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9. Kapitel.
Leutnant Sander.

Eines Tages überbrachte ein Soldat dem Missionar ein Brieflein des Kommandanten mit der Einladung zum Abendessen. Es sei ein Weißer aus Bambembe vorübergehend auf der Station, der auch Neues über die Anyotos erfahren habe. Es werde ihn, den Pater, wohl interessieren, davon zu hören. Natürlich nahm P. Varmer diese Einladung an, und trotz der vielen Arbeit machte er sich zeitig auf den Weg zum Militärposten.

Herr Vanhagen empfing den seltenen Gast mit erhobenem Finger: »Aber, Herr Pater! Sie haben Ihr Versprechen, bald wiederzukommen, nicht gehalten! Und wir wohnen so nahe beisammen!«

Der Missionar entschuldigte sich mit seiner Arbeit, mit seinen notwendigen Reisen zu den Nebenposten.

»Nun, Herr Pater, ich verstehe,« meinte der Kommandant begütigend, »heute wollen wir das Versäumte kräftig nachholen. Doch da kommt ja schon unser Gast.«

Zwischen dem Adjutanten Meulen und Dr. van Lo schritt ein stämmiger Soldat in Leutnantsuniform auf die Barza zu. Es war Herr Sander aus Panga, der auf einer Dienstreise nach Bomili begriffen war. Nach einer freundlichen Begrüßung gingen die Herren durch die Barza in das Wohnzimmer des Kommandanten, wo dienstbare Geister schon die Tafel gedeckt hatten. Ernste und launige Reden würzten das Mahl, das nach afrikanischen Begriffen »großartig« genannt werden mußte. P. Varmer brannte vor Begierde, von Herrn Sander Neues über die Anyotos zu vernehmen, aber auf eine diesbezügliche Frage schnitt der Kommandant mit bezeichnendem Blick auf die Diener die Antwort ab. »Gleich, bei der Zigarre sind wir unter uns, denn ...«

Das Essen dauerte dem Missionar zu lange, und als endlich die Kaffeemaschine auf dem Tisch summte und einige Flaschen Wein bereitgestellt waren, durften die Diener sich entfernen.

Die Herren machten es sich gemütlich in ihren Liegestühlen und zündeten die feine Zigarre an, die Herr Vanhagen ihnen reichte.

»Jetzt, Herr Leutnant, dürfen Sie erzählen. Ich habe Ihnen ja schon die wichtigsten Tatsachen mitgeteilt, die wir in der Anyoto-Geschichte dem wackeren Pater verdanken. Es wird ihn sehr interessieren, weiteres von Ihnen zu hören. Übrigens, Herr Pater, damals wollte ich Ihnen von dem, was ich selbst in Erfahrung gebracht hatte, noch nichts erzählen, weil es nur auf Vermutungen und Verdachtsgründen beruht. Ich hatte es Herrn Remy nach Panga mitgeteilt, und der hat dann einen guten Detektiv, Herrn Leutnant Sander beauftragt, die Tatsachen aufzuklären. Und es ist ihm vollständig gelungen. Die Geschichte wird immer reizvoller. Eine Unmenge Material haben wir herbeigeschafft, allein ich glaube, es ist noch vieles zu entdecken, was nie ans Tageslicht kommen wird.«

»Ganz bestimmt,« warf der Leutnant dazwischen.

»Aber wir haben so viel entdeckt, daß ich die großen Augen der Herren vom Gericht sehen möchte, wenn ihnen die Sachen unterbreitet werden. Ha, ha, ha.« Er lachte schadenfroh. »Doch nun, Herr Leutnant, legen Sie los!«

»Verzeihung, Herr Kommandant,« entgegnete der Angeredete, »ich darf Ihnen nicht vorgreifen. Wollen Sie nicht zuerst erzählen, was Ihnen in Bezug auf die Mörder von Badi begegnet ist?«

»Ja, das ist schnell gesagt: Kommt da eines Tages ein Mann aus Bafwadini zu mir, der mir folgendes mitteilte: Vor einiger Zeit, kurz nachdem Vollmond gewesen war, fand man bei uns im Dorfe Bafwadini die Frau Nambele tot in ihrer Hütte, den Körper voll Messerstiche. Sie war die Bibi, die Hauptstau des Kandugu. Gleich war große Aufregung in der Ortschaft. Ich wußte es aber nicht, da ich im Walde war und Kautschuk suchte. Ich war ziemlich weit in den Wald hineingeraten. Nachdem ich meinen Topf voll Kautschuk hatte, setzte ich mich auf einen umgestürzten Baumstamm, um etwas Maniok zu essen, den ich mitgenommen hatte. Es war ganz ruhig rings umher. Plötzlich höre ich in der Nähe sprechen. Ich schaue hin und horche, horche. Auf einem ganz nahen Pfade, den ich noch nicht gesehen hatte, gingen Männer. Durch das Untergehölz sah ich, daß es drei Männer waren, ihren Oberkörper jedoch konnte ich nicht sehen. Da war ich ganz still und hörte, wie einer sagte: Dumba, du bist dümmer als ein Flußpferd. Weshalb nahmst du sogleich Reißaus, als die Leute vorübergingen? Du bist schuld, daß wir die Frau mußten liegen lassen. Das hätte einen feineren Schmaus gegeben als der häßliche Baiaga. – Der Angeredete aber verteidigte sich: Hapana maneno, das ist mir einerlei. Du sprichst wie ein Ettungu (Papagei). Wir hätten überrascht werden können. Bassi, genug! Der Ngama wird auch so mit uns zufrieden sein. – Das hörte ich sagen, dann verschwanden sie. Ich schlich ihnen langsam nach auf dem Pfad, den sie gegangen und sah, daß sie in der Richtung von Badi verschwanden.

Als ich nach Hause kam, hörte ich, daß man Nambele tot gefunden hatte. Sogleich ging ich zu Kandugu, der an der Leiche saß, sich die Haare raufte und immer nur schrie: Amekufa – sie ist tot. Ein böser Geist hat sie getötet. Ich nahm ihn beiseite und erzählte ihm, was ich zufällig im Walde gehört hatte. Da sagte er: ›Auch der Eboga, der Zauberer, hat gesagt, sie sei von einem fremden Menschen getötet worden‹. – Kandugu lief nun schnell zum Häuptling und erzählte ihm die Sache. Doch der zuckte die Achseln und meinte: ›Tot ist tot. Aber wir dürfen kein Aufsehen davon machen. Der Badistamm ist uns nicht gewogen, und Nbopia, sein Häuptling, ist ein geriebener Kerl, mit dem ich keine Schwierigkeiten haben will. Übrigens laden wir uns den Bula-Matari auf den Hals, und dann ergeht es uns noch schlimmer. Am besten schweigen wir, oder sagen, ein Leopard habe deine Frau getötet‹. –

Doch Kandugu wollte sich nicht so leicht ergeben und sagte: Ndisso, der Häuptling will mit der Sache nichts zu tun haben. Willst du nicht nach Bomili zum Weißen gehen und dort erzählen, was hier geschehen ist? Ich gebe dir drei Bananenkolben dafür. Und da bin ich gekommen und habe alles erzählt. – So schloß der Neger. »Ich hätte ja eigentlich,« fuhr der Kommandant fort, die Angelegenheit gleich dem Staatsanwalt übergeben können. Allein, die Verdachtsgründe schienen mir noch nicht durchschlagend genug, und so teilte ich das Gehörte Herrn Remy nach Panga mit. Nun, Herr Leutnant, haben Sie das Wort.« Der Kommandant lud zum Austrinken ein und füllte die Gläser mit altem Burgunder.

Herr Sander tat einen kräftigen Zug an seiner Zigarre und den Rauchkringeln nachschauend, die er in die Luft blies, begann er:

»Ja, das ist alles, was wir wußten, als Herr Remy mir den geheimen Auftrag gab, nach Badi zu reisen. Dort sollte ich übrigens die Angelegenheit eines Soldaten regeln, der dort dem Kautschukposten vorsteht und in eine Weibergeschichte verwickelt war. Herr Remy bat mich, bei dieser Gelegenheit vorsichtig nachzuforschen, ob in Badi ein gewisser Dumba wohne und ob er als Mörder der Frau Nambele aus Bafwadini in Frage komme. Ich kam also nach Badi, wo ich im Militärposten wohnte. Meinen Auftrag hatte ich schnell erledigt. Es klappte alles. Es kam mir auch günstig aus, daß der Bezirksamtmann mir seine Gastfreundschaft für einige Tage anbot. Ich fragte ihn nach einem gewissen Dumba von Badi. Das Personenverzeichnis des Postens enthielt diesen Namen nicht. Aber das genügte mir nicht, denn allzuoft geben die Schwarzen falsche Namen an und sind von der Behörde kaum zu erreichen.

Am folgenden Abend kamen einige Leute aus dem Dorfe zum Posten und überbrachten Lebensmittel vom Häuptling. Ich ließ mich mit ihnen in ein Gespräch ein, und es freute sie, daß ich Interesse für ihr Dorf hatte.

»Bis jetzt war ich noch nicht in Badi,« sagte ich, »und habe noch niemals Badileute gesehen. Doch einen; ja, das fällt mir gerade ein. Auf einer Reise traf ich einmal einen Badimann, der Dumba heißt. Kennt ihr den vielleicht? Lebt der noch? – ›Ah – Dumba! Ja, der lebt noch‹, bestätigten sie mir alle. ›Der heißt eigentlich Ngufa und ist ein Verwandter des Häuptlings und ein mächtiger Mann‹. – Nun wußte ich fürs erste genug und ging schnell auf ein anderes Thema über. – ›Gibt es hier auch Leoparden? Sind ihnen hier auch schon Menschen zur Beute geworden?‹ fragte ich. – ›Ja, man sagt, der Baiaga, der plötzlich verschwand, sei von Leoparden gemordet worden‹, antwortete mir einer. – Bei dem Worte Baiaga sah ich zufällig, wie einer der Leute den Sprecher finster anschaute und unwillkürlich eine Bewegung machte, als wolle er sagen: Halt's Maul, sprich nicht davon! als sei ihm peinlich, daß der andere diesen Fall erwähne. Doch ich sagte ruhig: ›Fast überall, wo ich gewesen bin im Urwald, hörte ich von Leoparden. Ich möchte gern einmal einen unter mein Albini bekommen.‹ – ›O – o – der Leopard ist ein gefährliches Tier‹ bestätigten sie alle.

»Nun fragte ich sie nach ihrem Namen und merkte mir bloß den Namen des einen, der den Fall Baiaga erwähnte und den des anderen, der ihn dabei so finster und unmutig anschaute: Balayo und Maduali. Ich gab den Leuten etwas Tabak, und vergnügt gingen sie davon. Langsam schlenderte ich ihnen eine Weile nach und bemerkte, wie der Maduali heftig mit Balayo zankte. Er machte ihm sicher Vorwürfe, in unkluger Weise den Fall Baiaga vor einem Weißen erwähnt zu haben«.

»Richtig, so wird's sein!« bestätigte P. Varmer.

»Bis jetzt wußte ich also«, fuhr Leutnant Sander fort, »daß einer der Mörder der Frau Nambele dieser Dumba aus Badi ist, daß in Badi ein gewisser Baiaga ermordet und verspeist worden ist und daß die beiden Balayo und Maduali in einer Beziehung zu dieser Freveltat stehen, oder wenigstens als Zeugen dafür in Betracht kommen. Aber damit habe ich mich nicht begnügt.

Auf der Station Badi war ein Pistonnier (ein Landbriefträger, der mit einem alten Pistongewehr bewaffnet den amtlichen Botendienst zwischen den Posten besorgt) ein kreuzbraver Mann, der in der Mission von Banalya getauft worden war. Des öfteren hatte ich mich mit ihm unterhalten, da ich ihn bereits in Panga kennen gelernt hatte. Er ist ein Mongelima ohne Furcht und Tadel, auf den ich mich verlassen kann. Ich weihte ihn ein, erzählte ihm von Dumba und dessen Beziehungen zum Morde an der Frau Nambele und sprach ihm den Verdacht aus, daß Balayo und Maduali Kenntnis hätten von dem Morde an dem Badineger Baiaga. Er solle mal vorsichtig nachforschen, ob Balayo und Maduali mit Dumba verkehrten. Er versprach mir sein Bestes für das Wohl des Bula-Matari zu tun und kein Sterbenswörtchen verlauten zu lassen. Und was er in Erfahrung bringe, das wolle er mir durch den Weißen von Badi mitteilen lassen. Und, meine Herren, kaum war ich einige Tage wieder in Panga, da erhielt ich von Herrn Jansens folgenden Brief, den ich noch bei mir habe«

Er zog den Brief hervor und las den aufmerksamen Zuhörern vor: »Heute kam der Pistonnier Loleti (Lorenz) zu mir und bat mich, Ihnen folgendes mitzuteilen. Ich schreibe es Ihnen, so wie ich es aus seinem Munde gehört habe und hoffe, Ihnen damit zu dienen. Also er erzählt mir:

Ich hatte bald heraus, daß Balayo, Maduali und Dumba gute Freunde waren und viel zusammen verkehrten. Sie wurden sogar von den anderen Eingeborenen mit einer gewissen Scheu betrachtet und gemieden. Alle drei stehen in hohem Ansehen beim Häuptling Nbopia und gelten als sehr reich. Sie haben große Gehöfte. Ein gewisser Asasoa gehört auch zu ihrem Freundeskreis. Er ist ein Verwandter des Häuptlings. Alle vier spielen im Dorf und beim Häuptling eine große Rolle.

Von Asasoa erfuhr ich, daß er vor einem halben Jahre sich ein Mädchen aus Bambembe zur Frau gekauft habe. Diese Frau hieß Makasimingi (viel Arbeit), weil sie stark und fleißig war und auf dem Felde ihres Vaters tüchtig arbeitete. Als ihr Vater sie an Asasoa verkaufte, war sie untröstlich, denn sie hätte gern den Ndefu (der Bärtige) geheiratet. Doch der war nicht so reich wie Asasoa und mußte zurückstehen. Das alles hat mir die Frau selbst erzählt, als ich sie allein auf der Schamba arbeiten sah. Ich fragte sie, weshalb sie so viel arbeiten müsse, da ihr Mann doch so reich sei. Bei dieser Frage begann sie zu weinen und erzählte mir ihr Schicksal.

Ndefu hatte sie nicht vergessen und war eines Tages nach Badi gekommen und hatte ausgespäht, wann Asasoa nicht zu Hause war. Er hatte sie aufgefordert, mit ihm zu entfliehen, sie wollten dann weit fort und in den Dienst des Bula-Matari treten. Damit war Makasimingi einverstanden. Doch sie meinte, jetzt sei nicht an die Flucht zu denken, Asasoa könne jeden Augenblick heimkehren und alles entdecken. Er solle bis zum Vollmond warten und sie dann holen kommen. Doch möchte er einen Freund mitbringen, das sei sicherer. Ndefu versprach ihr alles und ging hoffnungsfreudig nach Hause. Doch kaum hatte er das Gehöft verlassen, erschien Asasoa und erklärte ihr, ein Mann sei bei ihr gewesen. Und sie sagte, es sei ein Bekannter ihres Vaters aus Bambembe, der auf der Durchreise ihr seine Grüße gebracht habe. Asasoa schaute sie finster an und sagte nur: ›Ich werde dich strenger bewachen lassen.‹

Als der Vollmond gekommen war, fand die gewohnte Tanzfeier statt und Makasimingi wartete abends spät mit Sehnsucht auf Ndefu und seinen Helfer. Plötzlich hörte sie einen Pfiff. Das war das verabredete Zeichen, und als sie herausschlich, wurde sie von Ndefu und seinem Freunde Liboya empfangen. Leise schlichen sie aus dem Gehöft. Doch kaum waren sie einige Schritte weit, da rief eine Stimme hinter ihnen her, und gleich darauf ertönte der Gong. Auf dem Tanzplatz geriet alles in Verwirrung und rannte lärmend nach dem Gehöfte Asasoas.

Mehrere Männer waren den Flüchtlingen dicht auf den Fersen, Diese liefen, was sie nur laufen konnten. Auf einmal konnte die Frau nicht mehr und versteckte sich im Gebüsch, wo sie sich auf den Boden warf. Vergebens mahnte Ndefu sie, weiter zu fliehen, Da die Leute aber schon ganz in der Nähe waren, kletterten die beiden Bambembe auf einen Baum. Doch noch hatten sie ihr sicheres Versteck nicht erreicht, da wurden sie von den Verfolgern bemerkt und gefangen genommen. Vergebens suchten diese nach Makasimingi, die sich ruhig in ihrem Verstecke hielt. Unter Stößen und Schlägen wurden die beiden Gefangenen auf das Gehöft Asasoas gebracht und dort gefesselt eingesperrt, um am anderen Morgen dem Häuptling und dem Volksgericht überliefert zu werden.

Als es spät in der Nacht und im Dorfe wieder ruhig geworden war, schlich sich Makasimingi in ihre Hütte. Asasoa bemerkte sie und fragte, wo sie gewesen. Sie antwortete weinend, die beiden Männer hätten sie geraubt. Asasoa antwortete ihr nur: ›Geh in deine Hütte, das andere wird sich morgen finden.‹ – Am anderen Morgen kam Asasoa zu ihr herein und schlug sie mit einem Stock, bis sie halbtot am Boden lag. Er war wütend, daß die beiden Gefangenen aus ihrem Gefängnis entflohen waren, und er glaubte, seine Frau habe dabei die Hand im Spiele gehabt. Doch diese beteuerte, sie habe von der Gefangenschaft der beiden gar nichts gewußt. Und zudem habe er die beiden doch bewachen lassen. Aber die Wächter hatten bei der abendlichen Tanzfeier zu viel Palmwein getrunken, so daß sie schließlich eingeschlafen waren. Asasoa wütete. Nun wollte er wenigstens wissen, wer die beiden Entführer gewesen, denn er glaubte nicht, daß die beiden ohne Einverständnis mit seiner Frau gehandelt hatten. Sie weigerte sich, die Namen zu nennen, aber unter den unbarmherzigen Schlägen, womit der Wüterich sie mißhandelte, bekannte sie deren Namen. Nun war Asasoa befriedigt und ließ sie am Boden liegen.

Aber etwa zehn Tage später sagte er ihr einmal: ›Mach dir keine Hoffnung mehr, von Ndefu und Liboya geholt zu werden. Die kommen niemals wieder.‹ Da wußte sie genug. Die beiden waren getötet worden, und notgezwungen ergab sie sich in ihr trauriges Schicksal.

›Soweit die Mitteilungen des Pistonnier Loleti.‹

Leutnant Sander faltete den Brief zusammen und machte eine Pause. Einen Augenblick war es still im Zimmer. Noch standen sie alle unter dem Eindruck des soeben Gehörten.

Der junge Leutnant trank einen Schluck Wein und begann wieder: »Selbstverständlich habe ich in Bambembe Nachforschungen veranstaltet, ob die beiden Entführer tatsächlich gestorben seien. Und ich erhielt die Nachricht, beide seien in einer Nacht ein jeder in seiner Hütte von einem Leoparden getötet worden. Die Leichname hätten zwar viele Messerstiche gehabt, auch sei der Hals ganz, durchschnitten gewesen, aber man habe am Körper auch die Spuren der Tierkrallen gesehen.«

Der Kommandant trank dem Erzähler zu: »Prosit, Sie habens verdient. Nächstens werden Sie wohl ganz als Detektiv in den Dienst der Kriminalpolizei treten,« lächelte er.

»Ich freue mich,« entgegnete Herr Sander, »daß ich dem Gericht wertvolle Tatsachen unterbreiten kann. Es kann also gleich fest zugreifen.«

»Was es hoffentlich bald tun wird,« fügte Herr Meulen hinzu.

»Nur langsam, meine Herren,« warnte der Kommandant. »Freuen wir uns nicht zu früh. Es spielt sich mehr im Dunkel des Waldes ab, als wir wissen. Alles wird uns verheimlicht. Haben doch die Gauner uns zehn Jahre lang sogar das Bestehen eines ganzen Dorfes nicht weit von hier verheimlicht. Die haben uns alle an der Nase herumgeführt und sich an der Steuer vorbeigedrückt. Wir müssen langsam vorgehen und uns einstweilen noch bemühen, das Geheimnis weiter zu lichten. Ich werde meine sämtlichen Posten benachrichtigen, daß sie in Zukunft ein wachsameres Auge auf die Anyotos werfen. Wie gesagt, wir haben nur den kleinsten Teil aufgedeckt. Und wenn wir zu früh losschlagen, treffen wir nur einige Schuldige, und die anderen werden noch vorsichtiger.«

»Ganz meine Meinung, Herr Kommandant,« meinte Herr Sander. »Übrigens habe ich noch weitere Erlebnisse in dieser Angelegenheit zu erzählen. Wenn es Sie interessiert, meine Herren, natürlich.«

»Mit dem größten Vergnügen werden wir weiter lauschen, Herr Leutnant. Doch Prosit!« P. Varmer trank ihm herzhaft zu.

Der interessante Erzähler begann also von neuem, ohne daß die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer erlahmt war.

»Auf meiner letzten Reise nach Bambembe, die ich erst kürzlich machte, hielt ich mich nur eine Nacht in Badi auf. Ich sprach mit Herrn Jansens und mit dem Pistonnier Loleti über die Sache. Gerne hätte ich selbst mit Makasimingi geredet, doch Loleti erklärte mir, sie würde jetzt von Asasoa äußerst streng behütet. Sie dürfe das Haus nicht verlassen und nicht einmal der Feldarbeit nachgehen. Er scheint sich in diese trotzige Schönheit besonders verliebt zu haben und bewacht sie eifersüchtig. Aber Loleti brachte mich bald auf eine andere Fährte. Als er hörte, daß ich nach Bambembe wollte, erinnerte er sich, daß vor etwa Jahresfrist ein alter Neger daselbst, namens Mukambo ihm den Tod von dreien seiner Landsleute erzählt habe, die von Leoparden zerrissen worden seien. Das war zwar nur ein schwacher Anhaltspunkt, allein ich wollte es damit versuchen. Wie aber unauffällig den Mukambo packen?

Auf dem kleinen Militärposten war Mukambo bekannt. Ich ließ ihn deshalb bitten, zu mir zu kommen. Sogleich bot ich ihm etwas Tabak an, um ihn mitteilsamer zu stimmen. Und dann erzählte ich ihm, ich wolle in Bambembe das Jagdglück versuchen und einen Leoparden erlegen. Der Pistonnier Loleti aus Badi, der ihn grüßen lasse, habe mir von den vielen Leopardenopfern in Bambembe erzählt. Ich solle nur den alten Mukambo fragen, der wisse Bescheid. Der Alte lachte geschmeichelt. Ich sagte ihm, als aller Bambembe könne er mir vielleicht sagen, in welcher Gegend des Waldes man das Versteck oder die Tränke des Leoparden vermuten dürfe.

Ganz erstaunt riß er die Augen auf. ›Ääh, Bwana, das ist eine schwierige Sache. Der Leopard ist bald hier, bald dort. Nur durch Zufall wird man seiner ansichtig und das nur für einen Augenblick in der Nacht. Ich glaube nicht, daß du ihm mit dem Albini nahe kommst. Man kann ihn nur mit der Falle fangen, und auch das gelingt nur sehr selten.‹

›Aber, Mukambo, antwortete ich, wenn hier in Bambembe so viele Menschen von Leoparden getötet werden, dann muß es doch mal gelingen, die Mordbestie zu Gesicht zu bekommen.‹ Mukambo verzog seinen Mundwinkel und sah mich grinsend an: ›Es ist nicht immer der gewöhnliche Leopard, der tötet; es ist oft ein böser Geist in Gestalt eines Leoparden. Und deshalb sind wir machtlos dagegen.‹

Ich tat ganz erstaunt. Seine Augen fixierten mich, aber ich sah den schelmischen Blick darin und versetzte dann lachend: ›Das glaubst du wohl selbst nicht, Mukambo.‹ Er schmunzelte und meinte: ›Ja, das macht man den Leuten weis. Man will keine weitere Aufregung, keine bösen Folgen. Allein, Weißer, ich bin überzeugt, daß es oft böse Menschen und Feinde sind, die töten und morden. Und dann sagt man, der Leopard habe es getan.‹

›Wenn du das glaubst,‹ entgegnete ich, wird es wohl auch so sein, denn du bist klug und hast Erfahrung. Aber wie gesagt, ich bin kein Richter von Kisangani, und mich geht die Sache nichts an. Interessant ist die Sache doch, und es wäre mir sehr angenehm zu erfahren, wie du zu dieser Meinung gekommen bist.‹

›Gut,‹ sagte er, ›ich werde es dir erzählen unter der Bedingung, daß du nicht von mir sprichst. Vor etwa 10-12 Monden wurden wir einmal in der Nacht durch den Schrei aufgeweckt: Der Leopard! Gleich war das ganze Dorf auf den Beinen. Verschiedene Leute wollten die helle Gestalt des Leoparden im Halbdunkel gesehen haben. Doch so angestrengt wir auch suchten, wir fanden nicht einmal die Spuren des Tieres. Nach einigen Nächten wieder Alarm und wieder vergebliches Suchen. Das wiederholte sich in kurzer Zeit wohl sechsmal, ohne daß wir nur einmal die wirkliche Spur der Bestie entdeckten. Nicht einmal eine Ziege wurde zerrissen, obgleich wir jede Nacht an drei Stellen des Dorfes eine Ziege neben einer Leopardenfalle festgebunden hatten. Ich dachte es mir gleich, daß es sich hier um einen Leopardenmenschen handelte und bewog den Zauberer, den Geistern verschiedene Opfer darzubringen. Ich wurde in meiner Ansicht bestärkt durch einen Neger aus Badi, namens Dumba, der in dieser Zeit bei meinem Nachbar Kadogo wohnte. Der erzählte mir, auch in Badi seien Menschen von solchen Schleichmördern getötet worden. Als er von der Aufregung in Bambembe gehört habe, sei er eilends herübergekommen, um sich an der Bekämpfung der Leopardenmenschen zu beteiligen. Er habe ein dawa muzeeri, ein gutes Geheimmittel, mit dem er hoffe, ihnen beizukommen.

Einige Tage später hieß es wieder: Der Leopard! Die meisten Neger aber blieben zu Hause und wollten nicht mehr genarrt und im Schlafe gestört werden. Einige jedoch liefen zusammen. Mit Dumba an der Spitze gingen sie auf die Suche. An der Hütte des Sindano bemerkte man ein eigentümliches Loch in der Wand, das von einem Leoparden herrühren konnte. Auch die Tür war aufgerissen. Und in der Hütte fand man Sindano in seinem Blute liegen. Der Kopf war schon ganz verkohlt, denn er lag auf der Feuerstelle. Der Körper war ganz wie von Leopardenkrallen zerrissen, die Kehle durchschnitten. Dumba machte uns gleich auf die Messerstiche in der Leiche aufmerksam und meinte, die rührten von einem bösen Geiste her, der in dem Leoparden wohne. Auch riet er uns an, regelmäßig Wächter aufzustellen. Das geschah denn auch. Aber die folgenden Nächte blieb alles wieder ruhig. Die Wächter stellten den Dienst auch wieder ein.

Ich faßte jedoch den Entschluß, jede Nacht eine Runde zu machen. In einer Nacht, als ich an einer Hütte auf der Lauer stand, glaubte ich etwas Helles am Boden schleichen zu sehen. Ich stand regungslos. Mein Herz schlug gewaltig. Die Hand zitterte mir, und ich hatte nicht die Kraft, die Lanze zu erheben und zu schleudern. Ich sah. plötzlich, wie sich die Gestalt erhob und im Dunkel verschwand. Ich schrie laut Alarm, lief Kadogo und Dumba wecken. Doch Dumba war nicht da. Im Vorübergehen weckten wir noch einige Neger und gingen zu etwa zehn Mann auf die Suche. Wir brauchten nicht weit zu gehen. Dort wo ich das Helle hatte verschwinden sehen, fanden wir Bololo ermordet vor der Tür seiner Hütte liegen. Sein Leichnam wies dieselben Wunden auf, wie der Körper des Sindano. Plötzlich erschien auch Dumba, der uns mitteilte, er habe an einer anderen Stelle des Dorfes Wache gestanden und da ein Geräusch bemerkt. Wir sollten schnell mit ihm kommen. Und als wir in der Gegend Umschau hielten, stolperten wir über die Leiche des Bandaku, der ebenso zugerichtet tot vor seiner Hütte lag. Die Aufregung war groß im Dorf. Ich weiß nicht, ich konnte den Verdacht nicht los werden, daß dieser Dumba mit diesen Morden in Verbindung stand, wagte aber nichts zu sagen. In der folgenden Nacht blieb alles ruhig, und nach einigen Tagen verließ auch Dumba unser Dorf. ›Musungo, Weißer,‹ schloß der alte Makawbu, ›ich für meine Person bin überzeugt, daß Menschen diese Morde vollführen, aber es läßt sich nicht beweisen.‹

Ich dankte dem Neger für seine Mitteilungen und sagte vorsichtshalber, gegen Geister in Leopardengestalt könne man nichts tun. Als der Alte fortgegangen war, schrieb ich mir schnell alles auf. Dieser Dumba! Den Schurken kannte ich ja schon. Der hatte also auch hier wieder die Hand im Spiele. So, nun habe ich Ihnen alles mitgeteilt, meine Herren. Und Sie werden mir zugeben müssen, daß wir der Aufklärung der dunklen Geschichte ein gutes Stück näher gekommen sind«.

Alle bestätigten ihm dies und eine Viertelstunde später brachen die Herren auf und verabschiedeten sich vom liebenswürdigen Gastgeber. P. Varmer wurde wiederum von einem Soldaten zur Mission zurückbegleitet und schlief trotz der Leoparden bald den gesunden Schlaf des Gerechten.


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