Friedrich Hebbel
Ein Trauerspiel in Sicilien
Friedrich Hebbel

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Sechste Szene.

Der Podesta, Herr Gregorio, und Anselmo (treten auf, von einigen Soldaten, mit Fackeln zum Teil, gefolgt.)

Herr Gregorio. Ein was, ei was, man muß die Tochter hüten,
Wenn man ein Weib aus ihr zu machen denkt;
Denn Leute gibt's, die keine Blume pflücken,
Auf der sie eine Spinne sitzen sahn,
Und andre gibt es, die kein Mädchen nehmen,
Das ohne Mutter in die Messe geht.

Anselmo. Ihr habt mir das schon zwanzigmal gesagt!

Herr Gregorio. Und öfter noch gedenk' ich's Euch zu sagen!
Ich bin ein alter Mann, wie meint Ihr wohl,
Daß ein Spaziergang mir bei Nacht bekommt?
Ich weiß es im voraus, Ich huste morgen,
Und daran ist doch keiner schuld, als Ihr!

Anselmo. Was zwang Euch, mitzugehen?

Herr Gregorio.                                         Was mich zwang?
Zuerst, ich bin der Podesta; und dann
Muß ich doch sehn, wie man das Püppchen findet,
Das ich mir für mein Ehebett erkor.
Denn, wenn es mir auch keineswegs mißfällt,
Daß sich ein andrer in dem Augenblick
Vielleicht erhängt, wo ich sie an mich drücke,
So will ich doch nicht, daß er spotten kann:
Nimm du den Stiel, die Kirsche war für mich!

Anselmo. Herr!

Herr Gregorio.   Nun?

Anselmo.                       O, das verdammte Kartenspiel!
Die Hölle dem, der es erfunden hat!

Herr Gregorio. Es hat Euch manchen Abend doch verkürzt.

Anselmo. Es hat um meine Freiheit mich gebracht.

Herr Gregorio. Um Eure Freiheit? Sitzt Ihr schon im Turm?
Ich meine nicht!

Anselmo.                   Gewissermaßen, ja!
Ich darf nicht fluchen, wenn ich fluchen möchte,
Nicht um mich hauen, wenn ich –

Herr Gregorio.                                     Fluchen! Hauen!
Das sind Gelüste sonderbarer Art!

Anselmo. Nehme es nicht zu genau mit mir, Ihr wißt,
Ich war ein Mann, der reichlich leben konnte,
Ich gelte bis zur Stunde noch dafür,
Noch heute wollte einer von mir borgen,
Dem ich wohl ehemals zu helfen pflegte;
Und dennoch –

Herr Gregorio.         Nun, es steht ja alles gut,
Wenn Eure Tochter wirklich, wie Ihr sagt,
Nur fortlief, weil Ihr sie geprügelt habt,
Ich gebe Euch für ihre roten Backen
Den ausgestellten Schuldschein ja zurück;
Das wird genug sein für zwei Sodoms-Äpfel.
Doch freilich, freilich, wenn Ihr mich belogen –
Verzeiht – getäuscht...

Anselmo.                             Das tat ich, wenn ich sagte,
Daß sie gejubelt, als ich für Euch warb!

Herr Gregorio. Das fordr' ich nicht! Gejubelt! Nein, das nicht!
Selbst, als ich jünger war, geschah das nicht,
Ich habe selten Neigungen erweckt,
Und das war gut, obgleich es mich verdroß;
Denn eben dadurch kam ich zur Besinnung
Und ging den Weg, auf dem man Geld erwirbt.
Nun hab' ich Geld und kann mir alles kaufen,
Was sich ein anderer erbetteln muß.
Ach Gott, Ihr wißt nicht, wie die Menschen sind! –
Was schwatz' ich da! Ihr wißt es ja recht gut,
Ihr seid ja selbst ein Hauptbeweis dafür!

Anselmo. Ja, ja!

Herr Gregorio.   Was soll das klägliche Gesicht?
Mit Mienen, merkt Euch, dringt man mir nichts ab.
Und könnt Ihr mir nicht halten, was ihr mir
Versprochen habt, so wird's Euch schlecht ergehn;
Ich nehm' Euch alles weg, was Ihr besitzt,
Und geb' Euch nur in Pfenningen zurück,
Wen Ihr als Bettler kommt an meine Tür.
Ihr habt gesehn, ich warf die Fischersleute,
Die mir bei Nacht den Weinberg plünderten,
Ins tiefste Loch, obgleich ich keine Traube
Drin lesen ließ, solang' ich ihn besaß.
Hei, wenn es mir gefällt, die ganze Ernte
Im Halm zu kaufen und sie stehn zu lassen
Fürs Wild und für die Vögel: kümmert's wen?
Ich glaube nicht, wenn ich nur zahlen kann!
Die Küsse bringt man freilich nicht mehr ein,
Die man versäumt hat, und die Jubelnächte;
Der Gaum ist stumpf, die Lippen sind vertrocknet,
Das ist vorbei, doch dafür hat man Macht!

Anselmo. Was soll dies alles mir?

Herr Gregorio.                               Es soll Euch warnen,
Daß Ihr nicht etwa denkt: der Alte da
Hat mehr, als er gebraucht, wie sollte er
Mir nehmen, was er nicht entbehrt! – Er wird
Es tun, ich sag's aus Freundschaft Euch voraus,
Wenn Ihr ihm seine Pläne kreuzt!

Anselmo.                                               Wer zweifelt?

Herr Gregorio. Ich will in meinem siebenzigsten Jahr
Das schönste Mädchen noch zur Frau. – Ich will's!
Ist das genug? – Ich will es, weil ich's will!
Da Eure Tochter nun, wie man behauptet,
Und wie mir selber deucht, die Schönste ist,
So hab' ich sie gewählt, und Euch als Preis,
Was Ihr im Spiel verloren, vorgeschossen.
Und nun, nun ist sie Euch davongelaufen –
Davongelaufen! – Aber, seht Euch vor!
Ein Nervenfieber, wenn es sie befiele
Und auf die Bahre lieferte, der Schlag,
Wenn er sie plötzlich rührte, würde nicht
Bei mir genügen, Eure Schuld zu tilgen,
O nein! Ihr steht das Risiko für sie!

Anselmo. Sie ist gesund und jung!

Herr Gregorio.                               Ihr denkt vielleicht:
Was will der Alte auch, er wird sich finden,
Wenn sie – er schwärmt ja nicht für sie – Ihr irrt!
Er schwärmt für das Gefühl, sie sein zu nennen,
Er weiß, da viele ihn beneiden werden,
Wenn sie, mit Gold und Perlen überhäuft,
An seinem Fenster hinter Blumen sitzt,
Und dieser Neid ergötzt ihn. Wär' ich blind,
So kauft' ich mir die besten Bilder auf
Und hinge sie in einem Saal herum,
Den außer mir kein Mensch betreten dürfte;
Und wär' ich taub, so setzt' ich die Kapelle
Aus allen großen Virtuosen mir
Zusammen, die mir täglich spielen müßte,
Mir ganz allein, und keinem andern mehr;
Dann hätte Raffael nur für mich gemalt
Und Palestrina nur für mich gesetzt,
Ja, nicht einmal für mich, das wär' doch putzig;
Und wenn ich all das Zeug verbrennen ließe,
Die heiligen Familien und die Messen,
So wär's vorbei mit der Unsterblichkeit!
Da ich nur alt bin, nehm' ich eine Frau!

Anselmo (für sich). Wär' das nun eine Missetat gewesen,
Die Welt von diesem Teufel zu befrein?
Das Eisen wird in Gold verwandelt werden,
Das dem zum letzten Aderlaß verhilft!

Herr Gregorio. Was murmelt Ihr?

Anselmo.                                         Ich sprach mein Nachtgebet!
Nur weiter!

Herr Gregorio.     Warum links? Ich gehe rechts!

Anselmo. Links kommt ein Kreuz! Und da sie diesen Weg
Gegangen sein soll, wie der Hirt uns sagte,
Der abends mit das Haus mir Milch versorgt,
So hat sie sicher sich zum Kreuz gewandt.

(Sie wenden sich, in demselben Augenblick treten ihnen Ambrosio und Bartolino, die sie längst bemerkt und sich ihnen genähert haben, entgegen.)

Ambrosio (zu Bartolino).
Nun sei Soldat! (Laut.) Wer da?

Herr Gregorio.                                   Der Podesta!

Ambrosio. Der Podesta?

Bartolino.                         Der Podesta!

Ambrosio.                                                 So ward
Der schaudervolle Mord Euch schon bekannt?

Herr Gregorio. Ein Mord?

Ambrosio.                             Begangen unter unsren Augen!

Herr Gregorio. Und nicht verhindert, he?

Bartolino (zu Ambrosio).                             Da hast du's schon!

Ambrosio. Das Auge reicht doch weiter, als die Hand!
Wir kamen –

Anselmo (sieht den Leichnam im Licht einer Fackel).
                        Angiolina! Gott im Himmel!

Herr Gregorio. Wie? Was?

Anselmo.                               Mein Kind! (Schaudernd.) Ich sehe meine Frau!

Ambrosio. Der Mörder liegt dabei!

Herr Gregorio.                                 Lebendig?

Ambrosio.                                                             Ja!
Doch ist er so von Reu' und Schmerz ergriffen,
Daß er sich selbst den Tod schon geben wollte,
Ich wehrt' ihm das!

Anselmo (zu dem daliegenden Sebastiano).
                                Auf, Schurke, auf mit dir!

Sebastiano. Was gibt es denn? (Steht auf.) Ja so!

Anselmo.                                                               Du bist es? Du?

Sebastiano. Ich! Seid Ihr's denn nicht auch?

Anselmo.                                                       O Bösewicht!
Als ich dir antrug (er deutet auf Herrn Gregorio.) diesen Hund zu töten,
Da hatt'st du deine reine Hand zu lieb,
Obgleich ich dir mein Kind dafür versprach!
Ich jetzt, jetzt hast du –

Herr Gregorio.                     Herr, was sprecht Ihr da?

Anselmo. Nichts, was ich widerrufen werde, Her!

Herr Gregorio. Ihr hättet –

Anselmo.                             Ja, verfluchter Menschenquäler,
Wenn dieser Bube Mut besessen hätte,
So war es um den Aufkauf unsrer Ernte,
Ums Bilderkabinett und die Kapelle
Und um die Hochzeitsnacht zugleich geschehn.
Ich schlug's denselben Nachmittag ihm vor,
An dem du deine unverschämte Absicht
Mir offenbartest und den Grund, warum
Du mir das Geld geborgt, ja aufgedrungen;
Er wollte nicht, und seit der Stunde haßt' ich
Ihn selbst, sonst haßt' ich seine Armut nur!

Herr Gregorio. Ich werd's mir merken. Morgen –

Anselmo.                                                                 Kannst du tun,
Was dir beliebt, heut sprech' ich, wie ich will,
Ich hab' genug verschluckt!

Herr Gregorio (wendet Anselmo den Rücken; zu Sebastiano).
                                            Bist du der Mörder?

Sebastiano. Nehmt mich dafür, schlagt mir den Kopf herunter,
Wer hat denn was dagegen, daß Ihr's tut?

Bartolino. Nein, so weit darf's nicht gehn!

Herr Gregorio.                                           Hast du's getan?

Sebastiano. Hier steh' ich – und dort liegt sie; macht nur, macht!
Es wird schon alles klar und offenbar!
Unschuldig bin ich nicht, verlaßt Euch drauf.

Bartolino. Er ist verrückt!

Ambrosio.                         Weil er die Wahrheit sagt?

Bartolino. Die Wahrheit? Ha! Sinn' etwas Beßres aus,
Ich geb's nicht zu, daß man den Tollen köpft,
Vor diesem Frevel schaudert meine Haut,
Den büßte man nicht ab im Fegefeuer,
Ein andres wär' es, wenn er leugnete!

Ambrosio. Du schweigst!

Bartolino.                           Ich schweige nicht! Was meinst du wohl?
Ich hab' Respekt vor dir! Doch auch vor Gott!

Herr Gregorio (wird auf den heimlichen Zwiesprach der beiden aufmerksam).
Die zanken sich wohl gar! – Was haben sie?

Bartolino (sehr laut). Der war es nicht!

Ambrosio.                                                 Er war's! Kurzsichtig ist
Mein Kamerad und glaubt, der rechte sei
Entsprungen, doch –

Bartolino.                         Ich sage noch einmal –

Ambrosio. Zum Teufel! (Dringt mit dem Schwert auf Bartolino ein.)

Bartolino.                         Was? Willst du mich auch erstechen?
Nimm dich in acht, ich plaudre alles aus!

Herr Gregorio. Auch? Auch? Du hast es schon getan!

Bartolino.                                                                       Was denn
Getan? Ich sage nichts!

Ambrosio.                             O, hätt' ich dich
Auf eine Viertelstunde noch allein,
So wär' mein letzter Wunsch erfüllt!

Bartolino.                                                   Was willst du?
Ich schwöre alles wieder ab! (Laut.) Er war's,
Mich überkam das Mitleid, weil – – (Zu Ambrosio.) Sprich du!

Ambrosio. Ich tat's! (Für sich.) Wär' ich nur Ring und Kette los!

Herr Gregorio. Soldaten! Seht, ob dieser (deutet auf Sebastiano) blutig ist!

Ein Soldat (ihn beleuchtend).
Er ist es, auf dem Rücken!

Anselmo.                                     Auf dem Rücken?
Die Hände hat er aber vorn!

Ambrosio (für sich).                       Verdammt!
Ich wischte meine Klinge an ihm ab,
Es war zu dunkel, das gescheit zu machen!

Anselmo (zu Sebastiano).
Mensch, tu' den Mund auf! Sprich! Es geht dich an!

Sebastiano. Köpft, wen Ihr wollt, mich, die, was fragt Ihr viel?

Anselmo. Der tat es sicher nicht!

Sebastiano.                                   O, sicher nicht!
Doch, das ist alles gleich! Es wird sich finden!
Gebt mir nur erst mein Teil!

Anselmo.                                       So taten's die!

Ambrosio. Beweis! Beweis! Wir tragen Uniform
Und sagen nein!


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