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1. Kapitel.
Auf der Spur der Leoparden.

Mitten im Herzen Afrikas, genau auf der Äquatorlinie, liegt am Ufer des breiten Kongostromes die Missionsstation der Priester vom Herzen Jesu: St. Gabriel. Dort war heute alles in Bewegung. P. Varmer, der sich während des sechsmonatlichen Aufenthaltes in der Hauptstation des Apostolischen Vikariates der Stanleyfälle auf den eigentlichen Missionsberuf vorbereitet und die Achtung und Liebe der Schwarzen erworben hatte, sollte nach dem weit entfernten Missionsposten Avakubi reisen. Jung und alt in der Mission war auf den Beinen. Eine Menge Kisten und Kasten schleppte man zur Landungsstelle, um sie unter der Aufsicht eines Missionsbruders in der bereitliegenden großen Piroge zu verstauen. Das mächtige Fahrzeug, das etwa 40 Menschen fassen konnte, war mit dem Beil aus einem einzigen Waldriesen hergestellt.

Gaffend und plaudernd stand die Menge am Ufer. »Lo–o–oh«, einen Ruf des Staunens hörte man von allen Seiten, wenn wieder eine schwere Kiste mit ihrem geheimnisvollen Inhalt herangebracht wurde. Und der kleine Aloysi, der mehrere Jahre als Boy in die Geheimnisse der Missionswirtschaft eingedrungen war, erklärte mit wichtigen Gebärden, was alles da herangeschleppt wurde. Da gab's einen großen Koffer mit Wäsche, denn Regen, Sumpf und Fieber nötigen den reisenden Missionar des öftern, in einer Nacht bis viermal die Wäsche zu wechseln. Dann folgte eine Reiseapotheke, in welcher das Fieberabwehrmittel Chinin und Englisches Salz den Hauptbestandteil bildeten. Eine Kiste enthält ein Feldbett mit Zubehör und ein gutes Moskitonetz, denn der Missionar will sich nicht der Gefahr aussetzen, von menschenfreundlichen Insekten aufgefressen zu werden; auch hat er nicht gern, wenn eine Schlange, die im Blätterdache der Gasthütte in der Sommerfrische weilt, sich ausgerechnet auf sein Gesicht fallen läßt. Auch Ratten und Mäuse wimmeln gewöhnlich da herum und machen sich ein Vergnügen daraus, den Kopf des Reisenden zu besichtigen. Auch enthält die Kiste Licht und Kerzen, da die Nächte im Herzen Afrikas zwölf Stunden dauern. Eine Wunderfülle von Dingen – so erzählte Aloysi den Neugierigen – war noch in den Kisten verborgen: Ein Reisetisch und ein Liegestuhl, da es für den Weißen gefährlich ist, sich auf den Boden niederzulassen; Nahrungsmittel, da man nicht zu viel auf die Waschensi, auf die Wilden, rechnen kann, die oft selbst nichts als Maniok haben und unbeschreiblich träge sind. Auch kann's geschehen, daß gerade, wenn der Weiße durchreist, nach Aussagen manches Häuptlings die kongolesischen Hühner keine Eier legen wollen; Stoffe und Schokas (Eisenstücke, die von den Eingeborenen als Hacken gebraucht werden). Ferner war da alles Notwendige zum Schreiben und Lesen verpackt, eine Tragkapelle mit allem Zubehör, Gewehr, Revolver, Patronen; endlich eine vollständige Kücheneinrichtung. Doch ist letztere dank des Erfindungsgeistes der modernen Industrie nicht größer, als ein gewöhnlicher Eimer und enthält fabelhaftes Geschirr: einen Kessel, ein Becken, zwei Pfannen, eine Kaffeekanne, eine Bratpfanne, einen Rost, zwei Gläser, zwei Tassen, zwei flache und zwei tiefe Teller, je zwei Messer, Löffel und Gabeln, eine Schüssel und Salz- und Pfefferdose.

All diese Herrlichkeiten lagen nun richtig verstaut in der Piroge, und ungeduldig waren die Augen der Menge nach der großen Kirche gerichtet, aus der endlich der junge Missionar in Begleitung der Patres und Brüder der Station heraustrat. Vor dem Allerheiligsten hatte er sich Gottes Segen für die nicht gefahrlose Reise erfleht.

Zwischen den weißen Talaren der Missionare sah P. Varmer wie ein Forschungsreisender aus: Weiße Hose mit Ledergamaschen, graugrüne Joppe mit Ledergürtel, darin der Revolver steckte, ein großer weißer Tropenhut auf dem Kopfe. Mit Jubel empfing ihn die am Ufer wartende Menge. » Tumusifu Jesu Christi (Gelobt sei Jesus Christus!)« tönte es ihm entgegen. Ein kräftiges » Kwa milele (in Ewigkeit)« war die Antwort des Missionars. Die Negerfrauen drängten sich mit ihren Kleinsten an ihn heran und baten um seinen Segen. Das Rufen und Schreien der Neger übertönte die herzlichen Worte des Abschiedes, welche die Missionare ihrem scheidenden Mitbruder nachriefen.

Jetzt saß er in der Piroge unter einem Blätterdach, das ihn vor der afrikanischen Sonne schützen sollte. Vor ihm zwei Boys, die neben ihrem eigenen kleinen Gepäck Brevier, Gewehr und Kaffeekanne zu betreuen hatten. Zehn kräftige Neger schlugen die Ruder ins Wasser und, von freudigen Rufen begleitet, setzte sich das Fahrzeug in Bewegung.

»Möge Gott dich vor den Leoparden schützen, Mupe!« erscholl noch ein letzter Abschiedsgruß.

Das lange schmale Fahrzeug entglitt bald den Augen der am Ufer Winkenden, aber noch immer hörten diese den eintönigen Gesang der Ruderer:

E – lo – unser Pater geht auf Reise,
Der gute Pater, der uns liebt!
Mög' er im Urwald Leoparden schießen,
Der gute Pater! E – lo – o – o!«

P. Varmer war die Fahrt auf dem Strome stets ein Erlebnis. Die weite Wasserfläche dehnt sich wie ein See, dessen bewaldete Ufer kaum merkbar den Horizont abschließen. Und wenn die Piroge sich dem Ufer nähert, bietet der Urwald stets neue Bilder voll Pracht und Üppigkeit. Es wurde ihm dann schwer, die Blicke von dem großartigen Schauspiel abzuwenden und sich in sein Brevier zu vertiefen.

Erst als das Getöse der Stromschnellen immer lauter die Nähe von Stanleyville verkündete, schloß er das Buch. Eine Viertelstunde später legte das Fahrzeug bei der Missionsstation an. Der alte Missionar, der seit langen Jahren dort wirkte, erwartete ihn am Ufer.

Die Boys besorgten das Ausladen der Kisten, die unter die Obhut eines Christen gestellt wurden. Währenddessen nahmen die Ruderer einen Imbiß ein, um dann unverzüglich die bequemere Rückfahrt anzutreten und sich gemütlich mitten im Strome flußabwärts treiben zu lassen.

Eine Stunde später riß die Ankunft der vom Staatsposten gesandten Träger die beiden Missionare aus ihrer Unterhaltung auf der Barza, wo sie behaglich bei einer Tasse Kaffee saßen. Buana ha mali, ein stolzer Araber, erscheint und meldet, daß zwanzig Träger zur Stelle sind. Die haben sich aber schon über die Kisten geworfen, um sich ein jeder eine bequeme und möglichst leichte Last zu sichern. Erst das resolute Dazwischentreten des Weißen sorgte für den nötigen Ausgleich der Kräfte und Lasten.

Gegen vier Uhr nachmittags setzte sich die kleine Karawane in Bewegung und betrat das Dunkel des Hochwaldes, in dem Affen und Papageien aufkreischten. Es ist der weite äquatorische Urwald, der sich bis zu den großen Seen erstreckt. Mächtige Riesen tragen ihre gewaltigen Kronen, und ihr Laubwerk wird durch mächtige Schlingpflanzen verbunden und verkettet. Nur hie und da verirrt sich ein Sonnenstrahl bis auf die niedrigen Sträucher und Gewächse.

In der verhältnismäßig kühlen Luft schritten die Träger rüstig voran. Heute sollte der Weg nicht lang werden.

Noch vor Sonnenuntergang hatte man das Dorf Makrubi erreicht. Ein Glück für die Karawane, denn kaum hatte der Weiße sich in der Gasthütte wohnlich eingerichtet, als mit urplötzlicher Geschwindigkeit ein Orkan einsetzte, der die Hütte umzuwerfen drohte. Die Wände bogen sich unter der Wucht des Tornado, die Stämme ächzten und krachten, aber sie hielten stand. Nur das Dach ließ an einer Stelle die Regenflut eindringen. P. Varmer wußte sich aber zu helfen. Kiste auf Kiste wurde aufgebaut und oben drauf das große Gefäß als Sammelbecken aufgestellt, das sonst die Kücheneinrichtung enthielt. So entging er der Wasserflut. Allein das furchtbare Blitzen und Donnern, das fast ohne Unterbrechung eine Stunde lang dauerte, lag schwer auf seinen Nerven. Solch ein Unwetter hatte er noch nicht erlebt, und aus ganzem Herzen dankte er der Vorsehung, als das Blitzen und Donnern nach und nach in größeren Abständen erfolgte und das Verziehen des Tornado ankündigte.

Nach einer kühlen Nacht sah der neue Tag die Karawane schon früh unterwegs. Der Weg war beschwerlich, die Waldpfade aufgeweicht und öfters in kleine Sümpfe verwandelt. Allein es hieß voran. Die Träger, die nicht so leicht ausschreiten konnten und hie und da ausglitten, mußten öfters als gewöhnlich rasten, um einige Bananen oder etwas Maniok oder Reis zu essen, den sie am Abend vorher gekocht und sorgfältig in frischgrüne Blätter eingewickelt mitgenommen hatten. Aber bald wieder erscholl des Führers Stimme: »Tembela! Vorwärts!«

Kurz nach Sonnenuntergang erreichten sie das Dorf Musa, das in einer weiten Lichtung liegt. Der Häuptling, der dem Weißen mit einem kleinen Gefolge entgegenkam, begrüßte ihn auf das herzlichste und wies ihm eine Gasthütte an, die aber selbst nach afrikanischen Begriffen wenig sauber war. Es war keine geringe Arbeit, den Unrat herauszuschaffen und die Wände und Ecken von sämtlichem Getier zu säubern.

P. Varmer machte dem Häuptling Vorhaltungen wegen dieser Unordnung. Der aber entschuldigte sich tausendmal. Es sei so lange her, daß ein Weißer hier gerastet, und im letzten Augenblicke erst habe der Gong ihm seine Ankunft gemeldet.

Während die Boys für den Abendimbiß sorgten, ging der Missionar ins Dorf und unterhielt sich mit den Leuten, die vor ihrer Hütte am Feuer saßen. Ein wahres Freudengeheul erhob sich jedesmal, wenn er einige Fingerspitzen voll Salz in den Kochtopf warf und so den Reis oder den Maniok etwas würzte und schmackhafter machte.

Nach dem Abendessen wurde es stiller im Dorfe; der Schein der Feuerstellen lohte aber unvermindert in das Dunkel der Nacht hinein. Nur fiel dem Pater auf, daß die Ziegen überall unruhig meckerten. Gerade als er darüber nachsann, erschien noch einmal der Häuptling, um ein Plauderstündchen zu halten.

»Weißer«, sagte er, »ich bin froh, daß du in unser Dorf gekommen bist, denn gerade in den letzten Nächten hat ein Leopard uns heimgesucht und mehrere Ziegen zerrissen. Hör nur, wie furchtsam die Tiere geworden sind! Beim Dunkelwerden überfällt sie die Angst vor dem Leopard«.

»O, mit einem solchen Tier werden deine Leute doch schon fertig«, scherzte der Missionar. »Ihr habt doch Fallen gelegt! Und ihr habt Lanzen und Pfeile!«

»Das allerdings, Weißer! Aber der Leopard ist wie ein böser Geist. Man sieht ihn nicht kommen und bemerkt nur nachher die Folgen seines unheimlichen Besuches. Aber du hast eine gute Waffe, dein Donnergewehr. Damit könntest du uns den Leoparden vom Halse schaffen«.

»Ja, wenn er mir unter die Waffe käme«, entgegnete der Missionar, »würde ich ihn wohl erledigen; aber ich habe keine Lust, mich diese Nacht auf die Lauer zu legen, zumal der Leopard eine gute Nase hat und meist dorthin schleicht, wo ihn keiner erwartet«.

Die Unterhaltung währte nicht lange, und P. Varmer lag bald in festem Schlafe. Die Nacht blieb übrigens ziemlich ruhig.

In der Frühe des neuen Morgens, nachdem der Missionar die hl. Messe gelesen und gefrühstückt hatte, brach die Karawane wieder auf. Der Weg durch den morgendlich kühlen Wald war nicht beschwerlich. Er führte im Laufe des Tages durch vier Bakumudörfer, die an Reinlichkeit und Ordnung ohne Übertreibung wohl manches Dorf in Europa in Schatten stellten. In einigen dieser Dörfer bemerkte der Weiße runde Dächer in Form von großen Pilzen, unter welchen eine Menge bemalter Schemel standen, auf deren Mitte ein Knopf angebracht war. Das waren die Heiligtümer des Dorfes. Vor den Hütten der Eingeborenen fand der Missionar oft kleine etwa ½ Meter breite Häuschen, darin nach dem Glauben der Bakumu die Geister der Verstorbenen wohnen. Täglich setzt man diesen Geistern Speisen vor. Doch geschieht das nicht aus Liebe zu den Verstorbenen, sondern aus Furcht vor deren Rückkehr. »Arme Bakumu!« seufzte der Pater. Und doch kamen ihm die Bakumu nicht so wild und rauh vor, wie er sie aus den Schilderungen seiner Mitbrüder kennen gelernt hatte. Sie sahen wohl wilder aus, als die anderen Neger, waren weniger bekleidet, zeigten aber ein zutrauliches Wesen; sie waren bisher wenig mit den Weißen zusammengekommen.

Im arabischen Dorfe Lomata wurde endlich Halt gemacht; denn in den Dörfern der Araber oder Arabisierten, der Nachkommen der früheren Sklavenjäger, findet man am leichtesten Lebensmittel. Europa duldet aus Eigennutz hier die Sklaverei mit all ihren Greueln und Härten. Die Sklaven müssen das Land bebauen und dem europäischen Militarismus in Afrika die nötigen Lebensmittel verschaffen.

Die Neger grüßten nach arabischer Sitte mit leichter Verneigung und auf der Brust gekreuzten Armen: »Swaheri Bwana!« Der Häuptling erschien mit großem Gefolge, um den verhaßten Weißen in untertänigster Höflichkeit zu begrüßen.

Ein Trupp Negerweiber mit weiß bemalten Gesichtern, Staub in den Haaren, mit Laubkränzen um den Hüften, war gerade daran, die seltsamsten Windungen und Verrenkungen auszuführen, als die kleine Karawane den Dorfplatz betrat. Sie ließen sich aber durch die Ankunft des Weißen nicht stören und tanzten, sangen, jammerten und weinten weiter. Es waren die offiziellen Klageweiber des vor drei Tagen verstorbenen Häuptlings. Als die Zeremonien aber zu Ende waren, kamen die Schwarzen neugierig herbei, um den Weißen zu betrachten. Die veraraberten Neger jedoch, die mit einem Kangu, einem gelben Langhemd, bekleidet waren, blieben zurückhaltender. Erst gegen Abend ließen auch sie sich herbei, die Karawane etwas näher in Augenschein zu nehmen.

Nogi, der Kochboy meinte, die führten nichts Gutes im Schilde, doch der Weiße beruhigte ihn mit dem Hinweis auf seine Donnerbüchse. Auch in dieser Nacht schlief er ruhig, das Dorf blieb still.

Dafür wurde aber der Marsch am folgenden Tage um so beschwerlicher. Es ging durch den düstern, einsamen und an vielen Stellen sumpfigen Wald. Der Weiße hatte keine Zeit, den prachtvollen Baum- und Pflanzenwuchs zu betrachten, die hochragenden gewaltigen Könige des Urwaldes, die Riesen, deren gewölbeartige Kronen in der Glut der afrikanischen Sonne leuchteten. In der Schwüle und dem drückenden Halbdunkel hieß es mit heiler Haut durch die Sümpfe waten und sich Wege bahnen. Wie erlöst atmeten alle auf, als sie gegen 1 Uhr das veraraberte Dorf Lisimu erreichten.

Der Häuptling erschien und wies die Gasthütten an. Doch kaum hatte der Weiße sich etwas häuslich eingerichtet, als seine Träger mit dem Häuptling streitend zu ihm kamen. Der Alte entschuldigte sich, daß er für einige der Träger keine Schlafhütte habe; es sei wohl noch eine leere Hütte da, allein niemand wolle darin übernachten. Die Träger aber schrieen, es sei eine Spukhütte, in der böse Geister wohnten. Vergebens nahm der Pater die Hütte in Augenschein, vergebens beteuerte der Häuptling, es sei nichts Besonderes an der Hütte; die Träger waren nicht zu bewegen, den Fuß über die Schwelle zu setzen und zogen vor, die ganze Nacht unter freiem Himmel zuzubringen. Der Lärm und das Geschrei hatten sich noch nicht gelegt, da ertönte es plötzlich mit Stentorstimme über den Platz. Ngelesa, der Nyampara oder Aufseher der Träger, verkündete mit wichtiger Amtsmiene:

»Höret alle, ihr Bewohner von Apache und Kitengua, und ihr Träger! Wisset, daß ihr Vorsorge treffen müßt und in dieser Nacht eure Hütten nicht verlassen dürft. In den benachbarten Dörfern haben die Leoparden große Verheerungen angerichtet. Seid also auf eurer Hut!«

Die Leoparden! Immer wieder die Leoparden! meinte P. Varmer, indem er sein Gewehr prüfte. Aber die Träger, welche im Freien kampieren wollten, hatten noch mehr Angst vor den bösen Geistern in der leeren Hütte, als vor dem Leoparden, und sie baten den Weißen, er möchte ihnen sein Gewehr leihen. Dieser hütete sich wohl, ihrer Bitte zu willfahren. Er hätte sein Gewehr nimmer wieder gesehen. Vergeblich suchte er sie zu beruhigen und gab ihnen etwas Salz zum Troste. Auch munterte er sie auf, ihr Feuer gut zu unterhalten, das würde den Leoparden und auch die bösen Geister verscheuchen. Zum Glück zeigte sich kein Leopard, und als der Morgen graute, war die Karawane wieder auf dem Wege. Diesmal war auch der Marsch angenehmer und weniger lang. Er führte immer durch den Wald, war aber ziemlich bequem. Gegen Mittag sah man eine Lichtung und das Dorf Longena bot sich in reizender Lage dar. Es erinnerte an ein zwischen grünen Obstbäumen gelegenes europäisches Dorf. Nichts Außergewöhnliches geschah hier. Nur erzählten die Neger wieder von den Mordtaten des Leoparden. Überall große Aufregung und Sorge. Gegen die blutdürstige Bestie sind die Schwarzen fast wehrlos. Das Tier gerät bloß selten in eine Falle und meidet auch die Feuerstätten. Es ist ein unheimlicher, weil meist unsichtbarer Feind und deshalb der Schreck der Negerdörfer im weiten Urwald.

Nach einer ruhigen Nacht zog die Truppe weiter. Der Weiße lud seinen Revolver und untersuchte noch einmal sein Gewehr, denn es hieß, das Gebiet sei nicht ganz sicher. Die Ansicht schien sogar bestärkt zu werden durch den Anblick des Dorfes Mutejimba, das ganz ausgestorben war. Doch merkwürdig! Alle Hütten standen noch da mit ihren kugelförmigen Grasdächern. Bei einem feindlichen Überfall wäre das wohl anders gewesen. Einer der Träger machte nun den Missionar auf die Fußspuren eines Leoparden aufmerksam, die man in dem vom Regen aufgeweichten Boden gut verfolgen konnte. Es schien ein von seinem Jungen begleitetes Weibchen zu sein, das, nachdem die Neger das Dorf verlassen hatten, nochmals einen nächtlichen Besuch gewagt hatte. Aber aus welchem Grunde mochten die Schwarzen das Dorf verlassen haben? Drohte irgend eine Gefahr von einem feindlichen Stamme? Oder hatten sie sogar vor dem weißen Manne Reißaus genommen? Denkbar war's.

Jedenfalls war eine Unruhe über die Karawane gekommen, als sie nun weiterzog. Nach kurzer Wanderung durchschritten sie den Kumafluß, dessen dunkle, reißende Wasser sich in die Tschopo ergießen. Auf dem jenseitigen Ufer waren die Leute von Mutejimba mit der Neuaufrichtung ihres Dorfes beschäftigt. Eine kurze Pause auf dem Wege gestattete P. Varmer, den Schleier des Geheimnisses zu lüften. Der Häuptling, der sogleich bei der Ankunft der Truppe herbeigeeilt war, erzählte, er habe mit all seinen Leuten das alte Dorf verlassen müssen.

»Einer meiner Leute hatte das Dorf verhext. Als es mit den Mordtaten des Leoparden kein Ende nahm, habe ich alle Leute versammelt und ihnen erklärt: »Ihr sehet, daß der Leopard alltäglich neue Opfer von uns fordert. Ohne Zweifel ist es einer von euch, der ihn herbeigerufen hat und der so die Ursache unseres Unglückes ist. Ich fordere den Betreffenden auf, sich zu melden! Da keiner antwortete, hat der Zauberer den Schuldigen entdeckt und zur Giftprobe verurteilt. Der Ausgang hat seine Schuld bewiesen. Er ist am Gift gestorben.«

»Aber, Häuptling«, fragte der Weiße, »haben hernach die Unglücksfälle aufgehört?«

»Nein, das nicht. Das Dorf war eben verhext. Und deshalb mußten wir es verlassen«.

»Der Leopard scheint aber der Schuldige zu sein und nicht der arme Schwarze, der am Gift gestorben ist. Ich habe selbst seine Spuren im Dorfe gesehen, Häuptling.«

»Mag er hingehen, so oft er will«, erwiderte gleichgültig der Neger, »ich habe den Fluß dazwischen gelegt. Hierher kommt er nicht«.

Doch P. Varmer mußte weiter. Erst in Panya wurde Halt gemacht. Die männliche Jugend stand spalierbildend am Eingang des Dorfes und grüßte militärisch, als der Weiße mit seiner Karawane einzog. Und der freundliche Häuptling ließ eine Menge Lebensmittel herbeibringen. Zum Danke dafür lud der Missionar die Kranken zum Verbinden ein und übergab ihnen von seinen Heilmitteln.

Die Nacht verlief ohne weitere Störung.

Der folgende Tag war wieder sehr beschwerlich. Deshalb wurde bereits nach dreistündlichem Marsche in Mwinyi-Katoto Halt gemacht. Der Einzug in das Dorf bot ein neues Schauspiel. Vor der Karawane bewegte sich eine seltsame Persönlichkeit. Ihr Gesicht war mit Mehl und Staub bepudert, der Körper mit buntem Plunder bedeckt. Aus dem Haar ragte ein dichter Federbusch hervor. Mit unstetem Blick, mit Kastagnetten und Schellen an den Hand- und Fußgelenken windet und krümmt er sich in der gräßlichsten Weise, schlägt sich gegen die Brust, springt vorwärts und rückwärts und schwingt seine Lanze gegen einen unsichtbaren Feind. Das war der Medizinmann des Dorfes oder vielmehr seine Frau, die vielleicht durch ihre Vorführungen dem Weißen eine hohe Meinung von ihrer Würde und Geschicklichkeit abringen wollte. Doch P. Varmer schenkte ihr keine Beachtung und ließ sich gleich in der Gasthütte nieder.

Am anderen Morgen begegnete die Karawane nicht weit hinter dem Dorfe Mobali-Negern, obgleich das eigentliche Mobali-Gebiet erst hinter Bafwaboli anfängt und bis zum Aruwimi oder Ituri reicht. Gegen 9½ Uhr war man in Kalenga, das sich kreisförmig am linken Ufer der Tschopo aufbaut.

P. Varmer war erstaunt über die herrliche Landschaft. Der Fluß verläßt hier das Dunkel des Waldes und rollt seine dunklen Wasser etwa zwei Kilometer weit durch die Ebene. Gegenüber Kalenga auf dem andern, ziemlich hoch gelegenen Ufer schimmerte aus einem Palmenhain das zierlich aus roten Ziegelsteinen errichtete Gebäude des Militärpostens hervor. Der Missionar wollte nicht vorübergehen, ohne dem dortigen Weißen einen Besuch abzustatten.

Herr Graven empfing ihn freundlich und lud ihn zu einem kleinen Imbiß auf seiner Barza ein. Es wurde wie immer, wenn zwei Weiße in Afrika sich begegnen, das Neueste ausgetauscht, wenn es für unsere Begriffe auch schon als »alt« bezeichnet werden mußte. Und dann sprach man von den Negern, über die jeder Weiße sich hundertmal am Tage ärgert.

»Ich weiß nicht, Herr Pater, was hier eigentlich los ist«, begann der Beamte, »die Gegend wird hier durch die Leoparden dermaßen in Unruhe versetzt, daß sogar ganze Dörfer verlassen da stehen, weil die Eingeborenen geflüchtet sind.«

»Ja, ich habe es selbst in Mutejimba gesehen«, bestätigte P. Varmer, »und auf der Reise hörte ich schon öfters von den Leoparden erzählen.«

»Das ist sicher«, versetzte Herr Graven, »die hiesige Gegend ist das Eldorado der Leoparden, und diesen Katzen ist nicht beizukommen. Aber – und das werden Sie vielleicht noch nicht wissen, Herr Pater – ich für meine Person glaube, daß bei all den Mordtaten, die man den Bestien zur Last legt, auch zweibeinige Leoparden beteiligt sind.«

»Ich verstehe nicht, Herr Graven«, warf der Pater ein.

»Ich bin der Meinung«, entgegnete der Beamte, »daß hier in der Gegend und noch mehr jenseits der Tschopo, also im Gebiet der Mobali, mancher Mord geschieht – ich weiß allerdings nicht, aus welchen Gründen – und dann sagt man, der Leopard sei dagewesen«.

»Da muß ich staunen, Herr Graven. Allein ich glaube, Sie sehen zu schwarz«, meinte der Missionar kleingläubig. »Überall, wo ich durch die Dörfer kam, oder wo ich mein Nachtquartier aufschlug, hörte ich von Leoparden, die Ziegen zerrissen oder Menschen getötet haben«.

»Hat Häuptling Mbula von Mutejimba Ihnen denn nicht erzählt, wie viele Männer und Frauen und Kinder in seinem alten Dorfe getötet worden sind?« fragte der Weiße, indem er forschend seine grauen Augen auf den Pater richtete.

»Wohl, Herr Graven! Doch wer sagt, daß die nicht wirklich die Beute eines Leoparden gewesen sind? Ich selbst habe die Spuren des Tieres dort im nassen Boden gesehen. Kleinere Spuren liefen daneben. Ich bin sicher, es handelt sich dort um ein Leopardenweibchen, das von seinem Jungen begleitet war. Diese Tiere sind besonders gefährlich und blutdurstig und fallen gerne Menschen an. So ein Weibchen ist gleichsam stets gereizt durch seine Sorge um sein Junges und scheint diesem das Morden und Nahrungsuchen beibringen zu wollen«.

»Ihre naturwissenschaftlichen Kenntnisse in allen Ehren«, lachte der Beamte, »nach meiner Ansicht sind nicht all diese Morde auf das Konto des Leoparden zu setzen. Im Gebiet der Mobali haben sie sich sehr gehäuft, wie mein Kollege von Bomili mir kürzlich mitteilte. Auch er meint, es müßten Verbrecher dabei im Spiele sein«.

»Bei den Bakumu würde ich solches eher annehmen«, versetzte der Missionar, »als bei den Mobali. Die sind doch, wie meine Konfratres mir erzählt haben, eher sanft als wild. Gerade wegen ihres ängstlichen und versöhnlichen Charakters sind sie nicht selten der Spielball ihrer wilden Nachbarn gewesen. Und Sie selbst, Herr Graven, kommen oft genug mit Mobali zusammen und haben deren unter den Soldaten und Arbeitern der Station. Geben Sie nicht zu, daß diese Leute noch heute nach Belieben mit sich schalten und walten lassen?«

Siegessicher schaute der Pater den Beamten an. Doch dieser wollte sich nicht ergeben und fuhr fort: »Darüber habe ich auch schon nachgedacht, Herr Pater! Allein, sollte das nicht gerade ein Grund für die Mobali sein, in feiger und hinterlistiger Weise sich ihrer Feinde zu entledigen und so ihre Ziele zu erreichen, die sie mit Aufruhr und Gewalt nicht erreichen würden? Feigheit und Grausamkeit wohnen nahe zusammen«.

»Wie gesagt«, warf P. Varmer ein, »ich glaube es noch nicht. Beweisen stichhaltiger Natur würde ich mich natürlich nicht verschließen«.

»Beweise allerdings habe ich noch nicht. Erst in letzter Zeit, wo die Mordtaten sich mehrten, sind solche Vermutungen in mir aufgestiegen. Jedenfalls müssen wir der Sache unser Augenmerk schenken und Mittel finden ...«

»Sicher, Herr Graven! Da fällt mir ein: Kennen Sie die Mobali-Sprache?«

»Leider nicht, Herr Pater! Mit Mühe habe ich mir das Suaheli angeeignet. Und Sie wissen, daß unsereiner sich leicht damit zufrieden gibt. Bei all unseren Arbeiten und Verpflichtungen ... Und doch, Ihr Gedanke ist gut. Ich muß mich mal drangeben, so schwer es auch ist. Und ich hoffe, daß Sie auf Ihren Reisen und auf Ihren Stationen, besonders in Bomili, die Sache im Auge behalten werden«.

»Selbstverständlich«, nickte der Missionar, »ich selbst habe ein außerordentliches Interesse daran – doch wird's Zeit, mich zu empfehlen. Hier in diesem Moskitonest möchte ich nicht die Nacht zubringen«.

»Aber, Herr Pater«, schmunzelte der Beamte, »ich muß doch hier aushalten und sitze schon acht Monate hier«.

»Und würden gern morgen am Tag den Posten gegen einen andern vertauschen, nicht wahr, Herr Graven?«

»Allerdings. Gegen die Moskitos sind wir hier machtlos. Hoffentlich kriegen wir aber die Leoparden unter. – Nun, es hat mich sehr gefreut, Sie hier haben begrüßen zu dürfen. Rechnen Sie stets auf meine Gastfreundschaft, wenn Ihr Weg Sie in diese Gegend führt. Ich bin ein Freund der Missionare und stehe gern zu ihren Diensten. Sollten Sie hier mal einen kleinen Posten errichten wollen, rechnen Sie dann auf mich«.

Nach einem herzlichen Abschied begleitete der Beamte den Missionar bis zum Flusse, der hier etwa hundert bis hundertzwanzig Meter breit ist. Der Missionar setzte über und war bald wieder bei der Karawane.


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