung und handeln gemeinschaftlich oder helfen sich gegenseitig. So gab Nbopia, der Führer der Anyotos im Badistamm Befehl, den gefangenen Atembuko nicht zu töten, sondern dem befreundeten Bruderbund vom Bomadestamm zur Tötung auszuliefern. Er durfte ihn nicht töten, weil er ihn früher in die Kaste der Mambela eingeweiht hatte und er die Rache der Geister fürchtete.

Sonst wissen wir nichts über die Bande und ihre Ziele. Wir tappen weiter im Dunkeln und das Ergebnis der ganzen Untersuchung ist gleich Null.«

»Aber«, warf der Missionar ein, »die öffentliche Hinrichtung der Schuldigen wird den Mördern ein abschreckendes Beispiel sein.«

»Und die Bevölkerung,« setzte der Offizier hinzu, »wird weiter und in noch größerer Aufregung leben. Wir werden nicht eher Ruhe im Lande haben, bis wir die ganze Gesellschaft mit Stumpf und Stiel ausgerottet haben«.

»Bis das ganze Land die Segnungen des Christentums empfangen hat«, schloß der Missionar. »Allein, Sie wollten mir auch etwas über die Handlungsweise der Anyotos erzählen«.

»Ja, darüber hat die Untersuchung etwas Licht verbreitet«, fuhr der Offizier fort. »Meist ziehen die Mörder ohne Tierverkleidung zum Morden aus. Sie töten mit dem Messer, und wenn der Hunger sie dazu treibt, verzehren sie die Leiche. Die Tiervermummung dient ihnen manchmal dazu, die Eingeborenen in Schreck zu jagen, oder den Mord auf das Konto des Leoparden zu setzen. Die Bevölkerung glaubt felsenfest an die Seelenwanderung und ist überzeugt, daß ein böser Geist die Gestalt eines Leoparden annehmen kann. Ich kann mir die Angst der Leute lebhaft vorstellen, wenn sie im Dunkel plötzlich die helle Gestalt erblicken, die hinter einem Baum geduckt, oder am Boden schleichend sprungbereit ist, sich auf das Opfer zu stürzen. Diesen Volksglauben bestärken die Anyotos, indem sie oft unter den Füßen Holzklötzchen tragen, welche die Form einer Leopardenspur in den Boden drücken. Zum selben Zwecke zerreißen sie die Leiche auch mit einer eisernen Kralle.

Die Anyotos handeln gewöhnlich nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Befehl eines Höheren, im vollen Bewußtsein ihres Verbrechens. Nach vollbrachter Tat kehren sie stets in ihre Heimat zurück, um allem Argwohn aus dem Wege zu gehen. Auch verüben sie ihre Morde stets nach längeren Pausen und immer wieder in anderen Dörfern, unter anderen Menschen. Daß sie öfters Frauen und Kinder anfallen, hat seinen Grund in der leichteren Ausführbarkeit der Tat. Wie es bei Nbopia erwiesen ist, suchen sie ihre Opfer gerne bei befreundeten Stämmen, in Dörfern, die mit ihnen in Frieden leben, weil so der Verdacht kaum auf sie selbst fallen kann.

Die unter Alebi stehenden Anyotos dagegen mordeten meist in ihrem eigenen Stamme und vergriffen sich an ihren eigenen Anverwandten. Ja, mit Zustimmung von Alebi tötete Batebakuko eine von dessen Frauen mit ihrem Kinde. Doch das scheint sicher zu sein: bei ihren Morden lassen sie sich nicht von Habsucht oder Sinnlichkeit leiten, da sie die Toten nicht beraubten und die Frauen nicht mißhandelten. Ebenso sicher ist, daß sie stets im Geheimen morden und nie offen gegen ihre Feinde auftreten. Es ist die reinste Mordlust, die sie treibt, die Lust, Menschen zu töten. Als Lohn für ihre Morde bezahlte der Häuptling ihnen gewöhnlich die vom Staate verlangte Steuer: 6 frs., 45 Centimes.«

P. Varmer war sehr dankbar für das, was der Offizier ihm erzählt hatte, und erbat sich die Freiheit, an den Verurteilten das Werk der Bekehrung versuchen zu dürfen. Alle Vollmacht wurde ihm gerne erteilt, und als er den Offizier mit herzlichen Worten verlassen hatte, suchte er unverzüglich die zum Tode Verurteilten auf. Mit einem Gebet im Herzen betrat er das Gefängnis und zitterte bei dem Gedanken, die Unglücklichen könnten ihn abweisen.

Aber merkwürdig! Auf seinen Gruß antworteten sie mit dem Mobaligruß: Karibu, baba! Das war der Name, den die Christen ihrem Missionar gaben. Hatte die göttliche Gnade ihre Seele schon vorbereitet?

Nach einigen einleitenden Worten ging P. Varmer auf ihre Angelegenheit über. Wohl meinten sie, der Urteilsspruch könne noch abgeändert werden. Auch sagten sie, es liefen noch so viele Schuldige herum, sie hätten doch nur auf höheren Befehl gehandelt. Doch der Pater hielt ihnen vor, das hätten sie beim Gericht sagen können, nun sei es zu spät. Das Urteil sei rechtskräftig und werde in wenigen Tagen vollzogen. Dem irdischen Richter könnten sie nicht mehr entgehen. Die kurze Zeit ihres Lebens sollten sie benützen, im Tode einen barmherzigen Richter zu finden. Sie hätten zwar gefehlt, aber durch das Wasser der hl. Taufe und durch den Glauben an Jesus Christus, den Erlöser aller Menschen, könnten sie den Himmel sich erwerben. Und dann sprach er ihnen von Gott, der alle Menschen als Vater liebt und von allen geliebt werden will. Er erzählte ihnen vom Liebes- und Sühnetod des göttlichen Heilandes, der für uns am Kreuz gestorben sei, damit wir nicht dem ewigen Tode verfielen. Sie lauschten aufmerksam und andächtig und auf die Frage, ob sie denn wirklich dem Satan entsagen und sich in die Arme des barmherzigen Heilandes, an sein liebevolles Herz werfen wollten, antworteten sie mit voller Überzeugung: »Ndyo, baba! Jawohl, Vater!«

Unterdessen beteten die Mobali-Christen für ihre unglücklichen Stammesbrüder, daß der göttliche Heiland auch ihnen ein barmherziger Samaritan werde. Und die Verwandten der Gefangenen wetteiferten darin, ihnen ihre Anhänglichkeit zu beweisen, indem sie ihnen mit Erlaubnis der Behörde immer neue Lebensmittel brachten.

Der Bezirkskommissar sollte erst am Freitag eintreffen. So konnte P. Varmer noch mehrere Tage lang hinüberfahren und die Verurteilten auf die heilige Taufe und auf eine gute Sterbestunde vorbereiten. Schon am zweiten Tage fragte er sie, ob sie wirklich aus voller Überzeugung Kinder Gottes werden wollten. Und ihre Antwort war noch bestimmter als am Vorabende. Sie lernten das heilige Kreuzzeichen machen und vernahmen mit Andacht die Lehre von den großen Geheimnissen unserer heiligen Religion.

Und ihr Herz öffnete sich langsam der Liebe Gottes. Der Missionar hielt sie an, mit vollem Vertrauen auf den Himmel zu hoffen und die irdische Todesstrafe willig anzunehmen als Sühne ihrer Verbrechen. Wie glücklich würden sie! Welch eine Gnade empfingen sie! Vor dem Tode die Taufgnade, das Gewand der heiligmachenden Gnade und der Unschuld empfangen zu dürfen, die ihnen die Pforte des Himmels und der ewigen Seligkeit eröffnen würden!

Mit lauter Stimme beteten sie die Gebete nach, die der Priester ihnen vorsagte, und mit ganzer Seele nahmen sie alles auf. Am Freitag traf Herr Laurent, der Kommissar ein und ordnete die Hinrichtung für den folgenden Morgen an. Sie waren vorbereitet. An diesem Abend sollten sie des Glückes der heiligen Taufe teilhaftig . werden. Mit zwei Katechisten begab sich der Missionar ins Gefängnis, um die heilige Handlung vorzunehmen. Sie begann mit einem gemeinschaftlichen Gebet.

Dann gab der Pater ihnen einen letzten Unterricht, und da es ein Freitag in der Fastenzeit war, sprach er ihnen vom Leiden und Sterben des göttlichen Heilandes. Er erzählte ihnen vom reumütigen Schächer am Kreuze und legte ihnen dessen flehentliches Gebet in den Mund: »Gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst!« Und im Namen des Erlösers gab er ihnen die Zusicherung: »Wahrlich, ich sage dir, heute noch wirst du bei mir im Paradiese sein!«

Ungeduldig und voll Sehnsucht harrten sie des Augenblicks, der sie zu Kindern Gottes machen sollte. Dann knieten sie alle in einer Reihe vor dem Priester. Der eine Katechist solle Taufpate sein, der andere die Küsterstelle vertreten. Und dann floß das Taufwasser über ihr Haupt und wusch sie rein von aller Schuld und Sünde. Dem Häuptling Nbopia gab P. Varmer seinen eigenen Namen und den anderen Täuflingen legte er die Namen seiner Verwandten bei. Im Taufregister von Bomili finden sich deshalb verzeichnet: Anton Nbopia, Justin Komondo, Kornelius Maduali, Johannes Balayo, Alfons Bandangi, Julius Zekadisie, Robert Bafwanbanya, Leopold Mane, Bernhard Batebekuko und Theodor Edindili.

Man kann sich die Rührung des Priesters in diesem feierlichen und gnadenvollen Augenblick vorstellen. Hier empfand er wieder so recht einmal die ganze Größe des Priestertums und das Glück, Priester zu sein. Er fühlte, daß er nur ein Werkzeug der Gnade war, welche die reumütigen Schächer umgewandelt hatte. Mit tiefster Überzeugung und Andacht entsagten sie dem Teufel, der Welt, antworteten mit vor innerer Erregung bebender und klarer Stimme auf seine Fragen. Und mit rührender Andacht sagten sie die Gebete nach, die er ihnen vorbetete. »Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des hl. Geistes!« Nun waren sie Kinder Gottes, frei von den Fesseln der Sünde und der Schuld. Ach wie gerne hätte er ihnen die eisernen Ketten gelöst, mit welchem sie zu je drei gefesselt waren! Nun mochten sie ihre irdische Laufbahn schließen. Das weiße Gewand der Unschuld, das er ihnen auflegte, die brennende Kerze in der Hand: Das waren die Sinnbilder ihrer Bereitschaft zum ewigen Hochzeitsmahle.

Wie beredt wurde P. Varmer, als er mit ihnen eine Danksagung hielt, ihnen von ihrem Glücke sprach, das er gerne mit ihnen teilen würde. Es war eine Weihestunde, wie das Gefängnis, wie er selbst noch keine erlebt hatte. Mit ihrem Schicksal versöhnt, innerlich ruhig und glücklich, konnten die Armen selbst kaum ihrer Rührung Meister werden und zumal Julius Zekadisie war ein Bild tiefster seelischer Ergriffenheit.

Eine letzte herzliche Ermahnung, die letzte Nacht zu heiligen, dann verließ er das Gefängnis. Es war ein Vorhof des Himmels geworden.

In der Frühe des folgenden Morgens, den 19. Februar, war der Missionar auf dem Wege zu den Gefangenen. Es wimmelte von Fahrzeugen auf dem Strome, welche von allen Seiten die Neugierigen herbeibrachten. Die guten Schächer waren schon bereit zum letzten Gang.

Nach dem Morgengebet nahm er sein ganzes priesterliches Herz zusammen, um in einer letzten kurzen Ermahnung sie auf eine glückselige Sterbestunde vorzubereiten: »Nun gehet ohne Furcht in den Tod. Der Himmel steht euch offen. Verzaget nicht! Sterben müssen wir alle. Und ihr habt so oft dem Tode kühn ins Auge geschaut. Betet mit mir und heftet euren Blick auf das Bild des Gekreuzigten, das ich vor euren Augen erheben werde. Jesus Christus, der Sohn des barmherzigen Vaters, ist aus Liebe für euch am Galgen des Kreuzes gestorben ...«

Zum Abschiede umarmte der Missionar die armen Verurteilten, die jetzt seine Kinder, seine lieben Mitbrüder in Christo waren. Julius konnte seine Tränen nicht zurückhalten und bat ihn, seine zwei Kinder seinem Bruder anzuvertrauen, der ein Christ war und bereits zwei seiner Kinder angenommen hatte.

P. Varmer tröstete ihn und versicherte ihm, daß er für die Kinder sorgen wolle. Sie alle sollten für die Anliegen der Mission beten, für Christen und Heiden, für ihn selbst, damit ihr christlicher Tod neues Leben wecke im Lande der Finsternis.

Da ertönte das Signal. Der traurige Zug, an dessen Spitze der Katechist mit einem großen Kruzifixe ging, setzte sich in Bewegung zum Richtplatze. Im weiten Kreise lagerten sämtliche Häuptlinge aus dem Gebiete Panga-Bomili mit ihrer Gefolgschaft. An zwei Seiten standen die Gruppen der Christen. Den inneren Kreis bildete das Militär.

Der Bezirks-Kommissar las mit lauter Stimme das Todesurteil vor und beauftragte den Leutnant Hektar Huysmann mit der Vollstreckung.

Die Gefangenen wurden zum Galgen geführt. Da erblickte Julius zufällig seinen Häuptling und Mitglieder seiner Familie und rief ihnen einige Worte zu, die P. Varmer nicht verstand. Aber der Missionar eilte zu ihm, ermutigte ihn, tapfer zu sein, nicht mehr an Freunde und Verwandte zu denken; er solle nur vertrauensvoll Auge und Herz auf das Kreuzbild richten.

Nun waren sie alle ruhig. Die Soldaten konnten jeden einzelnen zum Galgen führen und den Strick um seinen Hals werfen. Schon standen sie auf dem Balken, da richtete Julius noch einmal seine Worte an die Menge; Isidor Yembeyembe verdolmetschte sie. »Wir sterben für euch. Laßt die Dinge so nicht weitergehen!« Seine Familienangehörigen bat er, das Dorf Mogudus zu verlassen.

Mit auf dem Rücken gebundenen Händen standen sie da. Der Missionar segnete sie ein letztes Mal und machte das Kreuzzeichen, dessen Worte sie laut aussprachen. Nach der letzten Absolution antworteten sie klar und kräftig: » Moyo mtakatifu wa Jesu uturukumie! Heiligstes Herz Jesu, erbarme dich unser!« und dann beteten sie dreimal: » Yesu, wangu, toba – Mein Jesus, Barmherzigkeit!«

»Jesus, Maria ...!« Das Signal ertönte, der Balken wurde unter ihren Füßen fortgezogen und eine halbe Minute später gab keiner mehr ein Lebenszeichen.

Im Augenblick, wo der Balken weggezogen wurde und noch ein Echo der süßen Namen Jesu und Mariä durch die Luft zitterte, begannen die Christen den Rosenkranz zu beten. Die liebe Muttergottes sollte den Sterbenden das Geleit geben zum Richterstuhl des barmherzigen Heilandes.

Christen und Heiden, selbst die anwesenden Weißen standen tiefgerührt unter dem Eindruck dieses christlichen Sterbens.

Nach anderthalb Stunden wurden die Leichen vom Galgen herabgenommen und auf zehn Tragbahren gelegt. Das Begräbnis folgte unmittelbar darauf. An der Spitze ging wieder der Katechist mit dem Kreuze und zwei Ministranten mit brennenden Kerzen. Dann kamen die Tragbahren von je vier Männern getragen und vom Militär begleitet. Hinterher schritt der Missionar in Chorrock und Stola. Die Weißen und die Christen bildeten den Schluß des Zuges, während die Menge der Heiden ehrfürchtig zuschaute.

Das gemeinsame Grab wurden eingesegnet und die Leichen unter dem Gebet des Priesters und der Christen hineingesenkt. Auf dem Hügel aber wurde ein schlichtes Kreuz errichtet.

P. Varmer hatte seine Aufgabe in Bomili erfüllt und kehrte am nächsten Tage nach Panga zurück, das Herz voll süßen Trostes und die Seele voll Hoffnung, daß Ruhe und Frieden bald wohne im Lande der Leoparden.

Doch die folgenden Ereignisse belehrten ihn, daß es mit diesem Frieden noch gute Weile hatte, denn im Laufe der beiden folgenden Monate entdeckte man in der Gegend von Bafwabali-Bafwasende noch fünfzig Morde, deren Täter unbekannt blieben. Auch das Gebiet von Bomili wurde noch durch Mordtaten beunruhigt. Der Häuptling Mongudu wurde erneut gefangen genommen, aber es gelang ihm, zu entwischen.

Noch lange wird es dauern, bis das Land dem Christentum und dem Frieden gewonnen sein wird und noch manch ein Missionar wird sich aufopfern und seine Arbeit und sein Leben in die Furche legen müssen, bis eine christliche Saat ersprießt und das Kreuz als Friedenszeichen leuchten wird im Lande der Mobali.

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