Friedrich Hebbel
Mutter und Kind (1)
Friedrich Hebbel

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Siebenter Gesang.

                  Als sie am folgenden Morgen beisammensitzen – die Sonne
Steht schon hoch, doch sie würden noch schlafen, hätte der Jäger
Nicht geklopft und gefragt, wie alles am Abend gegangen –
Sagt der Gatte mit Ernst: Es werde wie du beschlossen,
Denn ich darf dich nicht halten und kann noch weniger dulden,
Daß du bettelst, so lange mir Arme und Beine geblieben,
Aber wir müssen noch warten, denn als ein getreuer Verwalter
Will ich zum mindesten gehn, und viel noch gibt es zu pflügen.
Dann auch mußt du mir folgen, wohin ich dich führe, ich möchte
Diesem gütigen Herrn nicht wieder begegnen und auch nicht
Dieser freundlichen Frau, so wie dem redlichen Alten,
Die uns gewiß nicht gezwungen, und die wir dennoch so täuschen.
Über den Ozean müssen wir flüchten, der Schmied und der Tischler
Sind schon lange hinüber, und wenn wir sie finden, so werden
Sie uns die Wege bezeichnen und vor den Betrügern uns warnen.
O, ich verblende mich nicht! Du sagst mit Recht, daß das Wetter
Drüben wechselt, wie hier, und daß noch keiner das Unglück
Mit dem Staube der Straße sich von den Füßen geschüttelt,
Wenn er zu Schiffe stieg! Es wimmelt von Schelmen und Dieben,
Und wo kämen sie her und wagten das Rad und den Galgen,
Wenn es sich anders verhielte? Doch darf man immer noch hoffen,
Während der Mensch in Europa für ewige Zeiten verdammt ist,
Aus der Hand in den Mund zu leben, und endlich zu darben,
Da die jüngeren Kräfte die stumpfen des Alters verdrängen,
Ehe die Grube sich öffnet, wo müde Gebeine zerfallen.
Schweres steht uns bevor, und dieses scheint mir das schlimmste,
Daß nicht jedem die Luft bekommt, denn wenn wir erkrankten,
Wären wir auch verloren. Doch alles kann ja gelingen.
Sieh mich nicht fragend an, ich bin nicht minder entschlossen,
Weil ich weiß, was es gilt, und weil die traurigen Bilder
Meiner dürftigen Jugend sich unter die fröhlichen mischen,
Welche die neue Welt in leichten Gemütern entzündet:
Meine Träume sogar, du weißt es, sind immer beklommen,
Doch ich trug sie noch nie ins Leben hinüber und werde,
Wenn ich auch nicht erwarte, am eigenen Herde, wie heute,
Wieder zu sitzen und wieder mit eigenen Ochsen zu pflügen,
Ziehn, als hofft' ich das beste, und nur den Knaben bedauern.
Ja, du lächelnder Schelm, er faßt den Schläfer ins Auge,
Der sich gerade reckt, du wirst es teuer bezahlen,
Daß du die Milch der Mutter noch trinkst. In Samt und in Seide
Könntest du gehen und früh, die Bücher im zierlichen Ränzel,
Und das Pennal in der Hand, da JohanneumDas »Johanneum«, die berühmte gelehrte Schule Hamburgs, die ihren Ruhm sowohl durch die ausgezeichneten Lehrer, die an ihr wirkten und wirken, wie durch die ausgezeichneten Männer, die aus ihr hervorgingen und hervorgehen, vor vielen andern verdient. besuchen,
Um Lateinisch und Griechisch und Spanisch und Englisch zu lernen,
Während und jetzt vielleicht, in Lumpen gekleidet, die Schweine
Hüten mußt, wie dein Vater, und höchstens die Stimmen der Vögel
Nachzuahmen verstehst, wenn du dem Metzger die Herde
Zutreibst gegen den Winter! Die Handelsschule beziehen
Und nach einigen Jahren, verbracht auf nützlichen Reisen,
An der Börse sich zeigen, um endlich den stolzen Gesichtern
Dich zu gesellen, auf die der Makler schaut, wie der Ackrer
Auf die Sonne, damit er das Wetter des Tages erforsche!
Das ist alles dahin! – Doch Magdalena erwidert
Glühend: Auch die Gefahr, im PavillonDer »Hamburger Pavillon« an der Alster ist eben so bekannt wie »Ahrens Salon«. an der Alster,
Von den andern verführt, durch Trinken und Spielen und Fluchen
Sich hervorzutun, noch ehe der Bart ihm gewachsen,
Und im zwanzigsten Jahre begraben zu werden, wie mancher,
Welchem der Rücken schon bricht, bevor er sein Kreuz noch gesehen!
Denkst du des Sohns nicht mehr, der an der Mutter Geburtstag
Und, ich schaudre noch heute, vor ihren eigenen Augen
Sich erschoß, weil ihn nichts auf Erden noch lockte und reizte?
Laß ihn schwitzen, wie wir, wo wird er gewiß nicht verderben,
Und was Menschen gebrauchen, das können sie immer verdienen,
Wenn sie die Mühe nicht scheun. Du weißt, ich bin nicht so ängstlich,
Wie du selber, obgleich ich zweifle, ob es den Meinen
Besser erging, wie den Deinen, was du ja beständig behauptest,
Um dir den fröhlichen Mut, der mich beseelt, zu erklären.
Nein, wir haben wohl auch, das glaube, gehörig gehungert,
Und im Sommer sogar, und ganze Tage die Hoffnung
Bloß auf den Wind gesetzt, ob dieser die Bäume des Nachbars,
Welche die Zweige zu uns herüberstreckten, nicht schütteln
Und uns einiges Obst bescheren werde. Wir lagen,
Ich und die Schwester, die lange dahin ist, unter dem Zaune,
Hielten Gras in die Höhe, die Luft zu prüfen, und wagten,
Wenn kein Halm sich bewegte und immer stärker der Magen
Knurrte, auch wohl den Wurf. Es mangelt mir nicht an Erfahrung,
Aber ich fürchte mich nicht, ich will dich mit Freuden begleiten
Und ertragen, was kommt, es wird mich trösten und stärken,
Daß ich mein Kind nicht verkaufte. Ich hätt's ja auch nimmer versprochen
Für die Äcker und Wiesen, ich tat's, um dich zu behalten,
Und ich dacht' es mir nicht so schwer. Doch seit ich es sehe,
Ach, was sage ich da, schon seit ich es fühle und spüre,
Ist mir zumute, als sollt' ich mich selber zerreißen und teilen
Und die Hälfte begraben! Ich habe gesündigt und will es
Büßen, wie du's verhängst, nur eines mußt du gewähren,
Ehe wir ziehen, es liegt mir schon längst auf dem Herzen, die Taufe,
Dann hinüber mit Gott, und lieber heute als morgen!
Christian lächelt und spricht: Die Taufe entscheidet auch alles,
Doch es möge geschehn, so wie die Felder bestellt sind,
Und du selber dein Haus so blank geputzt wie ein Kästchen!
Denn wir dürfen uns nicht den Wellen und Winden vertrauen,
Eh' wir die heiligste Pflicht erfüllten gegen den Knaben,
Und ich wag' es nicht früher, als bis wir, zur Reise gerüstet,
Aus der Kirche sogleich fortschleichen können zum Schiffe.
Beide rühren sich nun, wie nie, und schaffen in Tagen,
Was die andern in Wochen, doch ist die Eile auch nötig,
Denn es nahen die Pfingsten und mit den Pfingsten der Kaufherr,
Wenn er nicht früher kommt, gelockt von dem seltenen Wetter.
Endlich ist es getan, und mit den schwieligen Händen
Setzt sich Christian hin und stellt die Rechnung zusammen,
Zählt den baren Erlös von Obst und Korn bis zum Heller
Auf und nimmt für sich selbst den schmalsten Lohn, der dem letzten
Aller Knechte gebührt, für Magdalena desgleichen,
Was die niedrigste Magd im schlechtesten Dienste bekäme:
Gern erließen sie's ganz, allein sie müssen ja leben!
Nun bestellt er die Taufe, er bittet den Jäger zum Paten,
Sagt: wir müssen verreisen, ein frommes Werk zu verrichten,
Und ersucht ihn zugleich, anstatt den gehenkelten Taler
In die Wiege zu legen, indes sein Vieh zu besorgen
Und aufs Häuschen zu sehn. Mit Schmunzeln erwidert der Alte:
Darum also so eifrig und nicht aus Geiz, wie die Knechte
Murrten welche sich schämten, den Acker vor dir zu verlassen,
Und doch fluchten und wünschten, du möchtest die Beine dir brechen?
Dazu helf' ich mit Freuden! Denn pfleg' ich auch selber der Andacht
Leider nur selten, nur dann, wenn mich bei Streifen im Walde
Irgend ein Kreuz erinnert, für einen meiner Genossen,
Welchen der Wildschütz traf, mein Vaterunser zu beten:
Gern doch hab' ich's an andern, und geh' ich auch kaum noch zu Ostern
Selbst in die Kirche, so jag' ich doch immer die Knaben von dannen,
Wenn ich vorüberkomme, die während der Predigt sich balgen!
Noch viel williger ist der Pfarrer, die heilige Handlung
Vorzunehmen, er hat im Scherz schon lange getrieben
Und im Ernst sich verwundert, daß sie nicht von selber sich melden.
Nun ist alles vollbracht, und gleich der folgende Morgen
Wird bestimmt für die Flucht. Doch Magdalena, die abends
Spät noch zum Krämer will, erblickt zu ihrem Entsetzen
Einen Wagen im Tor des Gasthofs, welchem die Herrschaft
Eben entsteigt, und ruft, zu Hause fliegend, mit Beben:
Auf! Sie sind da! Nur hinaus, so wie wir gehen und stehen!
Christian sieht auf die Uhr und spricht: Sie werden nicht kommen,
Ehe der Morgen tagt, doch freilich müssen wir eilen,
Denn mir mangelt der Mut, den beiden ins Auge zu schauen,
Und das Kind ist getauft, denn wäre das nicht geschehen,
Weiß ich nicht, was ich noch täte, doch jetzt ist alles vorüber,
Darum fort auf der Stelle, der Jäger muß uns verstecken!
Früh erhebt sich am Morgen der Kaufherr samt der Gemahlin,
Und, am würzigen Hauch der Lüfte sich innig erquickend,
Lassen sie rasch sich vom Diener des Wirts zum Häuschen geleiten.
Bald auch stehn sie davor. Wie blank sind Fenster und Läden,
Und wie sauber und rein die Beete des Gartens gehalten,
Welcher es zierlich umgibt! Die Gattin bückt sich im Gehen
Über den niedrigen Zaun und pflückt sich eine Aurikel,
Um sie als erste Gabe dem Kinde zu reichen, indessen
Er mit eiliger Hand die Pforte öffnet und lächelnd
Winkt, ihm leise zu folgen, denn durch die hintere Türe
Denkt er das Paar zu beschleichen. Sie kommen auch leicht in die Küche,
Und, ein wenig verwundert, das Feuer nicht brennen zu sehen,
Auf den Zehen ins Zimmer. Doch alles ist leer und verlassen,
Und man sieht nicht die Spur des häuslichen Waltens. Der Nachbar,
Von dem Brunnen, an dem er sich wäscht, herübergerufen,
Ist erstaunt, wie sie selbst, doch löst er ihnen das Rätsel
Durch ein einziges Wort: er spricht von der gestrigen Taufe,
Und ein Brief auf dem Tisch, die wohlgeordnete Rechnung
Und die Lade mit Geld daneben bestätigen alles,
Was sie ahnen und fürchten, sowie sie's hören. Die Gattin
Ruft, im Tiefsten bewegt: So ist es also gekommen,
Wie ich's immer besorgt, sie können's und wollen's nicht geben!
Aber ich muß sie darum nur höher achten und lieben,
Wenn ich auch jetzt erröte, indem ich der Fragen gedenke,
Die mich in Hamburg erwarten, des Zischelns und Tuschelns und Lächelns,
Und ich werde nicht ruhig, bevor wir sie wieder gefunden,
Denn sie dürfen sich nicht in Not und Kummer verzehren,
Und sie zittern vor uns und denken, wir könnte es rauben!
Beide eilen zum Pfarrer, doch dieser weist sie zum Jäger,
Und das geflüchtete Paar, versteckt auf dem Boden und spähend,
Sieht sie kommen und glaubt sich verraten. Doch leugnet der Alte
Jegliche Kunde von ihnen, und ihre klopfenden Herzen
Schlagen schon weniger rasch, da schreit, vom Dunkel geängstigt
Und vom Rauche gequält, der Knabe. Man fragt nach dem Kinde
Und man wünscht es zu sehn. Der Alte holt es herunter,
Aber er sagt dabei, es sei sein Enkel, die Mutter
Liege im Bette krank. Sie herzen und küssen den Knaben,
Loben sein lockiges Haar und seine blitzenden Augen,
Geben ihm die Aurikel, beschenken den Alten und gehen.

Aber, freundliche Muse, die uns so treulich geleitet,
Knüpfe die Menschen doch gleich in Liebe wieder zusammen,
Welche so ängstlich sie suchen und wieder so töricht sie fliehen:
Hat sie das Kind, das sie trennt und eint, doch schon flüchtig verbunden!
Deutest du weiter? Es sei! Du führst auf längerem Wege
Sicher zum schöneren Ziel, und willig wollen wir folgen,
Denn du lächelst und nickst und legst die Hand auf den Busen!

Christian atmet wieder, und Magdalena erhebt sich,
Denn sie hatte gekniet, so wie sich die beiden entfernen,
Aber der Alte spricht: Ich folge ihnen ins Städtchen,
Um zu erfahren, was ferner geschieht, und werd' es euch melden.
Als er zurückkehrt, sagt er: Sie sind beim Richter gewesen,
Und, ich merkte es wohl, was dieser nur irgend an Spähern
Aufzubieten vermag, das ist auch heimlich zu Gange,
Doch ich lache darüber, es ward noch keiner ergriffen,
Welchen der Jäger beschützt, und scheint dies alles auch seltsam,
Eure Gesichter sind gut, und also helf' ich euch weiter!
Redlich hält er auch Wort und schafft sie über die Grenze,
Wo er, ohne zu fragen und ohne auch nur zu gestatten,
Daß sich Christian ihm vertraute, wie es ihn drängte,
Sie dem Himmel empfahl und mit dem Dukaten beschenkte,
Welchen der Kaufherr ihm gegeben hatte. So sind sie
Mit sich selber allein. Die Berge treten allmählich
Mit den Wäldern zurück, und offen breitet die Straße
Durch die Ebne sich aus, doch Christian meidet sie ängstlich,
Weil ihn neben den Spürern und Streifern zu Fuß und zu Pferde,
Die im Dienst des Gesetzes den Frevel belauern und packen,
Auch die Zungen der Erde, die Telegraphen, erschrecken,
Welche Städte mit Städten und Länder mit Ländern verbinden
Und den Tod, wie das Leben, von einem zum andern befördern.
Selten erscheint ihm ein Weg so abgelegen und düster,
Daß er ihn nicht betritt, um diesem in Eisen gegossnen
Spinnennetz zu entschlüpfen, an dem die Könige weben,
Und so ziehn sie einher, als wären sie Schelme und Diebe,
Tragen unendliche Last und Mühe bei Tage und müssen
In den ödesten Schenken die traurigsten Nächte verbringen.
Welch ein verändertes Los für beide! Wie hart und wie bitter!
Doch je härter der Druck, je bittrer so manche Entbehrung,
Um so ruhiger wird's der flüchtigen Mutter im Busen,
Christian aber fühlt sich getröstet durch den Gedanken,
Daß er doch alles teilt, und daß sie nicht ohne ihn irren.
Sie ist noch immer so reich, ihr hungriges Kind zu erquicken,
Er noch immer so stark, sein zitterndes Weib zu beschirmen,
Und so oft es auch scheint, als wäre man ihnen im Nacken:
Immer sind sie so glücklich bei Nebel und Nacht zu entkommen.
Eins nur peinigt sie noch: Die Summe verringert sich täglich,
Die sie brauchen in Bremen, um überfahren zu können,
Und sie prüfen schon oft die überflüssigen Kleider,
Die sich verkaufen lassen, um dieses Lücke zu decken.

Eines Abends geschieht es wieder, da flucht's vor der Türe,
Und mit vielem Gelärm, er konnte die Klinke nicht finden,
Tritt ein Gesell herein, in dem sie, den Augen nicht trauend,
Endlich den Tischler erkennen. So bist du im Lande geblieben?
Ruft ihm Christian zu. Zurückgekehrt aus der Traufe
In den Regen – versetzt er – und habe das Leben gerettet,
Welches der Schmied verlor. Es ist noch ärger da drüben,
Und wir Deutsche besonders, wir müssen uns ducken und drücken,
Wie die Hunde bei uns! Denn wäre der Schmied nur ein Franzmann,
Oder ein Beefsteak-Fresser, so würden schon ganze Armeen
Über die See geschickt, doch auf der Leiche des Deutschen
Legt der Mörder sich schlafen, und keiner stört ihm die Ruhe,
Wenn er nicht selber niest und sich weckt. Wir wollten hinüber!
Wirft ihm Christian ein. So laß dich warnen! erwidert
Lachend der andre und schleudert den Ranzen hinter den Ofen,
Fordert sich Wein und rückt heran. Wir haben uns drüben,
Wie in Ägypten die Juden, vermehrt und werden, wie diese,
Weil sie uns fürchten und hassen, gehetzt und vertilgt. In Europa
Mußt du stehlen, bevor man dich hängt. Dort wirst du gehangen,
Eh' du gestohlen hast! Und was dich immer auch jage:
Bleibe daheim. Es wird bei uns auch, ehe wir's denken,
Anders werden und besser. Du blickst erstaunt und verwundert?
Bruder, das ist nicht geprahlt, ich kehre zwar nackter und ärmer,
Aber auch klüger zurück. Man hat mir vernünft'ger gepredigt,
Als in der Jugend geschah. Du weißt doch, daß man dich einmal
Schändlich bestahl? Wo hast du Güter? Wo stehen die Häuser,
Die du vermietest? Wo wiehert dein Gaul? Wo melkst du die Kühe?
Schurken haben dir alles entrissen, noch eh' du geboren
Wurdest, und halten es fest. Das hat der klügste Franzose
Ausgespürt: wer besitzt, ist ein Dieb, und so viele Dukaten,
Ebensoviele Verbrechen! Doch wird's nicht lange mehr dauern,
Denn das jüngste Gericht ist nah. Du mußt nicht erwarten,
Daß in den Wolken die Engel mit ihren Posaunen erscheinen,
Diesen hat man die Flügel gestutzt, wir blasen uns selber,
Statt des Zeichens zu harren, und schleifen inzwischen die Äxte!
Deinen Jungen beneid' ich! Er wächst ins goldene Alter,
Wie in den Frühling hinein, und wird nur im Tanze noch schwitzen.
Aber, wie kommst du mir vor? Du machst ein Gesicht, wie ein Reicher!
Bist du's etwa geworden? Ich hörte so manches in Hamburg.
Hast du im Trüben gefischt, und eilst, dich sicher zu stellen?
Freund, entdecke dich mir! Vor einem Jahre noch hätt' ich
Dich beim Kragen gepackt und laut nach dem Büttel geschrien,
Heute sage ich dir: noch ehe die dummen Gesetze
Dich erreichen, wonach der Dieb den wahren Besitzer
Straft, sind alle getilgt. Das habe ich selber von WeitlingJohann Weitling, ein früher oft genannter Kommunist, seines Zeichens ein Schneider. ,
Dem es Christus vertraute, denn der ist lange schon unten,
Und sie sehen sich oft und sind die besten Bekannten.
Christian schlägt mit der Faust auf den Tisch, er kann sich nicht halten,
Aber der andre trinkt und spricht: Ich sollte doch meinen,
Daß ich dir Gutes verkünde, du selbst gehörtest ja früher
Zu den Schluckern, für welchen die weißen Haare des Scheitels
Hunger und Kummer bedeuten, und dich am wenigsten hätt' ich
Auf der Seite der Schwelger vermutet, doch ganz nach Gefallen!
Daß sie Soldaten haben, das wissen wir alle und machen
Auf den Kampf uns gefaßt, doch daß sich ihren Soldaten
Toren mit knurrenden Magen gesellen, um die zu bestreiten,
Welche das Essen bringen, das hat wohl keiner erwartet.
Aber, du tust auch nur so, ich weiß ja von Wilhelm und Anna,
Daß man dich sucht, und man trifft die Leute mit sauberm Gewissen
Nicht auf heimlichen Straßen, wie arme Teufel vom Handwerk,
Welche fechten und schnurren, und nicht in Schenken, wie diese.
Deine besten Bekannten in Hamburg schütteln die Köpfe,
Und die Feinde und Neider erzählen sich schlechte Geschichten:
Sag' doch nur, was es ist, man denkt sich schon lange das Ärgste!
Denn ein Millionär verschmerzt die geringen Verlüste
Bis zu Hundert mit Lachen und bis zu Tausend mit Flüchen,
Doch sie haben sich so, besonders die Frau, wie ich höre,
Euch zu erwischen, als gälte es Diamanten und Perlen!
Christian aber erhebt sich und spricht die gelassenen Worte:
Wenn es ist, wie du sagst, und wenn sie so wenig uns schonten,
Daß uns die geifernden Zungen den ehrlichen Namen belecken,
Nun, so geh' ich hinüber, und das noch morgen! Denn nimmer
Soll man die redlichsten Eltern in ihrem Sohne beschimpfen,
Oder dem ärmsten der Kinder sein einziges Erbe verkürzen,
Und es komme, wie's will, die Ehre werd' ich mir wahren!
Was dich selber betrifft und deine verworfenen Lehren,
So verlaß dich darauf, ich würde, wenn Ihr Euch regtet,
Selbst den Wuchrer beschützen, und wären wenige Stunden
Früher mein Weib und mein Kind vor seiner Tür verhungert,
Und ich hätt' nur noch Kraft zu einem einzigen Schlage.
Denn ihr seid ja ärger, als Feuer und Wasser und alles,
Und wer fragt, wenn es brennt, nach Freunden und Feinden beim Löschen?
Dieses wäre gesagt – und nun für immer geschieden!
Aber der Tischler versetzt: Das nenn' ich von oben gesprochen,
Doch ich glaube dir nicht, und wär' ich, wie du mich schilderst,
Würd' ich erwidern: mein Held, ich will dich nach Hamburg begleiten,
Daß du dein Ziel nicht verfehlst, ich habe die Zeit, und ich werde,
Wenn ich dich bringe, vielleicht noch eine Belohnung erhalten.
Aber, ich wünsche dir Glück auf allen Wegen und Stegen,
Die du auch wandeln magst, und werde dir sicher nicht nachsehn,
Wenn du dich morgen entfernst, wir haben zusammen getrunken.
Christian schweigt, er fühlt sich von diesen Worten getroffen,
Doch Magdalena erglüht und ruft: Ich will es dir sagen,
Was uns treibt, daß du's weißt! Wir haben für Mittel zur Heirat
Ihnen den Knaben versprochen, und fliehen nur darum so ängstlich,
Um ihn nicht geben zu müssen, denn dieses würde mich töten.
Aber der Tischler lacht und spricht: Da sieht man aufs neue,
Daß ihr die Welt nicht kennt! Wie könnt ihr Toren nur glauben,
Daß man euch zwingen kann? Doch nun begreife ich alles!
Hieß es ja doch, sie hätten den sehnlichst erwarteten Erben
Endlich in fremden Landen bekommen und wieder verloren
Und sie gingen in Trauer! Mich dünkt, ich sehe den Toten! –
Rasch nun geht es nach Hamburg, und schon in wenigen Tagen
Sehn sie die Türme der Stadt. Als Magdalena erzittert
Und ihn bittet, sie selbst mit ihrem Knaben im Dorfe
Über der Grenze zu lassen, erwidert Christian ruhig:
Nein, der Tischler hat recht, uns zwingt kein Gesetz, ihn zu geben,
Wie ein verhökertes Kalb. Auch habe ich minder den Richter,
Als sie selber gefürchtet, sie schienen mir beide so edel,
Daß ich mich meiner schämte, so wie ich ihrer nur dachte:
Aber, da sie uns wirklich, wie grobe Verbrecher, behandeln,
Hat das alles ein Ende, und ruhig werde ich fragen,
Wenn ich sie sehe, und kühn dabei die Augen erheben:
War die Rechnung nicht richtig? Sie fühlt sich selber ermutigt
Durch das entschlossene Wesen des Gatten und, ohne zu zaudern
Oder ängstlich zu tun und hin und wieder zu blicken,
Folgt sie ihm in das Tor. Wie jubeln Wilhelm und Anna,
Als die beiden auf einmal die reinliche Stube betreten,
Welche sie jetzt bewohnen. Sie rufen: Nun haben wir hundert
Taler mehr im Vermögen, denn diese sind uns versprochen,
Wenn wir verkündigen können, wo ihr euch befindet! Da seid ihr,
Und nun brauchen wir bloß die Türe zu schließen, so haben
Wir euch selber gefangen! Doch seht, noch brodelt der Kessel,
Und wir wollen uns erst durch einen tüchtigen Kaffee
Für die Hochzeit bedanken, denn sicher seid ihr doch durstig.
Christian grollt und spricht: So wurden auf unsere Köpfe
Auch schon Preise gesetzt? Das tut man bei Räubern und Mördern!
Wenn es euch aber gelüstet, das Geld zu verdienen, so haltet
Nicht beim Feuer euch auf und tändelt mir nicht mit dem Knaben,
Eilt, so sehr ihr nur könnt, ich kam, mich selber zu melden,
Und ich hoffe sogar, am Galgen vorüber zu kommen.
Manchen Späher bemerkt' ich und manche verdächtige Schenke
Hab' ich betreten, und doch entging ich den Fallen und Netzen;
Wenn ihr mich heute erblickt, so kam ich aus eigner Bewegung,
Statt mich nach Bremen zu wenden, denn nichts verschloß mir die Straße.
Wohl dir, daß du es nicht getan, entgegnet ihm Wilhelm,
Nur mit Mühe zum Ernst sich zwingend und feierlich blickend,
Denn man hätt' dich in Bremen nicht fortgelassen, die Häfen
Waren alle besetzt, und jeglicher wurde gemustert!
Christian ballt die Faust, doch Anna verschließt ihm die Lippen
Mit den Fingern und spricht: Es wäre doch besser gewesen,
Wenn du in irgend ein Netz gegangen wärest, du hättest
Weniger Sorgen gehabt, auch würde der Knabe nicht husten,
Denn du flohst vor dem Glück, und haben sie Späher gesendet
Oder Preise gesetzt, so ist das alles geschehen,
Um dir Kunde zu geben, das haben sie selbst mir beteuert,
Daß sie die Schuld dir erlassen, ich weiß nicht, welche sie meinen,
Aber das Gut dir schenken! Nun brauch' nach Belieben die Zunge.
Christian deckt sein Gesicht mit beiden Händen, ein Zittern
Überkommt ihn, er ist nicht eines Wortes noch mächtig,
Und ein jegliches Glied will reden; endlich beginnt er:
Nun, so bin ich nicht wert, daß Sonne und Mond mich bescheinen,
Und ich rufe die Flüche, die eben, was sollt' ich's verhehlen,
In die Kehle mir stiegen, als du den Mund mir verschlossest,
Auf mein eigenes Haupt herab und vollziehe sie selber!
Magdalena jedoch, der längst die Tränen entströmten,
Schließt ihn rasch in die Arme und küßt ihn und zeigt ihm den Knaben,
Dem sie die Händchen gefaltet und dessen verwundertes Lächeln
Über sich selbst und die Mutter sein Rasen bändigt, so daß er
Sich nicht schlägt und zerrauft, wie er wollte, im Wüten der Reue;
Wilhelm ergriff indes den Hut und eilte von dannen.

Aber der Kaufherr sitzt mit seiner Gattin beim Frühstück,
Und sie fragt mit den Augen, doch nicht mit den Lippen, ob wieder
Keine Kunde gekommen. Er spricht: Es kann ja nicht fehlen,
Daß wir's endlich erfahren, wie sehr sie sich immer verkriechen!
Wär's für den Reichen schon schwer, sich ganz und gar zu verbergen,
Wenn die Grille ihm käme, so kann es dem Armen noch minder
Glücken: er muß sich ernähren und also heraus um die Arbeit,
Und wir wissen's am besten, wie wenig der dürftige Pfenning,
Den sie nahmen für sich, genügt, sie Monde und Jahre
Zu erhalten, so tröste dich jetzt, was du früher beklagtest!
Sie erwidert darauf: Und kann der Knabe nicht sterben?
Oder können sie nicht in fremde Länder entkommen?
Nein, ich ängstige mich zu Tode! Je länger es dauert,
Um so weniger dürfen wir hoffen, sie wieder zu finden!
Ich vernehme vielleicht, damit mich das Bitterste treffe,
Wo sie erlagen, und kann die Gräber mit Blumen verzieren,
Aber ich werde sie nicht für ihre erduldeten Leiden,
Wie ich hoffte, belohnen, mich wird ein Engel verdrängen.
O, wie werd' ich gestraft! Ich wußte mein Glück nicht zu schätzen!
Wie, wer nie noch die Luft auf Augenblicke entbehrte,
Garnicht weiß, was sie ist, und aus dem eitelsten Grunde
Hab' ich mit drückende Schuld mir die Seele belastet! Denn nimmer
Wär' ich dem Doktor gefolgt, auch hätt' er's gewiß nicht geraten,
Wenn nicht die törichte Scham vor anderen Müttern, verbunden
Mit dem sündlichen Neid auf ihre blühenden Kinder,
Mich seit Jahren besessen und in der versuchenden Stunde
Mir das Herz in der Brust verhärtet hätte! Mich quälen
Jetzt die schrecklichsten Bilder, ich sehe die blassen Gesichter
Ausgewanderter Mädchen und Knaben, wie sie mich früher
Oft am Hafen entsetzten, und all die vermessenen Wünsche,
Die ich so lange gehegt im ungeduldigen Busen,
Lösen sich auf in dem einen: das Kind gerettet zu wissen,
Das ich frevelnd ins Leben gerufen, doch wird's nicht geschehen!
Da erschallt vor der Tür die laute Stimme des Doktors,
Jubelnd tritt er herein und ruft: Gefunden! Gefunden!
Und, er hat sie sogleich durch Wilhelm, der's ihm gemeldet,
Holen lassen, verwirrt und blöde folgen die andern:
Magdalena voran, im Arm den lieblichen Knaben,
Christian hinterher, die Augen zu Boden geschlagen,
Wilhelm und Anne zuletzt, und nur bis zur Schwelle sich trauend,
Jene dem heiligen Paar vergleichbar, diese den Hirten.
Aber die Gattin faltet die Hände und hebt sie zum Himmel,
Preßt dann Mutter und Kind ans Herz und schluchzt: Ich genieße
Jetzt die seligste Stunde des Lebens durch reichste Erfüllung
Meines heiligsten Wunsches und opfre mit Freuden die andern.
Ja, nun sag' ich mit dir, sie wendet sich innig zum Gatten,
Unsere Kinder sind die Armen, doch bleibt mir von allen
Dieser Knabe der nächste, denn ihm verdank' ich den Frieden,
Den ich nie noch gekannt, und den die Erde nicht mindert,
Wenn man ihn einmal errang, und selbst der Himmel nicht steigert.
Doch, was ist das? Ich konnte bisher vor Tränen nicht sehen!
Diese lockigen Haare und diese blitzenden Augen
Soll ich kennen! Ja! ja! Das ist der Enkel des Jägers!
Herr, ich kann dich verstehn! Du wolltest im Feuer mich läutern,
Darum durft' ich nicht gleich ihn finden! Doch schütztest du selbst ihn
Mit allmächtiger Hand! Für alles sei mir gepriesen!


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