Friedrich Hebbel
Der Diamant
Friedrich Hebbel

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Zweiter Akt.

Erste Szene.

Ein Wald. Doktor Pfeffer und Meister Block treten auf.

Block. Nun, Doktor? Ihr habt mich wieder angeführt. Zum wievielten Male ist's doch?

Dr. Pfeffer. Ihr habt recht, es ist hier heiß, sehr heiß. Das stellt einen Wald vor und gibt nicht so viel Schatten, daß zwei Leute daran genug haben. Man schwitzt, als ob man dafür bezahlt würde, und was wettet Ihr, wenn wir eine Quelle antreffen und unsern Durst einmal auf schnöde Weise löschen wollen, so hat sich eben vorher ein Ratz darin ersäuft. Der Teufel hole die Nadelhölzer! Sie qualmen, als ob sie Tabak rauchten.

Block. Ich sprach nicht von der Hitze und vom Durst.

Dr. Pfeffer. Nicht? Wovon denn? Wer gebraten wird und an etwas anderes, als ans Feuer denkt, oder ans Wasser, das das Feuer auslöschen kann, der ist keine Kreatur, die Gott gemacht hat.

Block. Ich habe jetzt zwei Tage über Eure Schnurren und Einfälle gelacht. Seid zufrieden! Endlich werd' ich Euch ein ernsthaftes Gesicht zeigen!

Dr. Pfeffer. Und Ihr nehmt das Muster nach Eurer Frau. Richtig! So ungefähr sah sie aus, als Ihr das letztemal betrunken mit mir nach Hause kamt. Nur die Augbraunen müßt Ihr noch ein wenig à la Jupiter zusammenziehen. Ihr wißt doch, wer Jupiter ist? Ich will's Euch sagen, damit Ihr nicht das alte Adreßbuch nachschlagt, das sich aus der Stadt zu Euch verirrt hat. Er ist ein abgedankter Gott!

Block. Doktor, es ist schändlich von Euch, daß Ihr einen Mann, dem Ihr so viel schuldig seid, aufzieht, wie Ihr nur könnt. Wenn's nicht aus Respekt vor der Gelehrsamkeit, vor dem, was ich nicht weiß, geschehen wäre, meint Ihr, ich hätt' Euch so lange geborgt?

Dr. Pfeffer. Warum macht Ihr Euch nicht bezahlt? Werdet krank, und steht nicht eher wieder auf, als bis ich den letzten Heller mit Rezeptschreiben abverdient habe. Mich habt Ihr ja immer in Händen.

Block. Hab' ich denn recht? War wirklich alles Lüge, was Ihr sagtet? Ich hoffte, Ihr solltet widersprechen!

Dr. Pfeffer. Was sagte ich, Block?

Block. Nun, nicht daß Ihr Euch erinnertet, denn Ihr habt für Flausen ein Gedächtnis, nur daß Ihr Euch schämt! Als meine Frau Euch diesmal die Rechnung brachte – sie setzt sie alle Jahr einmal auf, aber sie hat, wie Ihr wißt, nichts davon, als daß sie's Schreiben nicht ganz vergißt – da nahmt Ihr einen hohen Ton an, danktet ihr und mir in Worten, die fast zu vornehm für Euch und uns waren, für die lange Nachsicht, und tatet einen feierlichen Schwur, daß Ihr nun Ernst machen wolltet. Ich wurde Euch ordentlich gut, als ich Euch so vernünftig schwören hörte, meine Frau schmunzelte und zeigte die Zähne, die sie nicht mehr hat, wir glaubten alle beide – man sollte sich ohrfeigen, indem man es gesteht, denn woher sollt Ihr Geld nehmen? Bärte scheren wollt ihr nicht, und vor Krankheiten hüten die Leute auf dem Lande sich, und wenn sie welche bekommen, so bekümmern sich die wenigsten um Eure neue Lehre, daß, wer stürbe, ohne den Arzt gerufen zu haben, von Gott als Selbstmörder gerichtet werde – wir glaubten, daß Ihr gleich einen vollen Beutel hervorziehen würdet!

Dr. Pfeffer. Tat ich das nicht?

Block. Tatet Ihr es je? Fragt noch! Nun setztet Ihr Euch an den Tisch, stütztet den Kopf und machtet ein mitleidiges Gesicht. »Der Mensch hat mich beleidigt, das ist wahr – spracht Ihr, wie zu Euch selbst – aber ich will das vergessen, ich will barmherzig sein, denn was muß er jetzt nicht aushalten! Er ist dreimal so dick, als ein anderer, er leidet auch dreimal so viel Schmerz!« Meine Frau ward neugierig und fragte Euch, wen Ihr meintet. »Den Richter Kilian in Walddorf, wen sonst?« – Ist der krank? – »Krank? Zum Sterben! Ich sage dir, Brigitte, wenn all die Kreaturen, die sein Wanst verschlungen hat, wieder lebendig würden und von ihm ihr Fleisch zurückforderten, wenn die Kalekuten sich über seine rote Nase hermachten, wenn die Hühner miteinander um seine Augäpfel kämpften, die Schweine und Ochsen um seine Eingeweide, es wäre nichts gegen die Qualen, die er jetzt erduldet. Und was das schlimmste ist, der Mann weiß, daß ich ein Christ bin, und traut mir doch nicht zu, daß ich verzeihen kann, er wagt nicht, zu mir zu schicken, weil er glaubt, daß ich ihm eine alte Eselei nachtrage, aber Hunderte würde er geben, wenn ich von selbst käme!« – So tut's doch! So geht doch! Eure Stiefeln sind blank, Euer Rock ist gebürstet! – Nun standet Ihr auf, klopftet ihr auf die Schultern und spracht: ich schlug dir noch nie etwas ab, Brigitte, ich will auch heute tun, was du willst, aber nun mach' auch keine Umstände und rücke mit einigen Talern zur Reise heraus. Ich will mir gleich, wie ich ankomme, vom Richter das Doppelte wieder geben lassen, dein Mann kann mitgehen und es in Empfang nehmen; gibst du zwei Taler, so bekommst du vier, gibst du vier, so bekommst du acht, gibst du einen, so bekommst du freilich nur zwei. – Sie ließ sich locken und gab das Geld, ich –

Dr. Pfeffer. Ich habe es mit vertrinken helfen! Etwas anders wolltet Ihr doch nicht sagen? Woher kommt Euch dies Spätrot auf den Backen, diese Nachsommerglut im ausgebrannten Ehmannsauge, dieser Betglockenbaß, worin Ihr mit mir zu reden wagt? O Undankbarkeit, du bist das frechste Laster! Aus meinem eignen Wein holt der sich die Courage, die er braucht, um mir meine Menschlichkeiten vorzuwerfen. Hätt' ich ihn nicht mittrinken lassen, er würde, wenn ich's verlangt hätte, seinen Rock ausgezogen und ihn zum Pfand für meine Zeche hingegeben haben. Jetzt spricht er, wie ich's erst am jüngsten Tag zu hören hoffte!

Block. Ich merkte schon gestern Unrat. Gleich ins erste Wirtshaus hinein. Stundenlang gesessen. »Wollen wir nicht weiter?« »Laß den Kerl nur noch zappeln. Je größer die Not, je willkommener der Retter.« So ging's fort. Nun sind wir so dicht vor Walddorf, daß wir die Eierkuchen, die die Leute backen, schon riechen können, und ich fürchte, der erste, der uns frisch und gesund entgegenkommt, ist der Richter.

Dr. Pfeffer. Das ist möglich. Aber weißt du, wie wir's dann machen? Ich stelle mich hinter einen Baum, du fällst über ihn her und schlägst ihn halb tot. Sobald er für ein Krankenlager von drei Monaten genug hat, tret' ich hervor, verjage dich und verbinde den Verwundeten. Dann habe ich einen Patienten, und wir haben alle beide Geld. Was meinst du?

Block. Ich habe keine Antwort, die so schlecht ist, daß ich sie auf eine solche Frage wegwürfe. Was, wär' es nicht genug, daß ich mich krank stellen muß, so oft Ihr's verlangt, drei-, viermal des Jahrs und mehr, damit Ihr Euch hinterdrein mit meiner Herstellung brüsten könnt? Glaubt Ihr, es sei ein Spaß, so vor den Leuten, die einen besuchen, zu ächzen und zu stöhnen, wenn man nichts fühlt, über Appetitlosigkeit zu klagen, wenn der Magen sich vor Hunger umkehrt, mit gesunden Lungen zu röcheln und so weiter? Aber ich tu's auch nicht wieder. Das letztemal hab' ich genug gekriegt. Wollene Decken mitten im Sommer? Probiert's selbst!

Dr. Pfeffer. Hör', Block!

Block. Nun duzt Ihr mich gar, als ob ich ein Junge wär'! Freilich, es ist Eure Art, Beleidigungen dadurch zurückzunehmen, daß Ihr sie verdoppelt. Ich werd's nie vergessen, daß Ihr dem Schulzen mit einem Lümmel antwortetet, als er für einen Schlingel Genugtuung verlangte, und daß Ihr auf den Lümmel einen Hundsfott folgen ließt, als er den Lümmel nicht verschlucken wollte!

Dr. Pfeffer. Block, du sollst mich wieder duzen! Kann ich dir einen größern Beweis der Freundlichkeit geben? Du sollst mich duzen und mich auch, wenn ich nüchtern bin, unter den Arm fassen!

Block. Ich bedanke mich! Davon hätt' ich selbst den meisten Schaden. Nun kommt doch wohl noch hin und wieder einer zu Euch und holt sich ein Pulver gegen's Fieber. Sähen sie mich mit Euch Arm in Arm gehen, sie vertrauten Euch keine Katze mehr zum Kurieren an. Das glaubt mir, ich weiß, was ich gelte. Nein, auf der Straße bin ich bis zum jüngsten Tage der Mann, der respektvoll den Hut vor Euch abzieht. Aber sagt doch einmal, was wollt Ihr vorbringen, wenn wir wieder zu Hause kommen? Denn das ist's, was mir am meisten am Herzen liegt.

Dr. Pfeffer. Wir haben den Richter schon im Sarg angetroffen.

Block. Und wenn er in demselben Augenblick vorbeireitet?

Dr. Pfeffer. Dann ist's ein Gespenst zu Pferd!

Zweite Szene.

Benjamin (tritt auf und hält sich den Bauch). Au weh, au weh! Das ist ein Bauch! Läßt lieber die Eingeweide fahren, als den Stein! Anderthalb Tage schlepp' ich den Diamant nun schon mit mir herum! Lebkuchen und Heringe hab' ich durcheinander gegessen und einen Trunk frische Milch darauf gesetzt. Nichts schlägt an. Der Stein bleibt, wo er ist, aber Bauchgrimmen bekommt man, als ob man gebären sollte, und eine ganze Armee auf einmal. Hab' ich den Tod verschluckt? Soll das Kleinod mich unter die Erde bringen? Im letzten Wirtshaus besah ich mich im Spiegel. Ich hätte schwören mögen, ich sähe einen Fremden, so hatte der Schmerz mich mitgenommen! Au!

Block. Gottes Segen! Hört Ihr nicht?

Dr. Pfeffer. Jammertöne! Aber vielleicht von einer kreißenden Eidechse, bei der noch kein Akkoucheur einen Heller verdient hat.

Block. Nein, nein, dort steht ein Mensch!

Dr. Pfeffer. Wirklich? Nun ja!

Block (ruft). Nur näher, Freund!

Dr. Pfeffer. Warum? Das ist einer von denen, die erst recht krank werden, wenn sie den Arzt kommen sehen, weil die Rechnung ihnen einfällt.

Block. Ihr könnt nicht wissen, was ihm fehlt. Die Not verändert alles.

Dr. Pfeffer. Zahnweh! Eine Kolik! Übel, die jede alte Vettel vertreiben, die man durch Fliedertee, durch einen heißen Stein in die Flucht schlagen kann! Eine ordentliche Krankheit gibt sich auch wohl mit einem Schacherjuden ab!

Block. Also auch hierbei kommt's auf den Rang an?

Dr. Pfeffer. Schäm' dich! Drittehalb Jahre lass' ich's mir nun schon bei dir im Hause gefallen, und noch nicht so viel hast du gelernt? Gesundheit! Nun ja, die kann man umsonst haben! Man grabe, man esse schwarzes Brot, man saufe Wasser und verderbe sich den Magen nicht öfter, als man auf eine Hochzeit kommt, das heißt dreimal im ganzen, das erstemal, wenn man selbst Hochzeit macht, das zweite und drittemal, wenn man dem Sohn und dem Enkel die Hochzeit ausrichtet. Das gibt Kadaver, wie von Leder, Fraß für Jahrhunderte, den selbst das Grab ohne Beihilfe von ungelöschtem Kalk verdauen kann. Aber eine Krankheit, eine respektable, die einem was zu denken gibt, einem den Patienten unter den Händen wegstiehlt und drei Fakultäten auf einmal betrügt, die Theologie um eine Seele, die Jurisprudenz ums Testament und die Medizin um ein Leben, ja solch eine Krankheit macht sich mit dem Pöbel nicht gemein, die sieht sich nach vollen Bechern um, nach indianischen Vogelnestern und arabischen Spezereien, die verlangt Tausendtalersünden, die ist zu rar, zu teuer fürs Geschmeiß!

Benjamin. Au weh!

Dr. Pfeffer. Schweig, Jude, oder komm heran! Jeder Kranke ist eine Beleidigung für den Arzt, wie jeder Sünder für den Priester.

Benjamin (nähert sich, zu Block). Wer ist der Mann?

Block. Ein Doktor, wer sollt' es sonst sein!

Dr. Pfeffer. Was fehlt dir? Kannst du einem die Hand nicht reichen, daß man deinen Puls fühlt? Zunge heraus! Du hast den edlen Muskel nicht zum Wimmern erhalten, sondern um ihn auszustrecken! Ein wahrer Rekrut! Kennt kein einziges Manöver! Zunge eingezogen! Fühlst du's denn nicht, daß sich ein geiles Fliegenpaar darauf niederläßt, um Unzucht zu treiben? Aufgeschaut! Antwort! Wo hapert's?

Benjamin. Herr, ich habe einen Stein verschluckt, und muß sterben, wenn mir nicht bald geholfen wird!

Dr. Pfeffer. Einen Stein? Was für einen Stein?

Benjamin. Was für einen Stein? Was meint Ihr damit? Einen Stein von der gemeinsten Art, von der allergemeinsten! Ihr denkt wohl gar an Edelsteine? Ein Kiesel, ich schwör' es Euch zu, ein nichtsnutziger Kiesel! Doch nein, ich will ehrlich sein, beschwören kann ich's nicht, daß es ein Kiesel war. Möglicherweise ein Quarz.

Dr. Pfeffer. Wie kam man dazu, den Kiesel zu verschlingen?

Benjamin. Wie? Wie? Au weh! Das – das will ich Euch sagen, ausführlich, genau, sobald Eure Kunst mich wieder von dem Stein befreit hat.

Dr. Pfeffer. Ein sonderbarer Kasus!

Benjamin. Sonderbar? Wieso? Daß ich nicht wüßte! Man frühstückt, man ist hungrig, sehr hungrig, man läßt ein Stück Brot fallen, man bückt sich darnach, hebt's auf, verschlingt's unbesehens, denn man liest zugleich die Todesanzeige eines geliebten Freundes in der Zeitung, und siehe da, der Stein, der einem beim Bücken zwischen die Finger geriet, wird mit verschluckt, vielleicht, wer kann's so genau wissen, ein paar Stecknadeln obendrein!

Dr. Pfeffer (zu Block). Der Jude wird mir verdächtig! (Zu Benjamin.) Woher das blaue Auge? Mit auf die Welt gebracht, nicht wahr?

Benjamin. Gibt's denn hier herum nicht Bäume genug, sich daran zu stoßen, wenn man hastig rennt?

Dr. Pfeffer. O ja! Aber warum rennt man so hastig, wenn man vielleicht ein Dieb ist, sich selbst für den Steckbrief zeichnet?

Benjamin. Warum? (Für sich.) Ich will mich lieber vor der Tür eines Gefängnisses zum Ausruhen niedersetzen und zur Unterhaltung einen Strick drehen, als dem noch drei Fragen beantworten! (Zu Doktor Pfeffer.) Ihr glaubt wohl, daß jemand hinter mir her war? Gerade umgekehrt, ich war hinter einem her, und bei Gott, wenn ich an den Bösewicht denke, so fühl' ich meinen Schmerz nicht mehr! Schelm, Schelm, du sollst mir nicht entgehen! (Er stellt sich, als ob er jemand verfolgen wolle.)

Dr. Pfeffer. So entkommt man einem ehemaligen Senior nicht! (Zu Block.) Haltet den Burschen einmal fest!

Block (legt die Hand an Benjamin).

Benjamin (reißt sich los und eilt fort, bleibt aber plötzlich stehen, denn)

Dritte Szene.

Jakob (tritt ihm entgegen).

Dr. Pfeffer (zu Block). Schämt Euch, ein Riese, wie Ihr, läßt einen Zwerg, wie den, entwischen?

Block. Nun vergrößert Ihr mich doch offenbar nur, um mich zu verkleinern!

Jakob. Sieh da, der Jude! Nun bin ich ein Mörder, sobald man ein Vaterunser betet. Ob ich gleich über ihn herfalle? Daß ich ein Narr wäre! Erst will ich wissen, wo der Stein blieb. Ich bin ein Schuft, wo ich ihn erschlage, wenn er mir das nicht zuvor sagt! (Zu Benjamin.) Heda! Was dünkt dir zu diesem Knittel? Findest du ihn dick genug?

Benjamin. Was wollt Ihr? Ich kenn' Euch nicht! (Für sich.) Das könnt' ich fast beschwören. Ich sah nicht auf ihn, sondern nur auf den Diamant!

Jakob (tritt näher) Kennst mich nicht?

Benjamin. Doch! Doch! Bleibt nur, wo Ihr seid, ich besinne mich auf Euch! Vergebt, kurzsichtig hat Gott mich erschaffen, mir ist's begegnet, daß ich den eignen Vater für einen Fremden hielt und ihn nach Herkunft und Geschäft fragte.

Jakob. Wo hast du meinen Stein?

Benjamin. Ihr meint den Stein, den ich Euch für einen Taler abkaufte? Den hab' ich an einen Drechsler gegeben, um mir – ich sagte es Euch – einen Stockknopf darauf machen zu lassen, aber er ist zersprungen, mein Stock – Ihr seht's, der Beweis ist da – ist noch immer ohne Knopf. Ihr habt mich angeführt, doch sag' ich das nicht, um es Euch vorzuwerfen, warum sah ich nicht besser zu?

Jakob. Lug und Trug! Her mit dem Stein, oder – Siehst du den Regenwurm hier, und siehst du, wie ich ihn zertrete? Du sahst dein eignes Schicksal!

Benjamin. Sprecht doch nicht so laut von dem Stein! Es sind Leute in der Nähe, kann nicht der Eigentümer darunter sein? Der Stein – nun ja, er hat einen gewissen Wert, es ist –

Jakob. Ein Edelstein!

Benjamin. Das nun wohl nicht, aber es gibt vielleicht noch außer Euch Leute in der Welt, die ihn dafür halten, wenn man verhütet, daß sie ihn anders, als bei Zwielicht sehen. Nun hört mich ruhig an. Aber eins sagt mir zuvor: glaubt Ihr, daß ein Mensch, wie ich, ein Gewissen hat, oder nicht?

Jakob. Hund, du hast mich bestohlen. Meinst du, ich werde ja sagen?

Benjamin. Also Ihr sagt nein? Um so besser! Denn um so größer wird die Scham sein, die Ihr empfindet, wenn ich Euch nun gleich durch die Tat das Gegenteil beweise. Wißt Ihr, warum ich Euren Stein heimlich einsteckte? Nur, weil ich Euch bereit sah, ihn ganz unterm Wert wegzuschleudern. Ihr fordertet hundert Taler, Ihr hättet ihn auch für fünfzig gegeben, könnt Ihr's leugnen? Ich trug die Lumperei nicht bei mir, aber schon sah ich von fern einen anderen von unseren Leuten auf Eure Hütte zukommen. Ich dachte: der Bauer wird den heranrufen, wie er dich herangerufen hat, und sein Kleinod ist für dich, wie für ihn selbst, verloren. Nein, rief ich aus, das soll nicht geschehen! Lieber willst du selbst einen scheinbaren Diebstahl begehen, als zulassen, daß ein armer Mann durch den ärgsten Gauner um sein ganzes Lebensglück betrogen werde. Ich nahm den Stein und ging. Aber wißt Ihr, wie ich wiederzukommen dachte? Zwei Säcke voll Geld unter dem Arm. Heranschleichen wollt' ich mich, mich unterm Fenster verstecken und durch die Scheiben eine Handvoll nach der andern hineinwerfen. Dann wollt' ich mich aufrichten und vor Euch hintreten, und Euch fragen, was ich für ein Mann sei. Um diese Überraschung habt Ihr Euch selbst gebracht!

Jakob. Wo sind die Geldsäcke?

Benjamin. Hab' ich denn den Stein schon verkauft? Hab' ich schon einen damit angeführt?

Jakob. Dann her mit dem Stein!

Benjamin. Wie Ihr wollt! (Greift in die Tasche.) Was ist das? Ei, eben hatt' ich ihn ja noch! (Zu Jakob.) Schaut Euch doch mal um, ob Ihr ihn nicht liegen seht! Verfluchter Schneider! Das sind Taschen! Von der Seite kam ich her!

(Jakob dreht sich um.)
(Benjamin sucht zu entspringen.)
(Dr. Pfeffer vertritt ihm den Weg.)

Jakob (zu Benjamin). Was, Hund? Willst davonlaufen und mir nicht einmal suchen helfen? (Zu Doktor Pfeffer.) Tretet nicht so viel hier herum! Mir ist hier durch den Juden ein Edelstein verloren gegangen.

Dr. Pfeffer. Glaubst du's dem Juden?

Jakob. Nun Ihr mich so gefragt habt, nicht mehr!

Block. Noch eben bat der Jude den Doktor um Hilfe, weil er einen Stein verschluckt habe. Wenn er Euch also einen Edelstein stahl, so trägt er ihn ganz gewiß im Bauch!

Jakob. Im Bauch?

Dr. Pfeffer. Aber Bauer, es ist nicht recht glaublich, daß du Besitzer von Edelsteinen bist.

Jakob. Nein, Herr, das ist wahr. Geht's mir doch selbst so, wie sollt' es Euch anders gehen? Wenn ich mich vom Kopf bis zu den Füßen betrachte, kommen mir so viele Zweifel, als ich Löcher in meinem Rock und Risse in meinen Stiefeln bemerke. Aber dann sag' ich mir wieder, was ich mir gleich sagte: wenn der Stein wirklich keinen Wert hätte, würde der Jude ihn gestohlen haben? Nun hör' ich sogar, daß er ihn verschlungen hat. Ich bitt' Euch: wird er Quarze und Kiesel verschlingen?

Dr. Pfeffer. Das ist wahr. So nimm den Kerl beim Kragen und schlepp' ihn vor den Richter. Ich begleite dich.

Jakob. Das will ich tun! (Zu Benjamin.) Marsch, Spitzbube! (Er zieht ein Messer heraus.) Vor mir hergeschritten, wie ein Rekrut vor dem Korporal. Und bei der ersten verdächtigen Bewegung, die du machst, fährt dir die Klinge ins Genick! Ja! Und singen sollst du unterwegs, Lieder sollst du singen, lustige oder traurige, wie du willst, damit du keine Zeit hast, Lügen zu spinnen!

Dr. Pfeffer. Du erzählst mir, während wir gehen, wie du zu dem Stein gekommen bist! (Alle ab.)

Vierte Szene.

Der Prinz und der Graf treten ein.

Der Graf. Eine solche Leidenschaft, gnädiger Herr –

Der Prinz. Ist die unglücklichste, die sich denken läßt! Wolltest du das nicht sagen? Gut. Ich gebe es zu. Aber wozu führt dies? Nenn's Glück, nenn's Unglück, nenn's Krankheit, nenn's Gesundheit, gleichviel, aber hilf dem, den du für unglücklich hältst, mache den gesund, der dir krank erscheint!

Der Graf. So plötzlich, so unerwartet –

Der Prinz. Es tut mir leid, daß ich dir etwas gesagt habe! Hätt' ich doch lieber einen Baum zu meinem Vertrauten erwählt! Er hätte mir kein Wort geantwortet. Wie herrlich! Dann hätt' ich doch auch das nicht zu hören bekommen, was mir in tiefster Seele zuwider, und womit mein liebster Freund so freigebig ist. Nicht diese gründlichen Einwände, die sich auf tausend Weils und Darums stützen, und die doch an der Sache nicht das geringste verändern. Er hätte ebenso ernsthaft geblickt, wie du, er hätte sein Haupt vielleicht ebenso gravitätisch geschüttelt. Aber, wenn ich mir den Kopf an seinem Stamm einstoßen wollte, so würde er nicht zurückweichen. Ob du mir dein Schwert leihen würdest, um diesem gepreßten, glühenden Herzen Luft zu machen, das ist noch die Frage.

Der Graf. Sie mißkennen mich, gnädigster Herr.

Der Prinz. Ja, liebster Walter? Also du hast ein Mittel? Du weißt, wie mir zu helfen ist? Sprich! Blicke nicht länger finster! Hab' ich dich beleidigt? Dich – dich will ich gern um Verzeihung bitten!

Der Graf. Ich sinne –

Der Prinz. Laß dich nicht stören! Soll ich dich allein lassen?

Der Graf. Ich sinne umsonst, wollt' ich sagen. Alles, was geschehen konnte, ist geschehen!

Der Prinz. Alles? Alles? Dies alles, du weißt es, hat zu nichts geführt. Was ist dein alles, wenn es nichts ist! O Walter, hättest du die Unglückliche gesehen, wie ich sie sah, du würdest jede Faser deines Gehirns so lange anstrengen, bis sie risse oder dir diente! Aber hab' ich dir auch alles gesagt? Verbarg ich dir nichts? Weißt du, was ich weiß?

Der Graf. Ich weiß, daß sie wahnsinnig ist!

Der Prinz. Wahnsinnig! Hu! Welche ein schaudriges Wort! Nein, Walter, brauch' es nicht, dies Wort! Wahnsinnige! Das sind düstre Menschen mit verwilderten Gesichtern! Ich sehe die Ecken, wo sie kauern. Aber sie! Nein, nein, das ist kein Wahnsinn!

Der Graf. Sei es, was es sei, es ist nicht, was es sein soll.

Der Prinz. Gott! Gott! Sie kann sterben, indem wir reden! Nun, kalter, säumiger Freund, vor deinen Ohren wiederhole ich den Schwur, den ich im Innersten meiner Seele tat: wenn sie stirbt, so bin ich der erste, der nach ihr stirbt, mein schnelles Schwert soll dann selbst den überholen, der schon im Todeskampf röchelt. O, der Schwur ist töricht! Es ist, als ob ich schwüre, daß ich an einem Stoß durchs Herz wirklich sterben wolle.

Der Graf. Gnädigster Herr, ich ehre Ihren Schmerz und trage ihn, wie den meinigen, aber urteilen Sie selbst: was bleibt uns zu tun übrig? Der Diamant ist spurlos verschwunden, die Prinzessin glaubt, sie muß sterben –

Der Prinz. Sie muß sterben? O, ich ahnte es wohl, daß du nicht alles wußtest! Gibt's doch ein Unglück, so groß, daß man nicht darüber spricht, weil man meint, es könne keinem unbekannt sein, jeder müsse es mitfühlen, wie einen Stich durch die Welt! Seit gestern glaubt sie, daß sie gestorben ist!

Der Graf. Unmöglich!

Der Prinz. Die ganze Nacht hatte sie, wie gewöhnlich, aufrecht in ihrem Bette gesessen, und still und lächelnd vor sich hingeblickt, wie ein Kind, das in eine schöne Blume hineinschaut. Dann, mit Anbruch des Morgens, war sie ermüdet zurückgesunken. Aber auf einmal richtet sie sich ängstlich auf, spricht: noch nicht! noch nicht! und ruft nach ihrer Mutter. Die Königin erscheint. Schnell, Mutter, schnell! ruft sie ihr entgegen. Ich wußte wohl, daß ich nicht sterben würde, bevor ich einen Trost für dich ersonnen hätte! Jetzt hab' ich den, und meine Stunde ist da! Die Königin eilt auf sie zu und schließt sie in ihre Arme. Die Augen fallen ihr zu, sie reißt sie wieder auf und kämpft mit dem Schlaf, als ob sie mit dem Tod zu kämpfen glaubte. Doch die erschöpfte Natur erliegt, die Mutter lehnt sie leise zurück, noch im Schlaf bewegt sie die Lippen. Lange, lange hatte sie nicht mehr geschlafen, man hoffte alles von dieser tiefen, erquicklichen Ruhe. Schreckliche Täuschung! Gegen den Abend erwachte sie. »Endlich! Endlich! – rief sie aus – o, der Weg ist weit!« Dann schaute sie mit Verwunderung auf ihre Umgebung. »Sah ich denn das alles nicht schon da unten auf jenem Stern, den sie die Erde nennen, oder schwimmt es mir nur noch vor den Augen und verhüllt mir den Glanz des Himmels?« So sprach sie leise vor sich hin. Die Königin trat in die Tür. »O, dich kenn' ich wohl – rief sie ihr entgegen – du bist meine Mutter, wie schön, daß das liebste Bild das erste ist, welches mir hier erscheint!« Tränen traten der Königin in die Augen. »So sieht meine arme Mutter jetzt wohl aus – sprach die Kranke – hat sie mich denn nicht verstanden, als ich sie tröstete?« Nun warf sie sich auf die Knie und betete, dann stand sie wieder auf und sprach: »Ich habe Gott angefleht, daß er meiner Mutter mein Bild vorführen möge, wie mir das ihrige, ich will lächeln, damit auch sie lächle, wenn sie mich im Traum erblickt und sieht, wie glücklich ich bin!« Nun lächelte sie, als ob sie entzückt wäre. Genug, sie glaubt sich gestorben, und was das Entsetzlichste ist, sie nimmt nicht Speise und Trank mehr zu sich!

Der Graf. Das läßt ja selbst für den Fall, daß der Diamant wieder entdeckt würde, kaum noch Hoffnung zu!

Der Prinz. Da sind die Ärzte Gottlob anderer Meinung. Sie glauben, daß der Anblick des Steins eine augenblickliche Krisis herbeiführen wird. Und warum sollten die Wahngebilde nicht schwinden, sobald ihre Quelle verstopft ist? Nur darum handelt sich's, wie man den Stein auftreiben soll.

Der Graf. Der Stein wird sich finden. Das königliche Mandat, das dem Bringer, statt Strafe, eine halbe Million sichert, bürgt mir dafür. Vielleicht ist er schon da. Wir sollten an den Hof zurückkehren!

Der Prinz. Wer hält es aus, dem grenzenlosen Elend Mädchen Gefühl seiner Ohnmacht fort und fort gegenüberzustehen, das Liebste, das Teuerste hinschwinden zu sehen und sich immer zu wiederholen: Du kannst nichts tun! O, ich werde rasend, wenn ich mir denke, daß das holdseligste Wesen der Erde vielleicht eines jammervollen Todes sterben muß, weil irgendein ängstlicher Geizhals nicht früh genug mit sich fertig werden kann, ob er dem Wort eines Königs trauen dürfe oder nicht. Nein, Walter, an den Hof kehre ich erst dann zurück, wenn das höchste Entzücken oder die tiefste Verzweiflung mich ruft. Bis dahin wollen wir streifen, reiten. Du meintest gestern, der Zufall allein könne helfen. Wohlan, ich will mir einbilden, der Zufall sei um ein Werkzeug verlegen und suche mich, wie ich ihn! (Beide ab.)


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