Friedrich Hebbel
Mutter und Kind (1)
Friedrich Hebbel

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Dritter Gesang.

            Rasch entfernt sich der Doktor, denn viel noch hat er zu schaffen,
Auch den Kaufherrn ruft gar manches ab, doch verwundert
Schaut er dem Alten nach und denkt: was mag er nur meinen?
Plötzlich fühlt er von hinten sich innig umschlungen, die Gattin
Hat sich ihm leise genähert, und wie er sich wendet, erstaunt er
Über den klaren Blick des reinen Auges und freut sich,
Sie so ruhig zu finden. Sie küßt ihn herzlich und drückt ihn
Mehrmals gegen die Brust, als wäre der Morgen der Hochzeit
Wiedergekehrt, an dem sie, dem Kreise der Schwestern entschlüpfend,
Die nach in ihr schmückten, und über die trennende Schwelle
Ihm entgegenhüpfend, an welcher er schüchtern und lauschend
Stehen geblieben war, dem fast Erschreckten bewiesen,
Daß sie nur darum so lange das kargste der Mädchen gewesen,
Um als reichste der Bräute noch in der letzten der Stunden
Für die erduldete Strenge ihm überschwenglich zu lohnen.
Denn, wie mancher Baum, zu dessen Füßen die Veilchen
Schon ihr Leben verhauchen und den die mildesten Lüfte
Unermüdlich umschmeicheln, nicht eine einzige Knospe
Öffnet, bevor der Mai den Frühling göttlich besiegelt:
Also hatte auch sie sogar dem Verlobten noch vieles
Abgeschlagen, was selbst die sprödeste Sitte gestattet
Und die sorglichste Mutter nicht rügt, und still sich bescheidend
Hatt' er's ertragen, obgleich nicht ohne quälende Zweifel.
Aber, wie solch ein Baum zuletzt die innere Fülle
Auch in heißeren Düften und volleren Blüten entbindet,
Als die übrigen alle, die nichts zusammengehalten:
Also hatte auch sie auf diese einzige Stunde,
Die mit Geben beginnt, um nicht mit Fordern zu enden,
Alle Wonnen gehäuft und ihn im Tiefsten beschwichtigt.
Unvergeßlich war ihm der Morgen, doch ward er nur selten
Wieder an ihn erinnert, und heute am wenigsten hätt' er
Dieses Zeichen der Liebe von ihrer Seite erwartet.
Feurig erwidert er's ihr, und als sie sich endlich ihm weigert,
Spricht er: wir stritten uns oft, ob fallende Früchte am besten
Schmeckten, oder gepflückte, ich hatte soeben von beiden,
Und ich finde sie gleich. Du aber sag' mir zuletzt noch,
Was mir den innigen Gruß verschafft hat, den ich so zärtlich
Nicht erhielt, seitdem ich von Philadelphia kehrte,
Und auch da wohl nur, weil eine verlogene Zeitung,
Sei sie noch jetzt mir gepriesen, mich scheitern ließ und versinken,
Als ich die Elbe bereits mit günstigem Winde hinauftrieb.
Sanft errötend versetzt sie: Du warst mir wieder gestorben,
Und so sehr ich den Traum auch hasse, weil er ein Nichts ist
Und mich dennoch beängstigt: für diesen könnte ich danken!
Laß mich schweigen, ich habe gelobt, nicht wieder zu weinen,
Und ich müßte vielleicht, wenn ich noch weiter erzählte,
Aber, du sollst schon sehn. Jetzt kenn' ich die Öde, jetzt weiß ich,
Was es bedeutet, allein in weiten Gemächern zu sitzen,
Alle Stunden des Tages zu zählen und doch sich bei keiner
Sagen zu dürfen: nun tritt er herein, nun prüft er die Mienen
Deines Gesichtes und beut, sobald sie ihm traurig erscheinen,
Dir die Rechte als Freund, sobald sie ermunternd ihm lächeln,
Dir die Lippe als Gatte! Jetzt hab' ich's in Wahrheit empfunden,
Nicht aus Grille bloß mir eingebildet! Drum will ich
Dir in allem auch folgen! Es gibt der Waisen so viele
In dem großen Hause, das jeglicher segnet»In dem großen Hause, das jeglicher segnet.« Das Waisenhaus; ein den darin aufgenommenen Kindern jedes Jahr zu Pfingsten veranstaltetes Fest, das den Namen »Waisengrün« trägt, ist eins der schönsten, die es gibt., der Reigen,
Welcher zu Pfingsten die Straßen durchzieht, daß er Bürger erfahre,
Wie man sie kleidet und nährt, ist jährlich noch immer gewachsen:
Nehmen wir eine heraus! Wir könnten heute noch wählen,
Wenn du denkst, wie bisher! Ein Knabe oder ein Mädchen,
Was dir gefällt, ist mir recht! Wir machen einen auf Erden,
Zweie im Himmel glücklich! Ich werde dich selber begleiten.
Wiederhol' es mir morgen – versetzt er mit Lächeln – so wollen
Wir es weiter bereden. Ich denke es anders zu machen,
Wenn es dein Wille bleibt. Warum der sterbenden Mutter
Nicht sogleich aus den Armen den Säugling nehmen und, gänzlich
Über sein Schicksal beruhigt, ins Grab sie senden, warum ihn
Erst von Fremden empfangen? Doch alles dieses auf morgen!
Denn wie sehr ich mich auch der schönen Wallung erfreue,
Welche dich heute bewegt, ich werde sie nimmer mißbrauchen,
Und sie kommt mir zu rasch, als daß ich ihr völlig vertraue!

Damit geht er von hinnen, denn lange schon warteten seiner
Ungeduldig die Schreiber. Doch kann er's nicht lassen, noch einmal
An der Tür sich zu wenden. Mir lobe noch einer die Mädchen!
Ruft er dann und enteilt. Und wahrlich, er durfte es wagen,
Denn die hohe Gestalt im weißen Morgengewande
Mit den glühenden Augen und reichlich wallenden Locken
Ist vollendet zu nennen in stolzer Erscheinung, es deutet
Nichts zurück auf die Jugend, das unentwickelt und unreif
Nicht zu zeitigen wäre, und nichts hinein in das Alter,
Das sich zu voll schon zeigte, es ist die reizende Mitte
Zwischen Blüte und Frucht, der köstliche Gipfel des Lebens,
Wo in holdester Pause die endlich gesättigten Kräfte
Ihren Sabbat feiern und nur mit sich selber noch spielen.
Tief, wie nie noch, ergriffen von ihrer Macht, zu beglücken,
Sieht sie dem Eilenden nach. Ein eigener Schauder erfaßt sie,
Als sein treues Gesicht, das freilich derb, wie ein Holzschnitt
Aus den ältesten Zeiten, nur krampfhaft lachen und weinen,
Aber nicht lächeln kann, mit fröhlichem Nicken verschwindet
Und die Türe sich schließt. Denn diese hat sie im Traume
Immer vor sich gehabt und alle Schrammen und Ritzen,
Welche sogar Magdalenen beim emsigsten Bohnen entgingen,
Deutlich sich eingeprägt. Er sollte kommen und kam nicht,
Aber statt seiner erschien nach langem ängstlichen Harren,
Während es die Minuten vorüberkrochen, wie Stunden,
Schwarz gekleidet der Schneider und fragte mit ernsten Gebärden,
Ob es ihr jetzt gefalle, die Trauer zu wählen, es warte
Draußen auch schon der Zeichner mit einem Modell zu dem Denkmal,
Den sie bestellt, wie ihn selbst, das Werk sei herrlich geraten,
Ganz besonders die Büste des Abgeschiednen, nicht treuer
Hänge sein Bild an der Wand vor ihren eigenen Augen,
Als es sich über dem Grabe zur größte Zierde des Kirchhofs
Bald, in Eisen gegossen, erheben werde! Da war sie
Vor Entsetzen erwacht und mit unendlicher Rührung
Hatte sie durch das Spiel der Glocken hindurch»Durch das Spiel der Glocken hindurch.« In Hamburg sind die alten erbaulichen Glockenspiele noch immer nicht verstummt. , wieder es stündlich
Von den Türmen erschallt in frommen Choralmelodien,
Seine Stimme vernommen und rasch und still sich erhoben.
Tief war das Herz ihr beklemmt. Der Fluch des ganzen Geschlechtes,
Daß es nicht schätzt, was es hat, und überschätzt, was es nicht hat,
Drückte sie so darnieder, als wäre nur sie ihm erlegen,
Während doch alle zusammen den Duft der lockenden Früchte
Gleich beim Pflücken verwischen, und weil sich zwischen den Fingern
Freilich das Gold nicht findet, das auf den Zweigen so reizte,
Neu verlangend den Baum erklettern, um aber und aber
Ihn zu plündern und sich zu täuschen! Der bittre Gedanke,
Ihrem Gatten wohl oft durch ihr verdüstertes Wesen
Stille Freude getrübt und edel verheimlichten Kummer,
Statt ihn zu lindern, erhöht zu haben, verließ sie nicht wieder:
All die kleinen Momente, an denen das Leben so reich ist,
Wo ein freundlicher Blick mit einem finstern erwidert
Wurde, ein herzliches Wort mit einem kalten und leeren,
Traten in greller Beleuchtung vor ihre geängstigte Seele,
Und sie fand nicht den Mut, ihm guten Morgen zu sagen,
Eh' sei ein stilles Gelübde im tiefsten Gemüte beschworen.
Fest auch steht ihr Entschluß, es unverbrüchlich zu halten,
Ja, sie wiederholt's, indem sie der Türe den Rücken
Wendet, die ihr den Traum so klar ins Gedächtnis gerufen,
Daß sie ihr Auge bisher, wie magisch, an sich gefesselt.
Als sie ins eigne Gemach zurückkehrt, trifft sie die Zofe
Eben vorm Spiegel: sie möchte von Magdalenen berichten,
Die sich bei ihr erkundigt, ob Kalifornien weit ist
Und ob wirklich die Straße mit Totengerippen gepflastert,
Wie sie auf ängstliches Fragen bei Hoffmann und Campe erfahren.
Aber die Törin errötet und schleicht sich davon, als sie plötzlich
Ihre Herrin, anstatt auf sie zu hören, die Nadel
Greifen sieht, um vor Nacht noch die längst begonnene Arbeit,
Welche schon aufgegeben erschien, für den Herrn zu vollenden.
Denn die Neugier will's durch tätige Buße beweisen,
Daß sie verwandelst ist, und wirklich wird sie noch fertig,
Wenn auch im Laufe der Stunden gar manche ihrer Bekannten
Prunkend und prahlend erscheinen, gehüllt in die neuesten Roben,
Welche Paris geliefert, und brennend, Neid zu erregen,
Oder zum wenigsten doch in stiller Bewundrung zu schwelgen.
Ja, sie werden sogar, obgleich sie nur stören und hindern,
Besser empfangen, wie sonst, und finden offnere Ohren,
Für ihr erstaunliches Glück, das Mode-Journal zu beschämen.
Denn es will ihr dünken, als hätten sie, tändelnd und gaukelnd
Und die schillernden Flitter aus kindischer Freude am Wechsel,
Wie die Vögel sich mausern, vertauschend und wieder vertauschend,
Sich vor Schlimmrem bewahrt, sie schaut nicht mehr mit Verachtung
Auf die Schwestern herunter, es scheint ihr doch besser, zu spielen,
Als beständig zu brüten, den Liebsten aber zu quälen.
So vergeht ihr der Tag in furchtbar-ernster Betrachtung,
Welche sie über sich selbst im Geist erhebt und sie kräftigt,
Während im zierlichen Fleiß der Finger das Herz sich erleichtert.
Und es naht sich der Abend. Nun gilt's noch, die Gaben zu ordnen,
Die sie bestimmt fürs Haus – seit Jahren tat es die Zofe –
Dann, sich festlich zu schmücken, und beides dauert so lange,
Daß der Doktor erscheint, bevor sie noch selber gekommen.
Überglücklich begrüßt der Kaufherr ihn und erzählt ihm,
Was am Morgen geschehn, und wie es weiter gegangen.
Doch der Alte erwidert als Prüfer der Herzen und Nieren:
Einer Genesenden gleicht sie, und alle Genesenden fühlen,
Wenn sie das Übel verließ, sich frei von Wunsch und Verlangen,
Denn sie haben das Maß des Menschlichen wieder gewonnen,
Das die Begierde zerbrach, und wollen nur leben und atmen.
Aber das ändert sich wieder. Drum muß man die Pause benutzen,
Und so fatal mir der Pastor mit Sakrament und Ermahnung
Auch in der Krisis ist, so gern doch seh' ich ihn nahen,
Wenn ich selbst mich entferne, denn rein ist der Boden von Unkraut,
Und der göttliche Same mag Wurzel fassen und treiben.
Also wollen wir's auch mit ihr verhalten, und hat sie
Selbst den Entschluß gefaßt, der einzig hilft auf die Länge,
Denn, was Juden als Fluch, gilt Christen noch immer als Unglück,
Und die bittre Empfindung wird wieder und wieder sich regen,
Nun, so müssen wir sorgen, ihn rasch in die Tat zu verwandeln,
Und es trifft sich besonders! – Da öffnet sich plötzlich die Türe
Und im seltensten Putz, sie weiß, wie sehr es ihm schmeichelt,
Wenn sie die eigenen Reize erhöht durch seine Geschenke,
Tritt die Gattin herein. Er eilt ihr entgegen, der Alte
Folgt ihm aber sogleich, und zwischen sie tretend und beide
An den Händen fassend, beginnt er eifrig von neuem:
Unten verbringt das Mädchen, das ich dem Hause empfohlen,
Weinend den ganzen Tag, weil ihr Verlobter im Frühling
Nach Amerika will, um dort entweder zu sterben,
Oder so viel zu erwerben, als nötig ist für die Heirat;
Hier vermißt Ihr das Kind, das jetzt mit leuchtenden Augen
Und mit glühenden Wangen von einem Tische zum andern
Hüpfen sollte und Euch durch Händeklatschen und Jubeln
In die Jugend zurückversetzen! Da möcht' ich doch raten:
Gebt das Paar zusammen und macht den Erstling zum Erben!
Edel sind sie und brav, Ihr werdet es nimmer bereuen,
Wenn das Wort sich bewährt, das alte, vom Stamm und vom Apfel,
Und so sicher Ihr selbst das Kind ins Leben gerufen,
Ebenso sicher auch werdet Ihr's inniger lieben, wie eines,
Denn Ihr wählt's Euch nicht aus, Ihr fragt nicht nach Augen und Haaren,
Wie es doch sonst wohl geschähe, es wird Euch von oben gesendet,
Wie den Eltern, auch seid Ihr so heilig, wie diese, gebunden
Und Ihr heißt es vielleicht, als wär' es ein eignes, willkommen.
Ja, es könnte sogar für Euer eigenes gelten,
Wenn Ihr wolltet, Ihr nähmet die Mutter mit auf die Reise,
Welche Ihr jährlich macht, und kämet ohne sie wieder:
Sie vergäß' es über das zweite und fände sich glücklich
Ander Seite des Gatten in Hülle und Fülle des Wohlstands,
Aber es würde bei Euch auf einmal lebendig und fröhlich,
Denn was die Pendel den Uhren, das sind die Kinder den Häusern!
Sie erwidert dem Alten mit Hast und fiebrisch errötend:
Dieses wäre das Beste, und also muß es auch werden!
Was sie auch immer verlangen, so werden sie alles erhalten,
Aber bevor noch der Säugling den Mutter-Namen gestammelt,
Muß sie sich trennen von ihm, denn mich nur darf er so nennen!
Da entgegnet der Doktor: So sprech' ich denn gleich mit dem Mädchen!
Und er verläßt das Gemach. Sie eilt ihm nach bis zur Türe,
Unwillkürlich gedrängt, ihn umzurufen, doch hält sie
Auf der Schwelle noch ein und sagt, zum Gatten gewendet,
Der sie verfolgt mit dem Blick: Nicht wahr, wir dürfen es nehmen,
Wenn sie selber es geben? Er holt sie zurück und erwidert:
Dieses gelt' uns als Zeichen! Doch, wie sie auch immer sich fassen:
Wir vereinigen sie! Das hab' ich schon still mir geschworen.
Was auch siege im Kampf: der Wunsch, ihr Kind zu behalten,
Oder es glücklich zu wissen, und glücklich können wir's machen,
Ruhig warten wir's ab, denn wahrlich, ich will sie belohnen.
Abraham wurde geprüft, er sollte den Isaak schlachten,
Und er fand sich bereit. Doch nicht, als er trauernden Herzens,
Aber mit lächelnden Mienen, der Sarah den Liebling entführte;
Auch nicht, als er den Berg mit zitternden Knieen hinanstieg,
Oder den Opfer-Altar mit bebenden Händen erbaute;
Nicht einmal, als er schaudernd dem Knaben das Hälschen entblößte,
Erst, als das Messer schon blinkte, erschien ihm der rettende Engel!
Diese brauchen nur Nein zu sagen, so ist es bestanden.
Darum fürchte dich nicht der Sünde in deinem Gewissen:
Denn sie gewinnen das Leben und setzen sich selbst die Bedingung.
Aber nun sieh dich doch um, betrachte die Vögel und Blumen,
Die dich so freundlich begrüßen und sage mir, ob ich's getroffen?
Sie entgegnet: ich habe da drüben für dich auch ein Tischchen,
Wenig zwar liegt nur darauf, allein du bist ja genügsam,
Und ich kam, dich zu rufen! – Doch viel zu bewegt sind sie beide,
Um hinüber zu gehn, sie scheinen's nicht einmal zu merken,
Daß die türkische Tulpe vor ihren Augen sich öffnet,
Ja, sie würden nicht horchen, wenn plötzlich die Sterne erklängen.
Bald auch kehrt der Doktor zurück mit vergnügtem Gesichte,
Ihn begleitet das Mädchen. Sie ist, wie zum Tode, erblichen,
Aber sie lächelt dabei. Sie möchte reden und danken,
Doch sie versucht es umsonst; so sinkt sie der Herrin zu Füßen.
Diese erhebt sie und küßt sie. Da schallen Hörner und Zinken
Fromm von der Straße herauf. Nun wirft sie sich abermals nieder,
Aber sie faltet die Hände und blickt gen Himmel. Die Gatten
Knieen neben ihr ihn, und also schließt sich die Weihnacht.


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