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6. Kapitel.
Durch die Stromschnellen des Ituri.

Eines Nachmittags gegen fünf Uhr saß P. Varmer mitten in einer Pflanzung der Mission auf einem Baumstamm. Der tiefe Urwald schloß um ihn herum den Horizont ab. Im Westen nur erblickte er durch eine kleine Lücke die grauen Dächer von Avakubi. Die Sonne sank schnell zu den Wipfeln der Bäume hinab, und das Licht nahm jenen schönen, purpurnen und goldigen Ton an, der in dieser Wildnis die Abende so köstlich und angenehm macht.

Die Grillen im Grase zirpten schon die Präludien zu ihrem nächtlichen Gesange, die Papageien schwätzten in den Zweigen, und die Kühle sank langsam und wohlig hernieder. O welch wonnige Augenblicke! Und der Missionar gedachte mit Wehmut der herrlichen Stunden, die er im Urwalde verbracht hatte. Doch alles hienieden hat eine häßliche Kehrseite, und die Mücken fingen an, recht bissig zu werden. Da stand er endlich auf und begab sich zur Mission zurück. Auf dem Platze vor der Kapelle begegnete ihm der Missionsobere, der mit ernstem Gesichte ihm entgegenkam. Er schien etwas auf dem Herzen zu haben. Wirklich, denn ohne weiteres sagte ihm dieser, er hätte sich alles überlegt, jetzt sei wohl eine günstige Zeit, den Missionsposten von Bomili zu besuchen, ob er, P. Varmer, diese Aufgabe übernehmen wolle.

Bomili! Da erwachten in der Seele des jungen Paters wieder die Geheimnisse der Leoparden, eine neue Gegend tat sich auf vor ihm, und mit freudiger Zustimmung erklärte er sich bereit, schon am folgenden Morgen die Reise anzutreten.

In aller Frühe war er schon reisefertig. Nur die zwei Boys Antonio und Joanni und die beiden Träger Makutubu und Biriko sollten ihn begleiten. Der Missionsobere und einige Christen wollten es sich auch nicht nehmen lassen, der kleinen Karawane bis zum Hafenplatz das Geleit zu geben. Auch hatte er Fürsorge getroffen, daß der Kommandant einen Weißen dorthin sandte, um ein geeignetes und gutes Fahrzeug auszusuchen.

Der Weg führte zunächst durch das Mobalidorf auf der linken Flußseite. Drüben auf dem rechten Ufer leuchteten die Häuser der Wanguana. In der Mitte des Stromes dehnt sich die lang gestreckte Insel, auf welcher die Mädchen der Mission ihre Pflanzungen besitzen und sich ihr kleines Dörfchen Mukimi angelegt haben. Wohl eine halbe Stunde weit ging's dann an den Stromschnellen vorüber, die jede Pirogenfahrt unmöglich machen. Es rauscht und braust und zischt in den Felsenkesseln, und die Gischt der Fälle glänzt silbern im Schein der Morgensonne. Immer enger drängen sich die Felsen und Blöcke aneinander, als hätte eine Titanenhand sie im Zorne hingeschleudert. Immer gewaltiger werden die Fälle. Und dann stürzen die Fluten in furchtbarem Wirbel und unter donnerndem Getöse in das weite Becken.

Etwas weiter ist der Kivoko, der Anlegeplatz und die Fährte. Ein prächtiger Einbaum, der wohl 40 Personen fassen konnte, lag bereit. Aber – P. Varmer schaute enttäuscht und vergeblich nach allen Seiten – von den bestellten Ruderern war keiner zu sehen. »Ach, die Faulenzer!« entrang es sich seinem Munde, und unwillkürlich ballte sich seine Faust.

»Geduld, Geduld!« mahnte der Obere, »wir sind im iturischen Urwalde. Doch will ich gleich zum Mobalidorf zurückkehren und für die schnelle Ankunft der Säumigen sorgen.«

Mit herzlichen Worten und kräftigem Händedruck verabschiedete er sich von P. Varmer und seinen Burschen. Die Christen grüßten und erbaten sich den Segen des Abreisenden, und händewinkend und gute Fahrt wünschend entfernten sich die Begleiter.

Indessen ließ der Pater die wenigen Habseligkeiten in der Piroge verstauen und setzte sich auf einen Felsblock, von dem er eine schöne Aussicht auf den herrlichen Strom hatte. Die Burschen vergnügten sich am Ufer. So wartete er eine Stunde. Allein kein Träger erschien. Ungeduldig begann er mit dem Beten seines Breviers. Und er betete und schaute von Zeit zu Zeit in der Richtung nach Avakubi. Schon hatte er das ganze Tagesoffizium gebetet – aber vergebens schaute er nach den Ruderern aus.

Die Sonne stieg höher und die Hitze wurde glühender. Und des Paters Warten immer ungeduldiger. Schon wollte er verzweifelt umkehren, als zwanzig Ruderer, lachend, als sei nichts geschehen, ankamen. Das Schimpfen des Weißen beantworteten sie mit einem Achselzucken. Sie konnten nicht begreifen, warum der Weiße es so eilig hatte. Doch waren sie schnell in der Piroge. Und es schien, als wollten sie durch doppelten Eifer das Versäumte einholen. Bald waren sie wieder mitten auf dem Strom und, von der Strömung getragen, schoß der Einbaum seinem Ziele entgegen. Breit wie ein See, ringsum vom blauen Urwald eingeschlossen, glänzte der Ituri im Frieden des Morgens,

Der Aruwimi, wie Stanley den herrlichen Strom genannt hat – die Eingeborenen nennen ihn bis Avakubi Lohali und weiter stromaufwärts Ituri – bietet in dieser Gegend ein feenhaftes Schauspiel. Herrliche Inseln, Quarz-, Gneis- und Sandsteinfelsen ragen aus den Wassern hervor. Bald gondelt man wie auf einem ruhigen See, bald wieder tanzt die Piroge auf hochschäumenden Wogen, als ging's einen flüssigen Berg hinunter. P. Varmer hielt gerne die Fahrt in der Nähe des Ufers, wenn gerade schöne Waldpartien sein Auge lockten. Ewiges Grün mit rosaroten Winden und weißen Landolphien geschmückt, Bäume, die wie Riesen in die blaue Luft hineinragen, spiegeln sich im Wasser. Beindicke Lianen laufen von einer Säule zur anderen, winden sich bis in die höchsten Wipfel hinauf und fallen in Girlanden und grünen Vorhängen zum Wasserspiegel herab. Hier schlagen sie eine Brücke zwischen Bäumen, dort bilden sie Reihen von leichten Arkaden und tausende von phantastischen Arabesken. Hie und da taumeln sich Flußpferde auf einer warmen Sandbank, ein Elefant badet sich in der Nähe des Ufers, und auf einem sonnbeglänzten Felsen hält ein Krokodil sein Mittagschläfchen. Das ist der Aruwimi in dieser Gegend.

Die Mobali-Ruderer sind ruhiger, als die weiter flußabwärts wohnenden Mongelima. So spektakelliebend und kriegslustig diese sind, so gesetzt und friedfertig sind oder scheinen die Mobali. Sie singen keine Lieder zum Ruderschlag und die Piroge gleitet stumm durch die Stille der Einsamkeit.

In Bafwasobangi wurden die Ruderer gewechselt. Nach mehrstündiger Fahrt kam man am Dorfe Bandaka vorbei. Vergebens winkten die Schwarzen dieses Dorfes auf der hohen Uferböschung. » Mupe anapita! Der Pater fährt vorbei!« hörte man am Ufer rufen. Allein die Piroge schoß weiter, bis nach anderthalbstündiger Fahrt das Rauschen der Yanga-Fälle zu vernehmen war.

In der Nähe des Dorfes Bafwalipa legte die Piroge am rechten Ufer an. P. Varmer überließ seinen Boys das Einrichten der Gasthütte und begab sich ins Dorf. Vielleicht war die Gelegenheit günstig, etwas über die Leoparden zu erfahren. Doch der Leopard hatte in letzter Zeit das Dorf verschont. Nur war ihm einmal eine Ziege zur Beute gefallen. Der Häuptling blieb zugeknöpft und wußte nichts zu berichten.

Am anderen Morgen bestieg P. Varmer wieder die Piroge, welche die Ruderer über die Yangafälle transportiert hatten. In schneller Fahrt gings wieder vorwärts, bis die Schnellen Hatari (die gefährlichen) wieder zum Aussteigen und zu einem mühsamen Landweg zwangen. Während die Ruderer das Fahrzeug über die Schnellen schafften, machte der Weiße dem etwas abseits im Walde liegenden Dorf Baswakeyi einen Besuch. Hierauf ging's wieder stromabwärts, bis am rechten Ufer eine merkwürdige Felsbildung auftauchte. Mächtige Felsplatten schieben sich dort staffelförmig übereinander und bilden geräumige Höhlen unter ihren Schutzdächern. Beim Dorfe Bembeteli wurde noch einmal gerastet, um dann mit frischen Kräften auf Bomili loszusteuern. Aber noch einmal unterbrachen die Lo-Schnellen die Fahrt. Doch auch sie wurden überwunden, und bald meldete das Rauschen des großartigen Nepokofalles die Nähe des Zieles.

Bomili liegt am rechten Ufer des Ituri, der hier wie ein See seine Fläche dehnt. Die Station, der ergiebigste Kautschukposten des Kongolandes, liegt auf dem sanft aufsteigenden linken Ufer, der Nepokomündung gegenüber. Dieser Nebenstrom ergießt sich in einem die ganze Breite einnehmenden großartigen Falle in den Ituri. Die friedlichen Bewohner des auf dem rechten Ufer liegenden Mobalidorfes ernähren sich vom Fischfang, von Bananen- und Maniokkulturen.

Der junge Missionar war endlich froh, als er den Missionsposten mit der vorläufigen Kapelle aus dem Grün des Waldes auftauchen sah und bald den schmalen, sauberen Kiesweg vom Ankerplatz zur Station hinaufschritt.

An der Mission erwartete ihn der Häuptling mit der üblichen Begrüßung und einigen Lebensmitteln. Die Christen hatten sich auch auf die Kunde seines Nahens eingefunden und begrüßten ihn auf das herzlichste und freundlichste. Der Häuptling meldete ihm, seine Leute wollten in dieser Vollmondnacht ihr übliches Tanzvergnügen haben, und es würde sie alle sehr freuen, wenn der Ganga Zambi ihnen die Ehre seines Besuches erweisen würde. P. Varmer versprach, seiner freundlichen Einladung zu folgen, und zog als die Leute sich entfernt hatten, in diese lang verlassene Station ein.

»Antonio, sorg jetzt für baldiges Essen!« ermahnte er seinen Diener, »und du Joanni, spring gleich zum Staatsposten hinüber und melde dem Herrn Kommandanten, daß ich morgen früh mir gestatten werde, ihm meinen Besuch zu machen. Für heute abend möge er mich wegen der vorgerückten Zeit entschuldigen«.


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