Friedrich Hebbel
Der Diamant
Friedrich Hebbel

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Vierter Akt.

Erste Szene.

(Dorfgefängnis. Anbruch der Nacht.)
Benjamin sitzt im Hintergrund. Schlüter geht auf und ab
.

Schlüter (für sich). Eine halbe Million! Und wer den Stein bringt, bekommt sie. Ich denke, wenn der König nicht einmal den Raub, den man an ihm selbst beging, ahnden will, so wird er den Raub, den man an einem Juden und Bauern beging, noch weniger ahnden. Mein lieber Schlüter – wird er sagen, und wird den Stein in die Tasche stecken und die Tasche zuknöpfen – hier hat Er sein Geld, und es soll mir lieb sein, wenn Er es mit Gesundheit verzehrt.

Benjamin. Die Glocke schlägt schon wieder!

Schlüter. Ich wollte, ich könnte den Juden so weit bringen, daß er sich aufhinge. Dann öffnete ich ihm auf Schlachtermanier den Bauch und machte mich mit dem Stein auf den Weg. Aber das müßte schnell geschehen, denn der Doktor wird bald kommen. Ich könnt' ihn auch selbst aufhängen, doch er würde schreien, und der Richter wohnt gleich nebenan. (Zu Benjamin.) Jude, wer wird denn so unvernünftig sein wollen und seufzen? Kannst du dein bißchen Wind nicht besser nützen? Antworte mir ja nicht, solange du sprichst, kannst du nicht – du verstehst mich!

Benjamin. Alles hilft nichts!

Schlüter. Vielleicht bist du gefaßt, hast dich in dein Schicksal ergeben. Nun, was will's denn auch bedeuten? Es ist ein Hühnerschicksal, du stirbst den Taubentod. Aber, aber, es ist doch ein Unterschied. Der Taube wird das Messer rasch durchs Herz gejagt, dann gibt's noch ein bißchen Augenverdrehen, ein letztes Aufschnappen, und alles ist aus. Du dagegen wirst nur um so langsamer sterben, weil der Doktor versuchen wird, ob er dich nicht – für den Galgen – am Leben erhalten kann. Wahrhaftig, ich bekomm' ein ordentliches Mitleid mit dir, wenn ich mir dies Schneiden und Zerfetzen vorstelle. Schaudert's dich nicht? Ich seh' dich schon über und über blutig!

Benjamin. Schweigt still!

Schlüter. Exempel hat man, daß Missetäter, denen ein fürchterlicher Tod bevorstand, dem lauernden Henker noch im Gefängnis ein Schnippchen schlugen, indem sie sich mit ihrem Halstuch die Kehle zuschnürten. Bei dir ist man dieser Gefahr nicht ausgesetzt, du trägst eine Binde. Aber dort im Winkel liegt ein Strick, und am Balken sitzt ein Haken. Es kann mir den Dienst kosten, wenn ich dich allein lasse und den Strick nicht mit mir nehme, denn du wirst ihn mißbrauchen, oder du bist der Hase aller Hasen, der selbst mit brennendem Schwanz nicht ins Wasser zu springen wagt. Nun, ich war eher ein Mensch, als ein Gefängniswärter, und ein Mensch werd' ich bleiben, wenn ich auch aufhöre, Gefängniswärter zu sein! (Geht, kehrt aber wieder um.) Das Hängen ist, wie sie sagen, sogar eine angenehme Sache, ich habe auch selbst mal einen aufhängen sehen, der, statt zu schreien und zu lamentieren, lustig die Beine bewegte, als ob er in Gedanken den letzten Walzer tanzte. Nun, ich wünsche viel Vergnügen! (Ab.)

Zweite Szene.

Benjamin (allein). So hängt denn all mein Heil jetzt an einem Strick. (Er nimmt den Strick.) Da ist er. (Er macht einen Knoten.) So wie dieser Knoten zugezogen ist, sind alle andern gelöst. Tu' ich's? Ich sah einmal, daß einem Toten der Bauch aufgeschnitten ward, und dachte, so tot könne der Mensch gar nicht sein, daß er das nicht fühlte. Also! Dort sitzt der Haken! Vielleicht kann ich ihn nicht abreichen. (Er versucht's.) O – ja! Neu ist er auch, als wäre er nur meinetwegen eingeschlagen! Der Balken freilich ist wurmstichig, doch was tut's? Wenn er bricht, so zerschmettert er mich, und der Tod ist mir in diesem Fall so gewiß, wie in dem andern, daß er hält! Aber – sollte der Doktor wirklich den Mut haben, einen Menschen bei lebendigem Leibe zu schlachten? Ich kann's mir nicht vorstellen! Und wenn – – Soll ich, um ihm die Gewissensbisse zu ersparen, mich selbst mit dem Mord beladen? Daß ich ein Narr wäre!

Dritte Szene.

Schlüter tritt wieder ein, in der Hand ein langes Messer.

Benjamin (springt scheu zurück). Was soll das Messer?

Schlüter. Hängst du noch nicht? (Für sich.) Ich konnt' es denken, wir wollen's anders versuchen! (Laut.) Ich wollte dich damit losschneiden.

Benjamin. Losschneiden? Und erst gebt Ihr mir selbst den bösen Gedanken ein?

Schlüter. Mir kam ein besserer. Was meinst du, wenn ich dich entwischen ließe?

Benjamin. Dann tätet Ihr etwas –

Schlüter. Was mir selbst den Hals kosten würde, das siehst du ein, nicht wahr?

Benjamin. Tut's! Tut's! Wißt Ihr was? Ich will Gewalt brauchen! Ich will Euch anfallen, so zum Schein, als ob ich in der Desperation übernatürliche Kräfte bekommen und Euch überwältigt hätte. (Er packt Schlüter.) Nun, Ihr müßt nicht so fest stehen, wie ein steinerner Roland. Wo ist der Strick? Ich will Euch damit binden! Dann zerkratz' ich Euch noch das Gesicht, reiß' Euch Haare aus und mache mich davon. Bin ich fort, so fangt Ihr zu schreien an, dunkel ist's, ich will mir schon durchhelfen!

Schlüter. So geht's nicht. Ich lass' dich laufen, aber ich geh' mit. Komm!

Benjamin. Ihr seid – (Für sich.) Ob mein Vater dem seinigen irgendwo aus der Patsche geholfen hat, oder ob er schon auf meine künftige halbe Million spekuliert?

Schlüter. Aus der Hintertür hinaus! (Er öffnet sie.) Schnell!

(Beide ab.)

Vierte Szene.

Richter Kilian, Dr. Pfeffer, Block und Jakob treten ein.

Dr. Pfeffer. Aber, Herr Richter, könnt Ihr auch Blut sehen?

Kilian. Wenn's nur nicht mein eigenes ist: ja!

Dr. Pfeffer (für sich). Er darf nicht hier bleiben, ich muß freie Hand haben. (Zu Kilian.) Traut Ihr Euch auch so viel zu?

Kilian. Es wird sich finden. Ich kann ja immer noch hinausgehen.

Dr. Pfeffer. Ich wünsche nur, daß jeder Störung der Operation möglichst vorgebeugt werde, darum möchte ich am liebsten mit meinem Bedienten allein sein.

Block. Euer Bedienter?

Dr. Pfeffer. O Esel! Was du nicht bist, kannst du werden! Wirst du nicht gern bei mir in Dienst gehen, wenn ich Millionär bin? (Zu Kilian.) Dem Menschen mit dem Milchgesichte sieht's niemand an, was er vertragen kann. Der wäre in Hospitälern und auf Schlachtfeldern unbezahlbar. Seinen eigenen Vater hat er sezieren sehen und dabei gefrühstückt. Und doch hatte der Alte sich nur aus Ärger über den Sohn ertränkt.

Block. Nicht mehr, oder ich breche los!

Jakob. Ich muß mich doch über die Herren wundern!

Dr. Pfeffer. Warum?

Jakob. Ich habe gute Augen, Nase und Ohren, aber den Juden kann ich hier so wenig sehen, als hören oder riechen.

Dr. Pfeffer. Was ist das?

Kilian. O, es gibt hier noch ein heimlich Kämmerlein. In das wird ihn der Wärter hineingesteckt und ihn aus Langeweile gezwungen haben, schwarzen Peter mit ihm zu spielen. Hundertmal hab' ich's verboten, weil die Menschen nicht zu Gedanken kommen, solange sie die verfluchten Karten in der Hand halten, aber immer wird's aufs neue wieder versucht. (Er ruft.) Schlüter! Keine Antwort? Unbesorgt, Herr Doktor. Ich weiß, was das bedeutet. Drei Aß und einen König! Ich will den Trumpf dazu geben! Schlüter! (Er will in den Hintergrund.) Ich bin verloren. Hier steht die Tür auf.

Jakob. Fort, nicht wahr? Weg, wie der Sperling, wenn der Bube gerade die Mütze abzieht, um sie nach ihm zu werfen. O, ich Dummkopf, ich Dummkopf! Was gingen mich anderer Leute Schafe an!

Block. Schafe?

Jakob. Ich wanderte, wie ein Nachtwächter, mit meinem Knittel ums Gefängnis herum, und ließ keine Tür aus den Augen, da trieb ein kleiner Knabe Schafe vorbei. Die Schafe liefen links und rechts, hier in einen Kohlgarten hinein, dort in den Weizen, der Knabe weinte und schrie, er wußte sich nicht zu helfen, da dachte ich: als du klein warst, ist es dir mit Schafen oft auch so ergangen! und ohne mich viel zu besinnen, sprang ich herzu. Verfluchter Greiner! Der Beistand, den ich dir leistete, kostet mir eine halbe Million!

Block (auf Kilian deutend). Der alte Mann fällt um!

Jakob. Das würde sich besser für mich schicken, als für ihn! O, hätt' ich mir nur im voraus etwas darauf geben lassen! Was meint Ihr, wenn ich den Richter um zehn Taler angesprochen hätte, würde er Ja gesagt haben?

Block. Gewiß!

Jakob. Nun, dann woll' ich, hier wär' einer, der mich auspeitschte. Diese zehn Taler ärgern mich mehr, als all das übrige Geld.

Dr. Pfeffer (der inzwischen mit einer Kerze in alle Ecken geleuchtet hat). Einen Schnaps!

Fünfte Szene.

Jörg (stürzt herein). Herr Richter Kilian! Herr Richter Kilian!

Kilian (richtet sich auf). Was gibt's? (Er setzt sich wieder.) Das verlohnt sich auch wohl der Mühe, dieses Esels wegen aus der Ohnmacht zu erwachen. Niemand hat das Recht, mich zu erwecken, als der mir die Nachricht bringt, daß der Jude wieder da ist. (Für sich.) Bei Verlust des Kopfs!

Jörg. Ei, um den Juden handelt sich's ja eben. Vornehme Herren sind draußen und fragen nach ihm. Ich habe sie zu Euch gewiesen. Der eine ist ein Prinz, trägt einen Degen. Den anderen hab' ich gar nicht recht angesehen, ich kann nicht dafür stehen, daß es nicht der König selbst ist!

Kilian (verwirrt). Was? Was? Wo ist die Tür? Mir schwimmt's vor den Augen!

Jakob (zu Jörg). Ein Prinz? (Er nimmt den Hut ab.) Man schämt sich fast, daß man nicht auch den Kopf abnehmen kann!

Jörg. Freilich!

Sechste Szene.

Der Prinz und der Graf treten ein.

Der Graf. Kann denn niemand seiner Durchlaucht leuchten? Wo ist der Richter?

Kilian (zu Dr. Pfeffer). Zehn Taler demjenigen, der sich für den Richter ausgeben will!

Dr. Pfeffer. Hört' ich recht? Zwanzig Taler?

Der Graf. Kann keiner antworten?

Kilian (zu Dr. Pfeffer). Zwanzig Taler!

Dr. Pfeffer (tritt vor). Durchlaucht verzeihen. Nur der Respekt machte mich bisher stumm. Ich bin der Richter.

Block. Jesus! Nein, ich kenn' ihn nicht mehr! Ich hab' ihn nie gesehen!

Der Prinz. Wir hören, daß hier am Ort ein Jude ergriffen ist, der den Diamant, den der König vermißt, bei sich führt. Wo ist der Jude? Ist es der da, der sich so ängstlich zu verstecken sucht? (Er deutet auf Kilian.)

Kilian. Durchlaucht haben gewiß in allen Dingen recht, dennoch muß ich mich erkühnen, zu behaupten, daß ich dieser Jude nicht bin.

Dr. Pfeffer. Der Jude, wenn Ew. Durchlaucht zu vergeben geruhen, ist nicht mehr hier.

Der Prinz. Gleichviel. Aber der Diamant?

Dr. Pfeffer (langsam). Ist, wo der Jude ist!

Der Prinz. Ihr habt den Juden mit seinem Stein sogleich nach der Residenz bringen lassen? Das lob' ich. Die höchste Eile war nötig.

Kilian (für sich). Das hätt' ich tun können! Dann wär' ich außer Verantwortlichkeit gewesen. Warum sagte mir das keiner! Doch, so geht's immer, wenn man seinen Verstand in fremden Köpfen stehen hat. Man bekommt die Zinsen nur selten in guten Ratschlägen zu Hause.

Dr. Pfeffer. Wie glücklich würde dies Lob aus so hohem Munde mich machen, wenn ich's mir aneignen dürfte! Aber – (Heftig zu Block, Jörg und Jakob.) Nun, Schurken, was säumt Ihr noch? (Zum Prinzen.) Durchlaucht verzeihen, daß ich die Leute an ihre Pflicht erinnere, sie stehen so bestürzt und verwirrt, weil sie's noch gar nicht fassen können, daß sie einen Prinzen vor sich sehen! (Zu den anderen.) Hab' ich euch nicht gesagt, daß ihr mit Fackeln in den Wald hinaus sollt? Wenn der Flüchtling nicht wieder eingeholt wird, so seid ihr schuld daran!

Der Prinz. Flüchtling? Von welchem Flüchtling ist die Rede? Ich will nicht hoffen –

Dr. Pfeffer (für sich). Halb ist's heraus! (Zum Prinzen.) Der Jude ist entkommen. Es scheint, daß er den Gefängniswärter bestochen hat, denn dieser ist mit ihm verschwunden.

Der Prinz. Entkommen? Mit dem Diamant? Durch Eure Nachlässigkeit? (Legt Hand an den Degen.) Was hält mich ab –

Kilian (hinter Pfeffer). Dreißig, vierzig, fünfzig Taler!

Der Graf (zugleich mit Kilian). Gnädigster Herr, keine Übereilung! (Zu Dr. Pfeffer.) War Euch das Königliche Mandat unbekannt?

Dr. Pfeffer. Ich habe es in derselben Stunde auswendig gelernt, wo ich es erhielt, auch glaube ich mich nicht dagegen vergangen zu haben. Gestern ging es bei mir ein, heute gegen Anbruch der Dämmerung schleppt der Bauer, der dort in der Ecke seinen Hut, wie eine Kaffeemühle, dreht, einen Juden vors Gericht, von dem er behauptet, daß er ihm einen Diamant gestohlen habe. So sonderbar eine solche Beschuldigung auch aus dem Munde eines Bauern klingt, dem, wie Ew. Durchlaucht zu bemerken geruhen, die Zehen aus den Stiefeln und die Ellenbogen aus den Ärmeln hervorgucken, so nehme ich die Sache doch keineswegs leicht, ich schreite sogleich zum Verhör, und befehle, als ich erfahre, daß der Jude den Stein verschluckt hat und ihn nicht wieder von sich geben kann, auf der Stelle dem Doktor Pfeffer, der hier steht (Er zeigt auf Kilian.) und der ein sehr geschickter Mann ist, dem Juden den Bauch zu öffnen. Der Doktor ist bereit, aber er hat seine Instrumente nicht bei der Hand; er macht sich also auf den Weg, um sie zu holen, ich lasse den Juden inzwischen unter sicherer Bewachung ins Gefängnis bringen und setze mich zum Corpus juris nieder, um mich zu belehren, ob ich den Menschen auch wohl der Gefahr der Tötung bloßstellen darf, bevor ich noch bestimmt weiß, daß der Diamant, den er bei sich trägt, mit dem, der gesucht wird, identisch ist. Ehe noch eine Stunde verfließt, kommt der Doktor zurück, ich eile mit ihm ins Gefängnis, aber, wie wir's betreten, finden wir's leer, der Jude ist fort und der Wärter mit ihm.

Der Prinz. Ihr habt nachsetzen lassen?

Dr. Pfeffer. Noch eben in Ew. Durchlaucht Gegenwart wiederholte ich den Befehl, und wenn ich nicht die Ehre hätte, vor meinem Prinzen zu stehen, so würde ich selbst längst in den Wald hinaus sein. Übrigens wird der Jude schwerlich säumen, mit dem Diamant, so schnell er kann, in die Residenz zu eilen. Er weiß, daß er statt Strafe eine halbe Million empfängt, denn er kennt das Mandat.

Der Graf. Dann ist's allerdings wahrscheinlich.

Der Prinz. Dennoch wollen wir ihm nach. Kommen Sie, Graf!

Der Graf. Wäre der Bauer nicht erst zu befragen, wie er zu dem Diamant gekommen ist?

Dr. Pfeffer. Er will ihn von einem verstorbenen Soldaten erhalten haben.

Der Prinz. Von einem Soldaten? Da seh' ich eine Spur! Beschrieb die Prinzessin doch in dem Geist, von dem sie sprach, offenbar die Gestalt eines verstümmelten Soldaten. He, Bauer!

Jakob (zu Kilian). Wie nah darf man dem gnädigen Herrn mit Transtiefeln treten?

Der Prinz (tritt auf Jakob zu). Ein Soldat gab dir den Stein?

Jakob. Eigentlich gab er mir ihn nicht, sondern ich nahm ihn mir, als er tot war, das heißt, meine Frau tat's.

Der Prinz. Was war das für ein Soldat? Sag' mir, wie er aussah!

Jakob. Ja, wenn ich's nur recht mache. Wo soll ich anfangen? Oben beim Kopf, oder unten bei dem hölzernen Bein?

Der Prinz. Er hatte einen Stelzfuß? Das trifft schon zu. Weiter!

Jakob. Weiter? Ja, da stehen wir. Ich wollte, Durchlaucht fragten mich anders, das heißt genauer, nach Nase, Mund, Ohren und dergleichen.

Der Prinz. War er groß oder klein?

Jakob. Klein? Schrecklich groß! Der Tischler, der den Sarg machte, hat sein Maß.

Der Prinz. Wie war er sonst?

Jakob. Nun, er war schon, wie ein Mensch, nur daß man ihn auch wohl für ein Gespenst halten konnte, so totenbleich war sein Gesicht und so hohle stechende Augen saßen darin. Ich fuhr ordentlich zusammen, als ich an jenem Abend aus der Tür trat und ihn davor stehen sah. In gesunden Tagen mag er wohl anders ausgesehen haben.

Der Graf. Woher kam er?

Jakob. Weil nicht. Vom Sprechen war er kein Freund. Nichts von Woher und Wohin. Ich zeigte ihm mein Bett, er legte sich stillschweigend hinein und kehrte sich gegen die Wand. Ich habe keinen Laut aus einem Munde vernommen, kein: ich dank' Euch, Jakob, daß Ihr mir das Lager abtretet und Euch auf Stroh behelft, nicht einmal ein Stück vom Vaterunser. Er wußte wohl, daß es bald mit ihm vorbei sei, darum machte er keine Umstände, ich hab's ihm nicht verdacht. Als er im Sarg lag, sah er besser aus, als da er noch lebte. Freilich hatte ich ihn vorher rasiert.

Der Graf. Er war wohl stumm?

Jakob. Stumm? Wäre meine Frau hier, so würde sie Nein sagen. Zu der hat er allerlei geredet. Wir würden mehr bei ihm finden, als wir dächten! Dabei hat er auf den Stein gezeigt und gesagt, die Tochter des Königs hätt' ihm den gegeben.

Der Prinz. Die Tochter des Königs?

Jakob. So sprach er zu meiner Frau und meine Frau zu mir!

Der Graf (zum Prinzen). Ich möchte eine Vermutung wagen. Der arme kranke Soldat, der den Tod im Angesicht trug, hat sich in den Königlichen Garten zu schleichen gewußt, er ist vor die einsame Prinzessin hingetreten, und hat sie, überzeugt, daß seine Jammergestalt mehr Mitleid einflößen müsse, als ungeschickte Worte, mit stummen Gebärden um ein Almosen angefleht. Die Prinzessin, in der Dämmerungsstunde tief in ihre Phantasien versenkt, hat in dem sterbenden, vielleicht wahnsinnigen Verstümmelten den Geist, dessen Erscheinung sie täglich, ja stündlich in fiebrischer Erregtheit entgegensah, zu erblicken geglaubt, und ihm den Diamant, den er ihr abzufordern schien, mit Schaudern und Entsetzen zugeworfen; dann ist sie, im innersten Grunde ihres Daseins erschüttert, bewußtlos zurückgesunken, und der Mensch hat sich still entfernt. Ist er doch sogar dem Bauer wie ein Gespenst vorgekommen; wie sollte er ihr –

Der Prinz. So ist's! So muß es sein! Denn nur so wird der Wahnsinn vollkommen. O Welt, Welt! Bist du denn etwas andres, als die hohle Blase, die das Nichts emportrieb, da es sich, fröstelnd, zum erstenmal schüttelte? Schau mir nicht so starr ins Gesicht, Walter, ich könnte dir jetzt den Kopf herunterschlagen und mir einbilden, das geschehe bloß in der Einbildung. Nein! Nein! Da schafft die Natur ein Wesen, das keinen Fehler hat, als den, daß er zu vollkommen ist, daß es der Welt nicht bedarf und all sein Leben aus sich selbst, aus der unergründlichen Tiefe seines Ichs hervorspinnt, und diesem Wesen tritt eine Fratze, ein lächerliches Zerrbild seines eignen Todestraums, in den Weg, und vor der Fratze muß es vergehen!

Der Graf. Gnädiger Herr –

Der Prinz. Ja! Ja! Fort. Was vergeud' ich die Seele in Worten! (Ab, von den übrigen gefolgt.)

Jakob (im Abgehen). Ich kriege die Schläge und ein anderer schreit! Macht der Prinz nicht ein Gesicht, als ob er statt meiner die halbe Million eingebüßt hätte? Ich ärgere mich über ihn! (Ab.)


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